1 Einleitung

Logistiksysteme bilden einen wichtigen Teil des globalen Wirtschaftssystems. Sie verknüpfen durch raum-zeitliche Transformationsprozesse die Güterbereitstellung und -verwendung. Diese Transformationsprozesse werden auf der letzten Meile durch alle Gruppen von Akteur:innen erbracht. In der Literatur wird oftmals zwischen drei Gruppen von Akteur:innen unterschieden, die ebenso unterschiedliche Interessen sowie Erwartungen an die Logistik haben (Richter et al. 2020):

  • die Zivilgesellschaft (Kund:innen): Schnelligkeit, Transparenz, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Zustellung.

  • die Politik (Kommunen): Etablierung nachhaltigerer Zustellkonzepte.

  • die Paketdienstleister: Zeit- und Kostenersparnis bei der Zustellung.

Nicht nur steigende, sich in den letzten Jahrzehnten veränderte Anforderungen seitens der Gruppen von Akteur:innen, sondern auch das geänderte Einkaufsverhalten, bedingt durch die zunehmende Digitalisierung, verlangen neue Zustellkonzepte. Durch die Digitalisierung und die Vision einer Logistik 4.0 auf der letzten Meile, bei der intelligente Systeme, Vernetzung und Automatisierung integriert werden, können Prozesse verbessert und somit die letzte Meile insgesamt nachhaltiger werden (Strandhagen et al. 2017). Die letzte Meile bezieht sich in der Logistik auf den abschließenden Abschnitt der Lieferkette, in dem Produkte vom Verteilzentrum oder Lager zum endgültigen Bestimmungsort, in der Regel zu Kund:innen oder Einzelhändler:innen, transportiert werden (Brabänder 2020). Dieser Abschnitt ist oft besonders kritisch und anspruchsvoll, da er häufig die teuersten und zeitaufwendigsten Aspekte der Lieferkette umfasst (Brabänder 2020).

Bislang fehlt es an einer umfangreichen Betrachtung von Transformationsprozessen auf der letzten Meile. Vor diesem Hintergrund werden zunächst in Abschn. 6.2 die Begrifflichkeiten definiert und im Kontext von Angebots- und Servicestrukturen auf der letzten Meile eingegrenzt und diskutiert. Anschließend erfolgt in Abschn. 6.3 eine Betrachtung von Transformationen auf der letzten Meile nach dem Mehrebenen-Modell. Dabei wird die Rolle kollaborativer Geschäftsmodelle als ein möglicher Nachhaltigkeitspfad diskutiert. Nachfolgend endet das Kapitel mit einer Schlussbetrachtung (Abschn. 6.4).

2 Zustellsysteme und Dienstleistungsstrukturen

Unter Transformation wird ein Veränderungsprozess vom aktuellen Zustand zu einem angestrebten Ziel-Zustand in der nahen Zukunft verstanden, welcher im Kontext der letzten Meile in der Stadtlogistik dazu dient, den Veränderungen des digitalen Zeitalters (z. B. sich veränderndes Einkaufsverhalten der Kund:innen bezüglich Onlinehandel) gerecht zu werden und sich der Marktdynamik anzupassen (Pfohl 2018). Transformationsprozesse haben auch eine raum-zeitliche Komponente und umfassen in der Logistik Bewegungs- und Lagerprozesse innerhalb eines Logistiksystems (Pfohl 2018). Nach Pfohl (2018) bildet die Verknüpfung zwischen der Güterbereitstellung und der Güterverwendung die Güterverteilung, welche durch Transformationsprozesse, hier durch Bewegungs- und Lageprozesse, die Güter nicht qualitativ, sondern raum-zeitlich verändern. Systeme zur raum-zeitlichen Gütertransformation sind Logistiksysteme und die in ihnen ablaufenden Prozesse werden demnach Logistikprozesse genannt (Pfohl 2018). Für Logistiksysteme ist das Ineinandergreifen von Bewegungs- und Lagerprozessen charakteristisch (Pfohl 2018). Grafisch werden diese anhand von Knoten und Kanten dargestellt. An den einzelnen Knoten werden Güter vorübergehend gelagert. Die Kanten, stellen die verschiedenen unterschiedlichen Möglichkeiten dar, wie die Güter durch das Netzwerk transportiert werden können. Auf der letzten Meile kann das Zustellsystem einstufig sowie zweistufig oder in Kombination auftreten (Abb. 6.1).

