1 Einführung

Ich bin nass. Von außen und von innen. Meine Regenjacke hält dicht. Regen kommt nicht rein. Schweiß geht kaum raus. Berufsrisiko. Nun war ich heute auch mit dem Muskelbike unterwegs, 110 Sendungen zugestellt. Morgen nehme ich wieder das Pedelec.

Seit 2017 stellen wir bei Cycle Logistics KEP-Sendungen (Kurier-, Express- und Paket-Sendungen) mit CargobikesFootnote 1 zu und liefern Waren aus. Kleine und mittelgroße Pakete, Briefe, Tüten, Biokisten, Blumen, Mehrwegboxen, Betten. Ja, auch Betten. Geht alles.

„Was ich nicht kenne, kann ich mir nicht vorstellen.“ Viele schauen immer noch sehr verwundert, was alles wir auf Fahrrädern transportieren. Für uns ist es normal, für den Rest sollte es normal werden. Cargobikes als Selbstverständnis. Die Radlogistik ist nach wie vor eine junge Branche, obwohl sie weit über 100 Jahre alt ist. Vor dem Einzug der Autos waren Transportfahrräder ein gängiges Bild auf den Straßen. Nun werden sie es wieder, als moderne Fahrzeuge mit elektrischer Motorunterstützung und zunehmender Praxistauglichkeit. Zunehmend, aber noch nicht optimal. Die Branche der Radlogistik ist jung und entwickelt sich, Theorie und Praxis liegen häufig noch auseinander. Was sinnvoll wäre, steht in diesem Buch. Was Radlogistiker tatsächlich im Markt vorfinden und wie sie in der Praxis das Beste daraus machen, soll dieses Kapitel vermitteln. Mit konkreten Beispielen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

2 Radlogistik – Die Praxisperspektive

Die Herausforderungen steigen. Immer mehr Verkehr auf begrenzt verfügbaren Flächen, steigende Sendungsmengen auf der letzten Meile, zunehmende Umweltprobleme. Also liefern wir mit Fahrrädern – bei den Kurieren seit jeher ein gängiges Gefährt, mit dem man schnell durch die Stadt kommt, am Stau vorbei, mit Abkürzungen und direkt bis vor die Haustür.

Eine Kuriersendung ist eine begleitete Sendung, von der Abholung bis zur Zustellung. Häufig kleinformatig, gut im Rucksack zu transportieren. Kein Problem auf dem Fahrrad. Express- und Paket-Sendungen sind zumeist sogenannte Overnight-Sendungen. Sie werden aufgegeben und über Nacht durch ein Transportnetzwerk geschleust mit Vor-, Haupt- und Nachlauf, zunehmend auch mit Zwischenläufen. Das sind sogenannte gebrochene Verkehre, die Sendung ist nicht dauerhaft persönlich begleitet. Dafür sind die Transporte geregelt und planbar. Die Sendungsdaten eilen den Sendungen voraus und dienen als Avisierung und Prognose.

2.1 Fahrradlogistik über Mikrodepots bedeutet längere gebündelte Transporte in der Prozesskette bei einem zusätzlichen Bruch

Fahrradlogistik bedeutet in der Regel, einen weiteren Bruch in die Transportkette einzubauen. Der Wirkungsradius von Cargobikes ist begrenzt, wenn wirtschaftliche Gesichtspunkte einbezogen werden. Das heißt nicht, dass weite Strecken nicht mit Cargobikes bedient werden können, aber inwiefern das sinnvoll ist, um damit noch Geld zu verdienen, ist nicht außer Acht zu lassen. Warenlieferungen und Sendungen werden gebündelt zu Mikrodepots geliefert, die innerhalb des Einzugsgebietes der Sendungsempfänger:innen liegen. Kleine und mittelgroße LKW werden häufig eingesetzt mit Gesamtgewichten von 7,5 bis zu 12 t. Im Mikrodepot erst – also räumlich so spät wie möglich im Transportprozess – werden die Sendungen auf die eigentlichen Touren aufgeteilt und mit Cargobikes fein verteilt (Abb. 19.1). Detaillierte Darstellungen zu Mikro-Hubs finden sich in Kap. 8.

Abb. 19.1
figure 1

Prozess letzte Meile konventionell und mit zusätzlichem Sendungsumschlag im Mikrodepot

Dabei ist es durchaus üblich, dass Cargobikes zwischendurch zurückfahren zum Mikrodepot, um nachzuladen. Die Volumenkapazitäten reichen bei aktuellen Modellen bis zu 2 m3, mitunter sogar noch etwas mehr. Diese Volumina werden häufig voll ausgeschöpft bei KEP-Touren, die je nach Sendungsstruktur und Stoppdichte zwischen 70 und 130 Sendungen für einen vollen Arbeitstag mit 8 h enthalten. Nachladen ist dabei keine Seltenheit. Bei Lebensmitteln sind es eher die Gewichtskapazitäten, die bei aktuellen Cargobike-Modellen recht schnell erreicht werden können. Essen ist tatsächlich relativ schwer. Die Biokisten mit Obst und Gemüse in den Boxen im Format 40 cm × 60 cm, die wir bewegen, weisen im Durchschnitt ein Gewicht von 13 kg auf. 20 solcher Kisten passen locker in eine übliche 1,5 m3-Box. Mit über 250 kg Zuladungsgewicht sind diese jedoch zu schwer für viele Cargobike-Modelle. Was das für die Fahrzeuge und insbesondere für Laufräder mit Speichen bedeutet, darauf komme ich später zurück.

