Einen Aspekt der Folter im War on Terror habe ich bisher nur mit wenigen Bemerkungen behandelt: die Adressierung und Herstellung von Andersartigkeit der Gefolterten. Wie insbesondere in Abschnitt 5.1 und 8.1 deutlich wurde, markierten die Bush-Administration und die CIA Individuen als Zu-Folternde, indem sie diese – unter anderem rechtlich – als High Value Detainees und Unlawful Combatants kategorisierten. Diese diskursive Feindkonstruktion besteht aus fünf miteinander verbundenen Zuschreibungen: Erstens die Mitgliedschaft oder Assoziation mit Al-Qaida und damit notwendigerweise verbunden: zweitens besondere Gefährlichkeit und ein zugeschriebenes anti-amerikanisches Feindbild („desire to kill americans“; Bybee 2002: 7); drittens geheimdienstlich relevantes Wissen (z. B. über Anschlagspläne oder Feindnetzwerke), das im Sinne der intelligence-Produktion durch erzwungene Verbalisierung nutzbar gemacht werden kann; viertens besondere Widerstandsfähigkeiten gegenüber ‚Verhörtechniken‘, vor allem als durch Training inkorporierte Wissensbestände; sowie schließlich fünftens die mit diesen Feindeigenschaften und dem Ausnahmezustand begründete Unwürdigkeit, als Subjekt des internationalen humanitären Rechts (Genfer Konventionen) zu gelten.

Zugesprochene kulturelle Eigenschaften dieser außergewöhnlichen Feinde finden sich in der CIA-Foltertheorie nur an wenigen Stellen. So bemerkt ein CIA-cable (s.a. Abschnitt 8.1): „His [Abu Zubaydahs] faith is a critical sustaining factor in his continuing intellectual and emotional well being“ (CIA 2003a: 1), und Jessen sagt als Angeklagter im Verfahren Salim v. Mitchell (s. Einleitung zu Kapitel 2): „[T]hese men were like Jedi knights. […] They had the faith that most people of faith wish they had“ (Jessen et al. 2017: 125).Footnote 1 In beiden Fällen ist das Muslim-Sein der Feinde deshalb relevant, weil es ihnen einen starken Glauben („faith“) bereitstellt, den sie als mentale Stärke gegen die ‚Verhörtechniken‘ nutzen können und der nicht als spezifisch islamisch beschrieben wird.Footnote 2 Der einzige ethnische Verweis in den analysierten theoretisierenden CIA-Dokumenten zielt in dieselbe Richtung: Ein von Mitchell und Jessen verfasster „Interrogation Plan“ sieht bezüglich des Verhörtrainings vor:

It [training] would include a review of […] the influence of Arab culture on the employment of resistance techniques (CIA o. J.b: 6).

Hier ist es nicht der (islamische) Glaube, sondern eine nicht näher bestimmte ‚arabische Kultur‘, die Einfluss auf die ‚feindlichen‘ Widerstandfähigkeiten hat und mit der man sich daher vertraut machen müsse. In allen drei Beispielen ist das kulturelle Othering Teil des dritten Aspekts der Feindkonstruktion (besondere Widerstandsfähigkeiten); und dort hat es explizit eine untergeordnete Rolle.Footnote 3 Die hier umrissene fünfteilige Feindkonstruktion ist als diskursives Othering den Foltersituationen tendenziell vorgelagert, indem sie die Gefangenen als außergewöhnliche Feinde markiert und die Folter (d. h. die Anwendung der enhanced interrogation techniques) legitimiert. Welche Verweise auf Andersartigkeiten zeigen sich aber in der Gewalt selbst und wie werden sie durch situative Elemente hergestellt?

Grundsätzlich lassen sich zwei Richtungen des Otherings in Foltersituationen unterscheiden. Zum einen adressiert die Gewalt Verletzungsoffenheiten auf Basis zugesprochener Spezifika muslimischer (teils arabischer) Männer, was an wenigen Stellen in militärinternen Handlungsentwürfen bereits angelegt ist (s. Abschnitt 9.3). Hier wird also das Wissen über vermeintliche kulturell-geschlechtliche Eigenarten der Feinde zu einem Mittel zur ‚Effektivierung‘ der Leidinduktion gewendet. Zum anderen stellt die Foltergewalt in ihrem Vollzug Andersartigkeiten der Unterworfenen her und dar. Die beiden Aspekte sind jedoch nicht getrennt voneinander zu sehen und können bei Folterpraktiken zusammenfallen, wie Judith Butler (2008: 16) betont. Ihre Betrachtung rückt unweigerlich den inszenatorisch-performativen und rituellen Charakter von Folter in den Vordergrund, der in der fallbezogenen Literatur vor allem anhand der geleakten Fotographien aus Abu Ghraib (z. B. Butler 2008; Spens 2014; Binder 2013: 291–346) und des ebenfalls geleakten Protokolls von al-Qahtanis Folterung in Guantánamo diskutiert wurde (JTF-GTMO o. J.; s. z. B. Danchev 2006; Mann 2012; Hilbrand 2015: 196–201). Es ist kein Zufall, dass diese Zeugnisse erstens aus militärisch kontrollierten Folterorten stammen und zweitens unautorisiert veröffentlicht wurden. Denn der Aspekt kulturell-geschlechtlichen Otherings spielte in der CIA-Folter (nicht nur in den organisationalen Dokumenten, sondern auch in der Folterpraxis) eine geringere Rolle und wurde generell von der US-Regierung sowie den beteiligten Organisationen stärker versucht zu verschleiern als die auf universal-psychologischen Annahmen ruhenden Foltertechniken.

