Die Qualität für ein Forschungsvorhaben erwächst aus der besonderen Sorgfalt in der Vorbereitung, Analyse und Interpretation von Daten (Tuma, Schnettler & Knoblauch & 2013, S. 586). Auch ich habe mich an diesen Maximen orientiert, um die wissenschaftliche Zielsetzung der vorliegenden Forschung zu realisieren. So wurden im Vorfeld sorgfältige Überlegungen im Hinblick auf das methodische Vorgehen und den Auswertungsprozess angestellt.

Im Zentrum der Forschung steht die Rekonstruktion des beruflichen Selbstverständnisses von Fachpersonen der Sozialen Arbeit im Feld der Palliative Care. Es gilt die Orientierungsmuster und -rahmungen sowie die gemachten Äusserungen und Beschreibungen des beruflichen Tätigseins als Begründungen zu erkennen sowie professionstheoretisch zu verorten. Um dieses Ziel zu erreichen, wird qualitativ gearbeitet – das vor dem Hintergrund, dass vorliegend dem Verständnis von Kergel (2018) in Anlehnung an Flick und Kardoff & Steinke (2013) gefolgt wird und ein «deutendes und verstehendes Vorgehen als Zugang zu einer durch Interaktionsgeschehen konstruierten sozialen Wirklichkeit als ein Merkmal, das qualitative Sozialforschung auszeichnet», im Zentrum steht (S. 14). Qualitativer Forschung liegt die erkenntnistheoretische Annahme zu Grunde, dass soziale Systeme ihre Bedeutsamkeit durch das Handeln, Deuten und Interpretieren von in diesen Systemen lebenden Individuen erhalten. Wirklichkeit bzw. die soziale Wirklichkeit wird in der Interaktion hergestellt, konstruiert sowie rekonstruiert. Bennewitz formuliert, dass sich die soziale Wirklichkeit somit «als Ergebnis von sinnhaften Interaktionsprozessen» in vorhandenen Strukturen darstellt (2013, S. 45). So gilt es vorliegend, den Sinn und das Sinnhafte in den Erzählungen über die gemachten Handlungen und erfahrenen Interaktionen von Seiten der Gesprächspartnerinnen und -partner herauszulesen. Marotzki (2006) akzentuiert und adressiert noch deutlicher die in den sozialen Systemen lebenden Subjekte und formuliert als Zielsetzung qualitativer Forschung das «Aufdecken von Strukturen des Verhältnisses des Subjekts zu sich und seiner Lebenswelt» (S. 113). Zusammengefasst fokussiert sich qualitative Forschung darauf, herauszufinden, wie Subjekte ihr Handeln selbst erleben und beschreiben, welchen Sinn und womöglich welchen Wert sie ihrem eigenen Handeln beimessen und wie sie selbst die sozialen Interaktionen deuten und für sich entwerfen (Bennewitz, 2013, S. 45). Um das Beschreiben, das Deuten und das Sinnhafte in den gemachten Erfahrungen über das eigene Tätigsein der Fachpersonen in der Palliative Care geht es vorliegend.

In der qualitativen Sozialforschung wird zudem zwischen deskriptiver und rekonstruktiver Sozialforschung unterschieden. Letztere steht hier im Vordergrund, denn das forscherischer Erkenntnisinteresse liegt auf dem «wie», was meint, dass das Zusammenwirken von Faktoren und das Zuweisen von Bedeutungen und Begründungen interessieren – und nicht das «was», womit Beschreibungen von sozialen Phänomenen gemeint sind, in denen sich das Deskriptive zeigt (Kergel 2018, S. 48). Auf meine Forschung transferiert bedeutet das: Es geht mir um das Sichtbarmachen von Deutungs- und Orientierungsmuster sowie von Begründungen, welche Fachpersonen der Sozialen Arbeit im Feld der Palliative Care selbst heranziehen, um ihr Tätigkeits- bzw. Arbeitsfeld sowie ihre Eingebundenheit darin generell und bezogen auf die für sie vorhandenen Strukturen zu beschreiben. In dem Sinne fokussiere ich das Sichtbarmachen von handlungsleitendem Wissen, welches sich womöglich später in der Analyse als habituelles Handeln von Fachpersonen verorten lässt.

So soll das berufliche Handeln im ausgewählten Feld über das Erkennen von Orientierungs- und Handlungsmuster fassbarer werden und damit ein Beitrag zur weiteren Professionalisierung in einem sich zukünftig noch stärker etablierenden Handlungsfeld geleistet werden. Um hierfür Ergebnisse zu generieren, wird mit qualitativen Einzelinterviews gearbeitet. Die Interviewdaten werden anschliessend mit der dokumentarischen Methode ausgewertet (vgl. Przyborski & Slunecko, 2020; Nohl, 2017). Weshalb dieses Vorgehen und das Auswertungsverfahren gewählt wurden, wird fortfolgend beschrieben.

6.1 Bescheidene Konzeptanalysen als «Field-Opener»

Wie eingangs erwähnt, gilt es, den Vorbereitungen im Hinblick auf eine geplante Erhebung grössere Beachtung einzuräumen. Das wird hiermit gemacht, indem ein vorbereitendes Kennenlernen des Feldes in Form einer Konzeptanalyse angefertigt wurde. Wie in der Einleitung und in Kapitel 3 erwähnt, hat die Schweiz eine junge Hospiztradition; das Wirken der Palliative Care ist stark auf das Medizinische fokussiert, bezogen auf die psychosoziale Begleitung in Institutionen, aber auch generell in Bezug auf verschiedene Angebote und Dienstleistungen sowie im Hinblick auf die Soziale Arbeit noch diffus. Da vorliegend mit Fachpersonen der Sozialen Arbeit Interviews geführt werden, welche in Hospizen oder für diese in ausgewählten Kantonen arbeiten, gilt es, sich einen Überblick über die vorhandenen Institutionen, deren Angebot und Tätigkeitsbereich, personelle Zusammensetzung sowie mögliche weitere zentrale Eckwerte in Bezug auf die Soziale Arbeit zu verschaffen. Um das zu erreichen, wurden zwischen Dezember 2018 und März 2019 mit der Unterstützung des Dachverbandes Hospize SchweizFootnote 1 alle damals bekannten und registrierten Institutionen mit einem Schreiben bedient. In diesem Schreiben war die Zielsetzung des Forschungsprojekts ersichtlich sowie die Bitte platziert, man möge das Leitbild sowie wichtige Konzepte der Institution der Forschenden zustellen und ebenfalls den Kontakt der zuständigen Fachpersonen der Sozialen Arbeit nennen, sofern es eine Person und/oder eine Institution gibt, mit welcher man im Bereich psychosoziale Begleitung oder sozialarbeiterische Unterstützung zusammenarbeite.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass keine detaillierte Analyse der Konzepte und Unterlagen in Bezug auf deren Qualität, Glaubwürdigkeit oder Authentizität erfolgt ist. In dem Sinne und in Anlehnung an Scott (1990) wird vorliegend auch keine inhaltliche und qualitativ umfassende Konzeptanalyse vorgenommen. Die Konzepte und Leitbilder der Institutionen werden lediglich daraufhin untersucht, welche Aussagen sich darin bezogen auf die Soziale Arbeit und

  • deren Team- bzw. Berufszusammensetzungen,

  • deren Tätigkeits- und Aufgabenbeschreibungen,

  • sowie der generellen Aufgabenverteilung in der Institution und

  • allenfalls bezogen auf weitere Spezifika/Eckwerten/Eigenheiten finden lassen.

Mit diesem Vorgehen wurden erste Erkenntnisse über das «Feld» und die Rolle der Sozialen Arbeit in den jeweiligen Institutionen, basierend auf den vorhandenen Dokumentationen, gewonnen. Anschliessend wurde geschaut, ob und – wenn zutreffend – wie lange die Soziale Arbeit Teil der Institution ist. Vor dem Hintergrund, der sich in der Schweiz erst stärker etablierenden Hospizbewegung und der unterschiedlichen Sprachregionen erwies sich das als nicht ganz einfach, da teils noch keine oder nur rudimentäre Angaben zur Sozialen Arbeit in den Konzepten gemacht werden.Footnote 2 Dem Umstand, dass gewisse Hospize sich erst in der Gründungsphase befinden, teils noch sehr klein sind und wenig Personal haben, wird in Form einer Übersicht Rechnung getragen. Diese Übersicht verhalt mir dazu, die Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner einordnen zu können.

Die Ergebnisse aus der kursorischen Dokumentenanalyse fanden zudem Eingang in die Entwicklung der Leitfragen für die qualitativen Expertinnen- bzw. Experteninterviews. Insbesondere präzise Nachfragen zur Verankerung wie auch zur Entwicklung der Stelle im Allgemeinen konnten dank der Konzeptanalyse besser erfragt werden. Zusammenfassend wurden die Konzepte somit als «Field-Opener» benutzt, indem über die Anfrage zu den Konzepten auch Informationen zu möglichen Interviewpartnerinnen bzw. -partnern eruiert wurden. Da später auch mit drei Personen gesprochen wurden, wo Konzepte vorgängig vorlagen, wurden die in den Konzepten gemachten Aussagen über die Soziale Arbeit zur Kontextualisierung von Aussagen aus den Interviews in der Auswertung herangezogen.

6.1.1 Ergebnisse aus den Konzepten

Auf die schriftliche Bitte nach den Konzepten und Kontaktdaten erfolgte von 14 angeschriebene Institutionen von 9 eine Zustellung diverser Unterlagen. Was ein Rücklauf von 65 % bedeutet. Die Unterlagen wurde zwischen März 2019 bis Juli 2019 gesichtet und auf die in der nachfolgenden Tabelle ersichtlichen Kategorien hin systematisiert. Die Ergebnisse beziehen sich alle auf die Sozialen Arbeit bzw. deren möglichen Verankerung in der Institution (Abbildung 6.1).

Abbildung 6.1
figure 1

Übersicht über die Einbettung der Sozialen Arbeit in recherchierten Konzepten von Institutionen

Die Tabelle zeigt das, dass die Soziale Arbeit noch nur sehr rudimentär und sehr unterschiedlich eingebunden ist. Ferne zeigt sich auch, dass nicht alle vorliegenden Konzepte eine konkrete Tätigkeitsbeschreibung für die Soziale Arbeit aufweisen. Im Gegenteil sie verweisen auf das Berufsprofil der DPG. Im Gegenzug dazu stellen sie aber die medizinischen und pflegerischen Leistungen sehr detailgetreu darf.

