Wie Menschen mit Sterben und Tod umgehen, ist immer ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Verankerung dieser Themen. Es erstaunt nicht, dass auch in der vorliegenden Arbeit auf den gesellschaftlichen Diskurs rund um das Lebensende eingegangen wird, denn gerade die Soziale Arbeit gilt als eine Profession, welche ihr Wirken aus den gesellschaftlichen Spannungen und Problemlagen direkt bezieht. Sie bezieht sich, in Anlehnung an Roth (1960, zit. nach Krüger, 2017, S. 40) «in der theoretischen Beschreibung ihrer Tätigkeiten, ihrer Funktionen, ihrer Handlungsfelder und Institutionen auf sozialwissenschaftliche Analysen der Gesellschaft». Hierbei hat sich die Soziale Arbeit zwischen Gesellschaft und Subjekt bzw. Individualisierungs- und Pluralisierungstendenzen und diesbezüglichen Spannungen zu positionieren. Diese Spannungen in Form von rasanten Entwicklungen, Rosa spricht hier von «Beschleunigung als zentrales Phänomen postmoderner Gesellschaften» (2013, S. 93 f.), haben direkte Einflüsse auf die Lebensentwürfe und Lebensbedingungen von Menschen. Letztere sind stark dem Erfordernis ausgesetzt, diesen wachsenden und verändernden Bedingungen ständig gerecht zu werden und in ihre eigene Lebensgestaltung aufzunehmen. Das Gelingen diesbezüglich hängt massgeblich von der Person selbst, von ihrem Selbstverständnis zur eigenen Lebensgestaltung und von den Lebensumständen bzw. dem gesellschaftlichen Umfeld ab. Menschen müssen somit nicht nur ihre individuellen Vorstellungen und Überzeugungen, sondern zugleich auch den aus der Gesellschaft vorhandenen Erwartungen, Haltungen, Denkmustern bis hin zu Umgangsformen zu Sterben und Tod gerecht werden.

Winkler und Colla (2017) sind der Auffassung, dass «die Soziale Arbeit, allzumal die Sozialpädagogik sich das eigentlich nicht leisten kann», sich nicht mit der Thematik des Sterbens und dem Tod auseinanderzusetzen (S. 12). Student et al. (2007) hielten schon früher fest, dass sich das Sterben und der Tod auch zu einer eigenen Lebensphase entwickeln, mit spezifischen Bedarfen und dazugehörigen Kriterien. Auch neuste wissenschaftliche Modelle im Bereich Betreuung im Alter zeigen beispielhaft auf, dass die Phase des Sterbens durchaus als gestaltbare Lebensphase bezeichnet werden kann (vgl. dazu Knöpfel et al., 2020). Winkler und Colla gehen gar so weit, dass für sie die Thematik zukünftig die Soziale Arbeit «mehr herausfordert als die in der sozialpolitischen und sozialpädagogischen Auseinandersetzung üblicherweise vertrauten Themen» (2017, S. 13) und Debatten. Die Aussage war wohl 2017 ein erster Hoffnungsschimmer, dass sich die Soziale Arbeit eine fachliche sowie eine theoretische Positionierung zum Umgang mit Sterben und Tod erarbeiten sollte. Keiner der Autoren hatte an eine später Realität werdende Pandemie gedacht, welche den professionellen und gesellschaftlichen Umgang mit Sterben und Tod derart in das Zentrum stellt. Was diese Erlebnisse aus der Pandemie längerfristig für den aktuellen Diskurs von Seiten der Gesellschaft und für die Soziale Arbeit bedeuten, ist schwierig abschätzbar. Was jedoch klarer ist, ist die Tatsache, dass sich die harte Kruste der Tabuisierung um den Tod und v. a. um den Umgang mit dem Sterben und dem Tod in unserer Gesellschaft aufzuweichen beginnt. Die Pandemie brachte das Lebensende wieder zurück in öffentliche Debatten und macht das Reden darüber salonfähiger. Auf diesen Umstand geht das nachfolgende Kapitel am Ende nochmals ein. Beginnen tut es nun mit einem historischen Abriss über den Umgang mit dem Sterben und dem Tod im Mittelalter. In dieser Zeit hat sich nicht nur die Hospizbewegung begonnen zu etablieren, sondern diese Epoche bis hin in die Neuzeit war geprägt von sichtbaren Todesszenarien, wie Kreuzzügen, der Pest und einem christlichen Verständnis vom «Leben im Diesseits», womit der Tod allgegenwärtig war. Eigentliche Institutionen, wie Hospize und Palliativstationn im heutigen Sinne begannen sich erst im 20. Jahrhundert zu etablieren. Für die Schweiz kann gar erst in den letzten zehn Jahren von einer institutionellen Bewegung gesprochen werden. Diese Entwicklungen werden nachfolgend ausgeführt und daran anschliessend wird über eine Differenzierung nachgedacht, die heute nicht aktueller sein könnte: jene zwischen Wunsch und Wirklichkeit am Lebensende.

