Q. [Y]ou thought waterboarding was a bad – was a painful thing, right?

A. No, I thought – I thought it could be done safely. I thought he [Abu Zubaydah] would be uncomfortable. It sucks, you know. I don’t know that it’s painful (Mitchell et al. 2017: 291).

Der obige Dialog entstand ebenso wie das Kapitel 2 einleitende Zitat aus dem Gerichtsverfahren Salim v. Mitchell. Hier ist es der Angeklagte James Mitchell („A“), der von dem für die Anklage tätigen Anwalt Lawrence Lustberg („Q“) zum Waterboard befragt wird. Bei der wohl bekanntestenFootnote 1 CIA-Technik werden die Körper von Gefolterten auf ein Brett fixiert sowie ein Handtuch über Mund und Nase gelegt. Die Folternden gießen auf das Tuch Wasser; und zwar „in a controlled manner“ (Bybee 2002: 4), wie es in einem autorisierenden OLC-Memorandum heißt. Das nasse Tuch verhindert sodann das Atmen, bis es wieder entfernt wird. Während diese Methode der Wasserfolter häufig euphemistisch als Simulation des Ertrinkens bezeichnet wird, das heißt als die Produktion der leiblichen Erfahrung des Ertrinkens und Erstickens („the perception of drowning“, Bybee 2002: 4; „misperception of soffucation“, Dunlavey 2002), ist es schlicht ein potentielles Ersticken (Rejali 2009: 284 f.). Der Tod wird nur durch rechtzeitiges Unterbrechen der Prozedur verhindert. Entgegen den Verlautbarungen des OLC und der CIA führt die Anwendung der Technik zum Eindringen von Wasser in die Atemwege (OMS o. J.: 37) und löst extreme leibliche Schmerzen aus. Der Psychologe Mitchell war es, der die Technik für den ersten Gefangenen des CIA-Folterprogramms während des War on Terror – Abu Zubaydah (lange von der CIA zu Unrecht als Nr. 3 oder 4 von Al-Qaida bezeichnet, s. SSCI 2014: 430) – vorschlug und sogar persönlich anwendete. Die Technik gehörte zu zehn Techniken, die Jay Bybee (2002) als Leiter des OLC als enhanced interrogation techniques am 1. August 2002 für das Verhör von Abu Zubaydah in der Blacksite Green in Thailand autorisierte, indem er diese ‚Verhörtechniken‘ juristisch außerhalb von Folter verortete.

Die Frage des Anwalts, ob Mitchell die Technik als schmerzvoll einschätzte, verneint er. Schmerz ist in seiner Perspektive nicht das ‚Körper-Selbst-Scharnier‘, das beim Waterboard zum Einsatz komme. Die Technik könne ‚sicher‘ durchgeführt werden (d. h. ohne bleibende medizinische Schäden). Anstatt schmerzvoll sei sie „uncomfortable“ und schlicht ‚scheiße‘ („sucks“). Der Dialog ist naheliegenderweise durch die Gerichtssituation geprägt. Die Frage des Anwalts zielt darauf ab, Mitchell juristisch der Planung und Durchführung von Folter zu überführen. Dass Mitchell demgegenüber zu seiner Verteidigung dem Waterboard jede schmerzinduzierende Wirkung abspricht, ist vor dem Hintergrund, dass er der Folter angeklagt ist, wenig überraschend. Seine Antwort ist aber keine spontane, rein situative Ausflucht. Sie bringt vielmehr zwei wesentliche Punkte der emischen Foltertheorie des War on Terror auf den Punkt: die angebliche Unschädlichkeit der autorisierten Methoden sowie die diskursive Vermeidung von Schmerz als mögliches ‚Scharnier‘ zwischen dem Körperzugriff der Folternden einerseits und dem Selbst der Gefolterten andererseits. Der Ausdruck „uncomfortable“ ist dabei nicht zufällig gewählt. Tatsächlich ist „discomfort“ einer der wichtigsten Ausdrücke, welche in den verschiedenen organisationalen Dokumenten den leiblich-psychischen Zustand bezeichnen, der durch Folterungen erreicht werden soll. In der Gerichtssituation verweist und beruft sich Mitchell also auf eben jene Foltertheorie, die nicht zuletzt er selbst geprägt hat, und das spezifische diskursive Wissen, das sie konstituiert.

