Abbildung 1.1
figure 1

Dieses Bild wurde gemeinsam an einem Workshop in der Palliative Care erarbeitet. Es entstand unter der Leitung von Urs Heinrich (2017)

1.1 Zugang zum Thema

«Es ist unsere Aufgabe, konkret zu werden, warum es uns hier braucht.» (Frau Pereira, Z. 1017)

Sich mit dem Sterben und dem Tod professionell auseinanderzusetzen, ist für gewisse Berufe Alltag. Sich über das Sterben und den Tod jedoch zu unterhalten, gilt noch immer als Privatsache. Und sich Gedanken darüber zu machen, wer die Begleitung am Lebensende zu übernehmen hat und was es dann benötigt, wird erst dann thematisiert, wenn unmittelbar Betroffenheit vorhanden ist. Es besteht ein Mangel an Konkretisierung, sowohl auf professioneller als auch privater Ebene. All die Themen, die aufkommen brauchen eine gemeinsame und interprofessionelle Zusammenarbeit (Abbildung 1.1).

Natürlich gibt es Berufe und Orte, wo das Sterben tagtäglich präsenter ist – so bei Medizinerinnen und Medizinern, Pflegefachpersonen oder Seelsorgenden. Gesellschaftlich haben wir es jedoch immer noch mit einer Tabuisierung bzw. Skandalisierung des Sterbens zu tun (Ariès, 1982). Daran haben auch die vergangenen zwei Jahre, geprägt von der weltweiten Corona-Pandemie, wenig geändert. Unabhängig davon, ob das wirtschaftliche – wie auch das soziale – Leben zwischendrin gar zum Stillstand kam: Der Tod und das Sterben sind Randphänomene geblieben und deren professionelle Bearbeitung, aus Sicht der Sozialen Arbeit, gilt ebenfalls als marginales Gebiet. Grosse Teile der vorliegenden Forschung, insbesondere die Erhebungen, wurden inmitten der Corona-Pandemie umgesetzt. Diese sorgte dafür, dass das Sterben und der Tod Allgegenwärtigkeit sowie Präsenz erlangte. Der Fokus der Medien, der Wissenschaft, der Politik, aber auch der gesamten Gesellschaft lag auf den zu Beginn wöchentlichen, später täglich publizierten Fall- und Sterbezahlen in der ganzen Schweiz. Der teils als skandalös bezeichnet Umgang mit älteren Menschen in den Alters- und Pflegeinstitutionen wurde zum brisanten Thema, da Schutzkonzepte, um das Virus einzudämmen, an ihre Grenzen stiessen. Das Verbot von Nähe sowie generelle Kontaktverbote trafen insbesondere die sonst schon als vulnerabel geltenden Personen, zu welchen ältere und alte Menschen, Personen, die auf externe Unterstützungsleistungen und Betreuung angewiesen sind, sowie Menschen – unabhängig ihres Lebensalters –, die am Lebensende angelangt sind, gehören.

Wir müssen über das Sterben und das Leben vor dem Lebensende professionell nachdenken, fordert Markus Leser (2021) in einem Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung. Hiermit meint er die Betreuung und die Unterstützung aus dem sozialen Bereich, welche Menschen am Lebensende zuteilwerden müsste, es aber offensichtlich nicht wird. Diese Ansicht teile ich und gehe gar noch einen Schritt weiter, indem ich Begleitung und Betreuung als essentielle Leistungen betrachte, die auf professioneller Ebene von verschiedenen Berufen zu erbringen sind.

Nicht nur seit Corona, sondern schon länger gibt es wissenschaftliche und statistische Motive, um über das Sterben und den Tod zu forschen und die Betreuung systematischer zu erfassen. Hochrechnungen gehen für die Schweiz davon aus, dass wir im Jahre 2050 eine Zunahme von 63 % älteren Menschen über 60 Jahre und im Bereich der Hochaltrigen, womit über 80-Jährige gemeint sind, eine Verdoppelung zu heute mit rund 16 % haben werden. Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik (Bfs, 2022) zeigen zudem, dass 62 % der 2021 verstorbenen Personen älter als 80 Jahre sind. Damit sind das Sterben und der Tod eher eine Angelegenheit im Alter. Auch der Aspekt, dass jährlich rund 38 % jüngere Menschen an einer Krankheit versterben, welche eine längere Begleit- und Sterbephase mit sich bringen, muss uns sowie insbesondere die Sozialwissenschaften dazu anregen, über den Umgang mit dem Tod öffentlich zu sprechen und zum Bedarf an Begleitung am Lebensende systematisch und multiprofessionell zu erforschen. Der Tod wird zukünftig kein Randphänomen bleiben – im Gegenteil: Er ist ein zu bearbeitendes und zu bewältigendes soziales Problem (Engelke et al., 2009), das ebenso mit einem Generationenmix einhergeht und unseren Generationenvertrag auch auf die Probe stellt. Das ruft die Soziale Arbeit auf den Plan. In der Tat beschäftigt sie sich bereits in bestimmten Tätigkeitsbereichen mit dem Tod, wie beispielsweise in der Suchtbewältigung oder auch in der Begleitung von Menschen mit Behinderungen. Das Sterben bzw. der Sterbeprozess bildet dabei kein einzelnes Momentum, die Zeit davor mit einer Diagnose, die Sterbephase und die Zeit danach ist eine Lebensphase, welche medizinisch, pflegerisch, spirituell sowie ebenso sozial, individuell und würdevoll auszugestalten ist.

