Unter diesem Kapitel wird der Forschungsstand über die Soziale Arbeit im Feld von Sterben und Tod bzw. in der Palliative Care aufgearbeitet – dies basierend auf der eigens durchgeführten Literaturrecherche, welche insbesondere zwischen 2018 und 2021 umgesetzt und seit 2021 bis zum März 2023 mit einzelnen neueren Publikationen ergänzt worden ist. Die Darlegung des Forschungsstandes nimmt folglich den gegenwärtigen Stand der fachwissenschaftlichen Debatte in diesen Jahren auf und geht auf deutschsprachige sowie partiell auf internationale Publikationen ein.

Befasst man sich mit der Genese der Sozialen Arbeit bzw. der Sozialpädagogik und fokussiert zudem eine professionstheoretische Perspektive, so lässt sich erkennen, dass sich das Arbeits- und Handlungsfeld der Sozialen Arbeit seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert stark gewandelt hat. Bedingt durch die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung und die damalige Industrialisierung entstand der Fokus der Sozialen Arbeit bzw. der Sozialpädagogik zuerst auf Kinder- und Jugendliche und deren fürsorglichen Unterbringung und Unterstützung im Bereich Bildung, Erziehung und Betreuung. Mitte des 20. Jahrhunderts haben die Soziale Arbeit und damit ihr Wirkungsfeld stark expandiert. Dies war mitunter bedingt durch die gesellschaftliche Weiterentwicklung zur Dienstleistungs- bis hin zur Wissensgesellschaft. Münchmeier (1992) hält fest, dass sich seit den 1960er Jahren eine klare Tendenz zur Erweiterung von Aufgabenfeldern für die Soziale Arbeit erkennen lässt. Im Fokus stehen somit nicht mehr nur Kinder und Jugendliche sowie von Sucht betroffene Personen, sondern ebenso generell Erwachsene bis hin zu älteren und alten Menschen, welche in unterschiedlichen Lebenslagen mit individuellen und sozialen Problemen zu kämpfen haben bzw. mit Krisen konfrontiert sind. Kessl et al. (2017) formulieren in Anlehnung an Klein, Landhäusser und Richter, dass sich die heutige Soziale Arbeit bezogen auf ihr Handlungs- und Wirkungsfeld mit viel Heterogenität zeigt (S. 8). Schon länger lässt sich das Tätigsein nicht mehr nur auf sozialrechtliche, beraterische und institutionell bezogene Tätigkeiten im Kindern- und Jugendheimen reduziert, sondern hat sich weiter ausdifferenziert. Soziale Arbeit folgt heute dem Ziel, unterschiedliche Zielgruppen und deren individuellen und sozialen Problemen über die ganze Lebensspanne bis an das Lebensende zu bearbeiten.

Für das Themenfeld Sterben und Tod ist mittlerweile unbestritten, dass die Soziale Arbeit sich beteiligt und aktiv in der Betreuung von Schwerstkranken und Sterben sowie deren Angehörigen einbringt. Allerdings ist sie, und das hat Borasio trefflich formuliert, noch immer eine der «am meisten unterschätzten Professionen» (2016, S. 83) im Feld der Betreuung von Sterbenden. Genau diese Aussage hat auch mich dazu bewogen, mir insbesondere mittels eines professionstheoretischen Zugangs vertiefter anzusehen, wie sich Soziale Arbeit aus der Perspektive der Sozialen Arbeit bzw. der tätigen Fachpersonen im Feld von Sterben und Tod weiterausdifferenziert und was sich daraus für ihr professionelles Handeln erkennen lässt. Diese Einnahme der Perspektive verweist darauf, dass die Soziale Arbeit noch immer als eine «bestrittene Akteurin» gilt, einerseits im Vergleich zu anderen Professionen im Feld der Palliative Care und auch infolgedessen, dass dieses Tätigkeitsfeld eine hohe Inter- und Multiprofessionalität aufweist und es anspruchsvoll ist, Leistungen der Sozialen Arbeit in dem Feld für sich selbst zu beanspruchen. Der Umstand der Multiprofessionalität führt zwar ebenso zu einer Mehrperspektivität, welche es auch bedingt, dass verschiedene Berufsbilder einbezogen werden, doch genau deshalb können auch verschiedene professionellen Haltungen vorliegen, was es nicht einfacher macht, das Wirken der Sozialen Arbeit zu konturieren. Positiv ist aber, dass genau diese Interdisziplinarität dazu führt, dass im Feld von Sterben und Tod keine Engführung auf die körperliche Versorgung vorherrscht (Kompetenzen für Spezialisten in Palliative Care, 2012, S. 3). Zugleich führt sie aber dazu, dass sich gewisse Professionen, und dazu zählt die Soziale Arbeit, nicht zwingend in einem gefestigten, gut beschreib- und abgrenzbaren Arbeitsumfeld bewegen und eine eigene «Notwendigkeit» (Borasio, 2016) beanspruchen können. Wie später im empirischen Material deutlich wird, muss die Soziale Arbeit nicht zwingend ein Feld für sich allein beanspruchen, viel gewinnbringender ist ihre Art, wie sie sich in dem Feld überhaupt einbringt.

Colla und Krüger zeigen auf, dass die Lebensqualität bis an das Lebensende entscheidend geprägt wird von sozialer Teilhabe und Würde und gerade am Lebensende oftmals eine «alltagsweltliche Sensibilität im professionellen Handeln» gefragt sei (2013, S. 256). Ferner führen sie auch aus, dass zwar die Thematik Sterben und Tod durch die demografische Entwicklung an Bedeutung gewinne, eingangs finden sich auch meinerseits infolge der Coronakrise Bemerkungen dazu, doch dass sich die Soziale Arbeit immer noch mehrheilt auf die Gestaltung des Settings konzentriere, damit «Menschen möglichst lange selbstbestimmt leben können». Es fehlt gemäss deshalb noch immer eine Auseinandersetzung mit dem Sterben als sog. «letztes Aneignungsproblem» (Colla & Krüger, 2013, S. 263).

Bezogen auf die Vergegenständlichung und die Fachdiskussion der Sozialen Arbeit in Palliative Care hat sich einiges getan, insbesondere die Werke von Wasner & Pankofer (2016/ 2021), Student & Mühlum & Mühlum (2020) sowie Krüger (2017/2021) und Bitschnau (2017) zeugen davon und werden vorliegend auch rezipiert. In den USA sowie in Grossbritannien, Deutschland und Österreich verfügt die Soziale Arbeit zudem über ein Berufsprofil, welches nicht nur (Kern-)Aufgaben und Schlüsselkompetenzen, sondern zugleich eine Verbindung zwischen dem gesellschaftlichen Auftrag der Sozialen Arbeit im Sinne der IFSWFootnote 1 und bezogen auf ethisch-moralische Grundhaltungen darlegt, die in der Betreuung von Menschen am Lebensende bedeutungsvoll sind. Folgt man dem im IFSW bzw. dem von Seiten der Avenir Social im Berufscodex dargelegten gesellschaftlichen Auftrag der Sozialen Arbeit, so gelten die Bearbeitung von sozialen Problemen, die Partizipation, das Stärken von Ressourcen und das Fördern von Selbstbestimmung als gegenständlich (Pankofer, 2016, S. 27). Wie dies sich auf der Handlungs- und Reflexionsebene sowie bezogen auf das berufliche Selbstverständnis der Fachpersonen der Sozialen Arbeit zeigt, wird später empirisch in Kapitel 7 expliziert.

In diesem Kapitel wird dargelegt, was in Bezug auf die verschiedenen Professionen im Feld der Palliative Care bekannt ist, und was bezogen auf die Profession der Sozialen Arbeit im Feld von Sterben und Tod diskutiert wird. Der Transfer von Cure zu Care bzw. Heilung zu Fürsorge löste einen ersten Meilenstein in der Betreuung und Begleitung von Menschen am Lebensende aus. Dieser Meilenstein wird in diesem Kapitel zum Anlass genommen, über die Rolle der Sozialen Arbeit als «bestrittene» Akteurin zu sprechen und dabei auf die aktuellen Zuschreibungen in Sachen Kompetenzen, Leistungen und Wirkungsbereich einzugehen. Danach schliesst das Kapitel mit aktuelleren Befunden in der Schweiz bezogen auf die Palliative Care und die Soziale Arbeit ab.

5.1 Medizin, Pflege und Spiritual Care als unbestrittene Akteurinnen in der Palliative Care

Die Hospizbewegung war ausgehen von Grossbritannien und der USA zu spüren, sie war dort aber ganz klar als umfassende Versorgung von Beginn an angedacht und wurde so auch umgesetzt. So vermag es auch nicht zu erstaunen, dass in den USA nebst der Medizin die Psychologie bzw. die PsychoonkologieFootnote 2, die Seelsorge sowie die Soziale Arbeit zur Grundausstattung in einem Hospiz gehören (Student et al., 2016, S. 156). In Deutschland, weiteren Teilen von europäischen Ländern und in der Schweiz sieht das anders aus. Hier dominieren in erster Linie die Medizin und die Pflege, gefolgt von seelsorgerischen Tätigkeiten, die sich neuzeitlich unter Spiritual Care fassen lassen. Zudem hat auch die Ehrenamtlichkeit ihren klaren Platz. Über den Tod reden zu können oder sich über den eigenen Tod mit jemand anderem zu unterhalten, stellt Anforderungen an die jeweiligen Kommunikationskompetenzen. Die Medizin hat hier teils gar einen Vorteil – wie eine Studie von Borasio belegt, ziehen es Klientinnen und Klienten vor, mit Ärztinnen und Ärzten zu sprechen, wenn es um den eigenen Tod geht, weil sie diesen zuschreiben, objektiver zu urteilen (2016, S. 93). Für Menschen am Lebensende scheint es damit einfacher zu sein, über das Medizinische anstelle über psychologische oder soziale Momente zu sprechen. Die Medizin ist zwar nicht die Profession, welche genuin besonders in der Kommunikation hochspezialisiert ist, doch der Status als «objektive Instanz» (ebd., S. 93) räumt ihr diese Fähigkeit und die damit verbundene Akzeptanz ein.

Das Sterben kann aber auch, so wie es Heuer, Paul und Hanses in Anlehnung an Schmeling-Kludas (2006) formulieren, «diametral zu professionellen Berufskonzeptionen liegen» (2015, S. 260). Gemeint ist damit, dass in der Medizin z. B. die Heilung als Erfolg gewertet wird und Erfolge eng mit der professionellen Praxis verbunden werden. Das Sterben und den Tod als Erfolg zu werten, kann für die Medizin besonders problematisch sein. Der Tod wird, insbesondere in der heutigen Gesellschaft, welche stark auf lebenserhaltenden Massnahmen und eine damit einhergehen Tabuisierung des Sterbens ausgerichtet ist, als Versagen des eigenen professionellen Wirkens gewertet. Für die Medizin mag das insofern erstaunen, weil die Sterbebegleitung als eine ursprüngliche Aufgabe gewertet wird. Es gibt gar einen Leitsatz aus dem Jahre 1967, der besagt: «Heilen manchmal, lindern oft, trösten immer» (Payen, 1967). Die Orientierung der Medizin liegt hier nicht mehr nur am Erfolg und damit am Leben, sondern ebenso an der Linderung und im Bereich der Fürsorge, doch dieser Gedanke geht aktuell oftmals unter.