Ich benutzte hier den Ausdruck ‚Foltertheorie‘ zur Vereinfachung, um die erstaunlich explizite Konzeptualisierung von Folter zu bezeichnen, die den innerbehördlichen Diskurs um den Fall Abu Zubaydah kennzeichnet, den ich im Folgenden zunächst als methodischen Ausschnitt wähle. Die Explizität bezieht sich freilich nicht auf die Einordnung der Theorie als Foltertheorie, denn in emischer Perspektive ist sie eine Verhörtheorie. Explizit ist sie aber dennoch in ihrer Theoretisierung von extrem asymmetrischen sozialen Situationen, in denen vom äußeren Zugriff auf einen gefangenen Körper intentional Erfahrungen von Leid induziert wird, und in der Rezeption wissenschaftlichen Wissens. Um es an dieser Stelle nochmals zu betonen: es geht hier um den Selbstanspruch der Wissenschaftlichkeit, die der Legitimierung der Folter dient; ein Anspruch, dem die Foltertheorie ohnehin nicht gerecht wird (s. O’Mara/Schiemann 2019). In etischer, analytischer Perspektive sollte es daher vermieden werden, die US-Folter im War on Terror oder andere moderne Formen als ‚wissenschaftliche Folter‘ zu bezeichnen und so einen zu starken Antagonismus zu ‚barbarischen‘ Formen wie die judikativ-europäische Folter der Frühen Neuzeit zu behaupten, sowie damit – auch wenn ungewollt – zu ihrer Legitimierung beizutragen (s.a. Welch 2015).

Ich befasse mich in diesem Teil der Untersuchung mit dem die emische Foltertheorie konstituierenden diskursiven (Körper-)Wissen anhand von organisationalen Dokumenten (bzw. ‚theoretisierenden‘ Daten) als „Diskursfragmente“ (Jäger, Jäger 2007: 27). Ich frage insbesondere nach den Quellen dieses Wissens, also ‚woher‘ welches Wissen in die emische Theoretisierung von Folter ‚geflossen‘ ist. Mit dem Ausdruck ‚Wissensflüsse‘ beziehe ich mich auf die Metapher von Diskurs als „Fluss von Wissen durch Zeit“ (Jäger, Jäger 2007: 15). Er soll jedoch keine Naturwüchsigkeit jenseits des Sozialen unterstellen. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, verlaufen die Wissensflüsse entlang institutioneller Bahnen, gleichsam eines Flussbettes, und werden durch Handlungen individueller und kollektiver Akteure beeinflusst. Die Metapher des ‚Fließens‘ bezieht sich daher auf die Bewegung von Wissensbeständen zwischen verschiedenen Diskursfeldern, institutionellen Settings und historischen Phasen sowie auf die damit verbundenen, sich wandelnden, Konstellierungen als prinzipiell kontingente Prozesse.