Die Betreuung wird somit in sozialer und ökonomischer Hinsicht relevant und erfordert daher eine ganzheitliche gesellschaftliche und professionelle Auseinandersetzung. Der Auftrag der Soziale Arbeit scheint hier gerade zu zugeschnitten zu sein: Wenn die Zeit endlich wird, ist es höchste Zeit, um über die verbleibende Zeit nicht nur nachzudenken, sondern diese Zeit so lange wie möglich mit Lebensqualität, Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmung und würdevollen Momenten zu füllen (Wasner, 2010, S. 7). Diese Aspekte bilden subjektorientierte Zugänge der Soziale Arbeit und deshalb wird vorliegend über die professionelle Betreuung am Lebensende aus Sicht der Sozialen Arbeit nicht nur nachgedacht, sondern – in Anlehnung an Thole (2012) und Krüger (2022) – deren handlungsspezifischen Logiken zu diesen und weiteren subjektorientierten Aspekte erforscht.

Wenn die Frage nach individueller Lebensqualität bis an das Lebensende im Zentrum steht, gilt es, die Begleitungen nach den genannten und wo möglich noch weiteren Maxime auszugestalten. Die Soziale Arbeit ist dafür bekannt, individuelle und soziale Unterstützung zu bieten und dabei die Ressourcen sowohl der betroffenen Personen als auch ihres sozialen Umfelds freizulegen. Sie kümmert sich somit ganzheitlich um die ihr anvertrauten Personen und deren Umfeld (Brandsen, 2005, S. 48; Wasner, 2010, S. 7). Doch wie realisieren sich diese Aspekte am Lebensende?

Der Gesichtspunkt der Lebensqualität taucht oft dann auf, wenn es um die Linderung physischer Schmerzen geht und wird daher mit medizinischen Leistungen verknüpft. Das Sichtbarmachen und das Sicherstellen psychosozialer Bedürfnisse tritt erst in einem zweiten Schritt in den Vordergrund. Die Soziale Arbeit ist nicht nur prädestiniert, als Profession im Feld der am Lebensende Tätigen wahrgenommen zu werden, sondern sie ist, wie Wasner & Pankofer formulieren, ein unabdingbarer Bestandteil (2021), wenn wir die psychosoziale Begleitung umfassend bearbeitet wissen wollen. Davon zeugen die sich in den letzten Jahren international und national weiter ausdifferenzierten palliativen Versorgungsstrukturen im Bereich der Medizin und der Pflege. Als Beispiel dafür können die ambulante mobile Palliative Care (AMPC), das Advanced Care Planning (ACP) und die Neugründungen von Hospizen in verschiedenen Kantonen der Schweiz genannt werden.Footnote 1 Auch die sich weiter ausbreitende Tendenz der rechtlich geregelten Inanspruchnahme von Sterbehilfe gehört dazu.Footnote 2 Obwohl viel in Bewegung ist, wird die Soziale Arbeit noch nicht systematisch als eine gewichtige Expertin in der Arbeit mit Menschen am Lebensende wahrgenommen. Daher wird vorliegend eine weitere empirische Fundierung für den spezifischen Beitrag von Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der Palliative Care geliefert. Ein Aspekt, warum dieser Beitrag aktuell wenig präzisiert ist, sei hier vorweggenommen: das Handeln am Lebensende, die Ausgestaltung der Beziehungen und die Vorgehensweisen der Professionellen lassen sich methodisch schwer fassen. Daher gilt die von Borasio 2011 getätigte Aussage «die Soziale Arbeit gehört zu den wichtigsten und zugleich am meisten unterschätzten Berufen in der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender» (S. 83) auch noch heute – 12 Jahre später – als wahrhaftig. Wenngleich vorliegend weitere empirische Evidenz für das professionelle Handeln geliefert wird.

Immer wieder werden kritische Stimme von Angehörigen sowie von Professionellen laut, dass eine Hospitalisierung oder die Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim für Menschen am Lebensende eigentlich der «falsche Ort» zum Sterben sei. Wenn es allerdings darum geht, schwerstkranken Menschen und deren Angehörigen eine umfassende Betreuung und Begleitung am Lebensende zu bieten, wenn die Aussicht auf Heilung nicht mehr besteht, sind Hospize eine wichtige alternative Versorgungsstruktur zu Spitälern und Alters- bzw. Pflegeheimen. Diese Institutionen versuchen, in einer möglichst persönlichen Atmosphäre eine Begleitung und Betreuung am Lebensende für Klienten sowie deren Angehörigen zu gewährleisten. Der schwerstkranke Mensch befindet im Zentrum – und mit ihm auch das ganze soziale Umfeld. Die Hospizarbeit wird daher als ein hoffnungsvoller Ansatz gehandelt, welcher die Themen Sterben, Tod und Trauer wieder «rehumanisieren und resolidarisieren» kann (Mühlum, 2014, S. 6). Wie sich später zeigen wird, befindet sich die Schweiz dazu gerade im Umbruch und die Gründungen von Hospizen nehmen zu.

Das Arbeitsfeld in einem Hospiz ist gekennzeichnet durch eine hohe multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen und Ärzten, Fachkräften aus der Pflege, der Psychologie, der Seelsorge bzw. der Spiritual Care sowie Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit. Sie alle leisten wesentliche Beiträge für die Begleitung am Lebensende, um den verschiedenen Bedürfnissen und auch Wünschen der schwerstkranken Menschen am Lebensende gerecht zu werden. Nebst Professionellen übernehmen freiwillige Helferinnen und Helfer ebenso zahlreiche Aufgaben bei der Begleitung am Lebensende. Beide Aspekte, jener der «Multiprofessionalität» sowie jener der «Freiwilligkeit», stellen die Soziale Arbeit mehrfach vor die Herausforderung, sich gut sichtbar in diesem Tätigkeitsfeld zu positionieren und darzulegen, welche Aufgaben sie für sich beansprucht und wie sie diese in das multiprofessionelle Arbeitsfeld einbringt. Aktuell zeigt sich, dass im Feld der Hospizarbeit sowie der Palliative Care eine starke Engführung und Reduktion der Sozialen Arbeit auf «finanziell-administrative Tätigkeiten» (Berthod & Magalhaes de Almeida, 2022) vorhanden ist. Die vorliegenden Ergebnisse aus den Gesprächen mit den Fachpersonen der Sozialen Arbeit bestätigen diesen Umstand. Doch sie zeigen auch weiteres Potenzial und Konkretisierungen auf.

