In diesem Kapitel werden die zehn Studienteilnehmenden hinsichtlich ihrer soziodemographischen Daten beschrieben. Zudem werden die individuell vorherrschenden Pflegesituationen der Angehörigen und das Verhältnis zum Menschen mit Demenz dargestellt und erläutert. Die Autorin beschreibt dabei ihren subjektiven Eindruck über die psychische Verfassung der Teilnehmenden und stellt ein differenziertes Bild über den jeweiligen Kontext und Alltagsumstände zum Zeitpunkt der Datenerhebung dar. Dabei soll ein Überblick über die Lebenssituation und das psychische Wohlbefinden der pflegenden Angehörigen gegeben werden und insbesondere das Augenmerk auf positive Aspekte und schöne Momente in der Pflege und Begleitung gelegt werden. Durch die individuelle Beschreibung aller teilnehmenden pflegenden Angehörigen ist die Kontextualisierung detaillierter Analysen möglich.

12.1 Variablen zur Soziodemographie aller Personen im Überblick

Im Nachfolgenden werden die soziodemographischen Daten der pflegenden Angehörigen sowie der Menschen mit Demenz beschrieben. Erhoben wurden diese Angaben im Rahmen der Interviews, deren Inhalte in Abschnitt 8.2 näher beschrieben werden.

Angaben zu den pflegenden Angehörigen:

  1. 1.

    Altersüberblick (Tabelle 12.1)

Tabelle 12.1 Alter der teilnehmenden pflegenden Angehörigen
  1. 2.

    Geschlecht (Tabelle 12.2)

Tabelle 12.2 Geschlecht der teilnehmenden pflegenden Angehörigen
  1. 3.

    Verhältnis zur pflegebedürftigen Person (Tabelle 12.3)

Tabelle 12.3 Verhältnis der teilnehmenden pflegenden Angehörigen zur pflegebedürftigen Person
  1. 4.

    Wohnsituation (Tabelle 12.4)

Tabelle 12.4 Wohnsituation der teilnehmenden pflegenden Angehörigen
  1. 5.

    Höchster Schulabschluss (Tabelle 12.5)

Tabelle 12.5 Schulabschluss der teilnehmenden pflegenden Angehörigen
  1. 6.

    Berufstätigkeit (Tabelle 12.6)

Tabelle 12.6 Berufstätigkeit der teilnehmenden pflegenden Angehörigen
  1. 7.

    Zeit, die für Pflege aufgewendet wird (Tabelle 12.7)

Tabelle 12.7 Pflegezeit der teilnehmenden pflegenden Angehörigen

Angaben zur pflegebedürftigen Person:

Bei den Angaben zu den pflegebedürftigen Personen wird von insgesamt neun Menschen mit Demenz ausgegangen. Grund dafür ist, dass zwei pflegende Angehörige Geschwister sind und als gleichwertige Hauptpflegeverantwortliche ihre Mutter begleiten.

  1. 1.

    Altersüberblick (Tabelle 12.8)

Tabelle 12.8 Alter der Menschen mit Demenz
  1. 2.

    Geschlecht (Tabelle 12.9)

Tabelle 12.9 Geschlecht der Menschen mit Demenz
  1. 3.

    Demenzdiagnose (Tabelle 12.10)

Tabelle 12.10 Demenzdiagnose der Menschen mit Demenz
  1. 4.

    Pflegegrad (Tabelle 12.11)

Tabelle 12.11 Pflegegrad der Menschen mit Demenz
  1. 5.

    Wohnsituation (Tabelle 12.12)

Tabelle 12.12 Wohnsituation der Menschen mit Demenz

Die pflegebedürftigen Menschen mit Demenz werden alle hauptverantwortlich von ihren Angehörigen begleitet und versorgt. Eine Person ist wenige Wochen vor Beginn der Datenerhebung in ein Pflegeheim gezogen. Aufgrund des vor Kurzem erfolgten Umzuges und des großen Betreuungsaufwandes auf Seiten der pflegenden Angehörigen, entschloss sich die Autorin dennoch für einen Einschluss in die Studie.

12.2 Fallzusammenfassungen: Schöne Momente in der Pflege und Begleitung eines Menschen mit Demenz

In den folgenden Fallbeschreibungen werden die einzelnen teilnehmenden pflegenden Angehörigen und deren vorherrschende Lebens- und Pflegesituation detailliert beschrieben. Die biographischen Aspekte der Studienteilnehmenden stammen aus den Interviews, den dazugehörigen Feldnotizen (subjektive Einschätzung der Autorin) und den Tagebucheinträgen.

Fokus der Fallbeschreibungen sind insbesondere die Wahrnehmung und Wirkung schöner Momente innerhalb der beschriebenen dyadischen Beziehung und Pflegesituation. Um die jeweiligen dyadischen Beziehungen samt ihrer individuellen Pflegebeziehung möglichst umfassend darzustellen, werden zudem die subjektiv wahrgenommenen Belastungsfaktoren aufgezeigt. Kernpunkt der Fallanalysen ist darüber hinaus die Entwicklung des Tagebuch-Schreibens über vier Wochen hinweg sowie deren Bewertung und mögliche Veränderungen. Durch das Einbinden individueller Zitate soll insbesondere das Wesen und der Charakter jeder Person und (Pflege-)Beziehung hervorgehoben werden, was einen persönlichen Zugang erlaubt und darüber hinaus als Grundlage der fallübergreifenden Ergebnisdarstellung (Kapitel 13) dient. Dabei können erste Hinweise auf die Beantwortung der Forschungsfrage gegeben werden.

12.2.1 Fallbeschreibung 1: „Schöne Momente sind, wenn es meiner Frau gut geht“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

24.08.2021 – 21.09.2021

Interviewzeitpunkte

T1: 24.08.2021

T2: 07.10.2021

T3: 23.11.2021

Herr M. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 73 Jahre alt und seit 1977 mit seiner Ehefrau (Frau M.) verheiratet, mit der er zwei Söhne hat und im Eigenheim lebt. Er hat einen Realschulabschluss und war als Bank- und Steuerfachmann tätig. Seit 2016 ist er berentet. Frau M. ist 71 Jahre alt und an einer Alzheimer-Demenz erkrankt. Sie ist in Pflegegrad II eingestuft und benötigt aus diesem Grund vermehrt Begleitung und Unterstützung, ist aber auch noch selbstständig im Alltag aktiv.

Das gemeinsame Hobby des Ehepaars ist das Spazierengehen und Fahrradfahren, was sie sehr regelmäßig zu zweit oder auch gemeinsam mit Freunden machen. Grundsätzlich ist körperliche Aktivität ein wichtiger Aspekt im Alltag des Ehepaars. Vor allem Herr M. treibt regelmäßig Sport, um Abstand von belastenden Situationen mit seiner Frau zu gewinnen: „Ihre schlechte Laune hielt an, sodass ich alleine mit dem Rad losfuhr. Hierbei kam ich wieder zu mehr Ausgeglichenheit“ (A001; Tag 26, Pos. 1). Das Ehepaar hat darüber hinaus ein sehr enges, gefestigtes soziales Netzwerk und verbringt viel Zeit gemeinsam mit Freunden. Herr M. hat dabei vor allem einen engen Freund, mit dem er sich regelmäßig trifft, um über die Situation mit seiner Frau zu sprechen oder auf andere Gedanken zu kommen: „Am Nachmittag mit Freund [Name] radeln. Tut gut und lenkt ab“ (A001; Tag 02, Pos. 1). Frau M. nimmt ebenfalls aktiv am sozialen Leben teil und trifft sich regelmäßig mit Freundinnen. Diese Treffen haben eine große Bedeutung für sie, aber auch für ihren Mann als Möglichkeit der Entlastung: „Am Abend für meine Frau ein Treffen in [Ort] mit ihren ‚Strickließchen‘. Wichtige Kontakte für [Name MmD]“ (A001; Tag 16, Pos. 1).

Das Ehepaar hat ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Vor allem durch die Demenz-Diagnose und die damit einhergehenden Veränderungen in der Beziehung sowie die Übernahme der Begleitung seiner Ehefrau wurde die Beziehung weiter gestärkt: „Ja, das kann man sagen. Das ist, ja, ich will sagen, […] mir ist bewusstgeworden oder noch mehr bewusstgeworden, dass ich meine Frau sehr mag, ja“ (A001; T0, Pos. 16). In den Interviews gibt Herr M. an, dass vor allem die Anfangszeit, vor und kurz nach der Diagnosestellung, besonders schwierig für ihn war. In dieser Zeit hat er sich sehr viele Sorgen um die Zukunft gemacht: „Ich hatte einfach Ängste. Ich hatte Ängste, ich packe das nicht“ (A001; T0, Pos. 22). Ihn belasten dabei vor allem die mit der Demenz einhergehenden Verhaltensweisen seiner Frau. Durch Gespräche mit Beratungsstellen und einer Psychotherapeutin konnte er neuen Mut und Kraft zur Bewältigung der Pflegesituation sammeln:

Ja, dass ich jemanden gefunden habe, der sehr viel Erfahrung hat mit der Situation und der mir auch sagen konnte, machen Sie das oder machen Sie jenes, und ja, mit diesem Gespräch habe ich einfach ein wesentlich besseres Gefühl bekommen, diese Situation mit meiner Frau zu beherrschen (A001; T0, Pos. 26).

Es wird ersichtlich, dass die Aspekte soziales Netzwerk, Zeit für sich und körperliche Aktivität für Herrn M. die wohl wichtigsten Kraftspender zur Bewältigung der vorherrschenden Pflegesituation sind. Dabei ist es ihm besonders wichtig, dass es seiner Frau gut geht, denn nur dann schafft er es, sich abzugrenzen und für sich selbst zu sorgen: „Meiner Frau ging es gut und ich konnte etwas für mich tun“ (A001; Tag 10, Pos. 3).

