1 Einführung

Wachsende Städte führen zu mehr Lieferverkehr, der die begrenzte städtische Infrastruktur und die Umwelt belastet. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, werden in der städtischen Logistik immer häufiger umweltfreundliche Fahrzeuge wie Lastenräder eingesetzt. Dabei gibt es eine wachsende Anzahl verschiedener Lastenrädern, die für unterschiedliche Anwendungsbereiche geeignet sind und unterschiedliche Charakteristika für die Routenplanung aufweisen. Im Wesentlichen lassen sich zwei Kategorien unterscheiden: Die klassischen zweirädrigen Lastenräder mit vorderer oder hinterer Ladefläche sind äußerst flexibel und für kleine Touren geeignet, wobei ihre Ladekapazität und Tragfähigkeit begrenzt sind. Im Gegensatz dazu weisen drei- oder vierrädrige Lastenräder ein großes Ladevolumen, eine hohe Tragfähigkeit sowie zusätzliche Ausstattungsmerkmale wie Federungssysteme und Fahrerkabinen auf. In der gewerblichen Anwendung in städtischen Gebieten stellen Lastenräder eine umweltfreundliche und kosteneffiziente Alternative zu herkömmlichen Transportern dar. Ihre hohe Flexibilität und Wendigkeit ermöglichen es, Verkehrsstaus zu umfahren und Lieferungen effizienter zu gestalten. Besonders zu Stoßzeiten im Stadtverkehr sind Lastenräder schneller und flexibler als Lieferwagen und zeigen auch Vorteile bei Be- und Entladevorgängen. Gerade das problemlose Halten vor Ablieferstellen (Wohnhäuser oder Kleingewerbe) ermöglicht kurze Stoppzeiten bei der Zustellung von z. B. Paketen, die ein klassisches Paketfahrzeug (Van) beim Halten in einer entfernten Ladezone oder Parkbucht nicht gewährleisten kann. Allerdings haben sie aufgrund ihres kleineren Ladevolumens und ihrer begrenzten Geschwindigkeit auch Effizienznachteile, die eine Durchführung mehrerer Ausliefertouren pro Tag erfordert. Um Lastenrad-Touren möglichst effizient planen und durchführen zu können, ist der gezielte Einsatz von spezifischen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) erforderlich. Insbesondere digitale Routenplanungssysteme können dabei unterstützen, schnelle und sichere Routen von den Quellen zu den Zustellpunkten zu finden. Im Vergleich zur herkömmlichen Planung können dadurch Zeit, Kosten und Energie bei den Lieferungen gespart und mehr Touren pro Tag durchgeführt werden. Eine digitale Routenplanung könnte auch unerfahrenen Fahrer:innen helfen: So zeigen die Ergebnisse eines Feldversuchs, dass Kompetenz und Erfahrung der Fahrenden beim Transport mit Lastenrädern einen großen Effekt auf die Produktivität der Belieferung hat (Seeck et al. 2023). Würde mit dem Einsatz solcher Software die Lastenradlogistik im urbanen Raum die Effizienz herkömmlicher Zustellverkehre erreichen, könnte dies zu einer disruptiven Veränderung in der städtischen Logistik führen. Denn die Vorteile der Lastenradlogistik in Bezug auf Emissionsreduktion, Entlastung der städtischen Infrastruktur und einer verbesserten Lebensqualität in den Städten sind unbestritten – die Zahlungsbereitschaft der Konsument:innen für zusätzliche Kosten hingegen stark limitiert (Engelhardt 2023).

In der Praxis werden jedoch derzeit nur selten lastenradspezifische Routenplanungssysteme eingesetzt. Kommerziell verfügbare Routenplanungssysteme sind hauptsächlich für LKW und Vans ausgelegt, die speziellen Anforderungen einer Lastenradlogistik werden nicht berücksichtigt. Die Infrastruktur für Lastenräder ist im digitalen Kartenmaterial nicht ausreichend dokumentiert, was die Routenplanung erschwert. Zwar haben viele Routenplanungssysteme bereits einen „Fahrrad-Modus“, dieser ist jedoch auf den privaten Radverkehr ausgerichtet und schlägt daher beispielsweise Wege durch Parks oder Umwege zur Vermeidung viel befahrender Straßen vor. Solche Routen sind jedoch für den gewerblichen Lastenradverkehr häufig ungeeignet. Eine Routenplanung für Lastenräder muss auf Effizienz in der Belieferung ausgerichtet sein und damit den Fokus auf möglichst kurze Wege legen, die in möglichst hoher Geschwindigkeit befahrbar sind.

