Folter besteht nicht in einzelnen Anwendungen von Foltertechniken. Sie ist vielmehr eine VerkettungFootnote 1 leidvoller Erfahrungen seitens der Gefolterten und der Herstellung dieser Verkettung seitens Folternden über Abfolgen von miteinander verbundenen sozialen Situationen. Diese konstituieren sich durch komplexe Konstellationen von situativen Elementen. Trotz ihrer Übermacht üben Folternde dabei nicht Allmacht aus. In den vorangegangenen Kapiteln habe ich mich auf die Akteursgruppen guards, Gefolterte und Verhörpersonal mit ihren jeweiligen Wissensbeständen sowie auf die vielfältigen Formen des Otherings konzentriert. Um der Heterogenität und Komplexität der untersuchten Situationen möglichst gerecht zu werden (Clarke 2012: 67 ff.), möchte ich weitere Elemente zusammenfassend diskutieren, die ich bisher nur am Rande behandelt habe. Diese sind Drohungen, Artefakte, die Akteursgruppen medizinisches, psychologisches und linguistisches Personal, anwesende Dritte und Sichtbarkeiten.

1 Drohungen

Im Vokabular von Popitz besteht Foltergewalt zunächst aus Aktionsmacht (s.a. Abschnitt 3.2). Dies gilt nicht nur für Schmerzinduktionen, sondern auch für die vielseitigen Deprivationen und anderen Angriffe auf das Selbst ausgehend von der Kontrolle über den Körper der Gefolterten. Drohungen sind jedoch wie schon an einigen Stellen angesprochen gleichfalls hochrelevante Elemente der Foltersituationen (s. zur allgemeinen Relevanz von Drohungen für Folter Pérez-Sales 2021). Popitz bezeichnet sie als instrumentelle Macht, die basierend auf Aktionsmacht das Verhalten der Unterworfenen steuert. Sie haben folgende Struktur:

Wenn du, was ich will (gefordertes Verhalten), nicht tust (abweichendes Verhalten), werde ich dir Schaden zufügen bzw. dafür sorgen, daß dir Schaden zugefügt wird (angedrohte Sanktion); wenn du tust, was ich will (konformes Verhalten), wirst du dem Schaden entgehen (Sanktionsverzicht) (Popitz 1992: 80).

Diese Struktur liegt auch den Drohungen im US-Folterkomplex zugrunde, wie ich oben bereits erwähnte. Das geforderte Verhalten bedeutet hier vor allem eine wie auch immer geartete ‚Kooperation‘ der Gefangenen.Footnote 2 Teilweise blieb das geforderte Verhalten aber auch unbestimmt. Die Drohungen wurden dann zur allgemeinen Einschüchterung genutzt (s.a. Abschnitt 14.2). Als angedrohte Sanktionen fungieren vor allem die Fortsetzung oder Verschlimmerung der angewandten Folter. Darüber hinaus wurden Gefolterte mit der Auslieferung an Folterkomplexe anderer Staaten bedroht, wie Jordanien, Ägypten, Israel und im Falle von Uiguren China (DoJ 2009a: 197; Al Darbi 2009: 5; Qasem 2009). Auch mit der Folterung von Familienangehörigen (Slahi 2017: 266; Begg 2009; DoA 2008: 341; Adayfi/Aiello 2021: 32) oder Mitgefangenen (Abu Zubaydah 2019: 66) wurde gedroht und so die adressierten Verletzlichkeiten der Gefolterten auf die Körper abwesender Dritter erweitert. Das disziplinierende Privilegiensystem in Guantánamo mit seiner Konditionierungslogik schließlich war ebenfalls eine Form der instrumentellen Machtausübung und bestand neben den in Aussicht gestellten ‚Belohnungen‘ (treffender: leichten Linderungen) vor allem aus der permanenten Drohung, die Deprivationen und die physische Gewalt auszuweiten.

Drohungen definieren in hohem Maße die Situation der Bedrohten (Popitz 1992: 81). Sie basieren dabei auf der Formulierung von Alternativen und damit auf „der konstitutiven Zukunftsorientiertheit von Interaktionen“ (Popitz 1992: 26). Das bedeutet erstens, dass Drohungen ein wichtiges Element der Verkettung von Situationen waren. Die in vorgelagerten Situationen und ‚am eigenen Leib‘ erfahrene Folter zeigte den Gefangenen, wie glaubhaft die Drohungen sind, das heißt wie real die Gefahr der für zukünftige Situationen angedrohten Sanktion ist. Daher konnten Drohungen die Gefolterten entlang ihrer „Erwartungshorizonte“ (Nungesser 2019: 389) verletzen und die zukunftsorientierte Emotion Angst (oder auch Hoffnung auf Linderung) produzieren, um ‚Kooperation‘ zu erzwingen. Dies macht insbesondere das oben diskutierte Beispiel von Al Darbi deutlich (s. Abschnitt 12.1). Auch waren sie wichtig, um degradierende Inszenierungen zu erzwingen (s. Kapitel 13).

Zweitens zeigt die Zukunftsorientiertheit erneut, dass Gefolterte als handelnde Subjekte adressiert wurden. Es ging den Folternden bei Drohungen um das Herstellen gewünschten Verhaltens. Wer „die Drohung als Machtinstrument einsetzt, will etwas vom Bedrohten“ (Popitz 1992: 82), sei es ‚hundisches‘ Verhalten wie Bellen und Auf-Allen-Vieren-Gehen oder eine bestimmte Aussage. Daher „bedeutet dieser Druck von Drohungen keinen absoluten Zwang“ (Popitz 1992: 82). Dies verdeutlicht das Beispiel von Slahi (2017: 238 f.), der immer wieder versuchte, Einfluss auf die Situation zu nehmen. Indem er sich nur dann in Verhörsituationen gesprächsbereit zeigte, wenn keine Foltergewalt angewandt wurde, suchte er diese instrumentelle Machtausübung zu unterlaufen.

2 Artefakte

Physikalische Objekte tragen wie auch andere nicht-menschliche Elemente erheblich zur Konstituierung von Foltersituationen bei. Ich möchte im Folgenden solche Artefakte zusammenfassend diskutieren, die von den beteiligten Organisationen zur Herstellung und Verkettung von (Folter-)Situationen eingesetzt werden. Dabei unterscheide ich erstens zwischen Folterinstrumenten, zweitens Objekten, die potentiell den Gefolterten zur Verfügung stehen, aber in ein Entzugssystem integriert sind, drittens Räumlichkeiten und viertens organisationalen Artefakten, die der internen Kommunikation dienen.

Die angewandten Folterinstrumente im War on Terror sind vielfältig und nehmen den meisten Platz dieser Diskussion ein. „As an actual physical fact, a weapon is an object that goes into the body and produces pain“ schreibt Scarry (1985: 16) bezüglich des Einsatzes von Objekten in der Folter. Diese Beschreibung trifft beispielsweise auf die Schläuche der Zwangsernährung zu (s. Abschnitt 12.6). Jedoch sind die Zugriffe auf die gefolterten Leibkörper vielfältig und müssen weder physische Penetration noch leiblichen Schmerz beinhalten. Ich möchte daher unter den Begriff der Folterinstrumente alle Artefakte fassen, die in gewaltvollen Situationen unmittelbar auf den Leibkörper der Gefolterten gerichtet werden und Leid auslösen; die „Gerätschaften“ (Goffman 2001: 60) also, die Folternde in die Situationen einbringen. Der intentionale Charakter der Leidinduktion ist bei der Anwendung der Gegenstände nicht gleichermaßen eindeutig. Dennoch möchte ich auch solche Gegenstände als Instrumente bezeichnen, da sie in der – von organisationaler Seite gewünschten – Verkettung der Situationen einen offensichtlichen Beitrag zur Erfahrung von severe pain and suffering leisten.