Fahrradlogistik ist zumeist mit einem Mikrodepot verknüpft. Neben dem Sendungsumschlag dient das Mikrodepot als Ausgangsbasis für die Touren. Hier werden die Cargobikes abgestellt, Fahrerinnen und Fahrer starten und beenden ihre Schichten und die Teamleitung und Disposition ist vor Ort. Als Faustformel für KEP-Sendungen hat sich gezeigt, dass die Mindestgröße solch eines Mikrodepots der Fläche entspricht, die zum Abstellen aller Fahrzeuge benötigt wird. 2017 sind wir in Berlin-Mitte gestartet in einem Souterrain in einer ruhigen Wohnstraße. Eine Mischung aus Keller und Wohnung mit direktem Zugang zum Gehweg über 5 Treppenstufen. Wir hatten Bullitts im Einsatz – einspurige Long JohnsFootnote 2 – mit Transportboxen zwischen 140 und 200 L Volumen und haben vornehmlich Dokumente und kleine Pakete für einen Expressdienst zugestellt. Es war kaum ein Problem, alle Sendungen einer Tour in den Transportboxen unterzubringen. Wenn es nicht ging, hatten wir große Rucksäcke und Kuriertaschen, mit denen wir den Rest dann auf den Rücken nahmen und auch noch heute bei Bedarf nehmen (Abb. 19.2).

Abb. 19.2
figure 2

Kurierfahrer im Praxiseinsatz

Größere Cargobikes gab es 2017 bereits, wie das Musketier von Radkutsche aus Deutschland oder aus Spanien das Evolo. Nur hätten wir die nachts aufgrund ihrer Größe nicht untergebracht. Wir hatten schon unsere Mühe, die Bullitts mit ihren rund 40 kg Gewicht jeden Morgen rauszustellen, aber der Mensch ist anpassungsfähig und wir hatten schnell raus, wie wir mit nur einer Person die Fahrräder über unsere knapp einen Meter breite, fünfstufige Treppe bewegen konnten.

Solche Depotflächen (Abb. 19.3) sind nicht optimal, andererseits müssen sie auch bezahlbar sein. Die Preisgestaltung von Lieferungen auf der letzten Meile ist sehr knapp kalkuliert. Die Miete ist auf jede umgeschlagene Sendung umzulegen, ebenso der zusätzliche Aufwand, die Sendungen zum Mikrodepot zu bringen, auszuladen, neu zu sortieren und schließlich ins Cargobike wieder einzuladen. Radlogistik spielt sich sehr häufig in urban verdichteten Gebieten ab. Entsprechend hoch sind die Mieten und die Notwendigkeit, Kompromisse einzugehen, um eine Fläche in zentraler Lage bekommen und nutzen zu können. Später hatten wir Gelegenheit, auf die Fläche eines ehemaligen Supermarktes umzuziehen. Fast ideale Bedingungen, genug Platz für den Warenumschlag, eine ebenerdige Einfahrt für die Fahrräder und eine Anliefermöglichkeit für LKW mit Ladebordwand. Die Kehrseite: eine fast baufällige Fläche mit einer befristeten Nutzungsmöglichkeit, weil das gesamte Gebäude völlig neu konzipiert werden sollte.

Abb. 19.3
figure 3

Erste Depotfläche

Da waren wir also in unserem Souterrain in Berlin-Mitte. An fünf Tagen in der Woche stellten wir Expresssendungen zu an Gewerbekunden und Privatleute. Wenn alles glatt lief, hatten wir die Pakete morgens gegen 8:30 Uhr bei uns im Mikrodepot und keinen „Neuner“ dabei. Express bedeutet, ein Lieferversprechen abzugeben – und einzuhalten. Vor 8, 9, 10 oder 12 Uhr sind gängige Uhrzeiten für solche Versprechen. Diese einzuhalten, wird in Teilen unmöglich, wenn ein Mikrodepotprozess in die Gesamtabwicklung eingebaut wird, der eben mehr Zeit erfordert durch den zusätzlichen Sendungsumschlag. In diesem konkreten Abwicklungsprozess wurden im Hauptdepot bis ca. 7:30 Uhr alle Sendungen auf alle Touren und für das Mikrodepot sortiert. Die konventionellen Touren mit Lieferwagen starteten direkt von dort aus. Und parallel der Zwischentransport ins Mikrodepot. Mit dem Unterschied, dass im Mikrodepot noch einmal alle Sendungen umschlagen werden, während die konventionellen Touren bereits in der Zustellung waren. Deswegen war vereinbart, dass über die Cargobikes im Mikrodepot keine 8- und 9-Uhr-Sendungen zugestellt werden sollten. Es kam jedoch vor, dass ein „Neuner“ bei der Sortierung durchrutschte und im Mikrodepot landete. Die Sendung kam dann zu spät, wenn wir diese nicht sofort identifizieren und auch gleich losfahren konnten. Eine Frage der Datenqualität und Sendungssteuerung weiter vorn im Gesamtprozess. Und eine unvermeidbare systembedingte Nebenwirkung mehrfach gebrochener Transporte.

