FormalPara Relevanz

Eltern wenden viel Zeit auf und geben ein Vermögen aus, um ihre Kinder zu fördern. Je höher Einkommen und Bildung sind, desto besser gelingt es ihnen. Auch Onkel, Tanten, die weitere Verwandtschaft und die Grosseltern üben einen wichtigen Einfluss aus, indem sie Zeit mit den Kindern verbringen, als Vorbild dienen, und Normen und Werte weitergeben. Das bringt die Gesellschaft voran. Chancengleichheit und soziale Mobilität sind jedoch beeinträchtigt, wenn Einkommen und Bildung hauptsächlich vom «Glück des richtigen Elternhauses» abhängen. Umso mehr ist die Schule gefordert, alle Talente zu fördern und für Chancengleichheit zu sorgen.

FormalPara Quelle

Adermon, A., Lindahl, M., & Palme, M. (2021). Dynastic human capital, inequality, and intergenerational mobility. American Economic Review, 111, 1523–1548.

Soziale Ungleichheit beginnt bereits mit der Geburt. In den europäischen OECD-Ländern wird beispielsweise geschätzt, dass Kinder aus niedrigeren sozioökonomischen Verhältnissen ein um bis zu 20 % geringeres zukünftiges Einkommen haben als Kinder, die in einem bevorzugteren Umfeld aufwachsen.Footnote 1 Geringe finanzielle Ressourcen, niedrige elterliche Bildung, mangelnde Ambitionen, eine ungünstige Nachbarschaft und viele andere Faktoren mindern die Aufstiegschancen. So kommt es, dass Bildungserfolg und Einkommen der Kinder und ihrer Eltern sich nur wenig unterscheiden und damit eine hohe Beständigkeit (Persistenz) zwischen den Generationen aufweisen. Eine hohe Bildung der Eltern steigert die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Kinder eine hohe Bildung erhalten. Adermon, Lindahl und Palme (2021) untersuchen die intergenerationale Persistenz von Humankapital. Sie zeigen, dass in Schweden eine Zunahme der Schuljahre der Eltern um eine Standardabweichung (das sind etwa 1,7 Jahre) mit einem Anstieg des Notendurchschnitts ihrer Kinder am Ende der Pflichtschulzeit um etwas mehr als einem Drittel einer Standardabweichung einhergeht. Ein Drittel entspricht in etwa dem Anstieg der Durchschnittsnote von circa 46,7 Punkte um 10,1 Noten-Punkte. Die intergenerationale Beständigkeit der Bildung ist um 43,5 % höher, wenn der Bildungshintergrund nicht nur der Eltern, sondern auch der erweiterten Familie mit Onkeln und Tanten und anderen Verwandten, berücksichtigt wird. Der Einfluss des Bildungsgrads der Gross- und Urgrosseltern auf den Bildungserfolg der Kinder-Generation ist dagegen wenig bedeutend.

Das Forscherteam leistet einen wichtigen und neuartigen Beitrag zur Quantifizierung der langfristigen intergenerationalen Beständigkeit des Humankapitals, indem sie die erweiterte Familie (Dynastie) in ihre Analyse einbeziehen. Ein Grossteil der bisherigen Forschung konzentriert sich dagegen auf Schätzungen der intergenerationalen Mobilität zwischen Kindern und Eltern. Ein solcher Ansatz unterschätzt die Beständigkeit der Bildung über die Generationen und ist als Untergrenze des Effekts zu betrachten. Da sie über Verwaltungsdaten für die gesamte schwedische Bevölkerung verfügen, ist es den Wissenschaftlern möglich, Familien-Stammbäume zu erstellen, die auf nachweisbaren familiären Verbindungen beruhen und insgesamt vier Generationen bis zu den Urgrosseltern abdecken. Sie können auch die Verwandtschaft der Eltern einbeziehen: Geschwister und Cousins der Eltern einschliesslich derer Ehepartner(innen), sowie Geschwister der Ehepartner(innen) von den Tanten und Onkeln. Die Ergänzung um die Verwandtschaft berücksichtigt damit die gesamte «Dynastie» der Elterngeneration. Die erweiterten Familienmitglieder können mit direkten monetären oder nicht-monetären Investitionen einen bedeutsamen Einfluss auf die Kinder ausüben, z. B. indem sie die Nichten und Neffen finanziell unterstützen, wertvolle Zeit mit ihnen verbringen, Normen und Werte weitergeben, und eine Vorbildfunktionen ausüben. Solche Faktoren können einen wichtigen positiven Einfluss auf die Humankapitalbildung der Kinder haben. Diese Einflüsse werden jedoch in herkömmlichen Schätzungen der sozialen Mobilität mit Eltern-Kind Modellen vernachlässigt.

