FormalPara Relevanz

Ist eine befristete Aufhebung des Patentschutzes der Covid-19-Impfstoffe ein geeignetes Mittel zur Pandemiebekämpfung? Die Befürworter argumentieren, dass damit eine raschere Ausweitung der Produktion und Versorgung mit Impfstoffen möglich wäre. Aber welche Folgen hat eine Aufweichung des Patentschutzes für die Forschungsanreize der Unternehmen und für künftige Innovationen? Die vorliegende Studie zeigt, dass die Forschungs- und Innovationstätigkeit der Unternehmen in Folge einer Abschwächung des Patentschutzes deutlich zurückgeht. Start-ups und kleinere und mittlere Unternehmen (KMU), die nur begrenzte Möglichkeiten zur Lizenzierung oder zum Verkauf ihrer Patente haben, sind besonders von einem effektiven Patentschutz abhängig.

FormalPara Quelle

Arora, A., Belenzon, S., Marx, M., & Shvadron, D. (2023). When does patent protection spur cumulative research within firms?, The Journal of Law, Economics, and Organization.

In den Diskussionen über die weltweiten Anstrengungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie und deren Folgen für Politik und Wirtschaft haben Forderungen nach einer Lockerung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe prominente Befürworter gefunden. Neben internationalen Organisationen haben sich auch zahlreiche Nobelpreisträger sowie Staats- und Regierungschefs für eine temporäre Aussetzung der Patente ausgesprochen. Die Befürworter erhoffen mit der Massnahme eine möglichst schnelle Versorgung der Weltbevölkerung mit den Covid-19-Impfstoffen zum Selbstkostenpreis. Die aktuell äusserst ungleich verteilte Impfstoffverfügbarkeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern liesse sich durch die Massnahme ebenfalls abbauen. Generell sehen sie eine solche Vorgehensweise als ein ausserordentliches Mittel in Zeiten einer globalen Krise.

Die temporäre Aufhebung des Patentschutzes ist jedoch nicht unumstritten. Da die Produktion von Impfstoffen ein komplexes Unterfangen sei, bezweifeln Kritiker, dass eine Aussetzung des Patentschutzes kurzfristig zu einer höheren Produktion führe. Anreize für Unternehmen zu erhalten, auch in Zukunft riskante und kostenintensive Forschung zu betreiben, sei ein weiteres zentrales Argument für den Erhalt des geistigen Eigentums. Private Forschung und Innovationstätigkeiten könnten zurückgehen, sollte der Patentschutz im Falle der Covid-19-Impfstoffe ausgesetzt werden.

Welchen Einfluss hat der Patentschutz tatsächlich auf die Forschung und Entwicklung in den Unternehmen? Ashish Arora, Ökonom an der Duke University in Durham, und seine Co-Autoren gehen dieser Frage in einer aktuellen Studie nach. Sie untersuchen, wie sich ein abgeschwächter Patentschutz auf die Forschungstätigkeit von Unternehmen auswirkt. Das Forscherteam hebt hervor, dass etwa 43 % der Investitionen in wissenschaftliche Forschung in den USA von Unternehmen aufgebracht werden. Denn durch ihre Forschungstätigkeit bringen Unternehmen Innovationen wie neue Produkte oder effizientere Produktionsverfahren hervor, von denen sie sich eine Steigerung der Erlöse, Kostensenkungen und damit höhere Gewinne versprechen.

Um die Auswirkungen eines abgeschwächten Patentschutzes auf die Forschung in Unternehmen zu quantifizieren, nutzen die Autoren Daten über Patente und wissenschaftliche Veröffentlichungen US-Amerikanischer Unternehmen aus den Jahren 1990 bis 2015. Zu jedem Patent gehört mindestens eine wissenschaftliche Publikation. Mithilfe von Textvergleichsalgorithmen ordnen die Forscher Patente und Publikationen entsprechend zu.

Die durchschnittliche Anzahl der internen Zitate, also der Zitate des Unternehmens zu seinem eigenen Patent oder der zugehörigen Publikation, dient Ashish Arora und seinen Co-Autoren als wichtigstes Mass für die auf das Patent folgende Forschungstätigkeit und Investitionsbereitschaft des Unternehmens. Dieses Mass ermitteln die Autoren einerseits für genehmigte Patente, die keine Abschwächung des Patentschutzes erfahren haben, und andererseits für genehmigte Patente, bei denen eine Lockerung des Patentschutzes beobachtet werden konnte. Die Forscher quantifizieren damit die Reaktion der untersuchten US-Unternehmen auf Veränderungen im Patentschutz. Wie letztere hingegen auf eine komplette Aussetzung ihrer Patente reagieren, wird folglich nicht direkt erfasst. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die im Folgenden genannten Ergebnisse im Falle einer vollständigen Aufhebung des Patentschutzes noch stärker ausgeprägt sein sollten.

Im Durchschnitt führt die Abschwächung des Patentschutzes dazu, dass die an das betroffene Patent anschliessende Forschungsaktivität um 19 % abnimmt.