Das Tagebuch-Schreiben:

Herr M. ist sehr offen und interessiert an allem, was ihm in seiner aktuellen Lebenssituation helfen könnte, sodass er eine hohe Bereitschaft zur Teilnahme an der Tagebuchstudie aufweist. Er gibt an, bislang noch kein Tagebuch geschrieben zu haben, schreibt allerdings regelmäßig Briefe an seine Söhne mit Berichten von aktuellen Vorkommnissen und Veränderungen seiner Frau, um diese zu informieren und die Entwicklung seiner Frau sowie den Verlauf der Erkrankung festzuhalten.

Der Schreibstil von Herr M. lässt sich als dokumentarisch beschreiben. Er schreibt vergleichsweise wenig und stichpunktartig, geht dabei aber auch auf seine Gedanken und Gefühle ein. Besonders an belastenden Tagen beschreibt er die jeweiligen Situationen ausführlich und drückt seine Angst und Verzweiflung vor der Zukunft aus: „Sorgen um meine Frau. Wie geht es weiter?“ (A001; Tag 7, Pos. 4–6).

Zu Beginn des Tagebuch-Schreibens gerät für Herrn M. die belastende Situation mit seiner Ehefrau wieder in den Fokus seiner Gedanken. Besonders die Verhaltensweisen seiner Ehefrau bestimmen dabei seinen Tagesablauf und seine Gedanken:

Am Morgen noch okay. Im Tagesverlauf ging es meiner Frau schlecht. Erhebliche Stimmungsschwankungen. Meine Frau gegen Abend: ‚Ich weiß nicht, was ich tun soll.‘ Sie war hilflos, verzweifelt. Habe mich zu ihr gesetzt und versucht zu beruhigen (A001; Tag 07, Pos. 1).

Im Verlauf des Tagebuch-Schreibens wird für Herrn M. deutlich, dass er seinen Alltag zurzeit sehr auf seine Ehefrau ausrichtet und demnach weniger für sich selbst sorgt. Das Tagebuch-Schreiben hat ihm dazu verholfen, mehr Achtsamkeit und Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken: „Irgendwie verändert sich da was, man bekommt eine andere Beziehung dazu“ (A001; T1, Pos. 3), was Herr M. als positiv bewertet: „Es ist eine Aufmunterung für sich selbst und eine gute Sache, die Sie da angestoßen haben. Ich würde es immer wieder tun“ (A001; T1, Pos. 4–5).

Nach der Zeit des Tagebuch-Schreibens konnte Herr M. die abendlichen Tagesreflexionen weiter in den Alltag einbauen und ritualisieren:

[M]eistens ist es eben am Abend so, wenn man dann mit Ruhe [dasitzt] und lässt nochmal den Tag ablaufen und dann ja, wird einem das ein oder andere bewusst, [was schön] war oder weniger schön, aber insgesamt, das habe ich mir vielleicht so angewöhnt (A001; T2, Pos. 8).

12.2.2 Fallbeschreibung 2: „Also täglich ist mindestens ein schöner Moment, dabei“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

28.08.2021 – 25.09.2021

Interviewzeitpunkte

T1: 27.08.2021

T2: 05.10.2021

T3: 29.11.2021

Frau T. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 72 Jahre alt und begleitet ihren Ehemann (Herr T.). Sie hat die Volksschule besucht und eine Ausbildung zur Technischen Zeichnerin absolviert, bei der sie ihren Ehemann kennengelernt hat. Seit dieser Zeit sind sie zusammen, haben geheiratet, zwei erwachsene Söhne und zwei Enkelkinder. Sie leben gemeinsam in einem Einfamilienhaus mit großem Garten.

Herr T. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 75 Jahre alt und leidet an einer Vaskulären Demenz. Er ist in Pflegegrad III eingestuft, aber relativ selbstständig, sodass er für ein bis zwei Stunden alleine zuhause bleiben und sich selbst beschäftigen kann. Frau T. begleitet und unterstützt ihn besonders im Alltag, wobei der Umgang miteinander für Frau T. besonders belastend ist. Es entstehen häufig Differenzen im Tagesverlauf, die vor allem zu Beginn der Erkrankung für Frau T. schwierig greifbar und belastend waren:

Am Anfang […] waren da viele Streitereien. Ich habe dann immer gedacht, wenn er was falsch macht oder was. Ich musste es immer richtigstellen oder dann gab es Diskussionen. Ich habe es selber […] auch erstmal […] begreifen müssen was da überhaupt auch mit ihm passiert (A002; T0, Pos. 21).

Die Beziehung des Ehepaars wird von Frau T. dennoch als sehr liebevoll beschrieben. Durch die Demenz ihres Mannes erkennt sie Veränderungen innerhalb der Partnerschaft, empfindet aber die Beziehung grundsätzlich als inniger: „Es hat sich verändert, ja. Jetzt wie gesagt die letzte Zeit sagen wir mal ist es alles doch ein bisschen liebevoller geworden. Trotzdem. Trotz der Demenz“ (A002; T0, Pos. 20). Sie ist sehr dankbar für die schönen Momente mit ihrem Mann, die es ihr ermöglichen die Pflegesituation anzunehmen und zu bewältigen: „Die liebevollen Momente, die es immer noch zwischen uns gibt. Das macht es mir leichter, Geduld mit ihm zu haben und die ganze Situation zu ertragen“ (A002; Tag 11, Pos. 3).

Das Ehepaar T. hat einen sehr engen familiären Zusammenhalt und trifft sich regelmäßig mit seinen Kindern und Enkelkindern, was beiden sehr guttut:

Schöne Momente sind auch so die Samstage immer. Schon seit Jahren. Samstags mittags zum Mittag ist immer die ganze Familie um den Tisch. Meine Söhne, die Enkelkinder und wir. Das [ist] Tradition, dass die immer samstags mittags zum Spaghetti essen [kommen] (A002; T0, Pos. 90).

Darüber hinaus hören sie gerne Musik: „Haben nach dem Frühstück CDs mit alten Schlagern gehört und beide laut mitgesungen“ (A002; Tag 04, Pos. 1) – „Manchmal tanzen wir sogar“ (A002; T0, Pos. 96). Besonders Frau T. ist sehr musikalisch. Sie besucht einmal in der Woche die Singstunde, bei der sie sich eine kleine Auszeit nimmt und etwas Abstand von den Sorgen und Belastungen zuhause nehmen kann. Auch Herr T. erinnert sich gerne an seine Zeit im Musikverein zurück, wobei es ihn traurig macht, dort aufgrund seiner Demenzerkrankung nicht mehr teilnehmen zu können:

[Name MmD] hat beim Frühstück wieder von seiner Zeit bei seiner Blaskapelle erzählt. Das macht er sehr oft, aber heute hat er geweint. Er war mit Leib und Seele über dreißig Jahre beim Musikkorps der Freiwilligen Feuerwehr und er trauert seinem Musikinstrument (Tenorhorn) sehr nach (A002; Tag 15, Pos. 1).

Da Frau T. die meiste Zeit mit ihrem Mann zusammen ist, ist der einzige Zeitraum in dem sie beruhigt abschalten kann, der Vormittag an dem sie ihren Mann in eine Betreuungsgruppe bringt. Das Angebot ist speziell für Menschen mit Demenz ausgerichtet und ermöglicht pflegenden Angehörigen Entlastung: „[Name MmD] war […] in der ‚Vergissmeinnicht‘ Gruppe […] Für mich sind das die einzigen Stunden in der Woche, an denen ich ein bisschen durchschnaufen kann“ (A002; Tag 13, Pos. 1).

Dabei ist zu erwähnen, dass Frau T. selbst gesundheitlich stark belastet ist, was die Notwendigkeit regelmäßiger Ruhephasen noch einmal mehr unterstreicht. Sie leidet seit einiger Zeit an chronischen Rückenschmerzen, die ihr den Schlaf und die notwendige Erholung rauben:

Da meine Rückenschmerzen in der Nacht immer viel schlimmer sind als am Tag, schlafe ich sehr schlecht […] Auch die Feststellung, dass die Operation […] keine Besserung gebracht hat, macht mich fertig (A002; Tag 17, Pos. 2).

Frau T. ist durch ihre eigene gesundheitliche Situation und die Pflege und Begleitung ihres Mannes deutlich belastet. Durch die fortwährende Betreuung ihres Mannes findet sie wenig bis keine Zeit zur Erholung. Dennoch wird deutlich, dass Frau T. viel Kraft aus der gemeinsamen Zeit mit ihrem Mann schöpft und dessen Dankbarkeit sehr schätzt. Sie geben ihr die Sinnhaftigkeit zur Bewältigung der Situation:

Als mein Mann heute Morgen zu mir sagte: ‚Du hast so viel Arbeit mit mir und ich möchte mich bei dir bedanken.‘ Solche Momente geben mir Kraft und Energie und ich habe dann ein gutes Gefühl, dass wir alles zusammen schaffen können (A002; Tag 01, Pos. 3).

Das Tagebuch-Schreiben:

Frau T. ist eine sehr gläubige Person, woraus sie viel Kraft und Energie schöpft. Besonders ihre positive Einstellung zu ihrer Lebenssituation nimmt sie aus ihrer Zuversicht und ihrer Liebe zu ihrem Mann. Frau T. ist deshalb von Beginn an sehr offen, das Tagebuch zu führen, wird darüber hinaus aber auch von ihrer Cousine als enge Ansprechpartnerin in einer Teilnahme bestärkt. Sie hat bisher kein Tagebuch geschrieben, ist aber offen und neugierig, die Methode auszuprobieren.

