Der wirtschaftliche und soziale Wohlstand eines Landes hängt entscheidend von einer intakten, artenreichen Natur ab. Doch der wahre Wert des Naturvermögens und funktionierender Ökosysteme wird noch zu häufig unterschätzt – im Bewusstsein vieler Menschen ebenso wie in volkswirtschaftlichen Berichtssystemen und Unternehmensbilanzen. Aber es zeichnen sich Fortschritte ab. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und geplante sowie bereits beschlossene Regulierungen auf internationaler Ebene bringen eine neue Dynamik in die ökologische Erweiterung staatlicher und privater Bilanzierungen.

1.1 Eine seriöse Rechnung aufmachen

Mit den spürbaren Folgen des weltweiten Klimawandels, der zunehmenden Inanspruchnahme sowie Belastung natürlicher Ökosysteme und einer dramatischen Artenverarmung wächst die Dringlichkeit einer Kehrtwende (siehe bereits MEA 2005). In vielen Staaten, besonders aber in Deutschland, hat der Naturschutz eine lange Tradition. Zugleich kamen in den letzten Jahren internationale und nationale Strategien zum Schutz der Biodiversität hinzu. Dennoch, es scheint keine Verbesserung im Bereich des Artenschwunds und des Verlustes landschaftlicher Vielfalt stattzufinden (CBD 2022a; OECD 2023).

Politische Entscheidungen, aber auch unternehmerisches Handeln stehen im Brennpunkt. Einerseits werden sie von vielen gesellschaftlichen Gruppen zunehmend kritisch hinterfragt und es wird die Wahrung ökologischer Verantwortung eingefordert. Andererseits formiert sich nicht nur im Agrarbereich zunehmender Widerstand gegen vermeintlich „nur“ umweltpolitische Programmatiken.

Es geht angesichts dieser Lage darum, eine seriöse „Rechnung“ aufzumachen. Welche Folgen haben die vielfältigen wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Qualität von Ökosystemen und deren Biodiversität? Welche Form des Wachstums ist noch möglich, ohne die Lebensgrundlagen gleichzeitig zu untergraben? Bei genauerem Hinsehen geht der Blick gleich in eine doppelte Leere, denn erstens ist über Einzelfälle hinaus nicht bekannt, welche Risiken sich flächenübergreifend aus dem Verlust von Biodiversität für Wirtschaft und Gesellschaft ergeben. Zum Zweiten: Auch die Erhaltung und sogar Verbesserung gesellschaftlichen Wohlergehens sowie des Wohlstands durch Leistungen der Natur werden in der Regel unterschätzt, sowohl in ihrer Bedeutung wie eben auch monetär (Beispiele u. a. in Naturkapital Deutschland – TEEB-DE 2018; konzeptionell in Lutz et al. 2015).

Wir sehen einen zentralen Hebel transformativen Wandels in der Modernisierung der Wirtschaftsberichterstattung. Eine neue ökologisch-ökonomische Berichterstattung auf staatlicher und unternehmerischer Ebene stellt nicht nur wichtige neue Informationen für Entscheidungsprozesse bereit, sondern eröffnet auch gedanklichen Raum und mehr gesellschaftliche Akzeptanz für ein neues Verständnis von gesellschaftlichem Wohlstand.

Klassische ökonomische Berichterstattungssysteme berücksichtigten Ökosysteme und deren Leistungen nur unzureichend. Diese Fehlstellen setzen für Politik und Entscheidungsträger falsche Signale

Die Entwicklung neuer Instrumente und Messkonzepte, die den Wert der Natur ausdrücken, wird als erfolgversprechender Ansatz gesehen, wirtschaftlichen Erfolg anders als bisher wahrzunehmen, nämlich unter Beachtung von Biodiversitätsrisiken und den Leistungen einer intakten Natur. Es braucht eine grundlegende Transformation der Wirtschaftsweise, um die biologische Vielfalt und funktionierende Ökosysteme, somit auch „Naturkapital“, zu erhalten und der gemeinsamen Verantwortung aufgrund des wachsenden globalen wirtschaftlichen Austauschs gerecht zu werden.

Es mag gegenwärtig noch ungeahnt deutlich klingen: Nur Unternehmen, die auch die Konsequenzen ihres Handelns für die Ökosystemleistungen (ÖSL) und die Artenvielfalt in ihre Bilanzen aufnehmen, können sich das Vertrauen ihrer Kunden und Kooperationspartner erhalten und mit einem wirtschaftlichen Vorteil auf dem Finanzmarkt rechnen – abgesehen davon, dass viele Unternehmen natürlich auch selbst abhängig von sauberem Wasser, nachwachsenden Rohstoffen oder einer intakten Landschaft sind. Dazu müssen ökologische Werte erfasst und in standardisierter und vergleichbarer Form ausgewiesen werden. Das Gleiche gilt für die volkswirtschaftliche Berichterstattung auf nationaler Ebene (Zieschank und Diefenbacher 2019; Dasgupta 2021; Grunewald et al. 2022a; Förster et al. 2023).

