Die Auswertung der Tagebücher sowie der dazugehörigen Interviews erfolgte anhand der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz (2018). Um die erhobenen Daten zu strukturieren und anhand dieser Strukturierung zu analysieren, wurde die Inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse gewählt, deren Ablauf nachfolgend beschrieben wird.

11.1 Inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse

Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse lässt sich nicht nur auf die Analyse von leitfadenorientierten Interviews, sondern auf eine Vielzahl unterschiedlicher Datenmaterialien anwenden (Flick, 2007; Kuckartz, 2018). Sie zeichnet sich insbesondere durch ihr breites Spektrum hinsichtlich der Kategorienbildung aus, die sowohl einen induktiven als auch deduktiven Zugang zur Kategorienentwicklung ermöglicht (Kuckartz, 2018). Kernaspekte dieser Form der Inhaltsanalyse sind dabei die methodische Kontrolliertheit und regelgeleitete inhaltsanalytische Auswertung, die dem Ansatz Mayrings folgen (Kuckartz, 2018).

Der in dieser Arbeit ausgewertete Datensatz beinhaltet die handschriftlichen Dokumente aus insgesamt 28 halbstrukturierten Tagebucheinträgen pro Person und drei leitfadengestützte Interviews. Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse eignet sich insbesondere, um die Gesamtheit des erhobenen Textmaterials vollständig abzubilden.

Die Analyse des Datenmaterials sowie die Bildung des Kategoriensystems orientierte sich am Ablaufschema der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz, ausgehend von der Forschungsfrage mehrschrittig in sieben Phasen (Kuckartz, 2018). Dabei fand die Auswertung mit Hilfe der Analysesoftware MAXQDA 2020 statt und folgte insbesondere der induktiven Kategorienbildung.

Im Folgenden werden die Phasen der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse sowie die Bildung des Kategoriensystems anhand des erhobenen Datenmaterials beschrieben.

Phase 1: Initiierende Textarbeit: Markieren wichtiger Textstellen, Schreiben von Memos

Zentral für die initiierende Textarbeit ist es, die Zielsetzung der eigenen Arbeit klar vor Augen zu haben und weiterhin auch im Prozess der Analysearbeit, immer wieder zu vergegenwärtigen (Kuckartz, 2018). Um das erhobene Datenmaterial zu strukturieren, wird es in einem ersten Schritt intensiv gelesen und markiert. Hierbei wurde ein Ampel-System verwendet: Die Markierung ‚Gelb‘ steht dabei für wichtige und interessante Textstellen, ‚Rot‘ für Textstellen die unklar sind und Fragen aufwerfen und die Farbe ‚Grün‘ zur Markierung besonders geeigneter Textstellen in Hinblick auf eine spätere Ergebnisdarstellung. Zudem werden mittels der Kommentarfunktion einzelne Textstellen zusammengefasst und strukturiert. Darüber hinaus wurde zu jedem Tag ein Memo verfasst, welches unter einer prägnanten Überschrift wichtige Themen des Tages sowie einen Verlauf und Entwicklungsprozess über die Tage hinweg beinhaltet (Abbildung 11.1).

Abbildung 11.1
figure 1

Beispiel Dokument-Memo über Inhalt und Verlauf eines Tagebucheintrages

Den Abschluss der ersten Phase der inhaltlichen Analysearbeit bildet eine Fallzusammenfassung und -beschreibung der pflegenden Angehörigen, welche ebenfalls in Form eines Memos in der Analysesoftware MAXQDA erstellt wurde.

Phase 2: Entwickeln von thematischen Hauptkategorien

Ziel dieser Phase ist die inhaltliche Strukturierung der Daten mittels Hauptkategorien und Subkategorien. Wie bereits erwähnt, wurde hierbei sowohl ein deduktiver als auch ein induktiver Zugang gewählt. Dabei lassen sich insbesondere die Hauptthemen anhand der Forschungsfrage ableiten, welche in Form der strukturierten Tagebuchvorlage und der dazugehörigen Interviews bereits in der Datenerhebung leitend waren. Darüber hinaus ergibt sich durch die in Phase 1 durchgeführte initiierende Textarbeit die Möglichkeit, weitere wichtige Themen und Aspekte in die Kategorienbildung einzubeziehen (Kuckartz, 2018). Handlungsleitend ist dabei der Grundsatz, „dass alles Relevante und Auffällige festgehalten werden sollte“ (Kuckartz, 2018, S. 102). Die Bildung der Kategorien erfolgte im Smart-Coding-Tool in MAXQDA, mit dem anhand der tabellarisch dargestellten gelb markierten Textstellen und der dazugehörigen Kommentare Codes erstellt und den Textstellen zugeordnet wurden. Die daraus hervorgehenden Codes wurden im Anschluss inhaltlich strukturiert und in Haupt- und Subcodes gegliedert. Hierbei hat sich sowohl das Creative Coding Tool als auch die herkömmliche Nutzung von Haftnotizen als nützlich erwiesen, um sich zeigende Hierarchien zu visualisieren.