Frau T. schreibt fast täglich in das Tagebuch und berichtet von vielen gemeinsamen Erlebnissen mit ihrem Mann. Sie öffnet sich und beschreibt ihre inneren Gedanken und Gefühle wie Freude, Liebe und Zuversicht, aber auch ihre Sorgen und Belastungen in Bezug auf die Demenzerkrankung ihres Mannes.

Das Tagebuch-Schreiben hat Frau T. dabei geholfen, mehr Aufmerksamkeit auf die schönen Momente zu lenken: „Ja das ist dann viel bewusster und dann denke ich immer […] es ist nicht alles nur negativ, ‚Du hast auch viele positive Sachen oder ein Licht am Horizont‘“ (A002; T2, Pos. 14). Sie gibt an, Augenblicke im Nachhinein intensiver wahrzunehmen und auch nach der Zeit des Tagebuch-Schreibens Momente zu erkennen, die sie in das Tagebuch schreiben würde:

Ja, durch das Tagebuch-Schreiben bin ich eigentlich mehr darauf aufmerksam geworden, auf das zu achten, muss ich ehrlich sagen. [I]m Nachhinein [gab es] immer wieder Situationen wo ich gedacht habe […]: ‚Ach, das wäre jetzt wieder ein Punkt fürs Tagebuch, ein positiver Punkt‘ (A002; T2, Pos. 8).

Aus dem Zitat geht weiter hervor, dass Frau T. sich vorstellen könnte, das Tagebuch weiter zu führen, es jedoch in der Zeit nach dem Tagebuch-Schreiben bislang nicht geschafft hat: „Vielleicht wäre es aber gut weiterzumachen – ganz ungezwungen. Das werde ich denke ich auf jeden Fall machen“ (A002; T2, Pos. 2).

12.2.3 Fallbeschreibung 3: „Berührende Momente kann ich eigentlich immer finden“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

02.09.2021 – 30.09.2021

Interviewzeitpunkte

T1: 02.09.2021

T2: 01.10.2021

T3: 25.11.2021

Frau W. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 61 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Nach dem Fachabitur hat sie ein Jurastudium begonnen, dieses jedoch abgebrochen. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung ist sie erwerbslos, engagiert sich aber ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Sie begleitet ihre Mutter (Frau S.), die zum Zeitpunkt der Datenerhebung 83 Jahre alt ist, eine Demenzdiagnose hat und in Pflegegrad III eingestuft ist. Nach einiger Zeit in der häuslichen Pflege und Begleitung ist Frau S. aufgrund des hohen Betreuungsbedarfs im August 2021 in ein Pflegeheim gezogen.

Allgegenwärtig ist das schlechte Gewissen, das Frau W. aufgrund der Betreuungssituation ihrer Mutter hat: „Die ganze Situation und das schlechte Gewissen“ (A003; Tag 13, Pos. 7). Durch den Umzug ins Pflegeheim macht sie sich sehr viele Gedanken und Sorgen um ihre Mutter. Sie besucht ihre Mutter alle zwei Tage und versucht in dieser Zeit viel mit ihr zu unternehmen:

Freude [die] Mutti hat, wenn man mir ihr ‚scharwenzeln‘ geht. Das heißt, man unternimmt etwas Schönes und kehrt dann irgendwo ein. Dann gehört ein Gläschen Sekt oder Weinschorle dazu und Mutti blüht auf (A003; Tag 05, Pos. 6).

Das Verhältnis zwischen Frau W. und ihrer Mutter hat sich durch die Demenzerkrankung deutlich verbessert. Sie nimmt ihre Mutter mittlerweile als zufrieden und dankbar wahr:

Wenn man dann irgendwas macht und sie ist dann jetzt wirklich zufrieden und auch mal dankbar. Das kennt man von unserer Mutti eigentlich nicht. Unsere Mutti […] war immer unzufrieden mit irgendwas, immer. Und das ist jetzt [anders]. Sie genießt das dann, wenn man so Sachen mit ihr macht. Wenn man Eis essen geht oder Kaffee trinken geht oder spazieren geht, sowas. Das genießt sie (A003; T0, Pos. 34).

An Tagen, an denen sich Frau W. nicht um ihre Mutter kümmern kann, reagiert diese mit aufforderndem Verhalten und sucht permanent den Kontakt zu ihrer Tochter, was Frau W. stark belastet:

Heute hat mich meine Mutter mehrmals angerufen. Sie fragt dann seit neuestem immer, ob sie mich besuchen kann. […] Ich muss sie dann immer ablenken, was mir ein total schlechtes Gewissen macht (A003; Tag 03, Pos. 1).

Aus den Ausführungen wird deutlich, wie viel Kraft Frau W. die Begleitung ihrer Mutter kostet, besonders unter ihrem schlechten Gewissen leidet sie dabei sehr. Ihr fällt es schwer die Situation mit ihrer Mutter anzunehmen, weshalb sie regelmäßig zur Psychotherapie geht:

[Das] Gespräch mit [m]einer Psychologin. Sie hat mir gesagt, dass sich bei mir etwas ändern kann, wenn ich akzeptiert habe, dass ich gewisse Dinge nicht ändern kann. Dass es aber legitim ist, dass man damit trotzdem nicht alleine klarkommt, sondern sich Hilfe holen darf. Ich denke, das hat mir heute sehr geholfen (A003; Tag 05, Pos. 8-10).

Aus diesem Grund setzt sie sich zum Ziel, die Situation mit ihrer Mutter zu akzeptieren und etwas mehr auf sich selbst zu achten, worin sie auch von ihrer Familie bestärkt wird: „Ich habe den ganzen Tag mit meinem Mann verbracht. Es war gut, einmal loszulassen und das konnte ich auch gestern“ (A003; Tag 17, Pos. 1).

Das Tagebuch-Schreiben:

Frau W. war sehr interessiert an der Methode des Tagebuch-Schreibens. Sie erhoffte sich von der Methode eine Möglichkeit, ihre Gedanken und Gefühle aufzuschreiben und diese besser zu akzeptieren.

Durch das Tagebuch-Schreiben wurde Frau W. aufmerksamer auf schöne Momente mit ihrer Mutter und berichtet davon, die Tagesreflexionen als angenehm empfunden zu haben:

Ja, also ich fand das eigentlich immer ganz angenehm das mal aufzuschreiben, mir Gedanken zu machen, manchmal sind mir dann auch erstmal wieder so Situationen in den Kopf gekommen, die eigentlich schon fast wieder ausgeblendet waren. Ja, also ich fand das eigentlich eine gute Sache (A003; T1, Pos. 2).

Das Tagebuch-Schreiben bewirkte bei Frau W. zudem eine Verbesserung des Wohlbefindens: „[M]an hat so eine gewisse Ruhe dann wiedergekriegt. So beim Schreiben. Das war eigentlich immer hinterher so, wo ich gedacht hab ja okay“ (A003; T1, Pos. 4). Frau W. möchte deshalb auch nach dem Projekt das Tagebuch weiterführen: „Ich muss mal gucken, dass ich das zumindest stichwortartig das weitermache“ (A003; T1, Pos. 2). Dabei liegt ihr besonders am Herzen, die Situation mit ihrer Mutter zu reflektieren: „Dass ich einfach so eine Entwicklung einfach mal sehe, wie das weitergeht mit der Mutti und mit uns. Ja“ (A003; T1, Pos. 2) und auf die schönen Momente zu achten, „die [man] automatisch mehr sieht, ja oder besser sieht, ja“ (A003; T1, Pos. 12).

12.2.4 Fallbeschreibung 4: „Ich konnte wahrnehmen, dass es ein Geschenk ist diese Zeit“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

09.09.2021 – 06.10.2021

Interviewzeitpunkte

T1: 09.09.2021

T2: 07.10.2021

T3: 29.11.2021

Herr M. ist 76 Jahre alt und begleitet seine Ehefrau (Frau M.). Er lebt gemeinsam mit seiner Frau in einem Haus mit großem Garten. Vor seiner Pensionierung hat Herr M. auf dem zweiten Bildungsweg Lehramt studiert und als Studiendirektor gearbeitet. Zusammen mit seiner Frau hat er vier Kinder und acht Enkelkinder.

Bei Frau M. wurde im Jahr 2019 eine Alzheimer-Demenz diagnostiziert, zum Zeitpunkt der Datenerhebung ist sie bereits in Pflegegrad V eingestuft. Sie benötigt rund um die Uhr Pflege und Begleitung, weshalb sich Herr M. Hilfe durch eine 24-h-Pflege gesucht hat, die mit dem Ehepaar gemeinsam im Haus lebt und ihn im (Pflege-)Alltag unterstützt. Er versucht, seine Frau in ihrer Erkrankung zu fördern und sie weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Dabei ist es ihm wichtig, die richtige Balance zwischen der gemeinsamen Zeit und der Zeit für sich zu finden, was ihm durch die Unterstützung der 24-h-Pflege ermöglicht wird: „Auch unsere Tagesstruktur mit der Pflegerin, gibt mir Sicherheit und Kraft. Da gibt es Entlastung / Freiraum für mich, aber auch Nähe“ (A004; Tag 05, Pos. 5). Darüber hinaus erfährt Herr M. von seinen Kindern sowie Freunden und Bekannten Unterstützung. Insbesondere der Austausch mit Freunden gibt ihm dabei Kraft und Energie, was sich auch auf seine Frau projiziert: „All diese Treffen, Gespräche und vieles mehr, geben mir Lebensfreude. Und das überträgt sich auch auf [Name MmD]“ (A004; Tag 23, Pos. 5).