Die arbeitsintensivste Phase eines Tages in der Radlogistik ist die Zeit des Sendungsumschlags, in diesem Fall zwischen 8:30 und etwa 10 Uhr. Die Leute für die Tour waren für 10 Uhr eingeteilt. Bis dahin waren nun die Fahrräder aus dem Souterrain zu schaffen, um Platz zu haben für den Umschlag, die Sendungen ins Mikrodepot zu bringen, auf die Touren umzusortieren und für die Fahrer:innen bereit zu stellen. Die Reihenfolge, in der die Tour am Ende bedient wird, legte in unserem Fall der oder die Fahrende selbst fest unter Berücksichtigung der Terminsendungen und sortierte die Pakete entsprechend in das Fahrrad und ggf. in einen Rucksack. Dieses Prinzip wenden wir heute noch an. Vorteile: wer seine oder ihre Tour selbst sortiert für ein Gebiet, dass er oder sie gut kennt, erkennt mögliche Zustellhemmnisse – falsche oder unzureichende Adressangaben oder Fehlsortierungen – frühzeitig vor der Tour und kann noch eine Klärung anstoßen. Und die Reihenfolge der zu bedienenden Adressen prägt sich ein. Ein:e versierte:r Zusteller:in kann seine oder ihre Tour so nahezu auswendig fahren, ohne nach jedem Stopp mühsam den nächsten herauszusuchen. Das führt zu einer deutlich höheren Produktivität unterwegs, gemessen an Sendungen pro Stunde oder Stopps pro Stunde.

Eine kleine Herausforderung ist es mitunter, eine Tour passend aufzuteilen für Nachladevorgänge. Cargobikes haben keine Volumenreserven, anders als Transporter, die im Laderaum zumeist Platz zum Hin- und Hersortieren haben. Die Sendungen werden in der Tourreihenfolge rückwärts ins Bike gepackt. Wer sich verschätzt, bekommt mitunter die ersten Stopps der ersten Tourrunde nicht mehr ins Bike. Dann ist entweder erneutes packen notwendig oder Kreativität beim Transport der ersten Stoppsendungen.

Dies betrifft eher KEP-Touren, insbesondere wenn diese homogen nur für den einzelnen Kunden und mit dessen Systemen – also mit den Scannern der großen Paketdienste – zugestellt werden. Deren IT-Systeme sind in der Regel geschlossen und es erfolgt bis dato keine eigene Tourenplanung mangels Datenoffenheit. Auch ist die Qualität der Sendungsdaten bislang nicht so gut, als dass damit effizienter Touren vorbereitet werden könnten, als durch eine radlogistikerfahrene Disposition mit oder auch ohne Tourenplanungsprogramm. Erforderlich wären neben vollständigen Adressangaben das Gewicht der Sendung, das Volumen und dazu die Seitenmaße in Länge, Breite und Höhe. Weniger reicht nicht aus. Zu wissen, dass eine Sendung 15 Liter Volumen mit 3 kg Gewicht hat, ist wenig hilfreich, wenn es sich um eine 2 m lange Gardinenstange handelt, die trotzdem in keine Cargobike-Transportbox passt.

Bei Lebensmitteln in sogenannten Biokisten (Abb. 19.4) ist es anders. Die Anzahl der Stopps auf einer „Runde“, also einer Teiltour bis zum nächsten Nachladen, ist mit zwischen ca. 5 und 15 deutlich geringer wegen der viel größeren und schwereren Boxen (= Sendung, ca. 70 Liter mit 60 cm × 40 cm × 30 cm Größe und 13 kg; entspricht grob 5 Litern Volumen pro kg) als bei Paketen (durchschnittlich zwischen 10 und 20 Liter mit Erfahrungswerten von etwa 10 Liter pro kg).

Abb. 19.4
figure 4

Biokisten am Mikro-Depot

Eine bessere Produktivität ergibt sich wegen des höheren Fahranteils noch mehr aus einer optimierten Tourenplanung als durch eine gute Kenntnis der Stopps mit seinen Gegebenheiten, was einen effizienten Abliefervorgang ermöglicht. Hier ist es sinnvoll, die einzelnen „Runden“ komplett für die Fahrenden vorzubereiten und in umgekehrter Tourenreihenfolge bereit zu stellen, sodass diese einfach nur einladen, losfahren, zustellen, zurückkommen, Leergut entladen und die nächste Runde beladen. Wie eine Tour genau gefahren wird, ergibt sich idealerweise über eine App oder alternativ über eine Liste.

Zurück zum Sendungsumschlag. Stehen alle Sendungen für die Fahrenden bereit, ist der wesentliche Job im Mikrodepot getan, die Fahrer:innen sind an der Reihe. Selbstverständlich fallen parallel in diese Sendungsumschlags- und Tourenvorbereitungsaktivitäten auch übliche Führungsaufgaben. Das Personal trifft ein, es gibt individuelle Fragen zu klären, Kommunikation und Austausch, Einweisung in den Arbeitstag, Begleitung des Teams bis zur Abfahrt.