Um das Humankapital der Kinder zu messen, verwenden die Wissenschaftler den Notendurchschnitt von allen Pflichtfächern im letzten Jahr der Schulpflicht (9. Klasse, Alter 16 Jahre). Die Verwendung des Notendurchschnitts als Mass für Bildung anstatt der Anzahl der absolvierten Schuljahre maximiert die Anzahl der Beobachtungen über die vier Generationen hinweg (~541 000 Beobachtungen). Die Forscher zeigen jedoch, dass ihre Ergebnisse sich nur unwesentlich verändern, wenn sie anstatt des Notenschnitts die Anzahl der absolvierten Schuljahre der Kindergeneration verwenden. In allen anderen Generationen sind die absolvierten Schuljahre Indikator für das erreichte Humankapitalniveau.

Das Forscherteam verfolgt mehrere Ansätze. Das traditionelle Eltern-Kind-Modell, welches den Zusammenhang zwischen einem zusätzlichen Schuljahr der Eltern und dem Notendurchschnitt ihrer Kinder untersucht, liefert eine Untergrenze für die intergenerationale Beständigkeit des Humankapitals. Das Dynastie-Modell berücksichtigt die horizontal-erweiterte Familie mit den Verwandten der Elterngeneration. In einem dritten Schritt erweitern die Forscher das Eltern-Kind-Modell vertikal, indem sie zusätzlich die Grosseltern und Urgrosseltern berücksichtigen. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede über die Generationen hinweg: die durchschnittlich absolvierten Schuljahre betragen 7,7 Jahre in der Urgrosselterngeneration, 9,3 Jahre in der Grosselterngeneration, und 11,6 Schuljahre der leiblichen Eltern. In einem letzten Schritt untersuchen Adermon, Lindahl und Palme den Einfluss von familiären Umweltfaktoren im Vergleich zu genetischen Faktoren auf die Humankapitalbildung, indem sie die Analyse auf Adoptivkinder und ihre erweiterte Adoptivfamilie anwenden.

Die Zahl der Schuljahre in Schweden ist über Generationen hinweg deutlich ansteigend: Kinder erhalten im Durchschnitt 12,3 Jahre Schulbildung, Eltern absolvierten etwa 11,6, Grosseltern 9,3 und Urgrosseltern 7,7 Jahre.

Das erste Ergebnis bei Verwendung des Eltern-Kind-Modells steht im Einklang mit der bisherigen Forschung zur sozialen Mobilität: Kinder mit gebildeteren Eltern erzielen im Durchschnitt bessere Schulnoten. Ein Anstieg der Schuljahre der Eltern um eine Standardabweichung (etwa 1,7 Jahren) geht mit einem um 10,1 Punkte höheren Notendurchschnitt am Ende der Pflichtschulzeit einher. Dieser Notenanstieg entspricht einem Drittel der Standardabweichung in der Stichprobe, mit einer Durchschnittsnote von ca. 46,7 Punkten. Wenn dagegen der Einfluss aller Mitglieder der horizontalen Grossfamilie der Elterngeneration berücksichtigt wird, nimmt der Notendurchschnitt der Kinder wesentlich stärker zu, nämlich um 14,5 Notenpunkte oder um etwas mehr als einer halben Standardabweichung. Nicht nur die Eltern, sondern auch die erweiterte Verwandtschaft hat wesentlichen Einfluss auf den Bildungserfolg in der Kindergeneration. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass herkömmliche Eltern-Kind-Schätzungen ohne Berücksichtigung der Grossfamilie die intergenerationale Beständigkeit (Persistenz) des Humankapitals um 43,5 % unterschätzen.

Traditionelle Kind-Eltern-Modelle ohne Berücksichtigung der Grossfamilie unterschätzen die intergenerationale Beständigkeit des Bildungserfolgs um 43,5 %. Insbesondere Tanten und Onkel beeinflussen den Bildungserfolg des Kindes zusätzlich positiv.

