Nachdem in Abschnitt 12.2 durch individuelle Fallbeschreibungen die jeweiligen Pflegesituationen und -beziehungen eingehend beschrieben wurden, erfolgt nun eine fallübergreifende Ergebnisdarstellung. Dabei werden mit Blick auf die in Kapitel 6 dargestellten Forschungsfragen die induktiv und deduktiv ausgewerteten Analyseergebnisse der Tagebucheinträge sowie der Interviews aufgezeigt und interpretiert. Dabei liegt der Fokus auf der Beschreibung und Wahrnehmung schöner Momente, deren Wirkung auf pflegende Angehörige und Menschen mit Demenz sowie der Bewertung und Reflexion der Tagebuchmethode. Um das Hauptaugenmerk auf die schönen Momente pflegender Angehöriger zu richten, ist es unabdingbar, im Voraus den Blick auf die erlebten Belastungen pflegender Angehöriger zu richten. Diese sollen den pflegenden Angehörigen vor dem Hintergrund der positiven Aspekte der Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz keinesfalls abgesprochen werden, sondern ernst genommen und dementsprechend in dieser Arbeit ebenfalls berücksichtigt werden.

13.1 Energieräuber

Die Analysen der Tagebucheinträge und Interviews weisen eine Vielzahl wahrgenommener und erlebter Energieräuber auf. Abbildung 13.1 stellt die einzelnen Kategorien der Kraft- und Energieräuber dar und zeigt die Ausprägung der individuellen Wahrnehmung jener Aspekte, die den teilnehmenden pflegenden Angehörigen Kraft und Energie rauben.

Abbildung 13.1
figure 1

Code-Matrix-Browser: Energie- und Krafträuber

Im weiteren Verlauf werden die einzelnen Kategorien detailliert beschrieben und mit aussagekräftigen Zitaten der pflegenden Angehörigen aus den Tagebucheinträgen und Interviews belegt.

Anforderungen pflegender Angehöriger

Die Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz geht mit unterschiedlichen Anforderungen pflegender Angehöriger einher. Dabei werden insbesondere pflegerische Tätigkeiten, die die pflegenden Angehörigen viel Kraft und Energie kosten, als herausfordernd beschrieben: „Die Pflege meines Mannes raubt mir jeden Tag Energie und Kraft“ (A006; Tag 02, Pos. 2). Die fortwährende erforderliche Präsenz der pflegenden Angehörigen und Konzentration auf die Pflege und Begleitung wird in diesem Zusammenhang als besonders belastend erlebt: „Die pflegerische Arbeit kostet mich viel Kraft, immer präsent sein“ (A006; Tag 04, Pos. 2). Die pflegenden Angehörigen berichten zudem von der großen Unsicherheit, die sie in Bezug auf die Cure-Arbeit empfinden, da sie die Pflege nicht professionell erlernt und kaum bis gar keine Erfahrung haben: „Zum Teil meine Unerfahrenheit beim Waschen, Anziehen im Bett. Da habe ich einiges falsch gemacht, was ärgerlich war!“ (A004; Tag 03, Pos. 2). Die progressiven Veränderungen und die damit einhergehenden Schwierigkeiten in der Pflege werden von den pflegenden Angehörigen ebenfalls als Anforderung beschrieben. Insbesondere der fortschreitende Verlauf der (demenziellen) Erkrankung und die damit einhergehenden Veränderungen des Menschen mit Demenz bereiten den pflegenden Angehörigen Sorgen und Zweifel: „Das Essen, füttern wird immer schwieriger. Ich denke oft daran, was machen wir, wenn [Name MmD] nicht mehr den Mund aufmacht?“ (A004; Tag 14, Pos. 2). Die Versorgung und Begleitung ihrer an Demenz erkrankten Angehörigen geht darüber hinaus mit weiteren Anforderungen einher. Die pflegenden Angehörigen sind häufig zeitlich eng getaktet und haben wenig Zeit für sich selbst:

War zwischen Pflege, Besprechung und Versorgen mit Kaffee, Getränken ziemlich gefordert. Leider konnte mich meine Pflegekraft da nicht so arg unterstützen. Um meine Mittagspause bin ich auch gekommen und war abends dementsprechend müde (A006; Tag 6, Pos. 1).

Dies verdeutlicht die hohe Belastung der Pflegenden und zeigt zudem auf, dass die pflegenden Angehörigen in der Pflege und Begleitung ihrer Familienmitglieder weitgehend alleine sind. Teilweise erhalten sie Unterstützung durch Betreuungspersonen, die mit den zu Pflegenden zusammenleben. Diese Form der Unterstützung ist jedoch auch mit Schwierigkeiten verbunden, wie etwa sprachlichen Barrieren und dem hohen zeitlichen Aufwand der Einarbeitung:

Der Morgen war anstrengend, [Name Betreuerin] ist sehr lieb, aber sie versteht wenig deutsch. Ich weiß immer nicht genau, ob sie meine Anweisungen verstanden hat und muss ihr viele Dinge einfach zeigen. Denke es wird von Tag zu Tag besser (A006; Tag 19, Pos. 1).

Durch die Zuhilfenahme einer Betreuungsperson kann es auch zu Differenzen kommen, die letztendlich zu weiteren Anforderungen an die pflegenden Angehörigen führen:

Die Auseinandersetzung mit der Pflegerin! Sie will nicht mit [Name MmD] so lange laufen und schiebt beziehungsweise gibt viele Gründe an. In Wirklichkeit kann sie das körperlich nicht. Somit übernehme ich das! (A004; Tag 12, Pos. 2).

Die Vielzahl an Aufgaben der pflegenden Angehörigen führen auch dazu, dass sie sich vernachlässigen und keine Zeit für sich selbst haben. Sie berichten davon, nicht zur Ruhe zu kommen und dass „jeder an [ihnen] zerrt“ (A005; Tag 26, Pos. 5). In jenen belastenden Zeiten können die pflegenden Angehörigen keine Energie zur Bewältigung der Pflegesituation tanken, was sie frustriert und an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringt: „Der Tag an dem ich kaum zur Ruhe kam. Habe oft das Gefühl meine Belastbarkeit lässt nach“ (A006; Tag 26, Pos. 2).

Menschen mit Demenz

Aufgrund der auffordernden Verhaltensweisen, die mit der Demenzerkrankung einhergehen können, beschreiben die pflegenden Angehörigen auch das jeweilige Verhalten und die Veränderungen ihrer Angehörigen zum Teil als belastend. Besonders die Erkenntnis der Hilflosigkeit und Traurigkeit ihrer Familienmitglieder ist dabei für die teilnehmenden pflegenden Angehörigen schwer zu ertragen und zeigt sich in Gefühlen der Trauer und Verzweiflung: „Ja, weil es für mich schwer ist, seine Traurigkeit und Hilflosigkeit zu ertragen“ (A002; Tag 15, Pos. 4). Ein weiterer wesentlicher und belastender Faktor in der Begleitung von Menschen mit Demenz ist deren Bedürfnis nach sinnvoller Beschäftigung: „Es ist eigentlich wie an jedem Tag: [Name MmD] will ständig beschäftigt sein. Es ist schwer für mich, dauernd eine Beschäftigung für ihn zu finden“ (A002; Tag 25, Pos. 2). Die Suche nach einer Beschäftigung und die dabei erwartete Aufmerksamkeit belastet die pflegenden Angehörigen, so dass sie diese ihren Angehörigen nicht immer gerne schenken: „Immer wieder erwartet [Name MmD] meine volle Aufmerksamkeit, die gebe ich ihm heute nicht gerne“ (A009; Tag 20, Pos. 6). Die pflegenden Angehörigen stehen darüber hinaus vor der Anforderung, die wechselnden Gefühlslagen und Bedürfnisse ihrer Angehörigen zu erkennen und darauf einzugehen: „Im Tagesverlauf ging es meiner Frau schlecht. Erhebliche Stimmungsschwankungen. […] Sie war hilflos, verzweifelt […] Habe mich zu ihr gesetzt und versucht zu beruhigen“ (A001; Tag 7, Pos. 1). Häufig erscheint es ihnen, als könnten sie dabei ihren an Demenz erkrankten Partnern und Eltern „nichts recht machen“ (A002; Tag 09, Pos. 2), was sie mitunter „immer beschäftigt und traurig“ (A002; Tag 23, Pos. 1) aber auch „wütend [und] ungeduldig macht“ (A010; Tag 8, Pos. 10). Besonders herausfordernde Situationen, in denen die an Demenz erkrankten Angehörigen unruhig sind und eine schwierige Phase durchleben, rauben ihnen Kraft: „Solche Situationen nehmen mir meine Energie!“ (A004; Tag 10, Pos. 2) und zeigen deutlich auf, wie wichtig es ist „die Veränderungen [der MmD] zu akzeptieren“ (A006; Tag 15, Pos. 2).

Gesundheitszustand und Wohlbefinden der pflegenden Angehörigen

Ein guter Gesundheitszustand der pflegenden Angehörigen sowie deren Wohlbefinden sind elementar, um die Pflege und Begleitung ihrer Angehörigen bewältigen zu können. Nur wenn es den pflegenden Angehörigen selbst gut geht, können sie sich auch gut um ihre an Demenz erkrankten Familienmitglieder kümmern. Oftmals haben diese Aspekte nichts mit der Pflege und Begleitung beziehungsweise dem Menschen mit Demenz an sich zu tun: „Es sind, sagen wir mal so, […] wenn mir es jetzt nicht so gut geht, hat manchmal gar nichts mit ihm zu tun. Das sind einfach die anderen Sachen, was ich so noch am Bagger hab“ (A002; T1, Pos. 50). Wie bereits im Theorieteil dieser Arbeit beschrieben, sind pflegende Angehörige nicht selten der „versteckte zweite Patient“ (siehe Abschnitt 2.2.1), sie leiden teilweise an eigenen Vorerkrankungen, die zunächst nicht mit der Pflege und Begleitung ihrer Angehörigen zu tun haben, die Situation jedoch durchaus erschweren und zusätzliche Sorgen bereiten können: „Oft raubt mir nicht die Demenz von [Name MmD] meine Energie, sondern meine eigene Krankheit!“ (A004; Tag 5, Pos. 2). Chronische Erkrankungen wie eine Krebserkrankung und deren Folgen – „[ö]fter, so auch heute, die Folgen meiner Prostataerkrankung. (Operiert, Bestrahlt, Krebs zwar weg, aber Folgen sind zu spüren!)“ (A004; Tag 13, Pos. 2) – oder Muskel-Skelettal-Erkrankungen wie Rückenschmerzen sind hierbei stellvertretend genannt. Auch akute Erkrankungen der pflegenden Angehörigen, wie eine Erkältung mit „Husten, Schnupfen, Heiserkeit“ (A008; Tag 18, Pos. 3) erschweren die Pflege- und Betreuungssituation maßgeblich und zusätzlich. Die mit der Pflege und Begleitung einhergehenden körperlichen Anforderungen der pflegenden Angehörigen äußern sich darüber hinaus auch in psychosomatischen Symptomen. Die pflegenden Angehörigen „fühlen [sich] erschöpft“ (A004; Tag 18, Pos. 9) und leiden kontinuierlich an Müdigkeit: „Ich hatte den ganzen Tag das Gefühl müde zu sein. Also geringes Energielevel. Aber den ganzen Tag durchweg“ (A007; Tag 22, Pos. 2), der durch einen fortwährenden schlechten Schlaf und unruhige Nächte verstärkt wird: „Der Schlafmangel nimmt mir die Energie“ (A006, Tag 9, Pos. 2). Weiterhin äußern die pflegenden Angehörigen in ihren Tagebucheinträgen (als Energieräuber) häufig an Kopfschmerzen zu leiden, die ebenfalls auf die hohen Belastungen zurückzuführen sind: „[M]ein schlechter Schlaf und meine Kopfschmerzen“ (A004; Tag 1, Pos. 2) und die Lebensqualität der pflegenden Angehörigen beeinflussen: „Nach einer Nacht mit Schmerzen und Grübeleien, hätte ich mich am Morgen a[m] liebsten irgendwo verkrochen“ (A002; Tag 23, Pos. 2).