Zunächst gibt es solche Instrumente, die die Gefangenschaft herstellen sowie aufrechterhalten und daher häufig bei raumzeitlichen Übergängen und Aufnahmeprozeduren genutzt werden. Das sind insbesondere (Schuss-)Waffen und Fesselungsartefakte. Gewehre wurden teilweise als Schlagwerkzeuge zur direkten Schmerzinduktion genutzt (s. z. B. Rasul et al. 2004: 10), wohl weil sie gerade ‚zur Hand‘ waren. Wichtiger sind Schusswaffen aber an dieser Stelle, weil ihre sichtbare Anwesenheit eine Todesdrohung gegen die Gefangenen ausspricht. Teilweise wurde diese Drohung des Erschießens verbal und durch die positionelle Ausrichtung der Waffe auf den Körper, insbesondere den Kopf, expliziert. Diese Drohungen zielten teils auf das Erzwingen von spezifischem Verhalten wie dem Nicht-Bewegen (Rasul et al. 2004: 8) oder gewünschten Aussagen (Helgerson 2003: 23) in Verhörsituationen. Folternde nutzten Waffen aber auch zur „unbestimmten Drohung“ (Popitz 1992: 84). Die angedrohte Sanktion (Erschießen) war zwar unzweideutig, nicht aber das geforderte Verhalten im Spezifischen (s. beispielsweise Al-Sheikh 2004: 1; Juma 2004: 1). Diese Ungewissheit lässt die Macht der Drohung „zur Macht des Angstmachens“ (Popitz 1992: 858) werden. Diese instrumentelle Machtausübung war also auf die Produktion von Erfahrungen allgemeiner Angst und Bedroht-Seins bei den Gefangenen ausgerichtet. Auch wenn die Waffen nicht auf die Gefangenen gerichtet waren, ist die unbestimmte Todesdrohung durch bloße Sichtbarkeit bewaffneter Wachen bereits gegeben, wenngleich weniger drastisch. In Camp X-Ray war diese Bedrohung beispielsweise allgegenwärtig, und zwar durch Scharfschütz:innen in Aussichtstürmen (Kurnaz/Kuhn 2017: 117, 148). Nicht als Todesdrohung, aber dennoch auf ähnliche Weise verwendeten militärische Einheiten Hunde in Afghanistan, dem Irak und Guantánamo (s. Abschnitt 13.4). Die Hunde dienten als Waffe der beschriebenen Einschüchterung und Angstproduktion durch unbestimmte Drohungen, die – wie das autorisierende Memorandum von General Sanchez (Sanchez 2003: 12) zeigt – auch auf ethnische Zuschreibungen basierend vermeintlich spezifische Verletzlichkeiten adressiert, namentlich „arab fear of dogs“. In Guantánamo häufig eingesetzte Waffen waren zudem Reizgas und andere Ausrüstungsgegenstände der IRF-Teams (s. Abschnitt 11.3).

Fesselungsartefakte, seien es Kabelbinder aus Kunststoff oder metallene Fesseln, werden direkt an dem gefangenen Körper befestigt und immobilisieren ihn. Der Leibkörper der Gefolterten wird dabei in zweifacher Weise gegen sie gewendet. Die Fesselungen verletzen zum einen die Autonomie des Selbst und erzeugen zum anderen starke leibliche Schmerzen. In dieser Doppelfunktion kann die Handlungsfähigkeit auf ein Minimum begrenzt und zugleich der erfahrene Schmerz im Sinne der emischen Foltertheorie als ‚selbst-induziert‘ gedeutet werden. Wie in Kapitel 10 gezeigt, werden Immobilisierungen häufig mit erzwungener Mobilität und Transporten kombiniert. Sie bilden zudem die Basis für weitere Leidinduktionen wie Zwangsernährung oder waterboarding. Bei dem sogenannten short shackeling in Guantánamo (s. Schmidt/Furlow 2005: 12; DoJ 2009a: 223; Rasul et al. 2004: 81) wurde die immobilisierende und schmerzinduzierende Wirkung verstärkt, indem die Fesseln mit kurzen Ketten an Ringen im Boden von Verhörräumen befestigt wurden. Auf diese Weise konnten Gefolterte weder eine sitzende noch eine stehende Position einnehmen. In CIA-Blacksites wurden Körper mit den – hinter dem Rücken gefesselten – Händen an Ringe gehängt, die an den Wänden fest installiert waren (s. Pitter 2012: 43; Ben Soud/Smith 2017b: 43; Salim/Smith 2017: 161 f.); eine Praxis, die der judikativ-europäischen Foltertechnik der Wippe gleicht und nicht vom OLC autorisiert war. In ähnlicher Weise hängten guards in Abu Ghraib Gefangene an Zellentüren (Alsharoni 2004; Al-Sheikh 2004; Hilas 2004; Mustafa 2004; Anonym 2004b). In all diesen Fällen wird durch die Kombination der Fesseln mit weiteren Artefakten die „positional torture“ (Rejali 2009: 322) verstärkt. Anders als Bedrohungen durch Waffen funktionieren die Fesseln nicht über Sichtbarkeit oder Hörbarkeit, sondern sind unmittelbar als physische Berührung spürbar. Wurden die Fesseln besonders eng angesetzt oder durch gezielte Kraftanwendung von Folternden tiefer in die Haut gedrückt (Rasul et al. 2004: 24; DoJ 2009a: 261), produzierten sie direkt Schmerz über die Berührung und nicht nur aufgrund erzwungener Körperpositionen. Fesselungsartefakte richten sich also mit ihren materiellen Eigenschaften gegen den (Bewegungs-)Willen der Gefolterten; sie sind also nicht nur Gegenstände, sondern auch Gegenkräfte. Sie repräsentieren auf diese Weise insbesondere die Gefangenschaft sowie die Übermacht der ihnen feindlich gesonnenen Institution. Sie bilden die wohl am häufigsten eingesetzten Folterinstrumente zur direkten Leidinduktion im War on Terror.

Folterinstrumente in einem eher klassischen Sinne sind solche Objekte, die auf je unterschiedliche Weise die Anwendung der enhanced interrogation techniques ermöglichen (s. Kapitel 8): Das Brett (Waterboard), auf das Gefolterte für die Durchführung der Wasserfolter fixiert werden, ähnlich dem speziellen Stuhl zur Zwangsernährung; die falschen Wände, die beim walling (in emischer Perspektive) ‚zu starke‘ Verletzungen verhindern; und die confinement boxes, die gleichsam Zellen bilden, die so klein sind, dass sie wie Fesseln sowohl immobilisieren als auch Schmerz verursachen. Auch technische Artefakte sind hier zu nennen, die die Umgebung der Gefangenen zum Zwecke der sensorischen Folter manipulieren: Klimaanlagen entziehen Wärme und erzeugen so leibliche Erfahrungen des Frierens (s. z. B. Al Rawi 2011). Lampen und Lautsprecher sorgen für Penetrationen mit Licht über die Augen (s. z. B. Rasul et al. 2004: 53 f.) und Klänge wie white noise (CIA 2004a: 13) und Musik (Stafford Smith 2005: 14, 18) über die Ohren. Sowohl die starken optischen als auch akustischen Reize verhindern oder erschweren vor allem das Schlafen. Zur Schlafdeprivation durch laute Geräusche nutzten guards auch die typischen materiellen Strukturen von gefängnisartigen Orten wie Zellentüren, Gittern und Stangen (s. Abschnitt 11.1). Bei Transporten dienten wiederum Kapuzen und geschwärzte Brillen der Deprivation von optischen, ‚Ohrenschützer‘ der von akustischen Reizen. Gewaltvolle materielle Penetrationen der gefolterten Körper verübten – abgesehen von dem Wasser beim waterboarding – vor allem medizinische Objekte wie Zäpfchen (s. Abschnitt 10.2), die bei der Zwangsernährung verwendeten Schläuche sowie andere gegen den Willen der Gefangenen verabreichten oder injizierten Medikamente (bzw. Drogen) (s. Abschnitt 14.3). Außerdem gibt es aus Guantánamo und Abu Ghraib einige wenige Berichte vom Induzieren von extremen leiblichen Schmerzen durch Elektrizität (DoJ 2009a: 287; Kurnaz/Kuhn 2017: 57–59; Rasul et al. 2004: 124; Burke et al. 2008a: 4), wenngleich diese Foltertechnik nicht so häufig zur Anwendung kam wie in anderen modernen Folterkomplexen (s. hierzu AI 1997; Rejali 2009: 121–257). In diesen Fällen werden Drähte und Elektroden in Verbindung mit Elektrizität zu Folterinstrumenten.

