Die oben zusammengefasste juristische Argumentation macht es notwendig, dass das OLC und die CIA die vermeintliche ‚Unschädlichkeit‘ (d. h. nicht bleibende Verletzungen verursachende Wirkung) der ‚Verhörtechniken‘ begründen müssen, damit diese genehmigt werden können. Daher durchziehen die juristischen und die geheimdienstlichen Dokumente nicht nur rechtliches Wissen, sondern auch detaillierte Beschreibungen der Foltertechniken sowie medizinisches und psychologisches Wissen über deren Wirkweisen. Des Weiteren implizieren die obigen Legalisierungsversuche bestimmte Vorstellungen von dem folternden Personal einerseits und den Gefolterten andererseits. Dieser Verschränkung von Wissensordnungen in der Foltertheorie möchte ich mich nun zuwenden.

Die emische Foltertheorie der CIA, wie ich sie rekonstruiere, bildet gleichsam einen ‚Interdiskurs‘; ein Begriff, mit dem der Literaturwissenschaftler Jürgen Link (2012: 58) in Anschluss an Foucault der „Tendenz zur Wissensspezialisierung gegenläufige, entdifferenzierende, partiell reintegrierende Tendenz der Wissensproduktion“ Rechnung trägt. Er meint also Diskurse, die ‚zwischen‘ anderen speziellen Wissensfeldern angesiedelt sind (wie bspw. Populärwissenschaft). Mit diesem Begriff lässt sich die „spezifische Interferenz, Konstellierung und Integration von Diskurskomplexen aus verschiedenen Herkunftsdiskursen“ (Link 2012: 54) in den Blick nehmen. Im Fall Abu Zubaydahs bezog der innerbehördliche Diskurs, welcher im Geheimen stattfand,Footnote 1 Wissen aus psychologischen, geheimdienstlichen, rechtlichen und medizinischen Diskursen, das er zu einer legitimierenden Foltertheorie konstelliert. Diese Konstellation besteht inhaltlich aus folgenden diskursiven Elementen, die auf einander Bezug nehmen: rechtliche Normen, Akteure mit jeweils ihnen zugesprochenen Eigenschaften und Wissensvorräten (der Gefangene Abu Zubaydah sowie das auf ihn einwirkende Personal), Ziele der Folter, differenzierte Foltertechniken mit ihren Körperzugriffen, Wirkweisen und Einschränkungen sowie medizinischem und psychologischem Wissen. Die Konstellation dieser Elemente kann in Anschluss an den Soziologen Reiner Keller (2008: 86) als „Phänomenstruktur“ von Diskursen verstanden werden, womit er die je spezifischen und geordneten Dimensionen meint, die bei der diskursiven Konstruktion des jeweilig behandelten Themas oder ‚Problems‘ zum Einsatz kommen. Diese Dimensionen ergeben in diesem Fall zusammen eine Vorstellung von Folter als effektive, notwendige, legale und unschädliche Praxis.

1 Akteurspositionierung: Gefolterte als Wissensträger

Ich spreche hier von diskursiver ‚Akteurspositionierung‘ und nicht von Subjektpositionierung, weil diese Konstruktionen nicht so sehr ‚Angebote‘ möglicher Subjektpositionen darstellen (s.a. Keller 2012; Spies 2017).

Um die Foltertechniken als notwendig, effektiv und legal zu legitimieren, bedarf die Foltertheorie einer Konstruktion des Individuums Abu Zubaydah (sowie daran anschließend der Gefolterten als Gruppe) mit zugesprochenen Eigenschaften. Im Vokabular Clarkes (2021: 225) ist Abu Zubaydah ein ‚implizierter Akteur‘, das heißt ein Akteur, welcher im untersuchten Diskurs (bzw. der untersuchten ‚Situation‘ im Sinne Clarkes) konstruiert wird, aber selbst ‚stumm‘ bleibt.Footnote 2 Wichtig ist hier zunächst die Einordnung von Abu Zubaydah als hochrangiges Al-Qaida-Mitglied, jihadistischer Terrorist und damit als besonderer Feind im Rahmen des War on Terror mit einem „desire to kill Americans“ (Bybee 2002: 7), wie es in dem schon zitierten Bybee-Memorandum von August 2002 heißt. Darüber hinaus lassen sich die – teils mit der Feindkonstruktion verbundenen – Eigenschaften in drei Gruppen aufteilen: besondere Widerstandsfähigkeiten, Besitz von relevanten Informationen sowie Verletzlichkeiten.

Erstens wurde Abu Zubaydah – ebenso wie weiteren Gefolterten im Verlauf des CIA-Programms – die ausgeprägte Fähigkeit zugesprochen, den ‚Verhörmethoden‘ zu widerstehen. Ein CIA-cable von Juli 2003, das eine psychologische Beurteilung Abu Zubaydahs durch Mitchell und Jessen zusammenfasst, stellt fest:

Interview and observation of Abu Zubaydah suggest he derives significant strength from his devotion and reliance on his faith. His faith is a critical sustaining factor in his continuing intellectual and emotional well being (CIA 2003a: 1).

Der religiöse Glauben des Gefangenen, auf den auch Bybee (2002: 7) verweist, ist laut Mitchell und Jessen eine Quelle von Stärke und Wohlbefinden, und zwar trotz der anhaltenden Folter (die an der zitierten Stelle nur impliziert ist). Abu Zubaydah erscheint in den hier untersuchten Dokumenten zudem als „skilled resistor“ (CTC 2005: 1; s. hierzu auch: CIA 2002b: 2; Bybee 2002: 7), der über spezielle – durch Training erworbene – Fähigkeiten darüber verfügt, effektiv ‚Verhören‘ zu widerstehen. Während ein CIA-internes Dokument von April 2002 es für wahrscheinlich hält, dass Abu Zubaydah ein „Counter-Interrogation Training“ (CIA 2002e: 1) – also ein den US-militärischen SERE-Programmen ähnliches Training – unterlaufen habe, behauptet ein späteres CIA-Dokument von August 2002, dass er gar der Autor eines „Al-Qa’ida Manual on resistance to interrogation methods“ (CIA 2002i: 2) sei (s.a. Bybee 2002: 7). Der Hintergrund solcher Aussagen ist das sogenannte Manchester-Manual, das die britische Polizei im Jahr 2000 bei einer Hausdurchsuchung eines Jihadisten in Manchester fand und das Verhaltensregeln für Al-Qaida-Mitglieder formuliert (s. Mitchell et al. 2017: 166; Soufan 2012: 114–116).Footnote 3 Abu Zubaydah erscheint hier also als Träger eines professionellen, organisationalen Rezeptwissens, das er durch Training inkorporiert oder sogar selbstständig diskursiv verfestigt hat. Dieses Wissen mache die Nutzung von „aggressive techniques“ (CIA 2002i: 1) nötig.

