Zusammenfassung
Die rechtliche Bewertung der Diagnose und Therapie einer psychischen Erkrankung folgt zwar den üblichen Regeln, ihr Gegenstand ist aber deutlich anders akzentuiert. Die Andersartigkeit zeigt sich in dreifacher Beziehung, nämlich bei der Mitwirkung des Patienten, bei der Offenheit ihm gegenüber und im Hinblick auf die Wirkung und Wirksamkeit psychopharmakologischer Mittel. Der psychisch Kranke kann nicht stets im gleichen Maße wie der sonst Kranke aufgeklärt werden und an seiner Therapie selbstverantwortlich mitwirken. Arzt und Gesellschaft müssen hier gelegentlich gegen seinen erklärten Willen auf eine Behandlung oder wenigstens auf eine Sicherung drängen.1 Allerdings darf man nicht umgekehrt daraus schließen, daß ein Patient, der die gebotene und notwendige therapeutische Maßnahme ablehnt, psychisch behindert ist. Die Behandlungsverweigerung kann zwar auf einer psychischen Erkrankung beruhen, ebensogut aber auch aufgrund einer gesunden Willenserklärung erfolgen. Die gegenwärtigen Rechtsprobleme der Psychiatrie liegen in Aufklärung und Einwilligung, im Recht des Patienten auf Einblick in die Unterlagen, in der Haftung und in der psychiatrischen Forschung.2 Dabei werden die rechtlichen Probleme von den naturwissenschaftlichen Ausgangsdaten noch verstärkt. Kausalitäten im psychischen Bereich können den naturwissenschaftlichen nur schwer gleichgestellt werden. Auch ist die Komplexität der Reaktion des menschlichen Organismus auf einen Eingriff oder ein Medikament im psychischen Bereich wohl noch gesteigert.
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Referenzen
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Vgl. Redlich, The past in perspective (25th anniversary of the Foundations’s fund for research and psychiatry); Winslade, Ethics and ethos in psychiatry: Historical patterns and conceptual changes (American College of Psychiatrists [1980]); Venzlaff, Psychische Erkrankungen, in: Therapie hrsg. v. Krüskemper (1978); Helmchen u. Lauter, a. a. O., 15 ff.
Taupitz, JuS 92, 9.
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Vgl. dazu genauer Schreiber, Die medikamentöse Versorgung als Heilbehandlung gemäß § 1904 BGB n. F. im zukünftigen Betreuungsgesetz, FamRZ 91, 1014; Lippert, Das Betreuungsgesetz und seine Umsetzung in die Krankenhauspraxis, arztrecht 92, 325.
Uhlenbruck, Entmündigung des Patienten durch den Gesetzgeber?, ZRP 98, 46.
Helle, Die Heilbehandlung des untergebrachten psychisch Kranken, MedR 87, 65; Deutsch, NJW 79, 1907 f.; Helmchen u. Lauter, a. a. O., 52 f.
Ähnlich Schünemann, a. a. O. und die Menschenrechtskonvention des Europarats, Art. 5, Abs. 2.
Siehe genauer Pörksen u. Dietz, Vom Psychiatrischen Testament zum Behandlungsvertrag, in: Bock u. a. „Im Strom der Ideen“, Psychiatrie-Verlag 1994, 164.
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Carbonneau, a. a. O., 754; Dorsner/Dolivet, a. a. O.; ähnlich OLG Köln VersR 93, 1156 (die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung ohne akute Gefährdung kann eine in die Menschenwürde eingreifende Zwangsmaßnahme sein und als Behandlungsfehler gewertet werden).
Anders für das deutsche Recht LG Kassel VersR 93, 582 (ohne Unterbringungsbeschluß hat die Klinik keine rechtliche Möglichkeit, einen Patienten, der sich freiwillig behandeln läßt, zum Schutze Dritter und der Allgemeinheit zu beaufsichtigen bzw. zu verwahren).