Artefakte waren auch relevant bei Verunreinigungen und Entblößungen. So trugen Windeln, die in Zusammenhang von Transporten, Schlafdeprivation und Zwangsernährung an die Körper befestigt wurden, zu den qualvollen Foltererfahrungen bei (s. Abschnitt 10.4). Ihr Einsatz kann zwar aus organisationaler Perspektive als Hygienemaßnahme rationalisiert werden; und in Bezug auf deren Einsatz in Blacksites tat die CIA auch genau dies gegenüber dem Justizministerium in Form des OLC (SSCI 2014: 415). Schließlich sorgt er dafür, dass die Umgebung des Körpers von Kot und Urin geschützt wird. Er bedeutet für die Gefangenen aber ganz im Gegenteil Verunreinigung und Degradierung. Denn die Windeln verhindern zusammen mit den gleichzeitigen Immobilisierungen die – für erwachsene Menschen erwartete – selbstständige Entsorgung der Ausscheidungen an spezialisierten Orten. Kot und Urin bleiben stattdessen am Körper haften. Laut internen CIA-Dokumenten wie dem ersten schriftlichen Vorschlag von Foltertechniken durch Mitchell (2002: 3) war die leidvolle Wirkung der Windeln teilweise bewusst intendiert.Footnote 3 Auch Kameras, die ihren Blick auf nackte Körper richteten, trugen ebenfalls zur Foltererfahrung bei. Während das Fotographieren von degradierenden Inszenierungen in Abu Ghraib unmittelbar der Intensivierung der Scham diente (s. Abschnitt 10.3), war der intentionale Charakter der Leidinduktion beim Fotografieren im Rahmen von Aufnahmeprozeduren nicht immer eindeutig. Die Gleichgültigkeit gegenüber der offensichtlich leidinduzierenden Wirkung in Zusammenhang mit anderen vollzogenen Folterpraktiken rechtfertigt aber meiner Ansicht nach, beide Artefakte als Teil der Folterinstrumente zu begreifen. Als eindeutig intentionale Versuche der Verunreinigung muss dagegen das Beschmieren des Körpers mit roter Farbe, die eine Verhörerin als ihr Menstruationsblut bezeichnete (FBI 2003: 2), und Parfüm (DoJ 2009a: 221) verstanden werden. Diese Versuche der Verunreinigung basieren insbesondere auf zugeschriebenen kulturell-geschlechtlichen Reinheitsvorstellungen (s. Abschnitt 13.2).

Wasser wurde in mehrfacher Hinsicht als Folterinstrument verwendet. Beim berüchtigten waterboarding in CIA-Blacksites drang Wasser in die Atemwege und brachte die Gefolterten an den Rand des Erstickens, welches nur durch Unterbrechungen und medizinisches Monitoring verhindert wurde. Es handelte sich also um eine Penetration des Körpers. Kaltes Wasser wurde aber auch als Wärmeentzug, also zur Herstellung von Erfahrungen des Frierens, genutzt, indem es auf die Haut der Gefangenen getropft wurde (Alsharoni 2004; Ben Soud/Smith 2017b: 43); dieses sogenannte „water dousing“ war nicht autorisiert (CIA 2004c: 67 f.). Praktiken des Benässens zielten zudem auf Schlafdeprivation: Die wiederholte taktile Erfahrung des Wassers konnte nämlich wie starke akustische und optische Reize Schlafen verhindern (Abu Zubaydah 2019: 62). Slahi (2017: 268) berichtet zudem davon, dass er über mehrere Tage genötigt wurde, große Mengen von Wasser zu trinken. Ein guard erklärte ihm später, dass dies ebenfalls darauf abzielte, Slahi vom Schlafen abzuhalten, ohne es ihm explizit verbieten zu müssen; mit dieser Äußerung nahm der guard offensichtlich Bezug auf ein wichtiges Element des theoretischen Folterwissens: Das Wasser ist hier explizit Teil einer Technik von ‚erzwungener Agentschaft‘ von Slahis Leibkörper, die dessen Stoffwechsel gegen sein Schlafbedürfnis richtete. Nicht zuletzt war Wasser aber auch ein Objekt, das den Gefolterten oft nicht oder nur begrenzt zur Verfügung stand – sei es zum Trinken oder zum Waschen – also in die Entzugssysteme integriert war.

Während Folterinstrumente über ihre Anwesenheit und jeweilige Anwendung Leiden verursachen, tun dies andere Dinge durch ihre (potentielle) Abwesenheit und Nicht-Verfügbarkeit für die Gefolterten. Die Entzugssysteme im War on Terror sind aber nicht binär zu verstehen (im Sinne von Haben vs. Nicht-Haben). In Guantánamo verdeutlichen dies insbesondere die comfort items, die in das einer Konditionierungslogik folgende Privilegiensystem integriert waren, welches man besser als gestaffeltes Entzugssystem verstehen kann (s. Abschnitt 11.2). Wenn das Personal den Gefangenen Gegenstände wie Zahnbürsten oder Koranausgaben zusprach, war die Drohung, diese als Strafe wieder zu entziehen allgegenwärtig. Daher ist die Verfügbarkeit von Artefakten nicht als Gegensatz zu ihrem Entzug zu sehen. Sie ist vielmehr die Voraussetzung für zukünftige Deprivationen. Zudem nutzten die Folternden graduelle Deprivationen. Beispielsweise war die Ausgabe von militärischen MREs („Meals Ready to Eat“, JTF-GTMO 2004a: A.3) keine vollständige Nahrungsdeprivation, aber doch ein Entzug von warmem Essen (Slahi 2017: 21). Dieser graduelle Entzug war in den militärischen Handlungsentwürfen auch explizit als ‚Verhörtechnik‘ verschriftlicht (Dunlavey 2002; DoD 2003: 64). Zu denken wäre hier auch an die Unterscheidung zwischen einem ‚bequemen‘ und einem ‚unbequemen‘ Stuhl aus Abschnitt 8.4, mit der die CIA Abu Zubaydah durch Belohnung/Strafe zur ‚Kooperation‘ bringen wollte (CIA 2002f: 2). Ebenso sind die orangefarbenen Uniformen eine Deprivation von individueller und selbst-gewählter Kleidung, nicht aber ein absoluter Kleidungsentzug wie in Situationen erzwungener Nacktheit. Ähnlich verhält es sich mit den verschiedenen Formen von hygienerelevanten Artefakten. Nur einen kleinen Eimer zur Verrichtung von Notdurft zu haben (s. bspw. Kurnaz/Kuhn 2017: 42), bedeutet eine Hygienedeprivation für die Gefolterten, da ihnen ein Klo (bzw. der Zugang zu diesem) verwehrt bleibt. Dennoch ist es auch dann noch möglich, den Eimer als Strafe entzogen zu bekommen (SSCI 2014: 490). Überlebende berichten von Guantánamo zudem von extrem kurzen Duschzeiten, die kaum für die Körperreinigung ausreichten (s. bspw. Adayfi/Aiello 2021: 67). Das Waschwasser wurde also nicht absolut entzogen, aber der Zugang zeitlich so beschränkt, dass das Ergebnis doch eine Hygienedeprivation ist. Solche Formen des graduellen Entzugs von physischen Objekten ermöglichte der Organisation nicht zuletzt, die Deprivationen hinter dem vermeintlichen Zugang zu diesen Objekten zu verschleiern. Schließlich sind auch die Tantalos-artigen Situationen Teil der Entzugssysteme (s. Abschnitt 10.4). Bei ihnen wird das Leid, das die Nicht-Verfügbarkeit auslöst, dadurch gezielt gesteigert, dass die jeweiligen Objekte in ‚greifbarer Nähe‘ sichtbar präsentiert werden.Footnote 4

Für die Konstituierung der Foltersituationen sind auch die raumschaffenden Materialitäten und Infrastrukturen relevant. Die technischen Artefakte Flugzeuge, Helikopter sowie andere Transportmittel ermöglichten den Austausch von Gefangenenkörpern und Personal (mit ihm: Wissen) zwischen teils weitentfernten Folterorten. Sie waren also ein wesentlicher Bestanteil der globalen Vernetzung des Folterkomplexes. Neben ihrer Mobilitätsfunktion schufen sie außerdem eigene Folterräume (s. Abschnitt 10.4). Zellen waren ebenfalls räumliche Artefakte des Folterkomplexes, die in ihrer Beschaffenheit nicht nur die Gefangenschaft aufrechterhielten, sondern auch Deprivationen erzeugten. Besonders deutlich ist dies bei Isolationszellen, die auf größtmögliche sensorische Deprivation ausgelegt waren (CIA 2002h: 1 f.). Auch die Verhörzimmer, observation rooms, die Klinik in Guantánamo oder Zelte an improvisierten Folterorten wie Kandahar sind für die Foltersituationen relevante Räume, die von den jeweiligen Organisationen erschaffen oder wie Gefängnisse im Irak und in Afghanistan übernommen und in Hinblick auf die organisationalen Ziele hin strukturiert wurden. Die Fähigkeit der US-militärischen Organisationen und der CIA in einem global verteilten Netz von Folterorten, deren räumliche Struktur in ihrem Sinne zu bestimmen, zeigt die enormen Ressourcen und die „datensetzende Macht“ (Popitz 1992: 167) des US-Folterkomplexes.