Zweitens erscheint Abu Zubaydah im CIA/OLC-Diskurs als Träger von speziellem Wissen über Pläne von Al-Qaida (erkennbar bereits an der Einordnung als „High Value Detainee“), was im Zusammenspiel mit seinen speziellen Widerstandsfähigkeiten die Folter als notwendig erscheinen lasse. Ein CIA-Cable vom 3. August 2002 hält fest:

The agency [CIA] assesses he [Abu Zubaydah] continues to withhold critical, actionable information about the identities of Al-Qa’ida personnel dispatched to the United States and about planned Al-Qa’ida terrorist attacks. Simply stated, countless more americans may die unless we can persuade AZ to tell us what he knows (CIA 2002i: 3).

Abu Zubaydah halte ganz im Sinne des ticking bomb scenario als Teil seiner Widerständigkeit Informationen über bevorstehende Anschläge zurück, die Leben von unzähligen US-Amerikaner:innen retten könnte. Es ist die CIA („we“), die dies verhindern muss, indem sie den Gefangenen dazu ‚bewegt‘ („persuade“), die Informationen preiszugeben.

Drittens konstruieren die hier herangezogenen Diskursfragmente Abu Zubaydah seiner Widerstandsfähigkeit zum Trotz als verletzungsoffene Person. Zum einen habe er individuelle Verletzlichkeiten. Mitchell (2002: 3) schreibt in seiner ersten Auflistung von vorgeschlagenen Foltertechniken im Juli 2002:

The subject appears to be very fastidious. He spend much time cleaning himself and seems to go out of his way to avoid circumstances likely to bring him in contact with potentially unclean objects or material (Mitchell 2002: 3).

Mitchell erkennt hier Hygienebedürfnisse („fastidous“, „cleaning himself“), die sich in der taktilen Kontaktscheue Abu Zubaydahs („subject“) gegenüber als unrein verstandenen Objekten äußere. Dabei wählt er eine wissenschaftlich anmutende Sprache („subject appears to“), um seine Verhaltensbeobachtung und deren Interpretation einzuleiten. Die zugesprochenen Reinheitsvorstellungen adressiert er sodann als Verletzlichkeiten, indem er vorschlägt, dem zu Folternden Windeln anzulegen, ihm so die Möglichkeit zur Körperhygiene zu nehmen und die dauerhafte Berührung mit seinen Ausscheidungen als unreine Objekte zu erzwingen. In ähnlicher Weise attestiert Mitchell (2002: 3) an gleicher Stelle: „The subject appears to have a fear of insects“. Die vermutete Insektenphobie will Mitchell ebenfalls als individuelle Verletzungsoffenheit nutzen, indem er plant, ‚harmlose‘ Insekten in „a cramped confinement box“ zu platzieren und zu behaupten, diese seien giftig.

Zum anderen adressieren die restlichen der zehn Techniken allgemeine Verletzlichkeiten, die Abu Zubaydah trotz seiner ‚Stärke‘ mit anderen menschlichen Leibkörpern teilt. So schreibt beispielsweise Bybee (2002: 4) zu der Wirkung des Waterboard:

You [CIA/John RizzoFootnote 4] have orally informed us that this procedure triggers an automatic physiological sensation of drowning that the individual cannot control (Bybee 2002: 4).

Die körperliche Anwendung produziere notwendigerweise die leibliche Erfahrung des Ertrinkens. Die Funktionsweise der Foltertechnik erscheint hier als eine gleichsam mechanische („automatic“), die als universell menschlich aufgefasst wird. Die Universalität ist hier angedeutet in der Verwendung des allgemeinen Begriffs „individuum“ anstelle von ‚Abu Zubaydah‘ oder „subject“ als spezifisches Individuum. Sie zeigt sich besonders deutlich in der Begründung der vermeintlichen ‚Effektivität‘ und ‚Unschädlichkeit‘ des Waterboards (s. Abschnitt 8.2 & 8.3). Auffällig ist im Vergleich zu der Folter im Rahmen der DoD-Programme, dass keine kollektiven Zuschreibungen von kulturell-religiös-geschlechtlichen spezifischen Verletzlichkeiten ‚muslimischer Männer‘ im behördlichen Diskurs um Abu Zubaydah auftauchen (obwohl seinem Muslim-Sein durchaus Relevanz gegeben wird).

Die individuellen wie universellen Verletzungsoffenheiten Abu Zubaydahs führen ebenso wie seine unterstellten Widerstandsfähigkeiten zur diskursiven Konstruktion von Effektivität der Foltermethoden und bestimmen in emischer Perspektive deren Auswahl (neben den rechtlichen Einschränkungen). Das – dem Gefolterten zugesprochene – Insider-Wissen über Al-Qaida wiederum lässt ihre Anwendung notwendig erscheinen.

2 Akteurspositionierung: Personal

Wie beim Gefolterten sind zugesprochene Eigenschaften und Wissensvorräte des eingebundenen Personals Teil der emischen Foltertheorie. Bemerkenswert ist zunächst, dass professionelles Verhörpersonal,Footnote 5 sei es von Seiten der CIA oder des FBI, eine zu vernachlässigende Rolle in diesem Diskurs spielt. Ein internes CIA-Cable schreibt kurz nach der Autorisierung der Folter durch das OLC:

The CIA and FBI staff employees engaged in the interrogation of Abu Zubaydah are complemented by expert personnel who possess extensive experience, gained within the Department of Defense, on the psychological and physical methods of interrogation and the resistance techniques employed as countermeasures to such interrogation (CIA 2002i: 2).

Das Verhörpersonal wird durch Expert:innen ergänzt, wobei hier SERE-Psycholog:innen (höchstwahrscheinlich Mitchell und Jessen)Footnote 6 gemeint sind. Ihr biographisch angeeignetes Wissen („extensive experience“) bezüglich Techniken des ‚Verhörs‘ sowie des Widerstands gegen ‚Verhöre‘ mache die SERE-Psychologen für die CIA nützlich. Im OLC/CIA-Diskurs um Abu Zubaydah und anschließenden Diskursen wird häufig auf dieses Expertenwissen verwiesen. Es hat dabei eine doppelte Funktion. Es dient der Konstruktion der Techniken als effektiv und als unschädlich.

