FormalPara Relevanz

Um den Klimawandel zu stoppen, braucht es einen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas. Die Innovation muss sich auf erneuerbare Energie richten und die Weiterentwicklung fossiler Energieträger stoppen. Grosse Unternehmen haben jedoch in der Vergangenheit viel Erfahrung in fossiler Energie gesammelt. Es fällt ihnen schwer, dieses Know-how abzuschreiben und ihre Forschung radikal auf erneuerbare Energie umzustellen. Junge Unternehmen sind nicht in vergangenen F&E-Mustern verhaftet und können sich leichter auf erneuerbare Energie spezialisieren. Die Energiewende gelingt eher, wenn die Wirtschaftspolitik den Marktzutritt junger Unternehmen und ihre anschliessenden F&E-Investitionen erleichtert.

FormalPara Quelle

Noailly, J., & Smeets, R. (2015). Directing technical change from fossil fuel to renewable energy innovation: an application using firm-level patent data. Journal of Environmental Economics and Management, 72, 15–37.

Die Herausforderungen der Energiewende sind gewaltig. Derzeit stammen etwa 70 % der weltweit produzierten Elektrizität aus der Nutzung fossiler Energiequellen wie Kohle, Öl und Gas. China und Indien produzieren gar zwischen 70–95 % ihrer Elektrizität mit Kohlekraftwerken. Der Übergang hin zu erneuerbaren Energien ist mit einer Vielzahl an technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen verbunden. So erfordert der Ausbau erneuerbarer Energie aus Sonne, Wind und Wasser erhebliche Investitionen in das Energienetz und in neue Methoden der Energiespeicherung, um die Nachfragespitzen mit dem schwankenden Energieangebot aus Sonne und Wind auszugleichen.

Etwa 70 % des weltweiten Energiebedarfs stammt derzeit aus Kohle, Öl und Gas. China und Indien produzieren zwischen 70–95 % ihrer Elektrizität mit Kohlekraftwerken.

Wie kann gezielte Innovation den Ausbau erneuerbarer Energien fördern und den Übergang von fossilen Brennstoffen hin zu Energie aus Sonne, Wind und Wasser beschleunigen? Derzeit richtet sich ein grosser Teil der F&E-Investitionen immer noch auf Fortschritte bei der Nutzung fossiler Energie. Innovationen in erneuerbare Energie müssen die Innovationen in herkömmliche, fossil gestützte Verwendungen überholen, um die Energiewende zu beschleunigen. Die Forscher Noailly und Smeets untersuchen für die Periode von 1978 bis 2006 das Innovationsverhalten von 5471 europäischen Unternehmen mit 23 864 genehmigten Patenten in erneuerbarer und fossiler Energie. Bei 85 % der Patente handelt es sich um fossil orientierte Innovationen.

Um den Einfluss der Innovation auf den Übergang von fossiler auf erneuerbarer Energie besser zu verstehen, unterscheiden die Forscher zwischen spezialisierten und gemischten Firmen. ‚Spezialisierte‘ Firmen fokussieren sich nur auf eine Technologieart, während ‚gemischte‘ Firmen sich gleichzeitig mit erneuerbaren und fossilen Technologien auseinandersetzen. Typischer Weise sind spezialisierte Unternehmen viel jünger und kleiner und sind eher in der Lage, ganz neue Technologien zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Gemischte Unternehmen sind dagegen schon länger im Markt und deutlich grösser. Sie können ihre Ressourcen und ihr Wissen aus verschiedenen Bereichen nutzen, um komplexe Technologien zu entwickeln und zu vermarkten. Nur 6 % der Firmen in der Stichprobe sind grosse Unternehmen mit einem gemischten F&E-Portfolio. Sie sind jedoch für 29 % der Patente in erneuerbare Energien und für 39 % der Patente in fossilen Anwendungen verantwortlich.