Schließlich waren weitere Artefakte, die nicht der Leidinduktion dienten, relevant, weil sie über interne Kommunikation die Verkettung von Situationen ermöglichten. Erstens verbanden die organisationalen Dokumente wie Memoranden, cables, Verhörpläne und Protokolle Situationen miteinander, entweder, weil sie als Handlungsentwürfe eine relative Standardisierung zukünftiger Situationen ermöglichten oder weil sie einen Ablauf vergangener Situationen festlegten. Zu diesem internen Wissensaustausch wurden auch Kameras und Apparate zur Erfassung individueller biometrischer Daten wie Fingerabrücke sowie dem medizinischen Zustand der Gefangenen genutzt (s. Abschnitt 10.5). In Verhören wurden häufig Fotographien von (vermeintlichen) jihadistischen Terroristen den Befragten vorgesetzt (s. z. B. Stafford Smith 2005: 19; Al Darbi 2009: 6). Zumeist zielten solche Verhöre nicht auf Geständnisse vermeintlich begangener Taten oder von anstehenden Anschlagsplänen, sondern auf die Herstellung von Netzwerken zwischen ‚Verdächtigen‘. Befragte wurden dabei genötigt, sich selbst oder andere in solche Netzwerke einzuordnen (s.a. Abschnitt 12.1). Diese erpressten Aussagen konnten dann in Verhören anderer Gefolterter verwendet werden. Ein besonderes technisches Artefakt bildet der Lügendetektor, der zuweilen in Guantánamo zum Einsatz kam (Rasul et al. 2004: 77), und dessen Einsatz bereits das KUBARK-Manual diskutiert (CIA 1963: 79 f.). Als technischer Apparat richtet er sich auf die Körper der Verhörten und produziert Körperwissen, das das Verhörpersonal in Hinblick auf den Wahrheitsgehalt von Aussagen interpretiert, was also die Deutungshoheit behält. Dennoch wurde ihm teilweise ein gewisser eigenständiger Status bei der Produktion von verhörtechnischer Wahrheit zugesprochen (Slahi 2017: 53–57).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Artefakte erheblich zur Konstituierung von Foltersituationen beitragen. Sie stehen dabei prinzipiell unter der Kontrolle der Folternden und werden nach Bedarf für die Leidinduktion nutzbar gemacht. Auch Gegenstände, die den Gefangenen zur Verfügung stehen, gehören ihnen nicht, was sich in der ständigen Gefahr ihres Entzuges zeigt. Die datensetzende Macht des US-Folterkomplexes ist also enorm. Dennoch gelingt es den Gefangenen auch hier kleine Widerständigkeiten aufzubauen; beispielsweise durch selbstbestimmten Nahrungsentzug oder der Weigerung, Teller zurückzugeben (s. Abschnitt 12.4 & 12.5). In seltenen Fällen gelingt es Gefolterten, Gegenstände gegen den Willen oder Wissen der Folternden zu nutzen und aufzubewahren. Beispielsweise schaffte es Salim, Ibuprofen-Pillen, die ihm hin und wieder aufgrund seiner Verletzungen gegeben wurden, heimlich zu sammeln und vor den Augen des Wachpersonals zu verbergen, um damit schließlich einen gescheiterten Suizidversuch zu unternehmen (Risen 2016). Dennoch zeigt sich bei der Betrachtung der physikalischen Objekte als situative Elemente der Machtgegensatz zwischen folternden Organisationen und Gefolterten besonders deutlich.

3 Medizinisches Personal

Die Akteurskonstellationen an Folterorten des War on Terror waren komplex und bestanden nicht nur aus Verhörer:innen, guards und Gefolterten. Wie bereits an einigen Stelle deutlich wurde, war auch medizinisches Personal eine relevante und physisch präsente Akteursgruppe, die an der Konstituierung von sozialen Situationen als Foltersituationen beteiligt war. Seine Einbindung, welche typisch für moderne Folter im Allgemeinen ist (s. beispielsweise Goldstein/Breslin 1986), wird in der Literatur vor allem aus professionsethischer Perspektive als aktive Teilnahme an der Folter und damit als Bruch mit dem hippokratischen Eid analysiert (Crosby/Benavidez 2018; CVT/PHR 2019; s. z. B. Miles 2007; PHR 2014, 2017; Rubenstein/Xenakis 2010). Dies ist zweifellos richtig und soll daher hier nicht neu diskutiert werden. Im Folgenden wird also nur die Relevanz dieser Akteursgruppe für die Folter zusammengefasst. In Kapitel 8 habe ich bereits gezeigt, dass vor allem in den organisationalen Dokumenten der CIA medizinisches Wissen eingearbeitet ist. Dort dient es dem Aufzeigen der vermeintlichen ‚Unschädlichkeit‘ der ‚Verhörtechniken‘ für den gefangenen Körper und damit deren Legitimierung als ‚sichere‘ und ‚legale‘ Methoden. Das situative Einbinden von medizinischem Personal (exklusive Psychiater:innen) mit seinem inkorporierten wie diskursiven „medizinischen Körperwissen“ (Schubert 2011) wiederum kann grob in drei Handlungsbereiche aufgeteilt werden: Die relative Sorge um den gefolterten und gefangenen Körper, die Nicht-Behandlung von Verletzungen (bzw. die Nicht-Sorge um diesen Körper) sowie medizinische Prozeduren als intentionale Leidinduktionen.

Zur Sorge um den Körper gehörte das medizinische Monitoring, welches insbesondere in CIA-Blacksites und Guantánamo ständig medizinisches Körperwissen über den Zustand der Gefolterten produzierte, wie beispielsweise die Gewichtsentwicklung. Dieses Wissen diente zusammen mit medizinischen Behandlungen, die auf Basis des Wissens durchgeführt wurden, der Erhaltung relativer Gesundheit, zumindest aber der Lebenserhaltung. Die Ambivalenz dieser Sorge bringt ein von Jessen verfasstes Memo treffend auf den Punkt. Als eine allgemeine Aufgabe des oder der „Physician“ in einer geplanten geheimen Verhöreinrichtung wird dort benannt: „Maintain subject in ‚good health‘“ (DoD 2002b). Die zynisch anmutenden Anführungszeichen distanzieren die Anweisung von dem Ausdruck „good health“ als Zielvorgabe und verweisen so auf die Relativität der zu erhaltenden Gesundheit.Footnote 5 Den Gefolterten sollte es freilich nicht gut gehen, sie sollten aber nichtsdestotrotz in einem gewissen gesunden Zustand gehalten werden.Footnote 6 Dabei konnte es durchaus zu Spannungen zwischen medizinischen und verhörtechnischen Rationalitäten kommen, wobei dem medizinischen Monitoring eine Kontrollfunktion zukam (s.a. Abschnitt 8.4).