Dass die Medizin als eine Profession, teils gar als «stolze Profession» (Schütze, 2021), wahrgenommen und akzeptiert wird, hat auch viel damit zu tun, dass sie sich mittels des merkmalsorientierten Ansatzes gut verorten lässt. Eigener Berufsstand, spezielle Prüfverfahren (vgl. Numerus Clausus, Staatsexamen), Fachsprache, Autonomie in einem spezifischen Berufsfeld, auch bezogen auf die Kompetenzen sowie hoher sozialer Stauts bzw. hohe Anerkennung (vgl. u. a. Knoll, 2010, S. 89) – das alles sind nur einige der grundlegenden Merkmale, welche eine Profession benötigt. Die Medizin erfüllt diese und sie ist damit, wie es Dewe & Otto (2018, S. 1198) schreiben, nicht nur eine «old established-profession», sondern auch eine klassische ausdifferenzierte Profession bzw. ein Beruf, welcher die Öffentlichkeit davon überzeugt hat, zu zeigen, dass nur sie «spezifische Tätigkeiten kompetent ausüben» und damit auch die eigenen Standards für diese Kompetenzen festlegt kann (ebd.). Dass die Medizin im Feld der Palliative Care bzw. der Hospizarbeit ihre Akzeptanz fand, war bzw. ist zudem dem Ausdruck «Palliativmedizin» zu verdanken.Footnote 3

Der Ausdruck «Palliativmedizin» wird in Fachjargon für die Leistung der Medizin am Lebensende verwendet. Dieser beschreibt dabei den Bereich der ärztlichen palliativmedizinischen Massnahmen – und dieser hat sich zu einem Teilgebiet der Medizin entwickeln (Berke, 2021, S. 39). Im Zentrum der Versorgung stehen die Schmerztherapie sowie das Erbringen von Leistungen, welche schmerlindernd oder auch lebenserhalten wirken können, wie Chemotherapie, Morphinabgabe oder Bestrahlung (ebd., S. 8). Den Fokus bildet das Reduzieren oder bestmögliche Lindern von körperlichen Beschwerden, wobei dabei auch von Seiten der Medizin ein ganzheitlicher Therapieansatz verfolgt wird und die Bedürfnisse von psychischen, sozialen und spirituellen Aspekten mitbeachtet werden (Cremer-Schaeffer & Radbruch, 2012, S. 231). Diese Aspekte bilden aber nicht den Kernbestandteil, der Fokus der zu erbringenden Leistungen liegt auf der medizinischen Versorgung, was auch in der Praxis von Seiten der Medizin und anderen Professionen bestätigt wird. Borasio zeigt hierzu zwar auf, dass es sich bei der Palliativmedizin nicht nur um Schmerztherapie handeln darf – das sei gar realitätsfern (2016, S. 184). Er visualisiert dies mit einem Kreisdiagramm, dass der Anteil der psychosozialen und spirituellen Begleitung rund 50 % beträgt. Die anderen 50 % lassen sich aufteilen auf Schmerztherapie, internistische Symptome und neuropsychiatrische Symptome. Beim genaueren Betrachten zeigt er hier aber nicht den Aufgabenteil der Palliativmedizin, sondern gemäss seiner Beschriftung denjenigen der Palliativbetreuung (vgl. S. 185 Abbildung 10.2). Unabhängig davon zeigt sich auch in der schweizerischen Bevölkerungsbefragung aus dem Jahr 2017 zum Thema Palliative Care, dass sich die Befragten hierfür klar an die Medizin und namentlich gar die Hausärztinnen und Hausärzte (72 %), gefolgt von der Pflege (22 %), wenden würden. Die Aussenwahrnehmung und damit auch die Zuschreibung von Angeboten und Leistungen sind stark auf die Medizin fokussiert bzw. gar verengt.

Zentrale Funktionen, welche von Seiten der Medizin im Feld der Palliative Care ebenfalls wahrgenommen werden, sind die Diagnosestellung sowie später die Feststellung des Todes. Die Feststellung des Todes kann als exklusive Aufgabe der Medizin betrachtet werden. Hierfür steht der Medizin als einer der Leistungserbringenden im Bereich des Gesundheitswesens eine Klassifikation nach ICD-10 bzw. in der Schweiz der ICD-10-GM zur Verfügung. Mittels dieser Klassifikation können Krankheiten eingeordnet und systematisch erfasst werden. Das Instrument ermöglicht eine klare Darlegung von Massnahmen, Indikationen sowie Erfahrungswerten und sorgt damit dafür, dass das erbrachte professionelle Handeln in Form von messbaren Werten erkenntlich wird.

So erstaunt es nicht, dass die Palliativmedizin für sich eine hohe Professionalität verbunden mit einem starken Grad an Institutionalisierung und Standardisierung sowie klarer Finanzierungsströme reklamiert (Borasio, 2016, S. 179). Die Diskussion darüber wird auch in Abgrenzung zu Hospizarbeit geführt, die durch ihre historische Prägung und ihre wohlfahrtsstaatliche und ehrenamtliche Entwicklung als weniger professionell wahrgenommen wird, da ihr Wirken weniger standardisier- und institutionalisierbar ist. Wie wir aber bereits an andere Stelle gesehen haben, muss Hospizarbeit auch nicht institutionsbezogen ausgeführt werden, sondern sie proklamiert für sich die Haltung, welche hinter der Arbeit steht – und diese lautet «Lebensqualität bis zum Lebensende zu ermöglichen und dem Menschen ein würdiges Dasein» (Mühlum, 2014 in Anlehnung an Wasner, 2010).

Nebst der Medizin gilt auch die Pflege als eine unbestrittene Akteurin im Feld der Palliative Care. Zwischen den beruflichen Tätigkeiten der Pflege und der Medizin kommt es zu den meisten Überschneidungen. Die beiden Berufsgruppen werden gar als Kernteam verstanden, wenn es um die Begleitung und Betreuung von schwerstkranken Menschen geht. Bei der Pflege sind der physische und psychische Teil hoch, gefolgt vom sozialen Begleitungsanspruch. Bei der Medizin ist es grossmehrheitlich der biologische, gefolgt von dem psychologischen und dem sozialen. Die Medizin sowie die Pflege haben auch eine gewisse Nähe zur spirituellen Begleitung, wobei hier klar die Seelsorge – gefolgt von der Sozialen Arbeit – vertreten ist (vgl. Modell im Bericht Kompetenzen für Spezialisten in Palliative Care, 2012, S. 5). Zentral ist, dass die Pflege wohl den intensivsten Kontakt zu den Klientinnen und Klienten hat. Besonders was die Kontaktqualität in Form von Gesprächen anbelangt, muss das nicht zwingend sein – wobei hier nicht eine Abwertung stattfinden soll. Es zeigt sich aber, dass die Gesprächsqualität bei der Sozialen Arbeit und der Seelsorge höher sein könnten, aber weniger genannt wird (vgl. u. a. Krüger, 2017). Wasner führt aus, dass die Pflegefachpersonen sich insbesondere um das körperliche Wohlbefinden von Klientinnen und Klienten kümmern (2021, S. 162). Dazu können die Wundversorgung, die Köperhygiene, Messung von Blutdruck, Reinigen von Kanülen sowie das An- und Ausziehen gehören. «Sie gewährleisten ungehindert den Ablauf des medizinischen Leistungsprozesses, dabei haben sie aber keine eigenständigen, therapeutisch wirksamen Handlungsauftrag, sondern sind Hilfskräfte der Mediziner» (ebd., kursiv im Original).

Wasner hat hier einen sehr defizitären bis gar abwertenden Blick auf die Leistungen, welche von der Pflege erbracht werden. Eine mögliche Begründung dafür findet sich in ihrer Vorstellung, dass die Medizin als Taktgeberin im Gesundheitswesen fungiert. Sie geht gar soweit und formuliert, dass die Medizin andere Berufsgruppen als «Erfüllungshilfen» ansieht. Sie lehnt sich dabei an einer Studie von Leipzig et al. (2002, S. 1141 f.) an, welche Studierende der Medizin und der Sozialen Arbeit nach ihrer jeweiligen Semantisierung für die Pflege fragten. Was sicherlich wichtig ist: Die Fachpersonen der Pflege verfolgen klar einen ganzheitlichen Pflegansatz. Wie für die Profession der Medizin die Palliativmedizin setzt sich für die Pflege die Palliativpflege durch. Die Europäische Gesellschaft für Palliativpflege (EAPC) hat ein wissenschaftliches Papier verfasst, in welchem sie zehn wichtige Kompetenzen aufzählt, wonach sich die Palliativpflege zu orientieren habe. Folgende Kompetenzen verdeutlichen m.E besonders gut, die Schnittstelle zur Sozialen Arbeit:

  • Palliativpflege soll in dem Umfeld angewendet werden, in dem die Patienten und Familien für gewöhnlich leben.

  • Berücksichtigen Sie die psychologischen Bedürfnisse des Patienten.

  • Befriedigen Sie die sozialen Bedürfnisse des Patienten.

  • Befriedigen Sie die spirituellen Bedürfnisse des Patienten.Footnote 4

Die Seelsorge kümmert sich ebenfalls in erster Linie um die Klientinnen und Klienten. Wenn es um Frage betreffend Trost, Halt oder ethische Haltungen sowie Vorstellungen am sowie zum Lebensende geht, bekommen die Angehörigen ebenfalls eine zentrale Rolle. Insbesondere am Lebensende nehmen die Fragen zum eigenen (noch) Dasein, zu sinnstiftenden Handlungen und deren Machbarkeiten, aber auch ganz existenzielle Fragen und Ängste zu. Die von der Seelsorge geleistete spirituelle Begleitung ist nicht zwingend gleichzusetzen mit Religiosität. Das Konzept der Palliative Care geht davon aus, dass Menschen zwar spirituelle Wesen sind, aber dabei spielt die Einstellung zu einer Religion eine untergeordnete Rolle (Wasner, 2021, S. 163, in Anlehnung an den Arbeitskreis Spirituelle Begleitung, 2007). Spiritualität umfasst dabei verschieden Glaubensrichtungen, aber auch Richtungen wie Agnostizismus und Atheismus. Insbesondere das Durchführen von Ritualen, unabhängig von der Religion oder auch bezogen auf religiöse Segnungen, Krankensalbungen, das Ablegen von Beichten bis hin zu einfach einem schlichten Gespräch über letzte Wünsche und das Deponieren von Schriftstücken für die Hinterbliebenen, können bei der Seelsorge ihren Platz finden. Demzufolge sind die Tätigkeiten der Seelsorge nur bedingt eigrenz- und definitiv beschreibbar, was auch Borasio aufzeigt mit «Art und Spektrum der Seelsorge sind (…) starkem Wandel unterworfen, der auch mit einer Ausweitung der geforderten Kompetenz im interreligiösen und multiprofessionellen Dialog einhergeht» (2016, S. 96).