Die Treiber der Innovation sind Energiepreise, Marktgrösse und das technologische Wissen aus den vergangenen Erfahrungen. Je höher die Energiepreise, die Marktgrösse und das aktuelle Know-how sind, desto eher investieren die Firmen in die Verbesserung der Energieerzeugung. In der Untersuchungsperiode haben die Patente in erneuerbare Energie zugenommen und jene in fossil-orientierte Anwendungen sind tendenziell zurückgegangen. Abb. 1 zeigt, dass die spezialisierten Firmen ihre Innovationen deutlich stärker angepasst haben als gemischte Firmen. Die gemischten Firmen konnten ihre Patente in erneuerbare Energie nur wenig steigern und haben hauptsächlich mit einer Verringerung der Patentanmeldungen aus fossil-orientierter F&E reagiert.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Noailly und Smeets (2015), S. 22.)

Durchschnittliche Patentzahlen von (a) spezialisierten und (b) gemischten Unternehmen.

Die Wissenschaftler wollen insbesondere die Heterogenität des F&E-Verhaltens im Unternehmenssektor herausarbeiten und die Bedeutung des extensiven und intensiven Innovationsverhalten quantifizieren. Extensive Innovation bedeutet, dass Unternehmen, die bisher keine F&E betrieben haben, neu in F&E investieren. Intensive Innovation misst, ob die Unternehmen mit positiven F&E-Ausgaben mehr oder weniger in F&E investieren. Den Innovationserfolg der Unternehmen messen die Forscher anhand der Anzahl genehmigter Patente. Die Unternehmen haben einen umso grösseren Anreiz, in die Verbesserung von erneuerbarer und fossiler Energieproduktion zu investieren, wenn die Energiepreise hoch sind, sie auf einem grossen Markt mehr Umsatz erzielen können, und wenn sie bereits über viel Know-how aus ihren F&E-Aktivitäten in der Vergangenheit verfügen.

Die Energiepreise, die Marktgrösse und das Know-how der Unternehmen bestimmen die Rendite von F&E-Investitionen in der Energiebranche.

Um die Rolle der Energiepreise zu quantifizieren, ermitteln die Forscher die firmenspezifischen Energiepreise. Diese sind ein Durchschnitt von länderspezifischen Energiepreisen, gewichtet mit den Umsatzanteilen der Firma im jeweiligen Land. Je mehr Umsätze ein Unternehmen in einem Land mit hohen Energiepreisen erzielt, desto höher ist sein firmenspezifischer Energiepreis, und desto höher ist der Innovationsanreiz dieses Unternehmens. Auch den Einfluss der Marktgrösse für Energie messen die Forscher firmenspezifisch, indem sie die regionalen Umsatzanteile, die Grösse der Absatzländer, und auch den dortigen Energiemix berücksichtigten. Die firmenspezifische Marktgrösse eines Solarunternehmens ist gross und sollte einen mächtigen F&E-Anreiz erzeugen, wenn das Unternehmen seine Umsätze vorwiegend in grossen Ländern mit einem grossen Markt für Solarenergie tätigt. Ein auf Windenergie spezialisiertes Unternehmen kann nur mit geringer Marktgrösse rechnen, wenn es vorwiegend in kleineren Ländern tätig ist, wo zudem die Windenergie nur eine geringe Rolle spielt, und andere Energiequellen dominieren. Schliesslich ermitteln die Forscher das firmenspezifische Know-how. Sie messen den Wissensbestand mit der Anzahl der Patente, welche das Unternehmen vor der Untersuchungsperiode hervorbringen konnte. Da das Wissen mit der Zeit obsolet wird, gehen ältere Patente mit einem geringeren Wert ein. Je grösser das akkumulierte Wissen und spezialisierte Know-how ist, desto erfolgreicher sind die F&E-Investitionen der Firma.