Gedanken und Gefühle

Die Pflege und Begleitung ihres an Demenz erkrankten Angehörigen geht für die pflegenden Angehörigen oftmals mit einer Vielzahl an Gedanken und Gefühlen einher, die sie beschäftigen, traurig machen und letztendlich die notwendige Energie rauben, mit der Pflegesituation positiv umzugehen. Vorherrschend ist dabei das schlechte Gewissen, das die pflegenden Angehörigen verspüren, wenn sie zu wenig Zeit für ihre Angehörigen im Alltag haben: „Hatte heute wenig Zeit für [Name MmD]. Das tut mir dann oft leid! Oft kommt auch mein Gewissen, kann ich das überhaupt machen?“ (A004; Tag 5, Pos. 1). Außerdem äußern die pflegenden Angehörigen sorgenvolle Gedanken um die Zukunft und stellen sich die Frage, wie lange sie selbst in der Lage sind, ihre Partner bzw. Eltern zu begleiten: „Meine Gedanken, wenn ich in die Zukunft schaue, hoffe nur ich bleibe gesund und kann noch lange für meinen Mann da sein“ (A006; Tag 28, Pos. 2). Die Gesundheit spielt nicht nur für die pflegenden Angehörigen selbst eine maßgebliche Rolle, sondern beschäftigt sie auch in Bezug auf ihre Kinder, die sich aufgrund der Erkrankung ihrer Eltern Sorgen machen, ebenfalls an einer Demenz zu erkranken. Zu wissen, dass die eigenen Kinder mit derartigen Ängsten leben müssen, belastet die pflegenden Angehörigen dabei zusätzlich:

[D]er Gedanke, dass unsere Kinder verunsichert / ängstlich sind ‚bekommen wir das auch?‘. Gerade dieser Aspekt zieht mich oft ‚nach unten‘, macht mich traurig und raubt Energie (nicht nur heute) (A004; Tag 24, Pos. 4).

Die Angehörigen schmerzt es zudem, die privaten Gegenstände ihrer an Demenz erkrankten Familienmitglieder nach und nach auszusortieren und die Wohnungen auszuräumen. Sie müssen sich dabei von vielen Erinnerungen trennen: „[Es macht] mir zu schaffen, dass wir die Wohnung […] ausräumen müssen. Das Wissen, dass wir uns von vielem trennen müssen, raubt mir meine Energie“ (A003; Tag 17, Pos. 2).

„Die traurigen Gedanken“ (A006, Tag 22, Pos. 2) der pflegenden Angehörigen kreisen aber vor allem auch um die Veränderungen, die mit der Übernahme der Pflege einhergehen. Dabei fühlen sich die pflegenden Angehörigen häufig einsam, da sie Verabredungen mit Freunden und Bekannten nicht mehr gemeinsam als Ehepaar, sondern alleine wahrnehmen müssen: „Ich muss alleine zu unserem Cliquentreff gehen. Die drei Frauen waren alle Studienkolleginnen von [Name MmD]. Und jetzt ist [Name MmD] nicht mehr dabei!“ (A004; Tag 26, Pos. 2). Sie vermissen ihre Partner in jenen Situationen nochmal auf eine andere Art und Weise, die nicht selten auch damit einhergeht, dass sich die an Demenz erkrankten Angehörigen wenig bis gar nicht mehr verbal äußern können. Der Verlust gemeinsamer Gespräche und Diskussionen mit ihren Partnern oder Eltern ist für pflegende Angehörige häufig mit dem Gefühl von Trauer um die gemeinsame Zeit verbunden:

Dann wieder vermisse ich meinen Mann so. Unsere gemeinsamen Spaziergänge und Wanderungen sind mir so in guter Erinnerung. Da fanden die besten Gespräche und Gedankenaustausch statt. Die Sprachlosigkeit meines Mannes macht mich oft traurig (A006, Tag 22, Pos. 1).

Es wird ersichtlich, dass die Übernahme der Pflege und Begleitung eines an Demenz erkrankten Angehörigen mit einer Vielzahl an Gedanken und Gefühlen verbunden ist, „die sich [häufig] schwer kontrollieren lassen“ (A009; Tag 26, Pos. 5), sodass sich die hohe Belastung der pflegenden Angehörigen in Traurigkeit und dem Gefühl des Zurückgeworfen seins zeigt, das sich „[in] viele[n] Tränen [äußert], die nicht aufhören zu fließen“ (A009; Tag 03, Pos. 8).

Soziales Netzwerk

Das soziale Netzwerk pflegender Angehöriger und Pflegebedürftiger ist insbesondere für die Bewältigung der Pflegesituation wesentlich und unabdingbar. Es lassen sich sehr viele positive Aspekte gewinnen wie die der Unterstützung und das Füreinander-dasein, wie bereits in Abschnitt 2.3 dargestellt. Das soziale Netzwerk kann allerdings auch zu zusätzlichen Belastungen und Stressoren innerhalb einer Pflegesituation führen, wie beispielsweise die Sorge um weitere Familienmitglieder oder Freunde, die ebenfalls schwer erkrankt sind: „Später ein langes Telefonat mit einem Freund, dessen Frau schwer erkrankt ist. […] Habe ihm lange und gut zugehört“ (A002; Tag 03, Pos. 1–2). Darüber hinaus ergibt sich durch den Kontakt mit anderen die Möglichkeit, die eigene Lebenssituation mit der von Freunden oder Bekannten zu vergleichen, was durchaus bedrückend auf die pflegenden Angehörigen wirken kann:

Mittags war ich von der Mama einer Freundin zum Kaffee eingeladen, das war ein netter Nachmittag und diese Mama ist echt noch fit. Das frustriert im Vergleich mit meiner Mama (A007, Tag 1, Pos. 2).

Durch die Demenz und die damit einhergehenden Veränderungen bei der betroffenen Person kommt es häufig zu einem Rückzug des sozialen Netzwerks. Pflegende Angehörige berichten in diesem Zusammenhang davon, dass sich andere Familienmitglieder wie Kinder oder Enkelkinder zurückziehen und keinen Zugang zu der an Demenz erkrankten Person finden, was für die pflegenden Angehörigen ebenso belastend ist: „Fehlende Empathie und Nähe – keiner meiner Kinder findet einen Zugang zur Oma, obwohl sie da war als Oma“ (A009, Tag 17, Pos. 6). Zusätzliche Energieräuber sind in diesem Zusammenhang auch die unterschiedlichen Ansichten, Bedürfnisse und Erwartungen, wenn beispielsweise Geschwister die Pflege und Begleitung ihrer Eltern gleichermaßen übernehmen. Die Angehörigen fühlen sich durch die damit einhergehenden Streitigkeiten und Diskussionen zusätzlich belastet: „Der Druck meiner Schwester. Ihre Erwartung, dass ich unsere Mutter besuche, wenn sie nicht kann“ (A003; Tag 10, Pos. 3).

Die Pflege und Begleitung der Menschen mit Demenz ist dahingehend nicht der einzige Aspekt, welcher als Energieräuber wirken kann. Durch die Übernahme der Pflegesituation verändert sich insbesondere das soziale Netzwerk der pflegenden Angehörigen maßgeblich. Besonders belastend sind dabei der zusätzliche Stress und die Organisation, alles miteinander zu vereinbaren und trotz allem Kontakt zu Familie und Freunden zu halten: Wir bekommen […] Besuch. [I]ch muss mal wieder alles putzen, aufräumen, Ordnung schaffen. Stress, den ich mir auch sparen könnte“ (A007, Tag 03, Pos. 2).

Vereinbarkeit Pflege und Beruf

Eine große Herausforderung für berufstätige pflegende Angehörige ist die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf im Alltag. Die beruflichen Tätigkeiten der pflegenden Angehörigen tragen zu einem erhöhten Stresslevel bei. Sie haben wenig bis keine Pausen, müssen früh aufstehen und können durch die zusätzliche Anspannung nicht entspannen: „Kam gestresst von der Arbeit, kam nicht zur Ruhe, habe in dieser Anspannung gegessen“ (A010, Tag 22, Pos. 8). Besonders der Übergang vom hektischen Arbeitsalltag nach Hause kann sich dabei negativ auf die pflegenden Angehörigen auswirken: „Übergang Arbeit → Zuhause: bin müde, gestresst“ (A010, Tag 08, Pos. 9). Die Herausforderung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wird darüber hinaus teilweise auch durch das fehlende Verständnis der Arbeitgeber verstärkt:

Der Dienstplan für Februar ist raus: 3 Spätdienste. 1 Nachtdienst, fünfmal nur Frühdienst im ganzen Monat – ich sehe da null Verständnis für meine Situation … jetzt soll ich noch nachts Betreuung suchen! Oder tauschen! (A009, Tag 15, Pos. 10).

Besonders bei der Einteilung von Schichten und der damit einhergehenden Suche nach einer Betreuung für die an Demenz erkrankten Angehörigen ergeben für die Pflegenden zusätzliche Herausforderungen und Belastungen, wenn sie auf Unverständnis und fehlende Flexibilität bei Arbeitgebern und Kollegen treffen. Durch die Betreuungssituation müssen pflegende Angehörige weiterhin auch Termine, wie etwa Arzttermine, zusammen mit ihren Angehörigen, wahrnehmen. Diese zusätzlichen Termine machen es pflegenden Angehörigen häufig unmöglich, in Vollzeit zu arbeiten oder ihre Arbeit adäquat zu erfüllen: „Wieder kein voller Arbeitstag, weil Arztbesuch mit Mama ansteht – Stress, weil der Schreibtisch so nicht leer wird“ (A005, Tag 06, Pos. 3).

Bürokratie

Neben der Pflege und Begleitung ihres an Demenz erkrankten Familienmitglieds sind pflegende Angehörige mit vielen weiteren Aufgaben, die mit der Übernahme der Pflege und Versorgung verbunden sind, konfrontiert. Insbesondere die Bürokratie mit der Kranken- und Pflegeversicherung spielt hier eine große Rolle: „Lästige Krankenkasse[n-] Arbeit gemacht, Abrechnungen“ (A004; Tag 26, Pos. 1). Weiterhin übernehmen die pflegenden Angehörigen zudem die Koordination von Arztterminen und den Kontakt zu den behandelnden Ärzten, was ebenfalls als belastend und kräftezehrend empfunden wird: „[I]ch musste abends noch all die Mails an Ärzte erledigen, dazu hatte ich gestern keine Kraft. Aber morgen müssen die Ärzte informiert sein. (Entlassbrief, Termine ausmachen)“ (A005; Tag 04, Pos. 5). Die Angehörigen empfinden insbesondere den weiteren Organisationsaufwand, der mit der Pflege und Begleitung einher und darüber hinaus geht, als sehr belastend – die Pflege erscheint dabei lediglich ein Beiwerk zu sein: „War ein stressiger Tag, musste zwischen der ganzen Pflegearbeit telefonieren und einiges organisieren“ (A006; Tag 23, Pos. 1).

Veränderungen durch Demenz

Besonders belastend für die pflegenden Angehörigen ist zudem die Veränderung ihrer Angehörigen durch die Demenzerkrankung. Damit einhergehende Veränderungen im Verhalten, die Zunahme der Vergesslichkeit und die Pflege- und Hilfsbedürftigkeit verändern das Leben und die Beziehung zwischen den pflegenden Angehörigen und den Menschen mit Demenz grundlegend, was die pflegenden Angehörigen sehr beschäftigt und traurig macht:

Ich saß am Nachmittag im Garten und mir gingen viele Gedanken durch den Kopf. Mir wurde richtig bewusst, wie sich unser Leben verändert hat. Es wird keine gemeinsamen Fahrradtouren und Wanderungen mehr geben. Unseren Wohnwagen auf ‚der Tromm‘ im Odenwald mussten wir nach über vierzig Jahren schon vor drei Jahren aufgeben. Einen gemeinsamen Urlaub wird es auch nicht mehr geben. Darüber nachzudenken macht mich sehr traurig (A002; Tag 16, Pos. 2).

Die Erkrankung Demenz und die damit verbundenen Veränderungen verlaufen dabei progressiv und verstärken sich nach und nach: „[Name MmD] ‚Tüddeligkeit‘ nimmt zu“ (A009; Tag 27, Pos. 4), „Momentan raubt mir immer das Gleiche meine Energie, die Erkenntnis, dass sich am Zustand unserer Mutter nichts mehr zum Positiven wenden wird. Ich weiß das, kann es aber nicht akzeptieren“ (A003; Tag 05, Pos. 5). Teilweise stehen die pflegenden Angehörigen zu diesem Zeitpunkt bereits vor der Aufgabe, Betreuungs- und Pflegeleistungen für ihre Angehörigen zu beantragen, was emotional sehr herausfordernd sein kann: „Das Betreuungsverfahren beschäftigt mich sehr – ich bin überrascht, dass mir das so viel ausmacht! Es ist ein Gefühl, als nähme ich meiner Mutter etwas wichtiges weg!“ (A008; Tag 25, Pos. 1). Besonders schwer fällt es den pflegenden Angehörigen dabei, diese Veränderungen und die Übernahme der Verantwortung für ihre Angehörigen anzunehmen und zu lernen, damit umzugehen: „Die Unruhe meines Mannes. Vielleicht muss ich lernen, die Veränderungen einfach zu akzeptieren“ (A006; Tag 15, Pos. 2). Vor allem der Umgang mit dem Wissen um die Veränderungen und die Erkrankung an sich stellt die pflegenden Angehörigen in der Durchführung dabei vor eine Vielzahl an Herausforderungen: „Ich weiß es in der Theorie und in der Praxis klappt es nicht“ (A009; Tag 12, Pos. 8–10). Die Anforderung besteht insbesondere darin, immer für die an Demenz erkrankten Angehörigen mitzudenken und sie zu begleiten: „Ich muss immer einen Schritt voraus sein, bin ich aber nicht. – Vom Ton angeben und nachgeben“ (A009; Tag 12, Pos. 8–10).