Die Dokumentenanalyse offenbart zudem, dass sich die Soziale Arbeit teils in sehr kleinen Anstellungspensen von 5–10 % bewegt. Das höchste Pensum liegt aktuell bei 60 %, was auch dem Umstand zugeschrieben wird, dass diese Institution einerseits mit mehr als 12 Betten die grösste Institution und zugleich die am längsten existierende ist. Fünf Institutionen arbeiten mit der Krebsliga SchweizFootnote 3 bzw. deren regionalen bzw. kantonalen Einheiten zusammen und beziehen die sozialarbeiterischen bzw. soziale Beratung und Unterstützung als Dienstleistung (mittels Vertrag oder Leistungsvereinbarung) über die Krebsliga.

Die kursorische Konzeptanalyse und die Ausführungen dazu zeigen, dass sich das Arbeitsfeld der Soziale Arbeit sehr vielschichtig und heterogen zeigt. Der Umstand, dass teils keine Soziale Arbeit in die Begleitung und Betreuung involviert ist, stimmt nachdenklich. Es zeigt aber zugleich auch das Entwicklungspotenzial auf. Damit nun auf möglichst viel Erfahrungswissen von Seiten der Sozialen Arbeit im Feld der Palliative Care zurückgegriffen werden kann, wurde versucht die neun Fachpersonen der Sozialen Arbeit in den Hospizen für ein Interview zu gewinnen.

6.2 Datenerhebung

Ziel der vorliegenden Forschung ist es, die Praxis der Fachpersonen der Sozialen Arbeit und ihre Sichtweise auf ihre eigene Praxis sowie die damit zusammenhängenden haltungsleitenden Orientierungen und Begründungen zugänglich zu machen. Es sollen Selbstbeschreibungen, Wissensbestände und die eigene Idee vom eigenen Tätigsein als Fachperson der Sozialen Arbeit im Palliative-Care-Bereich rekonstruiert werden. Daher liegt der Hauptfokus der Datenerhebung auf den Gesprächen bzw. den Narrationen von Seiten der Fachpersonen selbst.

6.2.1 Expertinnen bzw. Experteninterviews

Wenn es um die Rekonstruktion subjektiver Sichtweisen in einem spezifischen Bereich oder, wie hier vorliegend, in einem spezifischen Handlungsfeld von Seiten der darin Tätigen geht, bieten sich Interviews bzw. Expertinnen- und Experteninterviews an (Flick, 2016, S. 219). Wie eingangs in diesem Kapitel erwähnt, liegt eine qualitative bzw. rekonstruktive Sozialforschung vor – und diese verlangt nach einer sog. «Offenheit der Kommunikation» (Hoffmann-Riem, 1980, zit. in Nohl, 2017, S. 17). Über Gespräche seien diese unter Kolleginnen und Kollegen im beruflichen oder privaten Umfeld, werden persönliche, sachliche bzw. fachliche Meinungen, Einstellungen, Ansichten oder Vorgehensweisen erläutert und diskutiert. Die Themen können dabei frei gewählt oder vorgegeben sein. Die Kommunikation kann, muss sich aber nicht an einer Rahmung orientieren, wichtig ist allerdings, dass die Antworten nicht vorgegeben sind, sondern frei erzählt werden kann. Über das Durchführen von Interviews und das Erheben von Gesprächsdaten sowie den Umstand, dass bei diesem Erhebungsverfahren keine Vorgaben bezogen auf die Antworten gemacht werden, kann ebenfalls der Voraussetzung der offenen Kommunikation genügend Rechnung getragen werden. Bei Experteninnen- und Experteninterviews ist allerdings das Thema vorgegeben – und mittels diesbezüglichen Fragens wird dieses eingegrenzt. Die interviewten Fachpersonen können jedoch frei auf die Fragen antworten, womit ein Erzählmodus generiert wird. In Anlehnung an Schütze sollten leitfadengestützte Interviews zudem «prinzipiell narrativ fundiert» (1978, S. 1) sein, damit der Erzählmodus überhaupt erreicht wird, was meint, dass die Fragen so gestellt sein sollten, dass ein offenes bis hin zu einem freien Erzählen für die befragte Person möglich wird.

Ich habe vorliegend besonders darauf geachtet, dass die Fachpersonen in einen möglichst freien Erzählmodus kommen und ihre eigenen Schilderungen zu ihrer Arbeit sowie zu den Beschreibungen ihrer Tätigkeiten in der Palliative Care frei erzählen können. Es wurden deshalb Fragen gestellt, die unmittelbar bei der eigenen Praxis und der Erfahrung ansetzen. Da der Fokus später auf Begründungs- und Deutungsmuster von Seiten Professioneller gelegt wird, interessiert vorliegend auch das sog «implizite Wissen». Helferich spricht vom «Tacit Knowledge»Footnote 4 (2022, S. 571), welches durch Erzählungen und damit einen möglichst offenen Erzählmodus und ein entsprechendes interpretatives Auswertungsverfahren offengelegt werden kann. Um diesen Erzählmodus auch vorliegend herzustellen, wurden alle Fachpersonen der Sozialen Arbeit in einer E-Mail über den Ablauf informiert und gebeten, sich eine gute und ruhige Atmosphäre zu schaffen, wo sie sich frei äussern können. Ebenfalls wurde zu Beginn der Interviews nochmals nachgefragt, ob Unklarheiten zum Ablauf oder Vorgehen bestehen, und es wurde darauf verweisen, dass es gewünscht sei, wenn die Fachperson einfach frei erzähle. Falls Namen oder allfällige Informationen zu Klientinnen oder Klienten im Gespräch genannt würden, wurde versichert, dass diese in anonymisierter Form in die Analyse einfliessen.

Zwei Interviews konnten vor Ort in der jeweiligen Institution in einem Sitzungszimmer durchgeführt werden. Da der Erhebungszeitraum mitten in die erste und später zweite Welle der Coron-Pandemie fiel, wurde für die fünf weiteren Gespräche auf die Interviewführung mittels ZoomFootnote 5 umgestellt. Die Interviewpartnerinnen und -partner wurden vorgängig angefragt, ob sie mit der digitalen Durchführung einverstanden seien. Für keine Interviewperson war dies problematisch – im Gegenteil: zu Beginn oder auch zum Ende des Gespräches wurde ohne Nachfrage meinerseits erwähnt, dass diese Interviewführung angenehm und zeitlich besser in den Arbeitsalltag integrierbar war. Die in der Vorbereitung gemachten Überlegungen, ob das Gespräch durch die digitale – anstelle physischer – Anwesenheit negativ beeinträchtigt werden könnte, z. B., indem der Erzählfluss weniger entsteht oder eine distanziertere Atmosphäre dazu führen könnte, dass die Interaktionssituation beeinträchtigt und deshalb weniger offen erzählt würde, bewahrheitete sich nicht. Im Gegenteil, die Gesprächssituationen waren gleichsam offen, praxisnah und detailliert – und wie sich später zeigte, konnten keine negativen Unterschiede bezogen auf das Interview vor Ort oder in digitaler Form festgestellt werden.

Da es vorliegend um Selbstbeschreibungen des eigenen Tätigseins und des Alltages sowie das Herausarbeiten von Orientierungen und Begründungen geht, sind – wie Nohl es treffend beschreibt – die Erfahrungen im «eigenen Handlungsfeld (kursiv im Original)»(2017, S. 16) gewichtig. Deshalb wurde das Gespräch mit sog. Expertinnen und Experten gesucht. Somit gilt es zu klären, was vorliegend unter einer Expertin bzw. einem Experten bzw. einem Expertinnen- oder Expertenstatus verstanden wird. In der Methodologie existieren unterschiedliche Ansichten darüber, wer als Experte bzw. als Expertin gelten kann. Deeke (1995) ist der Meinung, «als Experten könnte man diejenigen Personen bezeichnen, die in Hinblick auf einen interessierenden Sachverhalt als Sachverständige in besonderer Weise kompetent sind» (S. 7–8). Diese Definition lässt meines Erachtens die Handlungsperspektive ausser Acht – und da für die vorliegende Untersuchung insbesondere das tagtägliche Handeln und die Sichtweise der Interviewten darauf im Vordergrund steht, erscheint die Definition von Bogner & Menz (2002) deutlich passender. Ihrer Ansicht nach verfügt ein Experte bzw. eine Expertin

«(…) über (…) Prozess- und Deutungswissen, das sich auf sein [ihr] spezifisches professionelles oder berufliches Handlungsfeld bezieht. Insofern weist das Expertenwissen (…) zu grossen Teilen den Charakter von Praxis- oder Handlungswissen auf, in das verschiedene und durchaus disparate Handlungsmaximen und individuelle Entscheidungsregeln, kollektive Orientierungen und soziale Deutungsmuster einfliessen. Das Wissen des Experten [der Expertin] weisen zudem – und das ist das entscheidende – die Chance auf, in der Praxis in einem bestimmten organisationalen Funktionskontexte hegemonial zu werden, d.h. der Experte [die Expertin] besitzt die Möglichkeit zur Durchsetzung seiner [ihrer] Orientierung» (S. 46).

Bogner & Menz verbinden den Status des Experten bzw. der Expertin mit seiner bzw. ihrer Vormachtstellung und einem gewissen Einfluss, dass durch das Agieren als Expertin bzw. Experten auch das Handlungsspektrum bzw. der Handlungsraum anderer Akteurinnen und Akteuren im Feld beeinflusst werden kann (vgl. Flick, 2016, S. 215, in Anlehnung an Bogner & Menz). Das Feld der Palliative Care gilt als ein multiprofessionelles Arbeitsfeld – in dem Sinne bewegen sich die Fachpersonen der Sozialen Arbeit in einem Handlungs- und Wirkungsraum, welche von verschiedenen Professionen bedient sowie aktiv mit- und ausgestaltet wird. Sie selbst sind daher im Alltag und ihrer Praxis einerseits beeinflusst von anderen Berufsgruppen, beeinflussen diese aber andererseits ebenso.

Schütze (1972) formuliert, dass unter dem Expertentum eine besondere Qualität an Wissen verstanden werden kann, was sich auf ein «beschränktes Gebiet» (S. 87) bezieht. Für ihn muss sich nicht jede und jeder, der über ein Expertenwissen verfügt, diesem sich auch beruflich bedienen. Damit macht Schütze eine Differenz zwischen Wissen besitzen und Wissen anwenden. Vorliegend werden Fachpersonen für ein Gespräch angefragt, die nicht nur Wissen über das Feld, sondern auch vor Ort in den jeweiligen Institutionen ihr Wissen, Wirken und Handeln einbringen. Ob ihnen dabei ihr eigenes Wissen auch immer zugänglich ist oder eben in Form von «Tacit Knowledge» vorliegt, wird sich in der Analyse zeigen. Klar ist aber, dass die Kompetenz in der Anwendung und im Wissen im Zentrum steht – und natürlich kann es sein, dass es eine Differenz gibt zwischen Kompetenzen anwenden können und Kompetenzen zukünftig anwenden wollen sowie zwischen die eigenen Kompetenzen bewusst selbst erkennen oder eben nicht. Losgelöst davon stehen jedoch der Alltag und die eigene Praxis – sei sie womöglich begrenzt – für alle Fachpersonen im Vordergrund – und über diesen gemeinsam geteilten Erfahrungsraum können Rückschlüsse auf Orientierungen und Begründungen gezogen werden.