Waren in unserem Fall schließlich alle Touren unterwegs, war keine Anwesenheit im Mikrodepot mehr erforderlich. Alle Fahrer und Fahrerinnen hatten einen Schlüssel und selbstständigen Zugriff auf das Mikrodepot zum Nachladen oder später zum Abschluss der Tour. Personal im Mikrodepot vorzuhalten als Ansprechpartner wäre zu ineffizient und teuer gewesen. In anderen Konstellationen kann das durchaus sinnvoll sein, insbesondere wenn tagsüber weitere Warenanlieferungen mit einem erforderlichen Umschlag hereinkommen, später weitere Touren starten würden oder Planungs- und Dispositionsaufgaben für die Folgetage zu erledigen sind oder wenn über den Tag eine intensivere Tourenbetreuung durchgeführt werden soll.

Grundsätzlich sollten Mikrodepotprozesse aus Praxissicht so definiert und organisiert sein, dass jede Person autark handeln und die Arbeit selbstständig erledigen kann. Zum Ende der Zustelltouren wurden die Fahrräder ins Depot gestellt, die Akkus zum Laden angeschlossen und der Sendungsrücklauf – zum Beispiel falsche Adressen oder verweigerte Sendungsannahmen – an den definierten Stellen deponiert. Gab es ein Problem mit dem Fahrzeug, wurde eine Mängelmeldung erstellt und kommuniziert, um das Fahrrad schnell wieder vollständig einsatzbereit zu machen. Die Rückabwicklung nicht zustellbarer Sendungen erfolgte gemäß Vorgabe unseres KEP-Kunden, entweder mit einer Rückführung zum Hauptdepot noch am selben Tag oder am Folgetag in Verbindung mit der Anlieferung der Ware für den neuen Tag.

2.2 Fahrradlogistik unterwegs – noch zu oft eine Grenzerfahrung

Mit dem Cargobike auf der Straße unterwegs zu sein, ist vielfältig: das Freiheitsgefühl des Fahrrades, mit Spaß am Stau vorbei, direkt bis vor die Haustür fahren. Bei Regen nass werden, mit zu wenig Seitenabstand von Autos überholt und von abbiegenden Autos geschnitten werden. Den Radweg benutzen, Abkürzungen durch den Park und andere Sonderrechte des Fahrrades in Anspruch nehmen. Mit 200 kg und 250 Watt Nenndauerleistung am Anstieg verrecken oder sogar mit leerem Akku ganz ohne Unterstützung die Tour zu Ende kurbeln.

Radfahren muss man wollen. Es ist vor allem eine Frage des Kopfes, des Mindsets. Ja, ich werde bei Regen nass, aber ich habe eine trockene Garnitur im Depot, die beim Nachladen oder am Tourende auf mich wartet. Ja, Autofahrende sehen mich nicht immer, ich muss aber auch nicht in jede gefährliche Situation aktiv hineinfahren. Ja, ich nutze die Lücken im Verkehr und schlängele mich durch, mit Rücksicht und ohne andere oder mich selbst zu gefährden. Ja, ich rolle direkt bis vor die Haustür, stelle mein Bike platzsparend ab und muss nicht mühsam einen Parkplatz suchen, womöglich in zweiter Reihe mit Knöllchenrisiko.

Das Cargobike im Wirtschaftsverkehr hat viele Vorteile:

  • wenig Verkehrsfläche

  • Rechte des Fahrrades

  • keine Parkplatzsuche

  • Fahren bis (fast) vor die Haustür

  • viel geringerer Verkehrsstress (als mit dem Auto)

  • kein Führerschein erforderlich

Seine Stärken spielt es aus bei:

  • kurzen, urbanen Strecken (insgesamt und zwischen den Stopps)

  • höherer Stoppdichte (mit geringen Entfernungen dazwischen)

  • kleinvolumigeren Sendungen

  • leichteren Sendungen

Grenzen werden erreicht bei:

  • längeren Strecken

  • geringerer Stoppdichte

  • voluminösen Sendungen

  • schweren Sendungen

  • Transport von Gefahrgut (mehr bzw. gefährlicher als nur übliche sog. Limited Quantities, wie z. B. Parfüm oder Batterien)

  • logistischen Senken oder Quellen, d. h. Stopps, an denen viele Sendungen gleichzeitig zugestellt oder abgeholt werden

Das Wetter ist grundsätzlich kein Hemmnis beim Einsatz von Cargobikes, wenn man von Vereisungen absieht bei der Nutzung einspuriger Cargobikes, was heutzutage leider mehr und mehr die absolute Ausnahme darstellt in unseren milden Wintern.

Die Fahrdynamik auf der Tour ist stark abhängig vom Fahrzeugtyp. Das Bullitt mit 140 Litern Transportbox fühlt sich im Handling fast an wie ein normales Stadtfahrrad im Vergleich zu einem Velove Armadillo mit Auflieger und sechs Laufrädern oder zu den aktuellen großen Modellen mit 2 und mehr m3 Ladevolumen wie Ono, Rytle Movr, Vowag Cargo M, Mubea oder das Citkar. Letzteres mutet in der Bauform schon fast wie ein Auto an. Klar ist: je größer und voluminöser das Fahrzeug, desto mehr Umsicht und Vorausschau ist beim Fahren erforderlich. Vorausschau, weil man nicht überall hin und hineinfahren sollte, ohne eine Idee zu haben, wie man wieder herauskommt. Beliebt ist der zweite Hinterhof. Direkt vor die Tür gefahren und dann mangels ausreichender Fläche zum Wenden mühsam rückwärts schiebend wieder aus dem Hof. Auch Kantsteine sind mit Bedacht zu registrieren. Je größer das Fahrzeug, desto schwerer. Mit Schwung den 15-Zentimeter-Kantstein hinaufzuwollen, bedeutet den nahezu sicheren Tod für die Felge, mindestens aber einen Platten (Abb. 19.5).