Ungeachtet der Tatsache, dass das SERE-Training Verhör- und Foltersituationen bloß simuliert,Footnote 7 gibt das dort gewonnene psychologische Wissen in emischer Perspektive Auskunft über dessen Effektivität. Die Anwendung des Waterboard in der SERE-Schule der US Navy sei beispielsweise „almost 100 percent effective in producing cooperation among the trainees“ (Bybee 2002: 6). Die Einbindung von den SERE-Psychologen stellt zudem dadurch ‚Effektivität‘ her, dass sie verhörorientierte psychologisierte Gutachten erstellen können, die die Verletzlichkeiten und Widerstandsfähigkeiten des oder der individuellen Gefolterten identifizieren, um die Auswahl effektiver Techniken zu ermöglichen.

Um legal (im Sinne der Torture Memos) foltern zu können, darf das Personal nicht mit einem „specific intent“ (bleibende Verletzungen zu erzeugen), sondern muss mit „good faith“ (Bybee 2002: 16) handeln. Das bedeutet, die Folter muss als ‚unschädlich‘ intendiert sein:

We understand from OTS [Office of Technical Service] [redigiert], OMS [Office of Medical Services], and the SERE psychologists on the interrogation team that the procedures described above should not rpt [sic, repeat] not produce severe mental or physical pain or suffering: for example, no severe physical injury (such as the loss of a limb or organ) or death should result from the procedures; nor would they be expected to produce prolonged mental harm continuing for a period of months or years (CIA 2002i: 4).

Die hier zitierte CIA-interne Autorisierung der Folter infolge der Torture Memos spiegelt nicht nur deren rechtliche Argumentation – allen voran die durch die wiederholte Verneinung hervorgehobene Vermeidung von Schmerz („should not rpt not produce pain“) –, sondern macht deutlich, dass das Personal die ‚Unschädlichkeit‘ der Foltertechniken bezeugen muss. Dabei ist psychologisches Wissen relevant, dessen Träger vor allem die SERE-Experten Mitchell und Jessen darstellen und die damit die ‚sichere‘ Anwendung garantieren. Bybee (2002) schreibt in seinem berühmt gewordenen Memorandum:

Of the 26,829 students trained from 1992 through 2001 in the Air Force SERE training, 4.3 percent of those students had contact with psychology services. Of those 4.3 percent, only 3.2 percent were pulled from the program for psychological reasons. Thus, out of the students trained overall, only 0.14 percent were pulled from the program for psychological reasons. Furthermore, although [redigiert] indicated that surveys of students having completed this training are not done, he expressed confidence that the training did not cause any long-term psychological impact (Bybee 2002: 5).

Psychologisches Wissen, hier in Form von statistischen Daten aus dem SERE-Trainingsprogramm der US Air Force, wird zur Konstruktion von psychischer ‚Unschädlichkeit‘ herangezogen. Solche Argumente finden sich häufig in derartigen Dokumenten. Um erneut ein Waterboard-bezogenes Beispiel zu nennen: Ein OLC-Memo von Mai 2005 stellt fest: „in many years of use on thousands of participants in SERE training, the waterboard technique […] has not resulted in any cases of serious physical pain or prolonged mental harm“ (Bradbury 2005a: 15; s.a. in Bezug auf Schlafdeprivation: 6). Das organisationale Wissen, das durch Monitoring von Waterboard-Anwendungen im Kontext von SERE-Schulen und Quantifizierung produziert wurde, belege die ‚Unschädlichkeit‘ der Technik auch für die Foltersituationen in der CIA-Blacksite. In den Entwürfen dieser Situationen ist allerdings das psychologische Personal dafür verantwortlich, durch professionelles Monitoring zu verhindern, dass es bei der ‚Unschädlichkeit‘ bleibt.Footnote 8

Zudem ist es das Personal der medizinischen CIA-Abteilung OMS mit seinem professionellen Wissen, das die ‚Unschädlichkeit‘ garantiert; zum einen durch Monitoring und gegebenenfalls Intervention bei körperlicher Anwesenheit während Folteranwendungen (s. Bradbury 2008: 9 f.; CIA 2004b: 1).Footnote 9 Dabei kann es zu Spannungen zwischen den medizinischen und verhörtechnischen Rationalitäten kommen, wie der Umgang mit der Schussverletzung Abu Zubaydahs zeigt (s. Abschnitt 8.4). Zum anderen finden sich Verweise auf medizinisches Wissen in sämtlichen hier genutzten Dokumenten, das zu medizinisch begründeten Einschränkungen von Foltertechniken genutzt wird und somit zu deren Legitimierung als ‚unschädlich‘. Im Dezember 2004 verfasste das OMS sogar ein 34-Seiten langes Dokument mit Richtlinien für medizinisches Personal, das an Folterorten des War on Terror tätig ist. Bezüglich der Leidinduktion durch Wärmeentzug („uncomfortably cool environments“) ist dort zu lesen:

Core body temperature falls after more than 2 hours at an ambient temperature of 10°C/50°F. At this temperature increased metabolic rate cannot compensate for heat loss. The WHO [World Health Organization] recommended minimum indoor temperature is 18°C/64°F (CIA 2004b: 11).

Medizinisches Körperwissen über das Verhältnis von Körper- und Umgebungstemperatur wird zur Einschätzung gesundheitlicher Gefahren („increased metabolic rate“) der Technik genutzt, wobei sich die Autor:innen hier zur Legitimierung auf WHO-Richtlinien als Instanz berufen. An anderer Stelle schränkt das Dokument die Technik auf drei Stunden bei einer Temperatur unter 16 °C ein, also unterhalb der WHO-Empfehlung (CIA 2004b: 28). Das medizinische Wissen dient auf diese Weise dazu, ein Minimum an ‚Gesundheit‘ zu wahren und so zugleich ein Maximum an möglicher Leidinduktion aufzuzeigen, bei dem Folter in organisationaler Perspektive noch als ‚unschädlich‘ gelten darf (s.a. Abschnitt 14.3).

