1 Einleitung

Wie schon in den Kapiteln zuvor dargestellt, hat sich das Lastenfahrrad vom „Kindertaxi“, Profi-Kurierfahrzeug oder Tüftlerobjekt zum ausgereiften Transportmittel weiterentwickelt (vgl. Ghebrezgiabiher et al. 2018). Die große Vielfalt ein- oder mehrspuriger Modelle spiegelt die möglichen Anwendungsfelder dieser zum Teil noch sehr neu entwickelten Fahrzeuge wider. Dieses Kapitel stellt die vielfältigen Möglichkeiten gewerblicher Lastenradnutzung vor. Aufgrund der dynamischen Entwicklung besteht nicht der Anspruch, eine abschließende Katalogisierung wiederzugegeben. Vielmehr sollen die Darstellungen als Ideensammlung dienen, um einen Eindruck zu erhalten, wie breit der Einsatz von Lastenrädern mittlerweile schon ist. Immer mehr Gewerbetreibende schaffen sich Lastenräder als Ersatz bzw. als Ergänzung zu einem konventionellen Pkw oder leichtem Nutzfahrzeug an, um die Vorteile der rechtlichen Gleichbehandlung mit einem Fahrrad (führerscheinfrei und versicherungsfrei) oder aus anderen Motivationen (ökologisch, stadtverträglich, gesundheitsfördernd, zeit- und kostensparend) auszunutzen. Der Absatz von Lastenrädern mit und ohne elektrische Motorunterstützung steigt kontinuierlich, annähernd exponentiell, seit ca. zehn Jahren an (vgl. Abb. 5.1).

Abb. 5.1
figure 1

Verkaufszahlen von (E-)Lastenrädern in Deutschland. (Quelle: ZIV 2016, 2017, 2018, 2023)

Dieser Beitrag bezieht sich zunächst auf die Ergebnisse, die im Rahmen eines breit angelegten Lastenrad-Testprogramms gewonnen werden konnten und charakterisiert diese (vgl. Abschn. 5.2). Grundsätzlich bestehen durchaus noch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten, zu denen aber weiterhin nur wenige wissenschaftlichen Befunde vorliegen. Dennoch bietet dieser Beitrag unter Berücksichtigung des breiten Feldes gewerblicher Lastenradanwendungen einen Vorschlag zur Kategorisierung dieser Nutzungsarten in vier Segmente (Abschn. 5.3). Die abschließenden Schlussfolgerungen (Abschn. 5.4) leiten sich aus den Erkenntnissen aus Abschn. 5.2 und 5.3 ab.

2 Interesse von Wirtschaft und Kommunen an der Lastenradnutzung

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Wirtschaft ein wachsendes Interesse an der Nutzungsmöglichkeit von Lastenrädern zeigt. Um dies zu ergründen, bot das Forschungsprojekt „Ich entlaste Städte“ ein bundesweites Testfeld an, das vom Institut für Verkehrsforschung im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) im Zeitraum von 2017 bis 2020 durchgeführt wurde. Die große Nachfrage zur Teilnahme am Lastenrad-Testprogramm hat gezeigt, dass eine gewisse Neugierde bei den Unternehmen besteht, auszuprobieren, welchen Funktionsumfang die Räder haben, für welche Anwendungsfelder im Unternehmen die Räder eingesetzt werden können und ob die Mitarbeitenden die Nutzung der Räder grundsätzlich annehmen. Gerade für Klein- und Kleinstunternehmen stellen Programme, die ein monetär risikofreies Testen der Lastenräder zulassen, ein niedrigschwelliges Angebot für Veränderungsimpulse hinsichtlich des eigenen Fuhrparks dar. An dem Praxistest konnten insgesamt von über 1900 eingegangenen Bewerbungen rund 750 Unternehmen der Privatwirtschaft und kommunaler Einrichtungen teilnehmen, die eigene Transporte oder Dienstleistungsfahrten durchführen und Interesse am Einsatz von Lastenrädern haben. Die teilnehmenden Unternehmen und Institutionen testeten jeweils eines von 23 verschiedenen Lastenrad-Modellen, die in fünf Grundtypen/Bauformen unterschieden werden können (vgl. Abb. 5.2). In Anlehnung des Kapitels „Lastenräder – Technik & Modelle“ (Kap. 1) kann der Typ des hier dargestellten Lieferbike der Kategorie Mini-Lastenrad zugeordnet werden. Die Typen des Longtails, und des Long Johns sind unter der Kategorie Long John zu subsumieren. Das Trike lässt sich den leichten mehrspurigen Rädern zuordnen und der hier dargestellte Typ Schwertransport ist der Kategorie HeavyCargobike gleichzusetzen. Die Unternehmen bekamen so die Möglichkeit, ohne das Tragen der Investitionskosten die Transportalternative für rund drei Monate in der Praxis zu testen.