Herr M. hat ein sehr ausgeprägtes soziales Netzwerk. Er trifft sich täglich mit Freunden und Bekannten, mit denen er beispielsweise Kaffeetrinken oder wandern geht. Darüber hinaus ist die körperliche Aktivität wesentlich im Alltag von Herr M. Er geht regelmäßig joggen oder macht Yoga: „Gut geschlafen, laufen gewesen, Yoga gemacht und bei gutem Wetter im Café gewesen, nette Frau getroffen, also guter Tagesstart!“ (A004; Tag 06, Pos. 1). Seine achtsame Lebensführung resultiert dabei aus seiner Krebserkrankung, deren Nachwirkungen ihn noch immer beschäftigen: „[D]ie Folgen meiner Prostataerkrankung. (Operiert, bestrahlt, Krebs zwar weg, aber Folgen sind zu spüren!)“ (A004; Tag 13, Pos. 2).

Die Beziehung des Ehepaars beschreibt Herr M. als sehr liebevoll, wobei körperliche Nähe und Zuneigung besonders wichtige Aspekte für ihn sind. Durch die mit der Demenzerkrankung einhergehenden progressiven Veränderungen seiner Frau, gewinnt dieser Punkt immer mehr an Bedeutung für Herrn M. und gibt ihm Kraft und Sinn in der Pflege und Begleitung:

Wenn ich [Name MmD] streichele (Wange, Hände), kommt immer eine positive Rückmeldung (lächeln, auch streicheln) […] Solche Reaktionen kommen schon öfter! Ich umarme [Name MmD] oft und sie reagiert da fast immer sehr positiv, indem sie sich ankuschelt. Das berührt mich schon! (A004; Tag 19, Pos. 3).

Darüber hinaus spielt Sexualität eine wesentliche Rolle für Herrn M., die er in der Pflegesituation mit seiner Frau vermisst. Die Ambivalenz der hohen Zuneigung und Liebe zu seiner Frau und der Wunsch nach einer reziproken, sexuellen Liebesbeziehung beschäftigen ihn dabei sehr:

Abends Verabredung mit meinem ‚Cappuccino Flirt‘. Es ist schön, eine nette Frau zu kennen, die gerne mit mir etwas unternimmt. Das ist neu für mich! Ist es mehr als nur ein ‚Cappuccino Flirt‘? Will ich das denn? Auch bei / mit meiner Krankheit? Wir reden bei Treffen auch viel über [Name MmD] (A004; Tag 14, Pos. 1).

Das Tagebuch-Schreiben:

Herr M. hat das Tagebuch sehr umfassend und detailliert geschrieben. Er hat die Methode gerne angenommen und führt damit sein privates Tagebuch weiter. Die Nutzung eines Tagebuchs und dessen Wirkung ist ihm also bereits bekannt. Herr M. hat einen reflektierenden Schreibstil, er notiert gewissenhaft seine Tagesaktivitäten und setzt diese in Verbindung mit seinen Gedanken und Gefühlen. Besonders sein großes Bedürfnis nach Nähe und Zuneigung wird täglich in den Tagebucheinträgen erwähnt. Herr M. geht allerdings auch kritisch mit der Tagebuchvorlage um und stellt der Autorin während seiner Eintragungen Fragen zur Methode und der Nutzung der Tagebuchvorlage:

Generell: Ja, es hilft über den Tag, das Zusammensein nachzudenken. Und ich spüre, wie schön das ‚noch zusammensein können‘ doch ist. Das wird durch das Aufschreiben verstärkt. Frage: Gelingt das nur, wenn ein Partner schwerkrank ist? (A004; Tag 28, Pos. 6).

Außerdem machen die Eintragungen von Herrn M. deutlich, dass sein Pflege- und Betreuungssetting austariert und maßgeblich auf die Bedürfnisse seiner Frau und ihn selbst ausgelegt ist. Herr M. findet aus diesem Grund viel Zeit für sich und hat die Möglichkeit der Selbstpflege, welche sich wesentlich auf sein Wohlbefinden und die Wahrnehmung schöner Momente auswirkt:

[Name MmD] wird von uns (Pflegerin und mir) gut versorgt. Immer kümmert sich eine Person um sie, oft zwei. Das macht mich ‚frei‘! Somit geben mir viele andere Dinge Kraft [und] Energie (Sport, mein tägliches Kaffeetrinken, Freunde treffen, mit [Name MmD] weggehen, auch mit netten Frauen treffen und vieles mehr). Auch ist ihr Gesundheitszustand im Moment stabil. All das war am heutigen Tag dabei, viele ‚Kraftspender‘! (A004; Tag 09, Pos. 5).

Mit dem Tagebuch-Schreiben wurde Herr M. dies stärker bewusst, sodass er seine Tagesstruktur darauf ausrichten konnte: „Es ist das Ergebnis des Tagebuchs, dass ich jeden Tag mit der [Name MmD] spazieren gehe. Das ist mir wichtig und das möchte ich jetzt auch weiterführen“ (A004; T1, Pos. 51). Besonders alltägliche Momente, die er gemeinsam mit seiner Frau erlebt, hat Herr M. durch das Tagebuch-Schreiben wahrgenommen und als diese erkannt: „Ich nehme die ganz anders wahr oder ich habe sie ganz anders wahrgenommen. Ja, fast auch entdeckt, dass es schöne Momente sind“ (A004; T1, Pos. 26). Er gibt darüber hinaus an, durch das Tagebuch-Schreiben die gemeinsame Zeit mit seiner Frau schätzen gelernt zu haben und dankbar zu sein:

Ich glaube, ich habe es schon mal in das Tagebuch hier geschrieben: Seitdem ich hier schreibe, schätze ich die Zeit, die ich mit [Name MmD] verbringe, wesentlich mehr. Ich habe sie noch! Und ich weiß, die Zeit ist begrenzt. Ich habe mehr Geduld, schätze das alles viel mehr (A004; Tag 11, Pos. 6).

Das Tagebuch-Schreiben hat Herr M. zum Ende hin etwas unter Druck gesetzt, da er für sich den Anspruch entwickelt hat, jeden Tag einen schönen Moment zu finden:

Ja, weil ich fand da so viel neue Situationen nicht und ich hatte mich immer bemüht nicht immer das Gleiche zu schreiben aber es ist oft das Gleiche und schon morgens, wenn ich dann hier runtergekommen bin, denke ich ‚Oh, hoffentlich ist irgendwas was positiv ist‘ (A004; T1, Pos. 6).

Grundsätzlich gibt er aber an, aus der Zeit des Tagebuch-Schreibens viel mitgenommen und angestoßen zu haben: „Und ich habe durch das Aufschreiben hier, die gemeinsame Zeit mit [Name MmD] schätzen gelernt. Es ist ein ‚anderer Blick‘, eine andere Wahrnehmung!“ (A004; Tag 22, Pos. 6).

12.2.5 Fallbeschreibung 5: „Ich habe fast jeden Tag einen schönen Moment gehabt“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

16.09.2021 – 14.10.2021

Interviewzeitpunkte

T1: 16.09.2021

T2: 15.10.2021

T3: 09.12.2021

Frau A. begleitet gemeinsam, gleichberechtigt mit ihrer Schwester (siehe Abschnitt 12.2.7), ihre Mutter (Frau S.). Zum Zeitpunkt der Datenerhebung ist Frau A. 59 Jahre (1961) alt und feiert in der Zeit des Tagebuch-Schreibens ihren 60. Geburtstag. Sie hat zwei erwachsene Kinder, arbeitet als Finanzbeamtin in Teilzeit und lebt alleine in einem Eigenheim. Bis Dezember 2018 hat sie dort mit ihrem Mann gelebt, der unerwartet im Alter von 60 Jahren verstorben ist. Diesen Schicksalsschlag hat Frau A. zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht verkraftet und befindet sich mitten in der Trauerverarbeitung. Frau A. hat sich hierzu Hilfe bei einer Psychologin gesucht. Durch den Verlust ihres Mannes hat Frau A., die sich selbst als eigentlich gesellig und sehr sozial engagiert beschreibt, immer mehr aus der Gesellschaft zurückgezogen. Sie beschreibt durch ihre Trauer eine kontinuierliche Traurigkeit, die einen großen Teil ihres Alltags in Anspruch nimmt: „Also diese Grundstimmung, dass ich halt nicht so zufrieden bin mit meinem Leben hat ja mit meiner Trauer auch zu tun“ (A005; T1, Pos. 24). Frau A. leidet zudem selbst an gesundheitlichen Einbußen, insbesondere ihre Wirbelsäule bereitet ihr große Probleme, sodass sie regelmäßig zur Physiotherapie und zum Yoga geht.

Frau S., die Mutter von Frau A., ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 84 Jahre alt (1937) und leidet an einer Vaskulären Demenz. Sie wurde in Pflegegrad IV eingestuft und lebt mit einer 24-h-Pflegekraft in ihrem eigenen Haus. Mehrmals in der Woche geht Frau S. zudem in die Tagespflege:

Meine Mutter fand [es] toll bei der [Tagespflege] (da sorgt man sich gut um mich, ich hab den ganzen Tag dort zu tun – ich geh da nicht mehr hin, das ist mir zu viel – Wann kommen die morgen und holen mich? Die sind ja sehr nett) (A005; Tag 21, Pos.11).

Frau S. war eine strenge Mutter, sodass das Verhältnis von Frau A. zu ihrer Mutter eher distanziert war. Durch die Demenzerkrankung wurde Frau S. milder und dankbarer, was sich positiv auf das Verhältnis zu ihren Töchtern auswirkt: „[Das] ist besser geworden. Also ich habe gemerkt, dass sie mir sehr vertraut, dass sie mir auch sehr viel zutraut“ (A005; T0, Pos. 10).