3 Körperzugriff und leiblich-psychischer Effekt

Wie theoretisiert der CIA/OLC-Diskurs die Verbindung zwischen Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit, zwischen dem Zugriff auf den Körper und dem subjektiven Erfahren der Gefolterten? Die enhanced interrogation techniques nutzen ihrer Theorie nach unterschiedliche Körperzugriffe und sollen unterschiedliche leiblich-psychische Effekte erzielen, wobei sich die emische Differenzierung der Techniken und die Explikation ihrer Wirkweisen in den Dokumenten teilweise unterscheiden. Gemeinsam ist der diskursiven Konstruktion der Techniken aber, dass leiblicher Schmerz nicht als ‚Scharnier‘ fungiere: Entweder wird Schmerz als Effekt der Folter völlig bestritten oder nur als möglicher – nicht intendierter – Nebeneffekt ohne starke Intensität beschrieben. Mitchell (2002: 2; s.a. Bybee 2002: 3; Bradbury 2005a: 9) konzeptualisiert zum Beispiel bezüglich der „stress positions“ wie folgt:

They focus on producing mild physical discomfort from prolonged muscle use, rather than pain associated with contortions or twisting of the body (Mitchell 2002: 2).

Die durch Fesselungen erzwungenen Körperpositionen zielen in dieser Perspektive erstens auf die lange Nutzung von Muskeln sowie daraus folgend zweitens auf Erfahrungen von leiblichem ‚Unwohlsein‘ („mild physical discomfort“) und nicht Schmerz ab. Hier ist es also ein eher alltäglicher körperlicher Prozess („prolonged muscle use“) und nicht eine mit judikativer Folter assoziierte körperliche Verletzung durch Verrenkungen von Gliedmaßen (s. Peters 1991: 210), der die angestrebte leiblich-subjekte Wirkung erzeugt und so diskursive Distanz zu klassischen Vorstellungen von Folter schafft. In gleicher Weise theoretisieren CIA- und OLC-Dokumente die Wirkung von erzwungenem Stehen.Footnote 10 Beim Waterboard sei es wiederum jene „automatic physiological sensation of drowning“ (Bybee 2002: 4), die ‚discomfort‘ und nicht Schmerz herstelle.

In Bezug auf andere enhanced interrogation techniques erläutern die organisationalen Entwürfe die Wirkweise weniger über unmittelbare physiologische Reaktionen im Sinne quasi-mechanischer Effekte. So schreibt Bybee (2002) zum „walling“:

The interrogator pulls the individual forward and then quickly and firmly pushes the individual into the wall. It is the individual’s shoulder blades that hit the wall. During this motion, the head and neck are supported with a rolled hood or towel that provides a collar effect to help prevent whiplash. To further reduce the probability of injury, the individual is allowed to rebound from the flexible wall. You have orally informed us that the false wall is in part constructed to create a loud sound when the individual hits it, which will further shock or surprise in the individual. In part, the idea is to create a sound that will make the impact seem far worse than it is and that will be far worse than any injury that might result from the action (Bybee 2002: 2).

Diese Erläuterung ist detailliert in Bezug auf Ablauf der Technik. Bybee beschreibt präzise, wie der Körperkontakt zwischen Gefolterten einerseits und Wand sowie Folternden andererseits hergestellt und genutzt wird, wobei erneut die Legitimierung der Technik als medizinisch ‚unschädlich‘ im Vordergrund steht („prevent whiplash“, „reduce the probability of injury“). Die angestrebte Wirkung sind hier die affektiven Zustände „shock“ und „surprise“, die unter anderem mittels der auditiven Wahrnehmung des Aufpralls auf die Wand erreicht würden. Diese Wahrnehmung würde beim Gefolterten den fälschlichen Eindruck einer starken körperlichen Verletzung erwecken. In dieser Theoretisierung zeigt sich der theatralische Inszenierungscharakter von Folter, durch den „walling“ wie auch Mitchells Vorschlag, scheinbar giftige Insekten zu nutzen, – und anders als „stress postions“, erzwungenem Stehen und Waterboarding – über eine angestrebte (affektive) Situationsdeutung der Gefolterten funktioniert.

„[S]hock and surprise“ ist laut Mitchell (2002: 2) zudem auch der angestrebte affektive Zustand bei der „facial slap“-Technik. Wie bei allen Techniken, wird auch hier der Schmerz als genutztes „Scharnier“ (Inhetveen 2017: 104) geleugnet. Bybee (2002: 2) ergänzt zudem: „The interrogator invades the individual’s personal space“. In dieser proxemischen Argumentation zeigt sich eine explizite Konzeptualisierung von Folter als Verletzung von Territorien des Selbst (Goffman 1982: 54; s. in Bezug auf Folter Nungesser 2019: 384 f.).

Neben den enhanced interrogation techniques konzeptualisieren CIA-Cables weitere Praktiken, die nicht als ‚Verhörtechniken‘ sondern als unterstützende Maßnahmen gefasst werden und daher nicht von den OLC-Juristen autorisiert wurden. Das betrifft insbesondere sensorische Folter, die entweder als „manipulation of the environment“ (CIA 2002h: 2) oder „detention conditions“ (CIA 2004a: 5) bezeichnet und bereits vor den Torture Memos vorbereitet wurde, wie ein Cable von April 2002 zeigt:

The team suggested several environmental modifications to create an atmosphere that enhances the strategic interrogation process of AZ [Abu Zubaydah]. The deliberate manipulation of the environment is intended to cause psychological disorientation, and reduced psychological wherewithal for the interrogation, the deliberate establishment of psychological dependence upon the interrogator as well as an increased sense of learned helplessness. […] The recommended interrogation room and holding cell modifications included the painting of the room white, installation of halogen lights in both the holding cell as well as the interrogation room, the installation of a white curtain to partition off the holding cell from the interrogation room, the building of a vestibule to provide added control of potential orientation cues, the placement of short nap carpeting on the walls of the interrogation room to dampen sound, the sanding of the holding cell bars to reduce AZ’s ability to stimulate his sensorium via rubbing of the bars (CIA 2002h: 1 f.).

