FormalPara Relevanz

Digitale Plattformen wie der Fahrdienst Uber bringen viele einzelne Anbieter und Nachfrager zusammen. Sie bieten allen Teilnehmern ein hohes Mass an Flexibilität. Ein Uberfahrer kann z. B. spontan entscheiden, ob er einen Auftrag annimmt oder nicht. Doch wie sehr schätzen Arbeitnehmer die grosse Flexibilität solcher Plattformen? Die vorliegende Studie zeigt, dass die flexiblen Arbeitszeiten den Fahrern signifikante Wohlfahrtsgewinne versprechen. Verglichen mit traditionellen Arbeitsverhältnissen mögen solche Arrangements zwar bedeutende Nachteile haben, ein wichtiger Mehrwert liegt aber in ihrer hohen Flexibilität.

FormalPara Quelle

Chen, K. M., Chevalier, J. A., Rossi, P. E., & Oehlsen, E. (2019). The value of flexible work: evidence from uber driver. Journal of Political Economy, 127, 2735–2794.

Digitale Plattformen verändern die Arbeitswelt. Sie bringen ganz viele individuelle Anbieter und Nachfrager zusammen. Solche «Marktplätze» bieten nicht nur den Konsumenten eine grosse Auswahl, sondern schaffen auch für Anbieter die Möglichkeit, direkt Dienstleistungen zu erbringen, z. B. als Fahrer oder Vermieter. Generell zeichnen sich digitale Plattformen durch hohe Flexibilität aus. So können Konsumenten den Anbieter meist frei wählen. Diese sind in der Regel nicht angestellt, sondern arbeiten selbstständig. Sie können daher meist selbst bestimmen, wann und wieviel sie arbeiten möchten. Studien zeigen, dass sich in den USA bereits fast jeder dritte Arbeitnehmer in einem solchen oder ähnlich unabhängigen Arbeitsverhältnis befindet.

Wie sehr schätzen die Arbeitnehmer die Möglichkeit, weniger und flexibler zu arbeiten als in traditionellen, unselbständigen Arbeitsverhältnissen? Um diese Frage zu beantworten, hat sich ein Forscherteam rund um Keith Chen und Judith Chevalier von den Universitäten Los Angeles und Yale zusammengefunden. Anhand des Fahrdienstes Uber untersuchten sie den Stellenwert von Flexibilität in der Arbeitswelt. Uber bietet seinen selbständigen Fahrern grosse Flexibilität bei Arbeitszeit und -dauer. Sie können jederzeit entscheiden, ob sie eine Fahrt übernehmen oder Feierabend machen wollen. Viele Fahrer arbeiten hierbei nebenberuflich für Uber. Das Forscherteam hatte Zugang zu neuartigen und detaillierten Daten der UberX Plattform zu Arbeitsstunden und Verdienst von rund 260 000 Uberfahrern in den USA. Diese leisteten während des Erhebungszeitraums zwischen September 2015 und April 2016 rund 140 Mio. Arbeitsstunden, was rund 76 % aller Arbeitsstunden bei Uber in den USA entsprach.

Was zeichnet das Arbeitsverhalten von Uberfahrern aus? Generell arbeiten die Fahrer in einem sehr flexiblen Arbeitsumfeld. Sowohl die Arbeitszeiten als auch -dauer unterscheiden sich stark von einem klassischen Arbeitsverhältnis. So arbeiten mehr als die Hälfte der Fahrer weniger als 12 h pro Woche für Uber, was eher einem Aushilfsjob gleichkommt. Zudem schwanken ihre Arbeitszeiten von Woche zu Woche. Beispielsweise bieten nur 30 % der Fahrer, welche in einer Woche zwischen 21 und 30 h für Uber arbeiten, in der darauffolgenden Woche dieselbe Fahrtzeit an.

Auch wenn die Arbeitsgewohnheiten auf Plattformen deutlich stärker schwanken als an traditionellen Arbeitsplätzen, ist dennoch eine gewisse Systematik erkennbar. Wie Abb. 1 zeigt, arbeiten Uberfahrer im Vergleich deutlich öfter abends sowie an Wochenenden. Arbeitskräfte in konventionellen Berufen hingegen arbeiten eher mittags unter der Woche.

Gerade bei Plattformen haben die Verdienstmöglichkeiten einen starken Einfluss darauf, wie viel gearbeitet wird. Durchschnittlich verdienen Uberfahrer in Städten rund USD 20 pro Stunde. Je mehr Fahrer gleichzeitig unterwegs sind, desto weniger verdient jeder. Die Verdienste weichen daher teilweise bis zu 40 % vom Durchschnitt ab. Anders als unselbstständige Arbeitnehmer reagieren Uberfahrer besonders stark auf solche Änderungen. Bei einer Wochenarbeitszeit von 10 h beispielsweise, führt ein um zehn Prozent höherer Verdienst dazu, dass ein typischer Fahrer nun knapp 12 h pro Woche arbeitet.

