Zusammenfassung
Die Frage, weshalb ein Frosch grün ist, scheint leicht zu beantworten: Damit er sich besser vor dem Storch verstecken kann! Diese Antwort ist allerdings falsch. Ein Frosch handelt nicht zielgerichtet. Er weiß wahrscheinlich nicht, dass und weshalb er grün ist, und hat keine Möglichkeit, sich rot anzuziehen. Selbst die meisten Menschen wissen wohl nicht, dass sie in der Tränenflüssigkeit einen Stoff namens Lysozym absondern, „um damit“ Bakterien auf der Augenoberfläche aufzulösen. Eine richtige, aber sicher unbefriedigende Antwort auf die oben gestellte Frage wäre etwa: Der Frosch ist grün, weil er entsprechende Pigmente in seiner Haut hat. Ein wissenschaftlicher Erklärungsversuch könnte etwa so lauten: Von allen Farbvarianten, die zufällig im Laufe der Evolution aufgetreten sind, hatten grün pigmentierte Exemplare die höchsten Überlebens- und Fortpflanzungsraten, wahrscheinlich, weil sie besser getarnt waren als anders gefärbte Exemplare. Die wissenschaftliche Erklärung gibt keine Begründung, weshalb etwas so geworden ist, wie wir es vorfinden, sondern beruht auf der Annahme, dass es dem Organismus Vorteile gebracht haben dürfte, dass es so ist. Sie geht davon aus, dass die Evolution nicht zielgerichtet (final, teleologisch), sondern aufgrund zufälliger Veränderungen und einer anschließenden Selektion abläuft. Häufig greifen aber unsere Erklärungsversuche zu kurz, wie etwa in dem folgenden provozierenden Beispiel aus der Literatur: Ein Forscher beobachtet wiederholt, dass ein Maikäfer von seiner Hand abfliegt, wenn er ihm gesagt hat: „Maikäfer flieg!“ Nachdem er ihm die Flügel abgeschnitten hat, misslingt dieser Versuch. Daraus schließt er wissenschaftlich korrekt: Ein Maikäfer ohne Flügel kann nicht hören. Derartige Fehlschlüsse sind recht häufig, da wir nicht alle Aspekte einer Frage überblicken können und man in der Wissenschaft zunächst die einfachste Erklärung eines komplexen Zusammenhanges als die beste annimmt. Gerade die Biologie hat aber den Umweg als Regelfall, wie wir an vielen Beispielen sehen werden. Die meisten Bestandteile und Vorgänge in der Zelle haben mehr als eine Funktion und sind mit monokausalen Erklärungen nicht angemessen zu begründen.
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Cypionka, H. (2003). Aufbau der Zelle — der Grundbedarf des Lebendigen. In: Grundlagen der Mikrobiologie. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-07586-9_2
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