1 Religiöse und national-ethnische Differenzierung

Die offensichtlichste Adressierung zugeschriebener kollektiver, kultureller Verletzlichkeiten findet sich in den Deprivationen von islamischen Artefakten und Ritualen. Das betrifft zum einen den Entzug des Korans und anderer religiöser Objekte wie Gebetsmatten. Der Koran war als comfort item explizit in das konditionierende und disziplinierende Entzugs- beziehungsweise Privilegiensystem in Guantánamo integriert (JTF-GTMO 2004a: 4.3). Auch in CIA-Blacksites machten Verhörer:innen den Zugang zu religiösen Artefakten und die Erlaubnis zum Salāt mitunter von ‚Kooperationsbereitschaft‘ abhängig (SSCI 2014: 62; ICRC 2007: 20). Die Religiosität der Gefangenen wurde also mitunter auch hier als Verletzungsoffenheit gewendet, um sie zur Herstellung von Leid und zur instrumentellen Machtausübung über eine Konditionierungslogik brauchbar zu machen, wenngleich nicht in standardisierter und formalisierter Form wie in Guantánamo. Daneben behandelten guards in Camp X-Ray den Koran häufig mit „disrespect“ (Slahi 2017: 58), was Auslöser des ersten kollektiven Hungerstreiks in Guantánamo war (s. Abschnitt 12.5). Das Auf-den-Boden- und Ins-Klo-Werfen sowie Treten des Korans (Rasul et al. 2004: 34, 51; Al Darbi 2009: 8; Slahi 2017: 213) ist weniger Entzug durch physische Abwesenheit oder Schmerz und Scham erzeugende Gewalt gegen die Körper der Gefangenen, sondern verunreinigende, ‚profanisierende Gewalt‘ gegen ein heiliges Objekt („the Holy Koran“, Slahi 2017: 58). Die Leibkörper der Gefangenen sind dabei aber insofern zentral, als dass die Leidproduktion auf die optische Wahrnehmung dieser performativen Gewalt angewiesen ist.

Anders als physikalische Objekte sind religiöse Praktiken nicht unmittelbar deprivierbar oder ‚verletzbar‘: Sie sind in der agency der Gefolterten verortet. Daher ist den Folternden die Einflussnahme auf diese Praktiken nur indirekt möglich. Vom ersten Fastenmonat Ramadan (in dem Muslim:innen nur nach Sonnenuntergang bzw. vor Sonnenaufgang essen und trinken) in Camp X-Ray berichten die Tipton Three beispielsweise, dass sie genau in dem Zeitraum dieses Monats deutlich weniger zu essen bekamen als üblich (Rasul et al. 2004: 119). Sie deuten dies naheliegenderweise als den Versuch, sie zum Fastenbrechen zu bewegen. Eine graduelle Nahrungsdeprivation zielt in diesem Fall auf die Stärkung von Hunger, um die Unterlassung von religiöser Praxis zu erreichen. In Bezug auf den Salāt ist schon in Abschnitt 12.3 klar geworden, dass es an den Folterorten des War on Terror neben expliziten Verboten zahlreiche Hindernisse bei dessen angemessener Durchführung gab, ebenso wie Versuche, diese Durchführung zu stören und zu unterbrechen. Bei Praktiken wie Fesselungen und dem Entzug von Kleidung, Hygieneobjekten (Wasser, Seife) oder Wissen über Uhrzeiten und Himmelsrichtungen ist zwar nicht gesagt, dass sie intentional auf das Beten der Gefangenen gerichtet waren. Schließlich gehören Immobilisierungen, erzwungene Nacktheit, Hygienedeprivation sowie raumzeitliche Desorientierung unabhängig von kulturellem Othering zum Repertoire der Foltertechniken. Dessen ungeachtet verstärkte die Gebet erschwerende oder verhindernde Wirkung solcher Techniken das erfahrene Leid. Teilweise ist diese Intention aber unmittelbar im Hergang der Situation erkennbar.

It [a prepared room] was freezing cold and full of pictures showing the glories of the U.S.: weapons arsenals, planes, and pictures of George Bush. ‘Don’t pray! You’ll insult my country if you pray during my national anthem. We’re the greatest country in the free world, and we have the smartest president in the world,’ he said. For the whole night I had to listen to the U.S. anthem (Slahi 2017: 243).

Hier berichtet Slahi erneut von der Durchführung ‚seines‘ Special Interrogation Plans in Guantánamo. An dieser Stelle übernahm der stets maskiert auftretende Verhörer „Mr. X“ die Leitung des Verhörs. Der Verhörraum war nicht nur extrem gekühlt worden („freezing cold“) – das heißt: technisch auf leibliches Erfahren von Frieren ausgerichtet –, sondern in ihm waren Bilder von Symbolen der USA und ihrer politisch-militärischen Stärke („weapons arsenals, planes, and pictures of George Bush“) drapiert. Diese Vorbereitung des Raums mit für die Inhalte der ‚Befragungen‘ irrelevanten Bildern (also anders als Bilder von abwesenden Terrorverdächtigen, s. Abschnitt 12.1) als ‚Bühne‘ lässt keinen Zweifel an dem theatralen Charakter dieses Verhörplans. Die ‚US-Amerikanisierung‘ des Verhörraums komplettiert das wiederholte AbspielenFootnote 4 der US-Hymne. Diese akustisch-materiell-semiotische Transformation des Raums nutzt Mr. X für ein Othering, das konkreter nicht sein könnte: Er setzt durch Sprechakte seine national-ethnische („country“) Identität („my“, „We“) in fundamentalen Gegensatz zur islamischen Religiosität Slahis („if you pray“). Indem er sein Verbot des Betens mit der drohenden Beleidigung seiner Nation aufgrund des Erklingens der US-Hymne begründet („insult my country“), konstruiert er ethnisch-nationale Reinheitsvorstellungen, die er gegen Slahis Bedürfnis zur religiösen Praxis in Stellung bringt: Das Beten ist in dem ‚US-amerikanisierten‘ Raum gleichsam „out of place“, um Mary Douglas‘ (1966: 35) einflussreiches Werk „Purity and Danger“ zu zitieren, und daher eine gefährdende Verunreinigung. In der grotesken Inszenierung geht es also offensichtlich nicht nur um die Verletzung Slahis entlang seiner Religiosität, sondern zugleich um die Herstellung von Andersartigkeit Slahis als Muslim und daraus folgend als ‚Anti-Amerikaner‘. Indem Mr. X die beiden kollektiven Identitäten (USA vs. Islam) in Opposition stellt, werden zudem Muslime im Allgemeinen Adressat:innen der Folter und als kollektives Subjekt situativ hergestellt. Ein Aspekt, der häufig für moderne Folter als typisch bezeichnet wird (s. Abschnitt 3.5), dass diese sich nämlich nicht bloß auf den individuellen gefolterten Körper richtet, sondern immer auch auf eine „‚gemeinte‘ Gruppe“ (Reemtsma 1991b: 18), tritt hier deutlich hervor.