In den letzten Jahren hat sich vermehrt der Begriff «Spiritual Care» durchgesetzt – dies bewusst, um die Glaubensrichtungen offener zu gestalten, da mit der Bezeichnung «Seelsorger/Seelsorgerin» noch immer eine sehr starke katholische Wahrnehmung verbunden ist. Ferner zeigen Heller & Heller (2018) auf, dass mit der Spiritualität eine gewisse Offenheit verbunden sein muss, Wünschen und Bedürfnissen zum bevorstehenden Tod fragend entgegenzutreten. Die Person muss sich bewusst sein, dass ihr viele Fragen gestellt werden, worauf sie als Fachperson keine Antwort hat (Heller & Heller, 2018 zit. in Student et al., 2020, S. 25). Diese offenen Fragen können nicht nur bei der Person am Lebensende, sondern auch bei der Spiritual-Care-Fachperson sog. «spirituelle Schmerzen» auslösen (ebd., 2020, S. 42) – womit gemeint ist, die offenen, nicht direkt beantwortbaren Fragen können eine gewisse Unsicherheit bis hin zu Ohnmacht auslösen und das berufliche Handeln in einen gewissen Zustand der Schwebe oder gar Ziellosigkeit versetzen. Das Bewusstsein, dass auch Handlungen falsch oder misslingen können ist bei der Seelsorge im Gegenzug zur Medizin zwar höher vorhanden, aber es löst Unsicherheiten in Bezug auf das eigene professionelle Wirken aus (Effinger, 2021, S. 209).

Auch Fachpersonen der Sozialen Arbeit kennen diese Unsicherheiten, insbesondere dann, wenn sie sich nicht nur auf das Individuum, sondern zugleich auf dessen System und Lebenswelt zu konzentrieren haben. Diese Vermittlungsrolle ist nicht nur anspruchsvoll, sie sorgt auch für ein Spannungsfeld und stellt hohe Ansprüche an das professionelle Handeln. Professionelle der Sozialen Arbeit «sollten in der Lage sein, die Mehrdimensionalität von Wirklichkeit» erkennen zu können (Effinger, 2021, S. 209). Da die Soziale Arbeit zudem als Generalistin gilt (Wasner, 2010), bildet das eine weitere Hürde, die spezifischen Kompetenzen von ihr zu erfassen.

5.2 Soziale Arbeit als «bestrittene» Akteurin in der Palliative Care

Die Soziale Arbeit im Feld der Palliative Care ringt noch um ihre Stellung, wobei ich betonen möchte, dass es dabei um Aspekte der Arbeitsweisen und der zu erbringenden Leistungen geht – und nicht um die generelle Berechtigung, im Handlungsfeld von Sterben und Tod tätig zu sein. Wie an vorangegangenen Stellen kursorisch ausgeführt, war die Soziale Arbeit von Beginn an einen integralen Bestandteil von Hospizarbeit (Wasner, 2016, S. 54; Heller & Pleschberger, 2012). Saunders, selbst Sozialarbeiterin, setzt dazu bereits ein frühes Zeichen in ihrem Wirken und zeigte auf, dass Symptom- und Schmerzbehandlungen essenziell seien, jedoch die soziale Dimension bzw. soziale Probleme und das eigene Wohlbefinden gleichwertig essenzielle Aspekte seien und in der Betreuung am Lebensende mitbearbeitet werden müssten (Clark, 2018). Die Soziale Arbeit gehörte daher für sie zu einer der Kerndisziplinen des 1967 gegründeten St. Christophers Hospiz und prägte das psychosoziale Verständnis des Hospizes sowie die damit angestossene Hospizbewegung – deshalb zu Beginn der Zusatz, die Soziale Arbeit ringt nicht in allen Belangen um ihre Berechtigung. Sie wird – wie allerdings nachfolgende Unterkapitel zeigen – teils auf gewisse Aspekte reduziert, die zwar genuin als sozialarbeiterisch bzw. sozialpädagogisch aufgefasst werden können, doch genau diese Reduzierung führt zu einer gewissen Hemmung ihres Entwicklungs- und Aufgabenpotenzials. Sie wird zudem als Bestanteil des interdisziplinären Betreuungsteams gehandelt, jedoch ringt sie auch innerhalb dieses Teams um ihren Platz (Student et. al, 2020, S. 43).

Folgt man Student et al. (2020), so gilt die Soziale Arbeit heute insbesondere für administrative und organisatorischen Belange, wie bezogen auf Koordination sowie für sozialrechtliche Fragen und damit auch den Kontakt zu den und mit den Behörden (z. B. der KESB, den Institutionen zu Wirtschaft, Arbeit und Soziales (WAS), oder AHV/IV), am Lebensende als unverzichtbar (S. 153) und zugleich auch verankert. Weder die Pflege noch die Medizin oder die Spiritual Care decken diese Aufgaben ab. Sie beanspruchen diese aber auch nicht für sich. Dieses Verständnis führt dazu, dass die Soziale Arbeit im Bereich der Spitalversorgung bzw. auf dortigen Palliativabteilungen besonders ihre Wirkung entfaltet und auch akzeptiert ist. Allerdings ist sie dort als sog «Spitalsozialarbeit» bekannt – und dies auch mit einem rechtlich klar abgegrenzten Aufgabengebiet. Der Fokus der Spitalsozialarbeit liegt auf sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen und deren Klärungen, der Bettenorganisation, der Organisation von Über- und Austritten von Spitälern in Langzeit- bzw. Altersinstitutionen sowie in ambulanten Settings bzw. im Übergang nach Hause. Die Spitalsozialarbeit und ihr Wirkungsradius sowie ihr Tätigkeitsgebiet sind institutionell an ein Spital angebunden. Der Schweizerische Fachverband für Gesundheitswesen in der Sozialen Arbeit (SAGES) definiert die Spitalsozialarbeit als einen Teil der klinischen Sozialarbeit und weist auf ihr «methodengeleitete Arbeitsweise», welche auf eine «zeitnahe, nachhaltige und bedarfsgerechte Beratung sowie auf eine Vernetzung von ambulanten, teilstationären und stationären Patientinnen und Patienten mit Organisationen des Gesundheits- und Sozialwesens», eingeht.Footnote 5 Die methodischen Vorgehensweisen der Spitalsozialarbeit müssen sich nicht zwingend von der Sozialen Arbeit in Hospizen differenzieren – dies erscheint auch unter der Prämisse der Ausbildung als nachvollziehbar. Dennoch ist klar, dass sich ihr Auftrag in einem Hospiz und ihre Zuständigkeitsbereiche sich markant unterscheiden – und zwar mit dem Fokus auf «psychosoziale Begleitung». Damit wird der Blick viel umfassender; es gilt Klientel, Angehörige, aber auch das Team umfassend zu involvieren. Und um diese Begleitung zu erfüllen, werden auch die Ansprüche an die Kooperation, Teamfähigkeit und Kommunikation höher (Student et al., 2020, S. 43).

Die Rolle der Sozialen Arbeit in Hospizen, teilstationären und ambulanten hospizlichen bzw. mobilen palliativen Dienstleistungen und damit in der ganzen Palliative Care liegt, so formuliert es Monroe (2005), im Erfüllen von «nichtmedizinischen Zielen» – doch nur schon diese zu erkennen, kann für die Soziale Arbeit zur Problemstellung werden. Kann am Lebensende von Zielen gesprochen werden, die (noch) erreicht werden können, wenn die unheilbare Krankheit es mit sich bringt, dass die Zukunft ja nicht mehr gestalt- und erlebbar wird und ein Einwirken auf die Zukunft unmöglich wird?

Heuer, Paul und Hanses haben in ihrem Forschungsprojekt den Fokus auf die professionelle Sinnhaftigkeit in der Unterstützung und Begleitung sterbenskranker Menschen von Seiten der Sozialen Arbeit gelegt. Sie werfen die berechtigte Frage auf, wie Sinnhaftigkeit in Situationen, wo der Tod unausweichlich ist, von Professionellen in Hospizen und Palliativstationen hergestellt wird – dies vor dem Hintergrund und der Annahme, dass Handlungspraxen diametral zur eigenen «professionellen Berufskonzeption» stehen können (Heuer et al., 2015, S. 259). Sie legen bei ihrer Untersuchung den Fokus auf alle im Feld der Palliative Carte tätigen Fachpersonen. Die Soziale Arbeit fokussiert z. B. auf die Reintegration in die Gesellschaft, die Möglichkeit, mit den eigenen Ressourcen zukünftig das eigene Leben besser meistern zu können, Krisen zu überstehen oder durch gezielte und ergänzend zur medizinischen, pflegerischen und psychologischen Tätigkeit persönliche Krisen zu meistern. Das Sterben bzw. der Prozess dazu und der Tod markieren eine Endlichkeit, stellen Arbeitsprinzipien und Zukunftsaussichten in Frage – und das berechtigt ebenfalls zur folgenden Frage: Wie gehen Professionelle damit um, wenn ihre Tätigkeiten sich nicht mehr mit einer Zukunftsperspektive verbinden lassen? Sie also im Hier und jetzt agiere müssen, ohne je zu wissen, ob das, was sie tun je umsetzbar wird oder einen Effekt hat. Die Untersuchung zeigt interessante Ansätze bezogen auf Handlungskompetenzen auf, weshalb im nachfolgenden Unterkapitel 5.2.1 darauf eingegangen wird.

Mit «nichtmedizinischen Zielen» lässt sich auch ein Verweis auf die Bewältigung von psychosozialen Aspekten machen. Im palliativen Arbeitsumfeld ergeben sich einige Aufgaben, welche sich darunter subsumieren lassen. Die Sektion Soziale Arbeit bei der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) definiert diese Zielsetzungen zusammenfassend wie folgt:

  • Unterstützung bei der eigenen Auseinandersetzung mit der Krankheit, dem Sterben und dem Tod sowie Integration dieses Prozesses in die Behandlungsplanung;

  • Herstellung und Förderung von Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit;

  • Minimierung von Gefahren der Stigmatisierung und der Isolation;

  • Achtung der Menschenwürde, Förderung der Solidarität.

Was sich ebenfalls zeigt, ist, dass das Wirken der Sozialen Arbeit sich in kleinen und alltagspraktischen Dingen manifestiert. Wer organisiert für die Klientin die persönlichen Gegenstände oder wer entsorgt diese später? Was passiert mit meinem Sohn, welcher aktuell in meiner Wohnung lebt, wenn ich nicht mehr da bin, oder mit wem kann ich über die organisatorischen Dinge für das Begräbnis sprechen? Hefel (2019) zeigt beispielhaft auf, dass viele dieser alltagspraktischen Aspekte in der Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit nicht thematisiert werden. Und Berthod & Magalhães de Almeida (2022) führen aus, dass genau diese alltäglichen Herausforderungen zwingend mehr eruiert und materiell in die Ausbildung integriert werden müssen, da die Soziale Arbeit Arbeitsweisen und Methoden kennt, sich hier koordinativ und inhaltlich einzubringen. So liegt es ihr, Themen oder Aspekten, welche «zwischen den Zeilen eines Pflichtenhefts» und damit über Vorgeschriebenes sich hinwegbewegen, zu antizipieren (S. 13–14).