Abschn. 13.2 umreißt die wichtigsten theoretischen Grundlagen der Lastenradlogistik, gibt Einblicke in aktuelle Forschungsergebnisse und stellt den Status Quo lastenradspezifischer Routenplanungssysteme dar. Abschn. 13.3 zeigt Anforderungen der Praxis an lastenradspezifische Routenplanungssysteme im urbanen Raum auf und stellt diese übersichtlich in Form von User Stories dar. In Abschn. 13.4 werden Lösungsansätze präsentiert, um digitales Kartenmaterial mit lastenradspezifischen Informationen zu ergänzen. Dadurch soll die Entwicklung spezifischer Routenplanungssysteme für Lastenräder unterstützt und beschleunigt werden. Im abschließenden Abschn. 13.5 fassen wir die Ergebnisse zusammen und zeigen weiteren Handlungsbedarf für Praxis und Forschung.

2 Grundlagen und Status quo von Forschung und Routenplanungssystemen

Urbane Logistik befasst sich mit allen logistischen Aktivitäten innerhalb einer Stadt, wie Transport, Lagerung und Umschlag. Die (urbane) Lastenradlogistik ist ein Teilbereich davon und konzentriert sich auf den Transport von Gütern mit Lastenrädern. Lastenräder haben ein geringeres Ladevolumen und eine geringere Fahrgeschwindigkeit als herkömmliche Lieferfahrzeuge wie Vans oder LKWs. Da sie dadurch einen kleineren Radius für die Auslieferung haben, werden sie häufig in Kombination mit Mikro-Depots für z. B. die Paketzustellung eingesetzt.

In der Praxis werden die Begriffe „Tourenplanung“ und „Routenplanung“ oft synonym verwendet. Bei der Tourenplanung geht es darum, die Reihenfolge der Transportaufträge festzulegen (Domschke und Scholl 2010), auch bekannt als Vehicle Routing Problem (VRP) bei mehreren Fahrzeugen oder Traveling Salesman Problem (TSP) bei nur einem Fahrzeug. Bei der Routenplanung hingegen geht es um die konkrete Streckenplanung, um von Punkt A nach B zu gelangen. Es gibt bereits Forschungsansätze zur lastenradspezifischen Tourenplanung, bei der Faktoren wie Beladung und Fahrgeschwindigkeit (Naumov und Pawluś 2021; Hesselmans 2022) oder Kapazität und Reichweite (SmartRadL 2022) berücksichtigt werden. Die Routenplanung wurde jedoch bisher als weniger relevant angesehen. Es wurden zwar Routenplanungs-Apps für Lastenräder entwickelt, bei denen die Eignung der Straßen für Lastenräder basierend auf definierten Regeln bewertet wird (CargoRocket 2022). Allerdings wurden diese Lösungen noch nicht speziell für gewerbliche Lastenradverkehre entwickelt, bei denen die Anforderungen an die Routenwahl oft anders sind als bei privaten Lastenradfahrten (Kapp 2021). Neben klassischen Routenplanungssystemen für Kraftfahrzeuge (z. B. Google Maps, Tom Tom, Here, Waze), die teilweise auch einen Fahrradmodus integriert haben, gibt es auch spezielle Routenplanungssysteme für Fahrräder (z. B. Bikemap, Komoot). Bei der Nutzung dieser Systeme für Lastenräder zeigen sich allerdings Schwächen, da ein Lastenrad zwar flexibler als ein Auto ist (z. B. Nutzung von Radwegen), jedoch nicht so flexibel wie ein normales Fahrrad (z. B. Überwindung von Bordsteinhöhen, schmale Fahrradwege). Erste Systeme, die speziell die Bedürfnisse von Lastenrädern berücksichtigen, sind aktuell in Entwicklung.