Auch im Gefängnisalltag im frühen Camp X-Ray spielte Personal der JTF-GTMO über Lautsprecher die US-amerikanische Nationalhymne während des Salāt, um das gemeinsame Beten der Insassen zu stören oder zu verhindern, wie Kurnaz zu berichten weiß (Kurnaz/Kuhn 2017: 93 f.). Dieser musikalische Verweis auf die ‚eigene‘ nationale Zugehörigkeit stellt durch sein Timing erneut einen Gegensatz zum islamischen Gebet und damit eine religiös-kulturelle Andersartigkeit der Gefangenen her. In diesem Fall aber ist es ‚das US-amerikanische‘ situative Element, welches eine verunreinigende Gefahr für ‚das islamische‘ Element darstellt und daher als ‚Waffe‘ gegen das religiöse Ritual gerichtet werden kann. Ein weiteres Beispiel für eine ausgeprägte Inszenierung in Bezug auf das Beten bietet das Verhörprotokoll al-Qahtanis:

Detainee asked to pray. Interrogators told him he could pray after he wrote down the location and point of contact for where he got his visa. Detainee complied and was taken to another interrogation booth where a bin Laden shrine was constructed. Detainee was told he could now pray to his god – UBL. Detainee was apprehensive and started to walk out of booth. Detainee was not allowed to leave and interrogator played the call to prayer. Detainee began to pray and openly cried (JTF-GTMO o. J.: 47).

Zunächst zeigt dieses Zitat die Nutzbarmachung des Verbots zu Beten als instrumentelle Machtausübung: al-Qahtani muss erst ‚kooperativ“ („complied“) sein – das heißt hier, Informationen über seine Visumsbeschaffung preisgeben –, bevor er beten darf. Dazu wird er in einen zweiten Verhörraum („interrogation booth“) gebracht. Ihm wird dort aber nicht gestattet zu beten; jedenfalls nicht so, wie er es intendierte. Denn der zweite Raum ist wie im Beispiel Slahis bühnenartig vorbereitet. Er beherbergt einen eigens angefertigten „bin Laden shrine“, der weder in dem zitierten Dokument noch an anderer Stelle näher beschrieben wird. Es ist aber davon auszugehen, dass er zumindest eine Fotographie von Osama bin Laden beinhaltete. Ansonsten wäre er wohl kaum als „bin Laden shrine“ erkennbar gewesen. In dem Zwang, zu diesem ‚Schrein‘ und damit zu bin Laden als „his god“ zu beten, wird al-Qahtani entlang seiner Religiosität oder auch allgemeiner seiner „identitätsstiftende[n] Werte“ (Nungesser 2019: 388) angegriffen, denn er soll nicht zu Gott beten, sondern zu einem Menschen. Das Ritual des Gebets wird so ‚pervertiert‘. In Anschluss an Douglas (1966) kann auch dies als eine Verunreinigung verstanden werden, weil die wichtige monotheistische, insbesondere islamische, Unterscheidung Gott/Mensch in Unordnung und damit in Gefahr gebracht wird. Al-Qahtanis Versuch, dieser Situation zu entkommen („started to walk out of booth“) unterbindet das Verhörteam („not allowed“) und zwingt ihn zu der ‚pervertierten‘ Bethandlung, deren qualvolle Wirkung sich in seinem Weinen zeigt. Neben dem kulturellen Othering in Form offensichtlicher Adressierung zugeschriebener (und hier wohl auch zutreffender) religiöser Verletzlichkeiten, findet noch etwas anderes statt: Al-Qahtanis Feindlichkeit, also die Zugehörigkeit in die oben umrissene Feindkategorie des vorgelagerten diskursiven Otherings (Mitgliedschaft oder Assoziation mit Al-Qaida) wird hier performativ sichtbar gemacht und hergestellt.

Diese Inszenierung hat erstaunliche Ähnlichkeiten mit einer Variante der Foltertechnik „paying homage to images of dogs“ der Roten Khmer, die Daniel Bultmann (2020: 16 f.) beschreibt. Dabei mussten Insass:innen des Gefängnisses S-21 in schmerzinduzierender kniender Position vor Bildern von Hunden verharren. Das machte die Feindlichkeit der Gefolterten rituell sichtbar, indem sie als Tiere-Dienende erscheinen. Die Feindkonstruktion der Roten Khmer (‚konterrevolutionäre Subjekte‘) hatte zudem eine ethnisch-nationale Seite, nämlich Vietnam und ‚Vietnamesisches‘. Daher wurden den Hundebildern mitunter Fotographien von Ho Chi Min zugefügt, sodass die Gefolterten auch als Diener:innen des vietnamesischen Feindes sichtbar wurden. Die Verwendung von Bildern des jeweilig feindlichen Anführers in Kombination mit einer erzwungenen Unterwerfungsgeste (knien, beten) scheint in beiden Fällen einer ähnlichen Logik zu folgen. Bultman (2020) analysiert die beschriebene Foltertechnik sowie weitere Praktiken im S-21 in Anschluss an Van Gennep (2005) und Turner (1970: 93–111) als Teil eines liminalen Rituals, das die äußerlich unsichtbare Feindlichkeit – im Normalfall waren die Gefolterten selbst ethnische Khmer und häufig auch Rote Khmer – durch einen gewaltsamen Transformationsprozess sichtbar machte. Der im ‚Khmer Körper‘ versteckte ‚vietnamesische Geist‘ konnte so an die Oberfläche treten. Der Kulturanthropologe Arjun Appadurai (1998) argumentiert in einer allgemeinen Analyse von kulturellen Bezügen ethnischer Gewalt in ähnlicher Weise, dass solche Gewalt in ihrer Semiotik darauf abzielt, Körper, deren ethnische Zugehörigkeit unsicher ist, in eindeutig ethnisch Andere zu transformieren und so eine „dead certainty“ zu schaffen. Der Fall al-Qahtani und der War on Terror verhalten sich in dem Punkt etwas anders. Denn hier hatten die Folternden Feinde vor sich, die zuvor rechtlich-politisch vergleichsweise eindeutig markiert wurden. Mehr noch: Sie waren nicht ‚innere‘ Feinde wie ‚konterrevolutionäre Subjekte‘ in Kambodscha, daher den Folternden nicht scheinbar ähnlich und in einem unsicheren Status. Stattdessen gab es von Beginn an die Annahme einer religiös-kulturellen und zumeist auch einer ethnischen Andersartigkeit. Dennoch scheinen solche Rituale der gewaltsamen Sichtbarmachung von Feindlichkeit auch im US-Fall relevant gewesen zu sein. Ebenso kann Slahis Beispiel auf diese Weise gelesen werden. Die Performance des radikalen Gegensatzes ‚Islam vs. USA‘ macht Slahis Feindlichkeit aufgrund dessen bloßen Betbedürfnisses sichtbar.