Abb. 6.1
figure 1

Grundstrukturen von Zustellsystemen auf der letzten Meile. (Quelle: eigene Darstellung)

Die Transformation und der zunehmende gewerblicher Einsatz von Lastenrädern auf der letzten Meile lassen sich durch die wachsende Bedeutung des Onlinehandels und der damit einhergehenden Änderungen von Anforderungen bezüglich Flexibilität und Transportgeschwindigkeit erklären. So entwickelten und etablierten sich aus Logistikdienstleistern unterschiedliche Paketdienstleister, die auch als Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) bezeichnet werden, auf dem Markt. KEP-Dienstleister fassen bestellte Kleingüter und Pakete zunächst zu Sendungen zusammen und unterscheiden ihre Dienstleistungen, basierend auf der Zustellzeit mit entsprechenden Preisaufschlägen für die Kund:innen (Rock 2022):

  • Sofortzustellung, bei der eine schnellstmögliche Transportabwicklung gewährleistet wird und hauptsächlich im urbanen Raum Anwendung findet.

  • Same Day Delivery, die eine Zustellzeit von vier bis sechs Stunden umfasst.

  • Next Day Delivery, die eine Auslieferung innerhalb von 24 h verspricht.

  • Second Day Delivery, die eine Belieferung innerhalb von 48 h vorsieht.

  • Overnight Delivery, bei der die Sendung über Nacht transportiert und am darauffolgenden Vormittag zugestellt wird.

Die Kosten der Zustellungen werden in der KEP-Branche durch den Anteil der Erstzustellungen beeinflusst, dessen Sicherstellung durch innovative Belieferungskonzepte unterstützt wird. Hierzu zählt die Implementierung von Paketshops, Mikro-Hubs, Paketstationen, Nutzung von Paketboxen, sowie die Nutzung bereits vorhandener Infrastruktur (z. B. Gewässer, Straßenbahnen). Zusätzlich wirken sich organisatorische Maßnahmen unterstützend auf die positive Umsetzung und Wirkung solcher innovativen Belieferungskonzepte aus (Rock 2022):

  • Empfänger:innen benennen und berechtigen damit alternative Personen, die eine Sendung entgegennehmen sollen.

  • Anlieferung zum Arbeitsort.

  • Definierte Ablageorte, wie z. B. am eigenen Wohnort oder in einer zuvor bestimmten Filiale;

  • Kofferraumzustellung.

  • Gebündelte Anlieferung von mehreren getätigten Bestellungen von einem:r Onlinehändler:in.

  • Gebündelte Anlieferung von mehreren getätigten Bestellungen von mehreren Onlinehändler:innen, anstelle von jeweils einer Zustellung pro Bestellung.

  • Vereinbarung bzw. Anpassung der Zustellzeiten auf konkrete Zeitfenster oder Randzeiten.

  • Ausweitung der Liefertage, z. B. auf Sonntag.

Allerdings sind die unterschiedlichen Belieferungskonzepte sehr stark von der Akzeptanz und Präferenz von Seiten der Kund:innen abhängig, die sehr unterschiedlich ist und von den nationalen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und technologischen Rahmenbedingungen abhängen (Göpfert 2022). Eine Untersuchung und Erfassung dieser bietet die Multi-Level-Perspektive nach Geels (2002), welche im nachfolgenden Kapitel vorgestellt wird.

