Zusammenfassung
Lastenräder und Anhänger gibt es inzwischen in unterschiedlichsten Bauarten mit unterschiedlichen Antriebsarten und Aufbauten. Die Modellvielfalt ermöglicht so einen immer breiteren Einsatz von Lastenrädern. Ab wo liegen die Unterschiede?
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1 Lastenradmodelle – Wie kann man in der großen Vielfalt die Übersicht behalten?
Lastenräder und Anhänger gibt es inzwischen in unterschiedlichsten Bauarten. Waren einst die Bäckerräder die damals moderne Art von Lastenrädern, sieht das Bäckerrad heute alt aus gegen bestehende Technik. Zwei, drei, vier oder auch sechs Räder, Box, Plane, Pick-up oder Sonderaufbau, Kette, Riemen oder doch nur ein Kabel, die Technik und Modelle bieten viele Möglichkeiten und erweitern den Einsatz von Lastenrädern massiv.
Der Markt lässt sich aus Praxissicht in sechs relevante Kategorien unterteilen. Diese werden hier in die Lastenradklassen eingeordnet und entsprechend der entstehenden europäischen Lastenradnorm Kap. 2 dargestellt.
2 Leichte, einspurige Lastenräder
Leichte, einspurige Lastenräder definieren sich im Kern über zwei in Fahrtrichtung nacheinander angeordnete Räder. Sie haben dadurch eine Fahrdynamik, die konventionellen Fahrrädern ähnelt. Das zulässige Gesamtgewicht begrenzt sich in dieser Klasse auf 250 kg bei privat genutzten Rädern und 300 kg bei gewerblich genutzten Rädern (Kap. 2). In der Praxis zeigen sich zwei relevante Ausprägungen.
2.1 Mini-Lastenräder
Mini-Lastenräder sind kleine Lastenräder für den Transport von kleineren Waren. Sie orientieren sich in Größe oder Bauform an konventionellen Fahrrädern. Das klassische Bäckerrad, das dieser Familie zuzuordnen ist, ist ein Fahrrad mit verstärktem Rahmen und größerem Gepäckträger sowie einer Ladefläche über dem Vorderrad. Dies oder auch die kleinen Flitzer von Stadtkurieren, wie z. B. Modelle von Omnium mit einer Plattform vor der fahrzeugführenden Person, sind hier das perfekte Beispiel. Klein, wendig und schnell zu fahren, gibt es diese Modelle auch noch ohne Motor. Ziel dabei ist es, kleinere Warenmengen schnell ans Ziel zu bringen. Fahrdynamisch verhalten sich diese Räder eher wie konventionelle Zweiräder. Im Privatbereich sind diese Modelle beliebt, da sie sich ohne extra Stellplätze abstellen und auch noch in Hauseingänge, Hinterhöfe u. Ä. tragen lassen (Abb. 1.1).
2.2 Long John
Long-John-Modelle sind wohl die bekanntesten Lastenräder am Markt. Meist verwendet von Familien, werden sie aber auch in der Logistik vorwiegend auf Direktwegen eingesetzt. Mit einem meist kleineren Vorderrad und einem größeren Hinterrad, dazwischen einer Kiste und dem Platz für den Fahrer, ermöglicht diese Bauart, auch bis zu 500 L an Volumen zu transportieren ohne breiter als ein herkömmliches Fahrrad zu werden. Modelle wie das Bullitt des Herstellers Larry vs. Harry sind hier schon lange bekannt (Abb. 1.2).
3 Leichte mehrspurige Lastenräder
Mehrspurige Lastenräder verfügen über drei oder mehr Laufräder, wovon mindestens zwei parallel zueinander angeordnet sind. Diese Modelle haben dadurch einen stabilen Stand bei geringen Geschwindigkeiten bzw. Stillstand. Das zulässige Gesamtgewicht begrenzt sich auf max. 300 kg. Hier ist besonders eine Fahrzeugklasse relevant.