Fachpersonen der Sozialen Arbeit werden zudem in ihrer eigenen Reflexionsfähigkeit intensiv geschult – und diese Fähigkeit bildet einen wesentlichen Gesichtspunkt im Umgang mit dem Sterben und dem Tod. Hier kommen persönliche und berufliche Einstellungen zusammen; es gilt diese zu differenzieren und es bedarf einer geschickten Verbindung zwischen eigenen Einstellungen, womöglich auch fürsorglichem Denken, fachlicher Reflexion und zugleich auch einer gewissen Spontanität, da insbesondere am Lebensende vieles der jeweiligen Situation angepasst werden muss. Krüger spricht hier davon, dass es in der Ausbildung somit nicht nur um individuelle Aspekte, sondern zugleich um eine kollektive Auseinandersetzung mit dem Tod gehen muss (2015, S. 38).Diese Kollektivität war bereits im Abschnitt 2.2 mit «Wunsch und Wirklichkeit am Lebensende» sichtbar. Obwohl jetzt hier einiges aufgezählt wurde, welches das professionelle Wirken der Sozialen Arbeit in der Palliative Care ausmacht, ist sie als Akteurin in dem Feld bestritten. Der generalistische Ansatz macht es schwierig, die spezifischen Kompetenzen zu fassen (Wasner, 2021, S. 164) – und so fehlt es auch an empirisch gesichertem Wissen zu spezifischen Fähigkeiten der Sozialen Arbeit in der Palliative Care. Wasner und Pankofen gehen gar so weit und sagen, es gehe nicht nur um die Kompetenzen, sondern es lasse sich ein Übergewicht beschreibender Aussagen zur Sozialen Arbeit und – ich ergänze – auch zu ihrer Praxis erkennen, aber der Grad an Theoretisierung sei noch zu gering (2021, S. 250–251). Somit gilt es nebst der Kompetenzdarstellung auch die Professionalität stärker zu beweisen.

5.2.1 Arbeitsprinzipien der Sozialen Arbeit am Lebensende

Menschen am Lebensende zu betreuen und zu begleiten, verlangt nach Unterstützung und nach Angeboten, welche die Lebensqualität, die Selbstbestimmung und die Würde bis an das Lebensende ins Zentrum stellen, zugleich aber das soziale Umfeld des Klienten bzw. der Klientin mitbedenken. Die Dimensionen Lebensqualität, Selbstbestimmung, Lebenswelt sowie Teilhabe gelten in Anlehnung an Heiner (2010) als wesentliche Arbeitsprinzipien im Wirken der Sozialen Arbeit über die ganze Lebensspanne und damit auch in unterschiedlichen Handlungsfelder. Das eigene professionelle Handeln an der Lebensqualität der Klientinnen und Klienten auszurichten, deren subjektives Erleben und die Befindlichkeit miteinzubeziehen, Selbstbestimmung zu ermöglichen und zu respektieren, zugleich aber auch Unterstützung und – wo nötig – fürsorgerische Pflichten stellvertretend, unter der Wahrung der gesetzlichen, aber auch partizipativen Prinzipien, wahrzunehmen, gehört zum Wirken der Sozialen Arbeit. Jeffrey führt aus, dass auch die Medizin die Patientin bzw. den Patienten als Experten bzw. Expertin ansieht, wenn es um die eigene Lebensqualität geht (2003). Das wird vorliegend auch nicht in Frage gestellt, im Gegenteil, diese Ansicht gilt wohl für alle Disziplinen, welche in die Begleitung am Lebensende involviert sind. Betrachtet man jedoch die Profession Soziale Arbeit und ihre sich über die Jahre hinweg entwickelten Arbeitsprinzipien, so wird deutlich, dass diese Profession sich der Bearbeitung von sozialen, existentiellen, praktischen sowie sinnbezogenen Fragen sehr bewusst ist. Sie unterstützt nicht nur, sondern sie ist es sich gewohnt, bei der Problembewältigung im Alltag aktiv mitzuwirken. Steffen-Bürgi führt aus, dass es zur Orientierung an der Lebensqualität erforderlich ist, «persönliche Bedürfnisse und Werte stets individuell und patientenbezogen zu erfassen und das im körperlichen, seelischen, sozialen, kulturellen und spirituellen Bereich» (2017, S. 43). Das allein bietet eine Orientierung – im Weiteren muss auch danach gehandelt werden und hier kommen Entscheidungsfindungsprozesse ins Spiel, welche zugleich Klienten-, familien- bzw. angehörigen- und ressourcenorientiert sein müssen; dies stets mit der obersten Maximen, den Menschen am Lebensende und deren Angehörigen eine würdevolle, bedürfnisgerechte psychosoziale Unterstützung zu geben. Heuer et al. (2015) beziehen sich hierfür auf Feldmann und beschreiben, dass das professionelle Handeln im Feld von Sterben und Tod zu einer «diskrepanten Herstellungspraxis» wird (S 260).

Es geht dabei nicht nur um das Bearbeiten von offenkundigen Schwierigkeiten, welche mit der Krankheit und dem Lebensende verbunden sind, sondern darum, existenzielle Fragen oder Probleme, welche die Klientel oder die Angehörigen infolge der terminalen Erkrankung ereilen, erstmal sichtbar zu machen. Eine erste grössere Studie dazu führte schon Kübler-Ross 1969 durch. Damit Unterstützung geleistet werden kann, bedarf es einer Problembestimmung, so ihre Annahme. Kübler-Ross legt in ihrer Publikation «On Death and Dying» (1971) dafür ein Modell vor. Dieses Modell, welches einer ihrer ersten Forschungsarbeiten entstammt, fokussiert sich auf den Umgang mit Menschen am Lebensende in verschiedene Phasen. Diese Phase können einerseits dazu genutzt werden, den Menschen in seiner Situation besser einzuschätzen, und andererseits dafür, Aufgaben und Leistungen gewisser Professionen zuzusprechen. Gemäss ihrem Phasenmodell durchläuft ein Mensch am Lebensende folgende Phasen:

  • Phase 1: Hoffnung auf Irrtum/Nicht-Wahrhaben-Wollen: Die Person hofft darauf, dass die Diagnose, welche sie erhielt und zum Tode führt, nicht korrekt ist und einem Irrtum unterliegt.

  • Phase 2: Frage nach dem Warum: Die Diagnose wurde angenommen, doch jetzt reagiert die betroffene Person negativ auf die Umwelt, ist wütend und fragt sich, warum es ausgerechnet sie traf.

  • Phase 3: Wunsch nach Aufschub: Mit Aufschub ist ein Zeitgewinn gemeint. Der betroffene Mensch versucht, sich mit Therapien, kooperativem Verhalten, spirituellen Mittel noch etwas Zeit zu verschaffen, um allfällige wichtige Ereignisse im Leben seiner Mitmenschen noch mitmachen zu können.

  • Phase 4: Trauer um vergebene Chancen: Die betroffene Person verfällt wie in eine «Depression» (nicht nur im diagnostischen Sinne). Er trauert um vergebene Chancen im Leben, um das eigene Leben, das er verlieren wird. Sterbende hätten ein grosses Mitteilsbedürfnis in dieser Zeit und würden sich auch darum kümmern, wichtige Fragen zu klären, wie es für die Angehörigen nach dem Tod weitergehen wird.

  • Phase 5: Abkopplung von der Umwelt: Diese Phase würde gemäss Kübler-Ross nicht alle Sterbenden erreichen. Der Sterbende hätte sein Schicksal voll und ganz akzeptiert. Er würde sich langsam von der Umwelt abkoppeln und keine grösseren Wünsche mehr äussern (vgl. 1971, S. 59 ff).

Diese Systematisierung in fünf Phasen kann für das professionelle Handeln für verschiedene Professionen eine Orientierungshilfe sein. Wegen der fehlenden wissenschaftlichen Fundierung wird es aber stark kritisiert und – wie Krüger (2017) in Anlehnung an Niemeyer (2015) formuliert – in der «gegenwärtigen Literatur weitgehend verworfen» (S. 77 bzw. S. 309). Beide beziehen sich dabei auf eine Studie von Schulz und Adermann (1974), die aufzeigte, dass die Behauptungen von Kübler-Ross, dass unheilbare Patienten kurz vor ihrem Tod diese fünf Stadien durchlaufen, so nicht belegbar ist.

«Their data show the process of dying to be less rigid and even stageless. There is some consensus among all researchers that terminal patients are depressed shortly before they die, but there is no consistent evidence that other affect dimensions characterize the dying patient» (1974, S. 137).

Es ist richtig: Der Sterbeprozess verläuft weniger starr und kann gar stufenlos sein. Das Sterben geht nicht in systematisierbaren Phasen von statten, sondern in unbestimmten, eben gerade nicht systematisierbaren Phasen (1974, S. 145). Dieser Umstand machte es insbesondere für Professionen, wie die Soziale Arbeit eine ist, erneut schwierig, ihr professionelles Handeln an gewissen Eckwerten darzulegen. Es mag sein, dass die Phasen so nicht von allen Klientinnen und Klienten systematisch durchlebt werden und weitere empirische Fundierung benötigen, dennoch zeigt sich, dass existentielle Fragen, Grenzbearbeitungsproblematiken, psychologische bzw. psychische Belastungen und grosse Unsicherheiten die Begleitung und Betreuung am Lebensende prägen. Schwerkranke Personen und deren Angehörige erleben immer wieder emotional anspruchsvolle Momente, unplanbare Situationen und in diesen auch ein grosses Gefühl der Ohnmacht. Diese Momente stellen hohe Ansprüche an die Fachlichkeit sowie die Kommunikation und stellen die Beziehung zwischen erkrankter Person, Angehörigen und der Fachperson bzw. der jeweiligen Fachpersonen vor grosse Herausforderungen. Die Herausforderung bewegt sich oftmals zwischen der Frage, wie viel Nähe und menschlicher Zuwendung und wie viel Fachlichkeit, welche zugleich auch als Distanz wahrgenommen werden kann, es bedarf und wer diese Fachlichkeit wie herstellen kann. Müller führt aus, dass «der Kern der Begleitung in der Solidarität des Unterstützenden, das heisst in seiner Bereitschaft, den Kranken nicht alleinzulassen, an seiner Geschichte teilzunehmen und ihm Anteil entgegenzubringen» liegt (2017, S. 409). Hiermit orientiert sich Müller sehr an einem altruistisch-fürsorglich geprägten Professionsverständnis, welches auch ich im normativ-ontologischen Modell (vgl. Abschnitt 4.3) ausführte. Er verwirft damit auch nicht die Phasen von Kübler-Ross, bezieht sich aber auch nicht direkt auf diese. In einer anschaulichen Grafik in vier TeilenFootnote 6 mit dem Titel «das Chaos psychosozialer Nöte I–IV» zeigt Müller auf, welche vielfältigen Herausforderungen Menschen am Lebensende äussern und ereilen. Zusammenfassen lassen sich diese wie folgt (vgl. dazu S. 412 f.).:

  • Unsicherheit, Panik vor dem Nicht-sein und vor dem Alleinsein;

  • Angst, sich mitzuteilen, Angst vor Schmerzen;

  • Wut und Reue;

  • Abhängigkeit, Verlust von Autonomie und Entscheidungskompetenz;

  • Scham, Ekel;

  • Glaubens- und Gewissensfragen, spirituelle Unruhe;

  • Familienprobleme, Verlust sozialer Stellung und Prestige;

  • Erbfragen, Finanzen und administrative/rechtliche Regeln nach dem eigenen Tod.