3 Die evolutorische Multi-Level-Perspektive der letzten Meile

Um die Transformation der letzten Meile beschreiben zu können, dient das Mehrebenen-Modell nach Geels (2002), mit dem der gegenwärtige Zustand der letzten Meile porträtiert und Wirkungszusammenhänge von Akteur:innen und Transformationspfaden strukturiert identifiziert werden können. Das Mehrebenen-Modell erlaubt ein offenes Verständnis von Transformation, mit dem dynamisch-komplexe Prozesse erschlossen werden können. Bislang wurde das Mehrebenen-Modell vor allem in der Innovationsforschung angewendet, um das Wirkungsgefüge zwischen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, und technologischen Veränderungsprozessen zu beschreiben. Die evolutorische Multi-Level-Perspektive wurde bisher in den Arbeiten von Geels (2002, 2004, 2005, 2006, 2007, 2012), Geels und Kemp (2012), Geels und Schot (2007), Geels und Verhees (2011), Geels et al. (2012), Turnheim und Geels (2012) angewandt, um Transformationen von sozio-technischen Systemen als empirisch angelegte Fallstudien zum Wandel der Energieversorgung, der Ersetzung von Pferdewagen durch das Automobil sowie der Substitution von Segel- durch Dampfschiffe zu untersuchen. Dieser Ansatz kann auch verwendet werden, um die Entwicklung der letzten Meile sowie insbesondere auch der Radlogistik zu analysieren. Dabei unterscheidet das Mehrebenen-Modell nach Geels (2002) zwischen drei Ebenen: Landschaft, Regime und Nischen. Diese Ebenen werden in den folgenden Unterkapiteln genauer erörtert.

3.1 Landschaft: übergreifende Entwicklungen

Die landschaftliche Ebene umfasst die übergeordneten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die weitreichende, langfristige Veränderungen sowie die Entwicklung von sozio-technischen Systemen beeinflussen. Auf der Ebene der letzten Meile können dies beispielsweise Verkehrsregulierungen, Umweltauflagen, politische Initiativen zur Förderung nachhaltiger (Güter-)Mobilität oder Veränderungen in den Konsumgewohnheiten der Kund:innen sein. Die Landschaftsebene bietet den Rahmen und die Grenzen für die Entwicklung von Innovationen auf der letzten Meile. Der Veränderungsdruck auf der landschaftlichen Ebene, den die letzte Meile erfährt, beeinflusst die künftige Art der Zustellsysteme und Dienstleistungsstrukturen (Abschn. 6.2) sowie insbesondere die Integration der Fahrradlogistik in die Lieferketten. Daher wird bei der Gestaltung der letzten Meile in urbanen Räumen die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichem Wandel und Innovationskräften konkret betrachtet. Zu den übergreifenden gesellschaftlichen Entwicklungen zählen:

  • Urbanisierung: Die steigende Bevölkerungsdichte in städtischen Gebieten erhöht die Nachfrage nach effizienten und nachhaltigen Zustelllösungen. Die Herausforderungen durch begrenzte Platzverhältnisse und erhöhten (Liefer-)Verkehr in städtischen Gebieten erfordern innovative Ansätze, um den urbanen Logistikverkehr hinsichtlich Effizienz und Nachhaltigkeit zu optimieren. Wissenschaftliche Untersuchungen zu Urbanisierung und Fahrradlogistik haben bereits das Potenzial von Lastenfahrrädern für eine nachhaltigere Stadtlogistik aufgezeigt (Schliwa et al. 2015; Wrighton und Reiter 2016; Fontes und Andrade 2022). Die räumliche Dimension der Fahrradlogistik wurde ebenfalls untersucht und eine Klassifizierung der Fahrradlogistiksysteme, welche die räumliche Struktur der Liefervorgänge berücksichtigt, entwickelt (Staricco und Brovarone 2016).

  • Digitalisierung: Die Digitalisierung der Logistik auf der letzten Meile ist ein Schlüsselfaktor auf der Landschaftsebene, da sie die Grundlage für innovative Lösungsansätze bildet (Olsson et al. 2019). Die Implementierung von Echtzeit-Tracking, intelligenten Routenoptimierungsalgorithmen und digitalen Plattformen trägt dazu bei, die Transparenz entlang der Lieferkette zu verbessern und die Prozesse auf der letzten Meile effizienter zu gestalten (Demir et al. 2022; Olsson et al. 2019).