Frau A. erlebt gemeinsam mit ihrer Mutter im Alltag viele schöne Momente. Häufig finden diese Augenblicke bei Gesprächen mit Nachbarn und Bekannten statt. Die Bank vor ihrem Haus ermöglicht Frau S. dabei die Teilhabe am Dorfgeschehen: „Wir haben in der Straße vorm Haus meiner Mutter Kaffee getrunken. Und Mama hat es genossen. Dabei kamen alte Freunde vorbei. Das war schön“ (A005; Tag 16, Pos. 5).

Im Verlauf der Datenerhebung sorgt sich Frau A. zunehmend um eine adäquate Versorgung ihrer Mutter, verbunden mit der Sorge, Frau S. in der Zukunft in einem Pflegeheim betreuen lassen zu müssen: „Die Erkenntnis, dass auch die 24h Kraft die Kraft nicht hat. Die vage Befürchtung: Mama muss ins Heim“ (A005, Tag 24, Pos. 4).

Das Tagebuch-Schreiben:

Frau A. hat die Methode des Tagebuch-Schreibens gerne angenommen, obwohl sie „auch früher nie ein Tagebuch geführt [hat]“ (A005; T1, Pos. 30). Sie hat das Tagebuch abends geschrieben und dabei teilweise ausführlich oder stichpunktartig die Erlebnisse und Gedanken des jeweiligen Tages notiert, was sie als angenehm empfunden hat: „Ansonsten war es sehr interessant, dass man sich mal über den Tag Gedanken macht“ (A005; T1, Pos. 4). Auch wenn Frau A. das Tagebuch-Schreiben teilweise als zusätzliche Belastung empfunden hat: „Also es war manchmal stressig das abends noch zu machen“ (A005; T1, Pos. 4), wurde sie im Wesentlichen zur Reflexion schöner Momente angehalten, was sie als positiv wertet:

Also zumindest hat es mich gezwungen, über viele Dinge nochmal nachzudenken, die mir so den Tag über passiert sind. Das hätte ich sonst abends nicht mehr gemacht. Also halt auch über die positiven Dinge nachzudenken. Weil ansonsten hätte ich mich wahrscheinlich mit dem befasst, was gelöst werden muss. So […] konnte ich mal über Sachen nachdenken, die eigentlich gut waren, ja (A005; T1, Pos. 10).

Das Tagebuch-Schreiben hat Frau A. dabei die Möglichkeit gegeben positive Augenblicke sensibler wahrzunehmen: „Es hat mir die schönen Momente mehr aufgezeigt. Also ich habe die schon erkannt aber ich habe fast jeden Tag einen schönen Moment gehabt“ (A005; T1, Pos. 14) und sie dazu angestoßen, sich Gedanken zu machen und in die Selbstreflexion zu gehen. Sie kann sich allerdings nicht vorstellen, das Tagebuch in diesem Sinne weiterzuführen:

Ja, ja. Doch, es hat auf jeden Fall was angestoßen. Also so dieses sich Gedanken über den Tag zu machen. Ich glaube das werde ich auch beibehalten aber halt nicht so, dass ich dann mich hinsetze und das schreibe (A005; T1, Pos. 32).

Darüber hinaus hat Frau A. durch das Tagebuch-Schreiben erkannt, dass sie an sich selbst und ihrer Trauer um ihren Mann arbeiten muss. Durch die positiven Tagesreflexionen konnte sie jene Momente besser erkennen und wahrnehmen:

Ich überlege, ob ich nicht zufriedener sein müsste […] Mir geht es ja gut, ich trauere noch sehr, aber ich habe liebe Kinder und Freunde, die für mich da sind. Mir geht es ja gut […] Aber dann denke ich, ich bin unzufrieden – so wollte ich nicht leben alleine und nur rumrennen. Ich muss was ändern!!! (A005; Tag 28, Pos. 12).

12.2.6 Fallbeschreibung 6: „Am Ende des Tages haben die schönen Stunden gezählt“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

27.09.2021 – 24.10.2021

Interviewzeitpunkte

T1: 17.09.2021

T2: 25.10.2021

T3: 17.01.2022

Frau W. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 76 Jahre alt und begleitet Ihren Ehemann. Aus einer vorherigen Partnerschaft hat Frau W. zwei Kinder in die Beziehung mitgebracht, die Herr W. sehr gerne mochte:

Ich war in der Situation meine Ehe ist gescheitert, ich war mit zwei kleinen Kindern alleine und meine Kinder, die mochten meinen Mann auf Anhieb sehr gerne und mein Mann mochte die Kinder sehr gerne und von daher gesehen ist dann unsere Verbindung auch entstanden und gut gelaufen (A006; T0, Pos. 4).

Frau W. hat vor ihrer Rente als Kinder-Krankenpflegerin in einem Kindergarten gearbeitet und kümmert sich zum Zeitpunkt der Datenerhebung bereits seit einigen Jahren um ihren Mann. Herr W. ist 80 Jahre alt und an einer Frontotemporal-Demenz erkrankt. Er ist in Pflegegrad V eingestuft und rund um die Uhr auf die Pflege und Fürsorge seiner Frau angewiesen. Um Herrn W. ein Leben in der eigenen Häuslichkeit weiterhin zu ermöglichen, hat Frau W. Unterstützung durch eine 24-h-Pflegekraft, die gemeinsam mit dem Ehepaar im Haus wohnt:

Heute ist die neue Pflegekraft eingetroffen […] Sie war schon mal bei uns und ist eine nette Person […] Ich habe Hochachtung vor diesen Frauen, das Zuhause verlassen und oft in eine fremde Umgebung zu kommen. Die Patienten sind meist sehr pflegebedürftig oder und dement. Mein Mann ist zum Glück anpassungsfähig und nimmt die neue Pflegerin an (A006; Tag 17, Pos. 1-2).

Für die Unterstützung durch die 24-h-Pflegekraft ist Frau W. sehr dankbar. Weiterhin erhält sie vor allem seelisch-moralischen Beistand von ihren Kindern und Enkelkindern, zu denen sie ein sehr enges Verhältnis hat und die ihr viel Kraft in der Bewältigung der Pflege und Begleitung geben: „Das Gefühl mit unserer Situation nicht allein zu sein und die Kinder als Rückhalt zu haben“ (A006; Tag 16, Pos. 5).

Frau W. hat ihren gesamten Alltag auf die Pflege und Begleitung ihres Mannes ausgerichtet, was bedeutet, dass sie zeitlich immer stark getaktet ist. Momente der Selbstpflege hat Frau W. nur in Form einer kurzen Pause, die für sie sehr wichtig ist, um den restlichen Tag bewältigen zu können:

Das einzige was ich mir gönne, das ist diese knappe Stunde Mittagspause, wo ich dann aber auch wirklich alles liegen lasse, was für mich wichtig ist, um mich ein bisschen für den Rest des Tages zu erholen (A006; T1, Pos.12).

Zudem beschreibt Frau W. Treffen mit guten Freunden, beim gemeinsamen Kegeln oder Kaffee trinken als schöne Momente, die ihr Kraft geben: „Die Zuneigung der Freunde […] Wir hatten schöne Gespräche, ist meine ‚Therapiegruppe‘“ (A006; Tag 12, Pos. 3).

Die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann versucht Frau W. in vollen Zügen zu genießen. Sie interessieren sich beide für klassische Musik, machen gemeinsam Kreuzworträtsel und lachen viel miteinander: „Das Lachen meines Mannes hat mich glücklich gemacht“ (A006; Tag 9, Pos. 3). Für Frau W. ist es sehr wichtig auch abseits von der körperlichen Pflege Zeit als Paar miteinander zu verbringen und ihrem Mann Zuwendung zu schenken. Sie erkennt diese Momente als die wesentlichen und sinnstiftenden Augenblicke an. Besonders das Vertrauen und die Zuneigung ihres Mannes geben ihr Kraft zur Bewältigung der Pflegesituation:

Oft berührt mich wie vertrauensvoll mein Mann mir gegenüber ist, er fügt sich in alle Handhabungen mit ganzem Vertrauen. Ist wohl ein Überbleibsel, was aus unserer Beziehung in der Ehe resultiert. Jeder hat dem Partner vertraut (A006; Tag 27, Pos. 3 – 3).

Das Tagebuch-Schreiben:

Frau W. hatte zu Beginn des Tagebuch-Schreibens große Probleme. Dabei erschien insbesondere der Start des Tagebuchs als schwierig, sodass Frau W. erst zehn Tage nach dem ersten Interview (T0) mit dem Tagebuch-Schreiben begonnen hat. Grundsätzlich konnte sie sich aber im Verlauf der vier Wochen dem Tagebuch annehmen und hat es in der gesamten Zeit regelmäßig und gründlich geführt: „Aber gut, wie gesagt, wenn man da mal dran ist, dann ist es auch gut“ (A006; T1, Pos. 18). Frau W. hat das Tagebuch-Schreiben dabei ambivalent empfunden und von zwei Seiten des Tagebuch-Schreibens berichtet: „Ich fand schon wie gesagt positiv aber es ist einfach auch manchmal für mich ein zeitliches Problem“ (A006; T1, Pos. 36). Durch das Tagebuch-Schreiben hat Frau W. festgestellt, sich selbst nicht gerecht zu werden. Sie hat darüber hinaus jedoch auch gelernt, Kleinigkeiten als schöne Momente zu empfinden:

Stelle aber fest, trotz all dieser Dinge, dass ich meine Wünsche und Bedürfnisse ziemlich zurückgefahren habe. Habe aber auch die Fähigkeit entwickelt, mich an kleinen Dingen zu freuen (A006; Tag 21, Pos. 5).

