Umweltökonomische Gesamtrechnungen für Volkswirtschaften und Unternehmen, die Ökosysteme und deren Leistungen einschließlich Kennziffern der biologischen Vielfalt einbeziehen und eine ökonomisch-ökologische Berichterstattung ermöglichen, könnten eine wichtige Basis für politische Entscheidungen und die Unternehmenssteuerung bieten und wichtige positive Rückkopplungen auf den gesellschaftlichen Diskurs darstellen, um die Natur besser zu schützen. Ein solches Berichtswesen ist inzwischen verpflichtend, aber die praktische Ausgestaltung und Anwendung sind teils noch offen.

Eine Naturbewertung und Integration von Leistungen der Ökosysteme in staatliche und unternehmerische Berichtssysteme sind zentral, weil sich so die Chance eröffnet, sie stärker als bisher in politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse einzubeziehen und angemessen wertzuschätzen. Dies trägt dazu bei, dass Naturschutzpolitik neu positioniert wird: Anstelle einer eher „traditionellen“ Politik des Schutzes von begrenzten Lebensräumen und Tier- und Pflanzenarten soll Naturschutzpolitik zu Gesellschaftspolitik werden, im Sinne eines wesentlichen Beitrags zum gesellschaftlichen Wohlergehen. Dieses neue „Framing“ der Bedeutung von Ökosystemen und Biodiversität soll langfristig dazu führen, dass nicht nur – wie bisher – in Produktivvermögen oder „Humankapital“, wie Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit investiert wird, sondern gleichermaßen in intakte Ökosysteme und vielfältige, lebendige Landschaften, d. h. in „Naturvermögen“.

FormalPara Nationale Berichterstattung

Der Rahmen für nationale Accounting Systeme, die naturschutzfachliche Informationen bereitstellen, ist mit SEEA-EA (United Nations et al. 2021) bereits abgesteckt (Kap. 3). Eine Weiterentwicklung von Methoden, Kriterien und Standards für diese Ökosystemrechnungen ist jedoch erforderlich, um die Werte und Leistungen von Biodiversität und Ökosystemen adäquat zu erfassen und in die wirtschaftlichen Entscheidungsprozesse zu integrieren. Dies betrifft künftig vor allem standardisierte Ansätze und Methoden für die Monetarisierung von ÖSL-Konten. Insofern sind seitens der Forschung neue Wissensgrundlagen sowie ein regelmäßiger Austausch über neue Methoden und Ansätze gefragt.

Für die regelmäßige und aktuelle Datenbereitstellung und die Einbeziehung in die UGR ist in Deutschland das Statistische Bundesamt verantwortlich. Parallel werden Indikatoren, die die Biodiversität und die Ökosysteme sowie deren Leistungen auf nationaler Ebene abbilden, insbesondere von staatlichen Institutionen erarbeitet und in ein systematisches Monitoring überführt, bspw. im Nationalen Monitoringzentrum zur Biodiversität oder im Forschungsdatenzentrum des IÖR. Insbesondere, wenn ÖSL-Indikatoren in nationale Strategien einbezogen werden (Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt - NBS und Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie - DNS), erlangen sie politische Relevanz und können ihr Informations- und Steuerungspotenzial auf Bundesebene, aber auch den nachgelagerten Länder- und Kommunalebenen entfalten.

Für ein stärkeres Mainstreaming, d. h. Einfließen des Themas Biodiversität und Ökosystemleistungen in andere Politikbereiche, ist es zusätzlich zentral, die verschiedenen Stakeholdergruppen konstruktiv einzubeziehen (Stichwort „Advocacy Coalitions“Footnote 1): Dies sind vor allem umweltorientierte Akteure aus der Politik und NGOs außerdem die Wirtschaft, Regierungsberatungsorganisationen sowie gesellschaftliche Meinungsführer, die als Multiplikatoren wirken können (Kap. 6). Es gilt daher, die Vernetzung solcher Akteure über einzelne Sektoren hinweg aufzuzeigen und bislang ungeahnte Allianzen sich entwickeln zu lassen. Dies können z. B. Umweltverbände, die Bundesbank, der Deutsche Verband für Landschaftspflege mit dem Konzept einer „Gemeinwohlprämie“ oder Akteure im Bereich von „Sustainable Finance“ sein.