Bevor ich in Kapitel 9 den diachronen ‚Wissensfluss‘, das heißt die Zeitlichkeit des folterrelevanten diskursiven Wissens in den Blick nehme, nämlich dessen Kontinuitäten mit dem Kalten Krieg und seine Migration innerhalb des Folterkomplexes des War on Terror, möchte ich in diesem und darauffolgenden Kapitel den synchronen ‚Wissensfluss‘ im innerbehördlichen Diskurs um den Fall Abu Zubaydah betrachten. Anhand dieser Dokumente lässt sich eine emische Foltertheorie rekonstruieren, die in der Kommunikation innerhalb der CIA (in Form von cablesFootnote 2) sowie zwischen CIA und Regierungsstellen (in Form von Memoranden) entstand. Dabei versorgte die CIA das OLC mit Wissen über die Foltertechniken und deren Wirkweisen, ebenso wie mit Wissen über die vermeintlichen Eigenschaften Abu Zubaydahs, während das OLC die CIA mit juristischen Argumentationen ausstattete. Ein genauerer Blick auf diesen Fall ist nicht nur naheliegend, weil spätestens seit dem Verfahren Salim v. Mitchell eine Vielzahl von detaillierten internen Dokumenten verfügbar ist, sondern weil er einen Präzedenzfall darstellt,Footnote 3 von dem aus sich diskursives Folterwissen in Form von Foltertechniken und deren innerbehördliche Legitimierung ausbreitete. Ich nähere mich nun einem Teil des Datenkorpus in diskursanalytischer Perspektive. Ich blicke also (noch) nicht auf vergangene Folterpraktiken und -situationen, sondern auf deren organisationale Entwürfe sowie das hierzu eingesetzte Wissen. Die dabei genutzten Dokumente geben daher für sich betrachtet wenig Auskunft darüber, welche Foltertechniken wie angewandt wurden. Sie fungieren aber als Bindeglieder zwischen den Diskursen der CIA und der Bush-Administration einerseits und den modernen Menschenrechtsdiskursen andererseits. Zudem sind sie aber, wie ich noch zeigen will, nicht losgelöst von der Gewaltpraxis an den Folterorten zu sehen, sondern ermöglichten eine relative Standardisierung und Verkettung von Foltersituationen.

1 Der Beginn der autorisierten CIA-Folter

Abu Zubaydah war weder der erste Gefangene noch der erste Gefolterte des War on Terror. Er war aber der erste High Value Detainee in einem eigenen Geheimgefängnis des RDI-Programms, zu dem die CIA seit dem MON vom 17. September 2001 befugt war (s. Abschnitt 5.1) und welches der Anlass für eine ungewöhnliche Autorisierung von einzelnen Foltertechniken durch höchste Regierungskreise war. Nach seiner Gefangennahme im März 2002 entschied sich der Geheimdienst für die Etablierung der Blacksite Green in Thailand (Raphael et al. 2019: 79). Die Entscheidung, das erste Gefängnis als geheimes Verhörzentrum in einem verbündeten Staat zu errichten, gibt bereits erste Einblicke in die Relevanzsetzungen des Geheimdienstes.

Options for Incarcerating Abu Zubaydah

Guantanamo Bay (Brig)

Pro: :

US Military-controlled facility

High degree of physical security

[Redigiert, ca. 4 Zeilen]

Con::

[Redigiert, 1 Zeile]

Viability of maintaining secrecy of Abu Zubaydah’s presence an issue

[Redigiert, 2 Zeilen]

Possible loss of control to US military and/or FBI

Possible impact on prisoners if AZ’s presence becomes known (CIA 2002l).