Von Seiten anderer Professionen wird der Sozialen Arbeit immer wieder eine fehlende Aussendarstellung sowie eine ungenügende Selbstdarstellung (Student et al., 2016, S. 155) vorgeworfen. Zahlreiche Fachpersonen der Sozialen Arbeit, gerade in unseren Nachbarländern, sind seit vielen Jahre in Hospizen tätig – und sie sind es, folgt man der neueren Bewertung von Student et al. (2020, S. 154), offenbar ohne, dass sie ihr Berufsprofil sichtbar nach aussen tragen. Wie einschlägiger Fachliteratur zu entnehmen ist, wird Soziale Arbeit zwar als «key provider» (Wasner, 2011, S. 116; Pankofen, 2021, S. 28; Krüger, 2017) für die Versorgung von psychosozialen Bedürfnissen Sterbender und deren Angehöriger gehandelt, denn in keiner anderen Fachdisziplin wird derart Gewicht auf den professionellen Umgang mit psychosozialen Aspekten gelegt und gleichzeitig versucht, das soziale Umfeld einzubinden. International wird die Bedeutung von «Social Work» für den Hospizbereich gar als «unbestritten» (Student et al., 2016, S. 150) bezeichnet – daher wird viel von der fachlichen Eignung der Sozialen Arbeit für den Bereich Palliative Care bzw. Hospizarbeit ausformuliert (exemplarisch Schütte-Bäumner, 2015; Wasner & Pankofer, 2014 / 2021; Borasio, 2013). Reith und Payne (2009) sind der Meinung: «all social workers, whatever their specialty, help people with end-of-life issues» (p. 1). Die genannten Argumentationen basieren mehrheitlich darauf, dass die Soziale Arbeit Kompetenzen hat, sich im Feld der Palliative Care und der Hospizarbeit zu bewegen und zudem über eine hohe Kooperationsbereitschaft verfügt. Aber was tut eigentlich die Soziale Arbeit bzw. eine Sozialpädagogin oder ein Sozialpädagoge tagtäglich in der Begleitung am Lebensende, wenn sie oder er selbst danach gefragt wird?

Die eigene Perspektive der Fachkräfte der Sozialen Arbeit auf ihr berufliches Handeln im Feld der Palliative Care fehlt noch immer. Genau deshalb stehen vorliegend Narrationen von Seiten der Fachpersonen über ihr eigenes Tun im Feld der Palliative Care im Zentrum. Bewusst sollen sie über ihre Alltagserfahrungen, ihr tägliches Wirken sowie die damit verbundenen Herausforderungen erzählen können. Ihnen wird so der Raum als Expertinnen und Experten zu teil, damit sie sich frei über ihr berufliches Tun äussern können. Im Fokus der Analyse stehen dann die dazu herangezogenen Begründungen und Orientierungen für das eigene Tun. Die Erzählungen sowie die damit hoffentlich ausgelösten reflexiven Momente bilden den Gegenstand meiner vorliegenden Analyse.

1.2 Zentrale und klärende Vorbemerkungen

Bereits zu Beginn möchte ich vier mir als wesentlich erscheinende Vorbemerkungen, die für die Leserschaft und für deren besseres Verständnis wichtig sind, hier darlegen. Ein Grund für diese Vorbemerkungen liegt im Umstand, dass die Forschungsarbeit sich mit einem – insbesondere für die Schweiz – noch jüngeren Arbeitsfeld befasst. Wie später ersichtlich wird, blickt die Schweiz noch nicht gleich lange auf eine Hospizarbeit zurück, wie dies umliegende Länder, wie Deutschland, Österreich oder Grossbritannien, kennen. Ferner sollen die Vorbemerkungen auch Klarheit schaffen, wie ich mich in der theoretischen (Begriffs-)Diskussion um Soziale Arbeit, Palliative Care bzw. Hospizarbeit und der für die Schweiz wichtigen gesellschaftlichen Debatte zu «Sterbehilfe» positioniere.

Erste Vorbemerkung: Die Frage, ob wir von Sozialarbeit, Sozialpädagogik oder Sozialer Arbeit (auseinandergeschrieben) sprechen, ist nicht nur berechtigt, sondern angezeigt, wenn eine professionstheoretische Debatte und damit ein wissenschaftlicher Anspruch eingenommen werden. Für die vorliegende Forschung wird der Terminus «Soziale Arbeit» in Kombination mit «Fachpersonen» verwendet. In Anlehnung an Müller (2012, S. 956) kann Soziale Arbeit als «Sammelbegriff für berufliche Tätigkeiten im sozialen Feld» genutzt werden, ohne dass eine Differenz, womit er auch auf eine Wertigkeit anspricht, zwischen «pädagogischen oder sozialarbeiterischen Aufgaben» vorgenommen wird. Dieser Offenheit wird vorliegend ebenso gefolgt. Zudem stellte sich in der systematischen Literaturrecherche zu Sozialer Arbeit und Palliative Care heraus, dass insbesondere in literarischen Werken und wissenschaftlichen Studien aus England, den USA aber auch in Deutschland keine markanten Differenzierungen zwischen Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialer Arbeit vorgenommen werden. Die sozialarbeiterische und sozialpädagogische Theorie und Praxis lassen sich, so auch in Anlehnung an Kessl et al. (2017), mit dem im wissenschaftlichen Diskurs breit akzeptierten Begriff «Soziale Arbeit» gut abbilden. Im internationalen Sprachgebrauch wird Soziale Arbeit mit «social work» übersetzt – und dieser Begriff, so formuliert es Thole (2002), steht «(…) in der Regel für die Einheit von Sozialpädagogik und Sozialarbeit» (S. 14). Da vorliegend auch englischsprachige Literatur verwendet wurde, bot es sich an, von Sozialer Arbeit zu sprechen. Ferner lässt sich hie und da feststellen, dass die Diskussion um die Frage der Bezeichnungen, insbesondere der Differenzierung von Sozialpädagogik und Sozialarbeit, von Praktikerinnen und Praktikern «häufig als unnütz, der praktischen Arbeit wenig zuträglich und damit als überflüssig betrachtet» (S. 454) wird. Diese Feststellung von Karges & Lehner (2005) ist pointiert, doch sie entlastet, gerade wenn es darum geht, das professionelle Wirken von Fachpersonen in das Zentrum eines jüngeren Handlungsfeldes zu stellen – und das verfolge ich.

