In den vorangegangenen Ausführungen zur Beschreibung der (Er-)Lebenssituation pflegender Angehöriger wird ersichtlich, dass das Phänomen „Pflegende Angehörige“ von besonderer Relevanz für die gerontologische Forschung ist.

Die beschriebene Personengruppe stellt seit längerer Zeit die größte Säule des deutschen Pflegesystems dar, wobei sie dabei auch am schnellsten wächst. Bereits 2015 wurde deshalb metaphorisch von „Deutschlands größtem Pflegedienst“ (Wetzstein et al., 2015) gesprochen. Besonders Frauen im erwerbsfähigem Alter übernehmen die Pflege und Begleitung eines hilfe- und pflegebedürftigen Familienangehörigen, wobei in der familiären Versorgung von Menschen mit Demenz vormals intergenerationelle Pflege geleistet wird, weshalb diese Personengruppe in der Regel selbst ein höheres Lebensalter aufweist und damit ebenfalls in besonderer Weise gesundheitlich gefährdet ist.

Die Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz stellt pflegende Angehörige vor eine Vielzahl an Herausforderungen, sodass sie vor allem auf psychischer, physischer und sozialer Ebene belastend wahrgenommen wird und maßgeblich auf die Lebenssituation der gesamten Familie Einfluss nimmt. Insofern wird die Demenzerkrankung in gewisser Weise auch als Familienkrankheit assoziiert. Die mit der Demenz einhergehenden Veränderungen beeinflussen dabei nicht nur die Autonomie der Menschen mit Demenz, sondern fördern eine Rollenumkehr und wesentliche Veränderung in der Beziehungsdynamik, die pflegende (Ehe-)Partner und pflegende Kinder vor die Herausforderung stellen, diese positiv zu bewältigen.

In den Darstellungen sowohl zur Situation pflegender Angehöriger im Rahmen der Entwicklung von Entlastungsangeboten innerhalb der Kommune als auch in wissenschaftlichen Beiträgen zur vorliegenden Thematik wird die Pflegesituation mehrheitlich defizitorientiert und aus der Belastungsperspektive betrachtet. Positive Aspekte hingegen werden aufgrund der Vielzahl an erlebten und zu bewältigenden Herausforderungen und Belastungen von pflegenden Angehörigen seltener bzw. nicht bewusst wahrgenommen und erlebt.

Seit Beginn der 2000er wird der Wunsch einer ressourcenorientierten und ganzheitlichen Wahrnehmung informeller Pflegesituationen immer stärker, sodass vor allem in den letzten Jahren positive Aspekte der Pflege und Begleitung zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Die Mehrheit der pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz berichtet empirischen Arbeiten zufolge auch von schönen Momenten, die sie gemeinsam mit ihren Angehörigen in und durch die Pflege und Begleitung erleben. Diese werden aus Sicht der pflegenden Angehörigen insbesondere im Rahmen von Beziehungen wahrgenommen und spenden nicht nur Kraft, sondern auch Sinnfindung in der (langfristigen) Übernahme der informellen Pflegesituation.

Die Betrachtung einer ganzheitlich orientierten Pflegesituation erlaubt es deshalb, die Pflege und Begleitung unter anderen Gesichtspunkten zu bewerten. In der Implementierung von Unterstützungsmaßnahmen für pflegende Angehörige sollte aus diesem Grund auch die Förderung positiver Aspekte Eingang finden, weil auf diese Weise nicht nur die Lebensqualität, sondern auch das (subjektive) Wohlbefinden pflegender Angehöriger gestärkt sowie ein ganzheitlicher Blick auf die Pflegesituation in der Gesellschaft unterstützt wird.

Mit Blick auf die Ausführungen zur Entwicklung und der methodologischen Struktur von Tagebuch-Studien und der Wirkung unterschiedlicher Schreibinterventionen wird deutlich, dass es sich bei der Nutzung und Anwendung von Tagebüchern nicht nur um das tägliche bzw. regelmäßige Aufschreiben und Verarbeiten von Gedanken und Gefühlen in der Privatheit, für sich selbst, handelt, sondern darüber hinaus auch seit Jahrzehnten als hilfreiche wissenschaftliche Methode zur Erfassung seelisch emotionaler Aspekte sowie individueller Persönlichkeits- und Entwicklungsprozesse verwendet wird. Nach einem gewissen „Hoch“ in der Tagebuch-Forschung, insbesondere in der Entwicklungsbetrachtung von Kindern und Heranwachsenden durch Charlotte Bühler, wird diese wegen der vermeintlich hohen Subjektivität stark kritisiert und entsprechend seltener als Erhebungsmethode angewendet. Trotz steigender Anzahl von Tagebuchstudien wird die Methode – infolge der skizzierten Entwicklungen – noch immer als Stiefkind der qualitativen Forschung bezeichnet.

In der Methodik des Tagebuchs findet man eine wissenschaftlich nachgewiesene und effektive Methode zur Förderung der Selbstfürsorge und Selbstreflexion. Mit dem Ziel dieser Arbeit – der Verbesserung der Lebensqualität und Stärkung des subjektiven Wohlbefindens pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz – erscheint an dieser Stelle die Möglichkeit zur individuellen Sensibilisierung positiver Aspekte in der Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz und darüber hinaus die Entwicklung und Gestaltung einer ressourcenorientierten Unterstützungsmaßnahme möglich. Damit erscheint vor allem der Fokus auf selbstregulative positive Schreibinterventionen unterstützend und wirkungsvoll zu sein. Eine Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen weißt bereits seit Beginn der 2000er Jahre nachhaltige Effekte positiver Schreibinterventionen auf. Dabei kann nicht nur dem Umstand einer kurzfristigen Verschlechterung des Stimmungsbildes durch die von Pennebaker untersuchten expressiven Schreibinstruktionen entgegengewirkt werden, sondern gleichermaßen eine effektive Selbstregulation bei den Schreibenden angestoßen werden. Weiterhin verspricht das autobiographische Schreiben eine wesentliche Verbesserung gesundheitlicher Befinden. So konnte erwiesen werden, dass regelmäßiges Schreiben positive Auswirkungen auf das Immunsystem, Herz-Kreislauf-System sowie ein allgemein geringeres Auftreten physischer Beschwerden hat. Darüber hinaus können auch positive Wirkungen auf emotionaler bzw. psychischer Ebene nachgewiesen werden.

Mit Blick auf die positiven Wirkungen von Schreibinterventionen und dem Ziel der Entwicklung einer ganzheitlichen und ressourcenorientierten Unterstützungsmaßnahme zur Verbesserung der Lebensqualität und Förderung des subjektiven Wohlbefindens pflegender Angehöriger (von Menschen mit Demenz) wurde eine Tagebuchvorlage entwickelt, die die betroffene Personengruppe in der Wahrnehmung und dem Erleben schöner Momente sensibilisiert und darüber hinaus einen Beitrag zur Gestaltung eines innovativen Unterstützungsangebotes schafft.

Die nachfolgenden Ausführungen zur empirischen Vorgehensweise beschreiben zunächst die Entwicklung und Methodik der vorliegenden Tagebuchstudie. Nach der Darstellung der Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse werden die Erkenntnisse aufgezeigt und diskutiert.