Sorge um…

Ganz prominent in der Pflege und Begleitung eines an Demenz erkrankten Angehörigen ist für pflegende Angehörige die Sorge um ihr Familienmitglied: „[D]ie Sorge um meine Mutter“ (A005; Tag 04, Pos. 2). Diese begleitet die pflegenden Angehörigen durch den gesamten Alltag und lässt sie nicht zur Ruhe kommen. In Akutsituationen, in denen beispielsweise die an Demenz erkrankten Angehörigen erkranken, sich die Fähigkeiten und Fertigkeiten progressiv verändert haben oder der Angehörige nicht zu finden ist, fühlen sich die Pflegenden machtlos vor Sorge um ihre Angehörigen, was sie emotional sehr belastet: „Anruf von der Alzheimergesellschaft, Sorge um [Name MmD]; er geht nicht ans Telefon; hab keine Zeit […] hab geweint“ (A010; Tag 16, Pos. 13). Besonders der Blick in die Zukunft mit dem Wissen um den progressiven Verlauf der Demenzerkrankung und dem eigenen Alterungsprozess bereiten den pflegenden Angehörigen Sorgen um die langfristige Begleitung und Versorgung ihrer Angehörigen: „Meine Gedanken, wenn ich in die Zukunft schaue, hoffe nur ich bleibe gesund und kann noch lange für meinen Mann da sein“ (A006; Tag 28, Pos. 2).

Aus den dargestellten Ausführungen gehen eine Vielzahl an Belastungen und Energieräuber pflegender Angehöriger hervor, die eine positive Wahrnehmung der Pflegesituation erschweren. Diese Belastungen werden individuell erlebt und können dabei aufeinander Einfluss nehmen. Der Blick aus der Belastungsperspektive ist in den Pflegesituationen allgegenwärtig und verhindert häufig das Erleben schöner Momente in der pflegerischen Begleitung eines Menschen mit Demenz.

Nicht nur die Orientierung, sondern auch die Förderung bestehender, zugleich jedoch auch neu entwickelter Ressourcen, ist demnach unabdingbar für eine gelingende Bewältigung der Pflege und Begleitung.

13.2 Berührende Momente aus Sicht der pflegenden Angehörigen

Die Hauptkategorie „Berührende Momente“ (Abbildung 13.2) spricht insbesondere die Wahrnehmung und das Erleben bedeutsamer Momente in einer jeweiligen Sorgebeziehung an. Dabei ist es essentiell, den Blick nicht einseitig auf die Wahrnehmung der traurigen beziehungsweise schwierigen Momente, auf der in der Regel das Hauptaugenmerk liegt, zu setzen, sondern insbesondere die schönen Momente zu fokussieren, um einen ganzheitlichen und ressourcenorientierten Blick auf die Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz zu entwickeln und betroffene pflegende Angehörige auf die Wahrnehmung dieser positiven Aspekte sensibilisieren zu können. Weiterhin ist auch die Reaktion der pflegebedürftigen Menschen mit Demenz auf ebendiese Momente von Interesse. Die Kategorie „Kein schöner Moment gefunden“ zeigt darüber hinaus auf, wie häufig und aus welchen Gründen die pflegenden Angehörigen in der Zeit des Tagebuch-Schreibens keinen schönen Moment wahrnehmen konnten. Im Folgenden werden die Hauptkategorien und deren jeweilige Sub-Kategorien, sowie Sub-Sub-Kategorien genannt und mit Zitaten aus den Interviews und Tagebucheinträgen belegt.

Abbildung 13.2
figure 2

Code-Baum „Berührende Momente“

13.2.1 Schöne Momente in der Pflege und Begleitung

Die Wahrnehmung schöner Momente, auf der das Hauptaugenmerk dieser Analyse liegt, lässt sich in unterschiedliche Sub-Kategorien einteilen, die von den pflegenden Angehörigen im Verlauf des Tagebuch-Schreibens und im Rahmen der Interviews beschrieben werden (Abbildung 13.3).

Abbildung 13.3
figure 3

Kategorien-System „Schöne Momente“

Aus den Beschreibungen der pflegenden Angehörigen wurden insgesamt vier Sub-Kategorien induktiv entwickelt. Insbesondere die Themen „Soziales Netzwerk“ und „Selbstpflege“, werden dabei von den pflegenden Angehörigen genannt und demnach als Sub-Kategorie eingeführt. Die Aspekte der „Interaktion mit dem Menschen mit Demenz“ und die „Zwischenmenschlichkeit“ spiegeln hinsichtlich der persönlichen Wahrnehmung individuelle Bereiche einer Sorgebeziehung wider und sind einzigartig im Erleben der pflegenden Angehörigen, weshalb diese Kategorien deutliche Varianzen zwischen den Angaben der Teilnehmenden aufzeigen. Abbildung 13.4 visualisiert dahingehend die Häufigkeitsverteilung der Eintragungen pflegender Angehöriger in der Kategorie „Schöne Momente“. Es geht hervor, dass insbesondere die Aspekte „Soziales Netzwerk“, „Selbstpflege“ und „Interaktion zwischen pflegenden Angehörigen und Menschen mit Demenz“ im Wesentlichen von den pflegenden Angehörigen wahrgenommen und erlebt werden. Die Kategorie „Zwischenmenschlichkeit“ hingegen spielt besonders bei zwei Teilnehmenden eine Rolle.

Abbildung 13.4
figure 4

Verteilung der Eintragungen pro pflegende Angehörige

Soziales Netzwerk

Das soziale Netzwerk wird erwartungsgemäß nicht nur als Energieräuber, sondern auch mit schönen Momenten in Verbindung gebracht und stellt mit insgesamt 433 codierten Segmenten die am häufigsten genannte Kategorie dar. Aus Gründen der Verschiedenheit wurden deshalb weitere Sub-Kategorien gebildet (Abbildung 13.5), die im Folgenden ausführlich betrachtet werden.

Abbildung 13.5
figure 5

Sub-Kategorie „Soziales Netzwerk“

Bei allen zehn teilnehmenden pflegenden Angehörigen spielt das soziale Netzwerk für die Bewältigung der Pflegesituation eine wichtige Rolle. Zum sozialen Netzwerk gehört dabei nicht nur die Familie, Freunde und Bekannte, die gleiche Interessen und Hobbys verfolgen, sondern auch Arbeitskollegen in Hinblick auf berufstätige pflegende Angehörige. Nicht zuletzt zählen auch professionelle Akteure sowie andere Betroffene, die jene Lebenssituation am besten verstehen und nachvollziehen können, als wichtige Ansprechpartner für Pflegende. Worin genau das soziale Netzwerk eine positive Wirkung hat, zeigen die folgenden Belege aus den Tagebucheinträgen und Interviews.

Die Familie ist für alle der zehn teilnehmenden pflegenden Angehörigen sehr wichtig und wird regelmäßig in den Tagebucheinträgen und Interviews mit der Wahrnehmung schöner Momente in Verbindung gebracht: „Schöne Momente sind Familienmomente“ (A007; T0, Pos. 26). Für die Bewältigung der Pflege und Begleitung wird vor allem der Rückhalt und die Unterstützung durch die Familie gebraucht: „Meine Schwester versorgte abends meine Mutter!“ (A008; Tag 18, Pos. 4). Jedoch erscheint nicht nur die konkrete und praktische Unterstützung in der Sorgearbeit für die pflegenden Angehörigen wichtig, sondern vielmehr die Möglichkeit gemeinsamer Gespräche auf Augenhöhe: „Erst ‚Samstagsfrühstück‘ (wie fast immer am Wochenende) mit Schwester + Schwager. Gut tut der lebendige Austausch ‚auf Augenhöhe‘!“ (A008; Tag 13, Pos. 1). Dabei können sich die pflegenden Angehörigen vom Alltag ablenken und ihre Sorgen und Gedanken loswerden, was ihnen guttut und Kraft spendet:

Habe heute Morgen [Name MmD] für eine Stunde alleine gelassen und habe [Name Cousine] besucht. Sie hat immer ein offenes Ohr für mich und mit ihr kann ich mich gut unterhalten. Es tut mir gut (A002; Tag 18, Pos. 1).

Die Familie ist nicht nur eine große Hilfestellung und Unterstützung in der Übernahme der Pflege und Begleitung, sondern schafft darüber hinaus durch gemeinsame Unternehmungen und Aktivitäten schöne Momente für die pflegenden Angehörigen, bei denen sie Abstand von der alltäglichen Pflegesituation gewinnen können:

Heute habe ich den Tag genossen. Ich war zusammen mit meinem Mann auf einem Lateinamerikanischen Fest. Ich wusste meine Schwester kümmert sich heute um Mutti (A003; Tag 24, Pos. 1).

Dabei genießen die pflegenden Angehörigen die Zeit mit ihrer Familie und können währenddessen Kraft schöpfen und abschalten: „Die Stunde bei meiner Tochter, haben in Erinnerungen gegraben, schöne Erinnerungen“ (A006; Tag 26, Pos. 3).

Schöne Momente mit der Familie finden darüber hinaus auch gemeinsam mit den an Demenz erkrankten Angehörigen statt. Insbesondere die Besuche von Kindern und Enkelkindern werden dabei von den an Demenz erkrankten Angehörigen als positiv wahrgenommen: „Der Besuch der Familie und die Reaktion meines Mannes, seine Familie um sich zu haben. Das gemeinsame Zusammensein haben wir immer gemocht“ (A006; Tag 16, Pos. 3). Häufig beschreiben die pflegenden Angehörigen in den Tagebucheinträgen diese schönen Momente in Zusammenhang mit einem gemeinsamen und vor allem geselligen Abendessen mit der ganzen Familie:

Ein schöner Moment ist auch, […] wenn die Kinder kommen und […] da wird hier gekocht, da haben wir dann schön den Tisch gedeckt und dann wird gemeinsam gegessen. Also gemeinsames Essen mit der Familie, [das finde] ich auch einen schönen Moment (A004; T0, Pos. 28).

Es ist allerdings nicht nur die gemeinsame Zeit mit der Familie, sondern ebenso Verabredungen und Treffen mit Freunden und Bekannten, die von den pflegenden Angehörigen als schöne Momente beschrieben werden: „Schöne Momente sind immer, wenn Freunde da sind, klar. Familie natürlich auch“ (A009, T0, Pos. 26). In diesen Momenten finden gemeinsame Aktivitäten im Freundeskreis wie beispielsweise wandern gehen oder ein geselliges Frühstück statt:

Ja, gemeinsame Erlebnisse. Auch mit Freunden. Wir haben […] gute Freunde, da machen wir auch viel. Gehen wandern, essen oder wir kommen zum Brunch zusammen und da wird auch viel diskutiert. Das machen wir ganz gern (lacht). Das sind schöne Momente (A004; T0, Pos. 30).

Die pflegenden Angehörigen teilen dabei mehrheitlich Interessen und Hobbies mit ihren Freunden, denen sie in ihrer Freizeit gemeinsam nachgehen: „Ich habe mich am Nachmittag mit den Frauen aus meinem Malkurs getroffen und habe es sehr genossen, mal wieder unter Leuten zu sein“ (A002; Tag 04, Pos. 1). Besonders die dabei aufkommenden gemeinsamen Gespräche werden von den pflegenden Angehörigen dabei als wichtig und wohltuend beschrieben: „Am Nachmittag mit [Name Freund] radeln. Wie immer nette Gespräche und abgelenkt vom Alltag“ (A001; Tag 25, Pos. 1). Durch ihre Freizeitbeschäftigungen gewinnen die pflegenden Angehörigen darüber hinaus auch Abstand zum Pflege- und Betreuungsalltag und können ihren Freunden und Bekannten in dieser Zeit von ihren Sorgen und Gedanken zu ihrer Lebenssituation berichten. Besonders die Wertschätzung ihrer Freunde haben in diesem Zusammenhang einen beinahe schon therapeutischen Nutzen: „Die Zuneigung der Freunde beim Kegeln, obwohl ich wirklich nach der langen Pause schlecht gekegelt habe. Wir hatten schöne Gespräche, ist meine ‚Therapiegruppe‘“ (A006; Tag 12, Pos. 3). Insbesondere die Tatsache, dass „andere für [sie] da sind“ (A005; Tag 15, Pos. 7) und ihre Hilfe anbieten bzw. zuhören, gibt ihnen in solchen Momenten Kraft zur Bewältigung der Pflegesituation.