Wie die obigen Beispiele klar machen, hat das kulturelle Othering in Foltersituationen des War on Terror noch eine weitere Komponente. Es zielte nicht nur auf die Festschreibung des Muslim-Seins oder Sichtbarmachung ihrer Feindlichkeit, sondern auch auf die Verletzung des Muslim-Seins: durch verschiedene Machtmittel bemühten sich die Folternden darum, dass die Gefangenen nicht beten, nicht zu Ramadan fasten, nicht den Koran rezitieren und so weiter; kurz: sich nicht als Muslime zu verhalten. Dies lässt sich mit dem Begriff „deculturation“ (Sironi/Branche 2002: 540) der Psychologin Sironi fassen; das heißt: Folter als das rituelle Herauslösen der Gefolterten aus ihrem kulturellen Kontext, um sie zu vereinsamen und zu traumatisieren.Footnote 5

2 Geschlechtlichkeit und Sexualität

Die Gefangenen des War on Terror waren Männer und ihre Männlichkeit wurde in ähnlicher Weise wie ihre Religiosität semiotisch in die Folter einbezogen. Eine Ausnahme bildet die Gefangenenpopulation im Militärgefängnis Abu Ghraib, zu der auch wenige weibliche Insassinnen gehörten. Auch sie mussten schwere Foltergewalt erleiden, unter anderem erzwungene Nacktheit und (penile) Vergewaltigung (Harding 2004; Church III 2005: 296 ff.). Die Geschlechtlichkeit der Gefolterten scheint daher auch in diesen Fällen relevant gewesen zu sein. In den öffentlich zugänglichen Daten sind sie kaum dokumentiert, weshalb ich sie aus meiner Betrachtung ausschließe. Diverse Bezüge auf Männlichkeit, die meist mit den zugesprochenen kulturell-religiösen Eigenarten verbunden waren, zeigte die Folter in Guantánamo und vor allem in Abu Ghraib.

Erstens wurde die Geschlechtlichkeit von Frauen und ihrer Körper in der Folter eingesetzt: So wurden körperliche Entblößungen vor den Augen weiblichen Personals vollzogen (Schmidt/Furlow 2005: 7 f., 19; DoJ 2009a: 22 f., 219; Ben Soud/Smith 2017b: 50). Verhörer:innen übten zudem sexualisierte Gewalt aus, indem sie den Gefangenen durchs Haar strichen, sie ‚massierten‘ oder an die Genitalien griffen, sich selbst entkleideten, sexualisierte VerbalisierungenFootnote 6 machten sowie die Gefolterten teils zur Beteiligung dieser Inszenierungen von sexueller Intimität zwangen (s. bspw. Schmidt/Furlow 2005: 16; Slahi 2017: 227 f.; Kurnaz/Kuhn 2017: 169 f.). In dem schon zitierten militärischen Untersuchungsbericht zu Guantánamo ist zu lesen:

[F]emale military interrogators performed acts designed to take advantage of their gender in relation to Muslim males (Schmidt/Furlow 2005: 15).

Dieses Zitat macht deutlich, dass diese Praktiken zumindest teilweise transsituativ geplant waren („designed“) sowie nicht nur auf zugesprochene männliche Verletzlichkeiten, sondern auf kulturspezifisch männlich-muslimische, zielten.

Ein zweiter Aspekt der geschlechtsbezogenen Gewalt war die Verwendung feminisierter Objekte als ‚Folterinstrumente‘ (s. Abschnitt 14.2). In Guantánamo musste al-Qahtani einen Tanga auf dem Kopf sowie einen Büstenhalter tragen (Schmidt/Furlow 2005: 16). Auch im Irak wurden Insassen mit weiblicher Unterwäsche bekleidet (DoA 2004c: 108; Anonym 2004a: 1). Ein Insasse in Abu Ghraib, der 51 Tage lang gezwungen war bloß weibliche Unterwäsche zu tragen, berichtete davon, von einem US-amerikanischen Soldaten gefragt worden zu sein „why are you wearing this underwear[?]“ (Hilas 2004). Diese Frage verstärkt – ähnlich wie in der Flugzeugsituation von Ahmed (s. Abschnitt 10.4) – die Wirkung der erzwungenen Kleidung, indem auf sie kommunikativ verwiesen und so betont wird. Feminisierte Objekte zielten in diesen Fällen auf die symbolische Feminisierung der gefolterten Körper und auf die Erfahrung von Feminisierung der jeweiligen Gefangenen; das heißt auf ‚verunreinigendes‘ Verrücken der Gefolterten innerhalb der Geschlechterordnung und schamhafte ‚Entmannung‘. Eine Kombination von weiblich konnotierten Artefakten mit dem Einsatz weiblichen Personals zeigt folgendes Beispiel eindrücklich:

He said a female interrogator, after not getting cooperation from him, called four guards into the room. While the guards held him, she removed her blouse, embraced the detainee from behind and put her hand on his genitals. The interrogator was on her menstrual period and she wiped blood from her body on his face and head (FBI 2003: 2).