Abb. 5.2
figure 2

Flottenzusammensetzung des DLR-Projekts „Ich entlaste Städte“

Die Teilnahmemöglichkeit am Projekt wurde bundesweit und über diverse Kanäle, Multiplikatoren und Branchennetzwerke beworben, sodass aus der Resonanz aufschlussreiche Rückschlüsse hinsichtlich Organisationstyp, Verortung, Zuordnung zu Wirtschaftszweigen sowie Bestandsflotte und Entscheidungsstrukturen der an der Lastenradnutzung interessierten Betriebe gezogen werden können. Diese werden im Folgenden charakterisiert.

Hinsichtlich der Art der Organisation waren rund die Hälfte der Interessierten privatwirtschaftliche Unternehmen, ein Viertel Soloselbstständige bzw. Freiberufler:innen und jeweils ein Achtel waren öffentliche Einrichtungen und NGOs bzw. Vereine. Hinsichtlich der Unternehmensgröße (Abb. 5.3, links) der teilnehmenden Unternehmen im Vergleich zur Größenverteilung aller Unternehmen in Deutschland wird deutlich, dass große Unternehmen mit über 50 Beschäftigten überproportional bei der Testteilnahme repräsentiert waren. Dagegen sind anteilig kleine Betriebe (bis 9 Beschäftigte) stark unterrepräsentiert. Bezogen auf den Jahresumsatz ist die Verteilung der teilnehmenden Betriebe der Gesamtverteilung ähnlicher (Abb. 5.3, rechts).

Abb. 5.3
figure 3

Vergleich der Verteilungen der am Projekt „Ich entlaste Städte“ Teilnehmenden und aller Unternehmen in Deutschland, nach Beschäftigtengrößenklasse (links) und Umsatz (rechts)

Betrachtet man die regionale Verteilung der eingegangenen Bewerbungen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der jeweiligen Bundesländer, zeigt sich ein weitestgehend proportionales Verhältnis. In den Stadtstaaten ist das Teilnahmeinteresse jedoch überproportional hoch. Deutlich wurde auch, dass das Interesse keineswegs nur in Metropolen vorhanden war, sondern auch in kleinen Stadtzentren bestand (Abb. 5.4, links). Tatsächlich sind Landgemeinden und Kleinstädte bis 20.000 Einwohner:innen bei den Teilnehmenden im Verhältnis zur Verteilung der deutschen Bevölkerung überrepräsentiert. Auch die Kartendarstellung (Abb. 5.4, rechts) zeigt deutlich, dass gewerbliche Fahrradnutzung auch außerhalb der Metropolen Relevanz hat.

Abb. 5.4
figure 4

Prozentuale Verteilung der am Projekt „Ich entlaste Städte“ Teilnehmenden (n = 755) und der Bevölkerung (83,2 Mio.), nach Gemeindegrößenklasse (links) und Standorte der Teilnehmenden (rechts, flächig markiert sind Landkreise, aus denen Bewerbungen eingegangen sind)

Abb. 5.5 zeigt die Verteilung der Teilnehmenden in den jeweiligen Wirtschaftszweigen im Vergleich zu den Anteilen aller Unternehmen bzw. Erwerbstätigen in Deutschland im jeweiligen Wirtschaftszweig. Die Darstellung zeigt, dass die Beteiligung verschiedener Branchen am Lastenradtest breit gefächert ist. Dabei ist das verarbeitende Gewerbe (C) und das Baugewerbe (F) am stärksten vertreten. Der Handel (G) ist unterrepräsentiert, was aufgrund des großen Anteils des stationären Handels nachvollziehbar scheint. Ebenfalls unterrepräsentiert ist das Gesundheitswesen (Q). Hier sind anteilig doppelt so viele Erwerbstätige beschäftigt, wie anteilig am Testprogramm teilgenommen haben. Dem gegenüber steht der Wirtschaftszweig Kunst, Unterhaltung und Erholung (R), der stark überrepräsentiert ist. Die Verteilung legt nahe, dass Interesse an der Lastenradnutzung grundsätzlich in allen Branchen besteht und es nicht den einen prädestinierten Wirtschaftszweig für den Lastenradeinsatz gibt.