2.1 Gesellschaftlicher Umgang mit Sterben und Tod

Historisch betrachtet waren das Sterben und der Tod einmal viel präsenter in der Gesellschaft verankert als heute – wobei dies sich heute seit der weltweiten Corona-Pandemie natürlich verändert hat. «Der Tod ist das einzig gesicherte Faktum menschlichen Lebens», schreibt Krüger (2017) in seinen einleitenden Bemerkungen (S. 17). Und obwohl wir diese Sicherheit haben, dass dieses Ereignis des Todes irgendwann eintreten wird, sei es bei einem selbst oder bei anderen Menschen in den engeren persönlichen Kreisen, ist der Tod heute gesellschaftlich ein Tabuthema.

Das Mittelalter stellt diesbezüglich einen – auf unterschiedlichen Ebenen – sichtbaren Kontrapunkt dar. Die Vergänglichkeit des irdischen Lebens war ein viel bewussteres Momentum – man spricht hierbei von den sog. «Vanitasmotiven», wozu die lateinischen Sätze «memento mori» und «contempus mundi» aber auch der Satz «mors certa, hora incerta» gehören. Übersetzen lassen sich diese lateinischen Sätze mit «Gedenke dem Sterben», «Verachtung der irdischen Welt» und «der Tod ist sicher, die Stunde nicht» (ebd., Krüger, 2022, S. 25; Ohler 1990, S. 265). In diesen Motiven zeigt sich, dass sich der Mensch stets an seine eigene Vergänglichkeit erinnern soll und sein Leben auf Erden begrenzt ist. Die Motive waren in vielen Dörfern und städteähnlichen Strukturen, sichtbar für jede und jeden, an unterschiedlichen Bauten angebracht (Krüger, 2022, S. 28). Die im Mittelalter vorherrschende und allgemeingültige christliche Prägung war ebenfalls ein weiteres Element dafür, dass sich die Vanitasmotive sowie auch der Umgang mit Tod in der Gesellschaft in dieser Form der Diesseits-Lehre verbreiten und halten konnten. Damals waren diese Momenti auch stark mit der Angst und dem Willen verbunden, das Leben auf Erden als Bewältigungsmoment für das Leben im «Jenseits» anzusehen (ebd., 2022, S. 29).