Die Aufzählung zeigt: Es sind existenzielle Fragen auf unterschiedlichen Ebenen – und nicht alle Fragen und Nöte beschäftigen Menschen am Lebensende gleich intensiv. Was aber auffällt: Diese Fragen und Nöte sind nicht immer offenkundig, sei es für die Klientel selbst, Angehörige oder insbesondere für die Professionellen – deshalb gilt es, diese erst einmal zu erfragen oder zu erueiren, die Mitteilung des Gegenübers aufzunehmen und sodann gemeinsam mit dem Klienten bzw. der Klientin zu ordnen. Müller spricht hier von einem Vorgehen, das «kühl klingen mag», doch dieses Entwirren der Sorgen und Gefühle bietet die Chance, sich dem Gefühlszustand und somit den psychosozialen Aspekten anzunähern und später dafür Ziele abzuleiten (2017, S. 410). Wasner ist der Ansicht, dass es genau dafür auch ein gewisses Grundkenntnis im Beziehungsaufbau und der Gesprächsführung benötige (2011, S. 652), welche nicht von angestammten Professionen wie der Medizin oder Pflege übernommen werden können.

Insbesondere Gespräche über die Zielformulierung würde im Bereich der psychosozialen Aspekte noch zu wenig angewendet. Versteht man sich jedoch als Profession, so wie es die Soziale Arbeit tut, welche die Lebenswelt der Klientinnen und Klienten und deren Lebensanschauung miteinbezieht, führt das dazu, dass diese Lebenswelt auch seinen Platz im alltäglichen Umgang finden muss. Genau wie der Arzt bzw. die Ärztin mittels Anamnese versucht, Faktoren für den Gesundheitszustand und die Krankheit zu ermittelt, setzt sich die Soziale Arbeit gleichermassen mit einer Sozialanamnese bzw. Psychosozialen Anamnese (Fischer, 2014) auseinander bzw. wendet diese an. Durch gezieltes Erfragen und Nachfragen wird versucht, dem Gegenüber Raum für das Erzählen der Sorgen und Ängste einzuräumen, das soziale Netzwerk, in welches die Klientin bzw. der Klient eingebunden ist, zu erfassen, eigene Lebenseinstellungen sowie wichtige Elemente, über die sich das Gegenüber definiert, zu erfragen. Doyle (1999) spricht hier vom Schaffen eines Raumes, wo Wachstum trotz zeitlicher Begrenzung möglich wird. All diese Aspekte sichtbar zu machen, aufzuarbeiten und gar zulassen, kann heftige Gefühlsreaktionen bis hin zu mentaler Ohnmacht auslösen. Das Gefühl von Hoffnungs- und Sinnlosigkeit, welches auch in soziale Isolation münden kann, sowie Entfremdung von eigenem Umfeld sind Schwierigkeiten, mit welchen die Klientinnen und Klienten am Lebensende häufig zu kämpfen haben. Fachlich wird hier vom sog. «Demoralisierungsproblem» gesprochen, denn die Betroffenen verhalten sich passiv, distanziert und ziehen sich immer mehr zurück (Bitschnau, 2017, S. 115, in Anlehnung an Kissane & Clarke, 2001). Für Angehörige sind diese Entwicklungen sehr belastend – und der Umstand, dass teils ja die Perspektive auf eine Zukunft nicht mehr vorhanden ist, erschwert den Zugang zum Angehörigen.

Eine Methode, um die psychosoziale Anamnese umzusetzen, ist die Biografiearbeit. Hierbei geht es darum, dass der Klient bzw. die Klientin nicht nur seine Stationen im Lebenslauf aufzählt, sondern, dass ein Herstellen einer «Erinnerungsarbeit über das gelebte Leben» (Fischer, 2014, S. 117) oder, wie es Mieth formuliert, ein «strukturiertes, angeleitetes Erinnern» (2011, S. 23) initiiert wird. So soll erreicht werden, dass die eigene Geschichte nochmals erzählt oder womöglich davon Abschied genommen werden kann. Durch das Erzählen der eigenen biografisch relevanten Momente lassen sich auch Ressourcen oder gar vorhandene Copingstrategien der Klientel ermittelt (Fischer, 2014, S. 118). Die Biografiearbeit kann auch sogenannte unerledigte Dinge sichtbar machen, denn das systematische Erfragen von Stationen oder das Anregen zur eigenen Erzählung kann Ungelöstes oder auch bisher Unausgesprochenes aufdecken.

Die vorher skizzierte Vorgehensweise mit dem Erfragen und der Schaffung eines Raumes kann einen Weg und damit einen Zugang bieten, der sterbenden Person einen für ihn bzw. für sie stimmigen Prozess des Abschiednehmens anzugehen. Durch das Formulieren von Zielen, das Umlenken der Sinnlosigkeit in einen Prozess des individuellen «Angehens» und damit auch des individuellen Bewältigens des Sterbens, kann ein Vorgehen geschaffen werden, das den sterbenden Menschen und seine Angehörige in eine aktive Rolle versetzt (Müller, 2017, S. 409). Das Sterben wird so zu einem individuellen und bewusst gestaltbaren Prozess.

Was in der Debatte um die Soziale Arbeit in der Palliative Care etwas Irritation auslöst, ist die Feststellung von Oliviere (2001), dass sie eine «exzentrische Rolle» einzunehmen hat. Damit fokussiert er sich aber nicht auf einen negativen Aspekt, wie jenen der Extravaganz oder Überspanntheit gegenüber anderen Professionen. Das Exzentrische bezieht sich darauf, dass die soziale Dimension in der Betreuung in der Praxis zu oft nur am Rande interessiert, jedoch einen grossen Einfluss auf die körperliche Dimension der Klientel am Lebensende hat. Fachpersonen der Sozialen Arbeit tragen hier die Aufgabe und zugleich auch die Verantwortung, diese Perspektive der sozialen Dimension sichtbar zu machen, zu bearbeiten und diesen als «Stressor und Ressource zugleich» zu betrachten (Bitschnau 2017, in Anlehnung an Oliviere, S. 116).

Wie Heuer et al. (2015) in ihrer Studie zeigen konnten, spielen die Sinnlogiken, welche Fachpersonen für ihr professionelles Handeln heranziehen, auch eine grosse Rolle, um das Handeln an sich verständlicher und nachvollziehbarer zu machen. Ihre Studie fokussiert das «Erschliessen professioneller Konstruktionsleistungen» im Feld von Sterben und Tod (S. 262) – und dabei wurden verschiedene Professionen in den Blick genommen. Für die Soziale Arbeit konnten die Forschenden u. a. empirische Belege bezogen auf das Dienstleistungsverhältnis und die Transformation des professionellen Handelns ausmachen. Dabei zeigte sich, bezogen auf das professionelle Handeln bzw. Selbstverständnis von Fachpersonen der Sozialen Arbeit, ein markanter Unterschied zwischen Fachpersonen, welche in Hospizen arbeiten, und solchen, welche auf Palliativstationen in Spitälern oder Langzeitabteilungen tätig sind. Um es vorwegzunehmen: In Anlehnung an Foucault (1967) formulieren Heuer et al. (2015), dass Hospize als sog. «Heterotopien», was übersetzt werden kann mit anderen Orten, welche nach eigenen Regeln funktionieren und in besonderer Weise gesellschaftliche Entwicklungen repräsentieren, gedacht werden können (vgl. Foucault, 1967, S. 317 f.).

Für die Soziale Arbeit auf Palliativstationen scheint die zeitliche Begrenzung bedingt durch den unmittelbar bevorstehenden Tod keine nicht zu überwindbare «Grundsituation für das professionelle Handel» zu sein (S. 266). Die Soziale Arbeit richtet ihr Handeln auf ein zielorientiertes Problemlöseverständnis, gerade in Anbetracht der zeitlichen Dimension. Sie differenziert ihr Handeln auch nicht, im Gegenteil, sie kann ihr Handeln «irritationslos in die Situation des baldigen Sterbens ihrer Klientinnen und Klienten» (S. 268) übertragen. Die Begleitung an den Lebensenden wird somit nicht als ein Sondersetting betrachtet, sondern erscheint der handelnden Fachperson, vorliegend der Sozialarbeiterin, als Arbeit, welche zwar individualisierte Aspekte beinhalten muss, jedoch dennoch als «standardisierten Prozess» vor sich gehen kann (ebd., S. 268). Für die Soziale Arbeit in Hospizen konnte ein Loslösen von professionellem Selbstverständnis von Problembearbeitungslogiken in dem Sinne rekonstruiert werden, dass einerseits keine festen Strukturen oder Abläufe in der Begleitung vorhanden waren und es so zu «amorphen Aufgabenbereichen» für die Soziale Arbeit kommt, womit unbestimmte Zuständigkeiten und gestaltlose Aspekte gemeint sind. Auf der anderen Seite zeigte sich, dass die Beziehungsgestaltung einen höheren Stellenwert erhält und diese sich auch noch mehr auf persönliche Aspekte und Kenntnisse bezieht, als es für ein professionelles Setting normalerweise der Fall ist. Damit ist gemeint, dass beispielsweise «Nähe und Distanz» noch mehr ineinander übergehen können – oder aber auch, dass das Erfüllen von persönlichen Wünschen der Klientinnen und Klienten einen hohen Stellenwert erhält (S. 271). In Anlehnung an Peter (2010) formulieren Heuer et al. (2015), dass die Orte somit eine einen Einfluss auf die Konstruktion der Professionalität einnehmen und zugleich Unterstützung und Handlungsspielraum, aber auch Herausforderung und Grenzen für das professionelle Handeln mit Sterbenden bergen (S. 272).

