Zusammenfassung
Die Museumsstürmer unter den Avantgardisten, Marinetti vor allem, haben die Museen als Kunstfriedhöfe abqualifiziert. Musealisierte Kunst sei tote Kunst und die Museen glichen Totenhäusern. Diese Metaphorik ist uns vertraut geblieben. Noch Ende der sechziger Jahre wurde sie in kunstpolitischer Absicht rhetorisch erneuert. Unter dem Konformitätsdruck des ephemeren Zeitgeistes jener Epoche erklärten sogar prominente Museumsdirektoren, musealisierte Kunst sei abgestorbene Kunst. Aber gerade wenn dem so wäre, bliebe im Rückblick um so unverständlicher, wieso Marinetti daraus die Fälligkeit der Liquidation der Museen glaubte herleiten zu können. Ihm muß in seiner futuristischen Antifriedhofspolemik nicht gegenwärtig gewesen sein, was den Menschen in Italien wie anderswo unverändert ihre Friedhöfe wert sind. Wo wäre man denn bestrebt, zugleich mit den Toten tunlichst auch die Erinnerung an sie zu begraben? Einzig für die totalitären Regime unseres Jahrhunderts galt das, soweit es sich nämlich bei den Toten um tote Feinde handelte. Die totalitären Geschichtssinnvollstrecker haben in der Tat mit ihren Opfern zugleich ihr Fortleben im Gedächtnis der Nachwelt zu liquidieren versucht. Sogar ihre Namen noch wurden ausgelöscht und ihre Massengräber unkenntlich gemacht.
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Lübbe, H. (1994). Einleitung. In: Im Zug der Zeit. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-07852-5_1
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