Eine teilweise deklassifizierte Powerpoint-Präsentation diskutiert verschiedene „Options for Incarcerating Abu Zubaydah“ (CIA 2002l).Footnote 4 Das GefangenenlagerFootnote 5 auf Guantánamo, das zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Monate bestand, habe unter anderem den Vorteil („Pro“) der Sicherheit („physical security“) und der militärischen Kontrolle („US Military-controlled“) des Ortes. Als Gegenargument nennt die Folie unter anderem die Gefahr, dass die CIA die Kontrolle über Abu Zubaydah an andere Organisationen („loss of control to US military and/or FBI“) verlieren sowie seine Gefangenschaft publik werden könnte („maintaining secrecy […] an issue“). Eine andere Folie, die wahrscheinlich die ‚thailändische Option‘ bespricht (s.a. Raphael et al. 2019: 79), nennt als Vorteil „no issues of possible US court jurisdiction“ und als Nachteile „Not a USG-controlled facility [and] requires diplomatic/policy decisions“Footnote 6. Die Tatsache, dass die CIA sich gegen Guantánamo entschied, lässt vermuten, dass die Geheimhaltung des Programms von großer Relevanz war,Footnote 7 sowie, dass sich die CIA bereits zu diesem Zeitpunkt in Konkurrenz zu den beiden anderen verhörführenden Organisationen des Folterkomplexes sah: FBI und DoD. Die (wohl implizierte)Footnote 8 Sorge, die sich später bewahrheiten sollte, dass Guantánamo unter die Zuständigkeit der US-Gerichte fallen könnte, zeigt zudem die Intention der CIA, sich außerhalb des liberalen Rechtsraums zu bewegen. Dies ist allerdings wenig verwunderlich, da CIA-Mitglieder bereits im Herbst 2001 begannen, sich juristisch gegen Foltervorwürfe zu wappnen (s. Abschnitt 5.1).

Am 31. März 2002 wurde Abu Zubaydah in der Blacksite interniert. Da er bei seiner Gefangennahme durch die pakistanische Polizei eine schwere Schusswunde an einem Bein erlitten hatte, musste er zwischenzeitlich in einem Krankenhaus medizinisch behandelt werden, wo er bereits von FBI- und CIA-Mitarbeiter:innen verhört wurde. In dieser Zeit zog die CIA Mitchell und kurze Zeit darauf seinen Kollegen John Jessen als Berater für Verhörtechniken heran. Beide waren zuvor als Militärpsychologen bei SERE-Schulen der US Air Force tätig gewesen. Neben dem Hinzuziehen der beiden Psychologen gab es weiteren Kontakt zwischen der CIA und der JPRA, der Behörde innerhalb des US-Militärs, das für SERE-Trainings verantwortlich ist. Dabei stellte die JPRA dem Geheimdienst Informationen über SERE-Techniken zur Verfügung und entwickelte Trainings für CIA-Verhörpersonal (SASC 2008: 6 f., 19–24; die CIA wird hier als „Other Government Agency“ umschrieben). Die Entscheidung, auf eine Trainingsform rückzugreifen, bei der Soldat:innen gewaltsamen ‚Verhörtechniken‘ unterzogen werden, war ein entscheidender Schritt der CIA in Richtung Folter.

Mitchells Vorschläge, den Gefangenen unter anderem sensorischer Deprivation und Schlafentzug auszusetzen, lösten einen ersten Konflikt zwischen FBI- und CIA-Mitarbeiter:innen aus, bei dem erstere auf rein gesprächsbasierte Verhörtechniken pochten (SSCI 2014: 27–29). Bei diesem Konflikt verlor das FBI jede Kontrolle über den Gefangenen an die CIA, obwohl es mit seinen weniger gewaltvollen Befragungen erfolgreicher war (Denbeaux et al. 2019: 12). Anfang Juni 2002 unterbrach die CIA die Verhöre und hielt Abu Zubaydah 47 Tage in fast vollständiger Isolation. In dieser Zeit verfasste Mitchell (2002) die erste Liste mit – später Enhanced Interrogation Techniques genannten – Foltertechniken als diskursiv verfestigtes Körperwissen. Die Techniken beruhten auf SERE-Trainingsmethoden, darunter das Waterboard.Footnote 9 Am 1. August 2002 schließlich verfasste das OLC drei Memoranden (Bybee 2002; OLC 2002; Yoo 2002), in denen es zehn Techniken für die Anwendung bei dem spezifischen Gefangenen Abu Zubaydah autorisierte und für rechtmäßig erklärte. Ab da begann der „‘Hard Line’ approach“ (CIA 2002g: 2), wie ein CIA-Dokument die Verschärfung der Folterpraktiken gegen Abu Zubaydah nennt.