Schon Hippokrates hatte sexuelle Beziehungen zwischen Arzt und Patient untersagt: Sharpe/Sawyer, a. a. O., 199 m. w. N. Ein Psychotherapeut handelt grob fahrlässig und schuldet Schmerzensgeld, wenn er mit der Patientin intime Beziehungen aufnimmt: OLG Düsseldorf NJW 90, 1543. Die Approbation eines Psychiaters wegen sexueller Akte mit Patientinnen kann widerrufen werden: Ackermann v. Ambach 530 N.S.Y.2d 893 (1988); Bash v. Board of Medical Practice, 579 A.2d 1145 (Delaware 1989). Differenzierend Gunn, Sex and the mentally handicapped, MedLaw 1986, 255.
Noto v. St. Vincents Hospital 559 N.Y.S.2d 510 (1990): Sexuelle Beziehung zwischen Patientin und Psychiater erst nach Entlassung aus dem Krankenhaus; Krankenhaus war bei der Ausbildung und Überwachung der Psychiater nicht nachlässig.
Ausdruck von Durflinger v. Artilis 673 P.2d 86 (1983). Vgl. auch Tarasoff v. The Regents of the University of California 551 P.2d 334 — Drohung eines Patienten, eine Person zu ermorden, was dann geschah; Hamann v. County of Maricopa 775 P.2d 1122 (Arizona 1989) — gewalttätiger Patient war eifersüchtig auf Stiefvater; Dunkle v. Food Service East Inc. 582 A.2d 1342 (Pennsylvania) — keine Verpflichtung des Psychiaters gegenüber der Lebensgefährtin des Patienten, diese auf die gefährliche Haltung des Patienten hinzuweisen. Vgl. dazu Givelber, Bowers u. Blitch, Tarasoff, Myth and Reality, Wisconsin L.R. 1984, 443.
Deutsch, NJW 80, 1305 ff.
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Scull v. Superior Court 254 Cal. Rptr. 24.
BGH NJW 68, 2288 (s. Kap. XII.9. m. w. N.).
Vgl. Pietzcker u. Helmchen, Schweigepflicht und Datenschutz in der Psychiatrie, a. a. O., 110.
Helmchen, Kanowski u. Koch, Ethik Med 1989, 83; Deutsch, Das Recht der klinischen Forschung, insbesondere im Bereich der Psychiatrie, Fortschr.Neurol.Psychiat. 64 (1996), 1.
Helmchen u. Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen? (1995); Sachs u. a., Ethical Aspects of Dementia Research: Informed Consent and Proxy Consent, Clin.Research 94, 403; Holzhauer, Zur klinischen Prüfung von Medikamenten an Betreuten, NJW 92, 2325; Lauter, Die Bedeutung der Einwilligung für die Legitimation ärztlichen Handelns — aus medizinisch-psychiatrischer Sicht, EthikMed 96, 68.
Revidierte Deklaration von Helsinki I 11. Ebenso Schweiz. BG BGE 114 I 350.
Für eine teleologische Reduktion auch Fischer, Medizinische Versuche am Menschen (1979), 68; Bork, NJW 85, 659.
Umfassender ist das Verbot in Frankreich, wo jede Art von biomedizinischer Forschung an Verwahrten verboten ist: Code de la santé publique, Art. L. 209 „Les personnes privé de liberté par une décision judiciaire ou administrative ne peuvent être sollicitées pur se prêter à des recherches biomédicales que s’il en est attendu un bénéfice direct et majeur pur leur santé“.
Code de la santé publique, Art. L. 209 i. d. F. v. 1990, Dalloz Sirey 1989, Legislation 13, 1990 Legislation 122.
Council of Europe, Draft Convention on Human Rights and Biomedicine v. 6.6.1996.
So die vorläufige Arbeitsübersetzung der deutschen Delegation vom 5.8.1990.
BT- Dr. 11/4528, S. 142. Dazu Holzhauer, Zur klinischen Prüfung von Medikamenten an Betreuten, NJW 92, 2328, FN 16: Kern. Arzt und Betreuungsrecht, MedR 93 2)50
Vgl. Holzhauer, NJW 92, 2330; Taupitz/Fröhlich, VersR 97, 917.