Abb. 19.5
figure 5

Defektes Laufrad mit Kantsteineinschlag

Es braucht die vorhandenen Auffahrten mit abgesenkten Bordsteinen. Manche Modelle weisen nicht einmal ausreichend Bodenfreiheit auf, während man mit dreirädrigen Fahrzeugen in bisher klassischer Bauart, wie Bayk Bring S oder Tricargo Lademeister, immerhin noch vorsichtig solche hohen Schwellen „hinunterplumpsen“ kann, ohne mit dem Rahmen oder einem anderen Fahrzeugteil aufzusetzen.

Umsicht ist unerlässlich für die Wahrnehmung durch andere Verkehrsteilnehmende. Während Autofahrende erfahrungsgemäß deutlich mehr Abstand und Vorsicht walten lassen, wenn ein großes Cargobike daherkommt, sehen zu Fuß gehende und auch andere Radfahrer diese Fahrzeuge mitunter bereits als bedrohliche Ungetüme. Die Diskussion, wann ein Fahrzeug, das rechtlich ein Fahrrad ist, auf dem Radweg fahren sollte und wann nicht, wird bereits geführt (Hinweis auf Kap. 2). Gerade bei einer unzureichenden Radinfrastruktur ist beim Fahren von großen Cargobikes besondere Umsicht an den Tag zu legen. Idealerweise werden die Kriterien des vom Radlogistik Verband Deutschland (RLVD) e. V. definierten Verhaltenskodex (RLVD 2022) befolgt, der insbesondere eine bevorzugte Nutzung der Fahrbahn vorsieht, wenn die Radwegsituation unzureichend dimensioniert oder hoch frequentiert ist. Grundsätzlich gehört jedes Fahrrad auf den Radweg, nur haben wir zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches häufig noch nicht die richtigen Radwege dafür. Eine Breite von 3 m und eine bauliche Abtrennung sowohl von Fahrbahnen für Autos wie auch von Gehwegen für zu Fuß Gehende sind Anforderungen, die als Standard definiert werden sollten (Abb. 19.6).

Abb. 19.6
figure 6

Beispielhafter sicherer, breiter Radweg

Nicht zu vergessen ist die Ergonomie des Handlings am Fahrrad, wenn es vom Fahren zum Stopp kommt und zum Zustellprozess. Ab- bzw. aussteigen, das Fahrrad aufbocken oder gegen Wegrollen sichern, abschließen, um das Cargobike herum zur Boxtür oder -klappe laufen, die Box öffnen, die Sendung greifen, die Box wieder schließen und verschließen. Alles sollte schnell zu tun sein mit sehr einfachen Handgriffen oder automatisiert unterstützt. Jede Tätigkeit, die unnötig Zeit kostet, wird irgendwann zwangsläufig vom Zusteller oder von der Zustellerin vermieden, allem voran die Sicherung des Bikes und der Sendungen. Das Fahrzeug wird nicht abgeschlossen, die Tür der Box nur angelehnt oder die Feststellbremse nicht angezogen – unter Umständen mit negativen Folgen.

Es sind ferner die Details, die nicht zu unterschätzen sind. Modelle, wie von Ono oder das alte Modell des Rytle Movrs, erlauben nur einen Ausstieg nach rechts. Auf der Seite ist die Klappe der Box angeordnet, um die Sendungen zu entnehmen. Das mag mit Blick auf den passierenden Verkehr nachvollziehbar sein, wenn das Bike am Rand der Fahrbahn steht und die Person auf der verkehrsabgewandten Seite agiert. In der Praxis nur wird zumeist so weit rechts wie möglich gehalten – neben parkenden Autos. Dort ist dann kaum Platz, um die Sendung zu entnehmen, auch wenn man mit seinem Hinterteil nicht im passierenden Verkehr steht. Ähnlich verhält es sich, wenn man auf dem Radweg unterwegs ist. Gehalten wird unter Umständen auch nah an der Hauswand. Das mag im Linksverkehr in Großbritannien besser funktionieren, im Rest von Europa ist das durchaus irritierend, wenn die rechte Boxklappe verdeckt ist.

Ähnlich wenig durchdacht ist es, den Öffnungsmechanismus für eine Transportbox eines Long Johns auf der rechten Seite der Box zu platzieren, während 99 % der Menschheit nach links von einem Fahrrad absteigt. Dort ist der Fahrradständer platziert an der sauberen, kettenabgewandten Seite. Von links dann über die gesamte Box nach rechts greifen zu müssen, um diese zu öffnen, ist umso hinderlicher, je mehr Stopps auf der Tour zu bedienen sind.