Bereits in Phase 1 und 2 empfiehlt es sich, mit etwa 10–25 Prozent des Datenmaterials zu arbeiten, um ein breites Spektrum an Haupt- und Subkategorien zu bilden und deren Anwendbarkeit zu überprüfen (Kuckartz, 2018). Dementsprechend wurden die bis hier beschriebenen Schritte mit insgesamt drei von zehn Tagebüchern (30 Prozent) durchgeführt, so dass sich ein breites Spektrum an Kategorien entwickeln konnte (Kuckartz, 2018). Zudem wurden die Zusammenhänge der einzelnen Kategorien im Forschungskollegium besprochen. Abbildung 11.2 stellt die daraus hervorgehenden deduktiv und induktiv gebildeten Hauptkategorien dar, anhand derer das gesamte Datenmaterial nachfolgend codiert wurde.

Abbildung 11.2
figure 2

Überblick über die Hauptkategorien in MAXQDA

Die Kategorien wurden in Form eines Codebuches beschrieben und voneinander abgegrenzt, um eine „hinreichende Güte bei der Anwendung der Kategorien [zu] erreichen“ (Kuckartz, 2018, S. 67).

In Tabelle 11.1 ist der Aufbau des Codebuches dargestellt. Das final entwickelte und ausformulierte Codebuch ist in Anhang 2 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.

Tabelle 11.1 Aufbau des Codebuches

Phase 3: Erster Codierprozess: Codieren des gesamten (bis zu diesem Zeitpunkt vorhandenen) Materials mit den Hauptkategorien

Im ersten Codierprozess wurde das gesamte Datenmaterial den obig dargestellten thematischen Hauptkategorien sequenziell zugeordnet. Die Inhalte der Tagebücher und Interviews wurden dabei Zeile für Zeile gelesen und einzelne Textabschnitte den passenden Kategorien zugeordnet. Dabei wurden, nach dem Prinzip von Kuckartz, passende Textstellen auch teilweise mehreren Kategorien zugeordnet:

Bei der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse können innerhalb einer Textstelle mehrere Hauptthemen und Subthemen angesprochen sein. Folglich können einer Textstelle auch mehrere Kategorien zugeordnet werden. So codierte Textstellen können sich überlappen oder verschachtelt sein (Kuckartz, 2018, S. 102).

Textstellen, die zur Beantwortung der Forschungsfrage nicht relevant sind, blieben dabei uncodiert (Kuckartz, 2018).

Zur Sicherstellung von Inter- und Intracoderreliabilität erfolgte die Auswertung im ersten Codierprozess bei insgesamt drei Tagebüchern (30 Prozent) konsensuell durch zwei Kodiererinnen (Kuckartz, 2018). Der zweiten Kodiererin war Methode und Ablauf der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse bekannt. Sie hat das Datenmaterial aus drei Tagebüchern sowie die dazugehörigen Interviews unabhängig von der Autorin codiert. In einem zweiten Schritt erfolgte ein Austausch zwischen den beiden Kodiererinnen, um Übereinstimmungen und Differenzen zu diskutieren. Insbesondere der Austausch über unterschiedlich codiertes Datenmaterial und die damit einhergehende Konsensfindung ermöglicht einen differenzierten Zugang zum Datenmaterial. Die angewandte Technik bietet demnach eine Konsensfindung im Forschungsteam sowie die Möglichkeit zur Präzisierung der einzelnen Kategoriendefinitionen und zielt letztlich darauf ab „die Zuverlässigkeit der Codierungen zu verbessern“ (Kuckartz, 2018, S. 105). Sie trägt darüber hinaus zur Güte bei (Kuckartz, 2018). Die Kategorien wurden weiterhin um geeignete Ankerbeispiele im Codebuch erweitert (Kuckartz, 2018) und mit der jeweiligen Textstelle innerhalb der MAXQDA-Datei verknüpft. Tabelle 11.2 zeigt anhand der Beispielkategorie Kraft-/Energiespender vs. Kraft-/Energieräuber die Aufbereitung einer Kategorie im Codebuch.

Tabelle 11.2 Beispieldarstellung einer Kategorie aus dem Codebuch

Phase 4 und 5: Zusammenstellen aller Textstellen mit gleicher Kategorie und Induktives Bestimmen von Subkategorien

Nach dem ersten Codierprozess erfolgte eine Ausdifferenzierung der bisher definierten und angewandten Kategorien. Dabei wurden die deduktiv gebildeten Kategorien subsumiert sowie neue Subkategorien am Datenmaterial induktiv gebildet, ausdifferenziert und definiert. Um den Gütekriterien gerecht zu werden, erfolgte auch dieser Schritt unter Mitarbeit der zweiten Kodiererin. Im gemeinsamen Austausch mit der zweiten Kodiererin wurden passende Subkategorien gebildet und den Hauptkategorien zugeordnet. Die dazugewonnenen Subkategorien wurden ebenfalls definiert und dem Codebuch mit einem eindeutigen Ankerbeispiel hinzugefügt. Abbildung 11.3 zeigt die MAXQDA-Ansicht des final entwickelten Codierbaums mit Einblick in die entwickelten Subkategorien der Hauptkategorie Berührende Momente. Diese ausdifferenzierte Hauptkategorie ist im Hinblick auf die erste Forschungsfrage besonders wichtig.