Im Rahmen eines Berliner Forschungsprojekts wurden im Jahr 2022 in einem Feldversuch am Markt verfügbare Routing-Tools eingesetzt und mit einer „manuellen“ Planung verglichen (Engelhardt et al. 2023). Die Ergebnisse zeigten, dass das getestete lastenradspezifische Routensystem ungeeignete Strecken vorschlug, Radwege teilweise nicht erkannte und falsche Navigationsanweisungen gab. Die Fahrer:innen bevorzugten während des Feldversuchs daher eine Mischung aus manueller Planung und digitaler Unterstützung.

Auf Grundlage des aktuellen Stands der Forschung muss der Status quo lastenradspezifischer Routenplanungssysteme als nicht ausreichend bewertet werden: Auf dem Markt sind noch keine zuverlässigen und vor allem effektiven Systeme der digitalen Routenplanung für gewerbliche Lastenradverkehre vorhanden. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass lastenrad-spezifische Informationen zur Infrastruktur digital nicht verfügbar sind. Welche Informationen für die Routenwahl in der Lastenradlogistik besonders relevant sind, wird in Abschn. 13.3 dargestellt.

3 Anforderungen der Radlogistik-Praxis an die Lastenrad-Routenplanung

Die Anforderungen an ein Routenplanungssystem für gewerbliche Lastenräder lassen sich aus den Faktoren ableiten, die die Wahl einer geeigneten Fahrtroute beeinflussen. Für private Fahrradfahrer:innen sind die Streckenlänge, Sicherheit und Komfort entscheidend (Liu et al. 2020). Häufig werden in Systemen für private Fahrradfahrer:innen Sicherheit und Komfort im Vergleich zur Wegstrecke priorisiert. Von Bedeutung ist hierbei, dass solche Kriterien, die über Sicherheit und Komfort entscheiden, einen stark lokalen Charakter haben und daher für jede Stadt individuell erhoben werden müssen. Im gewerblichen Bereich bestätigt u. a. das Projekt SmartRadL (2022) die Notwendigkeit lokaler Erhebungen, da bestimmte Hindernisse in verschiedenen Städten unterschiedlich häufig auftreten (Kapp 2021). Auch kann es bei diesen Kriterien häufiger zu Veränderungen kommen als bei den Routeninformationen für den Autoverkehr.

In Tab. 13.1 werden, basierend auf verschiedenen Arbeiten (SmartRadL 2022; CargoRocket 2022; Engelhardt et al. 2023; Liu et al. 2020), die Faktoren zusammengefasst, die die Routenwahl gewerblicher Lastenradfahrer:innen beeinflussen. Diese Zusammenstellung bildet die Grundlage, auf der lokale Erhebungen zur Spezifizierung der Informationen über die Straßeninfrastruktur für den Lastenradverkehr durchgeführt werden müssen.

Tab. 13.1 Einflussfaktoren auf die Routenwahl für gewerbliche Lastenräder. (Quelle: SmartRadL 2022; CargoRocket 2022; Engelhardt et al. 2023; Liu et al. 2020)

Übergeordnete Einflussfaktoren zur Effizienzsteigerung sind die Reduzierung der Fahrtdauer und der Streckenlänge, wodurch die Anzahl erfolgreicher Belieferungen in einem gegebenen Zeitfenster erhöht werden kann. Weitere Einflussfaktoren auf die Routenwahl sind die Steigerung des Sicherheitsgefühls der Fahrer:innen und des Komforts. Konkrete benötigte Informationen, um eine Route effizienter bzw. sicherer oder komfortabler zu planen, sind in Tab. 13.1 in den Kategorien „Straße“, „Hindernisse“ und „Verkehr“ zusammengefasst.