Bei den Fahrradschlössern besteht ebenfalls Potenzial. Bei unseren Bullitts waren Rahmenschlösser verbaut, die fest am Fahrradrahmen montiert und mit einem sehr einfachen Handgriff zu schließen und zu öffnen sind. Wenn jedoch am Ende eines Zustellstopps beim Losfahren vergessen wird, das Schloss zu öffnen, ist der Speichentod nicht weit. Wird das beladene Fahrrad mit zum Beispiel 70 kg Gewicht abgebockt, stößt die nächste Speiche mit erheblicher Kraft an den geschlossenen Schlossbügel. Die Speiche verbiegt sich und es entsteht eine Sollbruchstelle für einen Dauerbruch. Es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, bis die Speiche vollends bricht. Unsere Rahmenschlösser wurden demontiert und durch formstabile U-Schlösser ersetzt, die griffbereit am Gürtel getragen werden (Abb. 19.7). Mit nur einer Hand kann beim Abschließen der Bügel geführt und mit der anderen das Verschlussstück aufgesetzt werden. Würde eine forminstabile Kette benutzt, bräuchte man drei Hände. Das Durchfädeln der Kette durch Rahmen oder Laufrad wäre ein einziges Gefummel und würde am Ende einfach sein gelassen.

Abb. 19.7
figure 7

Beispiel eines U-Schlosses

Eine Reihe von Details trägt dazu bei, Radlogistik mit mehr oder weniger guter Produktivität zu leisten. Bevor wir zum Mensch kommen, noch ein Wort zum Fuhrpark. Fahrräder sind anders konstruiert als Autos. Zahlreiche Cargobike-Hersteller haben in den letzten Jahren viele verschiedene Modelle entwickelt und auf den Markt gebracht. Einige sind bereits wieder verschwunden, wie das Armadillo von Velove. Fakt ist, dass aufgrund der immer noch recht begrenzten Produktionsstückzahlen die Herstellkosten viel zu hoch sind. Die Kraftfahrzeugindustrie beginnt erst, den Cargobike-Markt für sich zu entdecken. Aber anders als bei Kraftfahrzeugen hat bislang keines der neu in den Markt eingeführten Cargobike-Modelle mehrere hunderttausend Testkilometer in verschiedenen äußern Bedingungen hinter sich. Die Markreife einzelner Modelle ergibt sich erst „on the job“ und auch die konstruktiven Mängel zum Teil erst im Langzeiteinsatz. Speichenräder zum Beispiel sind systembedingte Schwachstellen, wenn sie in bekannter Fahrradbauform an mehrspurigen Cargobikes verwendet werden unter höheren Belastungen. Durch die Mehrspurigkeit neigt sich das Laufrad in Kurvenfahrt nicht, Fliehkräfte entstehen und wirken horizontal auf die Laufräder, die allerdings nur für vertikal wirkende Kräfte konstruiert sind. Hier sind Speichenprobleme vorprogrammiert, auch wenn inzwischen zum Teil sehr stabile und belastbare Laufräder aus der Moped- oder Motorradtechnik eingesetzt werden. Es bedarf einer regelmäßigen Wartung der Fahrzeuge, um frühzeitig Mängel erkennen und gleich beheben zu können, bevor daraus ein größerer Schaden entsteht. Selbiges gilt insbesondere für Fahrradbremsen, wenn solche an schweren Cargobikes verwendet werden. Der Verschleiß der Bremsbeläge ist im Verhältnis zur Laufleistung in Verbindung mit den höheren Gewichten zwar nachvollziehbar, aber aus Kostensicht viel zu schnell. Größer dimensionierte Bremsen mit stärkeren Belägen sind der Fahrradtechnologie vorzuziehen bei größeren Cargobikes.

Cargobikes sind insgesamt noch nicht mit Kraftfahrzeugen vergleichbar, die nach einem Jahr Nutzung lediglich einen Ölwechsel benötigen. Hier hat die Industrie noch reichlich Potenzial. In der Praxis empfehlen wir je nach Nutzungsintensität und Modell alle zwei oder zumeist alle vier Wochen eine intensive Wartungsdurchsicht. Zusätzlich hilft die regelmäßige Schulung und Sensibilisierung der Fahrer und Fahrerinnen, rechtzeitig kleine Mängel zu erkennen, ggf. sogar selbst zu beheben oder mindestens zu melden, um die Reparaturkosten niedrig zu halten.

2.3 Der Radlogistiker ist ein neues Berufsbild

Neben Sendungen, einem Prozess, einem Mikrodepot und Cargobikes braucht es noch den Menschen. Der Radlogistiker als solches stellt ein neues Berufsbild dar, das es (noch) nicht als Ausbildungsberuf gibt. Kaufleute und Fachkräfte Kurier-, Express- und Postdienstleistungen sind im Jahr 2023 die einzigen beiden Berufe, für die die Bundesagentur für Arbeit eine duale Ausbildung ausweist (Bundesagentur für Arbeit 2023a, b). Der klassische Fahrradkurier wird lediglich als Berufsbild geführt, in dem oft lediglich Zuverlässigkeit und ein verkehrssicheres Fahrrad vorausgesetzt werden.