Anders als die guards war das medizinische Personal daher nicht dem Verhörpersonal hierarchisch unter-, sondern zur Seite gestellt (s. bspw. Lahmar 2010). Die Sorge um die gefolterten Körper war dadurch in die Folter eingebunden, dass sie die ‚Folterbarkeit‘Footnote 7 der Körper aufrecht erhielt, wiederherstellte oder legitimierend feststellte. In Guantánamo fand die Behandlung von Gefangenen gewöhnlich in einem speziellen räumlichen Bereich (Klinik) statt und das dortige Personal war nicht immer explizit über die Folterpraktiken im Gefängnisalltag und Verhören informiert (Shimkus 2011b). Solche Behandlungssituationen waren prinzipiell von Foltersituationen raumzeitlich getrennt, obgleich mit ihnen verkettet, indem die relative Heilung von – häufig durch Folter verursachten – Verletzungen zukünftige Folter ermöglichte. In CIA-Blacksites waren Ärzt:innen stärker in die Folter im Kontext von Verhörsituationen eingebunden; etwa, indem sie das Monitoring aus einem Nachbarraum (Control Room), vermittelt von Kameras, durchführten und so durch einseitige Sichtbarkeit an der Situation teilnahmen (s. Abschnitt 14.6). Teilweise waren sie auch mit unmittelbarer körperlicher Präsenz beteiligt. Der Überlebende Mohammed Shoroeiya berichtet beispielsweise vom Monitoring seiner Körpertemperatur durch Ärzt:innen zwischen wiederholten Waterboard-Anwendungen (Pitter 2012: 48 ff.). Um die ‚Unschädlichkeit‘ der Technik zu ‚garantieren‘, verzichteten die Folternden nicht etwa auf die Fortsetzung der Wasserfolter, sobald die Ärzt:innen die Temperatur als zu niedrig einschätzten, sondern ersetzten nur das kalte durch warmes Wasser (Pitter 2012: 50).Footnote 8

Die Nicht-Behandlung von Verletzungen oder anderen medizinischen Problemen war häufig Teil der Folter. Wie im Fall von Ahmed (s. Abschnitt 11.2) wurde die medizinische Sorge in das Belohnungs-/Strafe-System in Guantánamo integriert und somit die Nicht-Behandlung als Drohung und Machtausübung genutzt (s.a. Lahmar 2010). Darüber hinaus wurden vorhandene Verletzungen mitunter nicht nur nicht behandelt, sondern auch zur Schmerzinduktion genutzt. So musste Ben Soud auf seinem gebrochenen Bein laufen (Ben Soud/Smith 2017b: 20; für ein ähnliches Beispiel aus Abu Ghraib s. Al-Sheikh 2004: 1). Durch die Bewegung zwangen die guards Ben Soud zur Herstellung ‚selbst-induzierten‘ Schmerzes. Verhörer:innen und guards verhinderten als Gatekeeper in solchen Fällen medizinische Versorgung. Das medizinische Personal war dann nicht unmittelbar beteiligt. Es war aber insofern eingebunden, als seine Anwesenheit an den Folterorten und das Wissen der anderen Beteiligten um diese Anwesenheit die Nicht-Behandlung im Fall von Ahmed überhaupt erst als Drohung nutzbar macht; und beim Beispiel des erzwungenen Gehens zu einer Steigerung der Qualen führt (weil so die Vermeidbarkeit der Nicht-Behandlung eindeutig ist). Mitunter war es auch das medizinische Personal selbst, das Behandlungen ablehnte (CITF 2002b: 2). Schließlich kann auch das Nicht-Protokollieren von Körperwissen, das auf vergangene Folter hinweist, als Nicht-Sorge um den Körper verstanden werden. Damit beteiligte sich medizinisches Personal direkt an der Unsichtbarmachung von Foltergewalt und erhöhte damit langfristig das Leiden, da keine entsprechenden Therapien angesetzt wurden (CVT/PHR 2019: 20 f.).

Medizinisch rationalisierte Leidinduktionen fanden bei den räumlich-institutionellen Übergangsriten und Aufnahmeprozeduren in Form von den oben beschriebenen cavity searches und Entblößungen statt, die aufgrund ihrer Wiederholungen nur schwer als Sorge um den Körper verstanden werden können (s. Abschnitt 10.5). Häufig überschnitten sich aber beide Handlungsziele bei medizinischen Prozeduren. Das bedeutet, dass die Mediziner:innen mit einer Handlung sowohl den Körper versorgten als auch den Leib und das Selbst intentional in Qualen versetzten. Dies gilt für die Zwangsernährungen, vor allem für die rektal durchgeführten (s. Abschnitt 12.6). Besonders drastisch ist diese Überschneidung bei schmerzhaften und langwierigen Operationen, bei denen keine volle Anästhesie durchgeführt wurde und zugleich Verhörer:innen Befragungen durchführten (Yadel 2009a). In dieser Gleichzeitigkeit von Verhör- und Behandlungssituation arbeiteten die Mediziner:innen am unmittelbarsten mit dem Verhörpersonal zusammen. Nicht nur ist die medizinische Behandlung zugleich intentionale Schmerzinduktion, sondern das ausgelöste Leid wird ohne die mittelbare Verkettung von Situationen (wie bei cavity searches oder bei soften up-Gewalt durch guards) für Verhörziele nutzbar gemacht.Footnote 9 In anderen Fällen wie erzwungene Substitution von Medikamenten, Drogen (Denbeaux et al. 2011) oder Injektion von Impfstoffen deuteten die Gefangenen medizinische Interventionen als Gewalthandlungen. Ein intendiert-gewaltvoller Charakter solcher Handlungen ist hier zunächst nicht eindeutig. Die Deutung seitens der Gefolterten hinderte das (medizinische) Personal aber auch nicht daran, die Prozeduren gegen ihren Willen zu erzwingen, wodurch diese spätestens dann einen gewaltvollen Charakter erhalten.Footnote 10

Das Verhältnis zwischen medizinischen Praktiken und Folter lässt sich trotz der beschriebenen Varianz folgendermaßen zusammenfassen: Während die moderne US-Folter auf die leibliche Erfahrung zielt, aber den anatomischen Körper nicht zu verletzen sucht (anders als in solchen Strafliturgien, wie sie Foucault für das frühneuzeitliche Frankreich und Rejali für den vormodernen Iran beschreiben, s. Abschnitt 4.2), dies aber dennoch entgegen der emischen Foltertheorie tut, richtet sich die medizinische Sorge nur auf den Körper in Form von medizinisch messbaren Faktoren wie Temperatur und Gewicht, nicht aber auf das subjektive Empfinden des Leibes. So ist die Ambivalenz der angestrebten „‘good health’“ phänomenologisch fassbar: der Körper soll nach minimalen medizinischen Maßstäben gesund sein, nicht aber der Leib der Gefolterten. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass die Gefolterten das medizinische Personal als Teil des Folterkomplexes wahrnahmen und ihm daher misstrauten (Mustafa 2010a; s.a. CVT/PHR 2019: 16 ff.).

4 Psychologisches und psychiatrisches Personal

In Kapitel 8 habe ich bereits die Relevanz von (Militär-)Psycholog:innen in der CIA-Folter verdeutlicht. Ich möchte hier noch einmal auf psychologische und psychiatrische Expert:innenFootnote 11 im Vergleich zu Ärzt:innen (exklusive Psychiater:innen) eingehen. Sie hatten ebenfalls eine mehrdeutige Rolle und als Träger:innen psychologischen Wissens entsprechend der emischen Foltertheorie hohe Relevanz. Ihr Wissen diente sowohl der vermeintlichen ‚Effektivität‘ als auch der ‚Unschädlichkeit‘ der Folter.