  • Nachhaltigkeit: Die Fokussierung auf die Reduzierung von Emissionen und umweltfreundliche Zustellmethoden prägt die Landschaftsebene maßgeblich. Dabei wurde das Potenzial der Fahrradlogistik zur Förderung der Nachhaltigkeit im städtischen Güterverkehr hervorgehoben (Schüte et al. 2023). Sowohl Fontes und Andrade (2022) als auch Buerklen, Schuete und Rudolph (2023) betonen die Bedeutung eines gemeinsamen Verständnisses der lokalen Rahmenbedingungen und der Notwendigkeit von Kollaborationen zwischen den KEP-Dienstleistern für eine erfolgreiche Integration der Radlogistik und heben den Bedarf eines unterstützenden regulatorischen und operativen Rahmens für deren erfolgreiche Umsetzung hervor.

Diese gesellschaftlichen Entwicklungen wiederum stehen im engen Verhältnis zu spezifischen Entwicklungen in der Radlogistik, wie beispielsweise in den Bereichen:

  • Onlinehandel: Der Onlinehandel prägt die Landschaftsebene, da er eine stetig wachsende Anzahl von Lieferungen auf der letzten Meile generiert. Logistikunternehmen müssen sich an die steigende Nachfrage nach schnelleren und zuverlässigeren Zustellungen anpassen (Abschn. 6.2). Die Integration von neuen Technologien und innovativeren Zustellprozessen ist entscheidend, um den steigenden Anforderungen der Kund:innen bezüglich Flexibilität und Zustellgeschwindigkeit gerecht zu werden (Buerklen et al. 2023; Pfohl 2018).

  • Automatisierung: Die fortschreitende Automatisierung im Kontext der Radlogistik prägt die Landschaftsebene und birgt das Potenzial, die Effizienz zu steigern und Kosten zu senken. Gleichzeitig müssen Herausforderungen wie die Integration neuer Technologien in bestehende Infrastrukturen und regulatorische Aspekte bewältigt werden (Müller et al. 2018).

  • Elektrifizierung: Die Elektrifizierung von Lieferfahrzeugen ist ein weiterer wichtiger Aspekt auf der Landschaftsebene. Der Übergang zu elektrisch betriebenen Lieferfahrzeugen trägt zur Reduzierung von Emissionen im städtischen Umfeld bei und unterstützt die Bestrebungen der KEP-Dienstleister zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen in der Logistik auf der letzten Meile durch die Integration von Lastenfahrrädern (Buerklen et al. 2023).

  • Vernetzung: Die verstärkte Vernetzung von Lieferketten und Logistikprozessen beeinflusst die Landschaftsebene erheblich. Durch die Integration von Internet of Things (IoT) entsteht eine engere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteur:innen einer Lieferkette. Dies ermöglicht eine effektivere Koordination der Zustellwaren und Optimierung der letzten Meile. Nach Buerklen, Schuete und Rudolph (2023) werden Innovationen und Transformationen von Akteur:innen vorangetrieben, die neue Ideen ausprobieren und entsprechende Verbreitung fördern. Dabei kommt es auf die Kombination von verschiedenen Ressourcen und Kompetenzen an.

Diese landschaftlichen Veränderungen schaffen den Kontext für die Entwicklung und Förderung der Radlogistik als alternatives Zustellfahrzeug in der Lieferlogistik.

3.2 Regime: sozio-ökonomische, -technische, -politische Strukturen

Die Regime-Ebene umfasst etablierte Akteur:innen, Institutionen, Routinen, Normen und Regeln, welche die gegenwärtigen Zustellsysteme auf der letzten Meile prägen. Hier finden wir etablierte Zustellunternehmen, Logistikdienstleistungen, Einzelhändler:innen, Geschäftsmodelle und Kund:innenpräferenzen, die bereits in Abschn. 6.2 vorgestellt sind. Die Regimeebene stabilisiert die bestehenden Zustellsysteme und wirkt als Widerstand gegen radikale Veränderungen.

