Seit Beginn der akademischen Institutionalisierung der Geschichtswissenschaften im Verlauf des 19. Jahrhunderts bildete der Nationalstaat und dessen Grenzen lange Zeit den grundlegenden Referenzrahmen historischer Forschung. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Dominanz der Nationalgeschichte und der sogenannte methodologische Nationalismus aber zunehmend infrage gestellt. Durch Erweiterungen der Perspektiven und das Hinterfragen der Epistemologie, Theorien und Methoden kristallisierten sich seither eine Vielzahl von Ansätzen mit unterschiedlichen theoretischen und methodischen Schwerpunkten heraus, durch die versucht wird den Nationalstaat als vorausgesetzten Referenzrahmen historischer Forschung zu überwinden. Dazu gehört einerseits die Regionalgeschichte, die den zu untersuchende Raum auf Grundlage von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Merkmale definiert.Footnote 1 Auf der anderen Seite entstanden die Ansätze der Welt- und Globalgeschichte, die anfänglich noch schwerpunktmäßig Vergleiche zwischen nationalstaatlich gerahmten Phänomenen anstellten, mittlerweile aber auch Austauschprozesse, Wechselbeziehungen und Verflechtungen über nationalstaatliche, regionale und kontinentale Grenzen hinweg in den Blick nehmen.Footnote 2 „Trotz der gemeinsamen Gegenposition zur Nationalgeschichte gleicht das Verhältnis der Regional- und Globalgeschichte eher einem Neben- als einem Miteinander.“ (Brunet, Gräser und Langthaler 2021: 6).

Und obwohl die für diese Entwicklung sehr einflussreiche Subaltern Studies Group in Südasien ihre Anfänge nahm, gibt es bis heute bemerkenswerterweise nur wenige Bemühungen auch die Himalaya Region in diese aktuelleren Diskussionen der historischen Wissenschaften einzubeziehen.Footnote 3 Stattdessen wird die Region sowohl in Medien, Politik und Wissenschaft weiterhin als „[…] frontier, as refuge, or as borderland […]“ (Saxer 2016: 105) wahrgenommen. Und aufgrund dieser Wahrnehmung werden die vielschichtigen historischen Verbindungen und Verflechtungen der Himalaya Region mit den Nachbarregionen und der weiteren Welt häufig übersehen und vernachlässigt. Ein Grund dafür scheint auf die Definition von Regionen selbst zurückzuführen zu sein, denn die Himalaya Region wird in der diskursiven Aufteilung Asiens meist implizit als Grenze zwischen den regionalen Konstrukten „Südasien“, „Zentralasien“ und „Südostasien“ verstanden. Deshalb ist sie aus jeder dieser Perspektiven stets in der Peripherie und niemals im Zentrum verortet. In den letzten zwei Jahrzehnten lassen sich aber diesbezüglich in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Region positive Entwicklungen beobachten. So gibt es zunehmend mehr historische Forschung, mit dem Anliegen die dominierenden europa-amerikazentrischen Tendenzen in der sozial- und geisteswissenschaftlichen Theoriebildung entgegenzuwirken und durch empirische Forschung in der Himalaya Region auch theoretische Debatten zu bereichern, die über die Region selbst und Asien hinausgehend von Interesse sein könnten.Footnote 4

Diese Tendenz zur Perspektivenerweiterung in der historischen Forschung und Historiografie wird auch im Hinblick auf die Region des zentralen Himalayas deutlich. Aufgrund von methodologischem Nationalismus, selbst gewählter Isolation und Exzeptionalismus ist die regionale Historiografie und historische Forschung noch heute dominant durch die einzelnen nationalen Narrative geprägt. Historische Verbindungen und Verflechtungen, Wechselbeziehungen und Austauschprozesse wurden hingegen lange Zeit übersehen oder wurden nur marginal berücksichtigt und blieben demzufolge weitestgehend unerforscht. Exemplarisch lässt sich das ausgesprochen gut am Beispiel des Gorkhā-Staates beziehungsweise Nepals veranschaulichen.Footnote 5 Die Anfänge dieser Entwicklung lassen hier auf die Zeit nach 1951 und der Erfindung eines nationalen historiografischen Narrativen, der sogenannten Rāṣṭrīya Itihās („Geschichte der Nation“) zurückverfolgen. Wie in anderen Teilen der Welt auch, wussten die herrschenden Eliten des Landes die Geschichtsschreibung für sich zu nutzen und förderten die Verbreitung eines legitimierenden Narratives durch Bildungsinstitutionen, Wissenschaft und Medien.

