FormalPara Relevanz

Ein neuer Trend ist die zunehmende Verlagerung der Grundlagenforschung von den Unternehmen in die Universitäten. Das führt zu einer neuen Arbeitsteiligkeit in der Forschungslandschaft. Die Universitäten spezialisieren sich mehr auf komplexe und riskante Grundlagenforschung mit noch unsicheren Anwendungsmöglichkeiten. Die Unternehmen investieren vorwiegend in anwendungsorientierte F&E mit hohen Chancen der Kommerzialisierung. In dieser Arbeitsteiligkeit hängt die Wirtschaft stärker vom Nachschub mit neuen Ideen aus der Forschung der Universitäten ab. Die Bedeutung der universitären Forschung für Innovation und Wachstum nimmt zu. Regionen mit einer lokalen Universität weisen mehr Patentanmeldungen auf und sind innovativer als andere Regionen ohne eine eigene Universität.

FormalPara Quelle

Schoellman, T., & Smirnyagin, V. (2021). The growing importance of universities for patenting and innovation, Federal Reserve Bank of Minneapolis, und Yale University School of Management.

Universitäten sind Zentren der Forschung, in denen neues Wissen produziert wird, innovative Ideen entstehen, und zukünftige Fachkräfte auf dem neuesten Stand des Wissens ausgebildet werden. Noch in den 1950er Jahren haben in den USA private Firmen mehr für Grundlagenforschung ausgegeben als Universitäten. Heute investieren Universitäten mehr als doppelt so viel wie private Unternehmen. Es ist ein klarer Trend erkennbar, dass Universitäten immer mehr den Fortschritt in der Grundlagenforschung dominieren. Was bedeutet das für die Innovationskraft der Privatwirtschaft?

Die Autoren Schoellman und Smirnyagin analysieren den Zusammenhang zwischen universitärer Forschung und privater Innovation in verschiedenen Metropolregionen in den USA. Dabei untersuchen sie den Unterschied zwischen der Innovationskraft jener Metropolregionen, die eine forschungsintensive Universität beherbergen, und solchen die keine haben. Eine Universität gilt als forschungsintensiv, wenn sie im untersuchten Zeitraum jährliche Forschungsausgaben von mehr als 10 Mio. US$ hat. Zudem analysieren die Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen der Innovationsintensität der Privatwirtschaft und der Höhe der universitären Forschungsausgaben in jenen Metropolregionen, die eine forschungsintensive Universität beheimaten. Als Masseinheit für die Innovationsneigung der Privatwirtschaft verwenden sie die jährlichen Patentanmeldungen.

Die Behauptung ist, dass sowohl die Präsenz einer forschungsintensiven Universität als auch die Höhe der universitären Forschungsausgaben eine positive Auswirkung auf die jährlichen Patentanmeldungen haben, und dass dieser Effekt über die Jahre immer wichtiger geworden ist. Dies würde bedeuten, dass die an einer Universität gewonnenen Erkenntnisse auf die Privatwirtschaft „überschwappen“ und die privaten Innovationen anregen. Die Fachliteratur bezeichnet diesen Zusammenhang als «Spill-Over Effekt», der anscheinend immer grösser geworden ist.

Um mögliche Spill-Over-Effekte nachzuweisen, haben die Autoren Daten über die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von Universitäten von 1972 bis 2015 gesammelt und diese mit Daten über Patentanmeldungen in 355 Metropolregionen verknüpft. Ein erster Blick auf diese Daten zeigt, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Forschungsausgaben einer Universität und der Anzahl an Patentanmeldungen gibt. Abb. 1a) zeigt, dass Metropolregionen mit einer forschungsintensiven Universität 1972 eine um etwa 50 % höhere Anzahl an Patentanmeldungen hatten als Regionen ohne Universität. Dieser Unterschied stieg auf ungefähr 100 % im Jahr 2015 an. Dieser «extensive Zusammenhang» legt nahe, dass die Neugründung einer Universität die Innovationskraft der Privatwirtschaft in ihrer Umgebung erheblich beflügeln kann. Wenn schon eine Universität existiert, könnte eine weitere Steigerung ihrer Forschungsausgaben die privaten Innovationen zusätzlich anregen («intensiver Zusammenhang»). Abb. 1b) zeigt, dass im Jahr 1972 die privaten Patentanmeldungen um 0,1 % höher ausfallen als in anderen Regionen, wenn das Forschungsbudget der lokalen Universität um 1 % höher ist als das universitäre Budget an den anderen Standorten. Dieser «intensive» Effekt steigt ist bis zum Jahr 2015 auf 0,3 % angestiegen. Dies würde bedeuten, dass im Jahr 2015 eine Verdoppelung der universitären Forschungsausgaben im Schnitt zu einem Anstieg von 30 % bei den privaten Patentanmeldungen führt.