Das von Bybee (2002) verfasste Memorandum an die CIA (persönlicher Adressat ist John Rizzo, der damalige leitende CIA-Jurist) beschreibt die autorisierten Techniken und ihre Wirkungsweisen als Handlungsentwürfe, wobei es im Wesentlichen Mitchells (2002) Entwurf folgt.Footnote 10 Sie lauten:

(1) attention grasp, (2) walling, (3) facial hold, (4) facial slap (insult slap), (5) cramped confinement, (6) wall standing, (7) stress positions, (8) sleep deprivation, (9) insects placed in a confinement box, and (10) the waterboard (Bybee 2002: 2).

Die aufgelisteten Methoden adressieren den gefolterten Körper in unterschiedlicher Weise: Die Techniken „attention grasp“, bei der ‚Verhörer:innen‘ das Gesicht der Gefolterten gewaltsam mit beiden Händen auf das Gesicht der Folternden ausrichten, „walling“, bei der Gefolterte mit dem Rücken gegen ‚falsche‘ (d. h. dünne, flexible) Wände geschleudert werden, „facial hold“, bei der Gesicht und Kopf der Gefolterten mit den Händen fixiert wird, „facial slap“ (also ‚Ohrfeigen‘) und schließlich das Waterboard bedürfen direkten gewaltsamen Körperkontakt zwischen Folternden und Gefolterten. Die Techniken „cramped confinement“, bei der der Körper in enge Boxen gesperrt wird (die neunte Methode ist eine Erweiterung, bei der zusätzlich lebende Insekten in der Box platziert werden), „stress positions“, die durch Fesselungen hergestellt werden, sowie „wall standing“, bei der Gefolterte gezwungen werden, bei ausgestreckten Armen zu stehen und mit den Fingerspitzen eine Wand zu berühren, induzieren Leid und Schmerz (in emischer Theorie bloß „discomfort“) durch die eingenommene Körperposition; die ersten beiden mittels mechanischer Einwirkung auf den Körper (Einsperren bzw. Fesseln), die dritte durch erzwungene Agentschaft. Schlafentzug schließlich ist keine Foltertechnik im Sinne eines konkreten gewaltsamen Körperzugriffs, sondern beschreibt vielmehr einen Effekt solcher Zugriffe. Weder Mitchell noch Bybee formulieren einen konkreten Handlungsentwurf, sondern behandeln „sleep deprivation“ bloß hinsichtlich der gewünschten Effekte. In Verhörprotokollen wird deutlich, dass im Fall Abu Zubaydah der Schlafentzug vor allem durch ununterbrochene Verhöre erzeugt wurde (CIA 2004b: 3). Spätere Dokumente theoretisieren die Foltertechniken weiter hinsichtlich ihrer Kombinationen (CIA 2004a) und konkretisieren Schlafdeprivation als durch Stresspositionen hergestellt (Bradbury 2005a: 11).Footnote 11 In der Beschreibung der Wirkweisen dieser zehn Foltertechniken bemüht sich Bybee darum, deren vermeintliche ‚Unschädlichkeit‘ und damit Legalität aufzuzeigen. Ich komme auf die Theoretisierung ihrer Wirkweisen und angezielten subjektiven Erfahrungen im folgenden Kapitel zurück. Um die Techniken zu legalisieren, entwickelte das OLC eine eigenwillige juristische Argumentation vor dem Eindruck der modernen Anti-Folternorm.