In ihrem streng getakteten Pflegealltag konnte Frau W. durch das Tagebuch-Schreiben somit lernen, die positiven Seiten zu erkennen und wahrzunehmen:

Durch die alltägliche Pflege und die anderen Aufgaben und Verpflichtungen werden die schönen, oft kurzen glücklichen Momente überfrachtet. Das Tagebuch fördert das Bewusstsein, diese Augenblicke bewusster zu machen und zu speichern (A006; Tag 27, Pos. 9).

Sie hat dabei durch das Schreiben und dem damit einhergehenden Reflektieren des Tages Wertschätzung entwickelt: „Beim Schreiben heute wurde ich dankbar für jeden Tag“ (A006; Tag 08, Pos. 6). Sie kann sich aus diesem Grund auch vorstellen, bei Bedarf das Tagebuch weiterzuführen, nicht jedoch regelmäßig zu schreiben: „[D]as kann ich mir schon vorstellen, dass man sich einfach mal hinsetzt und sich das von der Seele schreibt, so“ (A006, T1, Pos. 38).

12.2.7 Fallbeschreibung 7: „Auch in der Demenz gibt es schöne Momente“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

Versuch 1: 05.10.2021 – 02.11.2021

Versuch 2: 31.01.2021 – 28.01.2022

Interviewzeitpunkte

T1: 05.10.2021

T2: 08.02.2022

T3: 22.03.2022

Frau G. ist die jüngere Schwester von Frau A. (Abschnitt 12.2.5), die gemeinsam ihre Mutter (Frau S.) pflegen und begleiten. Die Schwestern funktionieren in der gemeinsamen Begleitung ihrer Mutter gut miteinander, im Alltag ist die Beziehung zueinander jedoch eher distanziert. In der folgenden Falldarstellung wird ausschließlich Frau G. und das Verhältnis zu ihrer Mutter beleuchtet, nähere Informationen über Frau S. sind bereits eingehend in Abschnitt 12.2.5 beschrieben.

Frau G. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 54 Jahre alt und arbeitet auf 450 Euro-Basis als Augenoptikerin. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn in einem Haus unweit ihrer Schwiegereltern, die sie ebenfalls teilweise im Alltag unterstützt. Die Familie besteht aus insgesamt fünf Familienmitgliedern (drei Kindern) sowie einem Hund, der besonders für Frau G. sehr wichtig ist. Ihre beiden älteren Kinder sind zum Zeitpunkt der Datenerhebung bereits zum Studium ausgezogen, kommen aber regelmäßig zu Besuch. Der Zusammenhalt in der Familie wird sehr großgeschrieben, weshalb Frau G. schöne Momente besonders in Zusammenhang mit ihrer Familie sieht: „Schöne Momente sind Familienmomente“ (A007; T0, Pos. 26).

Das Verhältnis von Frau G. zu ihrer Mutter ist nicht gut: „Ich habe keine schönen Erinnerungen an meine Beziehung mit meiner Mutter oder an meine Kindheit und Jugend“ (A007; T0, Pos. 4), sodass Frau G. ihre Mutter mit negativen Charakterzügen beschreibt: „[M]eine Mama war ganz streng und böse“ (A007; T0, Pos. 6). Durch die Demenzerkrankung ihrer Mutter und die damit einhergehenden Verhaltensveränderungen hat sich das Verhältnis jedoch verbessert, was es Frau G. ermöglicht die gemeinsame Zeit mit ihrer Mutter mehr zu genießen: „Ja, ich verbringe mehr Zeit mit meiner Mutter, ich verbringe intensivere Zeit mit meiner Mama und ich werte nicht mehr“ (A007; T0, Pos. 10). Aus diesem Grund fällt es ihr leichter, die Veränderungen ihrer Mutter anzunehmen und die Demenzerkrankung rational zu betrachten: „Die Demenz meiner Mama erlebe ich nicht sehr emotional, das liegt einfach am Verhältnis zu meiner Mama“ (A007; Tag 28, Pos. 2). Frau G. berichtet darüber hinaus, die gemeinsame Zeit mit ihrer Mutter als positiver zu empfinden, was ihr Kraft zur Bewältigung der Pflegesituation gibt.

Das Erkrankungsbild Demenz beschäftigt Frau G. zusätzlich, weil sie sich darum sorgt, selbst an einer Demenz zu erkranken: „An manchen Tagen verfluche ich die Demenz und hoffe, dass ich es nicht vererbt bekommen habe!“ (A007; Tag 25, Pos. 2).

Mit der Übernahme der Pflege und Begleitung ihrer Mutter ist Frau G. über sich hinausgewachsen und hat sich weiterentwickelt: „Ich kann immer noch wachsen! Neue Erfahrungen macht man sein Leben lang!“ (A007; Tag 20, Pos. 8–9).

Das Tagebuch-Schreiben:

Das Führen eines Tagebuchs hat Frau G. zu Beginn große Schwierigkeiten bereitet, welche von ihr mit psychischen Problemen aus der Vergangenheit in Verbindung gebracht wurden. In dieser Zeit hatte Frau G. große Probleme mit ihrem Sohn, welcher letztendlich durch Kinderpsychologen begleitet wurde. Diese Situation und die Sorge um ihren Sohn haben auch bei Frau G. psychische Probleme hervorgerufen, sodass auch sie therapeutische Hilfe in Anspruch genommen hat:

Ich habe vor circa zwanzig Jahren psychische Probleme gehabt […] Irgendwann war es dann auch mal soweit, dass ich […] zum Psychologen bin und der mich damals gebeten hat ein Tagebuch zu führen (A007; T1, Pos. 4).

Zum damaligen Zeitpunkt sollte Frau G. Tagebuch über die Verhaltensweisen ihres Sohnes führen:

Und das konnte ich nicht. Dieses Tagebuch war das schlimmste für mich in meinem Leben, weil es diese Wahrheit war. Ich hätte aufschreiben sollen wie schlecht es mir mit meinem Kind geht (A007; T1, Pos.6).

Diese herausfordernde Zeit hat Frau G. bis zum Zeitpunkt des Tagebuch-Schreibens verdrängt, wurde dann aber durch die Anwendung der Methode des Tagebuch-Schreibens erneut hervorgebracht und angestoßen: „Und dieses Tagebuch jetzt, habe ich gedacht […], klar, ich schreib ein Tagebuch, geht ja nicht um mich. Bis ich angefangen habe und es geht um mich“ (A007; T1, Pos. 12). Aus diesem Grund konnte Frau G. das Tagebuch im ersten Erhebungszeitraum nicht schreiben, sondern stand abermals vor der Herausforderung, die schwierige Situation aus der Vergangenheit zu verarbeiten, wozu sie sich erneut psychologische Unterstützung gesucht hat. Im Anschluss daran hat Frau G. erneut begonnen das Tagebuch zu schreiben und in dieser Zeit eine positive Wahrnehmung in Hinblick auf ihre Mutter entwickelt: „Ich habe die Demenz meiner Mutter zum ersten Mal so positiv angesehen“ (A007; T1, Pos. 36). Sie hat sich intensiv mit dem Tagebuch auseinandergesetzt und erkannt, dass sie trotz des schwierigen Verhältnisses zu ihrer Mutter schöne Momente gemeinsam mit ihr erleben kann. Auch in alltäglichen Situationen wirkt sich das Tagebuch auf ihr Erleben aus:

Ich hatte einen wunderschönen Tag mit meiner Mutter, den ich durch das Tagebuch bewusster / berührender wahrgenommen habe. […] Auch im normalen Leben bin ich durch das Tagebuch achtsamer (A007; T2, Pos. 2).

Sie möchte das Tagebuch aus diesem Grund weiterführen, um Augenblicke festzuhalten: „Ich finde man sollte ein Tagebuch schreiben mit Dingen, die einen berühren, um später die schönen Erinnerungen zu finden“ (A007; Tag 28, Pos. 2). Für dieses Vorhaben möchte Frau G. ein Wochenbuch nutzen, welches sie in Zukunft regelmäßig führen möchte, um an sich weiterzuarbeiten. Das Tagebuch hat bei Frau G. dabei nicht nur in Bezug auf ihre Mutter, sondern insbesondere in Hinblick auf die Verarbeitung verdrängter innerseelischer Konflikte aus der Vergangenheit, die durch das Tagebuch hervorgebracht wurden, einen Anstoß zur Verarbeitung gegeben: „Es hat mich sehr in meinem Leben unterstützt und auch sehr viel weitergebracht. DANKESCHÖN!“ (A007; Tag 28, Pos. 6–7).

12.2.8 Fallbeschreibung 8: „Man nimmt es bewusster wahr. Dinge bekommen einen anderen Stellenwert“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

06.10.2021 – 03.11.2021

Interviewzeitpunkte

T1: 06.10.2021

T2: 25.11.2021

T3: 19.01.2022

Frau J. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 67 Jahre alt und begleitet ihre Mutter (Frau F.), mit der sie gemeinsam in ihrem Haus wohnt. Frau J. ist geschieden, hat zwei Söhne und Enkelkinder, um die sie sich ebenfalls regelmäßig kümmert. Vor ihrem Renteneintritt hat Frau J. als Leitung der sozialen Betreuung in einem Pflegeheim gearbeitet und ist darüber hinaus ausgebildete Altenpflegerin. Durch ihre Erfahrungen und Kompetenzen aus ihrer beruflichen Laufbahn kann Frau J. einiges auf die Pflege und Begleitung ihrer Mutter anwenden.