Die Kontrolle über die Umgebung Abu Zubaydahs, also die Macht, seine Situation in materieller Hinsicht zu bestimmen, soll genutzt werden, um psychologische Desorientierung, Abhängigkeit von den Verhörenden und „learned helplessness“ zu erzeugen sowie seine Widerstandsfähigkeit im Verhör („psychological wherewithal“) zu reduzieren. Die verschiedenen „manipulations“ (weiße Wandfarbe, grelles Licht, geräuschreduzierende Vorhänge, Schleifen der Zellenstangen) zielen auf die optische, auditive und taktile Erfahrung Abu Zubaydahs. Die Manipulationen bestehen sowohl in der Zufügung von Reizen (hier: Licht, an anderer Stelle auch Rockmusik und white noise, s. CIA 2002f: 3) als auch in der Deprivation derselben (akustisch, taktil). Das Abschleifen der Zellengitter („sanding of cell bars“), also das Erzeugen einer glatten Oberfläche, ähnelt dem Streichen der Wände in weißer Farbe und dem Zufügen von grellem Licht aber insofern, als dass die Praktiken jeweils eine maximal homogene Wahrnehmung erzeugen. Insofern ist auch die Zufügung optischer Reize letztlich in der emischen Theorie eine Deprivation, auch weil sie – wie in einem anderen Verhörprotokoll von April 2002 deutlich wird (CIA 2002c: 2) – als Entzug von natürlichem Licht und damit von Routine und subjektiver Zeitstruktur konzipiert ist. In jedem Fall erfolgt der Körperzugriff hier über die sensorische Wahrnehmung, die durch die Manipulation der materiellen Umgebung so strukturiert wird, dass sie raumzeitliche Desorientierung als unmittelbare Wirkung sowie mittelbar Unsicherheit und Unwissen über die Vorgänge erzeugt.Footnote 11 Während die Folternden so ihre Definitionsmacht über die Situation nutzen und ausbauen, entziehen sie diese zugleich dem Gefolterten; „Removing as much control as possible from his ability to affect his environment“ (CIA 2002c: 2 f.), heißt es in einem Verhörplan erneut erstaunlich explizit. Der Verweis auf die Abhängigkeit vom Verhörer sowie die „learned helplessness“ (ein psychologischer Begriff, s. Seligman 1975) verweisen darauf, dass die emische Foltertheorie auch mittelbare Zielzustände der Gefolterten konzeptualisiert, die mit dem rationalisierenden Ziel der (potentiell lebensrettenden) Informationsgewinnung verknüpft wird.

4 Ziele, Zwischenziele und Zielkonflikte

The purpose of interrogation is to persuade High-Value Detainees (HVD) to provide threat information and terrorist intelligence in a timely manner, to allow the US Government to identify and disrupt terrorist plots. […] Effective interrogation is based on the concept of using both physical and psychological pressures in a comprehensive, systematic, and cumulative manner to influence HVD [High Value Detainee] behavior, to overcome a detainee’s resistance posture. The goal of interrogation is to create a state of learned helplessness and dependence conducive to the collection of intelligence in a predictable, reliable, and sustainable manner (CIA 2004a: 1).

Mit diesen Worten definiert ein CIA „Background Paper“, adressiert an das DoJ, ‚effektive‘ Verhöre. Die ‚Effektivität‘ ist in der emischen Foltertheorie demnach nicht einfach das Ergebnis der Anwendung einzelner Techniken („physical and psychological pressures“), sondern deren planvolle Verknüpfung. Die Adjektive „comprehensive, systematic, and cumulative“ und „predictable, reliable, and sustainable“ suggerieren dabei ebenso wie die Begriffe „precise, quiet, and almost clinical“ (CIA 2004a: 2) oder „fine tuning“ (CIA 2002c: 1), mit denen in anderen Dokumenten die Aufnahmeprozeduren (s. Kapitel 10) von Gefangenen in eine Blacksite bezeichnet werden, eine wissenschaftliche Rationalität und Präzision, mit der diese Verknüpfung vorgenommen wird. Die Ziele des Verhörs überlagern sich dabei: die Techniken und ihre Verknüpfung nehmen zunächst Einfluss auf das Verhalten der Gefolterten. Dies zielt darauf, ihre Widerständigkeit („resistance posture“) zu überwinden. Zugleich zielt das Verhör auf „helplessness and dependence“ als psychologische Zielzustände, was der Produktion von intelligence diene. Das Verhältnis zwischen diesen Zielen wird hier grammatikalisch zwar nicht ganz klar, aber es ist wohl so zu denken: die Anwendung der Techniken erzeugt „helplessness and dependence“, was die Veränderung des Verhaltens und damit Überwindung von Widerständigkeit sowie Preisgabe der potentiell lebensrettenden Information ermöglicht, deren Weitergabe („to allow US Government“) das übergeordnete und außersituative Ziel („purpose“) darstellt.

Die beiden Begriffe „helplessness and dependence“ finden sich häufig als Bezeichnung für die situativen Zielzustände der Gefangenen der Folter. Beide beziehen sich auf unterschiedliche Weise auf die Wehr- und Machtlosigkeit der Gefangenen. In Bezug auf „conditioning techniques“ befindet das selbe Dokument:

The HVD is typically reduced to a baseline, dependent state using the three interrogation techniques discussed below in combination. Establishing this baseline state is important to demonstrate to the HVD that he has no control over basic human needs (CIA 2004a: 5).

Die drei erwähnten Techniken sind erzwungene Nacktheit, Schlaf- und Nahrungsentzug. Sie erzeugen einen „dependent state“, in dem dem Gefolterten ‚demonstriert‘ wird, dass er keine Kontrolle über seine menschlichen Bedürfnisse hat. Mit dem Begriff ist hier also die Her- und Darstellung von Übermacht durch Deprivationen gemeint. Die Gefolterten werden hier als Leibkörper mit universal menschlichen Bedürfnissen („human needs“), nämlich Kleidung, Schlaf und Nahrung adressiert, um über die je spezifischen Leidinduktionen der einzelnen Techniken hinaus Verletzungen der AutonomieFootnote 12 und damit des Selbst vorzunehmen. Darüber hinaus ist mit dem Begriff „dependence“ in der US-Foltertheorie zumeist die Abhängigkeit des Gefangenen (bzw. dessen Erfahrung dieser Abhängigkeit) von einem Verhörer gemeint. Ich benutze den Ausdruck an dieser Stelle im Maskulinum und im Singular, weil die Handlungsentwürfe diese Person sprachlich als männliches Individuum imaginieren. Zweites ist an dieser Stelle relevanter, denn es geht um eine dyadische Beziehung. In einem oben bereits zitierten CIA-internen Memorandum von April 2002 ist zu lesen:

The interrogation interaction should also accordingly be designed to facilitate this psychological dependence. Although, Zubaydah’s medical condition will likely require continued attention from a medical physician in the near term, these medical evaluations will need to be controlled in a fashion that the dependence with the primary interrogator is not diluted (CIA 2002e: 2).

