FormalPara Relevanz

Dass der Patentschutz die weitere Nutzung von Forschungserkenntnissen erschwert und neue Innovationen verlangsamt, ist eine verbreitete Hypothese. Die vorliegende Studie aus dem Bereich der Genforschung untersucht, wie oft wissenschaftliche Erkenntnisse über bestimmte Gene in weiteren Forschungsarbeiten und klinischen Studien Verwendung finden. Der tatsächliche Patentstatus einer DNA-Sequenz spielt dabei nur eine geringe Rolle. Wichtig ist stattdessen, ob überhaupt ein Patentantrag gestellt wurde, nicht aber, ob diesem auch stattgegeben wurde. Diese Ergebnisse stellen die Hypothese infrage. Denn sie legen nahe, dass der Patentschutz Folgeinnovationen zumindest im medizinisch-pharmazeutischen Bereich kaum hemmt.

FormalPara Quelle

Sampat, B., & Williams, H. L. (2019). How do patents affect follow-on innovation? Evidence from the human genome. American Economic Review, 109(1), 203–236.

Wissen gilt seit jeher als öffentliches Gut. Einerseits hat neues Wissen die Eigenschaft, dass es nicht in herkömmlichem Sinne verbraucht werden kann. Andererseits kann man grundsätzlich niemanden von Wissen ausschliessen. Das bedeutet, dass sich neue Ideen ohne Einschränkung (wie z. B. durch das Bezahlen eines Preises) verbreiten können. Das Recht auf geistiges Eigentum zielt darauf ab, diese zweite Eigenschaft von Wissen zu unterbinden. Patente sind dabei eine Möglichkeit, Innovationen und Produktentwicklungen aktiv zu fördern. Sobald Dritte patentierte Entdeckungen nutzen möchten, erhalten die Erfinderinnen und Erfinder eine Entlohnung. So werden sie für vergangene Ausgaben entschädigt und können in weitere Entwicklungen investieren.

Neben diesen zweifelsfrei positiven Aspekten von Patentrechten gibt es auch negative Seiten. So besteht die Gefahr, dass Patente nachfolgende Forschung und Innovation verlangsamen oder gar blockieren können. Denn Unternehmen, die geschützte Ideen oder Daten verarbeiten, müssen einen Preis dafür bezahlen, solange der Patentschutz besteht. Die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sind daher gefragt, eine Balance zu schaffen. Ziel ist es, eine angemessene Entlohnung der Forschungstätigkeit festzulegen, ohne Folgeentwicklungen zu hemmen. Dafür ist es wichtig, zu wissen, wie Patente die nachfolgende Forschung und Innovation beeinflussen. Ein allfälliger negativer Einfluss würde in der Entscheidung für die optimale Strategie eine wichtige Rolle spielen.

Bisher hielten viele Innovationsökonominnen und -ökonomen an der Hypothese fest, dass Patente negative Auswirkungen auf anschliessendes Wissen und Produktneuheiten hätten. Allerdings wurde in der Forschung oftmals ignoriert, dass es sich bei Innovationen um kumulative – also um aufeinander aufbauende – Errungenschaften handelt: Jede Entdeckung führt zu weiteren neuen Entdeckungen. Man spricht von sogenannten Übertragungseffekten. Ändern sich die Schlussfolgerungen über den Einfluss von Patenten auf Innovation, wenn man solche Übertragungseffekte berücksichtigt?

Zu diesem Zweck stellten der Gesundheitsökonom Bhaven Sampat von der Columbia University und die auf technologischen Wandel spezialisierte Volkswirtin Heidi L. Williams vom Massachusetts Institute of Technology eine Untersuchung darüber an, wie Patente in der Genforschung Folgestudien und Produktentwicklungen beeinflussen. Die zentrale Leistung ihrer Studie besteht in der Verwendung neuer Daten zu rund 1500 Patentanträgen für Gene, welche zwischen 2000 und 2005 im US-amerikanischen Patentamt eingingen. Dabei beobachteten sie die Patententscheidungen bis ins Jahr 2010.

Grundsätzlich muss in den Patentanträgen die jeweilige DNA-Sequenz vollständig aufgezeichnet werden. Dies erleichtert eine spätere Nachverfolgung der einzigartigen Sequenzen massgeblich. Die Forscher können so feststellen, welche Genome erfolgreich patentiert und welche Anträge abgelehnt worden sind. Darüber hinaus können sie nachvollziehen, welche DNA-Sequenzen in späteren klinischen Studien oder Diagnosetests Anwendung finden.

Bloss einem Drittel der Patentanträge auf Gensequenzen wurde das Recht auf geistiges Eigentum zugesprochen. Betrachtet man im Vergleich dazu sämtliche Patentanträge, waren rund 60 % erfolgreich.

Die deskriptive Evidenz zeigt zunächst, dass Gene grundsätzlich weit seltener patentiert werden als Erkenntnisse in anderen Kategorien. Bloss einem Drittel der Patentanträge auf genetische Information wurde im Zeitraum 2000 bis 2005 das Recht auf geistiges Eigentum zugesprochen. Betrachtet man im Vergleich dazu sämtliche Anträge aus allen Fachgebieten desselben Zeitraums, waren rund 60 % der Anträge erfolgreich. Ein Grund könnte darin liegen, dass die Behörde vermeiden möchte, durch häufige Patentierung weitere Fortschritte in Medizin und Pharmazie zu bremsen.