1.2 Triebkräfte der Modernisierung

Seien es die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, die Jahreswirtschaftsberichte der Bundesregierung, die Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder aber der ganz überwiegende Teil ökonomischer Modellierungen – sie alle kamen bislang weitgehend ohne Einbeziehung von Ökosystemen und deren Leistungen für die Gesellschaft aus. Gemeint sind gerade nicht die klassischen Ressourcen oder Rohstoffe, sondern ökologische Funktionen respektive Leistungen.

Je näher man sich mit diesen Berichtsformen befasst, umso verwunderlicher ist diese doppelte Ignoranz gegenüber induzierten Umweltschäden und (noch) vorhandenen Ökosystemleistungen, gerade im Hinblick auf den ansonsten in Politik und Wirtschaft häufig befürchteten Wohlstandsverlust. Denn auf Biodiversität und intakten Ökosystemen beruhen in industrialisierten Staaten nicht nur bis zu 50 % des Bruttoinlandsprodukts (WEF 2020), sondern auch weitere Leistungen, welche der Existenzsicherung und dem Wohlbefinden der Menschen sowie der kulturellen Entwicklung dienen. Es gibt jedoch auch eine positive Gegenbewegung, die sich für die Ausweisung von Natur in den Wirtschaftsberichten ausspricht.

Treiber einer Modernisierung von nationaler und betrieblicher Wirtschaftsberichterstattung sind vor allem:

  • Alternative Wachstums- und Wohlstands-Diskurse (Stichwort „Beyond GDP“)

  • Biodiversitätsstrategien von internationalen Akteuren bzw. Institutionen

  • Genuine Weiterentwicklungen innerhalb der Fachcommunity der Umweltökonomischen Gesamtrechnungen (Stichwort SEEA-EA)

  • Unternehmerische (Natur-)Berichterstattung

Wichtige Faktoren für diese neueren Entwicklungen sollen im Folgenden kurz dargestellt werden:

Wohlstandsverständnis im Wandel

Auf internationaler Ebene nimmt die Erkenntnis zu, wirtschaftliches Produktivkapital, Naturkapital sowie Sozialkapital als ein Gesamtsystem zu betrachten; ein wichtiges Stichwort hier lautet „Wellbeing Society“ (exemplarisch Brandt et al. 2022). Die Vereinten Nationen (UN), die Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD), die Weltbank, darüber hinaus auch Teile der EU-Kommission sowie weitere einflussreiche Organisationen streben eine bessere Integration von Ökosystemleistungen und Biodiversität in die Wirtschafts- und Nachhaltigkeitsberichterstattung an. Das politische Umfeld sendet auch in Deutschland Signale, Wohlstand künftig anders gefasst messen und bewerten zu wollen (BMUV 2023; JWB 2024).

Einer der Meilensteine auf diesem Weg war die von der EU-Kommission initiierte internationale Konferenz „Beyond GDP“ im Jahr 2007, deren Ergebnisse sich mit Verzögerungen in internationalen Institutionen bemerkbar machten: Veröffentlichte die Weltbank noch 2011 ihren Bericht unter der Überschrift „The Wealth of Nations“, veränderte sich ihre Position mit der Studie „The Changing Wealth of Nations“ von 2018 grundlegend. Hinzu kam ein neues Verständnis der Erfassung von Wohlstand mittels zusätzlicher Indikatoren einer Green Economy: Etwa im Rahmen der OECD Initiativen zu Green Economy oder des UN Umweltprogramms UNEP (2018), Stichwort: Green Performance Indicators.

Internationale Biodiversitätsstrategien

Zentrale Befürworter für die Einbeziehung von Biodiversität und Ökosystemleistungen in gesellschaftliche Berichtsysteme sind die wissenschaftlichen und politischen Akteure der CBD (Convention of Biodiversity). Der Weltbiodiversitätsrat IPBES sieht die Notwendigkeit eines umfassenderen Monitorings von Biodiversität. Seit 2015 diskutieren neben der deutschen IPBES-Koordinierungsstelle auch andere nationale Akteure, darunter insbesondere die Dialog- und Aktionsplattform „Unternehmen Biologische Vielfalt – UBi“, die Rolle der Wirtschaft im IPBES-Prozess.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass aus der Erkenntnis, Notwendigkeit und Motivationslage einer Erhaltung der Biodiversität eine Reihe weiterer Initiativen resultierten: Auf internationaler und EU-Ebene gab es schon länger politische Zielfestlegungen, die eine Einbeziehung von Ökosystemen vor allem in staatliche Bilanzierungs- und Berichtssysteme nahelegen (z. B. die SDGs für 2030). Diese wurden auch in dem neuen globalen Post-2020-Rahmen für Biodiversität (CBD 2022b) aufgegriffen und werden von verschiedenen Organisationen wie der UN, der International Union for Conservation of Nature (IUCN) sowie auf EU-Ebene vorangetrieben.