Die empirische Evidenz zeigt, dass die Forschungsaktivität der untersuchten US-Unternehmen in Folge einer Abschwächung des Patentschutzes deutlich zurückgeht. Die Anzahl der internen Zitate ist bei den betroffenen Patenten im Vergleich zu Patenten mit unverändertem Schutz um durchschnittlich 19 % geringer. Besonders stark ausgeprägt ist dieser Rückgang bei Biotechnologieunternehmen. Eine Abschwächung des Patentschutzes verursacht bei Biotechnologieunternehmen ein beinahe dreieinhalb Mal so hohen Rückgang der Forschungsaktivität wie im Durchschnitt aller Industrien. Auch bei Unternehmen der Informationstechnologie geht die Forschungsaktivität stärker als im Durchschnitt aller Industrien zurück.

Die Beeinträchtigung des Patentschutzes führt bei Biotechnologieunternehmen zu einer um 65 % niedrigeren Forschungsaktivität. Die Forschungsaktivität der Informationstechnologieunternehmen geht um 21 % zurück.

Die Autoren untersuchen ebenfalls, ob der Rückgang der Forschungsaktivität je nach Unternehmensgrösse stärker oder weniger stark ausgeprägt ist. Hier zeigt sich, dass kleinere im Vergleich zu grösseren Unternehmen im dritten Jahr nach der Aufweichung des Patentschutzes signifikant mit einem stärkeren Rückgang der Forschungsaktivität reagieren (siehe Abb. 1). Innovative Start-ups und KMU verfügen oft nicht über ausreichende Produktionskapazitäten, um ihre Erfindungen selbst in grossem Stil zu kommerzialisieren. Sie sind besonders von einem effektiven Patentschutz abhängig. So können sie ihre Patente zu einem besseren Preis verkaufen oder erhalten mehr Zeit, ihre eigene Produktion aufzubauen.

Abb. 1
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(Quelle: Arora u. a. (2021), S.37)

Veränderung der Forschungstätigkeit nach Unternehmensgrösse und Jahr nachdem der Patentschutz gelockert worden ist.

Doch nicht nur die Unternehmensbranche und -grösse hat einen Einfluss darauf, wie stark eine Firma auf Änderungen im Patentschutz reagiert, sondern auch das generelle Marktumfeld. Die Betriebsgrösse spiegelt die Fähigkeit des individuellen Unternehmens wider, Erfindungen kommerzialisieren zu können. Unternehmen haben jedoch auch die Möglichkeit Patente zu lizenzieren oder zu verkaufen. Durch Lizenzierung oder Verkauf an ein grösseres Unternehmen können sie Erlöse aus ihrer Forschung erzielen, indem sie von den Produktionskapazitäten des grösseren Unternehmens profitieren. Folglich sind die Möglichkeiten der Kommerzialisierung einer Erfindung nicht nur durch die eigenen Ressourcen bestimmt. Wenn Start-ups und KMU in einem Marktumfeld agieren, in dem es relativ einfach ist, Patente zu lizenzieren oder zu verkaufen, dann können sie ihre Forschung ebenfalls rasch kommerzialisieren, obwohl sie möglicherweise gar keine eigenen Ressourcen dafür haben. Wenn Start-ups und KMU jedoch in einem Marktumfeld agieren, in dem die Lizenzierung oder der Verkauf von Patenten erschwert bzw. nahezu unmöglich ist, dann ist ein unveränderter Patentschutz umso wichtiger.

Der Patentschutz ist gerade bei den Unternehmen von grosser Bedeutung, die (noch) nicht in der Lage sind, ihre Erfindung selbst kommerzialisieren zu können. Die empirische Evidenz bestätigt dies. Bei kleinen Unternehmen, die in einem unvorteilhaften Marktumfeld bzgl. der Lizenzierung oder dem Verkauf ihrer Patente agieren, geht die Forschungsaktivität in Folge einer Abschwächung des Patentschutzes am stärksten zurück. Bei grösseren Unternehmen, die in demselben Marktumfeld agieren, geht die Forschungsaktivität im Vergleich deutlich weniger stark zurück. Dies liegt vor allem daran, dass grössere Unternehmen in der Regel über die Ressourcen verfügen, ihre Erfindung selbst produzieren zu können.

Bei kleineren Unternehmen, bei denen der Markt zur Lizenzierung oder zum Verkauf der Patente unterentwickelt ist, geht die Forschungsaktivität in Folge einer Abschwächung des Patentschutzes um 78 % zurück. Bei grösseren Unternehmen in demselben Umfeld sind es lediglich 40 %.

Die empirischen Ergebnisse deuten also darauf hin, dass eine Aufhebung des Patentschutzes bei den Covid-19-Impfstoffen die Forschungsanreize vor allem bei Biotechnologieunternehmen stark beeinträchtigt und damit deren zukünftige Innovationstätigkeit reduziert. Start-ups und KMU, die in einem unvorteilhaften Marktumfeld bzgl. Lizensierung oder Verkauf ihrer Patente agieren, sind im Vergleich zu grösseren Unternehmen besonders negativ betroffen. Abgeschwächte Forschungsanreize könnten vor allem langfristig kontraproduktiv sein. So könnte die neue mRNA-Technologie in Zukunft zum Beispiel auch eine besondere Rolle bei der Bekämpfung von Krebs einnehmen.