Aufgrund der Schusswunde, an der Abu Zubaydah zu dem Zeitpunkt litt, sei regelmäßige medizinische Versorgung („continued attention“) nötig, also Interaktionen mit einer Ärzt:in. Dies problematisiert („Although“) das Memorandum vor dem Hintergrund, dass die Verhörinteraktion eine – hier zusätzlich als ‚psychologisch‘ bezeichnete – Abhängigkeit von dem primären Verhörer herstellen soll. Dazu stehe die medizinische Behandlung im Spannungsverhältnis und müsse daher angepasst werden oder mit Bedacht vorgenommen werden („controlled in a fashion“). Das Ziel der Lebenserhaltung und der Wahrung von ‚Unschädlichkeit‘ der Folter, das das medizinische Personal mit Hilfe seines professionellen Wissens erreichen soll, gerät hier in potentiellen Konflikt mit der verhörtechnischen Rationalität der Abhängigkeitsherstellung.

Diesen Zielkonflikt adressiert ein Cable von April 2002 folgendermaßen:

We will have medical staff dressed in uniforms that are a solid color, conceal facial features and skin, as well as cover the eyes yet allow for reasonable visual perception, i.e. tinted goggles. When absolutely necessary, the physician can remove his/her googles to examine [redigiert, Abu Zubaydah] to ensure accuracy of their evaluation. Further, in an attempt to diminish affirmation of [redigiert, Abu Zubaydah] as an individual and to restrict psychological affiliation, by anyone other than [redigiert, interrogator] the medical staff will be instructed to use hand signals to communicate with [redigiert, Abu Zubaydah] (CIA 2002c: 2).

Das medizinische Personal soll aus der Perspektive des Gefolterten möglichst depersonalisiert erscheinen. Dazu soll die Kleidung des Personals („uniform“, „goggles“) individuelle Merkmale („facial features and skin“) verbergen und Augenkontakt verhindern. Die Kommunikation soll zudem nur gestisch („hand signals“) erfolgen, um die Anerkennung Abu Zubaydahs als Individuum und dessen soziale Bindung zu Mitgliedern des medizinischen Personals zu verhindern. Die notwendigen Aspekte, die das medizinische Monitoring als soziale Interaktion zwischen sozialen Personen erscheinen lassen, werden so planvoll auf ein Minimum reduziert. Denn nur der Verhörer („anyone other than“) ist für den Gefolterten als eigentlicher Kommunikationspartner vorgesehen. In einem Memorandum von Juli 2002 wird die medizinische Behandlung weiter problematisiert: „AZ [Abu Zubaydah] has also scored a victory in his mind by getting our medical personnel to respond to his concerns“ (CIA 2002d: 3). Die Behandlung könne Abu Zubaydah als ‚Sieg‘ verbuchen; nicht aufgrund der medizinischen Versorgung als Heilung des Körpers, sondern weil es eine nicht verhörtechnische soziale Interaktion – namentlich eine Arzt-Patienten-Interaktion – bedeutet, bei der der Gefolterte ‚gehört‘ wird („respond to his concerns“). Das Konzept der Abhängigkeit meint also eine explizit dyadische soziale Beziehung, die von extremer Machtasymmetrie geprägt ist.Footnote 13 Dieses idealtypische Element der Folter als Gegensatz zwischen absoluter Ohnmacht und Allmacht (s. Abschnitt 3.2) strebt die emische Foltertheorie unverblümt an. Der Begriff der Abhängigkeit ist hierbei zudem assoziiert mit dem Begriff der Kontrolle, mit dem die asymmetrische Beziehung zwischen Verhörer und Gefolterten teils umschrieben wird. So demonstriere die Technik des „facial hold […] the interrogator’s control over HVD“ (CIA 2004a: 7). Häufig werden beide Begriffe in Handlungsentwürfen zusammen genannt. „Establish absolute CONTROL“ und „Induce DEPENDENCE“ (Jessen o. J.a: 15) heißt es beispielsweise in einer Präsentation von Jessen, die er für Guantánamo-Personal hielt (s.a. DoD 2002b: 3).

Der zweite Begriff, der in den untersuchten Daten den psychologischen Zielzustand bezeichnet – namentlich „learned helplessness“ -, verweist auf ein psychologisches Konzept und ist ein viel beachteter Aspekt der CIA-Foltertheorie (Mayer 2005b, 2008: 162 ff.; Welch 2015: 205; PHR 2017: 11 ff.; O’Mara/Schiemann 2019: 184 ff.), unter anderem auch im Verfahren Salim v. Mitchell (Mitchell et al. 2017: 77–91). Der Begriff stammt von dem Psychologen Martin Seligman (1975), der bei Experimenten mit Hunden herausfand, dass diese bei wiederholter, aber unregelmäßiger Gabe von Elektroschocks völlig passiv werden. Selbst wenn ihnen die Möglichkeit zur Flucht aus ihrem Käfig gegeben wird, ergreifen sie diese nicht; ein Zustand, den Seligman als erlernte Hilflosigkeit bezeichnet. Mitchell, der auch Kontakt mit Seligman hatte (PHR 2017: 61), übertrug Anfang 2002 das Konzept auf einen anderen Kontext; namentlich Verhör und Folter von menschlichen Gefangenen. Das SSCI (2014: 26) schreibt dazu:

‘Learned helplessness’ in this context was the theory that detainees might become passive and depressed in response to adverse or uncontrollable events, and would thus cooperate and provide information.

Diese Rezeption von experimentell produziertem Wissen und dessen Übertragung auf Menschen zur Theoretisierung von ‚Verhör‘ und Folter ist der entscheidende Grund, warum der CIA und insbesondere Mitchell und Jessen Menschenversuche vorgeworfen werden (PHR 2017). Auch im Verfahren Salim v. Mitchell waren die beiden Psychologen neben Folter daher auch dieses Verbrechens angeklagt (Baker et al. 2015: 3).

Mit dem Konzept „learned helplessness“ zielt die Foltertheorie auch auf die Zukunftsorientierung von Abu Zubaydah (und später weiteren Gefolterten). Ein Verhörplan nennt neben der Hilflosigkeit „short term thinking“ und „reducing sense of hope“ (CIA 2002c: 2) als Ziel der Folter. In einem anderen Verhörplan heißt es: „Disrupt his ability to predict what will happen to him“ (CIA 2002b: 4). Mitunter wird auch bei den Konzeptualisierungen der einzelnen Techniken dieser Punkt genannt:

Walling is one of the most effective interrogation techniques because it wears down the HVD physically, heightens uncertainty in the detainee about what the interrogator may do to him, and creates a sense of dread when the HVD knows he is about to be walled again (CIA 2004a: 8).