Die Frage, welche man sich berechtigterweise stellen kann, ist, ob bezogen auf das Erreichen der Fragestellung Expertinnen- und Experteninterviews ausreichen oder damit ein zu begrenzender Fokus auf das Wissen einer spezifischen Zielgruppe gelegt wird (Flick, 2016, S. 219/270; Helfferich, 2022, S. 570 f.). Vorliegend wird in einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit geforscht, das sich insbesondere im schweizerischen Kontext erst beginnt, verstärkter zu etablieren, und zudem durch eine grosse Interprofessionalität gekennzeichnet ist. Wie in Abschnitt 5.2 ausgeführt, werden der Medizin und der Pflege im Feld der Palliative Care hegemoniale Rollen zugestanden, womit die anderen Berufsgruppen, wie jene der Seelsorge, der Psychologie und der Sozialen Arbeit, nicht nur in den Hintergrund, sondern teils auch als in dem Feld nicht gleichgewichtige Professionen beachtet werden. Die Konzentration auf eine Expertin oder einen Experten oder, in Anlehnung an Flick (ebd., S. 215) formuliert, an eine Sachverständige bzw. einen Sachverständigen ist vorliegend angezeigt, weil spärlich empirisch gesichertes Wissen über das Wirken der Fachpersonen der Sozialen Arbeit im Feld der Palliative Care vorhanden ist. Wie an andere Stelle ausgeführt, ist beispielsweise rare Erkenntnis darüber vorhanden, welche methodischen Konzepte im Umgang mit dem Sterben zur Anwendung kommen, welches explizite und implizite Wissen aus der Sicht der Sozialen Arbeit dabei zum Tragen kommen und wie sich die Soziale Arbeit generell im Feld des Sterbens professionsbezogen positioniert (vgl. u. a. Mühlum, 2014; Krüger, 2017; Wasner & Pankofer, 2021). Vorliegend wird deshalb die Position der Sozialen Arbeit in das Zentrum gestellt und somit den Professionellen in dem Feld den Expertenstatus zugestanden. Damit soll ein weiterer Schritt unternommen werden, empirisches Wissen zur Rolle der Sozialen Arbeit in der Palliative Care zu erhalten. Ferner wird mit der Rolle als Expertin bzw. als Experten den Interviewten nicht eine Vormachtstellung im Sinne einer hegemonialen Rolle, sondern ein «Funktionskontext» verliehen, indem die Äusserungen in den Interviews von Beginn an «im Kontext ihrer institutionell-organisatorischen Handlungsbedingungen» verortet werden (Meuser & Nagel, 2009). Dieser, wie ich es formuliere, gemeinsam geteilte Kontext bzw. Wirkungs- und Handlungsraum sorgt für die Vergleichbarkeit der gemachten Äusserungen der verschiedenen Interviewpartnerinnen bzw. -partner. Das ist vorliegend zentral, denn wie später in der Darstellung des Samplings sichtbar wird, verfügen die Expertinnen und Experten über sehr unterschiedliche Aus- bzw. Weiterbildungen, Anstellungsgrade, Erfahrungswerte und insbesondere institutionelle Verankerungen. Mit dem Verständnis des «gemeinsam geteilten Erfahrungsraumes» (vgl. Mannheim, 1980) kann zwar der in der qualitativen Forschung geforderten Varianzmaximierung genügend Rechnung betragen werden. In Anlehnung an Merkens (1997) wird so auch eine grosse Breite an relevanten Informationen und Daten erhoben werden, aber in der Analyse kann es sich als herausfordernd erweisen, eine gewisse Vergleichbarkeit bzw. der in der dokumentarischen Methode geforderte Typenbildung zu entsprechen (Nohl, 2021; Bohnsack et al. 2019). Das Verleihen eines Expertenstatus erweist sich somit nicht als sichere Bedingung für die spätere Typologie, sondern als Hürde, weshalb an dieser Stelle schon erwähnt sei: Der vorliegende Hauptfokus liegt auf den kollektiven Orientierungsmustern und möglichen Rahmungen von Seiten der Fachpersonen der Sozialen Arbeit – und nicht auf einer umfassenden Typenbildung. Bevor wir jedoch zu der Datenanalyse und der Ergebnisdarstellung kommen, gilt es, die Erhebung und damit die Konstruktion des Interviewleitfadens für die Gespräche mit den vorliegend definierten Expertinnen und Experten näher zu explizieren.

6.2.2 Konstruktion und Handhabung des Interviewleitfadens

Gemäss Flick (2017), in Anlehnung an Meuser & Nagel (2002a), verhilft ein Leitfaden dazu, dass «das Gespräch sich nicht in Themen verliert, die nichts zur Sache tun, und erlaubt zugleich dem Experten [der Expertin] seine [ihre] Sicht der Dinge zu extemporieren» (S. 77). Diesem Vorgehen wird vorliegend gefolgt, indem Offenheit gegenüber den Erzählungen gewünscht und unterstützt wird, das Gespräch jedoch durch sieben Hauptfragen auf gewisse Aspekte, welche später auch als Tertia Comparationis (Nohl 2017) verwendet werden, gelenkt wird. Was die Strukturierung durch die Fragen betrifft, wird der Position, wie sie Nohl formuliert, nicht nur gefolgt, sondern viel Positives abgewonnen. Ein leitfadengestütztes Interview gibt mehrere Themen vor, so dass die interviewten Personen nicht mehr frei das Thema wählen, sondern «sich an den Vorgaben und artikulierten Untersuchungsinteresse der Forschenden orientierten müssen» (Nohl, 2017, S. 16–18). Meuser & Nagel (2002a, S. 77) und Nohl bewerten diesen Umstand nicht negativ, sondern zeigen auf, dass eine Orientierung an einem Leitfaden die Gefahr eindämmt, dass sich das Interview in Themen verliert, die nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun haben. Vorliegend wird dieser Vorteil auch erkannt, und der Leitfaden dient dazu, dass der Experte bzw. die Expertin durch die Fragen seine bzw. ihre Sicht auf das Tätigsein noch konziser extemporieren kann.

Die Fragen im Leitfaden wurden eigenständig entwickelt. Die im Vorfeld gemachte Literaturrecherche, die recherchierten Konzepte von Hospizinstitutionen in der Schweiz sowie die vorhandenen Berufsprofile aus Deutschland und Österreich waren für das Generieren der Fragen leitenden. Folgende Themen/Aspekte wurden durch die Fragen abgedeckt:

  • Einstieg in den Beruf vor Ort;

  • Beschreibung des eigenen Tätigseins im Alltag;

  • Herausforderungen im Alltag generell und als Profession;

  • eigene Beschreibung und Bewertung der eigenen Rolle als Fachperson innerhalb des Teams;

  • Beschreibung des eigenen USP (Unique Selling Proposition);

  • Möglichkeit der offenen Rückmeldung am Schluss.

Der eigens entwickelte Leitfaden findet sich im Anhang (vgl. Anhang A). Dieser gibt eine thematische und inhaltliche Strukturierung vor. Es wurde bei der Anwendung des Leitfadens jedoch darauf geachtet, den Interviewleitfaden nicht als «starres» Instrument im Gespräch, sondern als erzählgenerierendes Instrument einzusetzen. Kam die interviewende Person in den Erzählfluss, so wurden dafür Raum und Zeit gelassen und es wurde versucht, parallel zu kontrollieren, ob in den frei gemachten Äusserungen sich womöglich Themen befinden oder angeschnitten werden, welche in später folgenden Fragen ebenfalls untergebracht waren. Das Erzählen-Können und -Lassen sind vorliegend, auch bezogen auf die dokumentarische Methode, mit welcher die Gesprächsdaten analysiert werden sollen, gewichtig. Für das Erzählen ist nämlich einerseits die Artikulation «atheoretischen Wissen[s]» (Mannheim, 1980, S. 73) wichtig, womit implizite Wissensbestände gemeint sind, die das Denken sowie das Handeln strukturieren und beeinflussen. Andererseits ist das Schaffen- bzw. das Belegen-Können eines «konjunktiven Erfahrungsraum[s]» (Nohl, 2012. S. 16) für das Erzählen ebenfalls wesentlich. Beides führt dazu, dass sich vorliegend aus den Gesprächsdaten «atheoretische[s] Wissen», worunter ich die nicht bewusste Selbstbeschreibungen und Orientierungsmuster der Handelnden im Feld der Palliative Care verstehe, gegenständlicher herausarbeiten lassen. Da meine Forschung einen Beitrag zur weiteren Professionalisierung der Sozialen Arbeit im Handlungsfeld von Sterben und Tod und somit der Palliative Care leisten soll, steht nicht nur die Profession an sich, sondern ebenso das «Selbstverständnis» der darin Tätigen im Zentrum.

6.2.3 Operationalisierung des Kernbegriffs «Selbstverständnis»

In der qualitativen Forschung geht es darum, Phänomene, Begriffe oder Vorgehensweisen semantisch fassbarer und inhaltlich beschreibbarer zu machen. Den Prozess dazu lässt sich als Operationalisierung benennen – und dieser Prozess soll dazu führen, dass Ausdrücke sowie Orientierungs- bis hin zu Verhaltensmuster, welche implizit vorhanden sind, dargelegt werden und daraus bestimmt werden kann, mit welchen Begriffen der bezeichnete Sachverhalt vorliegt (Reicherzt, 2016). Vorliegend wird den Fachpersonen der Sozialen Arbeit die Möglichkeit eingeräumt, ihr eigenes berufliches Handeln im Alltag im Rahmen von Interviews zu erzählen. Über diese Selbstbeschreibungen soll das berufliche Selbstverständnis im Handlungsfeld der Palliative Care rekonstruiert werden. Das generelle Selbstverständnis der Sozialen Arbeit wird von der Definition des International Federation of Social Work (IFSW) und der International Association of Schools of Social Work (IASSW) aus dem Jahr 2014 determiniert. Ebenfalls sind verschieden Verbände, exemplarisch für die Schweiz die Schweizerische Gesellschaft für Soziale Arbeit (SGSA) sowie der Berufsverband der Sozialen Arbeit «AvenirSocial», prägend und sorgen dafür, dass diese Definition nach aussen und damit in die Praxis getragen wird. Vorliegend geht es aber nicht um eine allgemeine Definition der Profession, sondern um ein spezifisches berufliches Selbstverständnis im Handlungsfeld der Palliative Care.

