Zusammenfassung
In diesem Kapitel werde ich die Theorie darstellen, derzufolge kognitive Zustände oder Prozesse identisch mit den (algorithmischen) Zuständen oder Prozessen eines informationsverarbeitenden Systems sind. Insbesondere werde ich mich dabei auf die von Jerry Fodor in The Language of Thought (1975) vertretene Auffassung beziehen, daß kognitive Prozesse als Ableitungen in einer “Sprache des Geistes” zu analysieren sind. In den ersten beiden Abschnitten deutlich gemacht werden, welche zentrale Rolle dabei den sog. propositionalen Einstellungen beigemessen wird und warum Fodor glaubt, sie als Relationen von Personen zu Sätzen einer inneren Sprache analysieren zu müssen. Im dritten Kapitel soll dann der Frage nachgegangen werden, was unter der von Fodor postulierten Sprache des Geistes zu verstehen ist. Dabei werde ich ein Problem herausarbeiten, das den Symbolismus generell betrifft. Im letzten Abschnitt werde ich ein weiteres schwerwiegendes Problem darstellen, das sich für jede Theorie ergibt, die annimmt, der menschliche Geist komme durch die formale Manipulation von Symbolen zustande — das sogenannte Frame-Problem.
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Literatur
Die Alltagspsychologie dient nach psychologischer Auffassung nicht nur zu Verhaltenserklärungen bei anderen Menschen, sondern auch zur Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Modifikation des eigenen Verhaltens.
Es ist interessant, daß Verhaltenserklärungen via propositionaler Einstellungen in den meisten rein psychologisch orientierten Arbeiten keine Rolle spielen (auch nicht bei der Beschreibung der Alltagspsychologie). Dies mag daran liegen, daß propositionale Einstellungen eher zu einer introspektiven Psychologie gehören, in der kognitiven Psychologie Introspektion aber immer noch als “unwissenschaftlich” gilt.
Es wird also davon ausgegangen, daß die alltagspsychologische Verhaltenserklärung nach dem sog. nomologisch-deduktiven Modell erfolgt, nach dem etwas dann als erklärt gilt, wenn gezeigt werden kann, daß das zu Erklärende als Einzelfall aus einem allgemeingültigen Gesetz deduziert werden kann.
Ein derartiger Eliminativismus wird von Paul und Patricia Churchland und Stephen Stich vertreten (cf. z.B. Paul Churchland 1981, 1986, Paticia Churchland 1980 oder Stephen Stich 1983.) Auf diese Position werde ich bei der Diskussion des Konnektionismus zurückkommen.
Der bedeutendste Vertreter eines Instrumentalismus bezüglich propositionaler Einstellungen ist wohl Daniel Dennett (cf. z.B Dennett 1971, 1981).
Natürlich spielen bei Verhaltenserklärungen nicht ausschließlich innere Zustände eine Rolle, sondern auch die äußeren Gegebenheiten der Situation, in der sich die Person befindet: “Warum nimmt Oskar einen Regenschirm mit?” - “Weil es regnet”. Dies ist eine unter bestimmten Umständen akzeptable Verhaltenserklärung, die sich auf äußere Faktoren bezieht (und die inneren implizit voraussetzt). dieser Punkt sollte aber keinesfalls mit dem vieldiskutierten Unterschied zwischen einer individualistischen bzw. anti-individualistischen Individuierung des Inhalts propositionaler Einstellungen verwechselt werden.
Welchen Modus die propositionale Einstellung hat, d.h. ob sie eine Überzeugung, ein Wunsch usw. ist, spielt natürlich auch eine zentrale Rolle dafür, welches Verhalten verursacht wird. Im allgemeinen betrachtet man diesen Punkt aber als philosophisch nicht besonders interessant - im Vergleich zu den Problemen, die sich aus dem Inhalt propositionaler Einstellungen ergeben.
Fodor ist nicht der einzige, der dieser Meinung ist; ähnlich äußert sich Field (1978; 90).
Man beachte, daß diese These in zwei Schritten gewonnen wird: a) Rechenprozesse setzen ein Medium der Berechnung voraus: ein formales System; b) die Elemente des formalen Systems sollen einen Inhalt haben: das formale System ist ein repräsentationales System. Man kann mentale Prozesse als Rechenprozesse in einem formalen System auffassen, ohne gleichzeitig annehmen zu müssen, daß das formale System gleichzeitig repräsentational sei (cf. Stich 1983 ).
Man beachte, daß damit nichts über den Inhalt des Symbols ausgesagt wurde. Insbesondere wird nicht behauptet, daß sich der Inhalt des Symbols aus dessen funktionaler Rolle ergibt.