Hier wird das „Walling“ gerade deshalb als ‚effektiv‘ definiert, weil die Antizipationsfähigkeiten des Gefolterten verringert und zukunftsbezogene Emotionen wie „uncertainty“ und „sense of dread“ (oder auch „fear and despair“, Mitchell 2002: 2; sowie „hopelessness“ CIA 2002f: 3; oder eben „surprise“ Mitchell 2002: 2) erzeugt würden. Die Foltertheorie macht damit äußerst explizit, dass die Gewalt die Gefangenen entlang ihrer „Erwartungshorizonte“ (Nungesser 2019: 389) verletzen soll.

Das ‚eigentliche‘ rationalisierende Ziel des ‚Verhörs‘ ist ein Verhalten des Gefolterten, nämlich die Preisgabe von Informationen durch verbale Kommunikation. Dazu muss die Foltertheorie eine Verbindung von den Zielzuständen wie vor allem „dependence“ und „helplessness“ zu dem gewünschten Verhalten schlagen.Footnote 14 Mitchell (2002: 2) nennt dies „motivating him to provide the required information“. Die weiter oben zitierte Stelle aus einem CIA „Background Paper“ über die Herstellung eines Abhängigkeitszustandes wird folgendermaßen fortgesetzt:

The baseline state also creates in the detainee a mindset in which he learns to perceive and value his personal welfare, comfort, and immediate needs more than the information he is protecting (CIA 2004a: 5).

In dieser zynisch anmutenden Formulierung wird die ‚Motivation‘ durch einen ‚Lernprozess‘ erreicht, der durch Deprivationen von basalen menschlichen Bedürfnissen angestoßen wird. In dem Moment, wo dem Gefolterten die Befriedigung der Bedürfnisse wichtiger werde („value […] more than“) als die geschützte Information, könne das Verhörziel erreicht werden. Mit dem Vokabular Popitz‘ (1992) gesprochen, sind die verschiedenen Formen der Foltergewalt als Aktionsmacht in der emischen Theorie letztlich Teil einer instrumentellen Machtausübung, die durch Zwang gewünschtes Verhalten herstellt. Hier lässt sich eine Konditionierungslogik erkennen:

The subject sits in one of two chairs that are rotated depending upon his cooperation. When the subject is willing to talk and is more or less cooperative a more comfortable chair that is padded, has arm rests and a moveable back is brought into the room. When the subject is less cooperative, a gray lawn chair is brought into the room and replaces the more comfortable chair (CIA 2002f: 2).

Der oben schon zitierte Verhörplan von April 2002 nutzt an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen „discomfort“ und „comfort“. Je nach ‚Kooperationsbereitschaft‘ (d. h. „willing to talk“) werden unterschiedliche Stühle genutzt, um Abu Zubaydah mit dem unbequemen Stuhl zu bestrafen oder mit dem bequemen Stuhl („padded“, „arm rests“, „moveable back“) zu belohnen. Das Bedürfnis, den eigenen Körper beim Sitzen möglichst sowohl entspannen als auch bewegen zu können, wird hier zur instrumentellen Machtausübung brauchbar gemacht.Footnote 15 An anderer Stelle heißt es bezüglich der mangelnden Macht Abu Zubaydahs, seine Umgebung zu beeinflussen: „the only mechanism he has at his disposal to control the environment will be in providing vital intelligence“ (CIA 2002c: 4). Dem Gefolterten soll nicht jede Möglichkeit geraubt werden, Einfluss auf die Situation zu nehmen („only mechanism“). Der Möglichkeitsraum soll stattdessen so sehr eingeschränkt werden, dass nur die ‚Kooperation‘ (in dem Fall bezeichnet als „providing vital intelligence“) eine positive Veränderung ermöglicht. Die verschiedenen Deprivationen und Leidinduktionen dienen der emischen Theorie nach also letztlich dazu, sie zur Belohnung wieder lindern zu können und somit gewünschtes Verhalten zu erzwingen. Zwar ist diese Konditionierungslogik in den CIA-Dokumenten deutlich, jedoch finden sich keine direkten Verweise auf psychologische Konditionierungstheorien. Anders im Verfahren Salim v. Mitchell: vor Gericht berufen sich die beiden Angeklagten tatsächlich explizit auf die klassische Konditionierung im Sinne Pavlovs (Mitchell et al. 2017: 272 ff.; Jessen et al. 2017: 157 ff.).Footnote 16 Es ist also anzunehmen, dass die Theorie der klassischen Konditionierung eine weitere Quelle psychologischen Wissens ist, das in die Konzeptualisierung ‚effektiver‘ Folter floss.

Abbildung 8.1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Zielkette der emischen Foltertheorie.

In dem hier untersuchten Folterdiskurs überlagern sich verschiedene (Zwischen-)Ziele der Folter zu einer spezifischen Form des ticking bomb scenario. Abbildung 8.1 stellt die Kette an (Zwischen-)Zielen vereinfacht dar: von unmittelbaren leiblichen Effekten wie Muskelerschöpfung und „discomfort“, die die verschiedenen Körperzugriffe wie erzwunges Stehen, Fesselung oder Schläge anstreben, über emotional-psychische Zielzustände wie „dependence“ und „helplessness“ sowie Belohnung/Strafe zum gewünschten Verhalten, das schließlich die ersehnte Information als Verhörprodukt erzeugt, die zur Erreichung des außersituativen, legitimierenden und politischen Ziel führt: „safeguard the lives of innumerable innocent men, women, and children“ (CTC 2002: 2).

5 Notwendig, effektiv, legal, unschädlich: Phänomenstruktur

Die in diesem und dem vorangegangenen Kapitel umrissene emische Foltertheorie setzt sich aus verschiedenen aufeinander bezogenen Elementen zusammen. Sie bewegt sich als „Interdiskurs“ (Link 2012: 58) zwischen medizinischen, rechtlichen, geheimdienstlichen und psychologischen Diskursen, aus denen jeweils Wissen in die theoretisierenden Diskursfragmente ‚fließt‘. Zusammen konstruiert dieses Wissen die Folter mit den Eigenschaften unschädlich, legal, notwendig und effektiv, wobei je die weiteren Dimensionen der Akteurspositionierungen von Abu Zubaydah (bzw. die Kategorie Gefolterte/‚Verhörte‘ im Allgemeinen) und Personal (SERE-Psycholog:innen, medizinisches und Verhörpersonal) sowie Ziele und Techniken mit ihrem Körperzugriff angesprochen werden. Abbildung 8.2 stellt die relevanten Dimensionen und ihre Beziehung zueinander tabellarisch und stark vereinfacht im Sinne einer „Phänomenstruktur“ (Keller 2008: 86) des untersuchten Diskursausschnittes dar.