Zum Zeitpunkt der Datenerhebung ist ihre Mutter 92 Jahre alt und leidet an einer Alzheimer-Demenz. Zudem kann sie sehr schlecht sehen und hören, was besonders die Kommunikation aber auch Aktivierung erschwert. Sie ist in Pflegegrad III eingestuft und geht mehrmals in der Woche in die Tagespflege. Entlastung erfährt Frau J. darüber hinaus auch durch ihre Schwester und ihren Schwager, die ein Stockwerk über ihr wohnen. Sie unterstützen Frau J. regelmäßig in der Begleitung ihrer Mutter: „Ab 14:00 war meine Mutter bei Schwester/Schwager – das bedeutet für mich: Entspannung“ (A008; Tag 23, Pos. 3).

Frau F. verbringt gerne Zeit mit ihrer Familie, besonders den regelmäßigen Besuch ihrer Enkel und Urenkel genießt sie dabei sehr: „Die Reaktion meiner Mutter auf Enkel + vor allem Urenkel. Sie zeigt mehr Mimik + Gestik, lässt sich auf ‚Gespräche‘ ein“ (A008; Tag 01, Pos. 4). In solchen Momenten ist Frau F. aktiver und nimmt bewusster am Geschehen teil: „Die Kinder, ja, ja auf jeden Fall. Und […] da wirkt sie richtig gelöst und lebendig, wenn die, wenn die Urenkel dann da sind“ (A008; T0, Pos. 46). Diese Situationen geben dabei auch Frau J. Rückhalt und Kraft:

Also das merkt man schon, das gibt einem wieder so, so ein bisschen Sprit sage ich mal für die nächste ähm ja, für diese normalerweise ist es ja alles so unbelebt sage ich mal, ja und das gibt einem dann doch, dass man irgendwie denkt ja […] Gewisse Dinge zu gewissen Zeiten kommen vielleicht doch an, ja (A008; T0, Pos. 38).

Frau J. versucht diese schönen Momente gemeinsam mit ihrer Mutter weiterhin auch durch Musik hervorzurufen. Besonders auf Gesang hat Frau F. schon immer sehr gut angesprochen: „Beim Singen abends mit meiner Mutter habe ich den Eindruck, sie reagiert intensiver darauf, macht aktiver mit, lächelt“ (A008; Tag 09, Pos. 7). Teilweise kann sie sich in solchen Augenblicken auch an die Lieder aus der Vergangenheit erinnern: „Durch das regelmäßige Singen erkennt meine Mutter doch weitere Abendlieder (Texte wenig, aber Melodie)“ (A008; Tag 26, Pos. 5). Für Frau J. sind jene Augenblicke, in denen sie ihrer Mutter etwas Gutes tun kann, schöne Momente, die sich auch auf sie und ihre Wahrnehmung der Pflegesituation positiv auswirken. Sie wirken dabei nicht nur psychisch, sondern geben ihr auch physisch Kraft, diese Situation zu bewältigen:

Also das finde ich, das merkt man sehr deutlich. Ich will jetzt nicht sagen körperlich, doch fast körperlich, finde ich spürt man das, dass man dann wieder so, so einfach denkt okay, ja es geht doch irgendwie immer weiter oder so (A008; T0, Pos. 40).

Das Tagebuch-Schreiben:

Zu Beginn des Tagebuch-Schreibens hatte Frau J. mit dem Führen eines Tagebuchs etwas Schwierigkeiten, was sich aber relativ schnell gelegt hat. Sie hat das Tagebuch in ihren Alltag eingebaut und als neues Ritual genutzt. Dabei hat sie es immer am nächsten Morgen geschrieben und sich dabei etwas Zeit für sich genommen. Sie hat diese Zeit als wertvoll wahrgenommen und über Dinge nachgedacht, die häufig im Alltag nicht relevant erscheinen:

[E]s war […] wie soll ich sagen erhellend. Also man […] denkt dann über Sachen nach, oder einem fallen Sachen ein, man sieht irgendwelche Zusammenhänge, die man sonst vielleicht gar nicht, über die man nicht nachgedacht hätte oder bisher nicht nachgedacht hat (A008; T1, Pos. 6).

Besonders das Schreiben hat sie dazu angeregt einen anderen Blick einzunehmen: „[G]erade auch das Formulieren, […] ja da muss man ja noch irgendwie nochmal anders nachdenken, ja“ (A008; T1, Pos. 8).

Im Verlauf des Tagebuch-Schreibens konnte Frau J. dementsprechend erkennen, dass sie sensibler in der Wahrnehmung schöner Momente wurde: „[M]an wird irgendwie […] empfänglicher sage ich jetzt einfach mal“ (A008; T1, Pos. 31). Darüber hinaus hat die Pflege und Begleitung ihrer Mutter bei Frau J. durch das schriftliche Reflektieren an Bedeutung gewonnen: „[I]ch finde, das gibt dann schon andere, ne andere Wertigkeit einfach, […] dem ganzen Tun sage ich mal, ja. Muss ich sagen“ (A008; T1, Pos. 33), sodass sie nach der Zeit des Tagebuch-Schreibens angibt, ausgeglichener zu sein. Sie hat festgestellt, dass es ihr guttut, sich die schönen Momente zu vergegenwärtigen und diese ihr Wohlbefinden verbessern: „Also ich denke, das ist wichtig, dass man sich so diese positiven Dinge wirklich immer wieder rausholt. Ja? Und es gibt einem dann auch Kraft“ (A008; T2, Pos. 25).

Frau J. hat durch die Zeit des Tagebuch-Schreibens insbesondere die Selbstreflexionen in ihren Alltag weiter eingebaut, verschriftlicht diese jedoch nicht mehr:

Was ich eigentlich immer mache in letzter Zeit, ist wirklich so dieses Resümee, ja. Am Ende so vom Tag oder auch am nächsten Tag, dass ich dann denke, mal so überlege was war denn, was ist denn, ja (A008; T1, Pos.43).

12.2.9 Fallbeschreibung 9: „Das Bewusstsein, dass wir ein gutes Leben haben – trotz Demenz?“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

08.12.2021 – 05.01.2022

Interviewzeitpunkte

T1: 08.12.2021

T2: 05.01.2022

T3: 22.03.2022

Frau K. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 55 Jahre alt und begleitet ihren Ehemann (Herr K.), mit dem sie gemeinsam in einem Haus lebt. Das Ehepaar ist jeweils zum zweiten Mal verheiratet, wobei Frau K. drei Kinder (zwei Söhne und eine Tochter) mit in die Ehe gebracht hat. Herr K. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 70 Jahre alt, leidet an einer Alzheimer-Demenz und ist in Pflegegrad II eingestuft. Herr K. fällt es dabei sehr schwer, sich im Alltag selbst zu beschäftigen und äußert dies mit aufforderndem Verhalten gegenüber seiner Frau, was diese teilweise belastet: „Immer wieder erwartet [Name MmD] meine volle Aufmerksamkeit, die gebe ich ihm heute nicht gerne“ (A009; Tag 20, Pos. 6). Neben der Übernahme der Pflege und Begleitung arbeitet Frau K. in Teilzeit im Schichtdienst, was die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zusätzlich erschwert: „Der Dienstplan für Februar ist raus: […] ich sehe da null Verständnis für meine Situation […] jetzt soll ich noch nachts Betreuung suchen! Oder tauschen!“ (A009; Tag 15, Pos. 10).

Damit Herr K., der vielseitig interessiert ist, verschiedene Beschäftigungs- und Betreuungsangebote bekommt, hat Frau K. eine Vielzahl an Möglichkeiten für ihn geschaffen. Herr K. geht beispielsweise regelmäßig in die Holzwerkstatt oder ins Gedächtnistraining und erhält Einzelbetreuung, die individuell auf ihn und seine Bedürfnisse ausgerichtet wird: „Montags kommt [Name Betreuer], er holt [Name MmD] ab zum Tennis spielen und Badminton – den beiden macht es Spaß und ich habe freie Zeit“ (A009; Tag 06, Pos. 2). Frau K. hat in diesen Momenten Zeit für sich selbst und kann etwas Entlastung finden. Die hohe Bedeutung dieser Unterstützung schätzt sie insbesondere in Situationen der Überlastung:

Heute ist mir bewusstgeworden, dass [Name MmD] sich immer weniger selbst beschäftigen kann – keiner der heute kommt und nur für ihn da ist, TT spielt, spazieren geht und so weiter. Und ich versuche, ihn in den Haushalt mit einzubeziehen, was aber anstrengender ist, als es alleine zu machen (A009; Tag 11, Pos. 2).

Das Ehepaar hat ein sehr enges Verhältnis zueinander und geht sehr liebevoll miteinander um. Vor allem in Situationen, die von Traurigkeit und Verzweiflung geprägt sind, geben jene Augenblicke Frau K. Kraft und Halt: „Also wenn es die nicht geben würde dann könnte man ja gleich irgendwie einpacken. Also ganz viel schöpft man daraus“ (A009; T0, Pos. 34). Frau K. und ihr Mann haben viele gemeinsame Interessen und Hobbys, die sie gerne miteinander ausüben. Besonders sportliche und kulturelle Angebote nehmen sie in ihrer Freizeit gerne in Anspruch:

Genau und ansonsten haben wir vieles was wir gemeinsam mögen. So wie spazieren gehen, Sport machen, gut essen gehen, mit Freunden was unternehmen, ja genau, Konzerte sowieso immer, ja (A009; T0, Pos. 30).

Dabei geht Herr K. besonders gerne tanzen, was jedoch durch eine Knieverletzung von Frau K. zurzeit nicht möglich ist: „[A]lso früher sicherlich noch mehr tanzen. Das ist auch etwas was mein Mann sich total wieder zurückwünscht, dass wir wieder tanzen gehen“ (A009; T0, Pos. 30).

