Wie im theoretischen Teil dargestellt, gibt es wenig bis kaum empirische Befunde zur Wahrnehmung schöner Momente in der Pflege und Begleitung eines Menschen mit Demenz. Daraus ergibt sich nicht nur die Frage nach wahrgenommenen schönen Momenten in der Pflege und Begleitung, vielmehr wird eine Lücke in der Versorgung pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz sichtbar. Aus diesen Gründen erweist sich ein qualitativ-exploratives Vorgehen in diesem Forschungsprojekt als besonders geeignet, denn qualitative Forschung fokussiert dabei die Theoriebildung, welche im Verlauf der Untersuchung eines unbekannten Falls konstruiert wird (Merkens, 2000) und dabei

den Anspruch [hat], Lebenswelten ‚von innen heraus‘, aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben. Damit will sie zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen (Flick et al., 2022, S. 14).

Einem qualitativen Forschungsinteresse liegt dahingehend die Fokussierung von alltags- bzw. lebensweltlichen Phänomenen, Problemen und Prozessen zugrunde und versucht insbesondere Sichtweisen involvierter Teilnehmender zum Ausdruck zu bringen (Mey & Ruppel, 2018). Primärer Bezugspunkt ist dementsprechend die Sicht der Subjekte und deren Lebensumstände.

Die qualitative Forschung folgt dabei unterschiedlichen Bedingungen, welche als Merkmale qualitativer Forschungsmethoden gelten. Das Prinzip der Offenheit gegenüber dem „Unbekannte[n] im scheinbar Bekannten“ (Flick et al., 2022, S. 23) stellt sich dahingehend als wesentlich heraus. Kennzeichnend hierfür ist die Fokussierung auf subjektive Deutungsmuster, soziale Prozesse und Situationen aus Sicht der handelnden Personen (Flick et al., 2022).

Um ein „konkreteres und plastischeres Bild“ (Flick, 2014, S. 17) über die subjektive Wahrnehmung schöner Momente aus Perspektive der pflegenden Angehörigen zu erhalten, muss ein tiefergehendes Verständnis für deren jeweilige Lebenssituation innerhalb der Sorgebeziehung entwickelt werden. „[D]as Erkenntnisprinzip qualitativer Forschung [ist demnach] das Verstehen […] von komplexen Zusammenhängen“ (Flick et al., 2022, S. 23) aus der Perspektive der teilnehmenden pflegenden Angehörigen.

Um die subjektive Sichtweise pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz erfahrbar zu machen, konzentriert sich die Datenerhebung auf diese. Dabei wird den teilnehmenden pflegenden Angehörigen ausreichend Raum und Zeit sowie eine wertschätzende und sensible Begleitung im Rahmen der Datenerhebung entgegengebracht. Die Wahrnehmung und das bewusste Erleben schöner Momente ist nicht nur situations- und kontextabhängig, sondern vor allem persönlich und individuell. Es ist deshalb zur Beantwortung der Forschungsfragen unerlässlich, die gesamte Lebenssituation aller teilnehmenden pflegenden Angehörigen mit Hilfe qualitativer Forschungsmethoden zu betrachten (Flick et al., 2022).

7.1 Das Tagebuchverfahren als Erhebungsmethode

In der vorliegenden Arbeit sollen pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz durch die Anwendung der Tagebuch-Methode für die Wahrnehmung schöner Momente im Alltag sensibilisiert werden. Mit Hilfe von Tagebuchaufzeichnungen kann das Erleben und Verhalten sowie das Seelenleben einzelner Individuen – hier die subjektive Perspektive pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz – in bestimmten Phasen des Lebenslaufes bzw. einer Lebensphase abgebildet und erfasst werden. Sie bieten dahingehend eine „bedeutsame Quelle zur Erforschung [individueller] Selbst- und Weltsichten“ (Mey, 2000, S. 7). In der Psychologie ist der Ursprung der Methode des Tagebuchs auf Charlotte Bühler mit ihren Arbeiten zum Lebenslauf und Hans Thomae zurückzuführen (Mey, 2020).

Eine derartige qualitativ-interpretative Vorgehensweise erlaubt eine „dichte Beschreibung der Phänomenenvielfalt“ (Mey, 2000, S. 10). Die Tagebuchmethode räumt dabei dem Erkenntnissubjekt im Erkenntnisobjekt einen hohen Stellenwert ein und würdigt die Beobachtungssensibilität der Teilnehmenden selbst. Durch die individuellen Aufzeichnungen der Diaristen tritt die subjektive Sichtweise (subjektiver Sinn) als primärer Bezugspunkt in den Vordergrund der Betrachtung (Mey & Ruppel, 2018).

Bislang finden qualitative Tagebuchverfahren in Forschung und Wissenschaft selten Beachtung. Sie erweisen sich jedoch als zentrale Methode der systematischen Beobachtung im Feld. Tagebücher beinhalten Selbstprotokolle, in denen teilnehmende Probanden die Möglichkeit haben, mit Hilfe vorgegebener Kategorien ihr Erleben und Verhalten aufzuzeichnen. Dementsprechend können sie als auf Anforderung oder aus eigenem Antrieb angefertigte Selbstbeobachtungsprotokolle für begrenzte, vorgegebene Themen genutzt werden (Seiffge-Krenke et al., 1997).