Zweite Vorbemerkung: In Kapitel 3 wird ausführlich auf die Begrifflichkeiten Hospizarbeit, Hospice Care, Palliative Care, Sterbebegleitung und Sterbehilfe eingegangen. Steffen-Bürgi (2017) schreibt, dass die Begriffe Palliative Care, Palliativversorgung beziehungsweise Palliativbetreuung nicht einheitlich verwendet werden und stets in ihren historischen Anfängen sowie den in einem Land vorherrschenden Versorgungsstrukturen zu betrachten sind (S. 40). Die eigene durchgeführte Literaturrecherche meinerseits bestätigt dies. Teils werden Hospizarbeit und Palliativversorgung sogar synonym verwendet. Die Deutsche Gesellschaft für Palliative Care (DGP) hält auf ihrer Website fest, dass Palliative Care synonym mit den Begriffen Hospiz- und Palliativversorgung, Palliativ- und Hospizarbeit verwendet wird.Footnote 3 Zudem kann festgehalten werden, dass sich die Rezeption der Begriffe auch jeweils an die in einem Land vorherrschenden sozialen und gesundheitssystemischen Bedingungen knüpfen lässt. So etablierten sich in Deutschland in den 1970er Jahren zahlreiche Hospize als Häuser – und damit verbunden erstarkte auch eine Bürgerinnen- und Bürgerbewegung mit Fokus auf Hospizarbeit. In den USA wurde auf die ambulante Versorgung gesetzt; und mit der 1983 erfolgten Aufnahme von «Hospice Care» in die staatliche Versicherung «Medicare» gab es eine der ersten gesetzliche Grundlagen (vgl. Pleschberger, 2002). Mittlerweile haben sich in verschiedenen Ländern stationäre, teilstationäre und ambulante Hospizversorgungen durchgesetzt, wenngleich die Angebote nicht flächendeckend sind und von unterschiedlicher Leistung geprägt sind. In den 1990er Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre 1980 vorgelegte Konzeption zu «Palliative Care» mit der Definition der Hospizarbeit verbunden; und der «National Hospice Council» (NCHSPCS) hat 1995 dargelegt, dass Palliative Care dem Verständnis nach mit «Hospice Care» synonym behandelt werden kann.

In der Schweiz lässt sich insbesondere durch die 2010 vom Bund angestossene nationale Strategie zu Palliative CareFootnote 4 erkennen, dass sich Palliative Care als Begriff und Konzept durchgesetzt hat. Es ist deutlich zu spüren, dass dabei im schweizerischen Kontext mehrheitlich auf die Medizin als Leitdisziplin abgestellt wird. Diese Entwicklung gilt es im Blick zu haben, denn es geht vorliegend nicht nur um eine medizinische und physische Versorgung von Klientinnen und Klienten, sondern es stehen die soziale, die psychische sowie die spirituelle Begleitung am Lebensende im Fokus. Auch wenn Gronemeyer & Heller (2007) eher der Meinung sind, dass mit dem Ausdruck «Palliative Care» diese in der Tradition zu verstehenden hospizlich geprägten Anteile schwinden, so wird vorliegend dennoch der Terminus Palliative Care gewählt. Ich attestiere diesem Begriff die Qualität, als vollumfängliches Konzept im Sinne der von der WHO 1980 vorgelegten Definition, womit die psychosoziale Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende genauso integriert sind wie die medizinisch-pflegerische Versorgung, zu gelten. Für die Schweiz spielt meines Erachtens eher eine andere Differenzierung eine gewichtigere Rolle, nämlich jene der Sterbebegleitung und der Sterbehilfe.

Dritte Vorbemerkung: Der Diskurs um die Entstehung der Hospizbewegung ist eng verbunden mit dem Wirken der Sozialen Arbeit in Bezug auf die freiwilligen und ehrenamtlichen Arbeiten. Die Soziale Arbeit als Wohlfahrtspflege bringt auch einen engen historischen Konnex dazu mit. Pleschberger (2012) führt in Anlehnung an Heller et al. (2017) aus, dass die Hospizbewegung sich insbesondere in Deutschland als Bürgerinnen- und Bürgerbewegung, getragen von ehrenamtlichen Vereinen etablierte. Die neuere Studie von Fink & Schulz (2021), ebenfalls mit Fokus auf Deutschland, grenzt die Ehrenamtlichkeit in der Sterbebegleitung von der professionellen Arbeit in Hospizen ab. Ihre Studie zeigt eindrücklich, dass sich das Selbstverständnis von ehrenamtlichen Sterbebeleiterinnen und -begleitern zwar in der Praxis und im alltäglichen Tätigsein nicht kategorisch vom professionellen Selbstverständnis aus Medizin oder Pflege abgrenzt, doch sie vertreten dennoch die Haltung, dass Professionalisierungsprozesse im Bereich der Begleitung am Lebensende nötig sind (vgl. S. 11). Vorliegend soll es nicht um die Ehrenamtliche Arbeit und deren Abgrenzung im Bereich der Begleitung von Menschen am Lebensende gehen, sondern um eine professionelle und damit verberuflichte Arbeit. Deshalb wird auch nicht weiter auf die Freiwilligenbewegung bzw. Ehrenamtliche Bewegung in der Hospizarbeit eingegangen.Footnote 5

