Zusammenfassung
Es ist nicht ohne Interesse, gewisse charakteristische Züge, welche der Bundesstaatstheorie und den in ihr hervortretenden Gegensätzen bis auf den heutigen Tag eigen sind, schon bei ihren beiden ersten bedeutenden Vertretern in der deutschen Wissenschaft zu bemerken, bei Ludolf Hugo und Samuel Pufendorf 1). Seitdem es überhaupt eine deutsche Staatsrechtstheorie giebt, drängte sich ihr als vornehmste Aufgabe die Construirung des rechtlichen Verhältnisses zwischen Kaiser und Reichsständen auf. Während aber in den früheren Stadien, in dem Streite zwischen Vultejus und Antonius 2), zwischen der Lehre Reinkings und der des Arumaeus und seiner Schüler (Limnaeus, Hippolithus a Lapide) 3) die Frage gemäss den überkommenen aristotelischen Schulbegriffen dahin formulirt erscheint, ob das Reich eine Monarchie, eine Aristokratie oder eine aus beiden gemischte Staatsform sei, vertieft sie sich bei jenen erst genannten Autoren, ohne zwar die bisherige Formulirung ganz abzustreifen, zu dem Problem des aus Staaten zusammengesetzten Staates. Wenn man der Ausdrucksweise jener Zeit unsre moderne Terminologie substituirt, so handelt es sich bei dem Gegensatz der Lehre Hugos und Pufendorfs um die theoretische Möglichkeit des Bundesstaatsbegriffs. Wenn die Theorie Seydels den Amerikaner Calhoun als ihren Vater anerkennt, so findet sie in Samuel Pufendorf jedenfalls einen deutschen Ahnherrn.
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Literatur
Stintzing a. a. O. II. S. 40 flg. 48 f. — Vgl. auch Weber in Sybels hist. Zeitschr. XIX (1873) S. 260.
Ludolphi Hugonis: „De statu regionum Germaniae liber anus“ Gissae 1689 ed. Joh. Nie. Hertius. S. 3, 4.
Vgl. Sev. de Monzambano: „De statu imperii germanici“; übersetzt und eingeleitet von Dr. Harry Bresslau. Berlin 1870. S. 25. 8) Ebenda.
Gierke in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung u. s. w. 7. Jg. (1883) Heft 4, S. 9.
Jastrow: „Pufendorfs Lehre von der Monstrosität der Reichsverfassung“. Berlin 1882. S. 46.
Bluntschli, „Geschichte der neueren Staatswissenschaft“ 3. Aufl. 1881. S. 26.
Grundzüge des deutschen Staatsrechts (zuerst 1865) 3. Aufl. 1880, S. 22: „Auf ihrer Bedeutung als seelischer Kraft der Staats- persönlichkeit eines Volkes beruht ihre Eigenschaft der Untheilbarkeit“. 3’) Ebenda S. 25, Anm. 3: „Ganz unrichtig ist es, wenn Manche in jüngster Zeit behauptet haben, dass eine Theilung der souveränen Staatsgewalt zwischen Bund und Einzelstaaten, und dass eine frag- mentarische souveräne Staatsgewalt principiell unmöglich sei — eine
Betrachtungen über die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Leipzig 1868. S. 11.
ebenda S. 13. — Thudichum (Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes. 1870. S. 53) bezeichnet die Einzelstaaten als „halbsouverän“.
Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht verglichen mit den politischen Einrichtungen der Schweiz. I. Bd. Zürich 1867. S. 49.
Encyclopädie der Staatswissenschaften (zuerst 1859) 2. Aufl. 2. Ausgabe. S. 43 resp. 86.
Grundzüge des Norddeutschen Bundesrechts 1868; und Staatsrechtliche Erörterungen über die deutsche Reichsverfassung. 1872.
Der Bundesstaatsbegriff“; Zeitschrift für die ges. Staatswissenschaft, Bd. 28, Jahrg. 1872, S. 198.
Seydels Arbeit darf wohl zu denjenigen modernen Schriften gezählt werden, in denen Gierke (Schmollers Jahrbuch 1883, Heft 4, S. 96) eine Wiederbelebung der „überwunden geglaubten Schemen der naturrechtlichen Doktrin hinter der nach neuester Mode zurechtgestutzten Verlarvung“ erblickt. Wenn Gierke a. a. O. darüber urtheilt, dass diese Richtung die Irrthümer des Naturrechts aufnehme; dass aber das Eine fehle, „was den fruchtbaren Kern des einstigen lebendigen Naturrechts, den grossen Gehalt seiner geschichtlichen That, das Unsterbliche in ihm bildete: der bergeversetzende Glaube an die Rechtsidee! Mit diesem Einen aber fehlt Alles”; — so halten wir dies Urtheil bei aller Härte doch für gerecht. Nichtsdestoweniger ist an dieser Stelle das Verdienst zu würdigen, welches diese Richtung, und speciell Seydel, sich durch logische Präzision und Schärfe um die Entwicklung der Lehre zweifellos erworben hat.
Seydel, „Commentar zur Verfassungsurkunde für das deutsche Reich“. Würzburg 1873. S. 9; vgl. auch ebenda Einleitung S. XI, XIII, XIV.
J. v. Held, „Die Verfassung des deutschen Reichs vom staatsrechtlichen Standpunkte betrachtet. Ein Beitrag zu deren Kritik“. Leipzig 1872.
Held, „Staat und Gesellschaft vom Standpunkte der Geschichte der Menschheit und des Staates“. Leipzig 1863. Bd. II, S. 602.
Art. Souveränität in Rotteck und Welckers Staatslexikon. 3. Aufl. 1864. Bd. XIII. S. 442. „Mehrere Souveränitäten in einem Staate ist eine contradictio in adjecto; ein souveräner Staat eigentlich eine Tautologie“.
Freilich gieht es noch genug verspätete Anhänger des ancien régime, z. B. Riimelin in der Zeitschr. f. d. ges. Staatswissenschaft. Bd. 39, S. 195 f.; vgl. dagegen Gierke a. a. O. S. 64. — Völlig ungebrochen ist der Begriff der „Halbsouveränität“ etc. im Völkerrecht. Alle Lehrbücher desselben enthalten ihn. Vgl. neuestens v. Holtzendorff, Handbuch des Völkerrechts, Bd. II. S. 98 fg.
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Preuss, H. (1889). Bis zum Abschluss des Werkes von Brie (1872). In: Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften. Versuch einer deutschen Staatskonstruktion auf Grundlage der Genossenschaftstheorie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-00273-5_2
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