Als wertvoll betrachtet werden von den pflegenden Angehörigen zugleich Situationen, in denen Freunde die an Demenz erkrankten Angehörigen besuchen und gemeinsam miteinander Zeit verbringen:

Wir hatten eine Nachgeburtstagsfeier mit Freunden […] [Name MmD] war mitten dabei! Das sind schöne Momente […] Wenn sie mit am Tisch sitzt und wir uns unterhalten, habe ich das Gefühl, sie ist irgendwie ‚mit dabei‘ (A004; Tag 11, Pos. 1-3).

Mit dabei zu sein und am Leben teilhaben zu können ist dabei, auch in Hinblick auf einen offenen Umgang mit den an Demenz erkrankten Angehörigen, für die pflegenden Angehörigen wichtig und trägt wesentlich zum Wohlbefinden und der sozialen Teilhabe der Betroffenen sowie der pflegenden Angehörigen selbst bei: „[D]eren selbstverständlicher Umgang mit [Name MmD] (Wortfindungsstörungen, erfasst Sachverhalt nicht richtig, irritierendes Verhalten […]) locker zugewandt“ (A010; Tag 20, Pos. 10–11). Diese gemeinsamen Treffen geben nicht nur den pflegenden Angehörigen, sondern auch den Menschen mit Demenz ein gutes Gefühl und wirken sich positiv aus:

Am Mittag waren wir […] spontan i[m] Vogelpark. Es ist herrlich bei diesem schönen Wetter unter den Bäumen zu sitzen, ein schönes Eis zu essen und zufällig Bekannte zu treffen. Das gibt mir Kraft und Energie. Auch [Name MmD] genießt diese Zeit immer sehr (A002; Tag 28, Pos. 1).

In den Tagebucheinträgen wird dabei deutlich wie dankbar die pflegenden Angehörigen um ihre Freundschaften sind und welchen hohen Wert sie ihnen beimessen: „[M]ir wurde wieder bewusst, wie wertvoll Freunde sind“ (A006; Tag 15, Pos. 4).

Insgesamt vier der zehn pflegenden Angehörigen schließen ihr (berufliches) Kollegium in das soziale Netzwerk ein. Diese vier Teilnehmenden sind zusätzlich zur Pflege und Begleitung ihres an Demenz erkrankten Angehörigen noch berufstätig. Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf kann, wie bereits in Abschnitt 2.2.1 dargestellt, zu einer zusätzlichen Belastung führen und sich herausfordernd auf die Bewältigung der Pflegesituation auswirken. Alle vier berufstätigen pflegenden Angehörigen berichten in den Tagebucheinträgen und Interviews aber auch von schönen Momenten, die sie durch ihre Berufstätigkeit bzw. das Kollegium erleben. Dabei ist besonders die Tatsache an sich, einen Beruf auszuüben, der Spaß macht und Freude bereitet, wesentlich für die pflegenden Angehörigen: „Schöner, erfolgreicher Arbeitstag. Ich arbeite gern als [Berufsbezeichnung]! Ich wollte diesen Beruf erlernen und ich liebe ihn bis heute!“ (A007; Tag 11, Pos. 1). Vor allem der Austausch mit Kollegen wird dabei als positiv bewertet: „Ich habe natürlich auch andere gute Momente ohne meinen Mann. Das wäre dann bei der Arbeit, in Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen“ (A010; T0, Pos. 30). In Bezug auf das Kollegium schätzen diese pflegenden Angehörigen dabei nicht nur den Dialog, sondern auch die Bereitschaft und Flexibilität, zum Beispiel kurzfristig Dienste zu tauschen oder für die pflegenden Angehörigen im Notfall einzuspringen:

[W]ir haben Gott sei Dank so eine Tauschgruppe. Und das hat sich dann relativ schnell ergeben […], dass sich doch jemand ganz schnell gefunden hat, der mit mir dann getauscht hat. Und das sind, für mich, total gute Momente auch, wo ich mich echt darüber freue (A009; T2, Pos. 7).

„Das Verständnis der Kollegen“ (A005; Tag 27, Pos. 7) tut den pflegenden Angehörigen gut und unterstützt sie darin, sich trotz Berufstätigkeit um ihre an Demenz erkrankten Angehörigen zu sorgen.

Mit der Übernahme der Pflege und Begleitung erweitert sich das soziale Netzwerk bei einem Großteil der pflegenden Angehörigen um zwei weitere Personenkreise: Akteure aus der professionellen Betreuung und Beratung sowie andere betroffene pflegende Angehörige.

Mehrheitlich nehmen die teilnehmenden pflegenden Angehörigen Unterstützung und Beratungsangebote professioneller Akteure in Anspruch. Dabei haben die professionellen Akteure unterschiedliche Rollen inne, sind aber alle beruflich mit der Thematik Demenz befasst. Insbesondere die Gespräche mit diesen Akteuren helfen den pflegenden Angehörigen, die Pflegesituation anzunehmen und zu akzeptieren. Sie unterstützen zudem einen angemessenen Umgang mit den Menschen mit Demenz:

Er [PDL] konnte uns in vielen Punkten einfach ein bisschen beruhigen oder davon ‚überzeugen‘, dass wir versuchen sollten, manches mit Humor zu nehmen, weniger zu diskutieren, als viel mehr zu akzeptieren […] Wenn man dann mal wieder mit einer unbeteiligten Person spricht, die aber die Problematik versteht, kann einen das sehr beruhigen und dazu bringen, vieles gelassener zu sehen (A003; Tag 06, Pos. 1).

Einige pflegende Angehörige haben zudem Unterstützung durch 24-h-Pflegekräfte, die wochenweise bei den pflegenden Angehörigen wohnen und dort in der Pflege und Begleitung sowie im Haushalt helfen: „[Name 24-h-Pflegerin] hat mir aus ihrem Garten Blumen mitgebracht und ein kleines Beet angelegt. Ich finde das so rührend“ (A006; Tag 19, Pos. 5). Sie tun den pflegenden Angehörigen mit kleinen Aufmerksamkeiten gut und spenden Kraft. Auch das Gefühl, dass es den 24-h-Pflegekräften bei den pflegenden Angehörigen gefallen hat, nehmen die pflegenden Angehörigen als wichtig und positiv wahr: „Der Abschied von [Name 24-h-Pflegerin], auch das Gefühl, dass es ihr bei uns gefallen hat und sie wiederkommen möchte“ (A006; Tag 18, Pos. 4).

Um etwas Zeit für sich selbst zu finden, nehmen einige der pflegenden Angehörigen zudem Unterstützung durch Betreuungspersonen in Anspruch. Diese begleiten die an Demenz erkrankten Personen stundenweise im Alltag, sodass die pflegenden Angehörigen sich in dieser Zeit anderen Dingen widmen können. Die Betreuungspersonen stehen darüber hinaus auch den pflegenden Angehörigen als Ratgeber und Ansprechpartner zur Seite, was die pflegenden Angehörigen insbesondere in Notsituationen unterstützt: „[Name Betreuerin] hat sich nach einer WhatsApp gleich gemeldet und es hat mir so gut getan“ (A009; Tag 09, Pos. 7). Die an Demenz erkrankten Angehörigen werden zum Teil auch durch Ehrenamtliche betreut. Diese Form der Betreuung richtet sich nicht nur mit der Intention der Unterstützung an die pflegenden Angehörigen, sondern zielt auch darauf, dass Menschen mit Demenz mit anderen Betroffenen in einer Gruppe in Kontakt kommen. Die Treffen werden im regelmäßigem Austausch zwischen den pflegenden Angehörigen und Ehrenamtlichen reflektiert. Eine positive Rückmeldung der Ehrenamtlichen über den Menschen mit Demenz bereitet den pflegenden Angehörigen hierbei nicht nur Freude, sondern verschafft ihnen auch Erleichterung: „Positive Sachen zu hören über unsere Männer beim Austausch von den Ehrenamtlichen“ (A009; Tag 08, Pos. 10). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die pflegenden Angehörigen durch die Inanspruchnahme professioneller Angebote maßgeblich unterstützt werden und auf diese Weise die Möglichkeit zur Selbstsorge und zur Wahrnehmung schöner Momente erhalten.

Der Kontakt zu anderen betroffenen Angehörigen wird von den pflegenden Angehörigen ebenfalls mit schönen Momenten verbunden. Dabei werden insbesondere der Austausch und das Verständnis untereinander als kraftspendend erlebt und dienen den Angehörigen teilweise als Vorbild:

Als Vorbild […] Die Nachbarin und auch die Bekannte, wenn ich irgendwie mal eine Frage habe oder wenn ich sage heute war es wieder [...] die bauen mich immer wieder auf. Das ist gut (A002, T0, Pos. 57).

Der „Austausch mit Angehörigen“ (A009; Tag 08, Pos. 5) ermöglicht dabei Gespräche mit Personen in der gleichen Lebenssituation, die ein Verständnis für die Sorgen und Belastungen anderer Betroffener haben. Solche Unterhaltungen tragen in bedeutsamer Weise zur Bewältigung der Pflegesituation und derer positiven Wahrnehmung bei: „Und gerade die Bekannte […] Die hat sich mit mir unterhalten und ich habe gesagt, du, wenn ich mit dir gesprochen habe, dann ist wieder die Welt in Ordnung“ (A002; T0, Pos. 61).

Selbstpflege

Ein weiterer zentraler Aspekt in der Wahrnehmung schöner Momente pflegender Angehöriger ist die „Selbstpflege“. In dieser Kategorie finden sich insgesamt 389 kodierte Segmente, weshalb auch hier, um genauer zu verstehen, welche Quellen der Selbstpflege es gibt, weitere Sub-Kategorien gebildet wurden (Abbildung 13.6).

Abbildung 13.6
figure 6

Sub-Kategorie „Selbstpflege“

Die Sorge um sich selbst ist ein wesentlicher und essentieller Faktor, um das Wohlbefinden und die Lebensqualität pflegender Angehöriger (langfristig) aufrechtzuerhalten. Momente der Selbstpflege lassen sich dabei als Augenblicke beschreiben, in denen pflegende Angehörige Zeit für sich selbst haben und etwas Abstand von den alltäglichen Belastungen nehmen können. Jene Momente werden von den pflegenden Angehörigen als schöne Momente wahrgenommen und sowohl in den Tagebucheinträgen als auch Interviews beschrieben.

Insbesondere Augenblicke der Entspannung, die die pflegenden Angehörigen versuchen in ihren Alltag einzubauen und zu ritualisieren, ermöglichen ihnen dabei die Zeit für sich selbst zu nutzen und wertzuschätzen: „Ähm, einfach so dieses genießen, der Weg zur Arbeit, Rad fahren morgens, es nieselt. Für mich alleine“ (A010, T0, Pos. 30). Vor allem tägliche kleine Auszeiten geben den pflegenden Angehörigen dabei Kraft für den Tag mit all seinen Anforderungen:

[D]as einzige was ich mir gönne, das ist diese knappe Stunde Mittagspause, wo ich dann aber auch wirklich alles liegen lasse, was für mich wichtig ist, um mich ein bisschen für den Rest des Tages zu erholen (A006; T1, Pos. 12).

Körperliche Aktivitäten in Form von Joggen oder Rad fahren aber auch „YOGA [und] meditieren“ (A010, Tag 5, Pos. 2–16), tragen dabei zu einem größeren Wohlbefinden und mehr Lebensqualität bei: „Manchmal meditiere ich abends, bei einer bestimmten Musik (damit ich besser schlafen kann)“ (A004; Tag 27, Pos. 6). Zwei der teilnehmenden pflegenden Angehörigen starten täglich mit Ritualen in den Tag: „Morgenroutine: kalt duschen, meditieren, Ingwerwasser“ (A010; Tag 12, Pos. 3), mit denen sie versuchen, Momente der Selbstfürsorge und Achtsamkeit miteinander zu verbinden und sich für den (All-)Tag bereit zu machen: „Gut geschlafen […], Yoga gemacht und bei gutem Wetter im Café gewesen […], also guter Tagesstart!“ (A004; Tag 06, Pos. 1). Die pflegenden Angehörigen versuchen darüber hinaus, sich selbst regelmäßig etwas Gutes zu tun, zum Beispiel mit gesundem Essen und insbesondere der bewussten Zeit für die einzelnen Mahlzeiten: „[I]n Ruhe gefrühstückt, versucht mich auszuruhen“ (A010; Tag 19, Pos. 4). Vor allem gefestigte Rituale, alleine für sich, aber auch zusammen mit Freunden und der Familie, bieten kurze, wohltuende Auszeiten: „So diese Rituale, mein Sport, treffen mit Leuten also die Familie, die Kinder, ja und ja auch mal so wegfahren, wo ich jetzt 3 oder 4 Tage in Berlin war“ (A004, T0, Pos. 44). Entspannung finden können die pflegenden Angehörigen darüber hinaus in der Natur, beispielsweise bei einem Spaziergang: „Ein wunderbarer Herbsttag, habe mir einen schönen Spaziergang durch die Weinberge gemacht. Oft tut es gut allein zu laufen und den Gedanken freien Lauf zu lassen“ (A006; Tag 22, Pos. 1) oder bei einer wohltuenden Massage:

Dafür konnte ich am Nachmittag eine kleine Auszeit nehmen, indem ich zur Massage gegangen bin. Es ist für mich gut, dass er auch mal ein bis zwei Stunden alleine bleiben kann. Er freut sich immer, wenn ich dann wieder da bin (A002; Tag 05, Pos. 1).