So ist z.B. unklar, ob die sog. Gliazellen an der Informationsverarbeitung beteiligt sind, oder ob es sich “nur” um eine Art Stützzellen handelt, die u. a. an der Ernährung der Neurone beteiligt sind (cf. Schmidt 1983; 6 ).
Ob ein derartig implementiertes Gehirn tatsächlich denken würde, oder ob kognitive Prozesse nur simuliert würden, ist eine andere Frage. Man kann daher die Möglichkeit einer solchen Simulation -wie z.B. John Searle - ohne weiteres bejahen, ohne zu der Konsequenz verpflichtet zu sein, daß diese künstliche Maschine tatsächlich denkt (cf. Searle 1985; 35 ).
Angesichts der Anti-Individualismus-Diskussion in der Analytischen Philosophie muß man einschränken: Die Symbole müssen relativ zum Kontext der wirklichen Welt den gleichen Inhalt haben wie die Zuschreibungssätze.
T ritt ein Vorkommnis des gleichen formalen Zeichens an einer anderen Stelle des formalen Prozesses auf, ändert sich evtl. der Modus der Einstellung und Oskar hat anstelle der Überzeugung vielleicht die Hoffnung, daß heute Montag ist.
Fodor formuliert seine Position meist als gesetzesartige Beziehung zwischen propositionalem Zustand und mentaler Repräsentation. (cf. z.B. Fodor 1975; 75, in Fodor 1987; 20, Fn. 7, weist er allerdings darauf hin, daß sie genausogut als Identitätsbehauptung formuliert werden könnte.
Es ist wichtig, zwischen dem mentalen (algorithmischen) Zustand einer Person, der dadurch charakterisiert ist, daß sie sich in einer bestimmten Relation zum Vorkommnis einer mentalen Repräsentation befindet, und der mentalen Repräsentation selbst zu unterscheiden. Bei einer Turing-Maschine würde dies der Unterscheidung zwischen dem Zustand der Maschine, die ein bestimmtes Zeichen liest, und dem Zeichen auf auf dem Rechenband selbst entsprechen. Da die mentale Repräsentation (das, was Fodor mit MP bezeichnet), selbst wieder ein Zustand von Teilen des Systems ist (z.B. ein bestimmtes neuronales Erregungsmuster), werden auch sie oft als (innere, bzw. repräsentationale) Zustände bezeichnet (cf. z.B. Dennett 1981; 34 oder Fodor 1987; 136f).Die funktionale Rolle der mentalen Repräsentation im formalen Ableitungsprozeß charakterisiert Fodor oft anschaulich mit der Metapher von der jeweiligen “Einstellungs-Box”. Eine bestimmte Repräsentation spielt beispielsweise die Rolle einer Überzeugung (wird im Ableitungsprozeß als Überzeugung ausgewertet), wenn sich ein Vorkommnis der Repräsentation in der “Uberzeugungs-Box” befindet. Würde sich ein Vorkommnis der gleichen Repräsentation in der “Wunsch-Box” befinden, hätte die Person den entsprechenden Wunsch. (cf. z.B. Fodor 1987; 17 u. 136).
Es geht mir hier - wie im gesamten Kapitel - in erster Linie um die syntaktischen Aspekte der Sprache des Geistes. Die Frage, wie die Ausdrücke der Sprache des Geistes zu ihrer Bedeutung gelangen, wird hier nicht thematisiert (siehe dazu Kap. 1).
Fodor könnte auf diesen Einwand entgegnen, daß das Programm angeboren, ja vielleicht sogar fest verdrahtet sei — daß es also gar keine Programm-Symbole im Arbeitsspeicher unseres Gehirn-Computers geben müsse. Unabhängig von der Frage, wie das Programm letztlich in unseren Computer gelangt ist, ergibt sich hier ein theoretisches Problem. Im nächsten Abschnitt werde ich das sog.
Frame-Problem der KI-Forschung darstellen. Da dieses Problem seine Ursache in der formalen Manipulation von Satzstrukturen hat, bedroht es alle symbolistischen Positionen und insbesondere natürlich auch Fodors Theorie von der Sprache des Geistes.
Wissenschaftshistorisch ließe sich wahrscheinlich zeigen, daß die Kognitive Psychologie und später die Philosophie diesen Ansatz von der KI übernommen hat.
ich weiß, daß“ sollte in diesem Zusammenhang umgangssprachlich verstanden werden und etwa soviel bedeuten wie ”ich gehe davon aus, daß…“. Damit ist selbstverständlich nicht die Wahrheit des ausgedrückten Sachverhalts impliziert.
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Helm, G. (1991). Die Sprache des Geistes: Symbolismus. In: Symbolische und konnektionistische Modelle der menschlichen Informationsverarbeitung. Informatik-Fachberichte, vol 288. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-10178-0_4
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