Abb. 1
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(Quelle: Schoellman und Smirnyagin (2021), S. 8)

Auswirkung der universitären Forschung auf die Anzahl privater Patentanmeldungen.

Wenn man sich Abb. 1 anschaut, scheint der Fall klar zu sein. Die Existenz einer lokalen Universität führt zu wesentlich mehr privaten Patentanmeldungen in der Region, genauso wie höhere Forschungsausgaben der lokalen Universität die Patentanmeldungen in der Region weiter steigern. Bei solchen Analysen ist es jedoch wichtig, auch andere Faktoren miteinzubeziehen. Es könnte sein, dass die Steigerung der Patentanmeldungen zusätzlich oder sogar überwiegend auf andere regionale Unterschiede zurückzuführen ist, wie z. B. das Bildungsniveau der Bevölkerung oder die Bevölkerungszahl. Daher haben Schoellman und Smirnyagin in ihren Schätzungen eine Reihe weiterer solcher Einflussgrössen berücksichtigt, um den tatsächlichen Effekt der Universitäten auf die Anzahl an Patentanmeldungen zu isolieren.

Unter Berücksichtigung auch anderer plausibler Einflussgrössen schätzen die Wissenschaftler zunächst, wie sich die Präsenz einer lokalen Universität auf die Anzahl an privaten Patentanmeldungen in der Region auswirkt. Dabei finden sie, dass die Präsenz einer Universität (auch einer mit jährlichen Forschungsausgaben von weniger als $10 Mio.) in einer Metropolregion im Jahr 1972 zu einer um 5 % höheren Anzahl an Patentanmeldungen führt, im Vergleich zu anderen Regionen ohne eigene Universität. Dieser Effekt stieg über den untersuchten Zeitraum auf ca. 52 % im Jahr 2015. Noch klarer wird der Effekt, wenn man Metropolregionen mit einer Universität, die nach Forschungsausgaben zu den Top 250 Universitäten gehört, mit den restlichen Metropolregionen vergleicht.

Eine Top 250 Universität zu beherbergen, führte im Jahr 1972 zu einer um 24 % höheren Anzahl an privaten Patentanmeldungen verglichen mit Metropolregionen ohne Top 250 Universität. Dieser Unterschied stieg auf 107 % im Jahr 2015 an.

Innovative Unternehmen könnten einen Anreiz haben, sich in der Nähe von Universitäten niederzulassen und auf diesem Weg von den Spillover-Effekten der universitären Forschung zu profitieren, anstatt selbst Grundlagenforschung mit hohem Risiko für die kommerzielle Verwertung zu betreiben. Die zunehmende Bedeutung der Universitäten für die lokale Wirtschaft könnte damit eine Folge der Verlagerung der Grundlagenforschung von der Privatwirtschaft hin zu den Universitäten sein.

Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt der «Bayh-Dole-Act» von 1980. Mit diesem Gesetz verzichtet die US-Regierung vollständig auf jegliche Ansprüche auf Patente, die durch staatlich finanzierte Forschung zustande kommen. Indem die Universitäten und ihre Forscher stärker von den Patenterlösen profitieren können, haben sie einen Anreiz, mehr in patentierbare und kommerziell verwertbare Forschung mit Nutzen für die private Innovation zu investieren. Die Wissenschaftler kommen zu folgendem Ergebnis:

Der zunehmende Unterschied in der privaten Innovationsneigung zwischen Regionen mit einer eigenen Universität und solchen ohne Universität ist zu etwa einem Fünftel auf den Verzicht des Staates an den universitären Patenterlösen (Bayh-Dole-Act) zurückzuführen.