Die Beschränkung der zur Verfügung stehenden Zeit löst auch bezogen auf das professionelle Handeln ein Moment der Irritation und Unsicherheit aus. Heuer et al. (2015) führen hierzu das Konzept der Alltagszeit in Anlehnung an Alheit (1988) ein. Für die Soziale Arbeit spielt die Alltagsgestaltung per se schon eine wesentliche Rolle, doch infolge der zeitlichen Begrenzung von Personen am Lebensende erscheint nicht mehr die Perspektivität, sondern der gegenwärtige Moment, welcher sich in der Alltagszeit manifestiert, als wesentlich. Genau diese zeitliche Komponente kann einen Einfluss auf die selbst erlebte Handlungsfähigkeit der Professionelle haben. Die Planung von Massnahmen und deren Umsetzung können nicht nur plötzlich gegenstandslos werden, sie können auch die Handlungslogiken unterwandern, da plötzlich ein unsystematisches Vorgehen oder gar eines, das diametral zur eigenen Professionslogik steht, gewählt werden muss. Das Spannungsfeld für Professionelle der Sozialen Arbeit richtet sich, in Anlehnung an Heuer et al. (2015, S. 274), hier jeweils daran aus, dass «klassische Bearbeitungslogiken» plötzlich von individuellen Bedürfnissen und Vorgehensweisen unterwandert werden. Dies führt dazu, dass an das Handeln bzw. die Handlungspraxen der Sozialen Arbeit sehr hohe Anforderungen in Bezug auf das Agieren, das Kommunizieren und zugleich das Reagieren gelten (ebd., S. 275). Dies gilt womöglich auch für das Koordinieren von Hilfeleistungen mit und gegenüber anderen Professionen.

5.2.2 Berufsprofil der Sozialen Arbeit in der Palliative Care

Wie an anderer Stelle angesprochen, existiert einerseits aus dem Jahr 2002 ein Berufsprofil vom Dachverband Hospiz Österreich und andererseits eines aus dem Jahr 2012 von der Deutschen Gesellschaft für Palliative Care (DPG). Das von der DPG verfasste Berufs- bzw. Tätigkeitsprofil für die Soziale Arbeit in der Palliative Care wird auch in der Schweiz angewendet. Dieses verfasste Profil legt Auftrag, Aufgaben und Handlungsmethoden dar – und zusätzlich werden fachliche und persönliche Voraussetzungen für das Tätigsein im Feld für die Soziale Arbeit definiert.Footnote 7 Es werden darin sechs Grundprinzipien definiert, worunter sich jeweils weitere Aspekte, bezogen auf die damit verbunden Umsetzung in der Praxis, befinden – wobei angemerkt sei, dass das sechste Grundprinzip mehr ein perspektivischer Blick in die Zukunft und somit kein Beschrieb einer beruflichen Tätigkeit bzw. einer Voraussetzung ist. In dem Sinne spreche ich auch nachfolgend von 5 Grundprinzipien. Augenfällig ist, dass es sich teils um eine doch grössere Ansammlung von Arbeitsprinzipien und Fachtermini handelt, ohne diese im Speziellen auf das Handlungsfeld Sterben und Tod zu beziehen. Es entsteht auch hier der Eindruck, in Anlehnung an Wasner (2021), dass die Aufzählung eher beschreibender als empirisch fundierter Natur ist. Fischer (2014) spricht gar von einer Inhaltsliste, die «summarisch, aber nicht systematisch» das Leistungsspektrum der Sozialen Arbeit abgebildet (S. 241). Das Berufsprofil formuliert zwar Qualitätserwartungen, welche für das berufliche Verständnis wichtig sind, doch für das professionelle Handeln an sich wären diese in «Qualitätszusagen» umzuwandeln (ebd.).

Um einen fachlichen Einblick zu geben, wird das Berufsprofil aus dem Jahr 2012 vorliegend zusammenfassend dargestellt. Die Grundprinzipien werden übernommen, die darunter gefassten Tätigkeiten und Beschreibungen werden kursorisch ausgeführt. Aufgrund dieses Vorgehens zeigt sich das Berufsprofil wie folgt.

  1. 1)

    Grundprinzip: Inter- und Multiprofessionalität

    Dieses Prinzip ist geprägt von der Ganzheitlichkeit der Begleitung am Lebensende. Um die Lebensqualität der Klientinnen und Klienten bis an das Lebensende zu garantieren, bedarf es eines mehrperspektivischen und multiprofessionellen Ansatzes.

  2. 2)

    Grundprinzip: Auftrag

    Ausgehend vom Verständnis, dass Soziale Arbeit Menschen in besonderen sozialen Problemlagen unterstützt, soziale Teilhabe fördert sowie Ressourcen stärkt und Selbstbestimmung fördert, ergeben sich für die Sozialen Arbeit in der Palliativ Care folgende schwerpunktmässige Aufgaben:

    • Unterstützung bei der Diagnoseverarbeitung;

    • Förderung von Teilhabe und Vermeidung von sozialem Ausschluss;

    • Vermeidung von Stigmatisierung;

    • Unterstützung bei der Wahrung und Ermöglichung von Selbstbestimmung;

    • Förderung von solidarischem, mitmenschlichen Verhalten.

  3. 3)

    Grundprinzip: Kernaufgaben und Handlungsmethoden

    Es wird zwischen Beratungs-, Begleitungs- und Koordinationsleistungen unterschieden, welche auch als Kernaufgaben zu lesen sind, und es werden verschiedenen Methoden ausgeführt.

    Zu den Beratungsleistungen gehören Beratungen bezogen auf

    • die Krankheit und diesbezüglichen Unterstützungsleistungen,

    • soziale, ökonomische oder rechtliche Fragestellungen,

    • Pflege und Versorgung bzw. Unterbringung,

    • Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung,

    • ethische Fragestellungen.

    Begleitungsleistungen betreffend die Klientel und die Angehörigen. Hierbei wird ein Fokus auf bio-psycho-soziale Begleitung gelegt. Körperliche, psychische bzw. seelische sowie spirituelle und soziale Bedürfnisse stehen gleichermassen im Zentrum.

    Zu den Koordinationsleistungen zählen

    • das Eruieren von ethisch-rechtliche Entscheidungsprozesse betreffend Behandlungen sowie die Regel von gesetzlichen Vertretungen sowie Patientenverfügungen,

    • interne und externe Netzwerkarbeit zu andere professionellen Fachpersonen und/oder Ehrenamtlichen,

    • Koordination und Steuerung von unterschiedlichen Hilfsangeboten von Seiten der Professionellen und der Ehrenamtlichen,

    • Vernetzung zwischen Professionellen und Ehrenamtlichen.

    Methodisches Vorgehen:

    • Förderung der Kommunikation zwischen Klientinnen und Klienten und Professionellen sowie weiteren Fachpersonen aus dem multiprofessionellen Team;

    • Moderation von Teamgesprächen, kollegiale Beratung;

    • Moderation von Fallbesprechungen;

    • Wissenssicherung mittels Inter- und Supervisionen.

  4. 4)

    Grundprinzip: Qualifizierung/fachliche Kompetenzen

    Betreffend die Qualifizierung für die Tätigkeit wird ein Bachelor oder Master in Sozialer Arbeit bzw. ein Abschluss der höheren Fachschule (HF) oder Fachhochschule (FH) vorausgesetzt. Es wird sodann zwischen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen differenziert:

    • persönliche Voraussetzungen: Bereitschaft, sich mit Krankheit, Tod und Sterben auseinanderzusetzen und in einem multiprofessionellen Team zu arbeiten;

    • fachliche Voraussetzungen: besonderes fachliches Verständnis für Schnittstellenkompetenz zur Zusammenarbeit mit anderen Professionen und besondere Kompetenzen in der umfassenden Beratung im Bereich psychosoziale Unterstützung.

    Interessant ist, wie das Berufsprofil der DGP bei den fachlichen Kompetenzen im Weiteren auf die sog. Schlüsselkompetenzen der Sozialen Arbeit nach Maus et al. (2010) rekurriert. Diese gelten nicht spezifisch für das Handlungsfeld Sterben und Tod, sondern wurden von den Autoren als generell wichtige Kompetenzen für das berufliche Handeln der Sozialen Arbeit definiert, die wie folgt lauten:

    • systemische Beratung und dazugehörige Sichtweise;

    • spezifische Methodenkompetenzen in der Krisenintervention und Netzwerkarbeit;

    • sozialrechtliche Kompetenzen betreffend gesetzliche Grundlagen der Finanzierung und anwaltschaftliches Handeln;

    • sozialadministrative Kompetenzen, administrative Tätigkeiten

  5. 5)

    Grundprinzip: ethische Grundhaltung

Bereits bei den fachlichen und den persönlichen Voraussetzungen war erkenntlich, dass Fachpersonen über eine ausgeprägte ethische Grundhaltung verfügen und diese auch reflektieren können. Dazu gehört es, den Tod als natürlichen Teil des Lebens zu betrachten und Menschen am Lebensende mit Würde zu begegnen.

Ein abschliessender Blick auf das von der DPG erstellte Berufsprofil für die Soziale Arbeit verdeutlicht, dass sich das Handlungsfeld mit zahlreichen Aufgaben zu befassen hat, die teils sich nicht zwingend von andere Handlungsfelder der Sozialen Arbeit unterscheiden. Das Grundprinzip 1) der Multi- und Interprofessionalität wird sehr rudimentär beschrieben. Leipzig et al. (2002) wie auch Hart & Matorin (1997) legen hier eine klarere Positionierung dar – und das gar auf die Funktion der Sozialen Arbeit zugespitzt: «Eine Stärke von Fachkräften der Sozialen Arbeit ist es, die Kommunikation im Team nachhaltig zu fördern und die andere Teammitglieder beim Umgang mit schwierigen Gefühlen und Krisensituationen zu unterstützen» (S. 1141 bzw. S. 1549). Die Soziale Arbeit wird als besonders kompetent diesbezüglich beschrieben und besitzt die Fähigkeiten, einerseits Ressourcen von Teammitgliedern offenzulegen sowie die Arbeit auf viele Schultern verteilen zu können.

