2.1 Teaching Note

Lernziele, Literatur und Fragestellungen zur Fallbearbeitung

Unternehmensnachfolge begreifen: Ein Verständnis für generelle Chancen und Herausforderungen der Unternehmensnachfolge entwickeln

  • Wie ist der Prozess der Übernahme des Unternehmens durch Ariane Meisner verlaufen?

  • Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus der plötzlichen Unternehmensnachfolge im Fall von Ariane Meisner im Vergleich zu einer geplanten, schrittweisen Unternehmensnachfolge?

  • LeCounte, J. F. (2022). Founder-CEOs: Succession planning for the success, growth, and legacy of family firms. Journal of Small Business Management, 60(3), 616–633. https://doi.org/10.1080/00472778.2020.1725814

  • Porfírio, J. A., Felício, J. A., & Carrilho, T. (2020). Family business succession: Analysis of the drivers of success based on entrepreneurship theory. Journal of Business Research, 115, 250–257. https://doi.org/10.1016/j.jbusres2019.11.054

Unternehmenskultur in Familienunternehmen analysieren: Ein Verständnis entwickeln für die Herausforderungen, die speziell Nachfolgerinnen in traditionell männlich-dominierten Unternehmen erleben

  • Wie lässt sich der anfängliche unternehmensinterne Widerstand gegen Ariane Meisner erklären? Welche verschiedenen Rollenkonflikte und Stereotype kommen hier zum Tragen?

  • Welche Strategien setzt Ariane Meisner ein, um diesen Herausforderungen zu begegnen und eine inklusivere Unternehmenskultur zu fördern? Welche weiteren Maßnahmen könnten zusätzlich effektiv zur Überwindung vorhandener Widerstände beitragen?

  • Bağış, M., Kryeziu, L., Kurutkan, M. N., & Ramadani, V. (2023). Women entrepreneurship in family business: Dominant topics and future research trends. Journal of Family Business Management, 13(3), 687–713. https://doi.org/10.1108/JFBM-03-2022-0040

  • Kuschel, K., Ettl, K., Díaz-García, C., & Alsos, G. A. (2020). Stemming the gender gap in STEM entrepreneurship – insights into women’s entrepreneurship in science, technology, engineering and mathematics. International Entrepreneurship and Management Journal, 16(1), 1–15. https://doi.org/10.1007/s11365-020-00642-5

Prozessinnovationen kennenlernen: Kenntnis von Prozessinnovationen erlangen, die verschiedene Funktionen eines Unternehmens betreffen

  • Welche spezifischen Prozessinnovationen wurden unter der Leitung von Ariane Meisner eingeführt? Was waren die Beweggründe von Ariane Meisner für die Einführung dieser Prozessinnovationen?

  • Wie bindet Ariane Meisner Mitarbeiter:innen, Kund:innen und andere Stakeholder in den Prozess der Einführung von Prozessinnovationen ein? Welche Auswirkungen haben sich hierdurch auf die Entwicklung des Unternehmens nach ihrer Übernahme ergeben?

  • Diaz-Moriana, V., Clinton, E., Kammerlander, N., Lumpkin, G. T., & Craig, J. B. (2020). Innovation Motives in Family Firms: A Transgenerational View. Entrepreneurship Theory and Practice, 44(2), 256–287. https://doi.org/10.1177/1042258718803051

  • Erdogan, I., Rondi, E., & Massis, A. de (2020). Managing the Tradition and Innovation Paradox in Family Firms: A Family Imprinting Perspective. Entrepreneurship Theory and Practice, 44(1), 20–54. https://doi.org/10.1177/1042258719839712

Einsatzfelder und Nutzungshinweise

Die Fallstudie kann sowohl für Studierende in Vorlesungen und Seminaren zu Themen wie Unternehmensführung, Unternehmensnachfolge und Organisationsverhalten genutzt werden als auch in Kursen, die genderbezogene Fragestellungen betrachten. Außerdem können in der Führungskräfteentwicklung – insbesondere für Führungskräfte von kleinen und mittleren Unternehmen – mithilfe der Fallstudie die Themenfelder Management, Kommunikation, Führung, Innovation und Transformation beleuchtet werden.