Abb. 5.5
figure 5

Vergleich der Verteilung der am Projekt „Ich entlaste Städte“ Teilnehmenden mit den deutschlandweiten Verteilungen der Anzahl Unternehmen und Erwerbstätigen (nach Wirtschaftszweig)

Die Bestandsflotte der Betriebe besteht im Mittel aus 9 Fahrzeugen (mehrheitlich Pkw), wobei die mittlere Hälfte der Verteilung eine Flottengröße von nur 2–6 Fahrzeuge aufweist. Der flottenbezogene Entscheidungsstil lässt sich nach der Typologie von Nesbitt und Sperling (2001) als mehrheitlich (etwa vier Fünftel der Fälle) „autokratisch“ beschreiben. Das bedeutet, dass Entscheidungen mit hoher Zentralisierung (also von wenigen Entscheidenden) und geringer Formalisierung (etwa in Bezug auf Beschaffungsrichtlinien) getroffen werden. Auf individueller Ebene wird dies durch den Typ der männlichen Führungskraft widergespiegelt: 84 % der für die Projektteilnahme Verantwortlichen sind männlich, haben zu 82 % Führungserfahrung, einen hohen Bildungsstand und sind im Durchschnitt 45 Jahre alt.

3 Segmentierung der Anwendungsfelder

Lastenräder finden bereits Anwendung in einem heterogenen Querschnitt der deutschen Unternehmenslandschaft. Zur Segmentierung der Anwendungsfelder können im Wesentlichen folgende vier Segmente unterschieden werden. Diese können generell von Privatunternehmen, aber auch von der öffentlichen Hand bedient werden:

  1. 1.

    KEP-Logistik und andere transportlogistische Anwendungsfelder

    Im Vordergrund steht hier der Auftragstransport von Gütern für Dritte (B2B, B2C, C2C). Die Transportdienstleistung stellt den Hauptgeschäftszweck des lastenradnutzenden Betriebs dar.

  2. 2.

    Erbringen von Dienstleistungen vor Ort

    Hierbei steht die Beförderung von Mitarbeitenden, Werkzeugen und Materialien zum Erbringungsort der Dienstleistung im Vordergrund. Dementsprechend ist die Tätigkeit vor Ort ein Hauptgeschäftszweck des Betriebs.

  3. 3.

    Werkverkehr

    Hier stehen Transporte innerhalb eines geschützten Bereichs (Werksgelände) bzw. zwischen unternehmenseigenen Standorten eines Betriebs im Fokus.

  4. 4.

    Sonstige Nutzungsarten

    Weitere Arten der Nutzung können Personenbeförderung beinhalten sowie Fahrten zu Marketingzwecken oder zur Ausgabe bzw. Verkauf von Speisen und Getränken.

Im Folgenden werden die vier Segmente und ihre jeweiligen Spezifika vorgestellt. Zudem werden jeweils Praxisbeispiele bzw. Unternehmen zur Illustration der spezifischen Anwendung von Lastenrädern in den einzelnen Teilgebieten vorgestellt.

3.1 KEP-Logistik und andere transportlogistische Anwendungsfelder

3.1.1 Logistik-Dienstleister

Die Kurier-, Express- und Paketbranche (KEP), und insbesondere die Stadtkurierbranche, war eine der ersten Wirtschaftszweige, in denen gewerblich eingesetzte Lastenräder systematisch wissenschaftlich untersucht wurden (Riehle 2012; Gruber 2015; Leonardi et al. 2012). Befeuert durch den boomenden Onlinehandel wächst die Paketlogistik in den letzten Jahren beachtlich: das Sendungsvolumen an Paketen ist von rund drei auf über 4,5 Mrd. Sendungen pro Jahr in nur sechs Jahren angewachsen (BIEK und KE-CONSULT 2022). Die Paket-Lastenradlogistik weist eine hohe Dynamik auf und entwickelt stetig neue Konzepte wie z. B. innerstädtische Mikrodepots und Mikro-Hubs (Kap. 8), horizontale und vertikale Kollaborationen (Kap. 7), wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Pilotprojekte (Kap. 20, Bogdanski et al. 2017, etc.). Die Fahrradlogistik, ihre Formen, innovative horizontale und vertikale Kollaborationen, neue Zustellkonzepte und bestehende Herausforderungen werden in Kap. 7 vorgestellt.

Entgegen dem medialen Echo, welches die großen Akteure auf dem Markt rund um den Einsatz der ersten Lastenräder erreicht hatten, bleibt die breite Nutzung dieser ökologischen Fahrzeuge auf der ersten bzw. letzten Meile noch weit hinter den Erwartungen, die damit geweckt wurden, zurück. So wurden gemäß einem Vortrag eines Vertreters von UPS im März 2023 im Jahr 2023 108 Lastenräder in der Paketzustellung bei UPS Deutschland eingesetzt. Rechnet man diese Summe bei einem Marktanteil von 12 % auf alle KEP Unternehmen hoch, käme man auf eine Gesamtzahl von rund 900 Lastenrädern, die in ganz Deutschland 2022 in der KEP-Branche eingesetzt wurden.