Diese Passage stammt aus einem FBI-Memorandum aus Guantánamo, welches ein Interview einer FBI-Agent:in mit einem Insassen zusammenfasst (beide Namen wurden vor der Veröffentlichung redigiert). An dieser Stelle berichtet der Befragte von der Erzählung eines anderen Gefangenen. Der Textausschnitt ist also nur sehr indirekt mit der ereigneten Situation verbunden. Diese wird aber in sehr ähnlicher Form im bereits oben zitierten militärinternen Untersuchungsbericht beschrieben (Schmidt/Furlow 2005: 8 f.). Dort wird deutlich, dass es sich bei der Flüssigkeit um rote Farbe handelte. Die Verhörerin bezeichnete sie aber als ihr Menstruationsblut.

In der beschriebenen Situation folgen mehrere Handlungen kurz hintereinander: Zuerst wird der Gefolterte durch die Übermacht von vier guards immobilisiert („held him“). Sodann zieht die Verhörerin ihre Bluse aus und greift dem Gefolterten von hinten an die Genitalien. Diese Entblößung impliziert die Annahme, dass nicht nur die erzwungene Nacktheit der Gefolterten selbst, sondern auch der Anblick weiblicher Nacktheit schamproduzierend sei. Die anschließende Berührung der Genitalien verstärkt die so bereits begonnene Sexualisierung der Situation.Footnote 7 Mit dem Beschmieren des gefolterten Körpers mit falschem Menstruationsblut wird nicht nur ein feminisiertes Objekt genutzt, sondern eine vermeintliche Körperflüssigkeit. Hier zeigt sich deutlich die Adressierung unterstellter Reinheitsvorstellungen, die zur Herstellung von Leid genutzt werden. Ähnlich verhält es sich mit dem erwähnten Einsatz von Parfüm. Dieser zielte explizit darauf, einen olfaktorischen Hinweis darauf zu schaffen, dass der Insasse von einer Frau berührt worden sei, und somit auf eine geschlechtsbezogene Verunreinigung („he would be considered unclean“, DoJ 2009a: 219), die schließlich das Beten erschweren oder verhindern sollte. In beiden Fällen funktioniert die Folter durch antizipierte Situationsdeutungen der Gepeinigten, und damit durch Perspektivenübernahme, wobei auch Wissen über kulturell-geschlechtliche Andersartigkeit und die Geschlechterordnung der Feinde zum Einsatz kommt.

In Abu Ghraib wurden Gefangene zudem gezwungen zu masturbieren und homosexuelle Handlungen zu inszenieren. Der damalige Insasse Alsharoni sagte in einem geleakten Statement:

They brought three prisoners handcuffed to each other and they pushed the first one on top of the others to look like they are gay and when they refused, Grainer beat them up until they put them on top of each other and they took pictures of them (Alsharoni 2004: 1).

Das Zitat zeigt erneut die enge Verknüpfung verschiedener Gewaltpraktiken. Da solche Inszenierungen erzwungene Handlungen sind, benötigen die Folternden Mittel, um sie zu erzwingen. Diese bestehen zunächst in der Fesselung und damit Aufrechterhaltung von Gefangenschaft und Autonomieverletzung. Drei Gefangene sind aneinandergefesselt und werden bei dieser graduellen Immobilisierung zur gleichzeitigen Mobilität und anschließend zu einem Arrangement ihrer Körper gezwungen („first one on top of the others“), das als homosexuelle Handlung erscheint („to look like they are gay“). Da die drei dies zunächst verweigern, schlägt sie der MP Grainer (einer der wenigen Folternden, die vor ein Militärgericht gestellt wurden) so lange, bis sie die gewünschte Handlung durchführen. Anschließend wird die ‚homosexuelle‘ Performance durch Fotographie objektiviert und potentiell für abwesende Dritte sichtbar gemacht. Diese Dokumentation ist selbst eine Gewalthandlung, denn „both process (the photographing) and product (the pictures) are shaming technologies“, wie die Philosophin Jasbir Puar (2018: 107) schreibt. Der Soziologe Werner Binder (2013: 326) schreibt in Hinblick auf die ‚Homosexualisierungen‘ in Abu Ghraib:

Die erzwungene Inszenierung sexueller Handlungen zwischen den Männern stellt nicht nur einen Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen, sondern darüber hinaus auch auf die sexuelle Identität heterosexueller Männer dar (Binder 2013: 326).

Hinzuzufügen ist, dass der Angriff auf die heterosexuelle Identität zunächst auf der Zuschreibung von heteronormativer Homosexualitätsfeindlichkeit beruht (Eichert 2019: 423). Diese Zuschreibung wird in der Literatur häufig damit begründet, dass innerhalb des US-Militärs das orientalistischeFootnote 8 Buch „The Arab Mind“ des Kulturpsychologen Raphael Patai (1983) rezipiert worden sei, das unter anderem die besondere ‚arabische‘ Scham gegenüber (Homo-)Sexualität postuliert (z. B. Hersh 2004; Butler 2008: 15 f.; Puar 2018: 84 f.). Die Zuschreibung zeige einen Blick auf das ‚unzivilisierte‘, sexuell ‚rückständige‘ muslimisch-arabische Kollektivsubjekt, welches in der beschriebenen Gewalt performativ erzeugt werde (Butler 2008: 17). Obwohl die Relevanz von Patais Buch sowie dem kulturellen Othering generell als ausschlaggebende Wissensquelle für solche vergeschlechtlichen und sexualisierten Folterpraktiken nicht ganz eindeutig ist (s. u.), sind solche kollektiven Verweise sicherlich ein relevanter Teil dieser Praktiken.