Vgl. zum Ganzen, insbesondere auch zur Möglichkeit einer vorhergegebenen Zustimmung Helmchen u. Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, 1995 passim; Sachs, Ethical Aspects of Dementia Research: Informed Consent and Proxy Consent, Clin.Research 94, 403; Taupitz/Fröhlich, VersR 97, 911; Freund/Heubel, MedR 97, 347.
Vgl. Helmchen, Ethical and practical problems and therapeutic research in psychiatry (European Medical Research Council 1981), 8.
BGHSt 2, 150; 13, 161.
Vgl. die Entscheidungen im Fall Hackethal: OLG München NJW 87, 2940; VG Karlsruhe NJW 88, 1536.
Vgl. dazu Schönke/Schröder/Eser 25, § 216, Rn. 11; SK/Horn, § 216, Rn. 9 ff.
MK/Mertens 3, § 823, Rn. 450; Giesen, Arzthaftungsrecht4, Rn. 201.
BGH NJW 94, 794 (Bestimmung der Grenzen des erforderlichen und des für das Krankenhauspersonal und dem Patienten Zumutbaren); Wolfslast, NStZ 84, 105; Ankermann, Gegenwärtiger Stand der Rechtsprechung zum Kliniksuizid, 177 ff.; Gropp, Zur rechtlichen Verantwortlichkeit des Klinikpersonals bei Suizidhandlungen hospitalisierter Psychiatriepatienten,MedR 94, 127.
OLG Köln VersR 84, 1078 — Alkoholdelir; OLG Braunschweig VersR 85, 576 — Verfolgungsangst; BGH VersR 87, 985 — Beruhigungsraum.
OLG Köln VersR 92, 1517 (Überwachung im Schwimmbad); OLG Frankfurt VersR 93, 751 (Überwachung beim Gang zur Toilette); OLG Frankfurt VersR 93, 1271 (drei vorangegangene Selbstmordversuche).
Zu diesem Urteil Dunz, MedR 84, 69 u. Deutsch, VersR 84, 338. •
Auf die besonderen Typen des Selbstmords (Kurzschlußreaktion, Bilanzselbstmord, mcnt ernstgemeinter Selbstmordversuch) kann hier nicht eingegangen werden.
RGSt 7, 332.
Nds. PsychKG v. 16.6.1997 GVB1 1997, 272.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EuGRZ 92, 535; Schweiz.BGE EuGRZ 93, 396; BayVerfGH NJW 93, 1520.
BVerfG NJW 98, 1774 („Freiheit zur Krankheit“ in gewissen Grenzen). Vgl. LG Marburg g VersR 95, 1199: Schmerzensgeld von DM 0,5 Mio. für siebenjährige rechtswidrige Unterbringung in Heilanstalt. S. auch Irrgang, Defensivmedizin u. Zwangsbehandlung..., Ethica 3 (1995),71.
Göppinger, Betrachtungen zur Unterbringung nsychisch Kranker PamR7 80 856 8 0, 5 6•
Vgl. OLG Schleswig NJW 92, 2974.
Vgl. dazu Holzhauer, Zur klinischen Prüfung von Medikamenten an Betreuten, NJW 92, 2325 u. Kern, Arzt und Betreuungsrecht, MedR 93, 245.
Lippert, Das Betreuungsgesetz und seine Umsetzung in die Krankenhauspraxis, D)M W 92, 880; Taupitz, JuS 92, 9; Diederichsen, Psychiatrische Begutachtung, hrsg. v. Venzlaff u. Foerster (1994), 488.
Kern, MedR 91, 66.
Diederichsen, a. a. O., 512.
Vgl. Schreiber, FamRZ 91, 1014 u. Nedopil, FamRZ 93, 24.
LG Berlin FamRZ 93, 597 — betreuter psychotischer Patient, medikamentöse Behandlung, g welche erhebliche Spätfolgen mit sich bringen kann, unter denen weder eine Heilung noch eine nachhaltige Besserung des Gesundheitszustandes anzunehmen ist.
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Deutsch, E. (1999). Psychisch Kranke und Behinderte. In: Medizinrecht. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-08642-1_19
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