Als besonders schön werden von den pflegenden Angehörigen auch Situationen beschrieben, in denen sie ihren Hobbies und Interessen nachgehen können, wie hier beispielsweise der wöchentlichen Singstunde:

Also schöne Momente für mich jetzt sind, wenn ich in die Singstunde gehen kann. Ich singe gerne und wir singen tolle Sachen […] und da freue ich mich jetzt, dass wir nächste Woche wieder singen können (A002; T0, Pos. 72).

Wesentlich für das Gelingen solcher kleinen Auszeiten ist für die pflegenden Angehörigen das Wissen, dass es während diesen Momenten auch ihren an Demenz erkrankten Angehörigen gut geht: „Meiner Frau ging es gut und ich konnte etwas für mich tun“ (A001; Tag 10, Pos. 3). Die Schaffung einer „Kombination zwischen [dem] Ich und der Zeit mit [dem MmD]“ (A004; Tag 24, Pos. 7) ist dabei ganz besonders wichtig für das Erleben schöner Momente aber auch dem Kraft sammeln, um die Pflegesituation langfristig und positiv bewältigen zu können:

Wohlwissend, dass es heute ein schöner Tag für mich wird: Wetter toll, tolle Wanderung in einer sehr schönen Landschaft mit netten Leuten, Interessante und lustige Gespräche. Und [Name MmD] ist gut versorgt, es geht ihr gut! Und all das gibt mir Energie, auch für folgende Tage (A004; Tag 15, Pos. 6).

Die Tagebucheinträge und Interviews machen ersichtlich, welchen Wert kleine Auszeiten und Momente der Selbstpflege für die pflegenden Angehörigen bergen. Durch solche Augenblicke kann das Wohlbefinden und die Lebensqualität der pflegenden Angehörigen erhalten und gefördert sowie das Erleben schöner Momente ermöglicht werden.

Interaktion zwischen pflegenden Angehörigen und Menschen mit Demenz

Die „Interaktion zwischen pflegenden Angehörigen und Menschen mit Demenz“ trägt ebenfalls zur Wahrnehmung schöner Momente bei. Aus den Tagebucheinträgen und Interviews wurden insgesamt 271 Segmente codiert, welche in Sub-Kategorien ausdifferenziert wurden (Abbildung 13.7).

Abbildung 13.7
figure 7

Sub-Kategorie „Interaktion pA und MmD“

Aus Perspektive der pflegenden Angehörigen werden schöne Momente mitunter auch gemeinsam mit dem an Demenz erkrankten Angehörigen erlebt. Sie finden insbesondere in alltäglichen Situationen statt, in denen pflegende Angehörige und Menschen mit Demenz Zeit miteinander verbringen, gemeinsam etwas Unternehmen oder Freizeitaktivitäten ausüben. Jene Momente lösen Freude und Glück sowohl bei pflegenden Angehörigen als auch bei Menschen mit Demenz aus: „Meistens sind wir dann auch mit dem Fahrrad unterwegs und genießen die Landschaft und Eindrücke und lernen andere Leute kennen und […] dann geht es uns beiden sehr gut“ (A001, T0, Pos. 32). Dabei wird nicht nur sportlichen Aktivitäten nachgegangen, sondern ebenso gerne Kaffee getrunken: „Wir haben in der Straße vorm Haus meiner Mutter Kaffee getrunken. Und Mama hat es genossen. Dabei kamen alte Freunde vorbei. Das war schön“ (A005; Tag 16, Pos. 5) oder ein Ausflug in die Stadt gemacht:

Freude, [die] Mutti hat, wenn man mir ihr ‚scharwenzeln‘ geht. Das heißt, man unternimmt etwas Schönes und kehrt dann irgendwo ein. Dann gehört ein Gläschen Sekt oder Weinschorle dazu und Mutti blüht auf (A003; Tag 05, Pos. 6).

Insbesondere miteinander Lachen zu können, wird in diesem Zusammenhang mehrheitlich von den pflegenden Angehörigen als kraftspendend wahrgenommen: „Dass wir immer noch zusammen lachen können“ (A002; Tag 02, Pos. 5) und wirkt dabei vertraut und wertvoll auf die Beziehung zueinander: „Immer wieder erzählt mir [Name MmD] etwas, schaut mich ganz intensiv an. Wenn ich dann lache, lacht sie auch. Gerade dieses Lachen und freundliche Gesicht, ‚berührt‘ mich!“ (A004; Tag 03, Pos. 3). Freude empfunden wird darüber hinaus beim gemeinsamen Singen und Tanzen:

Haben nach dem Frühstück CD’s mit alten Schlagern gehört und beide laut mitgesungen. Ich war überrascht an wie viele Ereignisse, die mit dem ein oder anderen Lied zusammenhängen, er sich erinnern konnte. Ich freue mich sehr, dass ihm das so großen Spaß machte (A002, Tag 04, Pos.1).

Aber auch beim gemeinsamen Lösen von Rätselaufgaben: „Habe heute Nachmittag seit langer Zeit Kreuzworträtsel mit meinem Mann gemacht. War überrascht, wie viel er noch wusste. Hab mich sehr gefreut“ (A006; Tag 03, Pos. 3). Teilweise spielen die pflegenden Angehörigen und ihre an Demenz erkrankten Familienmitglieder auch Gesellschaftsspiele miteinander: „[Am] Nachmittag haben wir ‚Mensch ärgere dich nicht‘ gespielt. Er hat sich sehr gefreut, dass er gewonnen hat. Es war ein guter Tag“ (A002; Tag 14, Pos. 1). Schöne Momente, gemeinsam mit dem an Demenz erkrankten Angehörigen finden jedoch nicht ausschließlich bei gemeinsamen Freizeitaktivitäten statt, sondern insbesondere im Alltag beispielsweise im Haushalt, beim Kochen oder Backen: „Kuchen gebacken und [Name MmD] mit einbezogen, hat gut geklappt“ (A009; Tag 12, Pos. 4). Dabei ist es im Wesentlichen nicht entscheidend was man miteinander macht, sondern dass man die Zeit miteinander verbringt: „[W]enn wir Dinge mit Zeit und Ruhe tun, entsteht eine gelöste Atmosphäre und eine gute Verbindung zwischen uns, egal was wir tun: kochen, putzen, essen, Autofahrt“ (A010; Tag 28, Pos. 10).

Zwischenmenschlichkeit

Der Sub-Code „Zwischenmenschlichkeit“ kann zur Interaktion zwischen Menschen mit Demenz und pflegenden Angehörigen gezählt werden, er erweitert sich jedoch auf die zwischenmenschliche Beziehung. Wie in der Heatmap (Abbildung 13.8) dargestellt wird, erleben vor allem zwei pflegende Angehörige (A004 und A010) in der Pflege und Begleitung ihrer Ehepartner ein hohes Maß an Liebe, Zuneigung und Nähe zueinander. Lediglich eine Teilnehmende (A007) berichtet von keinen liebevollen Momenten mit ihrer Mutter, was auf deren schlechtes Verhältnis zueinander zurückzuführen sein könnte (nähere Ausführungen in der Fallbeschreibung A007).

Abbildung 13.8
figure 8

Heatmap mit den Häufigkeiten der Nennungen der Kategorie „Zwischenmenschlichkeit“

Aspekte der reziproken Liebe, Zuneigung und Intimität werden insbesondere in partnerschaftlichen Beziehungen erlebt: „Verbundenheit / Nähe → liebevolle Beziehung zu meinem Mann“ (A010; Tag 4, Pos. 20) und können sich im Verlauf der Sorge um den Partner verstärken und Sinnhaftigkeit in der Begleitung geben:

Ein schöner Moment ist auch, wenn ich sie, also abends bringe ich sie immer ins Bett, schon immer […] und da umarme ich sie immer uns dann merke ich, dann […] streichelt sie mich auch und gibt mir manchmal einen Kuss […] Da merkt man, dass sie auch vom Gefühl her merkt, da ist jemand. Das ist ein sehr schönes Gefühl (A004, T0, Pos. 34).

In jenen Momenten haben die pflegenden Angehörigen das Gefühl, ihren an Demenz erkrankten Angehörigen etwas zurückgeben zu können, was sich nicht nur bereichernd, sondern auch kraftspendend auf die pflegenden Angehörigen auswirkt:

Ich gebe [Name MmD] etwas zurück, was sie uns viele Jahre gegeben hat (mit vier Kindern). Liebe, Geborgenheit, Zärtlichkeit, gutes Essen […] Das ist, Sie kennen das jetzt schon, meine übergeordnete Kraftquelle (im Kopf) (A004; Tag 27, Pos. 5).

Vor allem „Blicke, Berührungen“ (A010; Tag 22, Pos. 11) und der Austausch von Zärtlichkeiten werden dabei übergeordnet von den pflegenden Angehörigen als schöne Momente wahrgenommen: „Mein Mann hat ganz lange meine Hand gehalten, gibt mir Kraft diese Pflege zu machen“ (A006; Tag 20, Pos. 5). Die pflegenden Angehörigen empfinden dabei vor allem die Tatsache der gegenseitigen Wahrnehmung als wertvoll:

Ja, das [sind eigentlich Momente], wenn ich mit meinem Mann zusammensitze oder wenn ich merke […] er nimmt mich wahr, […] wenn er mir auch zeigt, dass er mich wahrnimmt oder […] manchmal greift er auch meine Hand und dann merke ich, dass ihm das auch guttut. So schöne Momente (A006; T0, Pos. 20).

Insbesondere ein pflegender Angehöriger (A004) hebt sich hierbei besonders hervor. Er zieht sehr viel Kraft aus der Liebe zu seiner Frau, die sich vor allem in körperlicher Nähe zueinander äußert:

Ich stelle fest, dass es viele kleine positive Situationen mit [Name MmD] gibt, ein Lächeln, ein Kuss […] Und auch ich habe oft nahen Kontakt mit [Name MmD] (bei den Essen, ins Bett bringen, beim Spazierengehen) (A004; Tag 01, Pos. 6).

Vor allem die Reaktion seiner Frau auf ebendiese wiederkehrenden Momente geben ihm dabei Kraft zur Bewältigung der Situation:

Da die Tage stark strukturiert sind, ich nur phasenweise mit [Name MmD] zusammen bin, sind es fast immer die gleichen Situationen / Reaktionen, die mich ‚positiv berühren‘. (Ein Lächeln, eine Reaktion, eine passende Antwort auf eine Frage, ein Kuss […]) Immer ist es wieder schön, wenn ich sehe / spüre, wie [Name MmD] auf Umarmungen reagiert (A004; Tag 05, Pos. 3).

Aus den Tagebucheinträgen und Interviews der pflegenden Angehörigen wird ersichtlich, dass es sich im Wesentlichen um reziproke Beziehungen handelt, in der auch die an Demenz erkrankte Person Zuneigung und Liebe, beispielsweise in Form von Dankbarkeit zum Ausdruck bringt:

Als mein Mann heute Morgen zu mir sagte: ‚Du hast so viel Arbeit mit mir und ich möchte mich bei dir bedanken.‘ Solche Momente geben mir Kraft und Energie und ich habe dann ein gutes Gefühl, dass wir alles zusammen schaffen können (A002; Tag 01, Pos. 3).

Darüber hinaus möchten die an Demenz erkrankten Angehörigen durch das Übernehmen von kleinen Aufgaben und ihre Mithilfe, beispielsweise im Haushalt, die pflegenden Angehörigen unterstützen, was diese mitunter positiv berührt: „Fürsorglichkeit von [Name MmD] (macht Besorgungen, kauft ein […] will sich kümmern / mit Verantwortung übernehmen)“ (A010; Tag 01, Pos. 15). Sich gegenseitig eine Freude zu machen, trägt dabei zu einer guten Stimmung bei:

Positiv berührt hat mich, dass [Name MmD] sich bei mir bedankt hat für den Besuch im Vogelpark und natürlich für das Eis. Und ich freue mich, dass es mir wieder gelungen ist, ihm eine Freude zu bereiten. Das trägt auch bei mir zu einer guten Stimmung bei (A002; Tag 28, Pos. 3).