Mit Blick auf die Anzahl verkaufter Lastenräder in Deutschland 2022 (vgl. Abb. 5.1) (rund 220.000 Fahrzeuge), wird deutlich, dass der größte Anteil an Lastenrädern nicht direkt in der Paketlogistik eingesetzt wird. Dennoch sind die Rahmenbedingungen von professionellen Transportdienstleistern – und inwiefern hochwertige Lastenräder diese bedienen können – als wichtiger Benchmark für die Gesamtbewertung von Radlogistik im weitesten Sinne zu sehen. Ein weitergehender Einblick in Subsegmente der professionellen Logistik (Post, Pressedistribution, KEP, Verbundzustellung, Lebensmittellogistik und Lieferdienste, Stückgut und Baustellenlogistik) findet sich im Beitrag Logistiksektoren und Geschäftsmodelle (Kap. 7). Ein Überblick über den Einsatz von Lastenfahrräder in der Profi-Logistik mit Praxisbeispielen wird in Tab. 5.1 dargestellt.

Tab. 5.1 Anwendungsfeld „Logistik-Dienstleister“

3.1.2 Regional- und Mikrologistik, eigenbetrieblich organisierte Logistik

Einen großen Einsatzbereich finden Lastenräder gerade auch in der Regional- und Mikrologistik (vgl. Erbstößer 2016), bei der hauptsächlich Güter bzw. Produkte zu Kund:innen oder Geschäftspartner:innen geliefert werden, wobei der Fokus auf Transporten zu Endkunden (B2C) liegt. Der große Unterschied ist, dass der Transport nicht durch große Logistikunternehmen übernommen, sondern meist vom produzierenden Unternehmen in Eigenregie organisiert wird. Beispiele hierfür sind Bäckereien, Florist:innen, Gärtnereien, Apotheken etc. Zur Belieferung von Handwerksunternehmen und Baustellen werden mittlerweile gerne Schwerlast-Fahrräder aufgrund des hohen zu transportierenden Gewichts eingesetzt. Für die Lieferung von Kleinteilen (z. B. Schrauben, Dichtungen, Werkzeug), aber auch einer begrenzten Zahl größerer Teile (z. B. Toiletten, Waschbecken), ist oftmals kein Fahrzeug der Größe Pkw/Lkw notwendig. So können die Unternehmen Emissionen vermeiden und Kosten einsparen. In Gebieten mit hohem Parkdruck bzw. hohem Stauaufkommen können Lieferungen zum Teil sogar schneller im Vergleich zu einem konventionellen Fahrzeug realisiert werden, da die Parkplatzsuche entfällt und die Güter meist sehr nahe an den Zustellort mit dem Fahrrad transportiert werden können. Das Abstellen von Lastenrädern auf dem Gehweg ist gesetzlich erlaubt, solange der Fußverkehr nicht behindert wird (BVerwG, Urteil vom 29.01.2004).

Insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel war die Nutzung von Lastenrädern zur Auslieferung von Waren schon Ende des 19. Jahrhunderts stark verbreitet. Das als Bäckerrad bekannte Lastenfahrrad wurde von Bäckereien genutzt, um die hergestellten Backwaren an Abnehmer, wie Marktstände und Restaurants, zu liefern. Aber auch andere Lebensmittelproduzenten und -verkäufer, wie Molkereien, Obst- und Gemüsehändler, nutzten diese Art Fahrrad. Seit einigen Jahren ist die Verwendung von Lastenrädern in diesen Branchen wieder im Trend. Besonders zu Bäckereien lassen sich zahlreiche Beispiele finden. Im Gegensatz zu früher werden aber häufig nicht mehr das altbekannte Bäckerrad genutzt, sondern auch Lastenräder der Long-John-Bauweise, da diese agiler und wendiger im Stadtverkehr gefahren werden können. Tab. 5.2 gibt einen kurzen Überblick praxisrelevanter Beispiele.

Tab. 5.2 Anwendungsfeld „Mikro-/Regionallogistik“

3.2 Erbringen von Dienstleistungen vor Ort

Ein weiteres bedeutendes Anwendungsfeld, in dem Lastenräder eingesetzt werden, ist die Erbringung von Dienstleistungen vor Ort. Hier steht nicht der Transport von Gütern aufgrund einer Bestellung im Vordergrund, sondern die Beförderung von Person, Werkzeug und Material zum Erfüllungsort, an dem eine Dienstleistung ausgeführt wird. Im Folgenden werden typische Einsatzfelder in der Privatwirtschaft und anschließend bei öffentlichen Unternehmen dargestellt.