Aus den Einflussfaktoren auf die Routenwahl gewerblicher Lastenradfahrer:innen in den Kategorien „Straße“, „Hindernisse“ und „Verkehr“ sowie den übergeordneten Einflussfaktoren Effizienz, Sicherheit und Komfort lassen sich zentrale Anforderungen an ein digitales lastenradspezifisches Routenplanungssystem in Form von User Stories ableiten. User Stories sind Beschreibungen von Anforderungen an Softwaresysteme, die einen konkreten Mehrwert für die Nutzer:innen bieten (Wirdemann und Mainusch 2017). Die digitalen Routenplanungssysteme sollen Touren und Routen möglichst angenehm für Fahrende gestalten und eine hohe Effizienz ermöglichen. Die vier wichtigsten User Stories werden im Folgenden, basierend auf (Engelhardt et al. 2023), ausgeführt:

User Story 1

Als gewerbliche Lastenradfahrer:in möchte ich auf meiner Route Baustellen auf der Fahrbahn, Ampelanlagen, Veranstaltungen, dichten Auto- und Fußverkehr, Fußgängerzonen, schmale Straßen und schmale Radwege meiden, um schneller im Verkehr unterwegs zu sein und meine Ware effizient ausliefern zu können.“ (Engelhardt et al. 2023)

Einen wesentlichen Einfluss haben Beeinträchtigungen der Infrastruktur. Diese können kurz- oder langfristig auftreten und kurz- oder lang anhaltend sein. Unter kurzfristige Einschränkungen fallen Demonstrationen, Veranstaltungen, Staus und Baustellen. Je nach Datenlage können diese Formen der Beeinträchtigung mit einer gewissen Vorlaufzeit vorhergesagt und mittel- bis langfristig in der Routenplanung berücksichtig werden. Unter langfristig absehbaren Beeinträchtigungen fallen die Beschaffenheiten der Infrastruktur. Dies können ungünstige Schaltzeiten von Ampelanlagen, Fußgängerzonen, schmale Straßen oder schlecht ausgebaute Radwege sein. Eine Berücksichtigung entsprechender Beeinträchtigungen ermöglicht es, diese zu vermeiden. Ebenfalls sollten Hauptverkehrszeiten von Strecken berücksichtigt sowie Fußgängerzonen, die frei für den Lieferverkehr sind, gemieden werden.

User Story 2

Als gewerbliche Lastenradfahrer:in möchte ich auf meiner Route Hauptstraßen ohne Schutzstreifen und gefährliche Kreuzungen meiden und stattdessen möglichst breite Radwege oder Busspuren nutzen, um sicher im Verkehr unterwegs zu sein.“ (Engelhardt et al. 2023)

Die zweite Anforderung zur Berücksichtigung in der Routenplanung bezieht sich auf die Sicherheit der Fahrenden. Ein Großteil der Radwege an Hauptverkehrsstraßen sind ohne Schutzstreifen und bauliche Abgrenzungen ausgestattet und können zu gefährlichen Situationen und Unfällen bei den Verkehrsteilnehmenden führen. Große Kreuzungen sind häufig unübersichtlich gestaltet und räumen Radfahrenden nicht genügend Raum ein; gerade für Lastenräder kann dies problematisch sein. Die geplante Route sollte daher von Hauptstraßen ohne Schutzstreifen und unübersichtlichen Kreuzungen absehen. Stattdessen sollte sie bevorzugt breite Radwege oder Busspuren nutzen, um eine erhöhte Sicherheit für die Fahrradkuriere zu gewährleisten. Idealerweise sollten diese Radwege baulich abgegrenzt sein. Zudem sollten die Radwege gut instandgehalten sein. Abb. 13.1 zeigt einige Beispiele für ungeeignete Radwege für Lastenräder, welche die Sicherheit der Fahrenden und des Fahrzeugs beeinträchtigen.

Abb. 13.1
figure 1

Beispiele ungeeigneter Radwege für Lastenräder. (Quelle: Kiezbote GmbH)

User Story 3

Als gewerbliche Lastenradfahrer:in möchte ich auf meiner Route Steigung und Gefälle meiden, um die körperliche Anstrengung zu reduzieren.“ (Engelhardt et al. 2023)

Die dritte Anforderung bezieht sich auf die topografische Beschaffenheit der Route. Steigungen und starke Gefälle in der Route führen zu körperlichen Anstrengungen bei den Fahrenden. Zusätzlich steigt bei der Bewältigung von Steigungen der Akkuverbrauch bei E-Lastenrädern und geht daher mit einem Reichweiteverlust einher. Die geplante Route sollte daher Steigungen sowie starke Gefälle vermeiden.