Darüber hinaus verdeutlicht es auch das große Vertrauen zueinander:

Oft berührt mich wie vertrauensvoll mein Mann mir gegenüber ist, er fügt sich in alle Handhabungen mit ganzem Vertrauen. Ist wohl ein Überbleibsel, was aus unserer Beziehung in der Ehe resultiert. Jeder hat dem Partner vertraut (A006; Tag 27, Pos. 3).

Die pflegenden Angehörigen berichten in diesem Zuge auch von Liebeserklärungen ihrer Partner: „Eine Liebeserklärung […] von [Name MmD]“ (A009; Tag 04, Pos. 9).

Es sind diese liebevollen Momente zwischen den pflegenden Angehörigen und ihren an Demenz erkrankten Angehörigen, die Kraft spenden und Mut machen, die Pflege und Begleitung eines Familienmitglieds zu übernehmen: „Die liebevollen Momente, die es immer noch zwischen uns gibt. Das macht es mir leichter, Geduld mit ihm zu haben und die ganze Situation zu ertragen“ (A002; Tag 11, Pos. 3).

13.2.2 Reaktionen der Menschen mit Demenz

Wie bereits in Abschnitt 13.2.1 ausführlich dargelegt, werden die schönen Momente nicht ausschließlich von den pflegenden Angehörigen, sondern ebenso von den Menschen mit Demenz erlebt. In diesem Kapitel wird dargestellt, auf welche Momente die an Demenz erkrankten Angehörigen aus Sicht der pflegenden Angehörigen besondere Reaktionen zeigen und in welcher Weise diese Reaktionen wiederum auf die pflegenden Angehörigen wirken.

In den Tagebucheinträgen und Interviews zeigt sich, dass Menschen mit Demenz ihren begleitenden Angehörigen zu großen Teilen Dankbarkeit entgegenbringen: „Der Dank meines Mannes an mich für das schöne Frühstück. Und die liebevollen Momente, die wir immer wieder haben“ (A002; Tag 02, Pos. 3). Dabei bereiten den Menschen mit Demenz aus Sicht der pflegenden Angehörigen vor allem solche Momente Freude, in denen sie etwas miteinander unternehmen, etwa einen Spaziergang oder ein gemeinsames Essen:

Ja wenn sie sich so freut wie gestern. Wenn man dann irgendwas macht und sie ist dann jetzt wirklich zufrieden und auch mal dankbar […] Sie genießt das dann, wenn man so Sachen mit ihr macht. Wenn man Eis essen geht oder Kaffee trinken geht oder spazieren geht, sowas. Das genießt sie (A003; T0, Pos. 34).

Die pflegenden Angehörigen berichten in diesem Zusammenhang auch davon, dass vor allem zu Beginn der Übernahme der Pflege und Begleitung weniger die Dankbarkeit, sondern vielmehr eine gewisse Ablehnung die vorherrschende Reaktion der Menschen mit Demenz auf die angebotene Unterstützung und Pflege war:

[Name MmD] hat sich gewehrt gegen alles und das sind dann ganz andere Situationen, da waren sehr viele Sachen, wenn ich ihr die Zähne geputzt habe oder ich wollte sie waschen äh da hat sie, das war manchmal ein Kampf und da sieht das ganz anders aus mit diesen positiven Situationen (A004, T1, Pos. 46).

Besonders solche Situationen erschweren es den pflegenden Angehörigen, schöne Momente zu erkennen und wahrzunehmen. Im Verlauf der Pflege und Begleitung haben die pflegenden Angehörigen jedoch gelernt auf ihre Angehörigen einzugehen und sie zu verstehen: „[Name MmD] reagiert auch oft (‚Mund bitte aufmachen‘). Auch lerne / lernte ich dabei ihre ganze Mimik und die daraus folgende Reaktion kennen“ (A004; Tag 15, Pos. 3), sodass sie ein besseres Gefühl für die Übernahme der Pflege und Begleitung entwickeln konnten.

Die pflegenden Angehörigen berichten außerdem davon, etwa in Momenten des Miteinanders mit ihren an Demenz erkrankten Angehörigen zu lachen, was sich durchaus positiv auf beide Seiten auswirkt:

Immer wieder erzählt mir [Name MmD] etwas, schaut mich ganz intensiv an. Wenn ich dann lache, lacht sie auch. Gerade dieses Lachen und freundliche Gesicht, ‚berührt‘ mich! (A004; Tag 03, Pos. 3).

Nicht nur das gemeinsame Lachen, sondern vor allem auch gemeinsames Singen bringt aus Sicht der pflegenden Angehörigen verschiedene Reaktionen bei den an Demenz erkrankten Personen zum Vorschein: „Beim Singen abends mit meiner Mutter habe ich den Eindruck, sie reagiert intensiver darauf, macht aktiver mit, lächelt“ (A008; Tag 09, Pos. 7). Den Äußerungen der pflegenden Angehörigen zufolge wird dabei deutlich, dass Menschen mit Demenz sowohl körperlich als auch geistig positiv auf Musik und Gesang reagieren:

So mit Musik. Ja? Mit dieser Altenheimmusik. Diese Walzer und Märsche und so Gedöns. Weil ich einfach sehe, es hat ja keinen Sinn, sich dagegen zu sperren, weil das einfach Dinge sind, die ankommen und die einfach so einen direkten, also so einen sichtbaren Effekt haben. Ja? (A008; T2, Pos. 15).

Weiterhin kann in Hinblick darauf auch eine Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten festgestellt werden: „Mein Mann hat heute Nachmittag ganz, ganz leise die Pfälzer Lieder mitgesungen. Ist ganz selten, dass ich ihn sprechen oder singen höre“ (A006; Tag 02, Pos. 3). Musik wirkt sich zudem positiv auf das Gedächtnis der an Demenz erkrankten Personen aus, was etwa dazu beiträgt, dass Erinnerungen durch bestimmte Lieder und Melodien hervorgerufen werden: „Wie [Name MmD] auf die Lieder reagiert hat und ihm so viele Sachen aus der Vergangenheit eingefallen sind“ (A002; Tag 04, Pos. 3).

Die begleiteten Menschen mit Demenz strahlen darüber hinaus in Momenten, in denen Besuch von Freunden und der Familie kommt, Freude und Zufriedenheit aus: „[Name MmD] Vorfreude auf [Name Tochter] Besuch“ (A010; Tag 14, Pos. 15). Insbesondere das Zusammensein mit den Enkelkindern und Urenkelkindern genießen die Menschen mit Demenz aus Sicht der pflegenden Angehörigen sehr: „Die Kinder, ja, ja auf jeden Fall. Und da ist sie eigentlich, ich sage mal am, da wirkt sie richtig gelöst und lebendig, wenn die, wenn die Urenkel dann da sind“ (A008; T0, Pos. 46). Weiterhin drücken sie auch Gefühle der Freude aus, wenn sie Besuch von alten Freunden oder Kollegen bekommen:

Heute Nachmittag waren Freunde zu Besuch, mein Mann hatte sie lange nicht gesehen. Er hat so gestrahlt, ist so selten. Hat mich sehr gefreut und glücklich gemacht. Er kennt seine Freunde noch (A006; Tag 10, Pos. 1).

Diese Besuche ermöglichen in Hinblick auf das soziale Umfeld der Pflegebeziehung nicht nur die Teilhabe am sozialen Leben, sondern auch Gespräche mit anderen Personen. Situationen, die besonders für Menschen mit Demenz essentiell sind:

Dass sich [Name MmD] so wohl gefühlt hat und er so rege an der Unterhaltung teilgenommen hat. Es hat mich sehr gefreut, dass unsere Tischnachbarn auch ihm zugehört haben und ihn in die Unterhaltung mit einbezogen haben. Ich glaube, das war sehr wichtig für ihn (A002; Tag 12, Pos. 3).

Die angeführten Reaktionen der Menschen mit Demenz aus Sicht der pflegenden Angehörigen geben einen Hinweis darauf, wie wichtig es für pflegende Angehörige ist, gemeinsame Zeit mit ihren an Demenz erkrankten Familienmitgliedern zu verbringen. Es lässt sich feststellen, dass die teilnehmenden pflegenden Angehörigen ihre an Demenz erkrankten Angehörigen gut kennen und deren Reaktionen und Gefühle einzuordnen wissen. Sie zeigen außerdem, welche Fähigkeiten durch die Beschäftigung mit dem Menschen mit Demenz gefördert und gefordert werden können. Durch die Reaktionen der Menschen mit Demenz wird darüber hinaus auch die Zuneigung und Nähe innerhalb der Pflegebeziehung deutlich und erinnert an das wohl wichtigste innerhalb dieser Verbindung: Das gegenseitige Wahrnehmen und Erkennen: „Ich merke, sie reagiert noch, sie erkennt mich“ (A004; Tag 12, Pos. 6).

13.2.3 Keine schönen Momente gefunden

Für die Zeit des Tagebuch-Schreibens geben die pflegenden Angehörigen nur selten an, keinen schönen Moment am heutigen Tag gefunden zu haben (Abbildung 13.9). Die Mehrheit der Teilnehmenden hat an zwei Tagen keinen schönen Moment gefunden, was für einen Zeitraum von insgesamt 28 Tagen als wenig zu betrachten ist.

Zwei der teilnehmenden pflegenden Angehörigen machten mit insgesamt neun bis zehn Nennungen die häufigsten Angaben. Auffallend ist hierbei, dass es sich bei diesen Teilnehmenden (A005 und A007) um die beiden Geschwister handelt, die zum einen ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Mutter haben und zum anderen – abgesehen von der Pflegesituation – psychisch stark belastet sind (nähere Ausführungen hierzu sind den jeweiligen Fallbeschreibungen zu entnehmen).

Abbildung 13.9
figure 9

Heatmap zu den Angaben „Keine schönen Moment gefunden“

Gründe dafür, schöne Momente nicht wahrnehmen zu können, liegen aus Sicht der pflegenden Angehörigen an der eigenen Verfassung, die die Wahrnehmung schöner Momente ermöglicht bzw. verhindert: „Auch Kleinigkeiten können positiv sein, wenn die Stimmung besser wäre, würde das auch besser wahrgenommen werden“ (A007; Tag 11, Pos. 6–7). Dabei erschwert insbesondere die Tendenz einer depressiven Verstimmung einen positiven Blick einzunehmen: „Es liegt an meiner etwas depressiven Stimmung“ (A002; Tag 16, Pos. 4). Darüber hinaus geben die Teilnehmenden knappe Zeitressourcen als Ursache für die fehlende Aufmerksamkeit zur Wahrnehmung schöner Momente an: „Hatte keine Zeit für mich persönlich. Vielleicht lässt man manchmal keine positiven Momente zu“ (A006; Tag 25, Pos. 4–5). Weiterhin stellen auch Sorgen um die an Demenz erkrankte Person bzw. die Zukunft Energieräuber dar, die eine positive Betrachtung erschweren können: „Sorgen um meine Frau – Wie geht es weiter?“ (A001; Tag 07, Pos. 4–6). Die Teilnehmenden berichten an jenen Tagen, an denen sie keine schönen Momente erleben konnten, ein schlechtes Gewissen gegenüber ihres Angehörigen mit Demenz zu haben oder äußern negative Gefühle wie etwa Trauer, Wut oder Ungeduld: „Die ganze Situation und das schlechte Gewissen und dass ich Mutti nicht besucht habe“ (A003; Tag 13, Pos. 5–7).

Die Bedeutung des sozialen Netzwerks und der Kontakt zu anderen Personen werden zudem aus den Ausführungen der pflegenden Angehörigen deutlich und bedingen ebenfalls die Wahrnehmung schöner Momente: „Ja. Ich habe weder meine Mutter, meine Kinder oder sonstige liebe Freunde gesehen“ (A005; Tag 10, Pos. 7). Insbesondere die fortwährende Betreuungszeit des an Demenz erkrankten Familienmitglieds bietet den pflegenden Angehörigen dabei keine Möglichkeit, eine gewisse Distanz einzunehmen, was die Wahrnehmung schöner Momente zusätzlich erschwert. Es wird zudem davon berichtet, dass diese schönen Momente erst nach einer bewussten Reflexion derselben wahrgenommen werden:

Sehe ich eventuell diese ‚positiven Momente‘ nicht, wenn ich den ganzen Tag mit [Name MmD] zusammen bin? Überlagert die ganze Tagesarbeit diese Situationen? (Im Nachhinein fallen mir dann doch ‚schöne Momente‘ ein.) (A004; Tag 18, Pos. 6-7).