Erst ab den 1990er Jahren und einhergehend mit neuen Freiheiten aufgrund politischer und gesellschaftlicher Transformationsprozesse konnten sich WissenschaftlerInnen aus der Region selbst, aber auch aus Europa und Nordamerika, kritischer mit der nationalistisch geprägten Erzählweise der Rāṣṭrīya Itihās auseinandersetzen. Sie arbeitete zahlreiche Desiderate auf, während sie kontinuierlich die Fortschritte in historischer Forschung und Lehre evaluierten. Parallel zur kritischen Selbstreflexion erschien eine stetig wachsende Zahl von Publikationen, die sich der Erforschung der vielschichtigen historischen Verflechtungen der Himalaya Region mit dem Rest der Welt widmeten und sich thematisch mit Politik und Handel, Kultur und Identität, Sprache und Literatur sowie mit Prozessen der Staats- und Nationenbildung aus transnationaler, transregionaler, transkultureller und vereinzelt sogar globalhistorischer Perspektive auseinandergesetzt haben. Diese Forschungen widerlegen die noch immer weit verbreitete Wahrnehmung des Himalayas als isolierte terra incognita. Sie zeigen, dass die Geschichte der Region bereits seit Jahrhunderten auf vielschichtige Weise mit den Nachbarregionen und im weitesten Sinne auch dem Rest der Welt verflochten ist.

Bislang unberücksichtigt in diesen Debatten bleiben aber die reziproken Dynamiken von Staatsbildungsprozessen und den Strategien zur Herrschaftslegitimation. Um dieses Forschungsdesiderat aufzuarbeiten, wird in diesem Buch Sebastian Conrads (2005) Gedanke diesbezüglich aufgegriffen und weiterentwickelt:

Es wäre […] lohnender, davon auszugehen, dass jede Form der territorialen Annexion und Übernahme politischer Herrschaft auf eine Reihe legitimatorischer Strategien zurückgreift, um diese Herrschaft akzeptabel zu machen […]. Dann ließe sich nach den Unterschieden und spezifischen Formen der Aneignung legitimatorischer Diskurse und Praktiken fragen, […], statt sie vorauszusetzen.

(Sebastian Conrad 2005: 252)

Daher lauten die zwei zentralen Forschungsfragen dieses Buchs: Welche Strategien eigneten sich die Eliten des Gorkhā-Staates zur Legitimation ihres Herrschaftsanspruches an? Und lassen sich anhand der Legitimationsstrategien weitere regionale, wie globale Verflechtungen der zentralen Himalaya Region aufzeigen?

Zur notwendigen Eingrenzung des Vorhabens ist die Forschung auf den Zeitraum des „überlangen 19. Jahrhunderts“ (Michaels 2018: x) des Gorkhā-Staates fokussiert, von den Anfängen der Staatsbildungsprozesse unter der Śāha-Dynastie Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ende der Rāṇā-Herrschaft Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese zeitliche Eingrenzung ist allerdings unbedingt als Orientierungsrahmen zu verstehen. Die chronologische Ränder des Untersuchungszeitraums sind bewusst offengehalten, um den Eindruck zu vermeiden, dieses Buch sei eine „[…] abgeschottete Binnengeschichte einer durch Jahreszahlen eindeutig demarkierbaren Epoche“ (Osterhammel 2010: 16–17). Deshalb gibt es auch keine chronologische Kapitelstruktur mit Jahreszahlen im Titel, sondern eine thematische Gliederung.

Auf Grundlage der Forschungsfrage wurden drei Thesen formuliert: (1) Anhand der exemplarischen Analyse von legitimatorischen Diskursen und Praktiken der herrschenden Eliten des Gorkhā-Staates lässt sich zeigen, wie lokale, regionale und globale Dynamiken der Staatsbildung zu neuen Formen der Herrschaftslegitimation führen. Im 18. Jahrhundert sind diese zunächst in lokalen und regionalen Legitimationsstrategien, mit zunehmenden regionalen wie globalen Verflechtungen im 19. Jahrhundert dann schließlich in der selektiven Anverwandlung kolonialer Legitimationsstrategien, insbesondere der Zivilisierungsmission der Briten in Südasien in Form der Selbstzivilisierung zu suchen. (2) Den herrschenden Eliten des Gorkhā-Staates gelang es durch die erfolgreiche Selbstzivilisierung nicht nur ihre Herrschaftsansprüche gegenüber der eigenen Bevölkerung und rivalisierenden Fraktionen innerhalb der Elite über lange Zeit aufrecht zu erhalten, sondern gleichzeitig auch einer möglichen Fremdbestimmung durch die britische Kolonialmacht in Südasien zuvorzukommen und so die Souveränität und territoriale Integrität des Gorkhā-Staates im Verlauf des überlangen 19. Jahrhunderts zu bewahren. (3) Auf der theoretischen Ebene trägt dieses Buch zur empirischen Diversifizierung der Forschungsliteratur zu Staatsbildung und Legitimation bei, indem die in dieser Hinsicht völlig unerforschte Himalaya Region im Fokus steht. Darüber hinaus wirkt  dieses Buch Tendenzen zur fehlenden Verbindung von regional- und globalgeschichtlichen Ansätzen und der dadurch drohenden Entstehung von Globalismus und Regionalismus entgegen, indem mögliche Synergien einer raumsensiblen Geschichtswissenschaft ergründet und exemplarisch umgesetzt wird, wie Regional- und Globalgeschichte in der Forschung im Zusammenhang gedacht werden können.