User Story 4

Als gewerbliche Lastenradfahrer:in möchte ich auf meiner Route unebene Fahrbahnen und Hindernisse wie Schlaglöcher, hohe Bordsteine, Poller und Drängelgitter meiden, damit mein Fahrzeug unversehrt bleibt.“ (Engelhardt et al. 2023)

Die vierte Anforderung zielt auf die Anforderungen an die Infrastruktur und die Wegebeschaffenheit ab. Viele Radwege weisen Unebenheiten, Schlaglöcher oder hohe Bordsteinkanten auf. Ebenfalls sind Straßen aus Kopfsteinpflaster für Lastenräder ungeeignet, da zerbrechliche Waren aufgrund der begrenzten Federung der Räder beschädigt werden können. Zudem treten auf Radwegen häufig Engpassagen durch Poller oder unzureichender Wegeplanung auf und sind damit für Lastenräder unpassierbar. Die geplante Route sollte daher Hindernisse wie Schlaglöcher, hohe Bordsteine und Poller vermeiden. Die Fahrbahnen sollten möglichst eben und gut instandgehalten sein, um das Lastenrad sowie die zu transportierende Ware vor Schäden zu bewahren. Zudem sollten ausreichend breite Durchfahrten gewählt werden, um ein problemloses Passieren von Engstellen zu ermöglichen.

4 Wege zur Anreicherung des digitalen Kartenmaterials

Damit die dargestellten Anforderungen an ein Routenplanungssystem für Lastenräder in einem digitalen System umgesetzt werden können, müssen die dafür benötigten Informationen bzw. Daten im vorhandenen Kartenmaterial, welches bisher auf den Autoverkehr ausgerichtet ist, ergänzt werden. Derzeit sind die benötigten Daten für eine lastenradspezifische Routenplanung digital nicht verfügbar (SmartRadL 2022). In diesem Abschnitt werden Lösungsansätze entwickelt, um das Kartenmaterial um lastenradspezifische Daten zu erweitern.

Im Lösungsansatz von CargoRocket (2022) werden Straßen und Radwege mithilfe einfacher Regeln bewertet, um ihre Eignung für Lastenräder einzuschätzen. Diese Regeln basieren auf Straßen-Tags (z. B. Radweg, Breite der Straße), der Beschaffenheit der Fahrbahnoberfläche und Barrieren, die mit einer Zahl (0 bis 5) hinsichtlich ihrer Lastenradtauglichkeit bewertet werden. Diese Informationen werden dann über eine Schnittstelle (API) bereitgestellt, damit sie in externen Anwendungen integriert werden können. Obwohl – oder gerade weil – diese Lösung leicht skalierbar ist, berücksichtigt sie nicht die lokalen Unterschiede in den Routenpräferenzen, die entsprechend den Ergebnissen aus der Betrachtung in Abschn. 13.3 von entscheidender Bedeutung sind. Zudem wurde dieser Lösungsansatz noch nicht ausreichend in der Praxis getestet.

Für die Entwicklung weiterer Lösungsansätze müssen die verschiedenen Aspekte, die bei der Datenerhebung und -nutzung relevant sind, betrachtet werden (Engelhardt et al. 2023). Die Aspekte umfassen dabei datenbezogene, datenerhebungsbezogene und datennutzungsbezogene Kriterien, die im Folgenden kurz beschrieben und in Abb. 13.2 dargestellt werden.

Abb. 13.2
figure 2

Morphologischer Kasten zur Anreicherung des Kartenmaterials. (Quelle: Engelhardt et al. 2023)