3.1 Dreirad
Das Dreirad hat, wie der Name schon sagt, drei Räder. Meistens zwei Räder hinten, bietet es deutlich mehr Platz für Waren. 2000 L und mehr Volumen sind hier keine Seltenheit, aber auch das Zuladungsgewicht ist größer. Genau hier verschwimmen die Grenzen zu den Heavy Cargobikes, die in Abschn. 1.4 behandelt werden. Die Deutsche Post ist wohl der bekannteste Betreiber dieser Art von Rädern, doch hat sich die Technik weiterentwickelt. Die Antriebssysteme sind moderner und eine Dämpfung ist inzwischen auch möglich. Die Variante zwei Räder vorn und eines hinten ist seit vielen Jahren bei Privatpersonen z. B. für den Kindertransport oder Wocheneinkäufe sehr beliebt. In modifizierter Form sind sie mittlerweile auch im professionellen Bereich zu finden. Üblich sind Modelle, bei denen vor der fahrzeugführenden Person eine Kiste oder eine Plattform, auf der die Ware transportiert werden kann, installiert ist. Diese Modelle gibt es auch mit Neigetechnik, um Fahrdynamisch deutlich näher am klassischen Fahrrad zu sein. Die Neigetechnik hat sehr positive Auswirkungen auf die Wendigkeit und Agilität des Fahrrads, was in engen Straßen oder in Bereichen mit hohem Fußverkehrsaufkommen von den Fahrenden geschätzt wird (Abb. 1.3).
3.2 Vierrad
Ähnlich wie beim Dreirad, sagt schon der Name aus, dass es sich hierbei um Modelle mit vier Rädern handelt. Das Vierrad bietet viele neue Möglichkeiten zur Komforterhöhung für Fahrer:innen sowie für größere Zuladungen. Neben Velove und citkar gibt es hier immer mehr Hersteller. Dabei werden nicht nur die Logistik, sondern oft auch andere Einsatzfelder, wie Handwerker, angesprochen. Auch hier sind die Grenzen zum Heavy Cargobike schwimmend (Abb. 1.4).
4 Heavy Cargobike
Im Gegensatz zu den anderen Kategorien kommt es hier nicht auf die Anzahl der Räder an, sondern vielmehr auf das Zuladungsgewicht, konkreter um die reine Zuladung an Waren von mehr als 200 kg. Entsprechend der Europäischen Norm (CENFootnote 1) entspricht das einem zulässigen Gesamtgewicht von über 300 kg. Für eine obere Grenze siehe Kap. 2. Dabei kann je nach Fahrzeuggewicht das gesamte Gewicht bei aktuellen Lastenrädern bis 750 kg betragen. Heavy Cargobikes sind am Markt noch recht neu, was auch erklärt, warum es hier noch so eine große Marktvielfalt gibt. Die einzelnen Modelle sind klar auf spitze Zielgruppen entwickelt. Lastenräder mit sechs Rädern als Trailer-System zum Transport von Paletten, wechselbare Aufbauten-Systeme oder absenkbare Hinterachsen sind nur ein kleiner Teil der Technik, die es aktuell am Markt gibt (Abb. 1.5).
5 Anhänger
Fahrradanhänger gibt es nicht nur für den Kindertransport. Die Branche entwickelt interessante branchenspezifische Innovationen für den Markt. Anhänger, die speziell für den Transport von Euroboxen oder von ganzen EURO-Paletten entwickelt werden, sind inzwischen Standard. Nicht mehr alle Modelle besitzen eine gesonderte Anhängerkupplung, sondern haben Ihre Befestigung schon in der Deichsel integriert und können in Sekunden von einem an das andere Rad angehängt werden. Anhänger gibt es auch mit Elektrounterstützung, wobei hier darauf geachtet werden muss, dass ein elektrischer Anhänger mit einem Elektrorad nur unter ganz bestimmten Umständen miteinander genutzt werden darf. Nach deutscher Gesetzgebung darf ein Pedelec eine Nenndauerleistung von 250 W haben. Ein Anhänger mit einem eigenem Elektroantrieb darf nur dann angekoppelt und für Fahrten verwendet werden, wenn dieser „kraftlos“ folgt, also keine zusätzliche Kraft auf das Pedelec ausübt (Abb. 1.6). So ist das Einhalten der 250-Watt-Regelung gesichert (Kap. 2).