Der zunehmende Effekt der Universitäten auf die private Innovation könnte sich auch deshalb einstellen, weil die Universitäten höhere Forschungsbudgets erhalten. Anstatt der Neugründung einer Universität untersuchen daher die Autoren die Wirkungen aus einer Aufstockung der Forschungsbudgets von bereits existierenden Universitäten. Sie finden, dass im Jahr 1972 eine Erhöhung der universitären Forschungsausgaben um 1 % zu einer um 0,06 % höheren Anzahl an privaten Patentanmeldungen geführt hat. Dieser Effekt hat sich über den untersuchten Zeitraum mehr als verdreifacht.

Die Wissenschaftler untersuchen zudem den Zusammenhang zwischen den Forschungsausgaben verschiedener Fachbereiche und der Anzahl privater Patentanmeldungen in der entsprechenden Branche. Sie stellen einen positiven Zusammenhang zwischen der Höhe der universitären Forschungsausgaben und der Anzahl der Patentanmeldungen in der jeweiligen Branche fest. Die Effekte fallen allerdings je nach Fachbereich sehr unterschiedlich aus.

Eine Erhöhung der Forschungsausgaben um 1 % im medizinischen Bereich erhöht die Anzahl privater Patentanmeldungen in der Medizinbranche um 0,24 %. In der Informatik und Elektronik ist der Impact mit 1,65 % um ein Mehrfaches grösser.

Schliesslich untersuchen die Autoren, ob der Anstieg aller Patentanmeldungen in einer Region vorwiegend auf mehr Patentanmeldungen der lokalen Universitäten zurückzuführen ist. Wenn dies der Fall wäre, wäre der Anstieg aller regionalen Patentanmeldungen nicht mit einer höheren Innovationsneigung der Privatwirtschaft erklärbar, sondern wäre eben eine direkte Folge der vermehrten Patentanmeldungen durch die Universitäten. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Autoren finden sehr ähnliche Ergebnisse, wenn sie die Patentanmeldungen durch Universitäten aus ihrem Datensatz ausschliessen. Dies könnte daran liegen, dass Entdeckungen an den Universitäten oftmals noch nicht reif sind für die Kommerzialisierung und noch weiterentwickelt werden müssen. Etwa ein Drittel aller universitären Erfindungen werden patentiert, davon sind jedoch lediglich 12 % reif für den kommerziellen Gebrauch. Um vom Nutzen universitärer Grundlagenforschung zu profitieren, müssen daher die Unternehmen noch zusätzliche Innovationen leisten.

Die Studie zeigt auf, dass die Grundlagenforschung von grösster Bedeutung für die gesamte Innovationskraft in einer Metropolregion ist. Je mehr von den gesamten Forschungsausgaben in die Grundlagenforschung fliessen, desto höher wird die Anzahl an Patentanmeldungen. Im Schnitt verwenden die Universitäten 59 % ihrer Forschungsausgaben für die Grundlagenforschung. Die Autoren vergleichen die Universitäten, die zu dem obersten Viertel mit den prozentual höchsten Ausgaben für Grundlagenforschung gehören, mit jenen die zum untersten Viertel mit den niedrigsten Ausgaben für Grundlagenforschung gehören. Sie finden, dass die Präsenz einer Universität des obersten Viertels mit einer besonders starken Spezialisierung in der Grundlagenforschung zu einer um 4 % bis 15 % höheren Anzahl an Patentanmeldungen führt, verglichen mit der Präsenz einer Universität aus dem untersten Viertel. Anders ausgedrückt stellen die Autoren fest:

Eine Erhöhung des Anteils der Grundlagenforschung an den gesamten Forschungsausgaben um zehn Prozentpunkte hat den gleichen Effekt wie eine Erhöhung der gesamten Forschungsausgaben um 14 %.

Neue Ideen zu finden und die Grenze der Forschung hinauszuschieben wird schwieriger. Immer öfter sind ganze Teams von hochspezialisierten Wissenschaftlern nötig. Das führt zu einer Verlagerung der Grundlagenforschung mit oft noch unklaren Anwendungen von der Privatwirtschaft zu den Universitäten. In dieser neuen Arbeitsteiligkeit spezialisieren sich die Unternehmen mehr auf F&E mit hohen Chancen auf kommerzielle Anwendung und die Universitäten mehr auf komplexe und riskante Grundlagenforschung. Damit wird jedoch die Wirtschaft stärker von den Impulsen aus der universitären Grundlagenforschung abhängig. Die Bedeutung der Universitäten für Innovation und Wachstum in einer Region nimmt zu.