Bei den datenbezogenen Kriterien wird die Art der Daten und der erwartete Nutzen betrachtet. Die datenerhebungsbezogenen Kriterien umfassen die Methoden der Datenerhebung, die Qualität der erhobenen Daten, den Umfang der Erhebung und die Anreize für die Datenerhebung. Es gibt sowohl manuelle als auch maschinelle Verfahren zur Datenerhebung. Bei den maschinellen Verfahren werden beispielsweise GPS-Daten, Sensordaten oder Bilderkennungstechnologien eingesetzt (SmartRadL 2022; ABPA 2022; AK_hoch_2 2021; aZuR 2022) oder Präferenzen der Fahrer:innen mit Hilfe von Machine Learning aus Vergangenheitsdaten abgeleitet (I-Route-Cargobike 2023). Die Qualität und der Umfang der erhobenen Daten können je nach Methode variieren. Die Anreize für die Datenerhebung können intrinsisch (durch den Nutzen für die Radlogistikunternehmen) oder extrinsisch (durch monetäre Entlohnung) erfolgen. Die datennutzungsbezogenen Kriterien umfassen das Betreibermodell, den Zugriff auf die Daten (z. B. Open Data) und das Geschäftsmodell. Hier wird festgelegt, wer für die Datenerhebung und Datenbereitstellung verantwortlich ist und wie und von wem die Daten in welcher Form genutzt werden können.

Auf dieser Basis werden im Folgenden beispielhaft zwei Lösungsansätze skizziert (Engelhardt et al. 2023), wie das digitale Kartenmaterial um wichtige Informationen und Daten für die Lastenradlogistik erweitert werden kann. Der oben gezeigte morphologische Kasten kann bei der Generierung weiterer Ansätze zur Anreicherung des Kartenmaterials als Orientierung dienen. Je nach lokaler Interessenslage und technischen und rechtlichen Voraussetzungen sind zahlreiche weitere Kombinationen und Wege möglich.

4.1 Lösungsansatz Manual Crowd Open Data

Im ersten Lösungsansatz „Manual Crowd Open Data“ werden Daten kontinuierlich über eine App gesammelt. Hierbei melden Radlogistikunternehmen bzw. deren Fahrer:innen Infrastrukturdaten direkt an das offene Kartenmaterial von Open Street Map (OSM). Um eine hohe Nutzung der App sicherzustellen, sollte die App möglichst benutzungsfreundlich gestaltet sein. Um die App einfach und bedienerfreundlich zu halten, können keine individuellen Präferenzen in das Kartenmaterial integriert werden, da die einzugebenden Informationen vorgegeben sind und nur manuell „angekreuzt“ werden können. Die Fahrer:innen haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Auswahlmöglichkeiten zu wählen, um das Kartenmaterial mit Straßen/Wege-, Hindernis- und Verkehrsdaten zu ergänzen. Zusätzlich besteht die Option, mit zeitlichen Einschränkungen zu arbeiten. Wenn kurzfristige Ereignisse, wie z. B. Demonstrationen als Hindernisse angegeben werden, werden diese automatisch nur für einen zuvor festgelegten Zeitraum berücksichtigt. Fahrer:innen können zudem eine andere Route als die vorgeschlagene wählen, und dann mittels einfacher Eingabemaske die Abweichung deklarieren. Sämtliche Eingaben fließen in die nachfolgenden Routenplanungen ein, um die Genauigkeit und Relevanz der bereitgestellten Routen zu verbessern.

Beim Passieren einer zuvor deklarierten Stelle wird ein Pop-up-Fenster angezeigt, das abfragt, ob die Einschränkung noch besteht oder aufgelöst wurde. Dadurch wird eine aktuelle und dynamische Anpassung des Kartenmaterials und damit der Routenplanung ermöglicht, die etwaige Veränderungen oder neue Gegebenheiten berücksichtigen können. Abb. 13.3 zeigt beispielhaft eine vergleichbare Ein- und Ausgabe in der Community-Navigationssoftware Waze.

Abb. 13.3
figure 3

User Interface des Community-Navigationssystems Waze. (Quelle: Waze Mobile)

Folgende Bewertung der Kriterien des aufgestellten morphologischen Kastens (Abb. 13.4) kann für diesen Lösungsansatz abgeleitet werden: Die Qualität der Daten ist hoch, da sie auf den realen Erfahrungen der Fahrer:innen basieren. Der Umfang der erfassbaren Daten kann als mittel eingestuft werden, da ganze Stadtviertel dokumentiert werden können. Die Motivation zur Datenerhebung ist intrinsisch, da sichere und schnellere Routen sowohl den Fahrer:innen (Sicherheit, Komfort) als auch den Unternehmen (Effizienz) Vorteile bieten. Damit ist dieser Lösungsansatz auch nicht mit Kosten für die Informations- und Datensammlung verbunden, einzig die Kosten für die Entwicklung der App und die Verarbeitung der Daten sind zu berücksichtigen.