13.3 Methode Tagebuch

Die folgende Darstellung der Tagebuch-Methode nimmt insbesondere Bezug auf eine mögliche Sensibilisierung pflegender Angehöriger auf die Wahrnehmung schöner Momente durch das Tagebuch-Schreiben sowie eine Bewertung und Weiterführung der Methode im Anschluss an die Teilnahme der Tagebuch-Studie.

13.3.1 Sensibilisierung für schöne Momente

Nahezu alle der zehn teilnehmenden pflegenden Angehörigen berichten davon, nach der Zeit des Tagebuch-Schreibens für die Wahrnehmung schöner Momente sensibler zu sein: „Ich bin wahrscheinlich etwas sensibler geworden für die schönen Momente, die mir dann nochmal bewusstwerden, dass es also auch schöne Momente gibt“ (A006; T2, Pos. 3). Sie geben in den Tagebucheinträgen und Interviews an, dass sie durch das Tagebuch-Schreiben vor allem Kleinigkeiten stärker wahrgenommen und als schöne Momente erkannt haben:

Ja, ich denke ich bin schon sensibilisiert dadurch, ja. Also sensibler, dass da auch Kleinigkeiten schöne Momente sein können, also nicht nur das was mir sowieso auffällt, sondern dass auch so manche kleine Sachen (A005; T2, Pos. 8).

Durch die Tagesreflexionen können sie jene kleinen, schönen Momente, die unter anderem mit Nähe und Zuneigung zwischen pflegenden Angehörigen und Menschen mit Demenz verbunden werden, stärker genießen:

Ich stelle fest, dass es viele kleine positive Situationen mit [Name MmD] gibt, ein Lächeln, ein Kuss […] Durch das Nachdenken, werden diese kleinen Situationen bewusster, eventuell kann ich sie noch besser genießen (A004; Tag 01, Pos. 6).

Sie nehmen darüber hinaus wahr, dass ihnen diese Augenblicke Kraft spenden: „Ja, mir hat das einfach nochmal wieder bewusstgemacht, dass es die kleinen, konkreten Momente sind, die mir guttun“ (A010; T2, Pos. 13), sie aber auch positiv auf ihre Angehörigen mit Demenz wirken:

Also dass ich da wirklich mehr, auch bei Kleinigkeiten, wo ihm vielleicht irgendwas ganz große Freude gemacht hat oder so, was halt vorher, naja das war halt so. Das hat ihm Spaß gemacht oder so. Wo ich dann denke ‚Menschenskind, mit so einer Kleinigkeit hast Du ihm jetzt so eine große Freude gemacht oder was‘ (A002; T1, Pos. 36).

Durch das Tagebuch-Schreiben achten die pflegenden Angehörigen stärker auf diese Augenblicke: „Ja, ich achte mehr auf Kleinigkeiten“ (A005; T2, Pos. 10) und berichten, dass sich diese auch im Nachgang positiv auswirken: „Ja, es ist durchaus schön, nochmal über den Tag nachzudenken. Viele kleine Sachen, Augenblicke fallen mir da ein, die schön waren, ich kann sie nachfühlen“ (A004; Tag 16, Pos. 6).

Die Wirkung des regelmäßigen Schreibens wurde von den Teilnehmenden dabei teilweise als hilfreiche Strategie zur Selbstreflexion verstanden, die eine bewusste Wahrnehmung schöner Momente ermöglicht: „Es hat sich verbessert, weil mir durch das Schreiben aufgefallen ist, dass es gute Momente gab“ (A003; Tag 08, Pos. 7) und sie darauf sensibilisiert, sich jene Momente bewusst zu machen: „[D]as muss ich sagen hat das Tagebuch schon irgendwo ein bisschen bewirkt, dass man das sich dann auch immer wieder vor Augen holt“ (A003; T2, Pos. 2–4). Darüber hinaus erlaubt das Schreiben den pflegenden Angehörigen eine intensive Auseinandersetzung mit schönen Momenten:

Ich glaube, wenn man das nicht aufschreibt, oder wenn man sich da keine Gedanken darüber macht und die macht man sich nicht wenn man keinen Grund hat sie irgendwo hinzuschreiben oder aufzuschreiben, dann kriegt man das gar nicht so intensiv mit (A003; T1, Pos. 25-27).

Besonders das abendliche Tagebuch-Schreiben konnte bei einigen pflegenden Angehörigen zudem die Schlafqualität verbessern:

Aber was ich merke, ist, ich habe das ja immer abends gemacht und dass ich dadurch einen guten Rhythmus hatte, das einfach auch nochmal so mir ganz bewusst zu machen am Abend und das hat mir gut getan eigentlich auch, auch für die Schlafhygiene (A010; T2, Pos. 9).

Im Verlauf des Tagebuch-Schreibens haben die pflegenden Angehörigen eine andere Perspektive auf die Wahrnehmung schöner Momente eingenommen: „Irgendwie verändert sich das, man bekommt eine andere Beziehung dazu“ (A001; T1, Pos. 3). Sie stellen fest, dass ein Reflexionsprozess angestoßen wurde und dadurch mehr schöne Momente wahrgenommen werden können:

Es wird einem tatsächlich bewusster und man ähm ich konnte es mehr genießen habe ich so das Gefühl, ja ich habe es mehr ähm wahrgenommen, also so richtig ähm ja, das ist nicht alles so dahingeplätschert, ja man macht das halt so (A008; T1, Pos. 22).

In der Zeit des Tagebuch-Schreibens berichten die pflegenden Angehörigen zudem davon, sich an positive Gedankengänge zu gewöhnen und deshalb empfänglicher für ebendiese Momente zu sein:

Dann kommt da auch so ein, ich will jetzt nicht sagen Gewöhnungseffekt, aber man wird irgendwie […] empfänglicher sage ich jetzt einfach mal für, dass man denkt ‚Siehst Du, es geht ja doch irgendwie was‘, ja (A008; T1; Pos. 31).

Insgesamt zwei der teilnehmenden pflegenden Angehörigen geben darüber hinaus an, bereits vor der Zeit des Tagebuch-Schreibens empfindsam für schöne Momente gewesen zu sein: „Also die nehme ich auch so wahr, also da hat sich keine große Veränderung ergeben. Die nehme ich auch wahr ohne Tagebuch, ja“ (A001; T1, Pos. 12). Die Wahrnehmung schöner Momente wird von diesen beiden teilnehmenden pflegenden Angehörigen auf die bereits zuvor bewusste Nutzung von Achtsamkeitstechniken und Ressourcenorientierung zurückgeführt: „Nein, aber das liegt daran, dass mir das ja sozusagen bekannt war in anderer Form […] Also ich habe so etwas schon vorher bewusst genutzt“ (A010; T2, Pos. 9). Das regelmäßige Führen des Tagebuchs hat sie jedoch darin unterstützt, Achtsamkeit stärker in ihrem Alltag zu ritualisieren und eine neue Methode kennenzulernen. Eine weitere pflegende Angehörige berichtet hingegen durch das Tagebuch-Schreiben erst lernen zu müssen, sich selbst, aber auch den Alltag bewusst wahrzunehmen: „Glaube, ich muss noch lernen, mich bewusst wahrzunehmen. Hake abends vieles ab“ (A006; Tag 4, Pos. 6). Die Selbstreflexionen können dabei, insbesondere zu Beginn des Tagebuch-Schreibens, negativ belasten:

Es ist richtig grausam, wenn man sich damit beschäftigt. Ich nehme Kleinigkeiten anders wahr, die ich früher einfach abgehakt habe. Momentan bin ich eher negativ belastet. Ich muss mich damit auseinandersetzen (A007; T1, Pos. 2).

Im Verlauf des Tagebuch-Schreibens hat sich dahingehend ein anderer Blickwinkel geöffnet, der es der pflegenden Angehörigen nun ermöglicht, schöne Momente zu erkennen und diese wahrzunehmen: „Ich habe angefangen, diese Momente überhaupt zu sehen. Darum geht es. Ich habe die vorher nicht gesehen“ (A007; T2, Pos. 23). Sie wurde dabei nicht nur im Hinblick auf schöne Momente, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter erlebt, aufmerksamer, sondern darüber hinaus auch für ganz alltägliche Augenblicke:

Ich hatte einen wunderschönen Tag mit meiner Mutter, den ich durch das Tagebuch bewusster / berührender wahrgenommen habe […] Auch im normalen Leben bin ich durch das Tagebuch achtsamer (A007; T2, Pos. 2).

Insgesamt sind die pflegenden Angehörigen im Nachgang des Tagebuch-Schreibens sensibilisiert, mehr auf schöne Momente zu achten und bewusster zu beobachten: „Ja, weil man einfach bewusster beobachtet auch“ (A006; T1, Pos. 22). Insbesondere im Alltag geben die pflegenden Angehörigen an, nach dem Zeitraum des Tagebuch-Schreibens schöne Momente zu erleben, die sie direkt mit dem Gedanken des Tagebuchs verbinden und diesen in das Tagebuch schreiben würden:

Ja doch, weil, weil man achtet dann mehr darauf, muss ich schon sagen. Vorher hat man das so hingenommen, ne vor dem Tagebuch-Schreiben, da war das halt so aber dann habe ich mehr dadrauf geachtet. Es kam eigentlich immer der Gedanke, net dass das jetzt, dass ich gedacht habe ‚Ach das hätte ich jetzt ins Tagebuch schreiben können, ne‘ (A002; T2, Pos. 12).

Es zeigt sich, dass pflegende Angehörige durch das Tagebuch-Schreiben eine andere Perspektive für ihre Lebenssituation entwickeln konnten: „Ja, der Blick auf die schönen, der, der Blick auf die positiven Dinge. Ich glaube das mache ich seitdem mehr“ (A005; T2, Pos. 14) und die Zeit mit ihren an Demenz erkrankten Angehörigen nicht ausschließlich aus der Belastungsperspektive wahrnehmen: „Durch das Nachdenken über den Tag, habe ich ein ganz anderes Gefühl für meine Zeit mit [Name MmD] bekommen. Ich schätze sie jetzt, es ist keine Belastung mehr“ (A004; Tag 17, Pos. 6).

13.3.2 Bewertung der Tagebuch-Methode

Abbildung 13.10
figure 10

Heatmap zur Bewertung der Tagebuch-Methode

Insgesamt bewerten die teilnehmenden pflegenden Angehörigen die Methode des Tagebuch-Schreibens mehrheitlich positiv: „[E]s war äh also in jedem Fall positiv. Ich habe es gerne angenommen“ (A001; T1, Pos. 6) und berichten davon, durch das Tagebuch einen anderen Blickwinkel auf die Pflege und Begleitung erhalten zu haben:

Durch die alltägliche Pflege und die anderen Aufgaben und Verpflichtungen werden die schönen, oft kurzen glücklichen Momente überfrachtet. Das Tagebuch fördert das Bewusstsein, diese Augenblicke bewusster zu machen und zu speichern (A006; Tag 27, Pos. 9).

Die bewussten Tagesreflexionen wurden dabei von den pflegenden Angehörigen als wohltuend beschrieben: „Meistens ging es mir nach dem Tagebuch-Schreiben besser. Meistens“ (A002; T1, Pos. 26), wobei insbesondere die Wirkung des Schreibens von den Teilnehmenden geschätzt wurde: „Es hat so eine, man hat so eine gewisse Ruhe dann wiedergekriegt. So beim Schreiben“ (A003; T1, Pos. 4). Vor allem die Tatsache, durch das Schreiben neue Gedankengänge und Perspektiven zu erhalten, wurde von den pflegenden Angehörigen dabei als positiv hervorgehoben: „Das war am Anfang schon will ich sagen positiv, darüber nach[zu]denken was am Tag passiert [ist,] hat für mich eine ganze Menge eröffnet oder einen neuen Blick gegeben“ (A004; T1, Pos. 4). Die pflegenden Angehörigen berichten darüber hinaus, dass ihnen das Tagebuch-Schreiben besonders an guten Tagen leichter fällt: „Ich fühle mich gut. Es fällt mir leichter über schöne Tage zu schreiben, wie über Tage, die nicht so gut sind“ (A002; Tag 28, Pos. 6).

