Zusammenfassung
Die für das patriarchalische Geschlechterarrangement bezeichnenden Strukturen stützen sich auf ein Fundament kollektiver unbewußter Phantasien, dem sie die zu seiner Erhaltung notwendige Denk- und Wahrnehmungsidentität bereitstellen, um sich auf diesem (Um)weg gleichzeitig selbst dauerhaft zu bestätigen. Zirkel dieser Art affirmieren auch die Weiblichkeitskonstruktionen der Freudschen und der postfreudianischen Psychoanalyse — auf unserer „Expedition in den dunklen Kontinent“ sind sie uns vielfach begegnet. Ihre Bedeutung für die Aufrechterhaltung patriarchalischer Strukturen im Diskurs der Psychoanalyse ist meiner Überzeugung nach kaum zu überschätzen. Von daher scheint es naheliegend, die hier maßgeblichen Denk- und Argumentationsfiguren nochmals gesondert in Augenschein zu nehmen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
Die Mörderin ist eine junge Frau in relativ desolaten sozialen Verhältnissen, mit einer u. a. auch inzestbelasteten Kindheit, die ihren „trunksüchtigen Geliebten“ (Heigl-Evers u. Weidenhammer 1988, S. 164), von dem sie sich anders offensichtlich nicht zu befreien wußte, „in einem Blutbad zu Tode gebracht, die Leiche zerkleinert, zunächst versteckt und dann beseitigt“ hatte (a. a.O.).
Vgl. Bettelheim Kinder brauchen Märchen (1975), aber auch die umfangreiche Literatur Jungianischer Märchendeutung, in die „Männliches“ und „Weibliches“ als vorgesellschaftliche, archetypische Gegebenheiten eingebracht werden. Einen Meilenstein in der ideologiekritischen Aufklärung dieser der Jungschen Theoriebildung inhärenten Verleugnung der Asymmetrie der Geschlechterdifferenz leistet das Buch von Ursula Baumgardt König Drosselbart und C. G. Jungs Frauenbild — Kritische Gedanken zu Animus und Anima (1987); vgl. auch die Darstellung der Grundlagen Jungscher Psychotherapie bei Verena Kast (1990).
Eine gute Übersicht über die verschiedenen Varianten des Märchens Das Mädchen ohne Hände und seine volkskundliche, religiös-christliche und tiefenpsychologische Deutung gibt Friederike Pott in ihrer Magisterarbeit Das Mädchen ohne Hände. Eine Fallstudie (Universität Freiburg i. Br.).
Meine abweichende Sicht dieser Problematik lege ich unter 15.3 ausführlich dar.
Bottigheimer (1989) weist darauf hin, daß Bettelheims selbstverständliche Verknüpfung der Märchenhexe mit der Projektion der bösen Mutter und damit auch von Gefahr und (weiblichem) Geschlecht hochgradig kulturspezifisch ist, ganz typisch für das europäische 19. Jahrhundert und erkenntnismäßig unfruchtbar für alle, die Bettelheims geschlechtsorientierte und geschlechtsbestimmte Auffassung nicht teilen.
Auch Freud ging von einer feststehenden Bedeutung der Zurschaustellung des weiblichen Genitales aus: „Wenn das Medusenhaupt die Darstellung des weiblichen Genitales ersetzt, vielmehr dessen grauenerregende Wirkung von seiner lusterregenden isoliert, so kann man sich erinnern, daß das Zeigen der Genitalien auch sonst als apotropaeische [Unheil abwehrende] Handlung bekannt ist. Was einem selbst Grauen erregt, wird auch auf den abzuwehrenden Feind dieselbe Wirkung äußern. [Müßte es hier, von der Frau aus gesehen, nicht heißen: Wovor dem einen Mann graut, wird auch auf den anderen seine Wirkung nicht verfehlen? Der projektive Charakter der Phantasie ist hier unverkennbar: Es ist gänzlich unwahrscheinlich, daß die Frau ein derartiges Grauen vor ihrem eigenen Genitale empfinden sollte!] Noch bei Rabelais ergreift der Teufel die Flucht, nachdem ihm das Weib ihre Vulva gezeigt hat. Auch das erigierte männliche Glied dient als Apotropaeon, aber kraft eines anderen Mechanimsus. Das Zeigen des Penis — und all seiner Surrogate — will sagen: Ich fürchte mich nicht vor dir, ich trotze dir, ichhabe einen Penis. Das ist also ein anderer Weg zur Einschüchterung des bösen Geistes“ (Freud 1940c, S. 48).
Dies ist das Musterbeispiel einer psychoanalytischen Interpretation auf der Basis patriarchalischer Geschlechtsstereotypisierungen: Demonstratives, aggressives und/oder forderndes Zeigeverhalten wird selbstverständlich als „männlich“ interpretiert und in eine männlich-genitale Metapher gekleidet, die ein entsprechendes Verhalten bei der Frau dann — je nach Maßstab — als unangemessen, anmaßend, entlehnt, fremd, „unweiblich“ oder lächerlich erscheinen lassen muß. In diesem geschlossenen System kann es grundsätzlich kein „weibliches“ Zeigeverhalten geben, weil die — unausgesprochenen — Vorannahmen dies nicht zulassen. Alles, was die Frau in diesem Bereich bewirken könnte, hat so von vornherein Ersatzcharakter oder wird zu einer bloßen Mimesis der Demonstration „männlicher“ Potenz, schlimmer: zum Ausdruck eines nicht überwundenen Penisneides, und dieser wiederum oft genug zum Hinweis auf eine prekäre weibliche Identität.
Zu dieser Funktion der Phantasie von der „phallischen Mutter“ vgl. auch Fast (1984) sowie Kulish (1986).
Dies ist ein Paradebeispiel für die Verwischung der Diskurse (der Kunstfrau und der realen Frau), von der Sylvia Bovenschen (1979) spricht. Der patriarchalische Mythos vereinnahmt zunächst das Thema der (matriarchalen) Fruchtbarkeits-göttin. Später interpretiert ein Mythenforscher die so kreierte mythische Frauenfigur so, als handle es sich um eine reale Frau, deren „Wirklichkeit“ sich ihm aufgrund seiner „Kenntnis“ realer Frauen erschließt.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1991 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
About this chapter
Cite this chapter
Rohde-Dachser, C. (1991). Vom Kreislauf unbewußter Phantasien. In: Expedition in den dunklen Kontinent. Psychoanalyse der Geschlechterdifferenz. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-07152-6_14
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-07152-6_14
Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-540-53884-4
Online ISBN: 978-3-662-07152-6
eBook Packages: Springer Book Archive