In der Radlogistik umfasst das Regime etablierte Lieferunternehmen, logistische Infrastrukturen, Transportgesetze und -vorschriften sowie kulturelle Normen bezüglich der Zustellung von Waren. Die Entwicklung der Radlogistik erfordert oft Veränderungen in diesen etablierten Regimen, um Hindernisse für die Einführung von Lastenfahrrädern oder anderen Fahrradkonzepten zu überwinden. In Anlehnung an Fichter und Antes (2007) wird für die kontextspezifische Betrachtung der Radlogistik eine strukturierte Beschreibung der Regimeebene entlang der folgenden Dimensionen vorgenommen: (a) Markt (b) Technologie, (c) Gesellschaft, (d) Förderung, Finanzierung und Forschung, (e) Infrastruktur und (f) Regulierung:

  • Markt: Der deutsche KEP-Markt zeichnet sich durch eine hohe Wettbewerbsintensität aus, wobei die Marktführenden bestrebt sind, ihre Marktanteile zu halten und auszubauen. Die Nachfrage der Kund:innen konzentriert sich auf zuverlässige und effiziente Zustellungen, während der Onlinehandel eine treibende Kraft für die Marktentwicklung ist (Buerklen et al. 2023).

  • Technologie: In Bezug auf Technologie auf der Regime-Ebene dominieren traditionelle Zustellmethoden, wie Lieferfahrzeuge und Lagerverwaltungssysteme. Obwohl es Implementierungen von fortschrittlichen Technologien wie Track-and-Trace-Systemen und Telematik gibt, steht die Branche vor Herausforderungen bei der Integration von innovativen Technologien wie autonomen Lieferfahrzeugen und Robotern (Buerklen et al. 2023).

  • Gesellschaft: Auf der Regime-Ebene spiegeln sich gesellschaftliche Erwartungen an Lieferzeitfenster, Zuverlässigkeit, Bequemlichkeit und Kommunikation bei Lieferungen wider (Abschn. 6.2). Gesellschaftliche Bedenken hinsichtlich Umweltauswirkungen und Nachhaltigkeit beeinflussen zunehmend die Geschäftsmodelle der KEP-Dienstleister, sodass diese verstärkt bestrebt sind, umweltfreundliche Zustellmethoden zu integrieren (Buerklen et al. 2023).

  • Förderung, Finanzierung und Forschung: Förderung, Finanzierung und Forschung auf der Regime-Ebene konzentrieren sich auf bewährte Methoden, Prozesse und etablierte Technologien. Es gibt Investitionen in die Modernisierung von Fahrzeugflotten und Lagerhaltungssystemen sowie spezifische Förderung von Lastenrädern und Radlogistik (Schüte et al. 2023). Aktuelle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten konzentrieren sich allerdings vorwiegend auf die Optimierung bestehender Prozesse, während innovative Ansätze nur schrittweise in die Praxis überführt werden (Buerklen et al. 2023).

  • Infrastruktur: Die bestehende Infrastruktur auf der Regime-Ebene umfasst Straßen- und Verkehrsnetzwerke, Logistikzentren und Lagerhäuser. Die Infrastruktur ist auf herkömmliche Zustellmethoden ausgerichtet, was nach Buerklen, Schuete und Rudolph (2023) dazu führen kann, dass die Integration von neuen Technologien und innovativen Zustellmodellen in bestehende Strukturen gehemmt wird.

  • Regulierung: Regulierungen auf der Regime-Ebene setzen Standards für den Straßenverkehr, Umweltauflagen und arbeitsrechtliche Bestimmungen. Bestehende Regelungen orientieren sich an den traditionellen Logistikpraktiken, was die Integration neuer Technologien erschweren kann. Regelungen können jedoch angepasst werden, um weitere Innovationen in der Radlogistik zu ermöglichen und den Herausforderungen im Bereich der letzten Meile gerecht zu werden (Buerklen et al. 2023).

3.3 Nischen: Selektions-, Verfestigungs- und Kanalisierungsprozesse

Diese Nischen-Ebene repräsentiert den Raum für experimentelle Innovationen und neu aufkommende Ansätze. Hier werden neue Ideen, Technologien und Geschäftsmodelle identifiziert, entwickelt und erprobt, die potenziell die bestehenden Zustellpraktiken auf der letzten Meile transformieren können. Auf der Nischen-Ebene können sich beispielsweise Start-ups oder Pilotprojekte mit alternativen Zustellmethoden unter Berücksichtigung von Fahrradlogistik und Mikro-Hubs entwickeln. In der Nischen-Ebene beginnen die radikalen Innovationen, die das Potenzial aufweisen zu einer Änderung des Regimes und zur Transformation des Systems beizutragen. Sie unterscheiden sich deutlich von den vorherrschenden Technologien und Eigenschaften und häufig auch Akteur:innen insbesondere auf Regime-Ebene. Die Innovationen wechselwirken stark mit der Regime-Ebene, werden verändert bzw. ändern im Erfolgsfall die Rahmenbedingungen ihrerseits (dargestellt mit unterschiedlichen Pfeilrichtungen in Abb. 6.2). Langfristig können aus Nischen-Innovationen Trends erwachsen, die auch die landschaftliche Ebene erheblich beeinflussen.

