Zusammenfassung
Die tatsächlichen Gegebenheiten des Arzneimittelrechts haben sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Dem mußte auch das Recht Rechnung tragen. Hier sollen nur wenige Eckdaten genannt sein: Von der Apothekenzubereitung einzelner Arzneimittel hat der Weg zur Massenherstellung geführt, so daß die Apotheken im wesentlichen nur noch Verteilerfunktion haben. Etwa um die gleiche Zeit vollzog sich die Verschiebung des Schwergewichts von Naturheilmitteln zu chemischsynthetischen Medikamenten, wobei freilich die Natur noch oft Vorbild ist und die Synthese nur die industrielle Nachbildung darstellt.1 Die nunmehr auf den Markt drängenden2 potenten Mittel brachten Gefahren mit sich: Nebenwirkungen waren zu befürchten3 — jedenfalls gegen die Hauptwirkung abzuwägen; der Mißbrauch des Medikaments, insbesondere in Form der Übermaßbehandlung, wurde zum Problem; Kontraindikationen häuften sich. Diese Gegebenheiten haben im Arzneimittelrecht ein ganzes Bündel von Zwecken wirksam werden lassen. Das Verständnis des Arzneimittelrechts hängt nicht so sehr von der Herausarbeitung eines Ziels ab, sondern es kommt darauf an, die Interdependenzen der Funktionen deutlich zu machen. Solche Funktionen sind:
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Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln: Anerkannte medikamentöse Hilfen müssen für jeden Patienten im Krankheitsfalle im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen. Untergeordnete Nebenwirkungen fallen dagegen nicht ins Gewicht.
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Referenzen
Zur Entwicklung des Herzmittels Strophantin aus dem Pfeilgift der Eingeborenen am Sambesi vgl. FAZ v. 7.2.1981.
Im Jahre 1992 wurden beim BGA 2 018 Anträge auf Arzneimittelzulassung eingereicht, AMG-Erfahrungsbericht 1993, BT- Drucks. 12/5226, Anl. 4. Das BfArM hat im Zeitraum vom 1.8.1994 bis 31.12.1995 2 550 Humanarzneimittel zugelassen, PharmaDaten 1996, 41.
Zur Erfassung von Arzneimittelnebenwirkungen vgl. Scheler, Arzneimitteltherapie 1 (1983), 95; AMG-Erfahrungsbericht 1993, BT- Drucks.12/5226, S. 7.
Vgl. Hilken, Innovation und Patentschutz auf dem EG-Arzneimittelmarkt (1989, 119 ff.).
S. genauer Deutsch, Rechtsprobleme von AIDS (Kölner Jur.Ges. Bd. 5, 1988), 29 ff.
Hasskarl, Sicherheit durch Information im Arzneimittelrecht, NJW 88, 2265; Borchert, Arzneimittelgesetz und Verbraucherschutz, ZRP 83, 194.
Vgl. Schering Chemicals Ltd. v. Falkman Ltd., Court of Appeals (1981) 2 W.L.R. 848 (Duogynon/vertrauliche Mitteilung); Sindell v. Abbott Laboratories, California Supreme Court, PharmaR 81, 300 (Spätwirkung des Mittels DES auf weibliche Nachkommen der Benutzerinnen, Haftung eines ganzen Industriezweiges); zu dem DES-Urteil des Obersten Holländischen Gerichts vgl. Klinge u. a., Auf dem Weg zu einem neuen Produktionshaftungsrecht, EuZW 93, 569.
VG Köln PharmaR 81, 176: Ein homöopathisches Arzneimittel kann von der kassenärztlichen Bundesvereinigung auf seine therapeutische Wirksamkeit geprüft werden. Das Ergebnis darf an die Kassenärzte weitergegeben werden; VG Berlin PharmaR 81, 169: Die Transparenzkommission beim BGA darf Qualitätskennzeichen vergeben, die mit der therapeutischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments unmittelbar nichts zu tun haben. Vgl. auch Deutsch, Arzneimittelkritik durch Ärztekommissionen, VersR 97, 389.
Nord, Die soziale Steuerung der Arzneimittelversorgung (1982); Schwerdtfeger, Pluralistische Arzneimittelbeurteilung (1988). Vgl. Noelle-Neumann, Arzneimittelprüfung in der öffentlichen Meinung, 17 f.; Gesundheitsstrukturgesetz i. d. F. v. 1995; Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung v. 1994; Finkelburg u. Arndt, Verwaltungs- und verfassungsrechtliche Fragen der „Positivliste“ nach dem Gesundheitsstrukturgesetz, PharmaR 95, 84; Kimbel, Das Arzneiverordnungsdilemma, Rheinisches Ärzteblatt 95 (Novemberheft), S. 3.
Kloesel, NJW 76, 1771; Franz, Naturheilmittel und Recht (1992).
Vgl. Noelle-Neumann, Arzneimittelprüfung in der öffentlichen Meinung, 17 f.
So waren etwa am 14. Mai 1993 insgesamt 54 949 Humanarzneimittel in der Bundesrepublik marktfähig, vgl. BT- Drucks. 12/5226, Anl. 6. Die Rote Liste 1998 umfaßt 9 438 Präparateeinträge. Zur Ordnungsbildung durch Marktübersichtslisten vgl. Geursen, Medizin nach Listen (1993).
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln v. 16.5.1961 (BGBl 1961 I533).
Vgl. Bernhardt, AMG (1961); Kloesel/Cyran, Arzneimittelgesetz (1961); Stapel, Arzneimittelgesetze 1961 und 1976 (1988).