Das Sterben und der Tod im Mittelalter haben jedoch, aus der heutigen Perspektive gesprochen, einen gemeinschaftlich verankerten Stellenwert. Aries (2005) spricht von einem «gezähmten» Phänomen. Tod und Sterben sind keine «isoliert zu bewältigende Geschehen, sondern vollziehen sich in Gemeinschaft.» (Aries, zit. nach Student et al., 2020, S. 134). Beispielsweise Auf Friedhöfen, welche auch als «Orte des Soziallebens» (Krüger, 2017, S. 24) und damit der Gemeinschaft bezeichnet werden können. Die insbesondere an den Friedhöfen vorhandenen Darstellungen von Totentänzen, Skeletten mit schwarzen Augen und grossen Schädeln, nackt, nur die Knochen sichtbar sorgte dafür das bildliche Momente stetig präsent sind. Mit der Aufklärung erfolgen ein Umbruch in der Gesellschaft, eine Auflösung der Ständegesellschaft und damit ein Weg, der Zugang zu Bildung und später auch Wissenschaft ermöglichte. Diese Entwicklung hatte einen direkten Einfluss auf den gesellschaftlichen Umgang und die Verankerung von Sterben und Tod. Die Zeit der Aufklärung sowie insbesondere die rasanten technischen Entwicklungen ab dem 19. Jahrhundert führten dazu, dass der Tod nicht mehr «mitten im Leben» (Krüger, 2017, S. 49) und damit fast unausweichlich präsent war, sondern eher in den Hintergrund trat. In diese Zeit fällt die sog. Institutionalisierung, worunter ein Prozess verstanden werden kann, der dazu führte, dass sich «soziale und personengebundene Dienstleistungen» als bestimmte «Einrichtungstypen» etablierten (Niemeyer, 2012, S. 136). Hierzu zählen die heutigen Einrichtungen der Sozialen Arbeit wie stationäre Kinder- und Jugendheime, ebenso Kliniken, heutige Spitäler, Alters- und Pflegeheime (Wolff, 2021, S. 26). Auch Hospize wurden in dieser Zeit vermehrt gegründet, mit dem Ausdruck, spezifische Einrichtungen für sterbende Menschen zu sein (vgl. Pleschberger 2011 und 2017). Die Etablierung von Einrichtungen unterschiedlicher Arten zeugte damals von einer postmodernen Gesellschaftsentwicklung, welche sich ein institutionelles Sterben immer bewusster wurde. Diese Entwicklung sieht auch Gadamer (1987), der aus philosophischer Perspektive argumentiert, dass u. a. mit der Institutionalisierung und der so voranschreitenden Entwicklung von modernen Kliniken auch eine Anonymisierung des Sterbens eintrat, die dann nicht nur die Darstellung des Todes in der Öffentlichkeit beeinflusste, sondern ebenso «die Herauslösung des Sterbenden und seiner Angehörigen aus der häuslichen und familiären Umwelt» betraf (1987, S. 288). Die insbesondere im 20. Jahrhundert fortschreitende Spezialisierung von Institutionen liess die Versorgungsstrukturen im Bereich Sterben und Tod nicht unberührt. Abteilungen für Sterbende bzw. Palliative-Stationen wurden eingerichtet.

Wirklich von einem Forschungsgegenstand bzw. Forschungsfeld «Sterben und Tod» aus geisteswissenschaftlicher bzw. soziologischer Perspektive zu sprechen, kann erstmals mit dem Artikel von Gorer «The Pornography of Death» (1956) sowie dem Buch von Feifels «The Meaning of Death» (1959) assoziiert werden. Beide verorten sich in einer christlich geprägten Debatte um die Vorstellungen und Verleugnung des Todes in der Gesellschaft.

In den 1970er Jahren gewinnt die Medizin und damit die gesundheitliche Versorgung an sichtbarer Präsenz und Deutungshoheit in der Gesellschaft. Weil die Pest fast keine Rolle mehr spielt und andere Krankheiten, welchen sich die Menschheit vorher ausgeliefert sah, mittlerweile eingedämmt und behandelt werden konnten (Naphy & Spicer, 2006, S. 181). Durch das Erstarken der Wissenschaft und das damit einhergehende Verdrängen bzw. Erodieren von metaphysischen bzw. religiösen Glaubensinhalten in der Gesellschaft bildetet sich ein anderes Verständnis gegenüber dem Sterben. Religion wurde weitgehend in das Privatleben verschoben, während die wissenschaftlichen Erkenntnisse und vernunftbegründete bzw. rational begründbare Aspekte in den Vordergrund traten (Lager, 2009, zit. nach Krüger, 2017, S. 50–51). Der Tod wurde damit nicht mehr zu einem sofortigen Risiko, welcher bei einer Krankheit drohte, sondern zu einem Umstand, welcher sich hinauszögern oder gar verhindern lassen konnte. Dadurch das soziale und physische Probleme zunehmend durch medizinische Ansätze betrachtet und behandelt werden konnten, gewann die Medizin bzw. die Medikalisierung an Bedeutung (Student et. al, 2021, S. 71). Gesundheit und Krankheit wurden vornehmlich in Bezug auf den Körper betrachtet, während psychische und soziale Prozesse in den Hintergrund traten. Die Medizin und die Pflege begangen auch gewisse Verhaltensweisen zu pathologisieren.

Obwohl man sich mit einer Genauigkeit und Wissenschaftlichkeit dem Körper und der Krankheit nähern konnte, war der Tod zugleich weiterhin ein unkontrollierbares Faktum. Ariès bezeichnet dieses Faktum « von zahmen zum wilden Tod» (2009, S. 42). Mit «wild» meint er dabei, dass sich der Tod trotz Wissenschaft und Medizin nicht verbannen lässt und, so formuliert es Krüger in Anlehnung an Ariès, «das letzte Überbleibsel des schicksalsbestimmten Lebens» bleibt (2017, S. 50). Obwohl die Wissenschaft vieles ergreifbarer machen konnte, bleibt der Tod weiterhin unbezähmbar. Auch Fulton beschreibt dies anschaulich:

«Death no longer is viewed as the price of moral trespass or as the result of divine wrath; rather in our modern secular world death is frequently regarded as the consequence of personal neglect or untoward accident. (…). Death, like a noxious disease, has become a taboo subject, and as such it is at once the object of much disguise and denial as well as of raucous and macabre humor» (Fulton, 1964, S. 359–360).