Abb. 6.2
figure 2

Wirkungsgefüge der letzten Meile. (Quelle: eigene Darstellung)

In Bezug auf die Radlogistik sind dies beispielsweise die Entwicklung von leistungsfähigeren Lastenfahrrädern und/oder die Schaffung von digitalen Plattformen für die Koordination der Radlogistik. Diese Nischen-Innovationen können dazu beitragen, die Praktiken der Logistik zu verändern und den Weg für eine verstärkte Nutzung der Radlogistik zu ebnen.

Es lässt sich zusammenfassen, dass die Entwicklung der Radlogistik im Rahmen der Multi-Level-Perspektive durch Wechselwirkungen zwischen diesen drei Ebenen vorangetrieben wird. Landschaftliche Veränderungen schaffen einen Kontext, der alternative urbane Logistiklösungen begünstigt. Nischen-Innovationen entstehen als Reaktion auf diese Veränderungen und versuchen, die etablierten Regime herauszufordern und neue Praktiken zu etablieren. Während des Entwicklungsprozesses können sich die Landschaft, die Regime und die Nischen gegenseitig beeinflussen und verändern (Abb. 6.2).

4 Schlussbetrachtung

Die Radlogistik und die Transformation von Logistiksystemen haben in den letzten Jahren erhebliche Entwicklungen durchlaufen. Im Kontext von Logistiksystemen bezieht sich die Transformation auf die Neugestaltung von logistischen Prozessen, Technologien, Organisationsstrukturen und Geschäftsmodellen, um den aktuellen Anforderungen und Herausforderungen gerecht zu werden. Die Transformation von Logistiksystemen zielt darauf ab, ineffiziente Praktiken durch innovative Ansätze zu ersetzen, um die Effizienz, Nachhaltigkeit, Kundenzufriedenheit und Wettbewerbsfähigkeit der Logistik zu verbessern. Insbesondere die Transformation der letzten Meile zielt darauf ab, die Herausforderungen der Zustellung in dicht besiedelten Gebieten zu bewältigen, die Effizienz zu steigern und die Erfahrung der Kund:innen zu verbessern. Dabei ist die letzte Meile der letzte Abschnitt des Lieferprozesses, bei dem die Ware vom Verteilzentrum oder Mikro-Hub zu den Endkund:innen transportiert wird. Dieser Abschnitt ist oft mit Herausforderungen, wie Verkehrsstaus, begrenztem Platzangebot, hohen Zustellkosten und der Notwendigkeit einer schnellen Zustellung verbunden. Daher zielt der Einsatz von Lastenrädern auf der letzten Meile darauf ab, die Effizienz, Agilität, Nachhaltigkeit und Zufriedenheit der Kund:innen in der Logistik zu verbessern und die Branche zukunftsfähig zu machen. Die Anwendung der Multi-Level-Perspektive nach Geels (2002) auf die Entwicklung der Radlogistik ermöglicht es, die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Faktoren zu verstehen und die Dynamik des Wandels in diesem Bereich zu analysieren. Sie zeigt, dass Veränderungen in der Logistik nicht nur auf technologischen Fortschritten beruhen, sondern auch von gesellschaftlichen und institutionellen Faktoren abhängen, die die Rahmenbedingungen für die Einführung neuer Ansätze beeinflussen. Daher leitet sich hier der zukünftige Forschungsbedarf hinsichtlich Akzeptanz der neuen Technologien sowie Zustellkonzepten auf der letzten Meile ab, um die Ziele, die mit einer nachhaltigen Stadtlogistik verbunden sind, erreichen zu können.