In der Praxis kommen zumeist Personen ohne eine radlogistikspezifische Qualifikation zum Einsatz. Es liegt an den Radlogistikunternehmen, ihre Mitarbeitenden entsprechend zu schulen und zu trainieren. Die Tätigkeit in der Auslieferung und Zustellung von Waren und Sendungen erscheint auf den ersten Blick einfach und überschaubar. Jede Person, die schon einmal ein erwartetes Paket nicht so erhalten hat, wie gedacht und vorgesehen, ahnt jedoch, dass doch etwas mehr dahinterstecken könnte.

Eine europäische Partnerschaft mit der Bezeichnung „SafeLMD“Footnote 3 – Safe Last Mile Delivery – erarbeitet seit 2022 in einem Projekt, welche Kompetenzen Fahrradkurier:innen und Radlogistiker:innen benötigen und wie eine passgenaue Aus- und Weiterbildung aussehen sollte (BGZ 2023). In dem europäischen Förderprojekt entsteht ein Kompetenzrahmen mit Berufsprofil, Lehrplan und Online-Kurs mit Lernmaterial zum Selbststudium, ein Ausbilderhandbuch sowie ein Schema für eine Online-Prüfung. Die Anforderungen an diese Berufsradfahrenden sind vielfältig. Neben den reinen Dienstleistungstätigkeiten liegt der Fokus ebenso auf dem reduzierten ökologischen Fußabdruck, der ökonomischen Leistungserbringung oder den Gefahren des Radverkehrs auf den Straßen. Die Aspekte Sicherheit und Umweltschutz sind wesentliche Punkte, die es genau zu vermitteln gilt, wie das Fahren eines schwer beladenen Cargobikes.

SafeLMD führt sieben Kompetenzfelder auf, in denen Wissen und Fähigkeiten vermittelt werden sollten (Safe LMD 2023a):

  1. 1.

    Waren und Verpackungen

  2. 2.

    Abwicklung und Verwaltungsverfahren

  3. 3.

    Straßenverkehrsordnung

  4. 4.

    Fahrradeigenschaften

  5. 5.

    Grundlagen des sicheren Fahrens

  6. 6.

    Kommunikationsfähigkeiten und Kundenservice

Zusätzlich für Führungskräfte und Multiplikatoren:

  1. 7.

    Soziale Verantwortung, Unternehmertum, Mentoring

In der Praxis erfolgt die Qualifizierung in der Regel „on the job“. Das heißt, eine neue Mitarbeiterin oder ein neuer Mitarbeiter wird zunächst mit essenziellen Grundlagen vertraut gemacht:

  • Was für Ware wird transportiert?

  • Wie erfolgt die Zustellung? Was für eine Technik wird verwendet (z. B. Scanner) und wie ist der Ablauf bei der Datenerfassung?

  • In welchem Gebiet wird zugestellt?

  • Was für Fahrräder werden verwendet und wie werden diese gefahren?

  • Wie wird die Ware sortiert und in eine Tourreihenfolge gebracht?

  • Wie wird das Cargobike am besten beladen?

Die Produktivität ist in den ersten Tagen sehr reduziert, wenn tatsächlich noch keine Zustellerfahrung vorhanden ist. Ein Drittel einer normalen Tagestour ist das Maximum an Arbeitsbelastung für den Start. Die Lernkurve ist in den ersten Tagen sehr steil.

Als Faustformel hat sich das Prinzip „3×3“ bewährt: drei Tage, um zu verstehen, wie die Abläufe und die Arbeit grundsätzlich funktionieren; drei Wochen, um das Gebiet mit seinen Straßen und erste Hausnummern kennen zu lernen und für die Grundtätigkeiten und elementaren Handgriffe eine erste Routine zu entwickeln; drei Monate, um die volle Leistungsfähigkeit zu entfalten, indem man Hausnummernfolgen kennt, die Personen von regelmäßig bedienten Kunden und Kundinnen, die Abläufe bei der Dokumentation der Zustellung oder einer Nichtzustellung (Ablieferhindernis, z. B. unvollständige oder falsche Adressierungen, Annahmeverweigerungen u. a. m.) und dazu die kleinen Tricks, um schneller zu sein oder den Zustellerfolg hoch zu halten.

Schneller ist man zum Beispiel, wenn Wartezeiten genutzt werden. Ein Kunde oder eine Kundin gibt auf dem Scanner eine Unterschrift als Empfangsbestätigung. Danach sind weitere ein oder zwei Eingabevorgänge notwendig. Die erledige ich nicht mehr, während ich vor dem Kunden oder der Kundin stehe, sondern erst auf dem Weg im Fahrstuhl nach unten. Wenn ich mehrere Sendungen in einem Haus habe, beginne ich mit dem Kunden oder der Kundin, der oder die ganz oben wohnt (wenn ich diese Person an der Klingel identifizieren kann). Ist diese Person nicht da, versuche ich es bei dem nächsten Person, die weiter unten wohnt. Ist diese Person zu Hause und bereit, die Sendung des abwesenden Nachbarn oder der abwesenden Nachbarin mit anzunehmen, erspare ich mir das zusätzliche Suchen eines anderen Nachbarn oder einer Nachbarin und ich erspare mir ein Stockwerk, zu dem ich sonst hoch müsste. Stockwerke bis zur zweiten Etage laufe ich grundsätzlich, ohne erst einen Fahrstuhl zu bemühen, wenn die Sendung handlich genug ist und das Treppenhaus gut zugänglich.