Der Tod wird nicht mehr moralisch als Zäsur oder gar Voraussetzung für das Diesseits angesehen, sondern als persönliches Momentum bis hin zu einem Unfall, womit Fulton darauf anspielt, der Tod sei ein Umstand der eigentlich nicht passieren sollte. Diese Sichtweise auf den Tod führt dazu, dass die Gesellschaft den Tod als Tabuthema weiter verinnerlicht. In Anlehnung an Fulton (1964) formuliert Krüger, dass der Tod und das Sterben sich «objektivierbare Regeln» entziehe, und darin kann ein weiterer Umstand für den tabuisierten Umgang gelesen werden (2017, S. 50). Der Tod lässt sich objektiv nicht beschreibe, deshalb kommt es gemäss Ariès auch zu einer «Verwilderung des Todes» (2005), womit er auf die gesellschaftliche Individualisierung und die damit verbundene Erodierung von kollektiver Anteilnahme am Tod eines Menschen anspielt. Im Mittelalter und der Neuzeit war der Tod in das Sozialleben der Menschen integriert. Heute werden zwar Todesanzeigen noch öffentlich publiziert, doch die Anteilnahme am Tod geschieht im Verborgenen. Student et al. (2020) konkretisieren diese Ansicht und zu dieser Entwicklung drei Aspekte aus:

Erstens würde der Tod heute mehrheitlich vor der Öffentlichkeit isoliert und verheimlicht. Man stirbt im Spital oder Alters- bzw. Pflegeheim, teils fern ab der Öffentlichkeit. So umschreibt Ariès, «die physiologischen Begleiterscheinungen des menschlichen Lebens sind aus der Alltagswirklichkeit ausgebürgert (…)» (2009, S. 729). Zweiten würden die Sterbenden selbst nicht vollumfänglich über ihren bevorstehenden Tod aufgeklärt. Dies meinen die Autoren nicht bezogen auf rechtliche Tatsachen oder auf fehlende Urteilsfähigkeit von Seiten des Sterbenden, sondern bezogen auf die Umstände, dass den Sterbenden selbst nicht zugestanden wird, dass sie auch selbst erfassen können, dass ihr eigener Tod bevorsteht. Drittens hätte das Sterben, besonders die Trauer, in der Öffentlichkeit keinen akzeptierten Raum mehr – denn das Ziel, möglichst rasch nach einem Verlust wieder zu einer gewissen Normalität zurückzukehren, würde diesen Raum erheblich schmälern, wenn nicht gar «abschaffen». Dies alles münde darin, den Tod möglichst schnell aus dem Bewusstsein zu verdrängen (Student et al., 2020, S. 135). Mit diesen Argumentationen stehen Student et al. nicht allein da. Baumann (2005), der die gegenwärtige Gesellschaft als «fluide Gesellschaft» bezeichnet, spricht in Anlehnung an Nassehi & Weber (1989) von «einer Verdrängung des Todes» (S. 15) und einem weitverbreiteten vorhandenen Wunsch nach Unsterblichkeit. Die genannten drei Gründe bilden exemplarisch ab, was Sterbende bereits in den 1960er Jahren und auch heute noch äussern: Viele Sterbende fühlen sich einsam, frühzeitig verlassen und teils an falschen Orten untergebracht. Abgeschottet vom übrigen Leben, führen sie einen sehr isolierten Kampf gegen oder mit dem Tod.