Wie aus der Heatmap (Abbildung 13.10) ersichtlich wird, bewertet lediglich eine der teilnehmenden Personen (A007) das Tagebuch-Schreiben weitgehend als negativ, bzw. war durch das Tagebuch-Schreiben negativ belastet: „Es fiel mir schwer. Es war für mich ganz schwer. Ich habe mich jeden Abend. Ich bin einfach nichts ins Bett. Ich habe mich einfach gezwungen, mich hinzusetzen“ (A007; T1, Pos. 3). Insbesondere die Tagesreflexionen über die Situation ihrer Mutter und die damit einhergehende, eigene Lebenssituation bereiteten der Teilnehmerin dabei Schwierigkeiten:

Aber das mit Befassen ist schwer, nicht das Schreiben, ja. Und wenn ich immer wieder davon ausgehe, dass es über die Demenz, über das Leben mit meiner Mama ist, die ich ja nicht jeden Tag sehe, dann muss ich da ja meins hinschreiben (A007; T1, Pos. 9).

Da es sich hierbei um sehr individuelle Schwierigkeiten der pflegenden Angehörigen handelt, die in diesem Kapitel nicht behandelt werden können, wird für weitere Ausführungen auf die Fallbeschreibung A007 (Abschnitt 12.2.7) verwiesen.

Insgesamt geben die pflegenden Angehörigen an, dass das Tagebuch-Schreiben besonders zu Beginn Probleme bereitet hat, die aber im Verlauf der Nutzung des Tagebuchs abgenommen haben:

Also am Anfang habe ich mich ein bisschen schwer getan ähm aber ja, ich glaube schon nach drei Tagen oder so hat man dann so ein bisschen ne Ahnung was man schreiben will, was, ja nö, eigentlich wars, bin ich gut zurechtgekommen (A008; T1, Pos. 4).

Darüber hinaus wurde der Zeitaufwand, der mit dem regelmäßigen Führen der Tagebuchvorlage einhergeht von einigen pflegenden Angehörigen als problematisch bzw. belastend erlebt: „Ich fand schon wie gesagt positiv aber es ist einfach auch manchmal für mich ein zeitliches Problem“ (A006; T1, Pos. 36). Vor allem der Versuch, das Tagebuch am Abend zu schreiben, führte dabei teilweise zu Schwierigkeiten:

Also es war manchmal stressig das abends noch zu machen aber ich wollte es dann abends auch machen, weil wenn ich mal eine Nacht drüber geschlafen habe geht es mir ja meistens wieder gut (A005; T1, Pos. 4).

In Hinblick darauf wurde von einer Teilnehmenden der Vorschlag einer selteneren Nutzung der Tagebuch-Vorlage gemacht: „[T]äglich die gleiche Prozedur, ist mir persönlich zu viel – 2–3 × pro Woche würde mir reichen, um meinen Ressourcen orientierten Blick beizubehalten / zu trainieren“ (A010; Tag 14, Pos. 25). Nicht nur der zeitliche Aspekt und das Schreiben an sich, sondern auch die Tatsache, sich Probleme oder Unwohlsein durch das Führen des Tagebuchs einzugestehen, erwies sich darüber hinaus für die teilnehmenden pflegenden Angehörigen als schwierig:

Dann war ich eher immer ein bisschen gehemmt dann zu schreiben ‚Heute war es überhaupt nichts‘ oder ‚Mir ging es schlecht‘ oder ‚Ich fühle mich überhaupt nicht gut‘ oder ‚Mit ihm hat es überhaupt nicht geklappt‘ oder so. Ähm es stehen schon so ein paar Sachen drin aber äh man will immer die Starke sein (A002; T1, Pos. 10).

Teilweise wurde in diesem Zusammenhang von den Teilnehmenden festgestellt, dass das Tagebuch-Schreiben auch Konflikte hervorbringen kann:

Es hilft schon über den Tag nachzudenken und Teile davon aufzuschreiben. Aber Probleme können auch dadurch verstärkt werden, wenn keine Lösung in Sicht ist. Ist es nur etwas für positiv denkende Menschen? (A004; Tag 25, Pos. 8).

Auch wenn pflegende Angehörige von Schwierigkeiten und Belastungen durch das Tagebuch-Schreiben berichten, wurde es von den Teilnehmenden mehrheitlich positiv bewertet:

Ähm ja, sagen wir mal so ähm auf der einen Seite sage ich mal als Belastung, weil es ja eine zusätzliche Belastung war aber auf der anderen Seite auch wieder so äh wie soll ich sagen, ja so bisschen ähm als ‚Mülleimer‘, wo man alles mal reinschreiben konnte, was so am Tag passierte oder auch die Gedanken (A006; T1, Pos. 6).

Besonders positiv äußerte sich ein pflegender Angehöriger über die Methode und gab an, durch das Tagebuch schöne Momente wahrnehmen zu können:

Immer wenn ich den Tag reflektiere, geht es mir etwas besser. Heute sozusagen ‚gut geschafft‘. Und wie ich schon mal erwähnt habe, kann ich durch diese Eintragung viele schöne Situationen reflektieren, ja auch erkennen (Beim Essen, Spazierengehen, Kaffee trinken, bei Musik […]) (A004; Tag 04, Pos. 6).

Das Tagebuch-Schreiben erzeugte in ihm den Anspruch, seine Frau körperlich zu fordern und zu fördern: „Ich fühle mich heute, nach der Eintragung durchaus gut! Ich habe mit [Name MmD] was ‚aktives‘ getan! Das ist erst so, seitdem ich das Tagebuch schreibe!“ (A004; Tag 08, Pos. 6). Weiterhin stellt er fest, durch das Tagebuch-Schreiben die Zeit mit seiner Frau nicht mehr als Belastung zu empfinden:

Ja, es hilft schon über den Tag nachzudenken und Details aufzuschreiben. Mir fallen dabei noch viele, auch unbedeutende, Kleinigkeiten ein (auch mit [Name MmD]). Und ich habe durch das Aufschreiben hier, die gemeinsame Zeit mit [Name MmD] schätzen gelernt. Es ist ein ‚anderer Blick‘, eine andere Wahrnehmung! (A004; Tag 22, Pos. 6).

Die Methode des Tagebuch-Schreibens hat bei den teilnehmenden pflegenden Angehörigen einen Verarbeitungsprozess angestoßen, durch den sie die eingenommene Pflegesituation reflektieren und annehmen können:

Durch das Tagebuch hast du mir die Möglichkeit gegeben mehr zu verarbeiten. Das Tagebuch ist tief in mir, ich denke darüber nach und spreche darüber. Es hat schon was angestoßen (A007; T2, Pos. 2).

Es wird deutlich, dass das Tagebuch-Schreiben die Angehörigen nicht nur darin unterstützt hat, eine andere Wahrnehmung und Perspektive einzunehmen, sondern darüber hinaus auch Freude bereitete: „Also ich fands ganz schön, das Tagebuch [zu] schreiben“ (A009; T1, Pos. 4).

13.3.3 Weiterführung der Tagebuch-Methode

Mit Blick auf die positiven Bewertungen und Effekte der Teilnehmenden auf die Methode des Tagebuch-Schreibens, wurde die Frage nach einer möglichen Weiterführung der Methode gestellt. Wie in Tabelle 13.1 ersichtlich wird, kann sich zum Erhebungszeitpunkt T1 der Großteil der pflegenden Angehörigen vorstellen, das Tagebuch-Schreiben fortzuführen: „Ich habe es nur an einem Tag nicht geschafft. Tatsächlich mache ich es ganz gerne und überlege es regelmäßig für mich zu machen“ (A009; T1, Pos. 2). Dafür hat eine Teilnehmende bereits während der Zeit des Tagebuch-Schreibens die Vorlage kopiert, um sich an dieser auch im Anschluss orientieren zu können:

[I]ch habe mir gestern schon […] die Blätter tatsächlich schonmal auf den Kopierer gelegt, weil ich mir nicht in der Art, also hm das genauso fortführen möchte, aber vielleicht in ähnlicher Form und so, dass ich da halt eben nochmal gucke ähm wenn ich mir so eine Art Tagebuch ähm schreibe, tatsächlich da auch einige Fragen ähm dann beantworte (A009; T1, Pos. 28).

Die Angehörigen können sich also eine Fortführung der Methode vorstellen, geben jedoch auch an, das Tagebuch individuell an ihre Bedürfnisse anpassen zu wollen. Insbesondere das regelmäßige Tagebuch-Schreiben könnte dabei in Form von Stichpunkten möglich sein:

Ich muss mal gucken, dass ich das zumindest stichwortartig das weitermache. Das ich einfach so eine Entwicklung einfach mal sehe, wie das weitergeht mit der Mutti und mit uns (A003; T1, Pos. 2).

Es wurde auch überlegt, das Tagebuch nur wöchentlich zu schreiben: „[I]ch werde an mir weiterarbeiten und vielleicht schreib ich ja ein Wochenbuch?!“ (A007; Tag 28, Pos. 10) oder individuell nach den jeweiligen Bedürfnissen des Einzelnen:

Also ich werde weiterführen, werde vielleicht nicht jeden Tag schreiben aber so wie mir gerade danach ist. [D]en Vorschlag hat ja die [Name Cousine] gemacht […] ‚Das tut dir gut, mach doch das‘ (A002; T1, Pos. 54).

Vor allem Tage mit besonderen Ereignissen, Gedanken und Gefühlen könnten dabei reflektiert und verschriftlicht werden:

Wahrscheinlich wäre es sogar ganz gut, wenn man sich das noch so ein bisschen mal wieder aufschreibt und damit vor Augen, ja es wird einem dann wieder bewusster, wenn man darüber nachdenkt. Wobei ich sagen muss, ob ich das jeden Tag machen könnte. Ich glaube das sind eigentlich so spezielle Tage dann (A003; T2, Pos. 20).

Eine weitere und häufig genannte Option der Weiterführung war die gedankliche Auseinandersetzung in Form einer „Tagesreflexion“:

Ja, ja. Doch, es hat auf jeden Fall was angestoßen. Also so dieses sich Gedanken über den Tag zu machen. Ich glaube das werde ich auch beibehalten aber halt nicht so, dass ich dann mich hinsetze und das schreibe (A005; T1, Pos. 32).

In Tabelle 13.1 wird nicht nur ersichtlich, wie viele pflegende Angehörige sich zum Erhebungszeitpunkt T1 eine Fortführung des Tagebuch-Schreibens vorstellen konnten, sondern auch inwiefern die Methode bis zum Erhebungszeitpunkt T2 tatsächlich weitergeführt wurde.

Tabelle 13.1 Weiterführung der Tagebuch-Methode

Die Ausführungen machen deutlich, dass die Teilnehmenden durchaus Überlegungen zur Weiterführung des Tagebuch-Schreibens angeben, es jedoch bis zu Erhebungszeitpunkt T2 nicht alle geschafft haben, das Tagebuch weiter zu schreiben: „Ich habe nicht weitergemacht. Ich habe kein Tagebuch mehr geschrieben“ (A007; T2, Pos. 14). Besonders das schriftliche Reflektieren fiel den Teilnehmenden ohne Tagebuchvorlage und Begleitung schwer, sodass sie die Tagesreflexionen mehrheitlich gedanklich fortgeführt haben:

Eigentlich sehr bewusst, muss ich sagen. Also ich muss wirklich so […] visualisieren. Also dass ich es mir wirklich so ganz bewusst nochmal überlege, was war denn, wie war es denn. Und ich finde, es hilft einem schon. Also mir geht es gut dabei. Ich mache das auch wirklich fast regelmäßig, muss ich sagen (A008; T2, Pos. 5).

Diesbezüglich geben die teilnehmenden pflegenden Angehörigen an, sich insbesondere in belastenden Situationen vorstellen zu können, das Tagebuch-Schreiben wieder zu beginnen und davon zu profitieren:

Also ich habe das jetzt nicht gemacht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass ich, wenn ich jetzt eben so merke wie jetzt in so einem Moment, dass ich das Gefühl habe, ich schlittere in so einen Autopiloten des Stresses rein, dass ich dann sage so, Stopp, ich mache das mal wieder eine Zeit lang. Also ich würde das wahrscheinlich eher phasenweise machen (A010; T2, Pos. 15).

Die Gründe, warum das Tagebuch-Schreiben nicht fortgeführt wurde, sind unterschiedlich und können beispielsweise auf individuelle Akutsituationen oder Trauerfälle zurückgeführt werden: „Sein Bruder ist inzwischen verstorben […] Und ähm da habe ich gedacht‚ das hättest Du jetzt ins Tagebuch schreiben müssen“ (A002; T2, Pos. 23–26). Mehrheitlich gehen die pflegenden Angehörigen zudem davon aus, dass für ein gelingendes und regelmäßiges Tagebuch-Schreiben eine (professionelle) Begleitung hilfreich wäre:

Also das mit dem Tagebuchschreiben war gut, weil ich es machen musste. Da war ein Druck dahinter, was auch positiv war. Aber jetzt so kein Druck mehr dahinter, ich, habe ich einfach diese Energie nicht, weil ich einfach abends so müde bin dann (A006; T2, Pos. 15).