Inhaltlich wird dabei primär alltagsbezogenes Erleben und Verhalten erfasst, welches der Fremdbeobachtung nicht zugänglich ist. Demnach ermöglicht das Tagebuchverfahren eine ereignisnahe Aufzeichnung von Verhaltensprozessen, wie beispielsweise situationsbezogene psychologische Phänomene (z. B. Alltagsbelastungen, Angstanfälle, Schmerzen, Stimmungen) (Wilz & Brähler, 1997).

Tagebuch-Schreiben erweist sich als Möglichkeit, Situationen und Ereignisse, die im Alltag häufig unbemerkt bleiben und retrospektiv nicht adäquat wiedergegeben werden können, festzuhalten (Seemann, 1997). Insbesondere die Wahrnehmung von Stimmungen unterliegt häufig alltäglichen schleichenden Prozessen, die in der Regel nicht gut erinnert werden können (Seemann, 1997). Prägnante Ereignisse hingegen bleiben im Gedächtnis und wirken sich stimmungsmodulierend auf die jeweiligen Diaristen aus. Aus diesem Grund werden „schöne Momente“ in der Pflege und Begleitung eines Menschen mit Demenz in das Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt.

Das Tagebuch hat dabei einen besonderen methodischen Stellenwert. Es erlaubt die Aufzeichnung interner subjektiver Prozesse und kann insbesondere für die Analyse von Einzelfällen hinzugezogen werden. Diese werden vor allem in der Therapieevaluation immer häufiger genutzt, was nicht nur den wissenschaftlichen, sondern auch therapeutischen Nutzen der Tagebuch-Methode unterstreicht. Das Tagebuch ist eine geeignete Form der Datenerhebung hinsichtlich der Aufzeichnung alltäglicher Ereignisse, die dem Probanden häufig unbemerkt und retrospektiv nicht mehr zugänglich gemacht werden können. Die dargestellte Methode ermöglicht also die Fokussierung und Sensibilisierung der Teilnehmenden auf schöne Momente in der Pflege und Begleitung eines auf Fürsorge angewiesenen Angehörigen, wie es die Arbeit erzielen möchte.

Mit der Tagebuchforschung erschließen sich Forschungszugänge im privaten Alltag von Menschen, die der Wissenschaft unter anderem aus Zeit- und Kostengründen sonst vorenthalten sind. Insofern stellen Tagebuchaufzeichnungen in der Feldforschung die Methode der Wahl zur Erfassung komplexer äußerer und innerer Ereignisse dar, die auch Beobachtungen über lange Zeiträume hinweg ermöglichen. Sie eröffnen neue Möglichkeiten für die wissenschaftliche Einzelfallforschung im diagnostischen und therapeutischen Prozess, nachdem sich zeitreihenanalytische Auswertungsmethoden mittlerweile als anwendungsfähig erwiesen haben (Seemann, 1997).

Mittels des hypothesengenerierenden Fundus der Tagebuchinhalte können Interviewverfahren ergänzt und aufgewertet werden, weshalb eine Kombination aus Tagebuchverfahren und Interviews im Hinblick auf die Forschungsfragen als bedeutsam erachtet wird.

7.2 Das qualitative Interview als Erhebungsmethode

Innerhalb der Psychologie und Sozialforschung stellen Interviews die am häufigsten genutzten Verfahren zur Datenerhebung dar (Breuer et al., 2014). Qualitative Interviews werden dabei insbesondere in Bereichen der Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie, aber auch in angrenzenden Forschungsrichtungen mit einem Schwerpunkt auf der Erfassung subjektiver Gesundheitstheorien sowie Erfahrungen und Einstellungen zu Handlungskontexten innerhalb der Familie verwendet und stellen insbesondere im Kontext der Tagebuch-Methode eine optimale zusätzliche Erhebungsmethode dar (Wilz, 2002).

In der qualitativen Forschung finden sich mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Interviewvarianten, die sich durch ihren Aufbau und in ihrer Durchführung maßgeblich voneinander unterscheiden. Fokus dieser Arbeit ist die Darstellung des „halb-“ oder „teilstrukturierten Interviews“. Zur Darstellung weiterer Interviewvarianten wird aus Platzgründen auf einschlägige Methodenhandbücher verwiesen (Baur & Blasius, 2014; Flick et al., 2022; Mey & Mruck, 2020).

Das „halb-“ oder „teilstrukturierte Leitfadeninterview“ gilt als Form der mündlichen Befragung, in der spezifische Situationen und Entwicklungen – ausgehend vom subjektiven Erleben der Befragten – möglichst ganzheitlich erfasst werden sollen. Die thematischen Bereiche werden dabei in Form eines Leitfadens vorgegeben und je nach Verlauf des Interviews individuell ergänzt und modifiziert (Kruse & Schmitt, 1998). Die Herausforderung besteht darin, eine möglichst natürliche Gesprächssituation zu gestalten, dabei aber nicht die Gesprächsführung abzugeben und die ursprüngliche Thematik aus dem Fokus zu verlieren (Hopf, 1978). Gleichzeitig sollten aber auch die Vorteile und Besonderheiten nicht standardisierter Forschung genutzt werden und Flexibilität und Offenheit in der Gesprächsführung ermöglichen (Meyen & Averbeck-Lietz, 2016).