Vierte Vorbemerkung: Der aktuelle Mangel an Plätzen bzw. Orte, wo das Sterben enttabuisiert ist, führt dazu, dass Betroffene am Lebensende den Weg über Sterbehilfeorganisationen wie Exit in Betracht ziehen (Walser, 2018). Es gibt zwar keine systematischen und vom Bund dazu erfassten Zahlen, doch die provokante Vermutung von Walser lässt aufhorchen. Im Zusammenhang mit dieser Vermutung wird auch in der Schweiz die Frage nach Hospizen und Altersheimen und deren Berechtigung zur Sterbehilfe diskutiert. Es ist vorliegend wichtig, dass Sterbehilfe und Sterbebegleitung voneinander abgegrenzt werden. Die Schweiz erlaubt unter gewissen Voraussetzungen einerseits Selbsttötung bzw. eine Suizidbeihilfe, die auch als Sterbehilfe bezeichnet werden kann. In Art. 115 des schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) heisst es:

«Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmord verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft» (StGB, Art. 115).

Das bedeutet, die freiverantwortliche Selbsttötung steht in der Schweiz nicht unter Strafe. Die sog. akzessorische Teilnahme von Dritten ist nur dann strafbar, wenn die Voraussetzungen, wie Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord, aus selbstsüchtigen Gründen entstehen. Selbstsüchtige Beweggründe können persönliche materiell oder formelle Vorteile sein (Tag, 2016, S. 76). Die Suizidbeihilfe als eine Form der Sterbehilfe ist somit zwar erlaubt, aber nicht gleich zusetzen mit der Hospizarbeit bzw. der Palliative Care und der dort geleisteten Sterbebegleitung. An dieser Stelle ist auch zu betonen, dass die von EXIT oder Dignitas angebotene Sterbehilfe, welche auch als «Freitodbegleitung»Footnote 6 bezeichnet wird, nicht in Hospizen durchgeführt wird. Für die Altersheime in der Schweiz gelten von Kanton zu Kanton unterschiedliche Regelungen.Footnote 7

Der wichtigste Unterschied zwischen Sterbehilfe und Sterbebegleitung liegt somit in der Absicht und Handlung. Sterbehilfe zielt darauf ab, den Tod aktiv herbeizuführen, während Sterbebegleitung den Fokus auf die Pflege und Begleitung des sterbenden Menschen legt, ohne zum Tod beizutragen. Selbstbestimmtes Sterben ist nicht Sterbehilfe. Selbstbestimmtes Sterben kann gar insbesondere, wenn eine umfassende bio-psycho-soziale Begleitung am Lebensende zur Verfügung steht, Sterbewünsche und Wünsche nach dem Freitod minimieren. Bereits Karusseit (2006) und dann Mennemann (2011) haben sich darin versucht, über den Begriff der «Sterbebegleitung» die Anschlussfähigkeit von Sterben und Tod für die Soziale Arbeit zu etablieren (zit. in Colla&Krüger, 2013, S. 263). Besonders mit dem Ausdruck «Begleitung» wird ein sorgendes Verhältnis auf Augenhöhe impliziert, weshalb auch vorliegend ich diesen Ausdruck anwende, da er für mich eine Verbindung der Leistungen von Seiten der Professionellen sowie ein Begleiten im Sinne einer Unterstützung und nicht im Sinne einer vorgeschriebenen Hilfe auf ein Ziel, den Tod an sich, ist.

1.3 Aufbau der Forschungsarbeit

Wie einleitend und später in Abschnitt 1.4 erwähnt, liegt der Fokus der vorliegenden Forschung auf der Rekonstruktion von Orientierungsmustern und Begründungen für das berufliche Selbstverständnis der Sozialen Arbeit im Handlungsfeld der Palliative Care.

Die Arbeit beginnt mit einer Metaebene in Form eines kurzen gesellschaftlichen Einblicks in den Diskurs um die Verhandlung von Sterben und Tod in der (heutigen) Gesellschaft. Das Kapitel 2 macht dabei deutlich, dass das Sterben und der Tod noch immer Privatangelegenheiten bilden, welche insbesondere auch den offenen Umgang innerhalb einer Gesellschaft – aber ebenso bezogen auf die Arbeit von verschiedenen Professionen – erschwert: der Tod als etwas Unausweichliches, als etwas Negatives, jedoch auch als «sozialer Tod» (Schneider 2006), welcher dem physischen Tod in unserer Gesellschaft oft vorausgeht.Footnote 8 Zum sozialen Tod zählt der dauerhafte oder marginalisierte Ausschluss vom sozialen bzw. gesellschaftlichen Leben.

Daran anschliessend folgt in Kapitel 3 eine Begriffs- und Abgrenzungsklärung, so dass der Leserschaft eingängig und zugleich verständlich dargelegt werden kann, was Palliative Care und Hospiz bzw. Hospizarbeit meinen und wie sich diese auch zur in der Schweiz erlaubten Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung verhalten. In diesem Kapitel erfolgt ebenso ein kurzer theoretischer Exkurs zur sog. «Care-Debatte» – nicht mit dem Fokus auf die Genese der Sozialen Arbeit, sondern in Form einer Gegenüberstellung zwischen Cure und Care, womit der Wandel von Heilung zu Fürsorge gemeint ist. Dieser Wandel hat auch die Professionalisierung der Sozialen Arbeit im Feld von Sterben und Tod vorangetrieben.