Abb. 1 stellt die Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen und klinischer Versuche dar, welche menschliche Gene verwenden. Die Autoren unterscheiden dabei zwischen DNA-Sequenzen, welche (i) patentiert wurden, (ii) für welche ein Patentantrag gestellt aber kein Patent gewährt wurde und (iii) für welche kein Patent beantragt wurde. Die Abbildung macht deutlich, dass in Patentanträgen beanspruchte Gene durchgehend häufiger in praktischen Anwendungen vorkamen als jene, für die es keinen solchen Antrag gab – mit steigender Divergenz. Zwischen 1990 und 2000 verdoppelte sich jährlich die Zahl der wissenschaftlichen Beiträge pro Gen. Bei Genen, die patentiert wurden oder für welche ein Antrag gestellt wurde, fiel diese Zunahme viel stärker aus. So kam es beispielsweise im Jahr 2000 zu durchschnittlich sechs Publikationen auf zehn Gene. Bei den restlichen Genen, welche nicht in Anträgen vorkamen, war der absolute Zuwachs weniger stark. Im Jahr 2000 fanden die Forscher nur rund eine wissenschaftliche Publikation auf zehn Gene. Die Autoren erklären den Unterschied dadurch, dass Forscherinnen und Forscher hauptsächlich jene Gensequenzen patentieren möchten, die sie als wissenschaftlich und kommerziell wertvoll erachten und die mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Anwendungen finden.

Abb. 1
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(Quelle: Sampat und Williams (2019), Online-Appendix, S. 14.)

Patente und Folgeinnovationen (wissenschaftliche Veröffentlichungen und klinischen Studien).

Bei klinischen Studien ist der divergierende Trend besonders gut ersichtlich. Denn beanspruchte Gene werden zunehmend häufiger in klinischen Untersuchungen verwendet. Gab es 1995 im Schnitt noch rund zwei klinische Tests auf zehn Gene, waren es 2010 bereits etwa sechs. Jene Gene, die nicht in Patentanträgen beansprucht wurden, waren für klinische Studien hingegen deutlich weniger relevant. Im selben Zeitraum gab es durchgehend weniger als eine klinische Studie pro Jahr.

Die Anzahl klinischer Tests pro zehn beanspruchte Gene nahm von durchschnittlich zwei im Jahr 1995 auf sechs im Jahr 2010 zu. Hingegen blieb nur eines von zehn nicht-beanspruchten Genen Teil einer Studie.

Gene, welche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler patentieren möchten, spielen in der weiteren Forschung eine überproportional grosse Rolle. Im Gegensatz dazu, erkennen die Autoren kaum einen Unterschied zwischen Genen, die im Patentverfahren abgelehnt worden sind, und jenen, die erfolgreich geschützt werden konnten. Sowohl geschützte als auch ungeschützte Gensequenzen werden in nachfolgenden Studien und diagnostischen Tests gleichermassen verwendet. Die quantitativen Ergebnisse bestätigen dies: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patent auf ein Gen die zukünftige Forschungsaktivität im Vergleich zu einem nicht-patentierten Gen bedeutsam – das heisst, um mehr als zwei Prozent – verringert, beträgt lediglich fünf Prozent. Der reale Effekt ist jedoch gering, weil es durchschnittlich weniger als sechs wissenschaftliche und kommerzielle Anwendungen pro Gen und Jahr gibt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Patentierung zukünftige Forschung und klinische Untersuchungen bedeutsam verringert, liegt bei rund fünf Prozent.

Die eigentliche Patentierung von Genen hat folglich nur einen schwachen Effekt auf nachfolgende Innovationen. Bhaven Sampat und Heidi Williams erklären dies zum Teil dadurch, dass der untersuchte medizinische und pharmazeutische Bereich über ein effizientes System unternehmensübergreifender Lizenzierungen verfügt. Im Fall der Genforschung ist die patentantragstellende Einrichtung eher selten auch an Folgeinnovationen beteiligt. Deshalb schliesst sie häufig bereits vorab Lizenzverträge ab. Diese ermöglichen die weitere Nutzung von Forschungsergebnissen und erleichtern in der Regel darauf aufbauende Folgeinnovationen.

Ein weiterer Erklärungsgrund liegt in der verpflichtenden Offenlegung der Gensequenzen in den Patentanträgen. Seit Ende 2000 müssen alle DNA-Sequenzen, die mittels Patentantrags eingereicht werden, für die weitere Forschung zugänglich gemacht werden. Ein eingeschränkter Zugang zu wissenschaftlichen Daten hingegen könnte anschliessende Innovationen in dem Gebiet schwächen. Bereits in der Vergangenheit konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, dass alternative Formen, welche eine solche Datenoffenlegung nicht zwingend verlangen, durchaus einen negativen Effekt auf anschliessende Innovationen und Produktentwicklungen haben.

Die Ergebnisse machen also deutlich, dass eine Patentierung die weiteren Entwicklungen in der Pharmaindustrie und den wissenschaftlichen Fortschritt in dem Gebiet der Genforschung kaum erschwert werden. Für die optimale Patentpolitik ist es daher hinreichend, einen optimalen Patentpreis festzusetzen. Ein Rückgang der Folgeinnovationen durch Patente sollte jedoch nicht ausschlaggebend in der Entscheidung über die optimale Patentstrategie sein.