3 Tiere, Menschen und Gegenstände

Neben Praktiken mit geschlechtlichen, sexuellen und religiösen Differenzierungen in der Foltergewalt gab es auch solche von Mensch/Tier und Mensch/Gegenstand. Tiere waren in dreifacher Hinsicht relevant. Erstens waren Tiere nicht nur symbolisch, sondern durchaus als lebendige Körper an den Folterorten anwesend. Einerseits wurden Hunde an militärischen Folterorten als Waffe genutzt. In organisationalen Dokumenten (dort als „Military Working Dogs“ bezeichnet, JTF-GTMO 2004a: 26.1) erscheinen sie nicht als autonome Wesen, sondern als Artefakte der militärischen Organisationen. Sie erzeugten bei den Gefolterten ein Gefühl allgemeiner Bedrohung; nicht zuletzt durch den Klang des Bellens wie im Beispiel Rasuls in Abschnitt 10.3 (s.a. Al-Harith 2004). Die Hunde dienten zur Einschüchterung und Angstproduktion, was erneut auch auf ethnische Zuschreibungen basierende Verletzlichkeiten adressiert, namentlich „Arab fear of dogs“ (Sanchez 2003: 12). In einigen Fällen ließen Soldat:innen sogar zu oder veranlassten, dass die Hunde zubeißen (Al-Sheikh 2004: 2; Kurnaz/Kuhn 2017: 37). Andererseits konnten wilde Tiere mitunter zur Linderung der qualvollen Erfahrungen der Gefolterten beitragen: Guantánamo-Insassen in ihren Käfigzellen konnten Baumratten, Spinnen, Vögel und Leguane als Dritte, die weder als Gefangene noch als Personal in den Folterkomplex eingebunden waren, beobachten und teils mit ihnen interagieren (Adayfi/Aiello 2021: 27 f.; Kurnaz/Kuhn 2017: 113).

Zweitens zwangen guards und Verhörpersonal in Guantánamo und Abu Ghraib Gefangene zu ‚animalisierenden‘ (genauer: ‚verhundenden‘) Inszenierungen, den ‚homosexualisierenden‘ nicht unähnlich. Al-Aboodi (2004: 1) berichtet aus Abu Ghraib:

[T]hey forced us to walk like dogs on our hands and knees. And we had to bark like a dog and if we didn’t do that, they start hitting us hard on our face and chest with no mercy (Al-Aboodi 2004: 1).

Die Hundeperformance besteht in der Nachahmung der hundischen Fortbewegung ‚auf allen Vieren‘ und dem Nachahmen des hundischen Bellens. Auch hier sind andere, extreme („without mercy“) physische Gewaltformen („hitting“) nötig, um die gewünschten Handlungen zu erzwingen. Teilweise gingen diese Inszenierungen noch weiter, wie erneut das Protokoll von al-Qahtanis Special Interrogation zeigt:

Told detainee that a dog is held in higher esteem because dogs know right from wrong and know to protect innocent people from bad people. Began teaching the detainee lessons such as stay, come, and bark to elevate his social status up to that of a dog. Detainee became very agitated.

1230: Detainee taken to bathroom and walked 30 minutes.

1300: Detainee offered food and water – refused. Dog tricks continued and detainee stated he should be treated like a man (JTF-GTMO o. J.: 47).

Ging es bei dem obigen Beispiel um die bloße Nachahmung von Hunde-artigem Verhalten, steht hier nun unmittelbar das Mensch/Hund-Verhältnis im Vordergrund, was in anderen Situationen auch Leinen am Körper der Gefangenen als Artefakte ‚materialisieren‘, die symbolisch genau auf dieses Verhältnis verweisen (z. B. Schmidt/Furlow 2005: 19; Anonym 2004b). Das Verhörteam übernimmt die Rolle von ‚Herrchen‘ und ‚Frauchen‘, indem es al-Qahtani als Hund erzieht („teaching“). Neben dem Bellen ‚trainiert‘ das Team ihn in der Ausführung der typischen Befehle an einen domestizierten Hund: „stay, come“. Diese Performance wird in den situativen Verbalisierungen nicht als degradierende Transformation gedeutet, sondern im Gegenteil als ein sozialer (und moralischer) Aufstieg („elevate his social status up“). Denn al-Qahtani habe einen noch geringeren Status als Hunde, weil er nicht wie diese Unschuldige schütze. Dies kann als ein erneuter Verweis auf die Feindkonstruktion als gefährlicher Terrorist, der Unschuldige töten will, gelesen werden. Diese verbale Richtungsumkehrung des Transformationsrituals verstärkt naheliegenderweise die degradierende Wirkung. Der Gefolterte versucht sich dem zu entziehen, indem er eine Behandlung als Mensch (oder männlicher Mensch, „man“) einfordert.

Drittens deuten Gefolterte ihre Erfahrungen auch ohne jene expliziten Inszenierungen nicht als die Behandlung eines Menschen, sondern als die eines Tieres. In Berichten von Überlebenden finden sich häufig entsprechende Formulierungen. Abu Zubaydah schreibt etwa: „they shaved me like you shave a sheep and not a human being“ (Abu Zubaydah 2019: 68). Seine erzwungene Rasur erfährt er als dehumanisierend, weil sie ihn an die eines Schafes erinnert (also an eine rein instrumentelle Rasur zur Nutzbarmachung der Haare). Ein Guantánamo-Insasse sagte wiederum einem CITF-Bericht zufolge in einem Verhör „that he is no longer man, but is now an animal living in a zoo“ (CITF 2002b: 1). Hier verweist der Tier-Vergleich auf die ständige Beobachtung und radikale Sichtbarkeit, unter anderem aufgrund der käfigförmigen Zellen. Schließlich zeichnet sich ein Zoo durch seine Zurschaustellung von Tieren in Käfigen aus. Und wenn der ehemalige CIA-Gefangene Khalid al-Sharif sagt: „We were locked to the floor like animals“ (Sharif zit. n. Pitter 2012: 55), dann heißt das, dass er die Autonomieverletzung durch Fesselung auf dem Boden als ‚Animalisierung‘ erfährt. Mitunter findet sich sogar aufseiten der Gefolterten das Motiv aus dem obigen Verhörprotokoll: Da die Militärhunde in Guantánamo besser behandelt wurden als die Gefangenen, forderten einige – wenn ihnen schon nicht die Menschenrechte gewährt würden – Tierrechte ein (CITF 2002a: 1; Zevnik 2011: 164). In diesem Fall verweisen die Gefangenen auf die rechtlichen Bestandteile der Feindkonstruktion, die sie außerhalb des humanistischen Rechts verortet, und die Butler (2004: XVI) bereits für sich genommen als eine (rechtliche) Dehumanisierung deutet.