Abbildung 11.3
figure 3

MAXQDA-Ansicht des Codierbaums mit Einblick in die Subkategorien der Hauptkategorie „Berührende Momente“

Phase 6: Zweiter Codierprozess

Mit den in Phase 4 und 5 entwickelten Haupt- und Subkategorien erfolgt in Phase 6 der zweite Codierprozess. Dieser weitere Durchlauf durch das gesamte Material ermöglicht die Systematisierung des bereits codierten Datenmaterials. Um auch in diesem Analyseschritt die Codierer-Übereinstimmung zu gewährleisten, erfolgte dieser ebenfalls durch die beiden Kodiererinnen in einem konsensuellen Codierprozess (Kuckartz, 2018). In diesem Schritt wurden die gebildeten Subkategorien zum Teil zusammengefasst und präzisiert. Die Systematisierung und Strukturierung des Datenmaterials ist mit Abschluss des zweiten Codierprozesses zunächst beendet (Kuckartz, 2018). Der gesamte Forschungsprozess wurde dabei durch das Führen eines Log-Buches begleitet und dokumentiert (Rädiker & Kuckartz, 2019).

Phase 7 Einfache und komplexe Analysen, Visualisierungen

Um in Phase 7 einfache und komplexe Analysen und Visualisierungen durchzuführen, wurden in einem Zwischenschritt für die Auswertungen Fallzusammenfassungen und vertiefende Einzelfallanalysen vorangestellt. Die bereits in Phase 1 über die Memo-Funktion (MAXQDA) angefertigten Fallzusammenfassungen und -beschreibungen wurden hierfür in Form von „Case-Summarys“ (Kuckartz, 2018, S. 58 ff.) ausformuliert. Diese haben eine hohe Bedeutung für den Forschungsprozess und dienen damit einem komparativen Aspekt, der es erlaubt Fallübersichten zu erstellen (Kuckartz, 2018). Zudem werden Fallunterschiede deutlich und schärfen so den differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Fälle (Aspekt der analytischen Differenzierung). Weiterhin können Case-Summarys hypothesen- und kategoriengenerierend sein (Kuckartz, 2018).

Fallbezogene thematische Summarys sind besonders hilfreich, wenn man mit einer großen Menge an Datenmaterial arbeitet und dienen dabei als Ausgangspunkt für die folgende Analysearbeit.

11.2 Das Kategoriensystem

Das Kategoriensystem stellt das Herzstück der Analysearbeit dar und orientiert sich maßgeblich an den vorab entwickelten Forschungsfragen sowie Fragen, die sich im Verlauf der Analysearbeit ergeben haben. Das für die Analyse verwendete hierarchische Kategoriensystem umfasst sowohl deduktive als auch induktive Codes und Subcodes und besteht aus bis zu vier Ebenen, was der übersichtlichen Darstellung des Kategoriensystems dient (Rädiker & Kuckartz, 2019). Die Entwicklung des Kategoriensystems erfolgte in mehreren Schritten und in Zusammenarbeit mit einer weiteren Kodiererin. Dieser mehrschrittige Prozess wurde in Abschnitt 11.1 detailliert beschrieben und mit Hilfe eines Log-Buches begleitet. Als Log-Buch wird ein Forschungstagebuch verstanden, welches der Dokumentation und Reflexion des Forschungsablaufs dient. Dabei wird die eigene Erinnerung gestützt und eine Grundlage zur Beschreibung des Forschungsprozesses gebildet (Rädiker & Kuckartz, 2019).

Abbildung 11.4
figure 4

Hierarchisches Code-Subcode-Modell

Das in Abbildung 11.4 dargestellte finale Kategoriensystem umfasst insgesamt sieben Hauptkategorien, die aus den Bereichen Kontextualisierung und Emotionalität der pflegenden Angehörigen, die Auswirkung der Demenz und die Beziehung zueinander, Kraftspender und Energieräuber sowie berührende Momente bestehen. Ergänzt wird das Codesystem um die Kategorie Tagebuch-Methode, welche auf die Bewertung und Reflexion der angewandten Methode abzielt. Aus den Hauptkategorien entstehen weitere Ebenen mit Subkategorien, die ebenfalls in Abbildung 11.4 dargestellt sind.