Zusammenfassung
Der Systemgedanke war in der Rechtswissenschaft ein Erbe der Naturrechtslehre. Er war aber auch tief begründet in der Philosophie des deutschen Idealismus. Fichte, Schelling hatten versucht, die Welt gleichsam aus einem Punkte, einem letzten, „transzendentalen“ Grunde zu konstruieren, d. h. nachdenkend zu begreifen. Hegel hatte es unternommen, das „Wahre“ als das „Ganze“, d. h. als die in sich kreisende, den Gegensatz ebenso einschließende wie in sich aufhebende Bewegung des „konkreten“ Begriffs darzustellen. In der Vorrede zur Rechtsphilosophie steht das Wort von der „Architektonik der Vernünftigkeit“ des Staates, als der „reichen Gliederung des Sittlichen in sich“. Das „System“ bedeutete hier also weit mehr als nur die Übersichtlichkeit und leichtere Beherrschbarkeit des Stoffes; es bedeutete die einzig mögliche Weise, in der sieh der erkennende Geist der Wahrheit zu versichern vermag: Kriterium der inneren „Vernünftigkeit“, unerläßliche Anforderung echter Wissenschaftlichkeit. Deshalb betonte Savigny, der insoweit von der Philosophie seiner Zeit nicht unberührt war, von Anfang an, neben dem „historischen“ Charakter der Rechtswissenschaft und mit gleichem Gewicht, ihren „philosophischen“ oder systematischen Charakter. Fast alle bedeutenden deutschen Juristen des 19. Jahrhunderts sind ihm in der hohen Einschätzung des Wertes des wissenschaftlichen Systems gefolgt. Den Stoff entnahmen sie in der Hauptsache den römischen Rechtsquellen; die Systematisierung dieses Stoffes war das wesentliche Anliegen, und auch die große Leistung der „Pandektistik“ des 19. Jahrhunderts1.
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Literatur
Zur Entstehung des Pandektensystems vgl. die Abhandlung von SCHWARZ. Ztschr. Say. St. Rom. Abtlg. 42, 578.
Zu diesem Unterschied vgl. auch Stahl, Die Philosophie des Rechts II, b (1833) S. 146 ff.
Vgl. meine Darstellung der Rechts-und Staatsphilosophie des deutschen Idealismus im Handb. d. Philosophie IV, S. 132.
Franz Jerusalem, Kritik d. Rechtswissenschaft, 1948, S. 130 ff., bezeichnet eine solche „Begriffspyramide“ als „unechtes System”.
Darin liegt jedenfalls Puchtas Bedeutung für die juristische Methodenlehre. Ob die neuerdings von Hellebrand (Arsp 58, 361) versuchte Einordnung Pucmtas in die Linie des „metaphysischen Voluntarismus“ zutrifft, kann hier dahingestellt bleiben. Mir selbst erscheint dies als sehr zweifelhaft. In Puchtas juristischer Methode herrscht jedenfalls ein streng rationalistischer Zug vor. Richtig bemerkt W. Wilhelm a a 0 S 86: „Savigny war stets darauf bedacht, das logische und das organische Element des Rechts innerhalb der Systematik selbst im Gleichgewicht zu erhalten, um eine Alleinherrschaft der Logik zu verhindern. Bei ihm fand sich noch die Warnung vor dem täuschenden Schein der logischen Sicherheit. In Pucnms Systematik dagegen dominierte die Logik. Das,historisch-systematische Ganze` des Rechts wurde nunmehr auf den dogmatischen, d. h. hier den logischen Teil reduziert”. Dabei ist unter „Logik“ immer die Formallogik zu verstehen, nach der sich die Bildung des abstrakt-begrifflichen Systems und die Subsumtion unter die Begriffe dieses Systems vollzieht; nicht eine konkret-begriffliche, an der „Natur der Sache” orientierte Logik wie diejenige HEGELS und auch nicht das „organlogische“ Denken SCHELLINGS und der Romantiker, das SAVIGNY postuliert, aber nicht wirklich praktiziert hatte.
Es gebe zwar auch, sagt Puchta, ein System der Rechtsverhältnisse, doch seien diese „nur Kombinationen der Rechte, aus deren Begriff das juristische System abzuleiten ist.“ Wie das geschieht, wird alsbald im Text gezeigt.
Piichta definiert (Lehrb. d. Pandekten I, 28): „Ein Recht (im subjektiven Sinne) ist vorhanden, wenn ein Gegenstand durch das Recht (im objektiven Sinne) in die Macht einer Person gegeben ist.“
Es ist also unrichtig, Begriffsjurisprudenz schlechthin mit Positivismus gleichzusetzen, wie dies häufig geschieht. Zutreffend sagt Jerusalem, Kritik der Rechtswissenschaft S. 149, über die Begriffsjurisprudenz nach der Art PIICHTAS: „Auch die vom Gesetzgeber selbst aufgestellten Begriffe müssen ihre Legitimation aus Begriffen des Systems herleiten, womit sich also die Begriffsjurisprudenz in scharfen Gegensatz zum Positivismus stellt“. Die obersten Begriffe des Systems geben eben denjenigen Mindestinhalt an, der in jedem Rechtsbegriff verwirklicht sein muß, wenn anders ihm noch die Qualität eines „Rechts”begriffs zukommen soll. Darin liegt aber, daß der Gesetzgeber nicht beliebig Recht setzen kann — daß er dazu (im Rahmen des faktisch Möglichen) grundsätzlich in der Lage sei, ist die Grundthese des „Positivismus“ —, sondern nur soweit er sich im Rahmen der ihm vorgegebenen Grundbegriffe hält Sinnvoll ist diese Annahme freilich nur so lange, als die obersten Begriffe des Systems nicht selbst wieder — induktiv — aus dem Erfahrungsmaterial des positiven Gesetzesstoffs abgeleitet werden, sondern auf anderem Wege einsichtig und glaubhaft gemacht werden können. In dem Augenblick, in dem — zufolge des positivistischen Wissenschaftsbegriffs, der PUCHTA noch ferne lag — die Induktion (oder „Reduktion”) aus einem empirischen Erfahrungsmaterial als die einzig zulässige Art der Begriffsbildung erschien, mußte daher die Begriffsjurisprudenz zu jener logischen Spiegelfechterei herabsinken, als die sie ihren Gegnern, wie dem späteren IHERING und besonders PH. HECK, nunmehr nicht zu Unrecht erschien.