Wie Butler (2004: 73) in Bezug auf die Ankunft der ersten Häftlinge in Guantánamo schreibt, geht es bei solchen Vergleichen nicht um Tiere als eigenständige Lebewesen, sondern darum, wie Menschen (domestizierte) Tiere gewöhnlich behandeln: In Käfige sperren, einer vollständigen Sichtbarkeit aussetzen, immobilisieren, rasieren, sofern es gerade nützlich ist und ähnliches. Gleiches gilt für die erzwungenen Hunde-Inszenierungen. Auch sie verweisen vor allem auf das Verhältnis zwischen Mensch und domestiziertem Tier, für das gerade Hunde als Tiere stehen, die Menschen an Leinen nehmen, denen sie Kommandos geben und von denen sie ständigen ‚Gehorsam‘ einfordern. Wie die ‚Feminisierung‘ notwendigerweise auf ein zugeschriebenes asymmetrisches Geschlechterverhältnis verweist, um überhaupt als degradierende Leidinduktion fungieren zu können, so verweisen auch die Inszenierungen und Erfahrungen von ‚Animalisierung‘ auf die Asymmetrie des Mensch/Tier-Verhältnisses (s.a. Binder 2013: 329).

Schließlich sind manche Praktiken auch als Verweise auf die Differenzierung zwischen menschlichen Körpern und unbelebten Gegenständen lesbar. Wie ich in Abschnitt 10.4 gezeigt habe, entsprach der Umgang mit den transportierten Häftlingen bei Flügen nicht dem üblichen humanistischen Anspruch, menschlichen Körpern in dem ohnehin mobilitätseinschränkenden Raum eines Flugzeugs „spezifische Wichtigkeit zukommen zu lassen“ (Schindler 2015: 306): Anstatt auf Sitze wurden sie auf dem Boden befestigt „like cargo“, wie das SSCI (2014: 306) diese ‚Vergegenständlichung‘ in seinem Bericht nennt, und „wie Pakete“ geschnürt (Kurnaz/Kuhn 2017: 33). Und auch Slahi nutzt in seiner Beschreibung von dem ‚Ausladen‘ des ‚Transportguts‘ den Ausdruck „package“ (Slahi 2017: 27) für einen Gefangenenkörper. Insgesamt spielen derartige Deutungen oder auch explizite Inszenierungen der ‚Vergegenständlichung‘ eine weniger starke Rolle als die der ‚Animalisierung‘.

4 Othering im Spannungsverhältnis zu angenommener Gleichartigkeit

Die Foltergewalt im War on Terror verwies auf vielfältige Weise auf Andersartigkeiten der Gefolterten. Sie bezog dabei Elemente der vorgelagerten diskursiven Feindkonstruktion teils ein, aber nicht in jedem Fall. Ihre Semiotik adressierte einerseits zugeschriebene, kultur-geschlechtliche Eigenarten als spezifische Verletzlichkeiten. Andererseits stellte solche Gewalt die Andersartigkeiten auch performativ her und machte diese sichtbar. Beim Entzug von religiösen Artefakten und dem Einsatz von Hunden als Waffen war der erste Aspekt dominierend. Bei den anderen behandelten Beispielen sind beide Aspekte des gewaltsamen Otherings miteinander verbunden und aufeinander bezogen. Die menschlichen Körper und (technischen) Artefakte wie Fotographien, Hundeleinen, Unterwäsche, Flüssigkeiten oder Lautsprecher werden in den Folterräumen so arrangiert, dass die Folterräume zu Bühnen werden; Bühnen für erzwungene Inszenierungen der antagonistischen Differenzierungen Islam/USA, Frau/Mann, Hetero-/Homosexualität sowie Tier/Mensch, die auf Degradierung durch Verunreinigung zielen. Diese Inszenierungen beschränken sich keineswegs auf Visuelles. Auch olfaktorische oder akustische (musikalische) Elemente wurden eingesetzt; und nicht zuletzt Sprechakte sind dabei zentral, indem sie die symbolische Bedeutung der Inszenierungen explizieren, erweitern oder durch ‚Regieanweisungen‘ steuern. Die semiotischen Verweise des Otherings sind aber nicht isoliert zu betrachten: Sie werden vielmehr begleitet von physischen, auf den Leibkörper gerichteten Gewaltpraktiken wie Fesselungen, Schläge oder Wärmeentzug sowie von Drohungen, auf die die Inszenierungen als Zwangsmittel angewiesen sind oder mit denen sie verwoben sind. Wie bei erzwungener Nacktheit vor weiblichen Augen kann die Semiotik aber auch schlicht der Steigerung der (schamhaften) Wirkung ohnehin eingesetzter Techniken dienen.

Die anvisierten und dargestellten Andersartigkeiten bezogen sich einerseits auf die Distanz zwischen Gefolterten und Folternden. Bei ‚Verletzungen‘ des Koran, der störenden Wiedergabe der US-Hymne beim Gebet sowie die Sexualisierungen von Situationen und Verunreinigungen durch Parfüm, weibliche Berührungen oder (falsches) Menstruationsblut suchten die Folternden die Gepeinigten in ihren zugeschriebenen und dargestellten heterosexuellen, islamisch-arabischen, männlichen Eigenarten zu verletzten, ohne dass sie eine weitere rituelle Transformation vollzogen. Anders ist es bei den ‚animalisierenden‘, ‚feminisierenden‘ und ‚homosexualisierenden‘ Inszenierungen und den Versuchen, rituelle Praxis zu unterbinden. Dort wurden Gefolterte einerseits gleichfalls als heterosexuelle, muslimische, männliche Menschen adressiert, andererseits mussten sie sich durch erzwungene Handlungen symbolisch von diesen Eigenschaften distanzieren und sich als ‚verhundet‘, ‚feminin‘, ‚homosexuell‘ und ‚unislamisch‘ zeigen. Das heißt, das Othering war nicht nur auf die symbolische und rituelle Schaffung von Distanz zwischen Gefolterten und Folternden ausgerichtet: Auch die Gefolterten selbst sollten von sich selbst (bezüglich der ihnen zugesprochenen Eigenschaften) distanziert werden, sich also als andersartig von ihrem Selbstbild erfahren.