Welche Familienmitglieder, neben den Eltern, beeinflussen die Humankapitalbildung eines Kindes am stärksten? Abb. 1 zeigt die zusätzlichen positiven Einflüsse auf die schulische Leistung des Kindes der engeren und weiteren Verwandten. Vor allem die Tanten und Onkel üben einen bedeutsamen Einfluss auf die Bildung des Kindes aus. Auf sie entfällt mehr als die Hälfte des zusätzlichen Bildungserfolgs, den alle Verwandten zusammen beisteuern. Daneben sind noch die Cousins und Cousinen der Eltern bedeutsam, während die angeheirateten Mitglieder der Grossfamilie, also die Ehepartner(innen) der Tanten und Onkel oder die Ehepartner(innen) der elterlichen Cousins und Cousinen, keinen weiteren Einfluss mehr haben. Je steiler die Linien in Abb. 1 verlaufen, desto grösser ist die Beständigkeit des Bildungsgrads zwischen den Generationen. Die 45-Grad-Linie entspricht einer perfekten intergenerationalen Persistenz, wonach die Bildung der Kinder vollständig durch die Bildung der Eltern und ihrer Verwandten vorbestimmt ist. Alles in allem zeigt sich, dass die Verwandten den positiven Einfluss der Eltern auf den Bildungserfolg der Kinder verstärken und damit zu einer höheren intergenerationalen Beständigkeit der Bildung beitragen.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Adermon et al. (2021), Abb. 1)

Einfluss der erweiterten Familie auf den Notenschnitt der Kinder.

Ist auch das Bildungsniveau der Grosseltern und Urgrosseltern für den Bildungserfolg eines Kindes relevant? Die Wissenschaftler finden einen positiven Einfluss nur, wenn sie die Rolle der Verwandten in der Elterngeneration ausblenden und nur den Einfluss der älteren Generationen in der engeren Familie schätzen: in diesem Fall geht ein Anstieg der Schulbildung um eine Standardabweichung, das sind zusätzliche 1,4 Schuljahre bei den Urgrosseltern und 1,7 Jahre bei den Grosseltern, mit einem um 11,3 Punkte höheren Notendurchschnitt des Kindes einher. Dieser positive Effekt verschwindet jedoch, wenn zusätzlich die Geschwister und Cousins der Eltern berücksichtigt werden.

Das Bildungsniveau der Grosseltern spielt für die intergenerationale Persistenz nur eine geringe Rolle. Etwa 95 % der gesamten Persistenz können bereits durch das Bildungsniveau der Eltern und ihrer Verwandten erklärt werden.

Der Bildungserfolg der Kinder könnte auch auf die Vererbung von genetischen Faktoren zurückzuführen sein, und weniger vom Einfluss der Familie und anderen Umweltfaktoren nach der Geburt abhängen. Die Wissenschaftler können den Einfluss genetischer Faktoren ausschliessen, indem sie nur den Einfluss der erweiterten Familie auf adoptierte Kinder schätzen. Die Beschränkung der Stichprobe auf internationale Adoptivkinder, die vor Vollendung des ersten Lebensjahres adoptiert wurden, schliesst einen möglichen Einfluss der leiblichen Eltern nach der Geburt aus. Die Resultate zeigen, dass die intergenerationale Persistenz der Bildung zu etwa 30 % vom Einfluss der Adoptivfamilie und anderer Umweltfaktoren nach der Geburt abhängt.

Wenn Bildung und Einkommen der Kinder stark durch die Situation im Elternhaus vorbestimmt sind, dann sind Chancengleichheit und soziale Mobilität gering. Die Studie von Adermon, Lindahl und Palme zeigt jedoch, dass die intergenerationale Beständigkeit von Bildung und Einkommen nicht nur von der Eltern-Kind-Beziehung abhängt. Die intergenerationale Übertragung von Bildungs- und Einkommensverhältnissen hängt von der Situation in der gesamten Grossfamilie ab. Auch die Verwandten der Eltern, insbesondere Tanten und Onkel sowie, in geringerem Ausmass, auch die Cousins der Eltern, spielen eine wichtige Rolle. Der Einfluss der Gross- und Urgrosseltern ist dagegen weniger bedeutsam.