Zu einem großen Teil zielte ihre Einbindung auf die ‚Effektivierung‘ von Folter, indem sie ihr Wissen über psychische Auswirkungen von SERE-Techniken und Feindmethoden (im Falle von SERE-Psycholog:innen), Konditionierung, erlernte Hilflosigkeit und andere psychologische Wissensbestände einsetzten. In diesem Sinne berieten sie entweder das Verhörpersonal über anzuwendende Techniken oder führten wie Mitchell und Jessen in CIA-Blacksites selbst gewaltsame ‚Verhöre‘ durch. In Guantánamo war es das Behavioral Science Consultation Team (BSCT), das diese Funktion erfüllte und sowohl Militärpsycholog:innen als auch -psychiater:innen einschloss. Es war explizit in die JIG eingegliedert und nicht Teil des medizinischen Personals (Joint Medical Group) (JTF-GTMO 2005a); das heißt, es war unmittelbar den Verhörzielen zugeordnet. Als seine „mission“ definiert ein internes Memorandum entsprechend: „Provide behavioral science consultation in support of JTF GTMO’s interrogation mission“ (JTF-GTMO 2002: 1). Dazu beobachtete das BSCT Verhöre aus Nachbarräumen, trainierte Verhörpersonal und beriet dieses bei der Wahl von Foltertechniken (JTF-GTMO 2002: 1). Außerdem hatte es auch die Gefangenenpopulation als solche im Blick und sollte „the entire detainee environment“ und „behavioral trends in the detainee population“ beurteilen (JTF-GTMO 2004b: 2, s.a. 2005b: 3). Da es bei solchen Praktiken stets auch um die ‚Optimierung‘ von Foltertechniken ging, hatten diese Praktiken experimentelle Anteile (Denbeaux et al. 2015) (und auch Mitchell und Jessen waren für ihre Rolle im CIA-Programm neben Folter der Experimente an Menschen angeklagt, Baker et al. 2015: 3). Zugleich fungierte das Team als Bindeglied zwischen Verhör- und medizinischem Personal, indem es medizinische Beschwerden von Gefangenen an die Ärzt:innen weiterleitete. Es durfte aber nicht selbst die (psychische) Gesundheit der Gefolterten evaluieren und Behandlungen vornehmen (JTF-GTMO 2005a: 1 f.).

Neben unmittelbar auf ‚Effektivierung‘ ausgerichteten Aufgaben, erfüllten Psycholog:innen an Folterorten des War on Terror auch Funktionen, die denen des medizinischen Personals glichen; nämlich für eine minimale (hier: psychische) Gesundheit zu sorgen. In CIA-Blacksites wurden Gefolterte auch auf ihren mentalen Gesundheitsstatus hin untersucht und überwacht, um die ‚Unschädlichkeit‘ der Foltertechniken zu ‚garantieren‘, das heißt: zu verhindern, dass die Folter bleibende psychische Schäden wie Traumatisierungen oder Persönlichkeitsveränderungen verursacht (s. Abschnitt 7.2). Teilweise vollzogen dieselben Psycholog:innen dieses psychologische Monitoring, die auch für die ‚Effektivierung‘ der Folter zuständig waren. Zwar kritisierte die medizinische Abteilung der CIA (OMS) diese duale Rolle von psychologischem Personal, dennoch blieb diese im Lauf des CIA-Programms im Wesentlichen bestehen (OMS o. J.: 27–31). Auch das BSCT beteiligte sich – obgleich es nicht selbst Diagnosen anstellen durfte – an der Feststellung der ‚Folterbarkeit‘ (hier erneut bezogen auf die psychische und nicht physische Gesundheit) (JTF-GTMO 2005a: 1 f.). Psycholog:innen lassen sich daher tendenziell zwischen dem Verhör- und medizinischen Personal verorten. Waren sie nicht wie Mitchell und Jessen auch unmittelbar als ‚Verhörer:innen‘ tätig, beteiligten sie sich nicht an den Foltersituationen mit körperlicher Kopräsenz, beeinflussten deren Verlauf aber erheblich durch ihre Planung und Beratung unter Einsatz ihres speziellen Wissens, das sie zum Teil auch durch direkte Beobachtung der Folter experimentell produzierten.

5 Dolmetscher:innen und linguistische Differenzen

An den Orten des US-Folterkomplexes sprachen die Anwesenden unterschiedliche Sprachen und konnten sich nicht immer verbal verständigen. Die linguistischen Grenzen verliefen häufig zwischen englischsprachigem Personal und arabischsprachigen Insassen (z. B. in Abu Ghraib und zumeist in CIA-Blacksites). Da die Insassen in Guantánamo aus global verteilten Herkunftsländern ‚kamen‘ (genauer: mittels der oben beschriebenen Transportflüge verschleppt wurden, s. Abschnitt 10.4), gab es dort zudem erhebliche sprachliche Unterschiede innerhalb der Gefangenenpopulation. Insbesondere gab es paschtunische, aber auch englische – wie die Tipton Three –, uigurische, urdu und andere Muttersprachler.

Die Sprachbarriere zwischen Personal und Insassen versuchten die Folternden durch den Einsatz von Dolmetscher:innen zu überwinden, um verbale Interaktionen in Verhören, aber auch im Gefängnisalltag und bei medizinischen Behandlungen (DoD 2002b: 6; JTF-GTMO 2004a: 16.4, 24.2) zu ermöglichen. Im Irak waren Dolmetscher:innen häufig private contractors des Sicherheitsunternehmens Titan (Provance 2006: 3). Auch in Guantánamo wurden zivile Dolmetscher:innen eingesetzt (CITF 2002b: 1). Außerhalb von Verhören dienten mitunter mehrsprachige Gefangene als Übersetzer (Slahi 2017: 16, 312). In den organisationalen Vorgaben sind die Dolmetscher:innen den Verhörer:innen hierarchisch unterstellt: „[Interpreter] takes subordinate role“ (Jessen o. J.b: 8) und „Interrogator controls the Interpreter“ (Jessen o. J.b: 7) heißt es in der bereits zitierten Präsentation für Verhörpersonal in Guantánamo. Während der Verhörinteraktionen sollen Dolmetscher:innen weitestgehend unsichtbar gemacht werden: sowohl buchstäblich durch die räumliche Positionierung hinter den Verhörten (Jessen o. J.b: 6), als auch im übertragenen Sinn, indem sie bei Beibehaltung der (grammatikalischen) ersten Person möglichst wörtlich dolmetschen und dabei „tone of voice, behavior, emotions, inflections, and attitude“ (Jessen o. J.b: 9) des Verhörpersonals spiegeln sollen – ohne eigene Meinungen zu äußern. Das in der emischen Foltertheorie angestrebte Ideal einer asymmetrischen dyadischen Beziehung wird hier also – trotz der unvermeidlichen Triade – soweit wie möglich verfolgt. Die Vorgaben entsprechen auch wesentlich denen des Verhörmanuals der US-Army (DoA 1992: 3–29). Darüber hinaus zeigen sie die für das Dolmetschen allgemein typische „Postbotenfiktion“ (Scheffer 1997: 165), nach der die übersetzende Person unversehrte Nachrichten (ähnlich einem Brief) zwischen „Absender und Adressaten“ austauscht. In diesem Fall betreffen die Nachrichten nicht nur den lexikalischen Sinn des Gesprochenen, sondern auch parasprachliche Elemente wie Tonfall.

Die angestrebte Neutralisierung der übersetzenden Person findet sich in Berichten von Verhörsituationen nicht wieder. Teilweise beteiligte sich das Translationspersonal an der physischen Gewalt (Burke et al. 2008b: 9; Alsharoni 2004: 1) oder interagierte selbstständig mit Verhörer:innen und Verhörten. „‘Let’s just send this guy home’“ rät beispielsweise ein Dolmetscher laut Eric Fair (2016: 100) dem Verhörer in einem Verhör in Abu Ghraib. Slahi (2017: 65 f.) wiederum berichtet von einem – für die zwei anwesenden Verhörer unverständlichen – Dialog mit einem ägyptischen Dolmetscher, in dem letzterer Slahi eigenständig zur ‚Kooperation‘ überreden will. Slahi kritisiert ihn daraufhin unter Bezugnahme auf seine islamische Religiosität für seine Beteiligung am US-Folterkomplex. Vor allem aber führten Verständigungsschwierigkeiten bei der Übersetzungstätigkeit zu Abweichungen von den organisationalen Vorgaben und der ‚Postbotenfiktion‘. Häufig sprachen Dolmetscher:innen nicht denselben arabischen Dialekt wie die Gefolterten oder ihr Englisch war für das Verhörpersonal schwer verständlich.Footnote 12