In Kapitel 4 folgt die Erörterung des professionstheoretischen Bezugsrahmens, welcher vorliegend in Form eines Konglomerates sich aus ausgewählten professionstheoretischen Zugängen speist. Es wird auf strukturtheoretischen nach Oevermann sowie den interaktionistischen Zugang nach Schütze rekurriert. Der Ansatz, dass aus dem Handel von Seiten der Fachpersonen in der Palliative Care innewohnende Strukturen und Orientierungen herausgeschält werden sollen, legt einen Zugang zu Oevermanns (1996; 2013) Professionstheorie nahe. Da diesem Handeln auch gewisse Interaktionen zwischen Professionellen und Klientel innewohnen, gilt es diese Perspektive mit Schütze und seinen Paradoxien (1996; 2021) ebenfalls mitzubeachten. Da so dann auch gewisse Haltungsfragen eine grosse Rolle spielen bei der Bewältigung von Lebensfragen am Lebensende wird in Ansätzen auch ein reflexiv-habituisierender Ansatz relevant. Die spätere Analyse der Gesprächsdaten sowie die Diskussion der Ergebnisse werden offenbaren, dass sich dieser Zugang für das Rekonstruieren des beruflichen Handelns im Feld der Palliative Care als lohnend erweisen wird, es jedoch zukünftig noch mehr an Forschung bedarf. Für die Weiterentwicklung im Feld der Palliative Care, das zu dem grossen Arbeitsfeld der Gesundheit gezählt wird, bedarf es ebenso eine ökonomische und damit wirtschaftlich relevante Perspektive. Diesem Umstand werde ich ansatzweise gerecht.

Die Aufarbeitung des Forschungsstandes erfolgt unter dem Titel «Die Sorge um Andere am Lebensende», welcher zugleich in seiner Weiterentwicklung den Titel der vorliegenden Arbeit bildet. In Kapitel 5 werden aktuelle und für die vorliegende Fragestellung als relevant erachtete Erkenntnisse aus Forschungen und einschlägiger Fachliteratur rezipiert. Zudem wird nochmals deutlich, welches Desiderat herausgearbeitet werden soll. Sodann wird die Leserschaft in das forschungsmethodische Vorgehen eingeführt. Da es sich vorliegend um ein für die Schweiz noch eher junges Handlungsfeld für die Soziale Arbeit handelt, wird in Kapitel 6 eine dem Untersuchungsgegenstand angemessen Vorbereitung zur Untersuchung, beginnend auf einer einfachen Konzeptanalyse, dargelegt. Sodann erfolgt die Begründung, wieso die erhobenen Gesprächsdaten in Form von Expertinnen- und Experteninterviews mittels dokumentarischer Methode ausgewertet werden. Zum Abschluss des methodischen Kapitels lege ich meine eigene Rolle als Forscherin sowie die damit meinerseits bezogene Positionierung dar.

Der daran anschliessende empirische Teil in Kapitel 7 geht ausführlich auf die aus den selbst erhobenen Gesprächsdaten rekonstruierten Orientierungen und Begründungen von Seiten der Fachpersonen ein und bietet einen fundierten, durch ausgewählte Zitate sehr praxisnahen Einblick in die Gespräche der Expertinnen bzw. der Experten.

In Kapitel 8 werde ich, basierend auf dem professionstheoretischen Zugang, die mir als wichtig und zentral erscheinenden Ergebnisse in Bezug auf Begründungen und Orientierungsmustern diskutieren. So dass das professionelle Selbstverständnis geschärfter im Feld der Palliative Care dargestellt werden kann.

Meine Arbeit schliesst in Kapitel 9 damit ab, basierend auf dem professionstheoretischen Zugang und der Anreicherung durch ökonomische Perspektiven darzulegen, wie sich das berufliche Selbstverständnis zusammenfassend konturiert. Abschliessen werde ich dieses Kapitel mittels einer Anreicherung durch eine dienstleistungsorientierte Perspektive, so dass der vielfach im Forschungsstand und später in den Daten sichtbar gewordene Umstand der «fehlenden professionellen und finanziellen Anerkennung» ansatzweise Rechnung getragen werden kann.

Ich erlaube mir zum Schluss einen Ausblick, welcher zukünftigen wirkungsorientierten Forschung und diesbezüglicher Unterstützung es bedarf, bzw. welche institutionellen und politischen Bedingungen nun hergestellt werden müssen, um die Soziale Arbeit und ihr Wirken in der Palliative Care für die Schweiz weiter zu stärken.

1.4 Erkenntnisinteresse und leitende Fragestellung

In Hospizen und Palliativabteilungen von Spitälern oder Heimen kümmern sich unterschiedliche Berufsgruppen sowie Ehrenamtliche um Menschen in der letzten Lebensphase. Die Versorgung und Begleitung umfassen medizinische, pflegerische, psychosoziale sowie seelsorgerische Aspekte, womit deutlich wird, dass Palliative Care bzw. Hospizarbeit in einem multiprofessionellen Arbeitsfeld geschieht. So stehen bei den einen Klientinnen und Klienten medizinische und schmerzlindernde Therapien im Vordergrund, wieder andere haben das Bedürfnis nach sozialer Nähe und Kontaktpflege, weil sie allein sind, sich niemand mehr um sie kümmern kann oder die Organisation der sozialen Kontakte eine Herausforderung wird. Dazu können Ängste und psychische Erkrankungen, die in Verbindung mit Krankheiten auftreten und es bedarf nebst medizinischer insbesondere auch psychologischer oder psychoonkologischer Unterstützung. Oftmals besteht zudem ein grosses Bedürfnis nach alltäglichem Support, wozu Aspekte wie die Organisation eines Pflege- oder Hospizplatzes, Transporte zu Therapiemassnahmen sowie das Abklären von sozialrechtlichen Belangen oder das Gestalten des (Familien-)Alltags gehören können. Generell lässt sich festhalten, dass die Begleitung und Betreuung von Menschen in der letzten Lebensphase gekennzeichnet sind von zahlreichen und sehr unterschiedlichen Bedürfnissen, vielen Unsicherheiten und einer gewissen bis sogar stetige Unplanbarkeit. Was heute für die Klientin oder den Klienten gut ist, kann morgen oder schon in ein paar Stunden später ganz anders aussehen. All diese genannten Aspekte stellen besonders hohe Anforderungen an die Professionellen und insbesondere an die Soziale Arbeit. Interpretiert man die Sozialen Arbeit als einen an «an den Lebenslagen und Lebensaltern sowie an der subjektiven Lebensbewältigung» orientierte Profession, wird das Sterben und der Tod zu einer Querschnittaufgabe (Krüger, 2017 S. 129).