„[A]lso insgesamt haben wir ja schon eine sehr innige Beziehung“ (A009; T0, Pos. 28), die durch die Begleitung von Herrn K. nochmal intensiver wurde. Frau K. belasten die Veränderungen ihres Mannes durch die Demenz-Erkrankung sehr, erkennt aber auch an, dass trotz oder viel mehr durch die Erkrankung sich die Beziehung zwar verändert hat, diese aber nicht weniger schön ist: „[D]ass mir auch bewusst geworden ist, dass unser Leben, auch wenn es, auf eine[r] andere[n] Ebene jetzt auch stattfindet, halt eben doch noch ganz viel positives hat“ (A009; T2, Pos. 7).

Das Tagebuch-Schreiben:

Frau K. ist ein sehr sensibler und bedachter Mensch, der sich viel mit Achtsamkeit auseinandersetzt. Sie hat bereits in der Vergangenheit Tagebuch über positive Momente geführt, sodass ihr die Methode bereits bekannt ist:

Ich habe ja früher auch schon Tagebuch geschrieben und dieses Tagebuch habe ich ja genannt: Tagebuch der positiven Dinge. Und habe immer mindestens drei Sachen, habe ich mir gedacht: ‚Du findest bestimmt drei Sachen, die gut waren.‘ Und das ist meistens nicht nur bei drei Sachen geblieben (A009; T2, Pos. 11).

Aus ihrer Erfahrung wusste sie, dass ihr das Führen eines Tagebuchs guttut und Freude bereitet:

Mh, also ich fands ganz schön, das Tagebuch schreiben. Ich kenne das ja schon, weil ich es halt eben auch schon über Jahre mal für mich selbst gemacht habe und ähm ich habe wenige Abende gehabt, wo ich keine Lust darauf hatte (A009; T1, Pos. 4).

Sie berichtet, dass sie sich nach den schriftlichen Tagesreflexionen besser gefühlt hat und das Tagebuch gerne weiterführen möchte. Vor allen in Krisensituationen, wie beispielsweise in einer Pflegesituation oder einem Trauerprozess, kann sie sich das Tagebuch als wirkungsvoll und hilfreich vorstellen. Insbesondere das Aufschreiben der Tagesreflexionen wirkt dabei aus ihrer Sicht intensiver als das bloße gedankliche Reflektieren:

Also, wenn man es aufschreibt, dann ist es noch bewusster, als wenn ich es das halt eben nur im Bett denke, was am Tag schön war. Weil man halt eben dann doch eine ganze Weile damit beschäftigt ist. Das niederzuschreiben (A009; T2, Pos. 5).

Zusammenfassend hat Frau K. das Tagebuch-Schreiben als sehr positiv wahrgenommen. Vor allem der Fokus auf die positiven Aspekte hat ihr dabei gut gefallen: „Ich mag dieses Tagebuch und finde es schön, gute Momente festzuhalten. “ (A009; Tag 19, Pos. 15).

12.2.10 Fallbeschreibung 10: „Wie viele schöne Momente wir haben. Wir sind sehr miteinander verbunden“

Zeitraum der Datenerhebung:

Zeitraum des Tagebuchschreibens

03.01.2022 – 31.01.2022

Interviewzeitpunkte

T1: 03.01.2022

T2: 01.02.2022

T3: 15.03.2022

Zum Zeitpunkt der Datenerhebung ist Frau R. 56 Jahre alt (Jahrgang 1965) und begleitet ihren Ehemann, mit dem sie gemeinsam in einem Haus lebt. Das Ehepaar hat zwei Kinder, zu denen sie ein gutes Verhältnis haben, sich jedoch nicht häufig sehen. Herr R. ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung 62 Jahre alt und hat die Diagnose Frontotemporale-Demenz gestellt bekommen. Er ist in Pflegegrad II eingestuft und empfindet die Diagnose und die damit einhergehenden Veränderungen als emotional belastend. Besonders durch die Begleitung seiner Frau fühlt er sich als Belastung: „[Name MmD] weint, fühlt sich als Last“ (A010; Tag 27, Pos. 9).

Frau R. ist darüber hinaus in Vollzeit als stellvertretende Schulleitung berufstätig, was eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Pflege und Begleitung ihres Mannes bedeutet:

[D]ie Situationen, die hier schwierig sind, die haben immer ganz viel mit den Übergängen von der einen Welt in die andere zu tun. Also wenn ich zum Beispiel übermüdet oder gestresst von der Arbeit komme und dann hier ankomme […] dann komme ich hier her und das Tempo ist ein ganz anderes. Das ist wie so eine Vollbremsung (A010; T0, Pos. 24).

Durch die Demenz-Erkrankung von Herrn R. hat sich die Beziehung zueinander deutlich verändert. Die früher sehr gleichberechtigte Ehe hat sich im Verlauf der Begleitung ihres Mannes in vielen Aspekten verändert, sodass Frau R. mittlerweile eine andere Rolle einnimmt: „Und jetzt gehe ich natürlich mehr in die Fürsorge und Begleitung und Unterstützung. Also dass ich viele Aufgaben für ihn mitübernehme und mitdenke“ (A010; T0, Pos. 20). Dabei versucht Frau R. sich die Demenz-Diagnose zwar zu vergegenwärtigen, ihren Mann aber nicht auf diese zu reduzieren:

Also ich glaube es liegt auch ein bisschen daran, dass ich sozusagen diese Diagnose, die ist schon präsent, die verdränge ich auch nicht aber ich lasse mich dadurch nicht in meiner Haltung mit dieser Alzheimer-Brille oder Demenz-Brille auf ihn immer gucken. Also darum bemühe ich mich. Sondern einfach ihn zu sehen wie er so ist und was er jetzt kann […] Ich genieße einfach die schönen Momente, die wir hier haben (A010; T0, Pos. 38).

Mit dieser Haltung schafft es Frau R. viele schöne Momente gemeinsam mit ihrem Mann zu erleben. Vor allem Augenblicke, in denen sie Zeit für ihren Mann hat, nimmt Frau R. dabei positiv wahr: „[W]enn wir Dinge mit Zeit und Ruhe tun, entsteht eine gelöste Atmosphäre und eine gute Verbindung zwischen uns, egal was wir tun: kochen, putzen, essen, Autofahrt“ (A010; Tag 28, Pos. 10). Zudem macht das Ehepaar sehr gerne gemeinsam Yoga, was besonders für Frau R. eine Kraftquelle ist:

[M]ein Mann und ich, wir haben ja immer Yoga gemeinsam gemacht und das machen wir auch weiterhin, […] es ist für ihn sozusagen ein ganz bekanntes und sehr liebgewonnenes Ritual und da ist es eben so, dass ich dieses Yoga auch für mich als Kraftquelle nutze […] Aber natürlich empfinde ich das auch als einen schönen Moment jetzt für uns beide und für ihn auch. [W]eil wir das einfach schon so lange machen und auch irgendwie dann auch so verbunden sind (A010; T1, Pos. 20).

Damit Frau R. etwas Zeit zur Erholung hat, nimmt Herr R. auch an verschiedenen Angeboten für Menschen mit Demenz teil: „[Name MmD] ist bei der Kreativ-Werkstatt, ich hab mal 1 1/2 Stunden für mich“ (A010; Tag 23, Pos. 9) oder sie gehen gemeinsam zu einem Austausch mit anderen Betroffenen und Angehörigen, der ihnen Kraft gibt und Mut macht. Frau R. versucht dabei die Situation mit ihrem Mann anzunehmen:

Es gibt Dinge, die kann ich nicht ändern. Das zu akzeptieren, ist an manchen Tagen schwer. Ich muss loslassen. An hellen Tagen, mit anderen zusammen […] ist es leichter (A010; Tag 06, Pos. 21).

Insbesondere die große Verbundenheit und Liebe zu ihrem Mann geben ihr in Momenten der Verzweiflung Kraft und Halt, die Pflege und Begleitung zu bewältigen: „Verbundenheit / Nähe -> liebevolle Beziehung zu meinem Mann“ (A010; Tag 04, Pos. 20).

Das Tagebuch-Schreiben:

Frau R. hat das Tagebuch stichpunktartig geführt: „[I]ch habe das Schreiben eigentlich eher kurz und in Stichworten gehalten aber es stößt ja natürlich trotzdem ein Denkprozess an“ (A010; T1, Pos. 16). Sie konnte dabei durch das Tagebuch-Schreiben wesentliche Aspekte nachempfinden und übergeordnet betrachten: „Ich habe das schon auch irgendwie als, als gute Möglichkeit gefunden nochmal so auf die Metaebene zu gehen und bestimmte Situationen nochmal so zu reflektieren“ (A010; T1, Pos. 16). Dabei hat sie vor allem die positive Ausrichtung der Tagebuchvorlage als gut empfunden:

Aber diese positiven Momente und die Kraftquellen, das fand ich eine gute Fragerichtung. Auch einmal zu gucken was es so gab an dem Tag, was mich vielleicht, irgendwie so ein ‚Energieräuber‘ ist, joa (A010; T1, Pos. 4).

Der Blick auf Ressourcenorientierung war für Frau R. dahingehend bereits bekannt, da sie sich in ihrer Freizeit viel mit Achtsamkeit beschäftigt. Das Tagebuch konnte ihr jedoch dabei helfen, ihre bereits geschaffenen Rituale zu festigen und nachhaltiger in den Alltag einzubauen:

Das heißt, dass ich mich schon immer bemüht habe, solche Pausen oder Momente in den Tag einzubauen […] und von daher würde ich jetzt sagen, dass das Tagebuch im Grunde da nur diese Disziplin noch ein bisschen verstärkt hat (A010; T1, Pos. 22).