Wie bereits an verschiedenen Stellen deutlich wurde, zeichnet sich das Handlungsfeld der Palliative Care durch eine hohe Multiprofessionalität aus. Verschiedene Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Professionen sind gemeinsam gefordert, mit der jeweiligen Fachkompetenz und dem Knowhow die bestmögliche Begleitung und Unterstützung für Menschen am Lebensende in ihrer Organisation bzw. Institution zu realisieren. Jeder Tag kann anders sei, jede Stunde kann sich eine Situation ändern – und dies erfordert hohe Flexibilität. Dies bedingt, dass jede bzw. jeder sich seiner bzw. ihrer fachlichen Kompetenzen und Fähigkeiten sowie der eigenen Zielsetzung der Arbeit bewusst ist. Um diese Aspekte für die Soziale Arbeit in der Palliative Care besser zu ergründen und zu stärken, wird sich vorliegend auf das berufliche Selbstverständnis fokussiert und dieses wie folgt operationalisiert:

  • Wie erleben und beschreiben Fachpersonen der Sozialen Arbeit ihr Tätigsein in der Palliative Care? Was erzählen sie über ihren Alltag?

  • Welche Kompetenzen und Fähigkeiten schreiben sie sich selbst zu und warum?

  • Was für Orientierungen ziehen sie für sich heran, um ihr berufliche Rolle zu beschreiben? Welche beruflichen Erlebnisse sind damit verknüpft?

  • Welche Erwartungen haben sie an sich selbst und an ihr aktuelles, aber auch zukünftiges Tätigsein?

Zusammenfassend geht es darum zu eruieren, wie sich Fachpersonen der Sozialen Arbeit selbst im Feld der Palliative Care als Berufstätige bzw. Berufstätiger sehen. Das Vorgehen mittels der Interviews soll die Türe dafür öffnen, dass das Sprechen über das eigene berufliche Tun entsteht und zudem Vertrauen und Verständnis für die eigene Arbeit erzeugt werden. Das Sprechen über die eigenen Tätigkeiten kann dazu führen, dass das eigene Handeln reflektiert und womöglich besser eingeschätzt werden kann. Bekanntlich besitzt jede Profession auch ein sog. «inkorporiertes Erfahrungswissen» (Pzsyborsky & Slunecko 2020) – Wissen, welches einem selbst nicht oder nicht mehr auffällt, jedoch für das eigene Tätigsein und das damit verbundene professionelle Handeln höchst bedeutsam ist.

Durch die Positionierung auf das Selbstverständnis wird vorliegend nicht auf die Selbstdarstellung von Seiten der Sozialen Arbeit in der Palliative Care eingegangen. Es ist zwar richtig, dass das Handlungsfeld und die Multiprofessionalität in dem Feld auch Fragen bezüglich der eigenen Rolle gegenüber anderen Professionen zulassen würden, doch davon grenzt sich das Vorhaben ab. Vorliegend interessiert nicht, wie sie die Fachpersonen der Sozialen Arbeit gegenüber anderen Professionen in der Palliative Care präsentieren, sondern, welche Rahmungen für sie und ihr Wirken handlungsleitend sind und wie sie selbst ihr Handeln beschreiben. Diese Positionierung verweist zudem darauf, dass vorliegend ein rekonstruktiver Forschungsansatz favorisiert wird, der es ermöglicht, «die Konstruktion der Wirklichkeit zu rekonstruieren, welche die Akteure [und Akteurinnen] in und mit ihren Handlungen vollziehen» (Meuser, 2006, S. 140). Wie Meuser weiter ausführt, kann man Akteure und Akteurinnen aber nicht einfach dazu auffordern, ihre eigenen Maximen oder Orientierungsmuster, welche sie im Alltag bzw. der täglichen Praxis anwenden, in Worte zu fassen und darüber zu erzählen (ebd., S. 141). Vieles davon ist implizit, unbewusst und leitet womöglich das Handeln, aber wird erst bewusst, wenn es erzählt wird oder die Erzählungen mit einer Methode ausgewertet werden, die diese verinnerlichten Komponenten sichtbar macht. Um genau das Ziel erreichen zu können, dieses «inkorporierte Erfahrungswissen», welches in Anlehnung an Mannheim (1980) den Fachpersonen im Handlungsfeld bewusst oder unbewusst sein kann, in Erfahrung zu bringen, werden die erhobenen Interviewdaten mit der dokumentarischen Methode, wie sie Nohl (2017) in Anlehnung an Bohnsack (2013) vorlegt, verarbeitet. Bevor die Auswertung erfolgt, bedarf es konsequenterweise eines Samplings – und wie dafür vorgegangen wurde, folgt nun.

6.2.4 Feldzugang und Rekrutierung des Samplings

Um den Feldzugang im Hinblick auf die Erhebungen sicherzustellen, wurden über den Sommer 2019 insgesamt 16 Hospizinstitutionen in der ganzen Schweiz schriftlich um Unterstützung bzw. Vermittlung von Kontakten zu ihren Fachpersonen der Sozialen Arbeit angefragt.Footnote 6 Die Schreiben dazu wurden auf Französisch bzw. auf Italienisch übersetzt. Ursprüngliches Ziel war es, dass auch Gespräche mit einer Fachperson aus der Romandie sowie aus dem Tessin hätten stattfinden können. Leider liess sich das nicht realisieren, da zum Zeitpunkt der Erhebungen nur eine kleine Institution im Wallis bereits in Betrieb war; das Hospiz «La Maison Azur» war zwar in Planung, aber ist erst seit Sommer 2022 in Betrieb.Footnote 7 Im Tessin war es ähnlich bzw. bis Stand heute (2023) gibt es im Tessin nicht eine klassische Hospizinstitution, sondern eine Hospizversorgung, aufgeteilt in vier Regionen (Region Bellinzona und Tre Valli; Locarno und Umgebung; Lugano und die Region Malcantone; Mendrisio bis zur Grenze Italiens), wo entweder ein ambulantes Angebot oder eine intensive Zusammenarbeit mit einem Spital bzw. Pflegeheim umgesetzt wird.Footnote 8 Die Erhebung bezieht sich somit auf die Deutschschweiz.

Von den angeschriebenen Hospizinstitutionen verfügten 7 Institutionen über eine Fachperson der Sozialen Arbeit bzw. über Zugang zu Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit. 4 Institutionen arbeiten dafür eng mit der Krebsliga Schweiz bzw. mit deren regionalen Vertretungen, welche teils mehrere Kantone umfassen können, zusammen.Footnote 9 Dies bedeutet, dass sie die Leistungen von Seiten der Sozialen Arbeit über diese Krebsligen bzw. das dortige Personal beziehen. Hierfür werden individuelle Leistungsvereinbarungen abgeschlossen.

Die gesamte Erhebungsphase dauerte von November 2019 bis Winter 2021/22. Die Kontaktaufnahme mit Fachpersonen der Sozialen Arbeit in einzelnen Hospizen und die dortige Verortung, verliefen zügig – so konnten 3 Interviews im Zeitraum Herbst 2019 bis März 2020 durchgeführt werden. Die parallel verlaufende Suche nach weiteren Fachpersonen erwies sich umständlicher, da die Kontaktaufnahme teils über die Institutionen selbst und dann in Form einer Weiterleitung verlief. Die Corona-Pandemie sorge zusätzlich dafür, dass die interne Weiterleitung über mehrere Monate dauerte. Die 2 Interviews konnten im Frühsommer 2020 und 2 weitere Interviews im Winter 2021/22 durchgeführt werden. Vor bzw. teils auch nach dem Gespräch wurden ein paar soziodemografische Daten sowie ein paar Angaben zu den Fachpersonen der Sozialen Arbeit erfragt. Aus der Abbildung 1.1 wird ersichtlich, dass die Interviewpartnerinnen und -partner unterschiedliche Aus- und Weiterbildungen aus dem Sozialbereich sowie sehr unterschiedliche Anstellungsgrade haben. Die Berufserfahrung bewegt sich zwischen 2 bis 20 Jahren, was ein weiter, aber in Anbetracht der Altersklassen der Fachpersonen kein erstaunlicher Wert ist. Auch wenn die vorliegende Forschung qualitativ angelegt ist und «eine qualitative Studie sich dem Prinzip der Offenheit verpflichtet» (Hoffman-Riem, 1980, zit. in Flick, 2016, S. 174), ist es wichtig, sich über deren Bedingungen für die Vergleichbarkeit Gedanken zu machen. Obwohl die beruflichen Hintergründe und die Berufserfahrungen stark divergieren, kann festgehalten werden, dass alle interviewten Fachpersonen über direkten Kontakt zu Klientinnen und Klienten am Lebensende und deren Angehörigen verfügen und damit einen Zugang zu einem «gemeinsamen Handlungs- und Erfahrungsraum» haben. Wie in Abschnitt 6.2.1 erwähnt, kann der geforderten Varianzmaximierung zudem vorliegend entsprochen werden. Die 6 Expertinnen und der Experte verfügen über unterschiedliche Berufserfahrung sowie Anstellungsgrade und sind in verschiedene Altersklassen einzuteilen. Die nachfolgende Übersicht zeigt das gesamte Sampling der vorliegenden Forschung (Abbildung 6.2).

Abbildung 6.2
figure 2

Überblick über das Sampling bzw. über die Interviewpartnerinnen und den Interviewpartner

Die Anonymität der Interviewpartnerinnen und -partner in der Transkription und später in der Auswertung sowie der Ergebnisdarstellung wurde mittels der Vergabe von Pseudonymen (anderen Nachnamen) sichergestellt. Die Altersangabe, die Berufserfahrungen und der Anstellungsgrad entsprechen der Realität. Die Nennung der Institution sowie des Kantons erfolgt nicht, da auch dann, wenn der Nachname der Gesprächspartnerinnen und -partner geändert wurde, Rückschlüsse gezogen werden könnten und damit die Anonymität nicht mehr im vollen Umfang gewährleistet wäre.