Sind die essenziellen Grundlagen in den ersten paar Arbeitstagen vermittelt, folgt unmittelbar das Training. Je nach Persönlichkeit und individuellen Fähigkeiten werden die Feinheiten gezielt aufgegriffen, zumeist in Zusammenhang mit den Anforderungen und Ereignissen der jeweiligen Tour. Nicht zugestellte Rückläufer werden zusammen besprochen. Ein Großteil davon ist in der Regel zustellbar, nur eben nicht so einfach. Die Adressbeschreibung ist irreführend, eine Hausnummer wurde nicht gefunden oder der Name an der Klingel (Abb. 19.8).

Abb. 19.8
figure 8

Beispielhafter Hauseingang mit Namensschildern

Die Tourenreihenfolge wird besprochen und evtl. umgebaut. Wie spreche ich Nachbar:innen über die Gegensprechanlage so an, dass diese sofort bereit sind, eine Sendung für eine:n abwesende:n Empfänger:in entgegenzunehmen? Wie belade ich mein Bike noch geschickter und effizienter und sichere die Ladung? Wie helfe ich mir selber, wenn mein Bike Probleme macht?

Zwei sehr wichtige Bausteine werden häufig zu wenig beachtet: die Kenntnis der Verkehrsregeln und die Sprache. In Deutschland macht jedes Kind in der Regel in der vierten Grundschulklasse eine Fahrradprüfung. Hier wird eine angemessene Verkehrserziehung über das Schulsystem gewährleistet. Das darf bei Personen aus anderen Ländern, die wir in unser Team aufnehmen, nicht ohne weiteres analog vorausgesetzt werden. Deswegen führt Safe LMD (2023b) mit der internationalen Sichtweise auch den Punkt Straßenverkehrsordnung explizit auf.

Und die Sprache: höchsten Respekt zolle ich Zustellkräften, die ohne wesentliche Grundkenntnisse in Deutsch oder Englisch – was so gut wie immer eine helfende Alternative ist – eine gute Zustellqualität abliefern. Die rein sprachliche Verständigung mit den Waren- und Sendungsempfänger:innen kann auf wortlose Grundlaute reduziert werden, wenn der Kunde oder die Kundin anwesend ist, die Zustellung klar und ohne jegliche Probleme erledigt werden kann. Besonders App-geführte Lieferdienste, wie im Bereich Food, können Sprachbarrieren durch entsprechende Sprachoptionen in der App relativ gut beseitigen. Sobald jedoch eine Frage entsteht oder eine Reklamation, so sind sprachliche Grundkenntnisse neben einigen fachlichen Fähigkeiten der einzige Garant, die Zustellqualität auf einem angemessenen Niveau zu halten und gleichzeitig noch einigermaßen ökonomisch zu handeln. Da hilft dann auch keine App mehr gut weiter.

Bei der Sprache im Ganzen und bei den Verkehrsregeln in Teilen kommen Arbeitgeber:innen schnell an Grenzen und die potenziellen Mitarbeitenden sind hier selbst gefordert, für die eigene Aus- und Weiterbildung zu sorgen. In Zeiten eines zunehmenden Fachkräftemangels werden die An- und Herausforderungen an die Praxis wahrscheinlich weiter steigen, während sich gleichzeitig die Branche der Radlogistik schnell weiterentwickelt und neue Trends vorantreibt in einem Umfeld, das eher schwerfällig in Bewegung kommt, um den Trends zu folgen. So wird es weiter an den Praktikern liegen, kreativ mit den vorhandenen Ressourcen und Möglichkeiten umzugehen.

Wenn es allerdings regnet, werden wir nass. Praktisch wie auch theoretisch.

3 Fazit

Sich auf ein Cargobike zu schwingen, die Kette nach rechts zu werfen und Fahrt aufzunehmen ist nicht schwer. In der Praxis auf Dauer zu bestehen – insbesondere auch betriebswirtschaftlich – ist dabei die tägliche Herausforderung. Radlogistik findet auf der Straße statt und ist ein Geschäft, dass durch das Machen und vom Pragmatismus lebt. Die Professionalisierung der Prozesse und die Entwicklung der Geschäftsmodelle dürfen dabei jedoch nicht im Hintergrund bleiben. Die letzte Meile ist preissensitiv mit sehr vielen zu bewegenden Einheiten, Tendenz steigend. Nur eine clever programmierte App transportiert noch keine Sendung. Eine einfach drauflos transportierte Sendung ohne clevere Prozesssteuerung macht aber auch noch kein profitables Geschäft. Es gilt, immer wieder auch das gesamte Ökosystem der Radlogistik zu betrachten und stets auch als Ganzes zu optimieren und weiter zu entwickeln. Die Radlogistik hat ihren Stellenwert in der Praxis. Die Branche muss sich weiterentwickeln, um ihr großes Potenzial zu entfalten. Die Experten und Expertinnen im Radlogistik Verband Deutschland sind sich einig: „30 % der Wirtschaftsverkehre auf Cargobikes ist noch nicht genug.“ Und selbst die 30 % sind im Jahr 2023 noch lange nicht erreicht. Ein Grund mehr, dieses Buch sehr ausführlich zu studieren und die Kette in der Praxis weiter nach rechts zu werfen.