Die Erweiterung der staatlichen Wirtschaftsberichtsysteme (Jahreswirtschaftsberichte der Bundesregierung, Wohlfahrtsberichterstattung) um wesentliche Kennziffern der biologischen Vielfalt und ÖSL sowie ihrer vielfachen Werte ist insgesamt ein zeitlich weitreichender und anspruchsvoller politischer Prozess.

Im Entwurf der neuen NBS 2030 avisiert die Bundesregierung das Ziel (BMUV 2023, S. 89): „Bis 2026 und darüber hinaus werden in der jährlichen Wirtschafts- bzw. Wohlfahrtsberichterstattung der Bundesregierung Aussagen sowie Indikatoren zu Biodiversität und Naturkapital fester Bestandteil sein und systematisch weiter ausgebaut – auch in Hinblick auf Ökosystemgesamtrechnungen“ (siehe auch JWB 2024). Folgende weitere Ziele und Maßnahmen wurden in der NBS zur Diskussion gestellt (BMUV 2023, S. 88/89)

  • Bis 2025 wird ein Forschungsprojekt zu einem „Naturkapital-Check“ für rechtliche und planerische Entscheidungen initiiert mit dem Ziel, durch die Berücksichtigung des Wertes von Ökosystemleistungen wichtige ergänzende Entscheidungsgrundlagen zur Bewertung von Entwicklungsszenarien sowie zur Optimierung der sektorenübergreifenden Bewirtschaftung von Ökosystemen zu liefern (z. B. Gesetzesfolgenabschätzung, UVP, SUP, Kosten-Nutzen-Analysen von Projekten).

  • Bis 2025 wird über die Kultusministerkonferenz eine Initiative gestartet, damit Bildungsmaterialien zu Naturkapital-Ansätzen in Curricula der relevanten Studiengänge integriert werden, mindestens in den Bereichen Ökonomie, Landschaftsplanung, Stadtplanung und Bau, Verkehrsplanung, Agrar- und Forstwissenschaften.

  • Bis 2026 werden Projekte zur Weiterentwicklung von Erfassungs- und Bewertungsmethoden von Naturkapital, zur Erhebung und Erfassung der dafür benötigen Daten sowie zur Entwicklung von aussagekräftigen Indikatoren initiiert.

  • Bis 2026 werden beim Statistischen Bundesamt die entsprechenden Ökosystemgesamtrechnungen aufgebaut, die Ergebnisse sukzessive online verfügbar und öffentlichkeitswirksam bekannt gemacht sowie durch ein nationales Begleitgremium zur Naturkapitalerfassung (zur wissenschaftlichen Beratung, Vernetzung der relevanten Behörden sowie Unterrichtung und Einbindung weiterer gesellschaftlicher Akteure) unterstützt.

FormalPara Unternehmens-Reporting

Die Bilanzierung und Berichterstattung über das Verhältnis von Unternehmen zur Biodiversität, den Ökosystemen und deren Leistungen ist insgesamt von entscheidender Bedeutung, denn sie trägt zur Sensibilisierung von Wirtschaft und Öffentlichkeit für den fortschreitenden Naturverlust, dessen Folgen und die daraus resultierenden signifikanten finanziellen Risiken bei. Dabei sollte die Berichterstattung nicht nur als Pflicht und bürokratische Bürde, sondern auch als Chance verstanden werden, bessere und nachhaltigere Unternehmensentscheidungen auf Grundlage besserer und umfangreicherer Daten zu treffen.

Dies wurde in der Vergangenheit vernachlässigt, da die naturbezogene Berichterstattung von Unternehmen bisher freiwillig, begrenzt und oft oberflächlich war. Die EU CSRD, insbesondere der ESRS E4 und dessen praktische Interpretation und Anwendung, sowie die Anwendungshilfen der TNFD sind in diesem Zusammenhang maßgeblich für die Qualität, den Umfang sowie die Transparenz der zukünftigen Berichterstattung. GrundsätzlichFootnote 2 erfordert eine sinnvolle und aussagekräftige Berichterstattung über die Natur und ihre relevanten Aspekte v. a. anfänglich signifikante Ressourcen, insbesondere das Engagement der Unternehmen über die Buchhaltungsabteilungen hinaus. Das Verständnis individueller Abhängigkeiten von natürlichen Ressourcen und Leistungen (Outside-in-Perspektive) kann das Verständnis und Management sozialer und finanzieller Risiken erleichtern. Darüber hinaus bietet dieses Verständnis die Möglichkeit, potenzielle Risiken und Chancen zu identifizieren und somit wirklich nachhaltige Geschäftspraktiken und -strategien zu ermöglichen, die sowohl die Ziele von Investoren und Gesellschaft als auch die zum Schutz unseres Planeten unterstützen.