Abb. 13.4
figure 4

Lösungsansatz „Manual Crowd Open Data“. (Quelle: Engelhardt et al. 2023)

Bei Anwendung dieses Lösungsansatzes wird das offene Kartenmaterial schrittweise selbst durch die Nutzer:innen (Radlogistikunternehmen, Fahrer:innen) aktualisiert. Änderungen im Kartenmaterial können dabei dauerhaft bzw. bei zeitlich begrenzten Ereignissen temporär sein. Im Ergebnis werden die Routinginformationen kontinuierlich verbessert. Der Zugriff auf die Kartendaten kann kostenlos gestaltet werden. Welche Stakeholder die Kosten für die App, für die Software zur Verarbeitung der Daten sowie für die Schnittstelle zum Routingsystem tragen, muss zwischen den Stakeholdern geklärt werden.

4.2 Lösungsansatz Hybrid Third Party

Der zweite Ansatz „Hybrid Third Party“ beruht auf einem anderen Geschäftsmodell: Ein Drittanbieter erhebt die erforderlichen Daten zur Infrastruktur und zu den Routenpräferenzen. Die Datenerhebung kann sowohl manuell als auch automatisiert erfolgen. Die erhobenen Daten werden dann interessierten Routenplanungsunternehmen zum Kauf angeboten.

Die Drittanbieter arbeiten dabei mit lokalen Radlogistikunternehmen und anderen lokalen Akteuren wie Bike-/Roller-Sharing-Anbietern zusammen. Sie erfassen Infrastrukturdaten mithilfe von Sensoren, welche sie auf ihre Kosten an den Fahrzeugen der lokalen Partner:innen installieren.

Aufgrund der teilautomatisierten Datenaufnahme über Sensoren kann die Datenqualität variieren. Aus diesem Grund ist in diesem Lösungsansatz eine ergänzende qualitative Informationsermittlung in Zusammenarbeit mit den Fahrer:innen vorgesehen: Die lokalen Partner:innen werden nach ihren Routenpräferenzen befragt, um die Informationen aus der sensorbasierten Datenermittlung durch qualitative Informationen zu ergänzen bzw. zu validieren.

Für die Zusammenarbeit erhalten die lokalen Partner:innen eine finanzielle Entschädigung vom Drittanbieter, die auch in Form einer kostenlosen späteren Nutzung der Informationen abgegolten werden kann. Durch diese monetären Anreize sowie die maschinelle Datenerhebungsmethode können Daten in großem Umfang von verschiedenen Partner:innen im gesamten Stadtgebiet erhoben werden.

Der Drittanbieter kann zusätzliche Dienste für die kooperierenden lokalen Partner:innen anbieten, zum Beispiel die Erkennung von Abweichungen zwischen geplanten und tatsächlich gefahrenen Routen mithilfe von Anomaliedetektion. Auf diese Weise können automatisiert Präferenzen für Nutzer:innen abgeleitet und die Routing-Algorithmen verbessert werden. Der Drittanbieter finanziert die Datenerhebung, die Wartung und die Schnittstellen seiner Kartenplattform mit den Einnahmen aus der Bereitstellung der Daten an Software-Unternehmen sowie Radlogistikunternehmen. Eine öffentliche Förderung der Datenerhebung wäre wünschenswert, um die Anreize für die Datenerhebung zu erhöhen und den Prozess zu beschleunigen (Abb. 13.5).

Abb. 13.5
figure 5

Lösungsansatz „Hybrid Third-Party“. (Quelle: Engelhardt et al. 2023)

5 Fazit

Entsprechend dem Stand der Forschung sind marktverfügbare Routenplanungssysteme, die spezifischen Anforderungen eines gewerblichen Lastenradunternehmens genügen, noch in der Entwicklung. Eine große Herausforderung dabei ist das Fehlen relevanter Informationen: Die für eine lastenradspezifische Wegeführung erforderlichen Informationen sind im digitalen Kartenmaterial derzeit noch nicht ausreichend verfügbar. Die wesentlichen Anforderungen der Praxis an solche Systeme sind, dass Straßen/Wege-, Hindernis- und Verkehrsdaten berücksichtigt werden, um Effizienz, Sicherheit und Komfort der Fahrten mit Lastenrädern zu steigern.