LG Aachen JZ 71, 507. Vgl. dazu auch Kaufmann, Tatbestandsmäßigkeit und Verursachung im Contergan-Verfahren, JZ 71, 569 ff.; Böhm, Die Entschädigung der ConterganKinder (1973); Beyer, Grenzen der Arzneimittelhaftung: dargestellt am Beispiel des Contergan-Falles, Münchener Diss. (1988).
BGBl 1971 I, 2018.
BGHZ 64, 30; BVerfG JuS 76, 746.
Attorney General v. The Sunday Times (1974) A.C. 273 aufgehoben durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 27.10.1978 bzw. 26.4.1979 (The Sunday Times Case, Series A. Vol. 30).
Vgl. v Loesch, Lebens- und Arzneimittelrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika (1975), 26 ff.
Vgl. v Loesch, a. a. O., passim.
Kullmann, Arzneimittelhaftung bei Blutprodukten, PharmaR 93, 162; Deutsch, Mensch, Medizin und Gesellschaft, Bd. 14 (1989), 13.
Greilsamer, Le procés du sang contaminé (1992); Deutsch, AIFO 93, 158.
Schlußbericht v. 25.10.1994, BT- Drucks. 12/8591.
Vgl. die Zeitangaben bei Deutsch, AIFO 93, 158 und Hart, HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte, MedR 95, 63. Vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 95, 3060 u. Nichtannahmebeschluß des BGH v. 26.9.1995: Bis August 1984 war noch über keinen Fall bluttransfusionsbedingter AIDS-Übertragung in Deutschland berichtet worden, daher keine Aufklärungspflicht; OLG Köln MedR 96, 27: Weiterbehandlung eines Bluters mit nicht virusinaktivierten Faktor VIII-Konzentraten im Frühjahr 1983 kein grober Behandlungsfehler, m. abl. Anm. Hart, der sogar ab 1981 eine Haftung eingreifen lassen will. Wie hier Neuzen u. Korn, MedLRev 97, 130: Künstliche Befruchtung im Januar 1985 übertrug HIV Um diese Zeit noch nicht überwiegend anerkannt, daß auf diese Weise HIV übertragen werden konnte.
HIV-HG v. 24.7.1995, BGBl I, 972; vgl. dazu Deutsch, Das Gesetz über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-Infizierte, NJW 96, 755.
Zum Beispiel BVerwG NJW 87, 725: Für die Klage eines Arzneimittelherstellers gegen eine gem. § 368p RVO erlassene Richtlinie ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.
BAnz Nr. 1 vom 3.1.1978.
Eine Übersetzung der vorletzten Fassung von Hongkong findet sich in DAB! 1991, B2927.
Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes v. 7.9.1998, BGB1 1998 I, 2649.
Verordnung EG Nr. 1662/95 v. 7.7.1995, ABIEG v. 8.7.1995, Nr. L 158/4; EuZW 95, 165: Londoner Zentralstelle zur Beurteilung von Arzneimitteln.
Gesetz zur Neuregelung des Arzneimittelrechts v. 24.8.1976 (BGB1 1976 I, 2445).
Begründung zum Entwurf eines AMG, BT- Drucks. 7/3060, S. 43.
Erstes AMG ÄndG BGB1 1983 I, 169; Zweites AMG ÄndG BGB1 1986 I, 1296; Drittes AMG ÄndG BGB1 1988 I, 1050; Viertes AMG ÄndG BGB1 1990 I, 717; Fünftes AMG ÄndG BGB1 1994 I, 2071; Sechstes AMG ÄndG BGB1 1996 I, 2084; Siebentes AMG ÄndG BGB1 1998 I, 374; Achtes AMG ÄndG BGB1 1998 I 2649.
Vgl. dazu Pfeiffer, Fünftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, VersR 94, 1377; Deutsch, Die fünfte Novelle zur Arzneimittelgesetz — Gesetzgebung im Vermittlungsausschuß, NJW 94, 2381.
Zur Geschichte des Heilmittelwerbegesetzes vgl. Kleist/Albrecht/Hoffmann, HWG2, Einf. vor § 1.
Es sind die Beschlüsse zur Selbstbeschränkung der wissenschaftlichen Information der Arzneimittelwerbung, der Kodex der Mitglieder des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie und die Grundsätze für die Rote Liste (abgedruckt in: pharma kodex III). Vgl. Sander, Das System der Beschränkung und Kontrolle der Arzneimittelwerbung unter besonderer Berücksichtigung der nationalen und internationalen Selbstbeschränkungen und Werbeempfehlungen (1989).
Medizinproduktegesetz v. 2.8.1994, BGBl 1994 I, 1963, seither geändert; vgl. dazu Deutsch, Das Medizinproduktegesetz, NJW 95, 752 ff.
Im Jahre 1988 wurden die Apothekenrichtlinien der EG (85/432/EWG und 85/435/EWG) in das ApothekenG eingearbeitet (BGBl I, 1077), im Jahre 1994 die Richtlinie 92/51/EWG (BGBl I, 2189).
Vgl. zur Parallele des Kraftverkehrs: v Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung (1971). Die Produzentenhaftung nach dem PHG v. 1990 gilt grundsätzlich nicht für Arzneimittelschäden, § 15 Abs. 1 PHG. Vgl. auch Meyer, Zur Konkurrenz von Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelgesetz, MedR 90, 70.
Vgl. Badura u. Kitagawa, Arzneimittelprobleme in Deutschland und Japan (1980); Mayer/ Michtner/Schober, Osterr. Arzneimittelgesetz (1987).
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Deutsch, E. (1999). Allgemeines Arzneimittelrecht: Funktionen, Geschichte, Quellen. In: Medizinrecht. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-08642-1_24
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