6.3 Auswertungsprozess

Im Zentrum der vorliegenden Forschung steht die Rekonstruktion des beruflichen Handelns von Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der Palliative Care. Dabei spielen handlungspraktische sowie handlungsleitende Erfahrungen, diesbezügliche individuelle und – wo möglich – kollektive Orientierungen, basierend auf Regeln oder Erfahrungsmustern, eine zentrale Rolle. Die in den Interviews gemachten Äusserungen werden daraufhin untersucht, Orientierungsmuster und Sinnkonstruktionen aufzudecken, zu analysieren und darzulegen, wie diese von Seiten der Fachpersonen der Sozialen Arbeit hergestellt und für ihr Wirken herangezogen werden. So gelingt es, den Sinngehalt in den gemachten Äusserungen zu rekonstruieren – bzw. diesen, welcher den Äusserungen zum eigenen beruflichen Handeln unterliegt. Damit wird nochmals deutlich, dass ein professionstheoretischer Zugang vorliegend angezeigt ist, denn die Fachperson und das, was sie im Alltag als ihr berufliches Wirken ansehen, werden gegenständlich. Zur Auswertung des Datenmaterials wird mit der dokumentarischen Methode gearbeitet. Obwohl diese Methode ursprünglich für die Interpretation von Gruppendiskussionen entwickelt wurde und vornehmlich für die Auswertung von Bildern und Videos (Bohnsack, 2009, 2013) herangezogen wird, bietet es sich gemäss Nohl (2017,2005) ebenso an, Gesprächsdaten bzw. Expertinnen – und Experteninterviews damit auszuwerten. Insbesondere, wenn es das Ziel der Forschung ist, Handlungspraxen und fachliche Orientierungsmuster in Erfahrung zu bringen. Wie in Abschnitt 6.2.3 zur Operationalisierung des beruflichen Selbstverständnisses ausgeführt, ermöglicht es die dokumentarische Methode zudem, ein vertieftes Verständnis für die Bedeutungsgebung des Alltagswirkens von Seiten der Fachpersonen der Sozialen Arbeit zu erhalten. Das habituelle und – wo möglich – haltungsleitende Vorgehen kann so sichtbarer gemacht werden, und das entspricht auch der vorliegend vorgestellten Zielsetzung.

6.3.1 Ergebnisauswertung mit der dokumentarischen Methode

Das Erkenntnisinteresse liegt in dem vertiefteren Verständnis, der Sichtbarmachung von Erfahrungen und damit zusammenhängenden Orientierungsmustern für das eigene berufliche Handeln von Seiten der Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der Palliative Care. Um dieses Interesse zu verfolgen, werden Rekonstruktionen von subjektiven Sichtweisen auf das eigene Tätigsein der Fachpersonen im Feld der Palliativ Care aus dem Datenmaterial herausgearbeitet und unter dem Begriff «Selbstverständnis» professionstheoretisch diskutiert. Das Selbstverständnis dient dabei als Analysefolie für den immanenten Sinngehalt, welcher sich über den Prozess der Deutung und Interpretation des Materials ergibt.

Es liegen sieben vollständig transkribierte Interviews mit Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der Palliative Care vor. In einem ersten Schritt wurde der thematische Verlauf in diesen Gesprächen aufgearbeitet, mit der Intention, ein besonderes Augenmerk zu Beginn auf das Erkennen von Themen zu legen, welche womöglich bei allen Interviews ähnlich oder konträr beantwortet wurden. Der eigens entwickelte Leitfaden gibt dafür bereits eine thematische Struktur vor. Diese thematische Struktur wird später bereits zur formulierenden Interpretation gezählt. Sodann wurde im Datenmaterial nach Äusserungen von Seiten der Fachpersonen gesucht, die andeuten, dass ein Gedanke oder ein Inhalt erst durch die Frage selbst reflektiert und/oder unterbrochen wurde bzw. bis hin zu einem Themenwechsel sich entfaltet hat. Als Indiz dafür wurden in den Interviews folgende Aussagen und darauffolgende Gesprächsdaten näher angesehen:

  • «(…) ah (…) das ist eine gute Frage» (Z. 57, Frau Klein)

  • «(…) das habe ich mich noch nicht so, also, nicht so direkt in der Tiefe selbst gefragt.» (Z. 518, Frau Pereira.)

  • «(…) ich weiss nicht, brauche ich das? (…) stimmt, wir haben vorher über die Frau und den Fall (…) gesprochen, jetzt merke ich gerade (…)» (Z. 420, Herr Rölli)

  • «(…) ja eben, das sind so Themen, wo glasklar ist, ja da ist etwas (…)» (Z. 947, Frau Pereira.)

  • «(…) „atmet tief“ (…) das ist wirklich schwierig. Ich glaube (…) (Z. 1249, Frau Matter.)

  • «(…) das kommt mir jetzt gerade in den Sinn, jetzt, wo sie diese, also ja, diese Frage stellen.» Z. 605–606, Frau Schumacher)

Zudem wurde darauf geachtet, den thematischen Verlauf zu einer Frage bis dahin zu verfolgen, wo davon ausgegangen werden kann, dass ein Thema als «abgeschlossen» betrachtet werden kann. Diesen Auszug sowie auch die weiteren Auszüge, welche für die formulierenden und reflektierende Interpretation hinzugezogen wurde, habe ich als Passagen bezeichnet. Mannheim legt für die thematischen Aspekte, welche als Passagen bezeichnet werden, und insbesondere die danach folgenden weiteren Explizierungen das Konstrukt des «atheoretischen Wissens» (1980) vor, was meint, dass Fachpersonen über sog. alltagstheoretisches Wissen verfügen, welches sie anwenden oder in routinierten Handlungen, welche Bohnsack als «habituelle Handlungen» bezeichnet, umsetzen, ohne dies jeweils im Alltag selbst erklären zu müssen.Footnote 10 Diese auch praxeologischen und damit für die Fachperson zwar als rational erscheinenden Handlungen können erfasst werden, obwohl die Fachpersonen diese nicht selbst explizieren (Pryziborski & Slunecko, 2020). Dieses Handeln bzw. die dahinter sich verbergenden Vorgehensweisen oder Orientierungen sind meist unbewusst und der eigenen Reflexion nur in wenige Fällen zugänglich, was aber nicht zwingend heisst, dass diese Vorgehensweisen als nicht professionell gelten. Wenn genau diese Aspekte erzählt und erklärt werden müssen, dann wird dieses atheoretische Wissen gemäss Nohl (2017) «in alltagstheoretische Begrifflichkeiten übertragen» (S. 6) – und das ist vorliegend von Interesse. Der Mehrwert der dokumentarischen Methode liegt dann gerade darin, einen «Zugang zur Handlungspraxis und(sic) zu der dieser Praxis zugrunde liegenden (Prozess-)Struktur, die sich der Perspektive der Akteure selbst entzieht» herzustellen (Bohnsack, 2013, S. 13). So erlangen die sich dahinter verbergende Orientierungsmuster eine Sichtbarkeit, welche das Handeln und deren Praxis womöglich strukturiert. Es wird so eine Differenz zwischen dem explizierten Wissen einerseits und der handlungspraktischen Herstellung von Wirklichkeit im Alltag andererseits sichtbar. Die ausgewählten Passagen in den Gesprächsdaten sowie weitere Passagen im gleichen Interview sowie in weiteren Interviews sind später Gegenstand der komparativen Analyse. Bevor dieser Schritt vollzogen wird, gilt es jedoch zuerst, die Sinnebenen in den Gesprächsdaten zu untersuchen.

Mannheim (1964/1980) unterscheidet zudem zwischen zwei verschiedenen Sinnebenen, die vorliegend für die Analyse der ausgewählten Gesprächspassagen relevant und in den Auswertungsprozess in Form von zwei zentralen Arbeitsschritten integriert werden. Zum einen ist das die Ebene des immanenten Sinngehalts, womit die in den Gesprächen geäusserten wörtlich explizierten Aspekte gemeint sind. Diese erste Ebene wird im methodischen Vorgehen der dokumentarischen Methode als «formulierenden Interpretation» bezeichnet (Nohl, 2017, S. 29). Es geht darum, ausgewählte Passagen in den Interviews in eigene Worte zu fassen und sich dabei einer klaren, analytischen Sprache zu bedienen. Ferne hilft hier auch, zu erfassen, ob es sich um eine Erzählung, Beschreibung, Argumentation oder Bewertung handelt.Footnote 11 Ich habe mich bei der Analyse von Interviewpassagen bezogen auf die formulierende Interpretation an der von Przyborski & Slunecko dargelegten Ansicht orientiert, «was kompetente Mitglieder einer Sprachgemeinschaft darunter verstehen» (2020, S. 10), um so die Themen, welche von Seiten der Fachpersonen der Sozialen Arbeit angesprochen werden, zu erfassen. Beispielsweise habe ich Textstellen gewählt, wo die interviewte Person von sich aus intensiv in die erzählende Rolle gekommen ist, auch Bezüge zu vor- oder nachher gemachten Aussagen selbst herstellt und somit eine intensive Gesprächsinteraktivität zeigt. Nohl spricht – in Anlehnung an Schütze – solchen Passagen einen engen Zusammenhang zwischen erzählter und erlebter Erfahrung zu, welche in die Haltung des Erzählenden eingebettet sein können (2017, S. 32). In der Logik der dokumentarischen Methode heisst das, dass der immanente bzw. kommunikative Sinngehalt erfasst werden kann. Die Auswahl erfolgte ebenfalls mit der Intention, dass in diesen Stellen womöglich zahlreiche Schilderungen zu Vorgehensweisen, Erfahrungswerten, Herausforderungen sowie Grenzen im beruflichen Handeln zu finden sind, welche selbst im Alltag erlebt werden, womöglich erst durch das eigene Explizieren sichtbar werden und das eigene Handeln beeinflussen. Als ertragreich stellte sich für mich das Vorgehen heraus, für die Auswahl der Interviewpassagen insbesondere nach Themenwechseln oder Unterbrüchen in der Argumentation von Seiten der Interviewten zu suchen – dies auch in Anlehnung an den weiteren Schritt, eine formulierende Feininterpretation anzufertigen, wo Themen in Ober- und Unterthemen geordnet werden (Nohl, 2017, S. 31). Da teilweise eher längere Abschnitte für die Analysen in Frage kamen, bot es sich an, auch Unterthemen zu generieren. Ebenfalls habe ich mich darauf konzentriert, diejenigen Textpassagen zu analysieren, in welchen die Fachperson sich einer bildlichen bzw. verbildlichten Sprache in Form von Metaphern bedienten. Metaphern werden oft verwendet, um dem Gegenüber ein Inhalt, eine Position oder ein Sachverhalt beschreibbar zu machen oder Probleme sowie Schwierigkeiten verständlicher darzulegen. Nohl spricht gar davon, dass diese als Korrektiv zu den Themen der Forschenden gelten können (2017, S. 30). Da vorliegend Orientierungsmuster herausgearbeitet werden, welche das berufliche Handeln am Lebensende verständlicher machen sollen, erweisen sich Metaphern, wie später im Ergebnisteil ersichtlich, als ertragreich in der Analyse, allerdings nicht zwingend als Korrektiv, sondern als Botschaften von Seiten der Fachpersonen, um das alltägliche Wirken und die eigene Rolle sinnbildlicher zu erklären.