3.2.1 Privatwirtschaft

Wesentliche Akteure in diesem Segment stellen Unternehmen aus der Privatwirtschaft dar. Als eindrückliches Beispiel seien hier Handwerkerfahrten genannt. Im Gegensatz zur Mikro- bzw. Regionallogistik steht hier nicht der reine Transport von Produktionserzeugnissen, Materialien zum Endkunden oder Ort des Verbrauchs im Vordergrund, sondern die gleichzeitige Beförderung von Arbeitskraft und Arbeitsmaterial zum Erbringungsort einer Dienstleistung.

In diesem Anwendungsfeld gibt es zahlreiche Beispiele aus sehr unterschiedlichen Branchen. Etablierte Bereiche sind Garten- bzw. Landschaftsbau, Dachdeckereien, Maler- und Lackierereien, Elektroinstallationsbetriebe und Schornsteinfegerbetriebe. Genereller zählen auch Fahrten zum Kunden oder zur Kundin (Kundenservice) oder auch Reparaturen bzw. kleinere Montagen vor Ort dazu. Stets werden Werkzeuge, kleine Maschinen sowie (Verbrauchs-)Material mitgeführt. Weitere Branchen, in denen Lastenräder als Fahrzeug der Wahl Anwendung findet, sind Facility Management/Hausmeisterservices, medizinische Versorgung und Pflegedienste, Hotellerie/Gastronomie, Reinigung bzw. Wäscherei sowie bei Selbstständigen und Freiberufler:innen (z. B. Friseur:innen, Berater:innen, Trainer:innen). Auch in Wohnheimen bzw. Wohnprojekten kommt das Lastenrad als Fahrzeug – oft für die Einkaufslogistik – zum Einsatz. Unternehmen, bei denen die Erbringung einer Dienstleistung beim Kunden vor Ort im Fokus steht, schätzen Lastenräder auch wegen der führerscheinfreien Nutzungsmöglichkeit, da so auch Mitarbeitende ohne Führerschein individuell mobil sein können.

In Tab. 5.3 sind exemplarisch einige Betriebe, die Lastenräder nutzen, aufgeführt.

Tab. 5.3 Anwendungsfeld „Erbringen von Dienstleistungen vor Ort“ (Privatwirtschaft)

3.2.2 Öffentliche Unternehmen

Neben privatwirtschaftlichen Akteuren können Lastenrädern selbstverständlich auch durch Anstalten des öffentlichen Rechts genutzt werden. Die Nutzung von Lastenrädern im öffentlichen Sektor ist bislang nicht in dem Maße verbreitet, wie bspw. im KEP-Sektor, jedoch finden sich bspw. in der Kommunalverwaltung eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten. Die Kommune beheimatet eine breite Landschaft an Verantwortlichkeitsbereichen. Diese reichen von der Bauverwaltung über Sozialverwaltung bis hin zur Verwaltung von öffentlichen Einrichtungen (vgl. Fliedner 2019).

In der Praxis werden Lastenräder von Kommunen insbesondere im Fuhrpark des Bauhofes zur kommunalen Reinigung oder Grünpflege eingesetzt. Neben der klassischen Stadtreinigung und dem damit verbundenen Transport von Werkzeug und Maschinen sowie der Abfuhr von Abfall oder aber den Tätigkeiten von Grünflächenämtern findet eine Anwendung auch im Verwaltungskontext statt. Mittels Lastenräder können Kleinmaterialien, wie Pakete, Veranstaltungsmaterial oder IT-Ausstattung, aber auch Materialien für die Kennzeichnung/Beschilderung von Straßen transportiert werden. Auch eignen sich Lastenräder für die interne Logistik, um z. B. Akten, Postsendungen oder andere Gegenstände von Standort zu Standort zu transportieren. Mehrere dieser Nutzungsarten ließen sich auch dem Segment Werkverkehr zuordnen, wenn es sich um innerbetriebliche Transporte zwischen kommunalen Standorten handelt. Gerade an großen Büro- bzw. Verwaltungsgebäuden und auch bei öffentlichen (z. T. aber auch privaten) Krankenhäusern, auf Bauhöfen, Verkehrsmeistereien und Straßenbauämtern oder auch in der kommunalen Stadtreinigung und in der Grünpflege bieten sich Lastenräder für einen Teil der Transportaufgaben an. In Tab. 5.4 sind exemplarisch einige öffentliche Betriebe dargestellt, die aktiv Lastenräder nutzen.