In einem multiprofessionellen Arbeitsfeld mit sich stetig verändernden und emotional belastenden Situationen arbeiten zu wollen, verlangt einerseits nach einem hohen Mass an Flexibilität von Seiten der darin tätigen Fachpersonen. Es verlangt nach einer Gabe, Situationen schnell erfassen zu können und dennoch genügend Zeit und Raum für Entwicklungen und Emotionen bereitzustellen. Es erfordert ebenfalls, dass interprofessionell zusammengearbeitet wird und Zuständigkeiten klar sein, aber auch ausgehandelt werden können. Ebenso, dass der Klient oder die Klientin im Zentrum steht, aber zugleich auch das soziale Umfeld und die Angehörigen einbezogen werden. Den Menschen ganzheitlich zu erfassen und die letzte Lebensphase an der Maxime von «Lebensqualität bis ans Lebensende» (Steffen-Bürgi, 2017) auszurichten, ist eine vielschichtig verwobene, komplexe und herausfordernde Arbeit. Diese Unsicherheiten und diese Unplanbarkeit machen es für die Professionellen in diesem Arbeitsfeld nicht einfach, ihre tagtägliche Arbeit in Worte zu fassen und nachvollziehbar zu machen. Die in der Fachwelt genannten «handlungsspezifischen Logiken» (u. a. Thole, 2012; Farrenberg & Sulz, 2020), welche sich für andere Handlungsfelder ausmachen lassen, sind im vorliegend ausgewählten Handlungsfeld der Palliative Care sehr diffus. Aus diesem Umstand resultiert sodann auch Unsicherheit bis hin zu Unklarheit, was die «eigene berufliche Ein- und Wertschätzung» (Karges & Lehner, 2005, S. 450) anbelangt. Es kann sogar so weit gehen, dass nicht einmal die Berufsgruppen selbst eindeutig ihr Arbeitsfeld beschreiben und damit fassbar machen können. Dies gilt insbesondere für die Soziale Arbeit, um die sowie um deren Handlungskompetenzen es vorliegend geht.

Was wird von der Sozialen Arbeit im Feld der Palliative Care geleistet? Welche Handlungskompetenzen brauchen die darin professionellen Tätigen? Diese – womöglich auf den ersten Blick bescheidenen Fragen – sind Anstoss des vorliegenden Forschungsvorhabens und meines Erkenntnisinteresses. Soziale Arbeit spielt im Feld der Palliative Care und Hospizarbeit noch immer eine ungewisse und teils undefinierte Rolle – obwohl international die Bedeutung von «Social Work» in Hospizen unbestritten ist und namhafte Forschende, wie Saunders (2002), Wasner (2010;2016;2021) und Wasner & Pankofer (2014), Mühlum (2009; 2014) oder Borasio (2016), schon lange betonen, wie unverzichtbar der Beitrag der Sozialen Arbeit bei der Begleitung schwerstkranker Menschen ist. Student et al. (2016/2020) sprechen hier von einer «eigentümlichen Diskrepanz» zwischen Anspruch und Wirklichkeit (S. 150/S. 156). Man wisse zwar um die Stärken der Sozialen Arbeit bei der Verarbeitung von Verlusterfahrungen, persönlichen Krisen und der Gestaltung von schwierigen Lebensübergängen, aber dennoch sei genau das im Feld der Palliative Care und Hospizarbeit «zu wenig präsent» und «zum Teil auch selbstverschuldet» (ebd., 2016, S. 151). Dieser starke Vorwurf veranlasste mich dazu, mich vertieft einer Forschung zu widmen, welche die Perspektive und die Handlungen von Seiten der Sozialen Arbeit am Lebensende in das Zentrum stellt. Es gilt somit, einerseits die bereits im Feld der Palliative Care geleisteten Tätigkeiten der Sozialen Arbeit besser sichtbar zu machen und andererseits den Fachpersonen die Möglichkeit einzuräumen, sich selbst zu ihrem Tätigsein zu äussern.

Vorweg: Die generell von Student et al. (2016) formulierte Kritik der Nichtpräsenz lässt sich – zumindest auf den ersten Blick – auch im schweizerischen Kontext erkennen. Im Zuge der Entwicklungen, die sich hierzulande seit 2010 durch die vom Bund lancierte «nationale Strategie zu Palliative Care»Footnote 9 etablierten, entwickelt sich zwar ein verstärkter Ausbau der Versorgungsstrukturen und deren Finanzierung am Lebensende im Palliative-Care-Bereich. Auch die Wissenschaft befasst sich vermehrt mit dem Thema, doch die grosse Mehrheit der Projekte fokussiert die medizinische und pflegerische Versorgung von Menschen am Lebensende. Im NSPCI-Bericht aus dem Jahr 2015 ist zwar ersichtlich, dass insbesondere die Verankerung von Palliative Care im Bildungs- und Forschungsbereich bei «nicht-universitären Gesundheits- und Sozialberufen» (Kurzfassung NSPCI Bericht, S. 8) gestärkt werden soll, doch gerade, was die Soziale Arbeit in der Ausbilungspraxis in Bezug auf das Feld Sterben und Tod anbelangt, ist diesbezüglich bis heute – 2023 – in der Schweiz wenig sichtbar.Footnote 10