Die zweite Sinnebene, welche herausgearbeitet wird und den zweiten Schritt in der dokumentarischen Methode bildet, ist das Eruieren des «Dokumentsinns» bzw. des dokumentarischen Sinngehalts, worin die gemachten Äusserungen als «Dokument einer Orientierung» rekonstruiert werden. Diese Ebene wird in der dokumentarischen Methode als reflektierende Interpretation bezeichnet (Nohl, 2017, S. 6, in Anlehnung an Bohnsack, 2007a, S. 135). Gemeint ist damit, die Rahmungen oder Orientierungen, die in den Gesprächen für Problemstellungen herangezogen werden, für die darin beschriebenen Handlungen zu rekonstruieren. Etwas simpel ausgedrückt geht es um einen Wechsel der Analyseebenen von «was gesagt wird» zu «wie wird es gesagt». Deutung und Interpretation werden nun gewichtig. In diesem Schritt wird auch eine sog. Textsortendifferenzierung oder Textsortentrennung vorgenommen, womit eine Einteilung der Interviewpassagen in Erzählung, Beschreibung, Argumentation oder Bewertung gemeint ist (ebd. 2017, S. 65). Es stellte sich insbesondere für die mir vorliegenden Gesprächsdaten teils herausfordernd dar, zwischen Beschreibung bzw. Erzählung oder Bewertung zu differenzieren, weil die Gesprächspartnerinnen und der -partner vielfach zwischen ihrer aktuellen Rolle, der eigenen Tätigkeiten und der für sie wünschenswerten Aufgabe in den Gesprächen hin- und herwechselten. Ich habe mich deshalb insbesondere an folgenden Elementen in den Gesprächen orientiert, um diese Differenzen nachvollziehbarer zu machen bzw. Momente zu finden, die insbesondere Erzählungen und Bewertungen belegen.

  • «(…) ja, im Moment ist es so, (…)» (Z. 25, Frau Christen)

  • «(…) weil es halt (…) so ist.» (Z. 389, Herr Rölli)

  • «(…) ich fühle mich dafür kompetent, also (…) ich habe da Kompetenz» (Z. 485, Frau Pereira)

  • «(…) ich finde, das ist total meine Aufgabe und da bin ich auch sehr gerne bereit» (Z. 281, Frau Bender)

  • «(…) das ist so ein bisschen meine Haltung.» (Z. 325, Frau Matter)

  • «(…) ob jetzt das die Pflege macht (…), das spielt jetzt in meiner Vorstellung nicht so eine Rolle.» (Z. 480–481, Frau Bender)

  • «(…) ich finde, ich kann das, es liegt aber nicht nur an mir, dass (…)» (Z. 487, Herr Rölli)

Etwas ertragreicher war es, die Differenzierung «Wunsch und Wirklichkeit» einzuführen, denn in allen sieben Gesprächen kam zum Vorschein, dass bezogen auf das eigene Tätigsein und das Tätigsein-Können bzw. -Wollen im Bereich des Alltages eine Diskrepanz besteht und sich wohl mit dieser Differenzierung bessere Orientierungs- und Begründungsmuster erarbeiten lassen. Folgende Elemente konnten diesbezüglich in den Gesprächsdaten eruiert werden

  • «Es ist mehr so manchmal ein Wünschen, ja so (…)» (Z. 771, Frau Bender)

  • «(…) ich fühle mich nicht so richtig verankert, (…)» (Z. 1097, Frau Pereira.)

  • «(…) die Arbeit erlebe ich als sinnvoll, auch wenn ich noch mehr Themen bearbeiten könnte, wie zum Beispiel (…)» (Z. 1021, Herr Rölli)

  • «(…) ich habe recht gekämpft, dass ich da, also ähm dabei sein kann.» (Z. 222–223, Frau Schumacher)

  • «(…) ich könnt, doch ich glaube, ich könnt da schon noch mehr leiste, aber (…)» (Z. 1032, Frau Pereira)

  • (…) dieses Steuern, ja ich könnte das schon übernehmen, es bleibt momentan aber nnklar (Frau Christen, Z. 889)

Die von mir generiere Differenzierung «Wunsch und Wirklichkeit» entspricht nicht einer Textsortendifferenzierung; dessen bin ich mir auch bewusst. Sie verhilft jedoch dazu, Textstellen und in Bezug auf Erzählung und Beschreibung besser deuten zu können.

Der Prozess der reflektierenden Interpretation ist fortlaufend und ich habe diesen auf die weiteren ausgewählten Gesprächsdaten im gleichen Gespräch, später auch mittels Kontrastierung auf die anderen Gespräche übertragen.

«Indem auch andere Abschnitte desselben Interviews herangezogen werden, fungiert der Text als Beleg für eine vom [von der] Forschenden vorgenommene Synopsis, mit der der «gesamtgeistige Habitus» der interviewten Person herausgearbeitet wird» (Nohl, 2012, S. 3, in Anlehnung an Mannheim, 1964, S. 108).

Der im Zitat beschriebene Prozess nennt sich komparative Sequenzanalyse. Da die dokumentarische Methode davon ausgeht, dass die gemachten Anschlussäusserungen an eine erste Interviewpassage der interviewten Person «wissensmässig in athoeretischer Form» bekannt sind, können auch die nachfolgenden Äusserungen in dieser Form gelesen werden. Nohl formuliert dazu, dass «der Rahmen bzw. Orientierungsrahmen, in dem mit dieser Anschlussäusserung das im ersten Erzählabschnitt gesetzte Thema oder Problem behandelt wird [auch] der Orientierungsrahmen darstellt, der die [ausgewählte] Sequenz an sich überstreift (2012, S. 6)». Dieser setzt sich aber nicht nur innerhalb einzelner Interviewpassagen und der darin gemachten Aussagen von einer Fachperson um, sondern auch in Verbindung mit anderen Interviewpassagen andere Fachpersonen, welche sich zum gleichen Thema ebenfalls gleich oder in gegenteiliger Weise äussern. Vergleiche zwischen verschiedenen Interviews bzw. darin ausgewählten Passagen zu gleichen oder ähnlichen Themen, wie auch Aussagen zu Themen, die konträr sind, sind für die dokumentarische Methode substanziell. Das Vorgehen ist aufwändig, doch gerade im Suchen von Vergleichshorizonten in den Interviewdaten, welche minimal oder maximal kontrastierend zueinander und den darin genannten Themen sind und zudem parallel verlaufen sollte, verwirklicht sich die komparative Sequenzanalyse. Bevor ich mich der minimalen bzw. maximalen Kontrastierung widmete, habe ich mich darauf konzentriert, die in meinem Leitfaden bereits vordefinierten Themen in den Transkripten zu identifizieren, da diese den gemeinsamen Fokus – oder wie Nohl es nennt – die «Tertia Comparationis (2017, S. 40)»Footnote 12, den thematischen Verlauf, bilden und ich auch davon ausgehe, dass sich über diesen geäusserten, gemeinsam geteilten Erfahrungsraum, der sich in Form des Alltags zeigt, Orientierungen für das berufliche Handeln gegenständlicher zeigen. Mittels meines Fragekatalogs habe ich dazu bereits Themen vorgelegt, welche von besonderer Relevanz sind und in die formulierende Interpretation eingeflossen sind.

Das Vorgehen der minimalen Kontrastierung bedingt, dass ausgewählte Interviewpassagen bezogen auf ihre homologe und funktional äquivalente Äusserung zu einer weiteren Interviewpassage aus einem im Vergleich unterschiedlichen, aber ähnlichen anderen Fall gesetzt werden – was vorliegend meint, dass nach Fällen gesucht wird, wo Arbeitsweisen oder Thematiken im beruflichen Alltag auf eine «strukturgleiche Art und Weise» (Nohl, 2017, S. 37) von Seiten der Fachpersonen der Palliative Care bearbeitet werden. Das wird fallintern- aber auch fallübergreifend gemacht. Sodann erfolgt bezogen auf diese ausgewählten Fälle bzw. Passagen und bezogen auf weitere Passagen auch eine maximale Kontrastierung. Es geht darum, zu rekonstruieren, wie und auf welche Art und Weise divergierende bzw. abweichende Orientierungen bzw. Vorgehensweise festgestellt werden bzw. welche sich bezüglich der gemachten Äusserungen heranziehen lassen (ebd., S. 38–39, vgl. ebenso Bohnsack et al., 2019, S. 32). In Anlehnung an Oevermann kann hier von der sog. «Reproduktionsgesetzlichkeit»Footnote 13 (2000, S. 97) gesprochen werden, indem nach wiederholenden, aber auch divergierenden Orientierungen im Material gesucht wird. Die zwei essenziellen Auswertungsschritte der dokumentarischen Methode, die formulierende und die reflektierende Interpretation, sowie der soeben beschriebene Prozess zu den Kontrastierungen ausgewählter Interviewpassagen führten dazu, dass aus dem Datenmaterial die in der Praxis bzw. im Alltag von Seiten der Fachpersonen gemachten Erfahrungen in der Palliative Care als Orientierungsmuster sowie erste mögliche Handlungspraktiken pro Fall und damit als Orientierungsmuster pro Fall rekonstruiert werden konnten (vgl. Kapitel 7).

Die Kontrastierung und damit die komparative Analyse dienen in der dokumentarischen Methode zugleich auch der Generierung von Typologien (Nohl, 2017, S. 41, in Anlehnung an Bohnsack, 2014 und 2019). Die Typenbildung bildet der dritte Schritt der dokumentarischen Methode – und hierbei wird zwischen zwei Arten der Typenbildung differenziert. Die eine Art bildet die sinngenetische Typenbildung. Ein ausgewähltes Thema, also ein Orientierungsmuster, das aus einem vorangegangenen Vergleich für einen Fall besonders konturiert wurde und dort ein Tertium Coparationis bildet, wird zu einem sinngenetischen Typen verortet, indem dies nun fallübergreifend betrachtet wird. Bis anhin wurde in einem Interview (Fall) durch die komparative Analyse mit anderen Interviews (Fällen) für ausgewählte Passagen ein Orientierungsmuster für diesen Fall bzw. die Passage herausgearbeitet. Mittels der sinngenetischen Typenbildung wird nun dieser komparative Orientierungsrahmen in Bezug zu anderen Orientierungsrahmen, aus anderen Interviews und dortigen Fällen bzw. Passagen zum gleichen Thema, gestellt.