Hierzu S. Marck, Substanz-und Funktionsbegriff in der Rechtsphilosophie, besonders S. 83 ff.
Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 278f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 229, 239; vgl. auch FR. JERUSALEM, Kritik der Rechtswissenschaft S. 146 f.
Über ber das Verhältnis PUCHTAS Zu HEGEL vgl. SCHÖNFELD in Festschr. f. BINDER, 1930, S. 1 ff.
Christa Dulckeitv. Arnim sagt daher (Phil. Jb. Jg. 66, S. 80), Hegels Methode sei „nicht deduktiv, die Dialektik leite nicht ab, sondern sei „Intuition, Erfahrung, anpassende Bewegung an die innere Dynamik der Sache selbst.“
Vgl. die §§ 3, 212, 214, 216 der HEGELschen Rechtsphilosophie und Gerhard Dulckerr, Philosophie der Rechtsgeschichte S. 26 ff.
Geist d. röm. Rechts II, 2, S. 392; Iher. Jb. 1, S. 18.
Wir zitieren die 7. als die letzte, von eigener Hand besorgte Auflage. Die erwähnte Anmerkung auf S. 60.
Große Rechtsdenker S. 591.
Ges. Reden u. Abhandl. S. 6.
Ebenda S. 9.
Ebenda S. 105.
Vgl. die Anm. auf S. 57: „Was der Natur der Dinge, dem Bedürfnis des Verkehrs entspricht, darüber kann man verschiedener Ansicht sein; es kommt nicht darauf an, was wir darüber denken, sondern was der Gesetzgeber darüber gedacht hat.“
So sagt er einmal, noch ganz im Sinne der idealistischen Philosophie, das Recht sei in erster Linie nicht Einschränkung, sondern Anerkennung der menschlichen Freiheit (Reden S. 101).
Vgl. die Anmerkung auf S. 89 des Pandektenlehrbuchs.
Vgl. Pandekten I, S. 91, Anm 3; S. 99; S. 491, Anm. 1 a.
Der Allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts I, S. 93 u. 134.
In diesem Sinne führt Nicolai Hartmann (Das Problem des geistigen Seins, S. 121 f.) das Eigentum darauf zurück, daß die Person sich mit ihrem Eigentum einen „Lebenskreis“ oder „Bannkreis” schaffe, der ihr, als dieser individuellen Person, zugehörig ist, ihr Gepräge trägt.
Rechtsphilosophie § 45.
BINDING, Handbuch des Strafrechts I, S. 450 ff.; Wach, Handbuch des deutschen Zivilprozeßrechts I, S. 254 ff.; Kohler, Grünhuts Ztschr. Bd. 13, S. 1 ff.
Einen Vorläufer hat die objektive Auslegungstheorie in Heinrich Tröl, Einleitung in das Deutsche Privatrecht 1851, S. 144 ff. bes. S. 150. Dagegen betont die in diesem Zusammenhang ebenfalls oft genannte Schrift von Schaffrath, Theorie der Auslegung constitutioneller Gesetze, 1842, lediglich, daß der — ausdrücklich als eine „empirische Tatsache“ bezeichnete — „wirkliche” Wille des Gesetzgebers (S. 33) nur gelte, soweit er auch im Gesetz erklärt sei.
Binding S. 451; Wach S. 257.
Zu ihnen gehören u. a.: Bekker, Iher. Jb. 34, S. 71 ff.; Brütt, Die Kunst der Rechtsanwendung, S. 50 ff.; Burckhardt, Die Lücken des Gesetzes S. 64 ff.; Methode und System des Rechts, S. 278; Esser, Einführung in die Grundbegriffe, S. 183f.; Kretschmar, Über die Methode der Privatrechtswissenschaft, S. 38; Radbruch, Rechtsphilosophie 3. Aufl. S. 110f.; Reichel, Gesetz und Richterspruch, S. 67 ff.; Rumpf, Gesetz und Richter, S. 120 ff.; Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, S. 57f. Im gleichen Sinne auch Germann, Schweiz. Ztschr. f. Strafrecht, 1941, S. 147f. Ablehnend Enneccerus-Nipperdey § 54, II; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 128; vermittelnd Baumgarten, Grundzüge der jur. Methodenlehre, S. 35; Binder, Philosophie des Rechts, S. 913f., 976; SAUER, Jur. Methodenlehre, S. 292 ff. Eingehend erörtern das Für und Wider Engisch, Einführung S. 88 ff., u. Liver, Der Wille des Gesetzes, 1954.
Vgl. E. I. Bekker, Iher. Jb. 34, S. 75 ff.
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Larenz, K. (1960). Die „Begriffsjurisprudenz“ des 19.Jahrhunderts. In: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, vol 35. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-28410-0_4
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