Tab. 5.4 Anwendungsfeld „Erbringen von Dienstleistungen vor Ort“ (Öffentliche Unternehmen)

Bedingt durch eine zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen findet bei mehreren Kommunen eine „grüne“ Transformation der eigenen gewerblichen Mobilität im Sinne eines Vorbildcharakters statt. Klimaneutrale Mobilität in Form von elektrisch-betriebenen Fahrzeugen oder der Einsatz von Lastenräder steht vermehrt im Fokus (Löbbe et al. 2022). So können bei Anstalten des öffentlichen Rechts Vorgaben zu verbindlichen Ressourceneinsparungszielen gemacht werden, die in die Beschaffungsprozesse, z. B. zur Bewertung von Transportdienstleistern aufgenommen werden können. Auf diese Weise ist es möglich, beispielsweise Unternehmen bevorzugt zu beauftragen, die CO2-arme Transporte anbieten. Ratsam für Anstalten öffentlichen Rechts ist es daher, ihre Transport- und Mobilitätsprozesse dahingehend zu überprüfen, ob nicht der Ersatz von konventionellen Fahrzeugen durch Lastenräder technologisch und organisatorisch möglich ist.

Exkurs

Im Projekt „TRASHH“, welches durch das DLR-Institut für Verkehrsforschung in Kooperation mit der Stadtreinigung Hamburg (SRH) zwischen 2016 und 2020 durchgeführt wurde, wurde eine solche Analyse durchgeführt. Diese wird im Folgenden exemplarisch betrachtet. Im Projekt wurden die Einsatzpotenziale von E-Lastenrädern bei kommunalen Stadtreinigungsunternehmen praktisch erprobt und ermittelt, ob weitere erfolgreiche Effekte durch die Nutzung dieser Fahrzeugkonzepte zu erwarten sind. Hierfür wurden alle Transportprozesse innerhalb der SRH, bei denen kleine und mittelgroße Nutzfahrzeuge zum Einsatz kamen, analysiert und untersucht, ob die Nutzung von Lastenrädern grundsätzlich möglich ist. Hierzu wurden Gewichte, Volumina und weitere Anforderungen der transportierten Gegenstände sowie die täglichen Fahrweiten bestimmt. Nachdem Vorschläge zur Reorganisation der Prozesse für den Einsatz von Lastenrädern gemacht wurden, konnten im Rahmen des NRVP-Projekts sieben E-Lastenräder beschafft, umgebaut und in zwei Demonstrationsphasen im Arbeitsalltag der SRH getestet werden. Anschaffungskriterien waren u. a. ein Zuladungsgewicht von 50–400 kg, ein Zuladevolumen von 500–1500 l, eine elektrische Reichweite von ca. 80 km sowie mögliche Zusatzausstattungen wie beispielsweise Vorrichtungen für das Mitführen von Mülltonnen, Mülltüten, Besen, Schaufel, Reinigungs- und Verbrauchsmaterialien und Werkzeug.

Zunächst fand eine Pilotphase der E-Lastenräder für diverse Reinigungsaufgaben und eine begleitende Analyse der Reinigungsprozesse hinsichtlich ihres grundsätzlichen Potenzials für die Lastenradnutzung statt. Die folgenden Aufgaben wurden als besonders geeignet eingestuft: Gehwegreinigung, Pflege der Solarpresspapierkörbe, Papierkorbleerung entlang von Velorouten, Kümmerer (eigenverantwortliche Reinigungskraft in Gebieten mit hohem Publikumsverkehr oder erhöhtem Reinigungsbedarf) sowie Grünflächenreinigung.

Von besonderem Vorteil für die Nutzung von Lastenrädern bei kommunalen Betrieben ist das häufig vorhandene stadtweite Netzwerk an Betriebsstandorten. So decken beispielsweise bei der Stadtreinigung Hamburg Kreise mit 5-km-Radien um die Depotstandorte einen Großteil der Fläche Hamburgs ab (vgl. Abb. 5.6, links). Dies verhindert zeitaufwändige Regiewege (also Zu- und Abfahrtswege) zu den Einsatzorten. Die Erfahrungen zeigten, dass sich E-Lastenräder besonders in sensiblen Gebieten wie Grünflächen eignen, da sie leise und emissionsfrei sind. Im Hamburger Stadtpark kamen Sie zur Leerung der Papierkörbe und zum Absammeln von losen Verschmutzungen zum Einsatz. Bei der Nutzung im Innenstadtbereich stand die Reinigung und Pflege der Solarpresskörbe, die Leerung der Papierkörbe entlang der Veloroute sowie Sonderreinigungen im Vordergrund. Mussten größere Abfallmengen abtransportiert werden, erfolgte dies durch eine in der Nähe tätige Kolonne. Hierbei kam ein adaptiertes „Mikrohub-Konzept“ zum Einsatz (vgl. Abb. 5.6, rechts): Pritschenwagen konzentrieren sich hier auf das Hauptstraßennetz, während Lastenräder vorrangig für empfindliche Bereiche eingesetzt werden.