Hier deutet sich an, dass das gewaltsame Othering begrenzt ist. Das heißt, dass eine Herstellung vollständiger Andersartigkeit in und durch Folter nicht denkbar ist. Denn um eine Person dazu zu zwingen sich ‚wie ein Hund‘ zu verhalten und sie ‚wie einen Hund‘ behandeln zu können, mit dem Ziel sie zu degradieren, muss sie eben als Person (bzw. Mensch) adressiert werden. Sie muss die symbolische Transformation deuten können, damit sie diese als Verunreinigung wahrnehmen kann. Das zeigt insbesondere die Relevanz von Drohungen und Verbalisierungen als sinnhafte Kommunikation bei solchen Inszenierungen. Auch basieren Praktiken, die Leidinduktionen über die antizipierte Situationsdefinition der Gefolterten intendieren (z. B. das falsche Menstruationsblut), notwendigerweise auf PerspektivenübernahmeFootnote 9 und damit auf der Annahme prinzipieller Gleichartigkeit (s. Abschnitt 3.4; Breger 2022). Wie ich an anderer Stelle (Breger 2022: 98–101) in Bezug auf Alfred Schütz diskutiert habe, beruht Folter als intersubjektiver Prozess – wie auch gewaltlose soziale Interaktion – ganz grundsätzlich auf einer leibkörperlichen Reziprozität, die vonseiten der Folternden eine grundlegende Annahme von Ähnlichkeit des embodiment impliziert. Eine Dehumanisierung im Sinne eines (situativen) Aberkennens und Ausblendens von Subjektivität der Gefolterten durch die Täter:innen ist demnach höchst unwahrscheinlich. Bei den ‚Vergegenständlichungen‘ während des Transports ist dies zwar für solche Momente denkbar, in denen die entsprechenden Praktiken ausschließlich dem Transport dienten und nicht der Leidinduktion; also die immobilisierten Gefangenenkörper wie ‚Pakete‘ adressiert wurden. Jedoch sind solche Praktiken dann keine Folterpraktiken im engeren Sinne.Footnote 10 Wie ich aber in Abschnitt 10.4 beschrieben habe, wurden Transporte häufig auch zu Foltersituationen, bei denen die Körper zur Leidinduktion durchaus als menschliche Leibkörper behandelt wurden (aber nicht menschlich im humanistischen Sinne) und die Gefolterten als Adressaten sinnhafter Kommunikation angesprochen wurden; sie also als soziale Personen, als alter egos wahrgenommen wurden.

Wenn Butler (2008) und andere (z. B. Mann 2012: 315–318; Eichert 2019: 417–419) schreiben, dass die ‚feminisierenden‘ und ‚homosexualisierenden‘ Praktiken vor allem die Misogynie und Homosexualitätsfeindlichkeit der militärischen Institutionen selbst aufzeige und der Herstellung von eigener hegemonialer Männlichkeit diene, so lässt sich dies auch auf die Frage des eingesetzten Folterwissens beziehen. Wie die Juristin Mary Ann Case (2018) bemerkt, ist es nämlich alles andere als eindeutig, dass solche Praktiken auf einem Othering der Gefolterten als spezifisch muslimische Männer basieren, also auf einem Wissen über deren vermeintlichen kulturellen Eigenarten und Verletzungsoffenheiten. Denn derartige Degradierungen finden auch bei Trainings und Initiationsriten während der Sozialisation in militärische Institutionen zwischen Soldat:innen statt (Case 2018: 93–95). Insofern können sie auch als Anwendungen von inkorporiertem Wissen dieser Gewalterfahrungen ‚am eigenen Leib‘ der Soldat:innen gelesen werden anstatt als Anwendungen von diskursivem Wissen über die Andersartigkeit ‚arabischer Männer‘. Das ist auch vor dem Hintergrund plausibel, dass die eigene Gewalterfahrung während militärischen Trainings grundsätzlich nicht nur Desensibilisierung gegenüber Gewalt erzeugt, sondern auch deren Effektivierung durch inkorporiertes Verletzungswissen (Samimian-Darash 2013; Inhetveen 2017: 109; Barnao 2019). Dem zugrunde liegt notwendigerweise ein Prozess, bei dem die Erfahrungen der eigenen Verletzungsoffenheit mittels Perspektivenübernahme im Sinne der „leibkörperliche[n] Reziprozität“ (Breger 2022: 98) als Hinweise auf die Verletzungsoffenheiten anderer (menschlicher) Leibkörper angenommen werden.Footnote 11 Die implizierte Annahme von leibkörperlicher Gleichartigkeit reduziert so die Relevanz des diskursiven Wissens über „The Arab Mind“ (Patai 1983) und seine kulturspezifischen Verletzlichkeiten (s.a. Breger 2022: 103 f.). Das gilt insbesondere auch für das äußerst gewaltvolle und folternahe SERE-Training: Zum einen stellt es für die Trainierten inkorporiertes Wissen als Verletzungswissen bereit, auch wenn längst nicht alle Militärangehörigen der Folterorte des War on Terror dieses Training durchliefen. Zum anderen sind auch in seiner diskursiven Verwendung in der emischen Foltertheorie Annahmen über gleichartige Verletzlichkeiten impliziert. Schließlich basierten sie auf der Logik, dass solche Techniken, die sich bei US-Soldat:innen als ‚effektiv‘ herausgestellt haben (sei es in den Gefangenenlagern des Kalten Krieges oder im SERE-Training), dies auch bei den Feinden des War on Terror sein würden.Footnote 12 Wie in Kapitel 8 bemerkt, sind die Foltertechniken und ihre Wirkweisen als psychologische Universalien formuliert, die kulturelle Unterschiede vernachlässigen.

Obwohl die Foltergewalt zugesprochene Andersartigkeiten adressiert und performativ herstellte, war dieses gewaltsame Othering stets begrenzt; zum einen grundsätzlich durch den intersubjektiven Charakter der Folter, welcher verhindert, dass die Gewalt sich aus Sicht der Täter:innen auf völlig andersartige und ‚entsubjektivierte‘ Körper richtet; sowie zum anderen durch Teile des spezifischen Folterwissens des US-Falles, die mit dem Wissen über die feindlichen Anderen und ihre spezifischen Verletzlichkeiten als ‚muslimische Männer‘ in Spannung standen.