So erstaunt es nicht, dass die Soziale Arbeit wenig öffentliche Präsenz im Feld von Sterben, Tod und Trauer geniesst und sich der Frage stellen muss, warum sie denn im besagten Feld überhaupt benötigt wird. Ein Schritt, um diesbezüglich eine Änderung zu erwirken, kann in der Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins für das eigene Tun der bereits engagierten Professionellen im Feld der Palliative Care liegen. Sich über die eigene Berufsrolle bewusst klar zu sein. Mitgefühl und Wärme auszustrahlen, aber diese Elemente auch als fachliche Kompetenzen anzuerkennen sowie das eigene Wirken spürbar in einem multiprofessionellen Arbeitsfeld vertreten zu können, das bedarf einer hohen Reflexivität für die eigene Rolle. Es verlangt nach Sichtbarmachung der eigenen fachlichen Besonderheiten, aber auch nach einem starken Selbstbewusstsein gegenüber den eigenen sowie gegenüber weiteren Fachpersonen in einem multiprofessionellen Arbeitsfeld. Es verlangt zudem danach, dass auch einmal ein Gefäss vorhanden ist, diese Aspekte offen auszusprechen und darüber nachzudenken – denn als professionell zu gelten, hat auch viel damit zu tun, wie man sein eigenes berufliches Handeln selbst beschreibt. Nach Müller (2013, S. 959) gelingt es sozialen Berufskreisen deutlich schlechter, zu beschreiben, worin ihr Expertentum liegt. Er rekurriert in seinen Ausführungen auf Luhmann/Schorr (1982) und darauf, dass die sozialen Berufe ein sog. «Technologiedefizit haben». Technisches Denken und Handeln im Feld von Sterben und Tod auszumachen, ist nicht unbedingt mein das Ziel, aber es gilt, die Vorgehensweisen, die Leistungen und das Handeln, welches umgesetzt wird, erkennbarer zu machen.

Fachpersonen der Sozialen Arbeit sind zudem in ihrem alltäglichen Handeln und in unterschiedlichen Handlungsfeldern gewohnt, vielschichtige und teils auch nicht planbare Aufgabe wahrzunehmen. Dies führt dazu, dass sich ihr Wirken und ihr Tätigsein in einem stetigen Wandel und womöglich im Konflikt mit der Gesellschaft, deren Vorstellungen und den Bedürfnissen der Klientin bzw. des Klienten befinden. Sie müssen sich in unterschiedlichen Situationen selbst auch immer bewusst werden, dass sie für ihre Klientel das Bestmögliche versuchen können, aber womöglich das dann eben nicht immer mit dem übereinstimmt, was sich die Klientel wünscht oder was in der Situation, auch gemeinsam mit weiteren Professionellen, machbar ist. Fachpersonen der Sozialen Arbeit müssen also einiges aushalten können und sind in ihrer täglichen Arbeit mit vielen subjektiven Momenten konfrontiert, die wertvoll sind, das professionelle Handeln womöglich prägen, aber eben schwierig zu erfassen und zu explizieren sind.

Man tut etwas, ohne sich dabei bewusst zu sein, dass man dafür einerseits die richtige Fachperson ist und andererseits auch Kompetenzen hat oder umgekehrt, man übernimmt eine Aufgabe und merkt womöglich erst danach, dass man dafür allein zuständig ist – oder eben nicht – oder eventuell eine Vermittlungsrolle innehat. Das eigene Bewusstsein für seine Tätigkeit hängt zudem davon ab, welches millieuspezifisches Handeln man hierfür mitbringt, um die in der Begleitung am Lebensende zu gestaltenden Beziehungen anzugehen.

Das Forschungsvorhaben bietet Fachpersonen der Sozialen Arbeit die Möglichkeit, über ihr alltägliches Tätigsein in Hospizen und Palliativabteilungen einmal ausführlich zu sprechen. Im Zentrum steht deshalb die Frage:

Wie beschreiben Fachkräfte der Sozialen Arbeit ihr

berufliches Handeln in der Palliative Care?

Es geht vorliegend darum, empirisches Wissen zu Aspekten des Einbringens in den Arbeitsalltag, sog. Alltagshandeln, sowie das Vorgehen bei der Übernahme von Aufgaben/Tätigkeiten und diesbezügliche Aushandlungsprozessen und Entscheidungslogiken von Seiten der Fachpersonen der Sozialen Arbeit zu rekonstruieren. Ziel ist es, Orientierungen sowie Begründungen bezogen auf Handlungspraktiken und Vorgehensweisen herauszuarbeiten. Es geht um das darlegen, wie Herangehensweisen expliziert werden (Nohl, 2017, S. 35). Die eigene Sicht auf das eigene berufliche Handeln steht im Zentrum. Durch gezieltes Fragen nach dem beruflichen Alltag, den aktuellen Gestaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten sowie über Wunsch und Realität, was die eigenen Tätigkeiten betrifft, werden Wissensbestände der Befragten zu ihrem beruflichen Selbstverständnis generiert. Die Ergebnisse dazu werden in Verbindung mit ausgewählten professionstheoretischen Grundlagen gestellt und zu den in der Fachliteratur gemachten Zuschreibungen gesetzt. Das anvisierte Ziel: Ein Beitrag zur weiteren Konturierung des professionellen Handelns aus Sicht der Sozialen Arbeit im Kontext von Sterben und Tod zu leisten.

Bevor mein Vorhaben in den aktuellen Forschungsstand eingeordnet wird und diesbezügliche Lücken aufgezeigt werden, erfolgen in Kapitel 2 eine gesellschaftliche Einordnung der Themen Sterben und Tod. Anschliessend werden in Kapitel 3, die zentralen Begrifflichkeiten und deren Verhältnissen zueinander geklärt.