Im Rahmen dieses Beitrags wurden zwei neue Lösungsansätze vorgestellt, die mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen verbunden sind. Der erste Lösungsansatz „Manual Crowd Open Data“ sammelt die benötigten Informationen mit Hilfe einer zu erstellenden App, die durch die Fahrer:innen beteiligter Radlogistikunternehmen dauerhaft manuell bedient wird. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass die Anwender:innen für die Datenerhebung und die spätere Datenverwendung identisch sind, und die Sammlung der Informationen daher kostenlos ist. Es sind lediglich Kosten für die App-Entwicklung erforderlich. Zudem wird durch die kontinuierliche Nutzung der App die Qualität der Ergebnisse dauerhaft sichergestellt.

Dem zweiten Ansatz „Hybrid Third Party“ liegt ein Geschäftsmodell zugrunde, bei dem ein Drittanbieter die benötigten Daten maschinell erhebt. Der Drittanbieter ist zwar auf die Zusammenarbeit mit lokalen Partner:innen (Radlogistikunternehmen) zur Datenvalidierung angewiesen, übernimmt dafür aber die Kosten für Technik (Sensoren) und Verarbeitung der Daten. Die gesammelten Informationen stellt er dann Software-Unternehmen und Radlogistikunternehmen für einen Kostenbeitrag zur Verfügung.

Die Ergebnisse haben Implikationen für verschiedene Interessengruppen: Logistikdienstleister, die Lastenräder nutzen oder nutzen wollen, profitieren von verbesserter Routenplanung, da Routen schneller, kürzer und sicherer werden. Anbieter von Routenplanungssystemen können ein neues Geschäftsfeld erschließen, indem sie digitale Routenplanung für gewerbliche Lastenräder anbieten. Anbieter von digitalem Kartenmaterial können ihre Karten für Lastenräder optimieren und an Routenplanungsanbieter vermarkten, um ebenfalls neue Geschäftsmöglichkeiten zu nutzen. Städte profitieren von der steigenden Beliebtheit von Lastenrädern, da dadurch die Emissionen im Lieferverkehr reduziert werden können. Um diesen Trend zu fördern, können Städte aktiv dazu beitragen, indem sie beispielsweise die Erhebung der benötigten Kartendaten unterstützen oder die relevanten Daten offen zur Verfügung stellen.

Bei Umsetzung einer dieser Lösungsansätze werden deutlich verbesserte Daten für die gewerbliche Lastenradlogistik zur Verfügung stehen. Die dadurch verbesserte Routenplanung wird zu einem effizienteren Einsatz von Lastenrädern führen, was einen verstärkten Einsatz von Lastenrädern bei der Zustellung im urbanen Raum zur Folge haben kann. Im Ergebnis werden damit Emissionen reduziert, die städtische Infrastruktur entlastet, und damit die Lebensqualität in Städten verbessert.

Es besteht weiterhin Bedarf an Forschung und Entwicklung, um die vorgeschlagenen Lösungsansätze weiterzuentwickeln und umzusetzen. Unter anderem ist es hierbei wichtig, auch die Akzeptanz der Nutzer:innen als kritischen Erfolgsfaktor für den Einsatz solcher Systeme in der Praxis zu untersuchen. Ein wichtiger Faktor ist hierbei auch die Gestaltung der Benutzeroberfläche der zu entwickelnden App. Ebenso ist die Analyse konkreter Potenziale digitaler Routenplanungssysteme für die Lastenradlogistik von Bedeutung, um quantifizierbare Aussagen hinsichtlich eines möglichen Verbesserungspotenzials in Bezug auf Effizienz, Sicherheit und Komfort ableiten zu können. Nur wenn diese Systeme nachweislich ausreichend positive Auswirkungen auf die operativen Lieferprozesse mit Lastenrädern haben, werden sich die vorgestellten Lösungsansätze zur Verbesserung des Kartenmaterials durchsetzen können.