Trotz der raschen Entwicklung der Umweltberichterstattung von Unternehmen, die vor allem durch die Anforderungen der EU CSRD gefördert wird, gibt es noch viele Hindernisse, die gezielte und anwendbare wissenschaftliche Erkenntnisse erfordern. Die Wissenschaft kann daher in diesem Prozess eine zentrale Rolle spielen, besonders im Hinblick auf Methoden zur Bilanzierung von Abhängigkeiten (Dependency Accounting) und daraus resultierender finanzieller Chancen und Risiken (Nature-related risks and opportunities accounting) sowie die Verbesserung der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von wissenschaftlichen Daten und Erkenntnissen, die auf die Bedürfnisse von Unternehmen und Regulierungsbehörden zugeschnitten werden sollten.

Der klassische Naturschutzbereich nicht nur in Umweltverbänden, sondern auch in Behörden und im Ministerium „fremdelt“ häufig noch mit umweltökonomischen Accounting- und Finanzansätzen. Hier besteht noch weiterer Diskussionsbedarf, denn bei einer Bilanzierung von Leistungen der Ökosysteme für das Wohlergehen der Menschen wie auch der Gesellschaft insgesamt geht es nicht darum, „Preisschilder“ für Naturgüter auszuweisen, sondern den bislang unerkannten Beitrag intakter Ökosysteme für den zukünftigen Wohlstand offenzulegen – wie auch die mit „blinder“ Wachstumsorientierung verbundenen Degradierungen der Natur. Dazu sollte eine verbesserte Berichterstattung, die sowohl ökonomisch, sozial und ökologisch den Wohlstand erfasst, (weiter-)entwickelt werden. Zentrale Stellschrauben mit Blick auf die Transformation der Wirtschaft wären u. a. die Korrektur der Wohlfahrtsmessung und der Wirtschaftsberichterstattung, z. B. durch den Ausbau der Ökosystemgesamtrechnung und der Integration von Naturkapital in wirtschaftliche Entscheidungsmechanismen. Aktuelle Versuche, ökologisch-ökonomische Berichterstattung auf Bundesebene zu gestalten, wurden ab 2023 in den Sonderkapiteln „ökologische Grenzen“ sowie „Wohlfahrtsmessung und gesellschaftlicher Fortschritt“ der Jahreswirtschaftsberichte aufgenommen (JWB 2024). Dazu kann das Ökosystem-Accounting künftig einen zentralen Beitrag leisten.

Die Einbeziehung von Ökosystemleistungs- und Biodiversitätsbelangen in Wirtschafts- und Wohlfahrtsberichte schreitet somit in Deutschland voran. Ziel dieses Accountings ist es, Transparenz zu schaffen. Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sollten die Daten aufnehmen, interpretieren und zukünftig stärker in umweltrelevante Entscheidungen einbeziehen.

FormalPara Fazit – das Narrativ ändert sich

Wirtschaft beschäftigt sich immer mehr mit Naturvermögen. Das Ökosystem-Accounting kann zeigen, welche Biodiversitätsziele, zu denen sich Deutschland verpflichtet hat, erreicht oder verfehlt werden. Die Erwartung besteht darin, dass man mithilfe des Accountings Entscheidungsträger auch aus anderen Politikbereichen mitnehmen kann. Und man kommt nicht umhin, den Wechsel vom Narrativ zum tatsächlichen Handeln mehr in das Blickfeld nehmen. Fragen eines verbesserten Wissenstransfers – oder etwas umfassender: „Science-Policy Interface“ – werden deshalb zukünftig an Bedeutung gewinnen.