Die Soziale Arbeit besitzt gemäss Student et al. (2020) die «fundierteste psychosoziale Fokussierung und die breiteste Ausgestaltung» (S. 153) – und kann daher als eine wichtige Ergänzung zu den anderen Berufsgruppen gesehen werden. Student et al. sind weiter der Meinung, dass medizindominierte Berufsgruppen soziale Kompetenzen wie Wärme, Mitgefühl, Empathie zwar mitbringen, aber weniger darin geschult sind, diese auch umfassend einzusetzen, sowie ferner gar eher dazu geneigt sind, mit Aktivismus auf Leid zu reagieren, als mittels des Zuhörens, des Freilegens von Wünschen und eines bedürfnisorientierten Vorgehens diese Kompetenzen anzuwenden. Das Berufsprofil der DPG geht zwar auf das Koordinieren von Hilfeleistungen ein, doch wird es dabei nicht spezifisch. Die Aussage und die Feststellung im Berufsprofil, dass sich Soziale Arbeit im Feld der Palliative Care auf die Tätigkeit als «Case-Managerin» fokussieren sollte, macht es nötig, sich den Begriff nochmals in Erinnerung zu rufen. Gemäss Wendt (2018) kann unter Case-Management ein Prozess der Zusammenarbeit verstanden werden, in welchem «eingeschätzt, geplant, umgesetzt, koordiniert und überwacht wird und Optionen und Dienstleistungen evaluiert werden, um dem gesundheitlichen Bedarf eines Individuums mittels Kommunikation und mit den verfügbaren Ressourcen auf qualitätsvolle und kostenwirksame Ergebnisse hin nachzukommen» (S. 203). Neuffer fasst sich kürzer und fokussiert sich darauf, dass Case-Management v. a. Fall- und Systemsteuerung mache und dafür «personelle und institutionelle Netzwerkarbeit» einbinde und so den «Aufbau eines professionellen und nicht professionellen Unterstützungssystems» umsetze (S. 22). Case-Management ist in der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen wie aber auch in der Arbeitsintegration stark verbreitet. Die Gründe liegen oftmals in der Komplexität der Fälle bzw. der Problemlagen der Klientinnen und Klienten. Die zu eruierende Unterstützung bedingt, dass viele Handlungsschritte aufeinander abgestimmt werden müssen und mehrere Personen bzw. Organisationen in die Fallführung zu integrieren sind. Oberstes Ziel ist es, eine sinnvolle sowie angemessene Steuerung und Koordination der Versorgung für die Klientel bzw. und sein soziales Umfeld zu erreichen (Wendt, 2018, S. 173). Es ist erstaunlich, dass das Berufsprofil von Seiten der DPG nicht auf diesen Fachterminus nicht eingeht, es reicht jegliche für eine Umschreibung im Sinne der Koordination.

Was im Berufsprofil der DPG, bei Student et al. (2020) sowie bei Wasner (2010) als Kernauftrag jeweils genannt wird, ist die psychosoziale Beratung. Diesen Ausdruck verwendet auch die bereits erwähnte WHO-Definition von Palliative Care. Folgt man Forster (2014), so zeigt sich, dass der Übergang von sozialer Beratung zu psychosozialer Beratung fliessend sein kann. Ferner entwickelt dieser sich auf drei Ebenen: der sachlichen (1), der emotionalen (2) und der appellbezogenen (3) Ebene (S. 130). Auf der ersten Ebene geht es darum, Fakten, Anliegen und Gründe zu klären – für die aktuelle Situation sowie womöglich für die nächsten Schritte. Bei der zweiten Ebene liegt der Fokus auf der Klientin bzw. dem Klienten selbst. Welche Ängste, Gefühle und emotionalen Zustände liegen vor? Bei der dritten Ebene wird der genaue Bedarf ermittelt und überlegt, was von Seiten der Fachperson übernommen wird und was womöglich auf weitere Personen verteilt bzw. weiterkoordiniert werden kann (ebd. 2014, S. 130). Wichtig zu sehen ist, dass das Eruieren von psychosozialen Bedürfnissen auch dazu führen kann, dass spirituelle oder sinnbezogene Themen an Bedeutung gewinnen bzw. später durch eine weitere zuständige Profession bearbeitbar werden. In dem Sinne können psychosoziale und spirituelle bzw. moralisch-ethische Fragestellung eng verknüpft sein, weshalb es auch in der Praxis vorkommt, dass die Sozialen Arbeit sich eng mit der Seelsorge bzw. Spiritual Care vernetzt. Nestmann (2008) legt eine Definition der psychosozialen Beratung vor, welche sich nebst der Information und der Freilegung von Optionen zur Bewältigung von Problemen bzw. Krisen auch daran orientiert, «Anregung zur Entfaltung von Kräften zur Entwicklung im Lebenslauf» zu sein (S. 72). Wie später im Kapitel 7 ersichtlich wird, orientieren sich die Fachpersonen der Sozialen Arbeit besonders am Potenzial des Freilegens von Kräften, Bedürfnissen und Optionen für ihre Klientel am Lebensende, womit die Definition Nestmanns auch auf das Lebensende hin sein Potenzial entfaltet.

5.3 Soziale Arbeit am Lebensende: Situation in der Schweiz

Bereits einleitend sowie zu Beginn des vorliegenden Kapitels 5 wurde deutlich, dass die Schweiz (noch) über keine flächendeckende Hospizversorgung verfügt. Die Umsorgung am Lebensende wird mehrheitlich über die palliative Versorgung von Spitälern oder spezifischen Palliativstationen sowie die sich im Aufbau befindenden mobilen Palliative Care Dienste sichergestellt.

In den umliegenden Ländern haben sich bereits seit 1970er Jahren Hospize und professionelle Versorgungsstrukturen etabliert, exemplarisch Deutschland und Österreich. Fast zeitgleich hat sich auch die ambulante Hospizarbeit weier mitentwickelt, um die Versorgung von Menschen am Lebensende ebenso für ländlichere und periphere Bevölkerungskreise sicherzustellen und auch um dem Wunsch «zu Hause zu sterben» als umfassendes Konzept zu ermöglichen (Pleschberger, 2007). In der Schweiz trat die Entwicklung mit der Gründung von Hospizen erst in den 1980ern und so dann ab den 2010er Jahren verstärkt ein. Eine Institution, welche in der Zeit der 1980er Jahren schweizweite Bekanntheit erlangte, ist das Lighthouse in Zürich, ursprünglich für Aids-kranke Menschen gegründet, und heute eines der grösseren Hospize. Es gilt heute als ein Kompetenzzentrum, welche die Soziale Arbeit seit Beginn zu ihrem Leistungsangebot zählt.Footnote 8

Seit den 1980er Jahren haben sich so dann in verschiedenen Kantonen nur sehr zögerlich weitere Hospize entwickelt und von einer wirklichen Hospizbewegung kann erst seit den 2010er Jahren gesprochen werden. Zu dieser Zeit wurde die Nationale Strategie für Palliative Care (2010 – 2015) vom Bund bzw. vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) gemeinsame mit den Kantonen etabliert. Der Fokus lag auf einer Bedarfsanalyse und einer ersten Strategieentwicklung.  

Im Vergleich zu Deutschland oder Österreich sind das rund 40 Jahre später. Erklären lässt sich dies damit, dass die Schweiz zuerst vornehmlich auf den Ausbau der Palliative Care und diesbezügliche Palliativstationen gesetzt hat. Medizinische und Therapeutische Massnahmen wurden favorisiert, ausgebaut und intensive Forschung, besonders zu Krebstherapien betrieben. Dieser Entwicklung steht eine starke Hospiztradition gegenüber. Sie fokussiert auf die bio-psychosoziale Begleitung und Betreuung am Lebensende. In dem Sinne zeigt sich für den Schweizer Kontext in Anlehnung an Pleschberger (2007) eine eher gegensätzliche bzw. dialektische Entwicklung. Ich fasse diese wie folgt auf: Die Schweiz hat zuerst den Forschungs- und damit verbundenen Entwicklungsbedarf für den Themenkomplex Sterben, Tod und Trauer in der Medizin und Pflege analysiert und ausgebaut und schafft nun nachgelagert Strukturen in der Versorgung in Form von Hospizen und weiteren mobilen Versorgungsstrukturen. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass die Soziale Arbeit nicht von Beginn an einen hohen Stellenwert zukam und dass sie auch heute noch, eher stiefmütterlich in gewissen Institutionen und in der Öffentlichkeit verankert ist.

Eine erste wichtige Forschungsstudie, welche sich mit der palliativmedizinischen – nicht mit der Verankerung der Sozialen Arbeit in der Palliative Care – Begleitung auseinandersetzt, geht auf das Jahr 2008 zurück. Darin zeigte sich, dass die Versorgungsstrukturen in den Kantonen sehr unterschiedlich ausgestaltet sind und es deshalb grössere multiprofessionelle Teams benötige, um die Versorgung umfassender sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund wurde vom Bund die erste «nationale Strategie Palliative Care 2010 – 2012» verabschiedet. Sie befasste sich generell mit einer umfassenden Versorgung und Vernetzung von Angeboten am und für das Lebensende (Eychmüller et al., 2010, S. 409 f.). 2011 startete diese nationale Strategie für Palliative Care und daraufhin 2012 das nationale Forschungsprojekt «Lebensende» (NFP 67)Footnote 9, welches 2018 bzw. 2019 abgeschlossen wurde. Das Forschungsprojekt des Nationalfonds umfasste 33 Projekte mit Fragestellungen zur Versorgung (medizinisch und pflegerisch), zu den Orten und Formen des Sterbens in der Schweiz, betreffend Entscheidungsfindungen am Lebensende sowie zu ethischen, rechtlichen, finanziellen und sozialen Fragestellungen um das Sterben. Bezogen auf die Soziale Arbeit gab es zwei Projekte, wo u. a. die Beratungsleistungen der Sozialen Arbeit bezogen auf die Verarbeitung eines Verlustes eines Elternteils sowie im Hinblick auf die Entscheidungsfindung am Lebensende näher angesehen wurden (vgl. Synthesebericht, 2019). Weitere empirische Arbeiten finden sich im NFP 67 zur Sozialen Arbeit und ihrer Rolle in der Palliative Care nicht. Im Bericht wird darauf verwiesen, dass der Bund vier Themenfelder ausmacht, welche für die Begleitung und Betreuung am Lebensende angegangen werden müssen. Im Bereich der psychosozialen Unterstützung müsse unbedingt das Themenfeld «Behandlung und Betreuung von Menschen mit einer komplexen Symptomatik in der letzten Lebensphase» verbessert werden. Was dies in der Umsetzung und somit bezogen auf konkret Massnahmen für einzelne Professionen im Feld der Palliative Care bedeutet, verbleibt im Synthesebericht aber auch in der erneuten Positionierung vom Bundesrat unklar. Einzig der Aspekt der Finanzierung über eine Neuregelung einer Tarifierung von Leistungen am Lebensende erscheint im Bericht als klare Vorgabe (vgl. S. 6). Der Synthesebericht schliesst mit insgesamt 11 Impulsen und der letzte Impuls zeigt deutlich auf, die Sterbeforschung in der Schweiz ist erst in ihren Anfängen, doch «angesichts des demografischen Wandels wird die Betreuung und Begleitung Sterbender an Bedeutung gewinnen» (2019, S. 53). Mittlerweile haben sich weitere Forschungsprojekte etabliert, allerdings nicht mit Fokus auf das Sterben, sondern auf die Altersforschung bzw. die Gute Betreuung im Alter im Allgemeinen.Footnote 10