Als Beispiel habe ich die Interviewpartnerinnen und -partner zu Beginn aufgefordert, von ihrem Einstieg in das berufliche Feld zu erzählen. Hierbei konnte ich verschiedene Orientierungsmuster bzw. Begründungen pro Fall ausarbeiten. Mittels der sinngenetischen Typenbildung erhalten diese – kontrastierenden – Orientierungsmuster nun eine eigenständige Bedeutung, denn sie werden in «ihrer eigenen Sinnhaftigkeit» betrachtet (Nohl, 2017, S. 42). Auf das Datenmaterial angewendet bedeutet das, die rekonstruierten Orientierungen und Begründungen werden vom einzelnen Fall abgelöst und in den Kontext zu anderen Fällen aus den weiteren Interviews verortet. Mit diesem Vorgehen gelingt es, die unterschiedlichen Orientierungsrahmen auf das berufliche Handeln und exemplarisch bezogen auf den Entscheid, in der Palliative Care tätig zu sein, welche in den einzelnen sieben Fällen vorgekommen sind, zu beschreiben. Ebenso gelingt es so, unterschiedliche Orientierungsrahmungen herauszulösen und diese zu einem Typus zusammenzubringen. Wie später in Abschnitt 7.1 erörtert, konnte beispielsweise der Typus «Privates als professionelle Stärke» erarbeitet werden. Damit entspricht die sinngenetische Typenbildung auch einer Abduktion, weil damit die Orientierungen im Alltag «in unterschiedlichen Bereichen in homologer Weise strukturiert» werden (Bohnsack et al., 2019, S. 34). Die so ermittelten Abduktionen werden von mir in Form von Basistypiken in Kapitel 7 rekonstruiert und in Kapitel 8 anhand des von mir vorgängig beschriebenen professionstheoretischen Zugangs verglichen, ausgelotet sowie reflektiert.

Die zweite Art der Typenbildung in der dokumentarischen Methode, nebst der sinngenetischen, bildet die soziogenetische Typenbildung. Diese setzt die Typiken in einen sozialen Kontext und fragt danach, in welchem sozialen Zusammenhang die Typenbildung gebracht werden kann (Nohl, 2017, S. 43–44). Die Begriffe Sinn- und Soziogenese gehen auf Mannheim (1980) zurück, welcher darin einmal vom Erfahrungsraum selbst (Sinn) und zum anderen Mal von einem Blick hinter diesen Erfahrungsraum (Sozio) spricht. Letzterer bildet die Soziogenese – und «dieses Verstehen besteht darin, dass man durch die Gebilde hindurch in den existentiellen Hintergrund eines Erfahrungsraumes einzudringen trachtet» (S. 276). Es geht somit in diesem Schritt der Soziogenese darum, den Hintergrund bzw. die Struktur der aus dem Orientierungsmuster generierten Typologien, die mittels des sinngenetischen Vorgehens rekonstruiert wurden, aufzudecken. Soziologische und damit gesellschaftliche Entwicklungen und Bewegungen bis hin zu Stereotypen erhalten hier besondere Relevanz. Vorliegend wird dieser methodische Schritt nicht geleistet – und die Begründung dazu liefert das anschliessende Kapitel.

6.3.2 Von der Leistbarkeit der dokumentarischen Methoden zur vorliegenden Leistung

Nohl (2017), aber auch Przyborski & Slunecko (2020) vertreten die Ansicht, dass es keiner vollständigen Transkription der Interviewdaten bedarf, um mit der dokumentarischen Methode zu arbeiten. Sie begründen das einerseits damit, dass vieles im Interview erzählt wird, das nicht unmittelbar mit der Forschungsfrage zusammenhängt, und andererseits mit dem ökonomischen Mehraufwand, den eine vollständige Transkription mit sich bringt. In Anlehnung an Bohnsack (2014) schlagen sie vor, dass vor der Transkription beim Hören der Audioaufnahme eine «zeitliche Abfolge der Themen» notiert werden soll, welche für die Forschung relevant ist (Nohl, 2017, S. 30). Insbesondere die reflektierende Interpretation und die darin zu tätigende komparative Analyse verlangen meines Erachtens danach, sich den Erzählverlauf des gesamten Interviews anzusehen. Ferner formuliert gerade Nohl in Anlehnung an Mannheim (1964) und Bohnsack (2005/2012), dass verschiedene Interviewausschnitte für die Erarbeitung des «gesamtgeistigen Habitus» relevant sein können (2012, S. 121). Dies gelingt ebenfalls deutlich nachvollziehbarer, wenn der Gesamtverlauf des Interviews einmal als Transkript vorliegt und man so auch innerbezüglich Textpassagen bei der Analyse präsenter hat. Dass der Aufwand grösser ist, wird nicht wegdiskutiert, der Ertrag erscheint mir aber in Kapitel 7 sichtbar. Das vorliegende Datenmaterial lässt sich bezogen auf die Forschungsfrage mit der dokumentarischen Methode insbesondere mit den Schritten der formulierenden und reflektieren Interpretation eigenständig verarbeiten und bringt Rekonstruktionen zum Vorschein. Folglich konnte die Herausarbeitung von acht Aspekten bezogen auf Orientierungsmuster sowie Begründungen auch dank einer vollständigen Transkription der sieben Interviews gelingen (vgl. Kapitel 7).

Es existieren aber auch Grenzen bei der Umsetzung der dokumentarischen Methode, dessen ich mir erst im Verlaufe deren Anwendung bewusst wurde. Vorweg: Die soziogenetische Typenbildung wird vorliegend nicht geleistet. Da alle Interviews mit dem gleichen, eigens entwickelten Interviewleitfaden durchgeführt wurden, sind die Interviews bezogen auf die Themen und auf die Erzählungen auch vergleichbar. Der Leitfaden gibt gar die strukturelle Form bzw. das Bilden von Oberthemen vor. Durch das Erfragen der vorher meinerseits definierten Aspekte wurde so auch versucht, dem gemeinsamen «konjunktiven Erfahrungsraum», in Anlehnung an Mannheim (1980, S. 220), in der palliativen Praxis von Seiten Sozialer Arbeit möglichst nahe zu kommen. Um das Handeln und dessen Orientierungsmuster in der Praxis sichtbarer zu machen, führt der Weg über das diesem Handeln zugrunde liegende Sichtbarmachen «impliziten oder inkorporierten Wissen[s]», was zugleich auch handlungsleitendes Wissen sein kann (Bohnsack, 2012, S. 120; 125). Dieser gemeinsam geteilte Erfahrungsraum gilt zudem als Voraussetzung in die Analyse von Typenbildung einzusteigen. Vorliegend interessieren auch die darin vorhandenen Orientierungsmuster, welche ihre Relevanz bezogen auf das alltägliche Wirken und Handeln von Seiten der Sozialen Arbeit in der Palliative Care entfalten und so professionstheoretisch gelesen werden können. Die durch das Interview bzw. die Fragen vorgegebenen Themen können nicht nur als Tertium Comparationis gelten, sondern zudem auch in die Typenbildung aufgenommen werden. Dennoch reicht dies nicht, um einer soziogenetischen Typenbildung zu entsprechen. Es wird keine soziale Genese der rekonstruierten Orientierungsmuster aus den Daten geleistet.

Nohl führt aus, dass die dokumentarische Methode nicht nur auf die Rekonstruktion des «gesamtgeistigen Habitus», sondern ebenfalls für das Herausarbeiten vom «kollektiven Habitus» (Bourdieu, 1991) sowie bezogen auf Verbindungen zwischen dem Habitus und vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen ihre Anwendung findet. Als Erinnerung – in Kapitel 4 wurde der als relevant angesehene professionstheoretische Bezugsrahmen erörtert; und bereits da wurde sichtbar, dass vorliegend eine Engführung auf die Fachpersonen und ihre Herstellungsleistungen des eigenen beruflichen Handels favorisiert wird.

Es ist zudem offensichtlich, dass sieben Gesprächsdaten einer kleineren Fallzahl entsprechen und das Datenmaterial damit begrenzt ist. In dem Sinne konnten zwar Orientierungsmuster für das berufliche Handeln von Seiten der Fachpersonen der Sozialen Arbeit im Feld der Palliative Care dargelegt werden, dem Schritt zur Typenbildung wird damit sinngenetisch ansatzweise entsprochen, aber soziogenetisch nicht gerecht. Übersetzt bedeutet das: Die Interviewdaten bzw. Passagen daraus werden auf ihre Herstellungsprozesse bzw. die impliziten Wissensbestände hin rekonstruiert, um so den dokumentarischen Sinngehalt zu erarbeiten, welcher sich in Form von Orientierungen und Begründungen für das professionelle Selbstverständnis zeigt. Es geht somit um individuelle Orientierungsmuster und das – soweit möglich – professionelle Verorten dieser für das Handlungsfeld der Palliative Care in der Sozialen Arbeit, nicht um deren soziogenetische Verortung. Vordergründig war es nicht der Anspruch, eine vollumfängliche Typenbildung gemäss Typologie der dokumentarischen Methode umzusetzen, weil auch mit einer nicht vollständigen Typologie den Gütekriterien an qualitative Forschungsvorhaben entsprochen werden kann. Die Herausarbeitung von sinngenetischen Typen erachte ich deshalb als nicht nur bezogen auf das Herausarbeiten von handlungsleitendem Wissen, sondern ebenso bezogen auf eine Form der Herstellung von Objektivität nebst Validität als korrekt (Nohl, 2017, S. 41). In einem Forschungsprozess ist immer zu klären, wie den Gütekriterien, welche an ein Forschungsvorhaben gestellt werden, entsprochen werden kann. In der quantitativen Forschung sind die Gütekriterien Objektivität, Validität und Reliabilität nicht nur von grosser Wichtigkeit, sondern sie lassen sich oft nachvollziehbar im Forschungsprozess nachweisen und trennen. In der qualitativen Forschung ist die Umsetzung der Gütekriterien etwas komplexer. Dass die Objektivität mit der Validität in der qualitativen Forschung zusammengedacht werden muss, ist bekannt – fragt doch Validität danach, ob das gemessen wird, was gemessen werden muss, und um diese Frage zu beantworten, bedarf es eines geeigneten Auswertungsverfahrens, welche die Zielsetzung der Objektivität erfüllen kann. In der qualitativen Forschung kann Objektivität mit der sog. intersubjektiven Auseinandersetzung von Datenmaterial hergestellt werden. Wie Kergel (2018) ausführt, können dafür verschiedene Strategien, wie das Interpretieren in Gruppen (Interpretationsworkshop) oder Diskutieren der Ergebnisse in Gruppen (Validierungsworkshop), eingesetzt werden (S. 51). Bei der dokumentarischen Methode kann die komparative Sequenzanalyse, die in der interpretierenden Formulierung ihre Anwendung findet, als ein Weg gelesen werden, der diesem Prozedere nahekommt. Indem die Interviews bzw. die darin ausgewählten Textpassagen minimal und maximal kontrastiert werden, also Vergleichs- und Gegenhorizonte skizziert und Rückbezüge hergestellt werden, wird nicht nur der interpretatorische Zugriff ermöglicht, sondern ebenso Intersubjektivität nachvollziehbar hergestellt (Bohnsack, 2007a; Nohl 2017, S. 39).