Steigt der Verdienst um zehn Prozent, arbeiten Uberfahrer im Mittel um 19,2 % mehr.

Diese sich rasch ändernden Verdienstmöglichkeiten auf der Uberplattform und die hohe Gehaltssensibilität der Fahrer sind wichtige Gründe, weshalb das Arbeitsangebot so stark schwankt. Ein weiterer liegt in den Präferenzen der Fahrer selbst. Um diese besser zu verstehen, schätzt das Forscherteam, wieviel jeder Fahrer verdienen muss, damit dieser gerade noch bereit ist, zu arbeiten. Sobald der tatsächliche Verdienst höher ist, bietet ein Fahrer seine Dienstleistung an. Diese Mindestverdienste unterscheiden sich sehr stark, z. B. je nach Tageszeit und Wochentag. Die Arbeitsbereitschaft der Fahrer ist über die Zeit hinweg sehr verschieden, was Flexibilität sehr wertvoll machen kann.

Wie stark erhöht nun die Flexibilität von Uber das Arbeitsangebot und die Wohlfahrt der Fahrer? Das Autorenteam betrachtete dazu verschiedene Szenarien mit – im Vergleich zu Uber – eingeschränkter Arbeitszeitflexibilität. Ein Szenario nimmt die Bedingungen eines typischen Taxibetriebes an, wo Fahrer jeden Tag zwischen drei festen, achtstündigen Schichten auswählen und diese dann aber nicht mehr kurzfristig ändern können. In einem solchem Arbeitsumfeld würden bisherige Uberfahrer viel weniger arbeiten, nämlich im Mittel statt 15 nur noch gut 3 h pro Woche.

Uberfahrer würden in einem klassischen Taxibetrieb mit vergleichsweise unflexibler Schichtarbeit um knapp 80 % weniger arbeiten.

Ein anderes Szenario geht weniger weit und beschränkt ausschließlich die Flexibilität, spontan auf unerwartete Ereignisse zu reagieren. Ein Beispiel ist etwa der Fall, dass die Schule des Kindes anruft und um sofortige Vorsprache bittet, der Fahrer aber an eine Schicht gebunden ist. Doch auch für dieses Szenario schätzen die Forscher, dass die Fahrer ihre Arbeitszeit um mehr als die Hälfte verringern.

Beschränkte Flexibilität verringert nicht nur das Arbeitspensum der Uberfahrer, sondern auch ihre individuelle Wohlfahrt. Die Forscher messen diese anhand des erarbeiteten Überschusses: Dies ist die Differenz zwischen dem tatsächlichen Verdienst und jenem geschätzten Mindestverdienst, für welchen ein Fahrer gerade noch bereit wäre, zu arbeiten. Basierend auf einem durchschnittlichen Stundenverdienst von USD 21,67 berechnen Chen und seine Ko-Autoren einen erarbeiteten Überschuss von gut USD 150 pro Woche. Dieser fällt unter weniger flexiblen Arbeitsbedingungen deutlich geringer aus: Im Szenario, welches die Flexibilität, kurzfristig auf unerwartete Ereignisse zu reagieren, einschränkt, ist er um zwei Drittel geringer als in der Arbeitsumgebung der Uberplattform. Eine Anstellung bei einem Taxibetrieb mit vorgegebenen Schichten würde im Mittel sogar einen Wohlfahrtsverlust von rund USD 135 bei Uberfahrern pro Woche verursachen.

Die Wohlfahrt eines Fahrers ist bei weniger flexiblen Arbeitszeiten um rund zwei Drittel und bei einem Taxibetrieb mit Schichtarbeit um 88 % geringer als bei der Uberplattform.

Dadurch wird deutlich, dass die Fahrer die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit kurzfristig anzupassen, besonders schätzen. Darin besteht der grosse Mehrwert der Uberplattform für Arbeitnehmer. Aufgrund der rasanten technologischen Entwicklung und dem hohen Nutzen von flexiblen Arbeitsmodellen, könnten sich diese bald auch in anderen Bereichen des Arbeitsmarktes stärker etablieren.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Chen et al. u. a. (2019) S. 2754)

Vergleich der Fahreraktivität auf der Uberplattform mit konventionellem Arbeitsangebot aus der American Time Use Survey.