2 Legalisierung von Folter im Kontext der Anti-Folternorm

Die Folter im War on Terror, insbesondere in Bezug auf die hier von mir analysierten Daten, ist eng mit juristischen Diskursen verknüpft. Wie ich schon in Abschnitt 5.1 angemerkt habe, ist diese Verknüpfung anders geartet als in Zeiten der judikativen Folter. Diente die europäische Folter bis ins 19. Jahrhundert hinein der Herstellung juristischer Wahrheit – das heißt: sie war nicht nur legal, sondern ein Rechtsmittel –, zielt sie im War on Terror in emischer Perspektive auf die Herstellung von geheimdienstlich relevanten Informationen, aber nicht der von juristisch verwertbaren Geständnissen zur rechtlichen Verurteilung der Gefolterten. Dabei stellt das Recht in liberal-demokratischen Staaten wie den USA ein Hindernis dar, das die juristischen Diskurse innerhalb des US-Folterkomplexes einzuhegen suchten. Das bedeutet zunächst, dass das Ziel der OLC-Memoranden (meist Torture Memos genannt) und anderer Dokumente war, das Verhörpersonal von Abu Zubaydah vor rechtlicher Verfolgung zu schützen.Footnote 12 Dazu mussten die beteiligten Juristen einige rechtliche ‚Verrenkungen‘ ausführen, die juristisch letztlich nicht haltbar waren. Nachdem Barack Obama nach seiner Wahl zum US-Präsidenten alle OLC-Memoranden bezüglich Verhören und Gefangenschaft für ungültig erklärte (Obama 2009), kam ein Bericht des OPRFootnote 13 (2009) zu dem Schluss, dass sich die beiden wichtigsten Autoren Jay Bybee und John Yoo des beruflichen Fehlverhaltens schuldig gemacht hätten. An dieser Stelle soll es aber nicht darum gehen, die legalisierenden Argumente zu entkräften (s. hierzu bspw. Steiger 2013: 283 ff.), sondern sie in Hinblick auf die emische Foltertheorie zu diskutieren. Diese Argumente beziehen sich zum einen auf die UN-Antifolterkonvention, die Geschichte ihrer Ratifizierung und einem aus der Ratifizierung gefolgten US-Bundesgesetz gegen Folter (s. hierzu a. McCoy 2012a: 45) sowie eine mögliche Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Ein weiteres Hindernis, nämlich die Genfer Konventionen, waren zum Zeitpunkt von Abu Zubaydahs Gefangennahme bereits durch die – vom OLC vorbereitete – Entscheidung von Präsident Bush aus dem Weg geräumt worden, die Konvention für mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder für ungültig zu erklären. Für ihre Argumentation im August 2002 (Bybee 2002; OLC 2002; Yoo 2002) sowie im Mai 2005 (Bradbury 2005a, 2005b, 2005c) nutzten die OLC-Juristen zum einen die Unklarheiten der Definition der UN (1984) aus, was die Bedeutung von „severe“ und „intentionally“ angeht, sowie vergangene Gerichtsurteile, darunter Ireland v. United Kingdom (ECHR 1978) (s. Abschnitt 3.1).

Im Wesentlichen definieren die juristischen Memoranden die CIA-Methoden außerhalb von Folter, indem sie erstens in Hinblick auf ein Urteil des obersten israelischen Gerichtshofs aus dem Jahr 1999 mit einer Variante des ticking bomb scenarios argumentieren. In einem Memorandum heißt es dazu:

We believe that a defense of necessity could be raised, under the current circumstances […] necessity has been defined as follows: Conduct that the actor believes to be necessary to avoid a harm or evil to himself or to another is justifiable, provided that: the harm or evil sought to be avoided by such conduct is greater than that sought to be prevented by the law defining the offense charged (OLC 2002: 39 f.).

Die „current circumstances“ werden sodann benannt:

Indeed, al Qaeda plans apparently include efforts to develop and deploy chemical, biological and nuclear weapons of mass destruction. Under these circumstances, a detainee may possess information that could enable the United States to prevent attacks that potentially could equal or surpass the September 11 attacks in their magnitude. Clearly, any harm that might occur during an interrogation would pale to insignificance compared to the harm avoided by preventing such an attack, which could take hundreds or thousands of lives (OLC 2002: 41).