Die Fallstudie bietet sich ideal für eine interaktive Erarbeitung an. Zu Beginn sollten alle Teilnehmenden mit den theoretischen Grundlagen vertraut gemacht und dazu angehalten werden, die Fallstudie sowie die ergänzende Fachliteratur eigenständig zu studieren. Darauf aufbauend bieten sich Diskussionen in Kleingruppen an, die durch ergänzende Internetrecherchen angereichert werden können. Eine anschließende Diskussion im Plenum fördert eine ganzheitliche Reflexion und Auseinandersetzung mit dem Thema. Rollenspiele bieten zudem die Möglichkeit, verschiedene Gesprächssituationen und Gedankengänge aus den Blickwinkeln von Ariane Meisner, den Mitarbeitenden und Beratenden nachzuvollziehen. So lässt sich beispielsweise eine Beratungsszene inszenieren, in der ein:e externe:r Berater:in die Herausforderungen von Ariane Meisner aufgreift und durch gezielte, reflexive Fragen Einsichten in ihr Führungs- und Managementverhalten vermittelt.

Was macht die Innovation und die Innovatorin in dieser Fallstudie aus?

Ariane Meisner legt in ihrer Rolle als Geschäftsführerin einen klaren Fokus auf Prozessinnovationen. Sie setzt dabei auf moderne Managementmethoden, klare Strukturen und Verantwortlichkeiten, eine verbesserte Kommunikation – intern wie extern – und die Einbindung der Mitarbeitenden, Kund:innen und Stakeholder in den Innovationsprozess. Diese Maßnahmen tragen entscheidend zur Effizienzsteigerung und zur Schaffung einer dynamischen, innovativen und zukunftsorientierten Unternehmenskultur bei.

Arianes Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen, ihre visionäre Führung, ihr werteorientierter Ansatz, ihre Entscheidungsfähigkeit, ihr Fokus auf Mitarbeitendenentwicklung und ihr persönliches Wachstum zeichnen die Innovatorin dieser Fallstudie aus.

2.2 Die Fallstudie

Ariane Meisner schließt die Augen und atmet ein. Der wohlbekannte metallische Geruch steigt ihr in die Nase. Seit sie denken kann, ist dieser Geruch fester Bestandteil ihrer Erinnerungen: Wie sie als kleines Mädchen an der großen Fräse verstecken spielte mit dem gutmütigen Mitarbeiter Achim, der für sie schon damals quasi zum Inventar des Unternehmens gehörte. Wie sie als Jugendliche in den Ferien als „nettes Töchterlein vom Boss“ in der Urlaubszeit mit aushalf und die Maschinen bestücken sollte, angeleitet und ab und an ermahnt von den anderen Mitarbeitenden. Wie sie kicherte, während zwei Mitarbeitende auf einem der legendären Sommerfeste mit ihr Fangen vor dem großen Tor der Lagerhalle spielten.

Ariane öffnet die Augen und blickt sich in der Produktionshalle des Unternehmens um, das nun bereits in dritter Generation mit der Hilfe von 42 Mitarbeitenden technische Präzisionskomponenten herstellt. Die unbeschwerten Tage von damals scheinen Lichtjahre entfernt. Seit der Krebserkrankung ihres Vaters vor sechs Jahren und seinem damit verbundenen plötzlichen Ausscheiden aus dem Unternehmen hat sich in Arianes Leben viel verändert. Damals war sie 25 Jahre alt und wurde kurz vor Ende ihres Masterstudiums der BWL unerwartet vor die Wahl gestellt: „Entweder du übernimmst das Unternehmen oder wir müssen es verkaufen“. Auch wenn es für die Unternehmensnachfolge damals noch gar keinen Platz in ihrem Lebenskonzept gab – eigentlich wollte sie doch erst in einem Großkonzern so richtig durchstarten –, das Lebenswerk ihres Vaters verkaufen? Das kam für sie nicht infrage. Statt wie ihre anderen Freund:innen zum Fachschaftsstammtisch zu gehen, brütete Ariane also über der Buchhaltung; statt Partys und sonnigen Tagen auf den Uniwiesen standen für sie Finanzkennzahlen und Business-Pläne auf der Agenda. Von ihren Freund:innen fühlte sie sich damals wenig verstanden und alleingelassen. Sie erinnert sich noch gut, wie ihre beste Freundin Nina halb im Scherz, halb im Ernst zu ihr sagte: „Du hast gar keine Zeit mehr und nur noch das Unternehmen im Kopf. Bist so eine richtige Business-Tante geworden.“ Damals musste Ariane schwer schlucken. Natürlich war ihr das Unternehmen wichtig, aber eine reine „Karrierefrau“ wollte sie auch nicht sein.