Abb. 5.6
figure 6

Depotstandorte der Stadtreinigung Hamburg Stadtgebiet (links) und Schema des angepassten Flächenreinigungs-Prozesses (adaptiertes Mikrohub-Konzept, rechts)

Um die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen des Einsatzes von E-Lastenrädern bei der Stadtreinigung Hamburg abschätzen zu können, wurde 2020 in einem Feldversuch eine lastenradbasierte Reinigung der klassischen Reinigung mithilfe von GPS-Tracking aufgezeichnet und einander gegenübergestellt. Als Versuchsorte wurden zwei Reinigungsgebiete (zentrumsnah und randstädtisch) ausgewählt, in denen vor der Umstellung 9 Mitarbeitende auf 4 Pritschenwagen (im innerstädtischen Gebiet) bzw. 8 Mitarbeitende auf 3 Pritschenwagen (im randstädtischen Gebiet) tätig waren.

In beiden Versuchsgebieten wurde eine Einsparung von zwei konventionellen Lkw erprobt. Im innerstädtischen Gebiet wechselten drei Mitarbeitende auf Lastenräder, im randstädtischen Gebiet sechs. Für das innerstädtische Gebiet konnten so, basierend auf den im Versuch gesammelten Daten, eine Senkung der Gesamtbetriebskosten (jährliche Fahrzeugkosten inklusive Wartung, Abschreibung, Kraftstoffe, ohne Gemeinkosten) von 23 % und eine Einsparung von 34 % der CO2-Emissionen berechnet werden. Im städtischen Randgebiet wurde eine Einsparung von bis zu 60 % der CO2-Emissionen bei in etwa gleichbleibenden Kosten ermittelt. Zumindest unter den Versuchsbedingungen konnte folglich gezeigt werden, dass eine Transformation von Reinigungsaufgaben unter Anwendung von E-Lastenrädern nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch tragfähig möglich ist. Zudem hat sich gezeigt, dass sich die Mitarbeitenden durch den Beteiligungsprozess wertgeschätzt gefühlt haben und so auch selbst Verbesserungsvorschläge unterbreitet hatten. Grundsätzlich ist die geringe Einstiegsbarriere (führerscheinfrei) in diesem Berufszweig als sehr positiv zu bewerten, da man auch hier vor der Herausforderung des Fachkräftemangels steht, wenn es darum geht, neue Mitarbeitende einzustellen (für weiterführende Informationen siehe: Gruber und Peters 2023).

3.3 Werkverkehr

Ein vermeintlich etwas kleineres bzw. der Analyse weniger zugängliches Anwendungsfeld stellt die Nutzung von Lastenräder in der innerbetrieblichen Zustellung und Auslieferung von Gütern dar. Nutzungspotenziale können in Werkverkehren in der Intralogistik sowie im Werksverkehr zwischen mehreren unternehmenseigenen Standorten darstellen (Gruber und Rudolph 2016). Besonders Großunternehmen sehen die Potenziale für Lastenräder, insbesondere jene mit einem hohen innerbetrieblichen Flächenbedarf zum Transport von Gütern als auch Personen wie Krankenhäuser oder Flughäfen. Zur Anwendung kommen Lastenräder zur werksinternen Postzustellung, der Verteilung von Verbrauchsmaterial und Ersatzteilen oder der Versorgung der Belegschaft bei dringenden Sanitätseinsätzen. Neben Werksverkehren innerhalb eines geschlossenen Unternehmensareals können Lastenräder auch für Kleinunternehmen sowie kommunale Akteure in der Auslieferung von Gütern zwischen mehreren Standorten genutzt werden. Eine exemplarische Auflistung von Unternehmen ist in Tab. 5.5 dargestellt:

Tab. 5.5 Anwendungsfeld „Werkverkehr“

3.4 Sonstige Nutzungsarten

Im Folgenden sollen weitere Nutzungsarten kurz vorgestellt werden, die sich nicht in die vorangegangenen Kapitel einordnen lassen. So ist z. B. der vor allem in touristischen Zentren (etwa im Berliner Regierungsviertel) angebotene Personentransport zu nennen. Neben den Fahrradtaxis ist auch mit Lastenrädern der Transport von erwachsenen Menschen erlaubt sofern das Fahrrad extra zur Personenbeförderung gebaut wurde. Der Gesetzestext der StVO (§ 21 Personenbeförderung) besagt: (3) „Auf Fahrrädern dürfen Personen von mindestens 16 Jahre alten Personen nur mitgenommen werden, wenn die Fahrräder auch zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet sind. Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr dürfen auf Fahrrädern von mindestens 16 Jahre alten Personen mitgenommen werden, wenn für die Kinder besondere Sitze vorhanden sind und durch Radverkleidungen oder gleich wirksame Vorrichtungen dafür gesorgt ist, dass die Füße der Kinder nicht in die Speichen geraten können“.