Betrachtet man den heutigen gesellschaftliche Umgang mit dem Sterben und dem Tod, so wird vielfach davon gesprochen, dass der soziale Tod dem wirklich physischen Tod vorausgeht (Krüger 2017 in Anlehnung an Feifel 1963; Sudnow, 1967). Damit ist gemeint, dass Menschen am Lebensende schon ab Krankheitsbeginn bzw. ab der Diagnosestellung mit Entmündigung oder entwürdigenden Situationen konfrontiert sind, welche zu Stigmatisierungen bis hin zu sozialem Ausschluss führen können, bevor der Tod überhaupt wirklich eintritt. Das Konzept der sog. «Death Education» (Krüger, 2017, S. 75 in Anlehnung an Pine, 1997) kann als ein Weg gelesen werden, das Sterben und den Tod in den Alltag zurückzuholen, da dieses Konzept eine Kritik am medizinischen Fortschritt und der Verlagerung des Sterbens in bestimmte Institutionen formuliert (Krüger, 2017, S. 74). Das Konzept verweist darauf, dass Menschen am Lebensende in ihrer persönlichen Situation nicht nur zu unterstützen, sondern zugleich auch mit ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu konfrontieren sind (ebd., S. 82). Überzeugender ist es daher heute, das Sterben, unabhängig davon, in welchem Alter dieses sich ereignet bzw. ereignen kann, als eigene Lebensphase mit eigens zu bearbeitenden Bedürfnissen anzusehen. In diese Richtung argumentierte 1967 bereits Sudnow mit seinem Konzept des «Social Death (S. 72)», welches zeigt, dass es möglich ist, Sterbende ausserhalb von Institutionen respekt- und rücksichtsvoll zu begleiten. Betrachtet man zudem die professionellen Haltungen der bekannten Gründungsfiguren der Hospizbewegung, Elisabeth Kübler-Ross und Cicely Saunders, so legten diese beide schon früh eine Einteilung des Sterbens in einzelne Phasen vor (1969), welche das Sterben nicht ins Private verbannen, sondern den Prozess nachvollziehbar und öffentlicher machen. Das Sterben verläuft gemäss Kübler-Ross entlang von fünf Phase: Nicht-wahrhaben-wollen und Isolierung (1), Zorn (2), Verhandlung (3), Depression (4) und Akzeptanz (5) (1969, S. 82 f.). Vergegenwärtig man sich diese Phasen, sei es aus beruflicher oder privater Perspektive, wird das Sterben begleit- und gestaltbar.

Für die gegenwärtige Zeit lässt sich festhalten, dass wir heute als moderne Gesellschaft einen doch zwiespältigen Umgang mit dem Sterben und dem Tod pflegen. Die Individualisierung steht der Institutionalisierung entgegen. Durch den medizinischen Fortschritt und die stärkere Medikalisierung geht eine intensivere Institutionalisierung der letzten Lebensphase voran. Heilung und das Therapieren stehen im Mittelpunkt und so kommt es denn auch, dass viele Menschen ihre letzten Tage nicht mehr zu Hause, sondern in sozialmedizinischen Einrichtungen (Zimmermann et al. 2019) vornehmlich Spitäler gefolgt von Alters- und Pflegeheimen, vereinzelt auch Hospizen verbringen. Das Sterben zu Hause ist Rarität. Auch die aktuellen Todeszahlen der Schweiz zeigen, dass rund 2/3 der Menschen in Institutionen versterben.Footnote 1 Dies ist zwar nicht negativ, weil damit eine stärkere Professionalisierung für diverse Fachdisziplinen in Institutionen einhergeht und die medizinische und pflegerische Versorgung auf höchstem Niveau gewährleistet ist. Auf der anderen Seite können durch dieses «Institutionalisierte Sterben» individuelle Wünsche und die persönliche Wirklichkeit am Lebensende diametrale auseinandergehen, was besonders für Sterbende und auch für ihr soziales Umfeld zur persönlichen Belastung werden kann.

2.2 Wunsch und Wirklichkeit am Lebensende

Wunsch und Wirklichkeit klaffen insbesondere am Lebensende weit auseinander, sowohl in Bezug auf die Sterbeorte als auch auf die gewünschte oder erlebte professionelle Begleitung seitens Sterbender und deren Angehörigen.

Ulrich Beck (1986/2016) sowie Robert Castel (2005) stellen beide die These auf, dass wir heute zwar in einer individuellen Gesellschaft mit vielen Freiheiten und auch sozialen Sicherungssystemen leben, diese Freiheiten aber zunehmend für jedes einzelne Individuum zur Bedrohung werden. So wünschen sich gemäss einer 2009 erstmals und 2017 erneut wiederholten Studie des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit (BAG) 73 % der befragten Schweizerinnen und Schweizer zuhause, in der Geborgenheit der eigenen vier Wände und im Kreise der Familie, zu sterben (GfK-Schweiz, 2009/2017). Die Realität zeigt sich deutlich anders: die meisten Personen in der Schweiz versterben in Pflege- bzw. Altenheimen sowie in Spitälern (Bfs, 2022).Footnote 2 Wunsch und Wirklichkeit werden zu Kontrahenten. Auch von Seiten der Professionellen existiert diese Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Besonders die sozialen Berufe würden gerne mehr Aufgaben in der Begleitung und Fürsorge der Klientel und des sozialen Umfeldes aktiv übernehmen, doch genau diese Aufgaben werden ihnen wenig bis gar nicht zugestanden.