Nicht nur in ihrem Freundeskreis war die Zeit der Unternehmensübernahme von Widerständen geprägt. Auch ein schlechtes weltwirtschaftliches Klima drohte der Nachwuchsunternehmerin damals einen Strich durch die Rechnung zu machen. Einen gewissen Schuldenberg übernahm sie direkt zu Beginn, weitere Investitionen in das Unternehmen folgten, um dieses neu und modern aufzustellen. Vor Terminen mit der Bank drehte sich Ariane damals regelmäßig der Magen um, abends ließen sie die Summen, die sie für das Unternehmen aufgenommen hatte, kaum einschlafen. Auch bei vielen Entscheidungen, die aufgrund der Wirtschaftslage häufig spontan getroffen werden mussten, fühlte sie sich unsicher. Ihren schwerkranken Vater wollte sie mit den Angelegenheiten des Unternehmens nicht behelligen; in ihrem Umfeld kannte sie niemanden, der eine ähnliche Position hatte und den sie sich zum Vorbild hätte nehmen können. Um dieses Informationsdefizit auszugleichen, nahm Ariane schließlich eine externe Beratung für kleine und mittlere Unternehmen in Anspruch.

Neben diesen privaten und finanziellen Herausforderungen brachten Ariane auch unternehmensinterne Themen oft aus dem Gleichgewicht, sodass die ersten Monate von einem unruhigen Arbeitsumfeld geprägt waren. Die Mitarbeitenden waren skeptisch, wie eine studierte „Theoriefrau“, die doch „so ganz anders als der Vater keine Ahnung von Technik“ hatte, das Unternehmen aus seiner wirtschaftlich herausfordernden Lage befreien sollte. Sie erinnert sich noch gut, wie Achim bei einem ihrer ersten Rundgänge durch die Produktion in ihrer neuen Rolle als Geschäftsführerin in gebrochenem Deutsch zu ihr sagte: „Ariane, du jetzt nicht mehr im Versteck, sondern so schick und wichtig hier bei uns – ist irgendwie komisch jetzt.“ Solche Situationen wiederholten sich in ihren ersten Wochen als Geschäftsführerin immer wieder. Mal war es das latente Gefühl, in der Runde der Vorarbeiter bei technischen Fragen übergangen zu werden; an einem anderen Tag die Frage durch die Mitarbeiterin Agnieszka, ob Ariane sich mit der Unternehmensführung also nun gegen das Thema Familienplanung entschieden habe. Ariane verspürte vermehrt den Druck, sich in dieser sehr direkten, technisch und traditionell geprägten Umgebung zu behaupten. Darüber hinaus erwischte sie sich häufig dabei, wie sie Aufgaben übernahm, die sie in ihrer Rolle als Geschäftsführerin eigentlich nicht bearbeiten sollte und die sie einige Überstunden kosteten – hier einen halben Tag Rechnungen an Kunden versenden, dort die penible stundenlange Qualitätskontrolle der Produkte. Als sie sich hierüber bei einem ihrer externen Berater beschwerte, sagte dieser nur ganz trocken: „Du nimmst ihnen ja auch alles ab. Deine Mitarbeitenden haben ja gar nicht die Chance, sich als kompetent zu erleben.“ Dies brachte Ariane zum Nachdenken. Ihr Berater fragte sie auch nach Werten, für die das Unternehmen zukünftig stehen sollte. Während Arianes Vater viel Wert auf das technische Prestige des Unternehmens nach außen gelegt hatte, war dies nicht unbedingt das Image, das Ariane für das Familienunternehmen im Fokus sah. Natürlich sollte die Firma für Innovation stehen, aber in Zeiten des Fachkräftemangels war es Ariane besonders wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem alle Unternehmensangehörigen gerne arbeiten und ihr Fachwissen und ihre Kompetenzen erweitern können. Transparenz, Zusammenarbeit und schlanke Prozesse sollten nach ihrer Vorstellung zentrale Bausteine der Firmenphilosophie werden, um Arbeits- und Informationsflüsse zu optimieren, eine starke Fokussierung auf Kundenwünsche zu