FormalPara Relevanz

Seit 2018 gilt in der Europäischen Union die Datenschutz-Grundverordnung. Dadurch sollen persönliche Daten im Internet besser geschützt werden. Unternehmen müssen die Besucher ihrer Internetseite explizit fragen, welche Daten sie sammeln dürfen und müssen eine «Verzichtsoption» anbieten. Wie stark wird die neue Verzichtsoption genutzt? Und welchen Einfluss hat diese Verordnung auf datenbasierte Unternehmen? Die vorliegende Studie zeigt, dass viele Internetnutzer von der neuen Verzichtsoption Gebrauch machen und ihre persönlichen Daten besser schützen. Trotzdem können datenbasierte Unternehmen das Kaufverhalten der Nutzer nicht schlechter abschätzen als zuvor. Denn jene Nutzer, welche der Datensammlung zustimmen, sind mit der neuen Regelung meist einfacher nachzuverfolgen.

FormalPara Quelle

Guy, A., Che, Y.-K., & Salz, T. (2020). The economic consequences of data privacy regulation: Empirical evidence from GDPR. National Bureau of Economic Research.

Jede Person hinterlässt Spuren im Internet. Wer seine Privatsphäre nicht aktiv schützt, gibt viele Informationen preis. Umfang und Präzision der von Unternehmen gesammelten Konsumentendaten nehmen immer weiter zu. Auch die Technologien zur Datenverarbeitung verbessern sich ständig. Diese Entwicklung ermöglicht es Firmen, ihre Produkte und Dienstleistungen zu verbessern und gezielter anzubieten. Das macht Daten wertvoll, sodass sie schon öfter als „das neue Öl“ bezeichnet werden. Gleichzeitig wird auch der Datenschutz für Nutzer wichtiger. Denn viele werden sich ihrer Spuren im Internet bewusst. Dazu tragen auch Datenskandale bei, wie jener 2019 um die Firma Cambridge Analytica, welche persönliche Daten von Millionen Facebook-Nutzer ohne deren Zustimmung für politische Werbung verwendet hatte.

Aufgrund solcher Entwicklungen ist das Thema Datenschutz im Internet in der politischen Diskussion stärker präsent. Die Europäische Union hat 2018 die Datenschutz-Grundverordnung erlassen. Das Ziel ist, dass Firmen die Kontrolle über die Speicherung personenbezogener Daten den Internetnutzer überlassen. Bevor Daten gesammelt werden dürfen, müssen sie die Zustimmung ihrer Kundschaft einholen. Eine solche Anfrage taucht meistens direkt auf, wenn eine Seite besucht wird. Üblicherweise besteht die Möglichkeit, die Einstellungen zur Datenspeicherung zu verändern (Verzichtsoption) oder zu akzeptieren.

Von der neuen Verordnung profitieren jene Internetnutzer am meisten, welche ihre Privatsphäre besser schützen möchten. Wie stark machen sie von den neuen Möglichkeiten Gebrauch, weniger persönliche Daten preiszugeben? Datenbasierte Unternehmen hingegen werden bei der Sammlung und Auswertung von Daten eingeschränkt. Wie wirkt sich die Datenschutz-Grundverordnung auf ihre Fähigkeit aus, Konsumenten zu beobachten und ihre Kaufabsichten zu prognostizieren? Die Ökonomen Guy Aridor, Yeon-Koo Che und Tobias Salz von der Columbia University und dem Massachusetts Institute of Technology gehen diesen Fragen nach. Dazu werteten die Wissenschaftler einen umfassenden Datensatz aus. Dieser enthält die gesammelten Daten über Internetnutzer bei den grössten Online-Reisebüros und Reise-Suchmaschinen in mehr als vierzig Ländern während des ersten Halbjahrs 2018. Die Informationen stammen von einem anonymen Reisevermittler, dessen Geschäftsmodell unter anderem auf der Sammlung von diesen Konsumentendaten basiert. In den Beobachtungszeitraum fällt die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung am 25. März 2018. Weil diese nur die Europäische Union betrifft, können die Forscher die unterschiedlichen Entwicklungen des Nutzerverhaltens zwischen den EU- und Nicht-EU-Staaten vergleichen und daraus ihre Schlüsse ziehen.

Eine wichtige Methode bei der Datensammlung ist die Verwendung sogenannter Cookies. Dies sind kleine Dateien, die beim Besuch einer Internetseite auf dem Computer platziert werden. Das Cookie speichert Informationen beispielsweise darüber, welche Webseiten angeschaut werden und was gekauft wird. Besucht man die ursprüngliche Internetseite später erneut, übermittelt das Cookie jene Informationen an den Anbieter. Dieser kann so zielgerichtet Werbung schalten und die Zahlungsbereitschaft seiner Kundschaft einschätzen. Manche Unternehmen nutzen solche Informationen auch für benutzerabhängige Preise.