Die utilitaristische Logik („harm […] avoided […] greater than“; „harm […] compared to the harm“) der Argumentation ist unverkennbar. Zur Begründung nutzt sie den Ausnahmezustand infolge des 11. September 2001 und die als besonders verstandene Gefahr von weiteren Anschlägen durch Al-Qaida. Ein ‚bisschen‘ („pale to insignificance“) Leiden in Verhörsituationen steht so hypothetisch terroristischen Massenmorden („deploy […] weapons of mass destruction“) gegenüber.

Zweitens engt das OLC die Folterdefinition mit einer eigenwilligen Interpretation von „physical or mental severe pain and suffering“ (UN 1984) auf Basis der US-amerikanischen Ratifizierungsgeschichte der Anti-Folterkonvention extrem ein. Zum physischen Schmerz heißt es:

The victim must experience intense pain or suffering of the kind that is equivalent to the pain that would be associated with serious physical injury so severe that death, organ failure, or permanent damage resulting in a loss of significant body function will likely result (OLC 2002: 13).

Diese Einengung ist bemerkenswert, weil sie den leiblichen Schmerz, der nötig ist, um ihn als Folge von Folter zu verstehen, an starke und bleibende körperliche Verletzungen koppelt. Zwar ersetzt das Memorandum die leibliche Erfahrung nicht völlig durch körperliche Verletzung („equivalent“), aber legt doch nahe, dass Schmerzzufügungen ohne gleichzeitige Verletzung des anatomischen Körpers nicht „severe“ seien. Das psychische Leiden grenzt das OLC über eine Auflistung von fünf Praktiken, die dem US-Anti-Foltergesetz im Zuge der Ratifizierung der UN-Konvention aufgrund von Vorbehalten zugefügt wurden, ein; nämlich diverse Androhungen oder Anwendungen von physischer Gewalt, die im obigen Sinne als „severe“ gelten könne, sowie der Einsatz von Drogen oder anderen Mitteln, die darauf zielen, langfristige psychologische Veränderungen und Traumatisierungen zu verursachen. Das psychische Leiden müsse gar für Monate oder Jahre andauern, um als das Ergebnis von Folter in Betracht gezogen werden zu können.Footnote 14

Drittens engt das OLC die Folterdefinition noch weiter über den Begriff „specific intent“ ein. Ebenfalls unter Bezugnahme auf Vorbehalte und Kommentierungen der Anti-Folternorm durch US-Regierungen im Zuge der Ratifizierung meinen die autorisierenden Juristen damit, dass das oben definierte Leiden nicht bloß intendiert zugefügt werden muss, sondern, dass es das „precise objective“ (OLC 2002: 3) der Tat sein müsse. Das bedeutet, dass in Perspektive des OLCs nur dann Folter vorliegt, wenn bleibende (psychische oder körperliche) Verletzungen produziert wurden und dieser Effekt die primäre Intention der Folternden war. Wenn ‚Verhörende‘ jedoch in „good faith“ (OLC 2002: 4) handeln, sie also annehmen, dass ihr Verhalten nicht diese bleibende Wirkung habe und sie mit ihrem Handeln Leben retten wollen, dann wäre die Gewalt keine Folter, unabhängig davon, welche Wirkung diese Gewalt hat.

Die hier umrissene Argumentation war zunächst nur auf die Autorisierung der oben genannten Foltertechniken im Fall Abu Zubaydah ausgerichtet. Die OLC-Memoranden von August 2002 waren aber nicht nur die Blaupause für die Anwendung dieser Techniken in dem individuellen Fall, sondern auch für die Verbreitung von diskursivem Folterwissen auf sowohl andere CIA-Fälle als auch auf das militärische Folterprogramm. In Dokumenten vom Mai 2005 wiederholte und bekräftigte das OLC seine Argumentation, die sich nun nicht mehr auf diesen speziellen Gefangenen bezog (Bradbury 2005a, 2005b, 2005c). Die juristischen Argumente finden sich auch in CIA-internen Cables, wo sie zur Legitimierung und Einschränkung von Foltermethoden genutzt werden (z. B. CIA 2002i, 2002d: 3).