Von Seiten der Caritas Luzern, der Age-Stiftung und der Hochschule Luzern wurde 2013 eine Begleitforschung zum Thema «Begleitung in der letzten Lebensphase» umgesetzt (Jenny, 2013). Der Fokus dabei war auf die koordinierten Hilfeleistungen gelegt, vermittelt von Freiwilligen und Fachleuten der ambulanten Palliative Care. Ziel war es, den Nutzen von Freiwillig und professionell Erbrachten Dienstleistungen für Betroffene und Angehörige sichtbarer zu machen. Es stellte sich heraus, dass Freiwillige nicht nur für Angehörige und Betroffene unterstützend und entlastend sein können, sondern für die Fachleute selbst. Die Stärke der Beziehung bzw. deren Ausgestaltung und die Kontaktaufnahmen mit den Klientinnen und Klienten sowie die Unterstützung dabei für andere Professionen waren wichtige Ergebnisse. Auf der anderen Seite stellte die Studienautorin fest, dass die Professionelle Soziale Arbeit kaum von anderen Fachpersonen, geschweige denn von den Angehörigen wahrgenommen wird (Jenny, 2013, S. 29). Die Gründe dafür konnte sie jedoch nicht spezifizieren. Exemplarisch gibt es noch die Studie von Zimmermann et. al. (2019) mit Fokus auf gesellschaftliche, rechtliche und individuelle Perspektiven auf das Lebensende in der Schweiz und die PELICAN Studie von Bergsträsser et al. (2016)Footnote 11 zur Versorgungssituation von Eltern mit einem terminal erkrankten Kind. Diese Studie nimmt indirekt die Aufgaben der Soziale Arbeit als Vermittlerin auf, wenn es um die spitalbedingte und stationäre Unterstützung von Eltern mit einem Kind mit einer lebensverkürzenden Diagnose geht. Seit dann bin ich auf keine weiteren Studien in der Schweiz gestossen, welche die Soziale Arbeit bzw. ihr Handeln in der Palliative Care direkt adressieren und ins Zentrum einer grösseren Forschung stellen. Studien zu Wirkungsmessungen der Sozialen Arbeit scheinen damit nicht nur in anderen Ländern, sondern in der Schweiz ebenfalls zu fehlen.

Im Herbst 2020 hat der Bundesrat, gestützt auf verschiedene Parlamentarische Vorstösse im National- und StänderatFootnote 12 eine erneute Positionierung und Zielsetzung zur Palliative Care in der Schweiz abgegeben. Dies auch in Anlehnung an die nationale Palliative Care-Strategie (2010 bzw. 2012–2015) und deren Ergebnisse aus dem NFP 67. In einem Statusbericht aus dem Jahre 2020 zur Erfüllung des Postulats wird aufgezeigt, dass es einer stärkeren Koordination und Interprofessionellen Zusammenarbeit im Bereich Begleitung am Lebensende brauche und das hierfür die Soziale Arbeit wesentliche Kompetenzen mitbringen. Zudem sei die Vorausplanung von Prozessen sehr wichtig, damit Bedürfnisse, Versorgungsanforderungen spezifisch ermittelt und frühzeitig geplant werden können (S. 28–29). In dem Bericht werden am Schluss fünf Handlungsempfehlungen ersichtlich und eines davon zeigt auf, dass das Angebot der Palliative Care nicht ausreichend in die Grundversorgung aufgenommen ist und es deshalb auch zu Ungleichheiten im Zugang zu diesen Angebote komme und dieser ungleiche Zugang ebenfalls weitere Ungleichheiten in der Versorgung von Klientinnen und Klienten am Lebensende bedeuten (S. 65).

Es werden aber keine direkten Bezüge zu einzelnen Professionen und deren Handlungs- bzw. Wirkungsfeld gemacht. Während der Coronapandemie war man sich zwar einig, dass die Pflege und die Betreuung zu den sogenannten systemrelevanten Berufen gehört. Neuste Diskussionen rund um die zunehmende Hochaltrigkeit zeigen zudem auf, dass der Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonen stark ansteigen wird und damit auch die Soziale Arbeit gefordert wird, ihre Unterstützungs- und Betreuungsleistungen als systemrelevante Tätigkeiten zu erbringen (Aner & Karl, 2020)Footnote 13, doch auch dieses Ergebnis hat bis jetzt noch nicht dazu geführt, dass professionelle über das Sterben nachgedacht wir bzw. das Sterbeforschung auch von Seiten der Sozialen Arbeit betrieben wird.

Aktueller Beiträge zum Thema Sterben und Tod bzw. Palliative Care und Soziale Arbeit in der Schweiz finden sich zwar im Herbst 2022 in der schweizerischen Zeitschrift SozialAktuell und deren veröffentlichen Themenreihe «Tod und Trauer». Gemäss Fernandez & Probst-Barroso (2022) werden 20 % der Menschen mit palliativer Situation in spezialisierten Palliativstationen und 80 % in sog. Allgemeiner Palliative Care in Alters- und Pflegeheimen, sozialpädagogischen Institutionen (Kinder- und Jugendheimen, heilpädagogischen Institutionen) oder Spitälern betreut. Ob mit spezialisierten Palliativstationen Hospize gemeint sind, bleibt leider unklar. Die Autorinnen halten aber eine interessante Differenzierung bezogen auf das Tätigsein der Sozialen Arbeit in diesen Institutionen fest. Sie argumentieren, dass sich in der spezialisierten Palliative Care die Fachpersonen der Sozialen Arbeit fachlicher und bewusster mit dem Lebensende auseinandersetzen, während in der allgemeinen Palliativ Care im Alltag zwar Berührungen in diese Richtung vorhanden seien, diese Berührung mit der Palliative Care aber «aufgrund fehlender Sachkenntnis oft gar nicht als solche erkannt wird» (S. 16). Auf welche Empirie sich hier die Autorenschaft stützt, bleibt offen. Die Argumentation deutet aber darauf hin, dass sich eine stärkere Auseinandersetzung mit dem beruflichen Handeln in der Palliative Care von Seiten der Sozialen Arbeit weiter lohnt.

Neusten Entwicklungen in der Forschung in der Schweiz zeigen, dass vermehrt Kosten-Nutzenanalysen zu Palliative Care angefertigt werden. Dabei werden monetäre (eingesparte Gesundheitsausgaben) als auch nicht-monetäre Nutzenkomponenten (z. B. bessere Lebensqualität und Selbstbestimmung) berücksichtigt (z. B Machbarkeitsabklärung im Bereich Palliative Care, Telser et al, 2014;Streck, 2016). Zudem unternehme die Kantone individuelle Bestrebungen, die mobile Palliative Care Versorgung (MPCD) in ihren Regionen auszubauen. Aktuell findet eine erneute politische Debatte über die Tarifierung von hospizlichen Leistungen statt. Jedoch fehlen immer noch namhafte Forschungsvorhaben, die die Kompetenzen und Tätigkeitsbereiche der Sozialen Arbeit im Kontext der Betreuung am Lebensende sowie deren Auswirkungen auf die Klientel beleuchten. Daher überrascht es nicht, dass die Finanzierung der Leistungen, die von der Sozialen Arbeit in der Betreuung am Lebensende erbracht werden, kein Thema sind.

5.4 Zwischenfazit zur Sorge um Andere am Lebensende

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Soziale Arbeit in der Palliativ Care von großer Bedeutung ist. Jedoch ist ihre genaue Rolle umstritten. Student (2020, S. 18) spricht von einer Klärungsbedürftigkeit, wie es kaum eine andere Profession im Gesundheitsbereich auszuhalten hat. Er hat recht, doch dieser Prozess, der zu dieser Klärung führt, kann auch als Stärke gelesen werden, insbesondere, wenn man sich wie hier, professionsbezogen der Thematik nähert und das berufliche Selbstverständnis in das Zentrum stellt. Wasner bezeichnet die Soziale Arbeit als «spezialisierte Generalistin» (2010/2011, S. 653) – diese Bezeichnung ist so ungenau und genau zugleich. Spezialisiert sein für etwas, was man nicht generalisieren kann – so stellt sich auch der Alltag der Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der Palliative Care dar. Die Vermittlung zwischen gesellschaftlichen, institutionellen, persönlichen bzw. individuellen Gegebenheiten sowie das Ermöglichen von Teilhabe, Lebensqualität, Autonomie und Würde bis zur letzten Sekunde sind anspruchsvoll, doch nur auf dieser Grundlage gelingt die Umsetzung der Hospizarbeit bzw. Palliative Care auf psychosozialer Ebene.

Bitschnau (2017) formuliert in Anlehnung an die Forschungsarbeiten von Wasner (2010; 2011;2014), dass die Soziale Arbeit gerade durch ihr unterschiedliches Wirken und ihre nicht immer zuordenbaren Aufgabenbereiche für andere Professionen nicht leicht einzuschätzen ist (S. 116). Nicht einschätzbar heisst aber nicht, nicht relevant zu sein. Versteht man das Sterben als einen individuell zu bewältigenden Prozess, so liegt es nahe, dass bei diesem Bewältigungsprozess die Soziale Arbeit beteiligt sein muss. Böhnisch, als wohl bekanntester Vertreter, versteht Lebensbewältigung als Streben nach psychosozialer Handlungsfähigkeit, was bedeutet, dass der Selbstwert, die soziale Anerkennung und die Selbstwirksamkeit im Einklang sein müssen (2016). Insbesondere in Krisensituationen kann es zu Ungleichgewichten kommen. Nebst Unterstützung für die Lebensbewältigung zu leisten, geht es auch um die Übernahme von Querschnittaufgaben, sei es bezüglich anderer Professionen im Feld von Sterben und Tod oder aber auch bezogen auf die Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum, Hilfe und Kontrolle oder Integration bzw. Segregation (Student et al., 2020, S. 17).

Wichtig ist mir, nochmals darauf hinzuweisen, dass ich nicht davon ausgehe, dass Palliative Care und Hospizarbeit nur in Hospizen oder Palliativstationen geleistet werden können. Wenn man Palliative Care als Konzept versteht, das die Lebensqualität bis an das Lebensende in das Zentrum stellt, dann geht es darum, diese Denk- und Handlungsweisen in verschiedene Institutionen, wozu auch Alters- und Pflegeheime gehören können, einzubringen. Fernandez & Probst-Barroso formulieren, dass noch wenig empirisches Wissen über die Kompetenzen und die Erfahrungen von Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der palliativen Begleitung vorhanden sei (2022, S. 17). Diese wie auch an anderer Stelle deutlich gewordenen Feststellungen (z. B. bei Wasner & Pankofer, 2021) deuten darauf hin, dass es mehr als angezeigt ist, Aspekt der «Bedeutung der Sozialen Arbeit in der Palliative Care» empirisch zu fassen.

Wie ausgeführt, gibt es Einschätzungen von anderen Fachpersonen im Feld der Palliative Care über die Aufgaben für die Soziale Arbeit in Palliative Care (exemplarisch Student et al., 2020; Wasner & Pankofer, 2021; Wasner 2010; Allert, 2010; Bitschnau, 2017). Wie jedoch die Fachpersonen der Sozialen Arbeit ihr berufliches bzw. professionelles Handeln und damit ihren Tätigkeitsbereich selbst in der Palliative Care beschreiben und wahrnehmen, darüber ist fast nichts bekannt. Genau hier setzt die vorliegende Forschung an und wie ich methodisch vorgehe folgt im Kapitel anschliessend.