ermöglichen und so nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten und vielen Zweifeln, die Ariane plagten, begann sie, basierend auf den Werten Transparenz, Zusammenarbeit und schlanke Prozesse eine Strategie zu entwickeln, um das Unternehmen wirtschaftlich wieder auf Kurs zu bringen und die Unternehmenskultur zu transformieren. Die ersten Versuche, Veränderungen einzuführen, stießen auf Skepsis: Die Einführung von „Lean Management“ wurde zunächst als „neumodischer Quatsch“ abgetan und feuerte Gerüchte über mögliche Entlassungen an. Auch gegen die verstärkte Zusammenarbeit und gemeinsame Produkt- und Innovationsentwicklung sowohl mit Kund:innen wie mit Wettbewerber:innen gab es Bedenken. Eine weitere Veränderung, die Ariane umsetzte, war die Formalisierung von Prozessen. Als Ariane zu Beginn der Übernahme nach einer Dokumentation unternehmensinterner Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten gefragt hatte, hatte man sie verständnislos angeschaut. Zwar waren die Abläufe allen bekannt, aber nirgendwo schriftlich festgehalten, sodass es die Nachfolgeunternehmerin mehrfaches, unangenehmes Nachfragen kostete, die internen Kommunikationswege und Themenverantwortlichen nachzuvollziehen. Die von ihr initiierte Festlegung klarer Hierarchien und Verantwortlichkeiten und deren Visualisierung in einem Organigramm wurde zunächst belächelt, sorgte aber schnell dafür, dass Informationen gebündelter und strukturierter an Ariane herangetragen wurden. Auch eine umfassendere Dokumentation und die darauffolgende – oft technische – Umstellung weiterer Prozesse sorgte nach anfänglichem Murren in der Belegschaft bald für eine höhere Effizienz und größere Klarheit. In Bezug auf die Zusammenarbeit führte Ariane ein Kommunikations- und Feedbackkonzept ein. Sie organisierte regelmäßige Meetings und informierte die Mitarbeitenden über aktuelle Herausforderungen, die finanzielle und wirtschaftliche Lage sowie die Vision des Unternehmens. Sie investierte in Schulungen für die Mitarbeitenden und ermutigte sie, eigene Vorschläge zur Prozessoptimierung einzubringen. Außerdem führte sie jährliche Feedbackgespräche mit allen Mitarbeitenden ein. Wichtig war Ariane hierbei, auch selbst Feedback als Führungskraft zu erhalten, um das Vertrauen der Belegschaft zu gewinnen und sich als Führungskraft auf gleicher Augenhöhe zu positionieren. Obwohl diese Maßnahmen von vielen Mitarbeitenden positiv gesehen wurden und ihnen das Gefühl vermittelten, einen aktiven Beitrag zur Unternehmensentwicklung zu leisten, blockten andere die Veränderungen kategorisch ab. Ariane hatte das Gefühl, diese Mitarbeitenden nicht mehr zu erreichen. Sie hörte Sätze wie: „Wozu soll das gut sein? Wir sind doch zum Arbeiten hier. Halten wir jetzt auch Händchen und singen fröhliche Lieder?“ Zwei Mitarbeiter aus dem Lager verweigerten sich Arianes Wunsch, neue Maßnahmen auszuprobieren und verwickelten andere Kolleg:innen in hitzige, aufwiegelnde Diskussionen. Als die beiden Unruhestifter immer später zur Arbeit erschienen, sah sich Ariane gezwungen, ihre ersten beiden Abmahnungen auszustellen. Dies heizte die Stimmung weiter an, sodass Ariane letztendlich keinen anderen Ausweg sah, als den beiden Mitarbeitern zu kündigen. Sie wollte ein Zeichen setzen, dass sie zwar offen und gesprächsbereit war, aber auch Disziplin erwartete und andernfalls Konsequenzen folgen ließ.

Während Ariane diese Gedanken Revue passieren lässt und sich in der Produktion umsieht, lächelt sie in sich hinein: „Das Wasser, in das ich geschmissen wurde, war eisig – also musste ich schnell lernen, darin zu schwimmen.“