Ferner sind Verkaufs- und Infostände zu benennen, bspw. Lastenräder, die so gebaut sind, dass auf dem Aufbau Kaffee oder andere Getränke zubereitet werden können (z. B. Fa. Coffeebike) Hier spielt die Raumüberwindung durch das Lastenrad eine nachrangige Rolle, gelegentlich ist das Rad durch Umbauten und Zuladung auch nicht mehr selbst fahrtauglich. Für die Nutzung des Lastenrads als Informationsstand gibt es zahlreiche Beispiele, auch können Lastenräder bei der Fahrradstaffel der Polizei eingesetzt werden, wie die Berliner Polizei demonstriert. Dabei werden die Fahrzeuge zum einem zum Transport von Akten und Büromaterial eingesetzt sowie für Streifenfahrten im Stadtgebiet.Footnote 1

Jenseits der Ausrichtung dieses Buches, aber durchaus von Relevanz für die Planung ist, dass Lastenrädern auch für die „Privatlogistik“ (Wrighton und Reiter 2016) ein großes Potenzial attestiert werden, den Besitz eines eigenen Pkw zumindest in urbanen Gebieten überflüssig zu machen (Becker und Rudolf 2018, S. 162). Wesentlicher Erfolgsfaktor ist hierbei Ausbau der Fahrradinfrastruktur. Auch sollen in Neubauten stets gute Abstellmöglichkeiten für Lastenrädern zur Verfügung gestellt werden (Becker und Rudolf 2018, S. 163). Ferner gibt es Bestrebungen zahlreicher Kommunen, in sogenannten Mobility Hubs oder Mobilitätsstationen Lastenräder und Fahrradanhänger den Anwohnenden zur Verfügung zu stellen.

4 Fazit

Bezug nehmend auf diverse Branchen und Wirtschaftszweige wurde in diesem Beitrag das vielfältige Anwendungspotenzial von Lastenfahrrädern als Baustein für gewerbliche Transporte und Mobilität skizziert. Es zeigt sich, dass Anwendungspotenziale in nahezu allen Branchen, für Logistiker und andere Dienstleistungen existieren. Somit entwickelt sich die gewerbliche Fahrradnutzung zu einer echten Alternative für Gewerbetreibende. In vielerlei Hinsicht beweist das Lastenfahrrad verkehrliche Vorteile gegenüber dem Pkw im städtischen Verkehr (Kap. 18, 19 und 21), wodurch es sowohl für Aufgaben in der „Profi-Logistik“ (wie die Zustellung von Paketsendungen) attraktiv ist, als auch beispielsweise für den Floristen oder andere Kleinstunternehmen, die selbstproduzierte Waren im Umkreis an die Kundschaft ausliefern. Neben klassischen Einsatzfeldern findet das Lastenfahrrad seinen Weg auch in neue Branchen, beispielsweise im Bereich der Bestattung. Der steigende Absatz des Lastenfahrrads in den letzten Jahren zeigt die steigende und sich diversifizierende Nachfrage, nicht zuletzt getrieben vom wachsenden Angebot an Online-Lieferservices. Damit einhergehend findet eine sukzessive Weiterentwicklung der Lastenradmodelle statt, inklusive neuer Konzepte für Nischenanwendungen. Obgleich eine genaue Prognose der zukünftigen Entwicklung schwierig und stark von zukünftigen regulativen Vorgaben (etwa Restriktionen für Verbrennerfahrzeuge) abhängig ist, lassen sich Anzeichen für ein weiter stetiges Wachstum in der Nutzung und Anwendung von Lastenfahrrädern erkennen. Die sukzessiv wachsende Präsenz des Lastenfahrrads – im Diskurs und auf der Straße – steigert seine Attraktivität für privatwirtschaftliche und öffentliche Akteure, insbesondere für solche, die in ihrer Branche als Vorbild fungieren wollen. Von zunehmender Bedeutung bei der weiteren Verbreitung dürften daher auch Branchennetzwerke, öffentliche Körperschaften und die kommunale Wirtschaftsförderung sein, die durch gezielte Förderung, Information und Vernetzung den gewerblichen Einsatz emissionsfreier Fahrzeuge weiter voranbringen.