Die Übersetzungsschwierigkeiten waren nicht nur für die Folternden und ihre Organisation ein Problem, sondern auch für nicht-englischsprachige Insassen, welche häufig während ihrer Gefangenschaft begannen Englisch zu lernen, um sich in Verhören selbstständig verteidigen, gegen falsche Übersetzungen wehren oder guards bei Gesprächen belauschen zu können (Kurnaz/Kuhn 2017: 153; Slahi 2017: 220; Rasul et al. 2004: 48). Die Tipton Three beschreiben ihre Englischkenntnisse auch als Vorteil, denn sie ermöglichten ihnen Gespräche mit guards im Gefängnisalltag, die aufgrund der gemeinsamen Sprache teilweise Sympathie für die Gefangenen entwickelten (Rasul 2009c). Gefangene lernten aber auch weitere Sprachen wie Arabisch voneinander und minderten so die linguistischen Differenzen zwischen ihnen (Rasul et al. 2004: 62). „Und das hatte sehr wohl einen Nutzen in Guantánamo“ betont Kurnaz (2017: 153). Schließlich war die Kommunikation zwischen Gefangenen ein wichtiger Quell von Widerständigkeit (s. Abschnitt 12.4). Gleichzeitig versuchten die Folternden auch sprachliche Differenzen als Teil der Leidinduktion zu nutzen und eben jene Kommunikation zu erschweren: Sie verlegten in Guantánamo gezielt redselige Gefangene oder solche, die sie für einflussreich innerhalb der Insassengruppe hielten, in Zellen, deren Nachbarinsassen andere Sprachen sprachen (DoJ 2009a: 228; Rasul et al. 2004: 47). Die räumliche Strukturierung des Lagers wurde hier also mit dem Ziel der linguistischen und damit sozialen Isolierung angepasst.

Die sprachlich bedingten Verständigungsschwierigkeiten zwischen Personal und Insassen in den Folterorten des War on Terror stellten für beide Seiten ein Problem dar, dem erstere durch Übersetzungspersonal und letztere durch Spracherwerb zu begegnen suchten. Die Einbindung von Dolmetscher:innen bei Verhörsituationen bestätigt dabei erneut die Relevanz der verbalen Befragung und intelligence-Produktion als ein – zumindest zeitweise relevantes – organisationales Ziel der Folter. Die linguistische Isolierung seitens der Folternden reiht sich zudem ein in die zahlreichen Praktiken des auf Kontrolle und Leidinduktion hin organisierten Gefängnisalltags. Vor diesem Hintergrund sind die Versuche der Insassen durch das Erlernen von Sprachen die Sprachbarrieren zwischen ihnen zu überwinden, um gegenseitige Kommunikation zu ermöglichen, auch als Teil der widerständigen Praktiken zu verstehen.

6 Situative Sichtbarkeiten und Dritte

Die triadische Struktur von Gewalt wird in gewaltsoziologischer Literatur ausdrücklich betont (s. insbesondere Nedelmann 1997: 66 f.; Reemtsma 2013: 467–488; Lindemann 2014: 253–276, 2018: 67 f.). Auch für Folter als spezifisches Gewaltphänomen heben Sozial- und Kulturwissenschaftler:innen die Relevanz von dem oder den Dritten hervor. Dritte spielen hier besonders als direkte Zuschauer:innen und als die über Medialisierung hergestellte Öffentlichkeit eine zentrale Rolle, wobei der Aspekt der Unsichtbarkeit beziehungsweise Sichtbarkeit, insbesondere als intendiertes Verschleiern und Zeigen von Gewalt und verletzten Körpern, im Vordergrund steht. Für Reemtsma handelt es sich bei moderner Folter daher um einen kommunikativen Akt, weil sie, auch wenn sie in unsichtbaren Orten stattfindet, als offenes Geheimnis praktiziert wird, indem wie in Argentinien das Verschwindenlassen der zu folternden Menschen öffentlich inszeniert wurde. So kommuniziert der Folterkomplex mit seiner Gewalt an Dritte eine allgemeine Drohung: „Immer wird einer kleinen Minderheit extreme Gewalt angetan, um eine Mehrheit in Angst und Schrecken zu halten“ (Reemtsma 2013: 472). Letztlich ist es also die gesamte Bevölkerung, die durch Foltergewalt kommunikativ einbezogen wird. In ähnlicher Weise argumentieren auch Reinhold Görling (2012: 66 f.), Diane Taylor (1997: 129) (für den Fall Argentinien) und Budi Hernawan (2016) (für den Fall Papua). Solche Folter als Staatsterror oder allgemeiner im Sinne des „civil disciplinary models“ (Rejali 2009: 55) richtet sich vor allem auf ‚innere Feinde‘. Für die Folter des War on Terror verhält sich dies anders, da sie sich vor allem gegen ‚äußere‘ verstandene Feinde (islamistische Terroristen) richtet. Dennoch kann die Institution Guantánamo und die dortige Gewalt als ähnliche Kommunikation an Dritte verstanden werden (nämlich insbesondere als symbolische Rache, Strafspektakel und Machtdemonstration, s. z. B. Hickman 2013). Denn anders als bei den CIA-Blacksites präsentierte die US-Regierung das Gefangenenlager bereits bei seiner Eröffnung der globalen Öffentlichkeit und zeigte einen Teil der dort stattfindenden Gewalt (Van Veeren 2011). Wie in Abschnitt 4.5 schon erläutert, können mit Neal (2007) und Gardell (2008) die berühmten Bilder von den gefesselten sowie von optischen und akustischen Reizen abgeschirmten Körpern in orangenen Uniformen in Anschluss an Foucault als Darstellung globaler Souveränitätsmacht verstanden werden.

Bei einer Analyse der Foltersituationen und ihrer Verknüpfungen, wie ich sie an dieser Stelle verfolge, sind die beiden miteinander verzahnten Aspekte Dritte und Sichtbarkeit auch noch in weiteren Hinsichten relevant. Zunächst ist Sichtbarkeit selbst Teil der Leidinduktionen (s.a. Köthe 2019: 3). Dies wird besonders deutlich bei den wiederkehrenden Situationen erzwungener Nacktheit, wie ich sie in Bezug auf die Aufnahmeprozeduren diskutiert habe und die oft Ausgangspunkt für weitere Verletzungen des Selbst waren (s. Abschnitt 10.3). Es ist gerade die ungeschützte Sichtbarkeit des Körpers und insbesondere der Genitalien, die das schamhafte Angesehen-Werden produziert (und das durch ‚weibliche Augen‘ noch verstärkt werden sollte; s. Abschnitt 13.2). Demgegenüber stand häufig eine Unsichtbarmachung der Folternden, indem den nackten Gefangenen Kapuzen über den Kopf gezogen wurden oder Verhörer:innen, wie in CIA-Blacksites üblich, sich hinter schwarzen Uniformen, Mützen und Skimasken verbargen. Guards überklebten mitunter ihre Namensschilder mit Tape (s. z. B. Anonym 2004b: 1) und machten ihre – wenn auch nicht Körper oder Gesichter – individuelle und personenbezogene Identifizierung unsichtbar. Der Machtgegensatz zwischen Folternden und Gefolterten war also auch einer zwischen Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit. Grelles Licht, das die Folternden in Verhören auf die (entblößten) Gefangenen richteten (s. z. B. die Zeugenaussage von Salim, Salim/Smith 2017: 157 f., 166), ist hier exemplarisch, denn einerseits verstärkt und inszeniert es die Sichtbarkeit des Gefolterten, und andererseits blendet es ihn zugleich, sodass die Folternden für ihn unsichtbar werden. Das schamhafte Angesehen-Werden konnte außerdem durch dritte Augen verstärkt werden. Das gilt zum einen für Kameras, die in den raumzeitlichen Übergängen und bei degradierenden Inszenierungen die nackten Körper ablichteten, und deren Sichtbarkeit über die spezifische Situation hinaus erweiterten (s.a. Abschnitt 10.3, 13.2 & 14.2). Abu Zubaydah (2019: 79) wurde während seiner Gefangenschaft in einer CIA-Blacksite sogar durchgehend von einer installierten Kamera gefilmt, die ihn verfolgte. Die Geräusche der sich bewegenden Kamera, die ihm die Beobachtung immer wieder ins Bewusstsein rückte, ließ ihn bei Toilettengängen verkrampfen und er entwickelte (u. a.)Footnote 13 daher eine langanhaltende und schmerzhafte Verstopfung. Die ständige Sichtbarkeit produzierte in diesem Fall also somatische Leiden.