6 Komponenten von Lastenrädern
Die unterschiedlichen branchenspezifischen Ansprüche werden durch die unterschiedliche Ausgestaltung der Fahrradtypen (vorgestellte Kategorien) zwar adressiert. Dennoch bedingen spezielle Einsatzerfordernisse weitere spezialisierte Anpassungen an den Aufbauten oder am Antrieb. Im Folgenden werden einige typische Anpassungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorgestellt. Dafür ist der Markt aktuelle zu dynamisch und die Transportanforderungen zu vielfältig.
6.1 Aufbauten
Lastenradaufbauten lassen sich in zwei Hauptkategorien unterscheiden: In Wechselcontainer und fest verbaute Container. Beim Wechselcontainer-Modell kann die Fixierung zwischen Container und Lastenrad bzw. Anhänger gelöst werden und der Container vom Fahrzeug heruntergenommen werden. Das Wechseln von leeren gegen volle Container soll möglichst wenig Zeit in Anspruch nehmen. Bei diesem Container handelt es sich um geschlossene Boxen, die mal mit mehr und mal mit weniger Technik, wie elektronische Schlösser, ausgestattet sind. Modelle mit Wechselcontainern sind hauptsächlich in der Logistik zu finden (Abb. 1.7).
Fest verbaute Container sind nicht wechselbar. Dabei sind auch offene Lösungen (Pick-up) bzw. Lösungen mit Planen zu finden. Die Ausgestaltung der Aufbauten wird meist durch den Anwender bestimmt. Unterschiedliche Branchen (z. B. Handwerker, Reinigungsunternehmen, Logistiker) haben sehr unterschiedliche Anforderungen an die Fahrzeuge und damit auch an die Aufbauten. Hier bietet der Markt der Lastenräder eine hohe Flexibilität. Aufbauten, welche meistens von spezialisierten Herstellern entwickelt und hergestellt werden, können auf die Lastenradmodelle montiert werden, solange die Vorgaben und Vorschriften der Fahrradhersteller und der Gesetze nicht verletzt werden. Die Unterschiede bei den Aufbauten, den Fixierungsmöglichkeiten, Maße etc. sind noch sehr groß. Eine Vereinheitlichung wie im Kfz-Bereich ist noch ganz am Anfang der Diskussionen, jedoch gibt es eine Anwenderempfehlung für Standardgrößen und Montagepunkte für Container und Aufbauten auf Lastenrädern vom RLVD e.V. (RLVD & BdKEP 2023) (Abb. 1.8).
6.2 Antrieb
Der Antrieb eines Lastenrades ist das Herzstück und entscheidet, ob das Fahren angenehm oder zu einer Qual wird. Neben den rein manuellen Ketten- und Riemenantrieben gibt es verschiedene Arten von Elektroantrieben (zur Regulierung siehe Kap. 2), welche den Vortrieb unterstützen. Aktuelle Ansätze zu Brennstoffzellenantrieben sind in Kap. 24 dargestellt.
6.2.1 Mittelmotor
Die Mittelmotoren kommen meist bei den Mini-Lastenrädern und Long Johns zum Einsatz. Sie sitzen an der Tretkurbel. Der Elektromotor unterstützt die fahrende Person bis zu einer Geschwindigkeit von maximal 25 km/h mit einem Zahnrad über die Kette. Jedoch sind diese Motoren nicht so sehr leistungsstark und weisen meist ein Drehmoment von 60 bis 90 Newtonmeter (Nm) auf. Daher kommen sie bei Lastenrädern für den gewerblichen Einsatz seltener vor (Abb. 1.9).