Abbildung 8.2
figure 2

(Eigene Darstellung)

Phänomenstruktur der emischen Foltertheorie.

Das verhandelte und konstruierte Phänomen ist hier die Folter als legitime Praxis. Medizinisches Wissen ermöglicht die Legitimierung der Folter als „unschädlich“ (Eigenschaft 1). Das bedeutet in Bezug auf medizinische Ziele, dass die Folter keine bleibenden psychischen oder physischen Verletzungen oder gar Tod zur Folge haben soll. Referenzen auf medizinisches Wissen und Diskurse (beispielsweise WHO-Richtlinien)Footnote 17 werden dann in den theoretisierenden Diskursfragmenten genutzt, um Einschränkungen der einzelnen Techniken zu ihrer ‚sicheren‘ Anwendung zu definieren und Schmerz als Effekt der Folter auszuschließen. Für die Positionierung des Akteurs Abu Zubaydah heißt das, dass dessen Körper medizinisch behandelt, überwacht und am Leben erhalten wird. Als situative Träger:innen dieses Wissens und Verantwortliche für die Erhaltung der ‚Unschädlichkeit‘ erscheinen in der Foltertheorie das medizinische Personal des OMS (in Bezug auf körperliche ‚Unschädlichkeit‘) und (SERE-) Psycholog:innen (in Bezug auf die psychische ‚Unschädlichkeit‘).

Wissen aus rechtlichen Diskursen wie über die Anti-Folterkonvention, die Geschichte ihrer Ratifizierung durch die USA oder Gerichtsurteile anderer liberal-rechtsstaatlich verfasster Folterkomplexe (Nordirland, Israel) ermöglicht die Herstellung von Legalität (Eigenschaft 2) der Folter als Nicht-Folter mit dem Ziel, das eingebundene Personal vor rechtlicher Verfolgung zu schützen. Dazu bedarf es die durch medizinisches Wissen konstruierte ‚Unschädlichkeit‘ der Foltertechniken mit ihren je spezifischen Körperbezügen sowie die durch geheimdienstliches Wissen hergestellte Notwendigkeit (Eigenschaft 3) (necessity defense). Des Weiteren ermöglicht der Bezug auf den Ausnahmezustand des War on Terror mit seinen rechtlichen Implikationen (s. Abschnitt 5.1) Abu Zubaydah als besonderen Feind zu definieren, der keinen gewöhnlichen rechtlichen Status hat. Das Personal wiederum erscheint als in „good faith“ handelnd, das heißt als nicht bleibende Verletzungen intendierend, was sich in der Konstruktion des Personals auf medizinischer Ebene zeigt.

Geheimdienstliches diskursives Wissen ermöglicht wiederum die Herstellung von Notwendigkeit der Folter (Eigenschaft 3), die auch eine der Voraussetzungen für die Legalisierung (Eigenschaft 2) ist. Das betrifft zum einen das professionelle, organisationale Wissen des Verhörpersonals über Abu Zubaydah als vermeintlicher Träger von spezifischem Wissen über Widerstandstechniken sowie (Anschlags-)Pläne von Al-Qaida („The agency [CIA] assesses he [Abu Zubaydah] continues to withhold critical, actionable information“, CIA 2002i: 3), das erlangt werden muss, um das übergeordnete außersituative Ziel der Verhinderung von bevorstehenden Anschlägen und dem Retten unschuldiger Leben zu erreichen. Dieses geheimdienstliche Wissen bietet wiederum die argumentative Basis für die utilitaristische Logik der juristischen necessity defense, während das allgemeinere Wissen über Abu Zubaydah als (vermeintlich) hochrangiges Al-Qaida-Mitglied ihn rechtlich als besonderen Feind markiert und nicht als Subjekt des gewöhnlichen US-Rechts oder der Genfer Konventionen. Abu Zubaydahs vermeintliches inkorporiertes Rezeptwissen des Widerstands gegenüber Folter und Verhör ist zudem das, was die Notwendigkeit der Anwendung der speziellen Techniken begründet.

Psychologisches Wissen schließlich fungiert als Element zur Konstruktion der ‚Effektivität‘ der Folter (Eigenschaft 4). Personal in Form von SERE-Psycholog:innen – insbesondere Mitchell und Jessen – verkörpern dieses Wissen, das sie zur Erkennung spezifischer oder allgemeiner Verletzlichkeiten Abu Zubaydahs nutzen, was wiederum die Wahl und Kombination von ‚effektiven‘ Foltertechniken bestimmt. Deren unterschiedliche Körperzugriffe wie Schläge, Ersticken oder Fesselungen werden nicht nur im Sinne der Herstellung von ‚Unschädlichkeit‘ (Eigenschaft 1) und ‚Legalität‘ (Eigenschaft 2) als nicht schmerzerzeugend definiert, sondern produzieren in dieser Perspektive ‚effektive‘ leibliche und emotional-affektive Effekte wie discomfort, shock oder surprise. Diese führen wiederum zu den psychologischen Zielzuständen wie insbesondere „dependence“ undlearned helplessness“, die zur Erreichung des geheimdienstlichen Ziels ‚effektiv‘ seien. Die Konzeptualisierung dieser psychologischen Zielzustände schließt unmittelbar an psychologische Diskurse und Theorien außerhalb des Folterkomplexes an; insbesondere: erlernte Hilflosigkeit und Konditionierung.

Die diskursiven Praktiken der emischen Foltertheorie bewegen sich in dem Viereck Medizin, Psychologie, Geheimdienst und Recht. Das Wissen, das aus diesen verschiedenen Herkunftsdiskursen bezogen wird, ist derart konstelliert, dass es die Legitimierung der Folter als modernes, präzises, wissenschaftlich-informiertes Verhörmittel und somit eine Abgrenzung von vormoderner ‚barbarischer‘ Folter ermöglicht. Dabei besteht ihre moderne Unsichtbarmachung nicht nur in der Geheimhaltung gegenüber der Öffentlichkeit oder bezüglich der Vermeidung von Spuren am Körper, sondern auch in der Nicht-Einordnung der Folter als GewaltFootnote 18 sowie als Folter im juristischen Sinne.