Weiterentwicklung der Umweltökonomischen Gesamtrechnungen (UGR)

Die Verwendung von Informationen zu Ökosystemleistungen im Rahmen einer Erweiterung der UGR in Deutschland ist vielversprechend. Man trägt hier vor allem der internationalen Dynamik Rechnung, die durch das nun vorliegende UN Statistiksystem zum Ecosystem Accounting gespeist wird (United Nations et al. 2021, Kap. 3). Dies hat für die weitere Ausarbeitung und Gestaltung von Ökosystembilanzierungen in Deutschland maßgebliche Bedeutung. Mit der Erweiterung der EU-Verordnung 691/2011 (statistische Berichtspflichten für EU-Mitgliedsstaaten) um zusätzliche Anhänge wird die Datengewinnung und -dokumentation sowie ihre methodische Verarbeitung in den Mitgliedsstaaten angepasst. Sie beinhaltet auch Neuerungen zu Ergebnissen der Waldgesamtrechnung, den umweltbezogenen Subventionen und ähnlichen Transferzahlungen sowie – hier bedeutsam – den Ökosystemrechnungen des Statistischen Bundesamtes, welche für Deutschland ab 2026 avisiert werden.

Diese Prozesse signalisieren nicht allein ein erweitertes Verständnis innerhalb der Fachwelt der statistischen Organisationen, sondern die getroffenen Regelungen konsolidieren gleichzeitig die Wichtigkeit des Themas auch beim Statistischen Bundesamt. Über die Mitgliedschaft im UN Committee of Experts on Environmental-Economic Accounting (UNCEEA) und der London Group on Environmental Accounting sowie der intensiven Zusammenarbeit mit Eurostat werden wiederum die Arbeiten des Statistischen Bundesamtes in einem internationalen Rahmen sichtbar.

Unternehmerische Berichterstattung

Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen zielen darauf ab, Klarheit über den sozialen und ökologischen Fußabdruck eines Unternehmens zu gewinnen und es an Nachhaltigkeitszielen auszurichten. Viele Unternehmen haben damit begonnen, ihre Nachhaltigkeits- und Geschäftsberichte in einem integrierten Report zusammenzuführen. Auf diese Weise ergeben sich weitreichende Möglichkeiten, die Wechselwirkungen zwischen der wirtschaftlichen Leistung des Unternehmens und dem Umgang mit den natürlichen und sozialen Ressourcen transparent herauszuarbeiten.

Neben einigen Vorreitern aus dem Bereich der Gemeinwohlökonomie sowie umweltorientierter Beratungsnetzwerke hat die Value Balancing Alliance (VBA, https://www.value-balancing.com) eine Pionierrolle übernommen, durchaus schon vor dem Inkrafttreten internationaler Regelwerke. Die VBA hat mit ihren Mitgliedsunternehmen eine standardisierte Methodik erarbeitet, um ihre wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Wertbeiträge so darzustellen, dass diese mit den Leistungen anderer Unternehmen vergleichbar werden. Auf diese Weise erfahren innerbetriebliche Akteure und außerbetriebliche Stakeholder, wo das Nachhaltigkeitsmanagement eines Unternehmens im Marktvergleich steht und auf welchen Handlungsgebieten es welchen Steuerungsbedarf gibt.

Im Rahmen ihres europäischen Green Deal und insbesondere mit der Einführung der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) im Jahr 2017 hat die Europäische Union eine führende Rolle bei der Standardisierung einer verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen übernommen (Breijer und Orij 2022). Die EU-Kommission hat im November 2022 einen rechtsverbindlichen Rahmen für Unternehmen beschlossen, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD, Kap. 4). Danach werden künftig rund 40.000 Unternehmen in der EU, davon rund 15.000 in Deutschland, die Risiken, Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt regelmäßig überwachen, bewerten und transparent offenlegen müssen. So ergeben sich auch entsprechende Anhaltspunkte entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten. Die Herausforderung besteht darin, die Komplexität von Biodiversität und Ökosystemleistungen für Unternehmen handhabbar zu machen, sodass sich daraus sinnvolle Handlungsempfehlungen ableiten lassen (Förster et al. 2023).