6.2.2 Nabenmotor
Der Nabenmotor kommt gerade im gewerblichen Bereich am häufigsten zum Einsatz. Mit einem Drehmoment von bis zu 150 Newtonmeter hat er eine deutlich höhere Leistung. Nabenmotoren können sowohl am Vorderrad oder am Hinterrad bzw. Hinterrädern montiert werden. Öfter ist der Nabenmotor am Vorderrad zu finden. Aufgrund der hohen Gewichte bei Heavy Cargobikes haben diese meist zwei Nabenmotoren, welche an der Hinterachse montiert sind und so die Kraft über die Achsen direkt auf die Straße bringen. Die Kraft der fahrenden Person wird entweder mit einer Kette oder mit einem Riemen an die Nabe übertragen. Als Gangschaltung gibt es Schaltungen, die an der Tretkurbel sitzen (Abb. 1.10).
6.2.3 Spezialmotoren
Bei schweren Lastenrädern kommen die Motoren aus der Fahrradbranche schnell an ihre Grenzen. Auch wenn die 250-Watt-Nenndauerleistung-Regel für alle Motoren gleich ist, so gibt es doch große Unterschiede. Teilweise werden Motoren aus dem Sondermaschinenbau bzw. der Automobilbranche modifiziert, an die gesetzlichen Bestimmungen angepasst und in Lastenrädern eingesetzt. So weisen manche Motoren ein Drehmoment von bis zu 250 Nm auf und werden, ähnlich wie die Nabenmotoren, an der Hinterachse angebracht (Abb. 1.11).
6.2.4 Serieller Antrieb
Der serielle Antrieb ist die neuste und modernste Antriebsform im Markt. Dabei wird auf eine Kette oder einen Riemen komplett verzichtet. Mittels eines Tretgenerators wird der Impuls, der durch die fahrende Person durch das Pedalieren ausgeübt wird, über ein Kabel an den Motor übermittelt, der dann das Fahrrad antreibt. Das System wird auch vereinfacht ‚elektrische Kette‘ genannt. Diese Technologie hat den großen Vorteil, dass das Verschleißteil Kette wegfällt und somit die Gefahr, dass die Kette reißen oder abspringen kann und die damit verbundenen Standzeiten der Fahrzeuge, nicht mehr besteht. Die Technologie ist deutlich wartungsärmer gegenüber den anderen vorgestellten Lösungen. Hier gibt es jedoch aufgrund der gesetzlichen Vorschrift zur Begrenzung des Antriebs auf die bekannten 250 W Nenndauerleistung gerade an steilen Steigungen wie z. B. auf Rampen in Parkhäusern Probleme. Angesteuert wird dabei ein Nabenmotor. Hersteller wie citkar, Mocci und Vowag setzten diesen Antrieb ein (Abb. 1.12).
7 Fazit
Zusammengefasst gibt es viele neue Modelle am Markt. Bei der Auswahl spielen der Einsatzzweck, das zu transportierende Volumen und Gewicht sowie die Maße des Lastenrades eine entscheidende Rolle. Die eine Lösung für alle Anwendungsfelder gibt es nicht. Jedoch findet der Markt für (fast) alle Herausforderungen eine Lösung.
Notes
- 1.
CEN = französisch.: Comité Européen de Normalisation.
Literatur
RLVD & BdKEP (2023) RLVD-001 Standardgrößen von Containern und Aufbauten sowie die Positionierung der Montagepunkte für Lastenfahrräder und Lastenanhänger. Radlogistik Verband Deutschland e. V.; Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste, Berlin
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Kremer, J. (2024). Lastenräder – Technik & Modelle. In: Assmann, T., Bürklen, A., Gruber, J., Knese, D., Mayregger, P., Rudolph, C. (eds) Radlogistik. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-44449-5_1
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