Die Energiewende erfordert den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energiequellen. Die Technologien für erneuerbare Energie müssen fossile Technologien in ihrer Leistungsfähigkeit überholen. Die empirische Analyse zeigt, dass eine zunehmende Marktgröße für erneuerbare Energie die Innovation in diesem Bereich fördert und damit zum Aufholen der erneuerbaren Technologien beiträgt. Eine Erhöhung der Marktgrösse um 100 Gigawattstunden reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass die Unternehmen in fossile anstatt erneuerbare Energie investieren, um einen Prozentpunkt. Zudem verringert der Markteintritt von jungen Unternehmen, die auf erneuerbare Energien spezialisiert sind, den Technologieunterschied zu fossilen Energieträgern. Kleine Unternehmen sind besonders erfolgreich darin, sich auf einen spezifischen Bereich der erneuerbaren Energien zu fokussieren und schnell auf die sich ändernden Marktbedingungen zu reagieren. So geht die bisherige Reduktion des Technologieunterschieds hauptsächlich auf das Konto von kleinen, spezialisierten Unternehmen, die deutlich mehr Patente für erneuerbare Energie anmelden konnten.

Eine zunehmende Marktgrösse für erneuerbare Energien fördert den Markteintritt junger spezialisierter Firmen und verringert den Technologieabstand der erneuerbaren Energie zu fossilen Energieträgern.

Ein Anstieg der Energiepreise, ein grösserer Markt für fossile Energie und das akkumulierte Wissen über fossile Technologien steigert den Vorsprung fossiler Brennstoffe zu erneuerbaren Energiequellen. Große gemischte Unternehmen verstärken ihre F&E-Aktivitäten und konzentrieren sich eher auf die Weiterentwicklung von fossilen Brennstoff-Technologien, da sie in der Vergangenheit viel Know-how in diesem Bereich entwickeln konnten. Sie befinden sich daher in einer Pfadabhängigkeit aufgrund der vergangenen Investitionen und Erfahrungen, die schwierig zu durchbrechen ist.

Die Forscher zeigen, dass bei grossen, gemischten Unternehmen eine Erhöhung des Energiepreises um 1 US$ den Technologievorsprung von fossiler Energie um 2 % steigert. Bei einem Energiepreisanstieg fällt bei gemischten Unternehmen die Zunahme ihrer F&E-Investitionen in fossile Energie knapp dreimal stärker aus als ihre Innovationen im Bereich erneuerbarer Energie. Zudem sind knapp 90 % der Innovationen der Weiterentwicklung fossiler Brennstoffe gewidmet. Sie zeigen auch, dass grosse, gemischte Unternehmen kaum auf eine Veränderung der Marktgrösse reagieren. Sie sind weniger anpassungsfähig sind als kleine, spezialisierte Unternehmen.

Forschung und Entwicklung in grossen gemischten Unternehmen sind pfadabhängig. Fast 90 % ihrer Innovationen sind auf fossile Brennstoffe und nicht auf erneuerbare Energien gerichtet.

Die Innovationsaktivitäten in der Wirtschaft sind pfadabhängig. Es ist schwierig, große gemischte Unternehmen dazu zu bringen, ihre Forschung stärker auf erneuerbare Energien auszurichten. Sie haben in der Vergangenheit viel Wissen im Bereich fossiler Energien aufgebaut und möchten dieses Knowhow weiter nutzen. Es fällt ihnen schwer, diese Investitionen einfach abzuschreiben und ihre F&E grundsätzlich auf erneuerbare Energie umzustellen. Die Wirtschaftspolitik sollte daher eher auf die Unterstützung kleiner junger Unternehmen zielen, die sich in ihrer F&E neu spezialisieren und nicht in vergangenen Innovationsmustern verhaftet sind. Die Politik kann den Markteintritt von neuen Unternehmen fördern, die auf erneuerbare Energie spezialisiert sind. Die anschliessende Weiterentwicklung in den jungen Unternehmen baut das industrielle Knowhow über erneuerbare Energien auf und trägt dazu bei, den Wissensvorsprung über fossile Energien zu verringern. Die Unterstützung sollte so lange aufrechterhalten werden, bis das akkumulierte Wissen über erneuerbare Energien gross genug ist. Wenn sich der Wissensvorsprung zugunsten erneuerbarer Energie umgekehrt hat und damit die Pfadabhängigkeit von Innovation zugunsten grüner Energie wirkt, dürften Innovationen zu erneuerbarer Energie selbsttragend werden.