Ein interessantes Konzept, welcher sich mit der Differenz zwischen «Wunsch und Wirklichkeit am Lebensende» befasst, ist jenes der «Death Education».Footnote 3 Das Konzept basiert nicht auf einem erzieherischen Fokus im klassischen Sinne mit einem bzw. einer zu Erziehenden und einem Erzieher bzw. einer Erzieherin. Vielmehr geht es um die Vermittlung einer gesellschaftlich anzuerkennenden Position, welche das Sterben als Teil des Lebens betrachtet sowie die Lebensqualität jedes Einzelnen am Lebensende in das Zentrum rückt – und das begründet auf der «Individualisierung, Globalisierung und Multikulturalisierung modern-westlicher Gesellschaften» (Krüger, 2017, S. 67). Zudem steht ein interdisziplinärer Ansatz im Fokus, welcher auf Sozialem, Physischem, Theologischem bzw. Spirituellem fusst (Pine, 1977, S. 57 f.). Das Konzept setzt die Individualität in das Zentrum und setzt auf die sog. „spirituell-religiöse“ Sinnfindung. Das bedeutet, dass subjektive Vorstellungen und Glaubensfragen weiterhin ihren Platz haben, sie bleiben gar ein Fundament, auch für das menschliche Handeln (ebd., 2017, S. 68). Sie bilden aber nicht mehr den alleinigen metaphysischen Standpunkt ab, mit dem Fokus, sich auf Erden für ein Leben im Jenseits vorzubereiten, sondern setzen auf eine Verbindung zwischen der in der Postmoderne vorherrschenden biologisch-physischen Sichtweise und der spirituell-philosophisch-sozialen Perspektive auf den Tod (Krüger, 2017, S. 74). Das Konzept befruchtet damit auch die Hospizbewegung, denn es entsteht zu einer Zeit, wo das Sterben von einer Privatisierung und Verdrängung bis hin zu einer Negierung umgeben ist. Wo also Wunsch und Wirklich in Bezug auf das eigene Sterben und den Sterbeort stark auseinanderdriften, gibt die „Death Education“  eine Antwort. Mit der zunehmenden Etablierung der Hospizbewegung stellen sich Fragen nach der öffentlichen Darstellung des Todes und nach der Sinnhaftigkeit des Todes auf eine ganz andere Art, auf eine lebensbejahende und nicht lebenslimitierende Art. Normalisierung, Entstigmatisierung sowie das Entkräften von negativen Bewältigungsmustern am Lebensende stehen im Zentrum. Das Sterben wird zu einer eigenen Phase mit Wünschen, Bedürfnissen, verschiedenen Vorgehensweisen. Es bildet Lebensrealitäten von Menschen am Lebensende ab und sterbende Menschen werden in ihrer Ganzheit erfasst. Damit der Gedanke der Death Education oder neuzeitlicher gesprochen der «umfassenden Versorgung» in der palliative Begleitung umgesetzt werden kann, braucht es finanzielle und personelle Ressourcen sowie solide und ausdifferenzierte Strukturen in den Gemeinden und Kantonen (Borasio, 2013, S. 38 f.). Auch hier tut sich eine erneute Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit auf, welche in der Schweiz dringend bearbeitet werden muss. Wer über intakte Familienverhältnisse und solide Finanzen verfügt, kann sich einer Begleitung zu Hause, auch in Kooperation mit Professionellen und Angehörigen, noch etwas sicherer sein. Zukünftiges Ziel sollte es jedoch so sein, das Wunsch und Wirklichkeit im Feld von Sterben und Tod sich annähern und alle Menschen am Lebensende die Begleitung zu Teil wird, welche sie sich wünschen. Dies kann in einem weiteren Schritt durch eine verstärkte Klärung der beruflichen Aufgaben und Tätigkeiten seitens der Sozialen Arbeit realisiert werden. Es gilt deshalb diesen Fokus für die Schweiz in den Blick zu nehmen damit Wunsch und Wirklichkeit sich annähern.