Auch das Erarbeiten von Typen kann als weitere Form der Validität gelesen werden, doch genau setze ich zwar bei der sinngenetischen Typenbildung an, gehe aber nicht über in die soziogenetische Typenbildung hinaus – erstens wegen der Begrenztheit der Fallzahl: Es ist aktuell noch ein Fakt, dass nicht jedes Hospiz bzw. nicht jede nicht spitalähnliche Palliativinstitution eine Fachperson der Sozialen Arbeit beschäftigt. Zudem verlangt die dokumentarische Methode bei der Generierung von Typologien, folgt man Nohl (2017) oder auch Przyborski & Slunkeo (2021) in Anlehnung an Oevermann (2009), nach einer gewissen Reproduktionsgesetzlichkeit. Diese wird dann erreicht, wenn ein Mehr an Fällen keine weiteren Erkenntnisse zutage bringt, was in der Forschung auch als «Prinzip der empirischen Sättigung» (Strübing et al., 2018) bekannt ist. Vorliegend ist zwar die Fallzahl klein, aber durch das intensive Durchforsten des Datenmaterials mittels formulierender und reflektierender Interpretation wird dem Prinzip Rechnung getragen. Zudem führt dieses Vorgehen zu einer intensiven, detailgetreuen und aufwändigen Datenanalyse des erhobenen Materials. Es reicht aber m. E nicht aus, um eine soziogenetische Verortung vorzunehmen. Für die soziogenetische Typenbildung braucht es nicht nur eine reziproke, sich wiederholende Struktur in den Daten und damit eine kollektive Orientierung, sondern es gilt der Vielschichtigkeit des beruflichen Handelns im Palliative Care Bereich mittels verschiedener Orientierungsmuster eine deutlichere Konturierung des professionellen Handelns zu verleihen. Soziogenetische Aspekte, beispielsweise biografisch gemeinsame Erfahrungsräume von Migration/Generation, Alter oder Geschlecht, könnten hier eine wesentliche Rolle spielen und eine besondere Logik zur Praxis der Handelnden im Feld aufweisen. Amling & Hoffmann halten hierzu fest, dass «die soziogenetische Interpretation insofern einen angemesseneren Zugang zur Logik der Praxis der Akteurinnen darstellt und über das Erkenntnispotenzial der korrespondenzanalytischen Arbeitsschritte [sinngenetische Typenbildung] hinausweist» (2013, S. 191). Mein Ziel ist es aber, die Rekonstruktion von Orientierungsrahmungen und damit ansatzweise auch habituellen Gemeinsamkeiten der Handelnden darzustellen und hierfür empirisch Ergebnisse zu liefern – und nicht die Genese dieser Orientierungsrahmungen auf milieuspezifischen Erlebnisschichtungen und Erfahrungsdimensionen (S. 192). Was an dieser Stelle abschliessend angemerkt sei: Die soziogenetische Typenbildung lässt sich besonders in Gruppendiskussionen und in der Analyse von Bildmaterial besser umsetzen, da deutlichere Konturierungen von Gesprächsverläufen und darin enthaltenen Diskrepanzen sowie gegenseitigen Bezügen zueinander hergestellt werden können und Bildmaterial es ferner zulässt, soziale Szenen sowie deren «Ikonizität» (Bohnsack, 2005) zu erkennen.

6.4 Reflexion der eigenen Rolle als Forscherin

Der gesamte Forschungsprozess dauerte von der ersten Forschungsskizze im Herbst 2018 bis zur Verarbeitung und Verschriftlichung der Ergebnisse im Frühling 2023 insgesamt rund 5 Jahre. In dieser Zeit war und ist es auch rückblickend zentral, die eigene Rolle als Forscherin im Forschungsfeld zu reflektieren – auch, um eine entsprechende kritische Distanz zum Forschungsfeld, zum methodischen Vorgehen und zur Interpretation der Daten zu gewinnen. Flick führt aus, dass bei der qualitativen Forschung «die Kommunikation des Forschers [oder der Forscherin] mit dem jeweiligen Feld und den Beteiligten zum expliziten Bestandteil der Erkenntnis» wird (2016, S. 29). Da ich selbst in verschiedenen Rollen im Forschungsfeld beruflich und ehrenamtlich involviert bin und das, was ich selbst erlebte und erlebe, jeweils beim Interpretieren der Daten nicht vollständig ausblenden kann, war ich bemüht, die Reflexion auf den Forschungsprozess sowie auf meine eigene Rolle auf unterschiedlichen Ebenen herzustellen. Geleitet haben mich dabei folgende Kriterien:

Kritische und reflexive Distanz zum Forschungsfeld

Über die Rolle als Dozentin zum Themenfeld Sterben und Tod erhielt ich eine erleichterten, aber zugleich auch systematischen Zugang zum vorliegenden Handlungsfeld. Der Dialog mit Studierenden in der Aus- sowie auch Weiterbildung über das Tätigsein im Feld von Sterben und Tod, mit Fokus auf die Begleitung vor dem Eintreten des Todes und nicht bezogen auf die Trauerarbeit, ermöglicht es mir, fachlich und mit einer gewissen Beständigkeit im Themenfeld präsent zu bleiben. Ich war stets gefordert, jeweils den aktuellen Forschungsstand sowie Entwicklungen in der Praxis grossmehrheitlich im Blick zu haben. Über die Rolle als Stiftungsrätin im Hospiz Zentralschweiz durfte ich über 4 Jahre hinweg hautnah miterleben, wie eine Hospiz-Organisation erbaut sowie in Betrieb genommen wird und was vor Ort Interprofessionalität bedeutet. Diese Zeit war geprägt von intensiven Diskussionen bezogen auf die Finanzierung und deren Einfluss auf die personelle Ausstattung einer solchen Institution. Dass ein Aufenthalt in einem Hospiz nicht vollumfänglich von der Krankenkasse gedeckt ist, stellt für viele Klientinnen und Klienten, deren Angehörigen, aber auch für die Professionellen in solchen Institutionen eine Herausforderung dar. Im besonderen Masse betrifft das die Leistungen der Sozialen Arbeit in der Palliative Care, denn vor allem die von ihr zu erbringenden Betreuungsleistungen bzw. psychosozialen Unterstützungen und die Begleitung von Familienangehörigen sind im Leistungskatalog der Krankenkassen bezogen auf das Sterben und den Tod weder ausreichend erfasst noch werden diese vollumfänglich finanziert. Die Debatte, welche Leistungen bezahlt bzw. abgegolten werden und welche Leistungen von Seiten der Freiwilligenarbeit erbracht werden können, stellt die Soziale Arbeit nicht nur, aber besonders im Feld der Palliative Care vor Herausforderungen. Um die nötige Distanz zum Forschungsfeld und später zur Datenanalyse halten zu können, vergegenwärtigte ich mir stets meine eigene Rolle. Erfasste und analysierte ich die Daten, so versuchte ich, so Objektivität auch in Gesprächen mit anderen Personen über meine Analysen herzustellen. Sprach ich öffentlich über die Thematik an Podien oder Lehrveranstaltungen, so versuchte ich, die mit mir geteilten Erfahrungen von Seiten des Publikums systematisch mitzunehmen.

Interpretation der Daten und das Herstellen von Reliabilität und Validität

Bei der Interpretation der Daten versuchte ich, mir mehrmals zu vergegenwärtigen, dass mein Erkenntnisinteresse auf dem Herausarbeiten von Orientierungsmuster und damit auf dem Verorten des Selbstverständnisses von Seiten der Fachpersonen auf ihr eigenes Tun liegt. Das erhobene Datenmaterial der Interviews musste dafür reduziert werden. Da eine Reduktion von Material immer auch zugleich einen Einfluss auf das Ergebnis haben kann, orientierte ich mich daran, die Interviews mehrmals durchzugehen und diese nach dem Leitfaden thematisch zu ordnen und nach einer längeren Pause die Transkripte nochmals vollständig zu lesen sowie bezogen auf mögliche, sich aus dem Material ergebene Themen zu durchforsten. So konnte sichergestellt werden, dass zumindest auf den ersten Blick nicht erkennbare Themen dennoch in einem zweiten Durchgang aufgenommen werden konnten.

Die dokumentarische Methode verlangt, sog. Gegenhorizonte zu ausgewählten Interviewpassagen zu skizzieren. Dieses Vorgehen kann als Stärkung der Reliabilität und der Validität in qualitativen Forschungsvorhaben gelesen werden und findet sich auch beim offenen Kodieren in Anlehnung an Strauss (1991). Um die Reliabilität einer Interpretation zu überprüfen, sollte die ausgewählte Interpretation einer Textstelle mit anderen Abschnitten im selben Interviews oder in den weiteren zum Thema gemachten Interviews verglichen werden (Flick, 2016, S. 492, in Anlehnung an Strauss). Mittels des Suchens nach Gegenhorizonten kommt man dieser Kontrastierung nahe. Indem ich Überlegungen zu gegenteiligen Ansichten, Einstellungen, Vorgehensweisen oder gar Diskursen zum Thema zu skizzieren versuchte, konnte ich gewisse Orientierungsmuster konturierter herausarbeiten. Ebenfalls führte ich in meinem Freundschaftskreis stichprobenmässige Diskussionen zur Thematik «Wann werden Metaphern angewendet?» oder «Woran orientiert ihr euch denn, wenn ihr diese Aufgabe ausführt?». Das Nachdenken über gegenteilige Aspekte und die Fragen meinerseits an meinen Freundeskreis sorgten dafür, dass ich meine persönliche Comfort-Zone und somit auch mein angeeignetes Wissen und die berufspraktischen Hintergründe gedanklich verlassen musste. Dieses Einnehmen einer anderen Perspektive bewahrte mich auch davor, Schlussfolgerung womöglich nur zu replizieren oder gar Konstruktionen herzustellen, welche womöglich meinen eigenen – und nicht denjenigen der Befragten – sind.

Was die Grenzen des Forschungsvorhabens angeht, so wurden bereits im vorangegangenen Unterkapitel 6.3.2 Überlegungen dazu ausgeführt – womit es nun keiner weiteren Ausführungen zur Limitierung bedarf, sondern nun das Darlegen von Ergebnissen angezeigt ist.