Zwar gab es bereits vor Einführung der Datenschutz-Grundverordnung Möglichkeiten, sich gegen diese Art der Datensammlung zu schützen, etwa durch das manuelle Löschen von Cookies. Die vorübergehende Platzierung von Cookies wurde dadurch allerdings nicht verhindert. Die Datenschutz-Grundverordnung änderte dies: Die Konsumenten können nun beim Besuch der Webseite entscheiden, ob das Unternehmen nicht-notwendige Cookies platzieren darf. Sie können dabei eine Verzichtsoption auswählen. Dann dürfen keine Cookies mehr platziert werden, auch keine temporären.

Die Summe der gespeicherten Cookies hat in der EU nach der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung um 12,5 % abgenommen.

Wie stark machen die Internetnutzer von der neuen Verzichtsoption Gebrauch? Die Forscher zeigen, dass die Summe aller Cookies nach der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung um 12,5 % abnahm. Ein Teil der Internetnutzer wählte die Verzichtsoption. Abb. 1 stellt den Verlauf der mit Cookies registrierten Suchanfragen dar. Die schwarzen Punkte repräsentieren Staaten in der EU, die hellen Punkte Staaten ausserhalb. Der vertikale Strich symbolisiert die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung. Mit Einführung der Datenschutz-Grundverordnung nahmen die registrierten Suchanfragen in der EU signifikant ab, ausserhalb der EU hingegen nicht.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Guy et al. u. a. (2020), Abb. 3.)

Anzahl gespeicherter Cookies einer multinationalen Internetseite (im Vergleich zu Kalenderwoche 20).

Insgesamt kann der Anbieter weniger Besucher seiner Webseite nachverfolgen. Doch wie gut lässt sich das Verhalten der verbleibenden Nutzer, die der Datensammlung zustimmen, beobachten? Die Schätzungen zeigen, dass diese Nutzer nach Einführung der Datenschutz-Grundverordnung über einen längeren Zeitraum beobachtet werden können als zuvor: Der Anteil der Cookies, welche etwa nach vier Wochen immer noch aktiv Informationen übermitteln, steigt um rund acht Prozent. Die Wissenschaftler führen diesen Anstieg darauf zurück, dass sich die Zusammensetzung der Internetnutzer verändert. Jene, welche zuvor Cookies manuell gelöscht oder blockiert hatten, wählten die Verzichtsoption. Bei ihnen wurden keine Cookies mehr platziert. Sie blieben daher für die Unternehmen unerkannt und tauchten im Datensatz überhaupt nicht mehr auf.

Die Datenschutz-Grundverordnung führt dazu, dass Anbieter die verbleibenden Internet-Nutzer besser beobachten können: Der Anteil aktiver Cookies ist nach vier Wochen um acht Prozent höher.

Schliesslich analysierten die Forscher, wie die Datenschutz-Grundverordnung die Fähigkeit der Unternehmen beeinflusst, das Konsumentenverhalten zu prognostizieren. So schätzt der betreffende Anbieter, ein Online-Reisevermittler, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Besucher auf einer Webseite etwas kaufen wird. Zwei gegenläufige Effekte beeinflussen die Prognosequalität: Einerseits verringert die Verordnung die Anzahl der Cookies. Der Anbieter verfügt also über weniger Daten. Andererseits sind die verbleibenden Nutzer besser nachzuverfolgen. Die Schätzungen zeigen, dass sich die Prognosequalität durch Einführung der Verordnung nicht verschlechterte. Nach einer schwachen Anfangsphase nahm die Qualität der Prognosen sogar ein bisschen zu, allerdings nicht signifikant.

Anbieter können das Kaufverhalten von Konsumenten nach der Einführung der Verordnung nicht weniger gut einschätzen als zuvor.

Die Studie macht deutlich, dass viele Konsumenten die neuen Möglichkeiten der Datenschutz-Grundverordnung nutzen und die Preisgabe persönlicher Daten ablehnen. Gleichzeitig können datenbasierte Unternehmen jene Nutzer, welche die Datensammlung akzeptieren, nach Einführung der Verordnung tendenziell besser nachverfolgen. Auch wenn weniger Daten gesammelt werden, können Anbieter das Kaufverhalten daher nach Inkraftsetzung der Verordnung nicht schlechter einschätzen als zuvor.