Trotz der tendenziellen „Scheidung des Paares Sehen/Gesehenwerden“ (Foucault 2015: 259) bilden die Folterorte kein Panoptikum. Denn auch Mitgefangene waren beobachtende Dritte. Insbesondere in der hard site in Abu Ghraib wurden Entblößungen sowie degradierende und sexualisierte Inszenierungen, die mit Gewalt(-androhung) von guards erzwungen wurden, systematisch vor den Augen anderer Insass:innen vollzogen (s. bspw. DoA 2004a: 108; Al-Aboodi 2004: 1); in einem Fall sogar vor einem direkten Familienangehörigen (Juma 2004: 1). Die beobachtenden Mitgefangenen wurden so zu unfreiwilligen Helfer:innen der Folter. Gleichzeitig ist die Sichtbarkeit von Gewalt im Gefängnisalltag auch als kommunikativer Akt an Dritte zu verstehen. Allerdings sind die kommunikativ Einbezogenen nicht Abwesende und eine Öffentlichkeit wie bei Reemtsma, sondern eben jene beobachtenden Mitgefangenen, auf die sich die vollzogene Gewalt zugleich als Drohung richtet. Den in Abschnitt 11.3 diskutierten gewaltvollen IRF-Einsatz im Camp X-Ray beispielsweise deutete Brahim Yadel (2009b) auch als „making an example“. Die Sichtbarkeit der gefangenen Körper, welche die Käfige in Camp X-Ray und in Bagram herstellten, war zudem auch Voraussetzung für die Durchsetzung der strikten Verhaltensregeln, wie diese in Kurnaz‘ Zitat in Abschnitt 11.4 exemplarisch beschrieben werden. Jedoch war sie, wie allgemein die gegenseitige Wahrnehmbarkeit von Gefolterten, gleichzeitig eine der wenigen Ressourcen der Insassen zur Entwicklung von Widerständigkeiten.

Kameras repräsentieren in besonderem Maße das Dritte und wurden häufig von Folternden eingesetzt, teils als ‚Folterinstrumente‘. Die mit ihnen technisch hergestellte Sichtbarkeit zielte aber gewöhnlich nicht auf die Öffentlichkeit. Dies zeigt sich in dem Vernichten von Filmmaterial durch die CIA (SSCI 2014: 443). Auch die für mediale Diskurse folgenreichen Bilder aus Abu Ghraib waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, sondern sind zunächst durch Leaks publik geworden. Allerdings waren sie durchaus auf die potentielle Sichtbarkeit für abwesende Dritte ausgerichtet. Denn sie sollten für instrumentelle Machtausübung nutzbar gemacht werden, indem die abgelichteten Gefolterten damit bedroht werden sollten, die schambesetzten Bilder Familienangehörigen zu zeigen (Hersh 2004). Vor allem aber dienten Kameras der Verbindung von Situationen durch Sichtbarmachung innerhalb des Folterkomplexes. Insbesondere Verhöre und die dabei stattfindende Folter wurden in CIA-Blacksites und in Guantánamo durch festinstallierte Kameras oder einseitig verspiegelte Fenster in control bzw. observation rooms übertragen. Dort beobachteten andere Verhörer:innen, Analyst:innen, Psycholog:innen und Ärzt:innen das Geschehen, ohne dass die Beobachtung vom Verhörraum aus sichtbar war. Den Verhörten war die Überwachung aus Nachbarräumen, also die Sichtbarkeit für Dritte, nichtsdestotrotz häufig bewusst (Rasul et al. 2004: 51; Kurnaz/Kuhn 2017: 163; Slahi 2017: 228). Auch Einsätze von IRF-Teams wurden stets gefilmt. Auch hier zeigt sich, dass Kameras als technische Artefakte keineswegs neutral waren, sondern als Teil der Organisation agierten, indem sie zu der organisationalen Festschreibung von Situationsdefinitionen beitrugen. Der ehemalige guard Christopher Arendt (2011) berichtet beispielsweise davon, angewiesen worden zu sein, bei extremen Gewaltanwendungen des Teams („if it gets crazy“) diese nicht zu filmen und die Kamera allgemein so zu halten, dass die Situation aus dem Blick der Kamera „forgiving“ bezüglich der Handlungen der guards erscheine. Auch Adayfi (2021: 91) schreibt, dass guards bei IRF-Einsätzen sich kurzzeitig bewusst vor die Kamera stellten – also die Sichtbarkeit gezielt einschränkten – und Sätze wie „Don’t resist!“ riefen, um die folgende Gewalt als Reaktion auf Gehorsamsverweigerung und Widerständigkeit zu legitimieren. Dieser Umgang mit Kameras verweist nicht zuletzt auf eine normative Ordnung innerhalb der Folterorte, in der bestimmte Gewalt selbst dort als weniger legitim erschien als andere und daher auch vor den Augen anderer organisationaler Mitglieder verborgen wurde. Ein anderes Beispiel hierfür findet sich in dem Bericht des Justizministerums (DoJ 2009a: 218), den ich bereits in Abschnitt 11.1 zitiert habe. Ein FBI-Agent berichtete, dass er aus einem observation room heraus beobachtete, wie ein Gefangener in einen Verhörraum gebracht wurde. Anschließend befestigte ein guard auf Befehl einer MI mit Tape einen Vorhang an den durchsichtigen Spiegel und schränkte so die – organisational vorgesehene und durch die räumlich-materielle Struktur hergestellte – Sichtbarkeit ein, bevor die Verhörerin die Folterung begann.

Die verschiedenen Formen von situativer Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sind wichtiger Bestandteil der Foltersituationen. Sie werden hergestellt durch die sich ändernden Arrangements anderer situativer Elemente wie insbesondere räumlich-materielle Strukturen, (technische) Artefakte und menschliche Körper. Die Dynamik von Zeigen und Verbergen findet sich dabei auch innerhalb der Folterorte und nicht nur als Kommunikation an abwesende Dritte im Sinne einer Öffentlichkeit außerhalb dieser Orte. Zugleich können abwesende Dritte – gleichsam in umgekehrter Richtung – durch kommunikative Akte in die Foltersituationen einbezogen und so zu relevanten Situationselementen werden. Das gilt beispielsweise für andere ‚Terrorverdächtige‘, welche die ‚Befragten‘ belasten sollen, oder für Familienangehörige, die durch die Androhung gegen sie Gewalt anzuwenden als Verletzlichkeiten nutzbar gemacht werden. Auch kann Gott durch Gebete und Anrufen als Dritter kommunikativ einbezogen und unter Umständen als präsent erfahren werden. Solche unterschiedlichen Formen von „extralokale[n] Verstrickungen“ (Hoebel 2019: 60) sind für den Verlauf von Foltersituationen relevant.

Die je spezifische Konstellation von Elementen konstituiert Foltersituationen, indem sie intentional auf das Herstellen von subjektiven Erfahrungen von pain and suffering bei Gefangenen ausgerichtet sind. Diese Konstellierung geschieht nicht nur situativ, sondern ist organisational und planvoll erzeugt sowie transsituativ in die materiellen, räumlichen und zeitlichen Strukturen der Gefangenschaft eingeschrieben. Zugleich sind die Situationselemente in dieser Hinsicht nicht absolut, sondern lassen unter Umständen kleine Spielräume für die Gefolterten, sie in ihrem Sinne nutzen zu können; freilich ohne die extreme Machtdifferenz ernstlich zu gefährden. Trotz der Komplexität und Heterogenität von Foltersituationen bleiben, insofern das subjektive – leiblich-psychische – Erfahren der zu Gefolterten gewordenen Menschen ausschlaggebend ist, deren Körper im Zentrum der Situationen; einerseits analytisch, da sie nur so als Foltersituationen methodisch greifbar werden; andererseits auch empirisch, denn auf diese Körper mit ihrem appräsentierten Leib und Selbst richten sich die Elemente, welche entsprechend von folternden Akteuren (individuelle oder kollektive) planvoll ausgerichtet werden.