FormalPara Relevanz

Der Freihandel hat es schwer. So wollen z. B. Kanada und die EU mit dem Freihandelsabkommen CETA den gegenseitigen Handel mit reduzierten Zöllen begünstigen und ihre Wirtschaft beleben. Andere Handelspartner bleiben aussen vor. Ein Ursprungsnachweis soll verhindern, dass Unternehmen aus Drittstaaten mit Umgehungsgeschäften die Vorzugszölle ausnutzen. In den meisten Fällen sind jedoch solche Umgehungsgeschäfte ohnehin nicht profitabel, weil die zusätzlichen Transport-, Vertrags- und Rechtskosten wesentlich grösser sind als die Zollvorteile. Wozu braucht es dann einen teuren Ursprungsnachweis? Was auf alle Fälle bleibt, sind die hohen Bürokratie- und Verwaltungskosten, die erst wieder neue Handelskosten für die bevorzugten Handelspartner schaffen und am Ende die Preise zum Nachteil der Konsumenten erhöhen. Wem ist da gedient?

FormalPara Quelle

Felbermayr, G., Feodora, T., & Yalcin, E. (2019). Rules of origin and the profitability of trade deflection. Journal of International Economics, 121, 103248.

Immer wieder sind Handelsverträge ein Streitpunkt: Ob Brexit oder Trump, die Wiedereinführung oder Anhebung von Zöllen stand zuletzt oft ganz oben auf der politischen Agenda. Ein Gegenpol dazu sind Freihandelsabkommen. Das sind Verträge zwischen zwei oder mehreren Staaten, welche es den Unternehmen des exportierenden Landes ermöglichen, ihre Produkte mit Vorzugszollsätzen in das importierende Land einzuführen. Das sogenannte «Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada», kurz CETA, ist ein EU-kanadisches Freihandelsabkommen, welches beispielsweise 99 % aller Zölle zwischen den Handelspartnern beseitigt.

Bei einem Freihandelsabkommen besteht aber das Problem, dass Exporteure aus Drittstaaten versuchen können, die Vorzugszollsätze ausnutzen. Statt die Güter direkt an die Käufer zu liefern, verkaufen sie ihre Produkte zuerst in ein anderes Land, welches mit dem Bestimmungsstaat ein Freihandelsabkommen hat. Dann exportieren sie es von dort weiter und profitieren von niedrigeren Zöllen. Die EU erhebt beispielsweise einen Aussenzoll von 25 % auf Weizen aus den USA, während Weizen aus Kanada im Rahmen des CETA zollfrei in die EU exportiert werden kann. Weil Exporte von US-Weizen nach Kanada zollfrei sind, ist es für Weizenhersteller aus den USA unter Umständen lohnend, ihre Produkte zuerst nach Kanada und erst danach in die EU zu transportieren. Dadurch können sie den Zoll von 25 % umgehen. Um solche Umgehungsgeschäfte zu verhindern, sehen Freihandelsabkommen sogenannte Ursprungsregeln vor. Sie definieren, welche Bedingungen ein Produkt erfüllen muss, damit ein Mitglied des Freihandelsabkommens als Ursprungsland gilt. Typischerweise gilt ein Land erst dann als Ursprungsland, wenn mehr als die Hälfte der gesamten Wertschöpfung eines Produkts dort geleistet wird.

Die Einhaltung solcher Ursprungsregeln ist oftmals sehr kostspielig. Generell betragen die Kosten dafür zwischen drei und 15 % des Endverkaufspreises eines Produkts. Einerseits stellen die detaillierten Kriterien eine hohe administrative Hürde dar. Unternehmen müssen anspruchsvolles juristisches Knowhow aufbauen, um die Auflagen zu erfüllen. Andererseits sehen sich Exporteure aufgrund vieler Freihandelsabkommen mit unterschiedlichen Ursprungsregeln konfrontiert. Nicht selten widersprechen sich einzelne Auflagen. Schliesslich verzerren die Auflagen die Beschaffungsvorgänge der Unternehmen: Ein Autohersteller zum Beispiel muss die Herkunft sämtlicher Rohstoffe all seiner Zulieferer kennen. Statt dass Produzenten ihre Lieferanten nach Qualitäts- und Kostenkriterien auswählen, werden sie in ihrer Entscheidung durch die Ursprungsregeln eingeschränkt. Dadurch ist es für manche Unternehmen günstiger, auf die Vorzugsbehandlung zu verzichten und den Standardzollsatz zu zahlen, statt einen aufwendigen Ursprungsnachweis zu erbringen, um von den tieferen Vorzugszöllen zu profitieren. So werden in gewissen Fällen nur gerade zwei Drittel jener Produkte, welche im Freihandelsabkommen begünstigt sind, tatsächlich mit dem bevorzugten Zoll exportiert.

Die Kosten für die Einhaltung von Ursprungsregeln liegen zwischen 3 und 15 % des Endverkaufspreises. In gewissen Fällen werden dadurch gerade mal zwei Drittel der berechtigten Produkte mit vergünstigten Zöllen exportiert.

Machen solche Auflagen, welche die Nutzung von Freihandelsabkommen durch die Unternehmen erschweren, überhaupt Sinn? Wenn Umgehungsgeschäfte ohnehin aus anderen Gründen unrentabel sind, dann braucht es keine aufwendigen und kostspieligen Ursprungsregeln zur Verhinderung von Umgehungsgeschäften. Um die Frage zu beantworten, untersucht das Forscherteam rund um Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, ob für Unternehmen die Umgehung von höheren Zöllen durch Umlenkungsgeschäfte tatsächlich profitabel ist.

Zu diesem Zweck verwenden die Forscher einen Datensatz mit Informationen zu produktspezifischen Zöllen in den USA aus dem Jahr 2014. Für jede Kombination aus Länderpaar, Produkt und Umlenkungsstaat berechnen sie, ob ein Umgehungsgeschäft profitabel wäre. Dabei berücksichtigen sie die Transportkosten, welche sie anhand eines einfachen Modells schätzen.

Die empirischen Ergebnisse machen deutlich, dass Handelsumlenkung meist unprofitabel ist. Selbst unter der sehr konservativen Annahme, dass keine zusätzlichen Transportkosten entstehen, sind 83 % aller möglichen Umlenkungsgeschäfte nicht gewinnbringend. Die Ursachen dafür sind vielfältig: 18 % aller Transaktionen sind deshalb nicht profitabel, da der Bestimmungsstaat für das Umlenkungsland denselben Zoll erhebt wie für das Exportland (vgl. Abb. 1). In 63 % sind Zölle für das Umlenkungsland sogar höher. Im einleitenden Beispiel zum Weizenhandel würde dies bedeuten, dass der Zoll der EU für kanadischen Weizen gleich hoch oder höher ist, wie der auf US-Weizen (25 %). Bei zwei Prozent der möglichen Transaktionen sind die Zölle zwar tiefer. Dieser Unterschied reicht aber nicht aus, um die zusätzlich anfallenden Zölle im Umlenkungsland zu kompensieren. Dies wäre im Weizen-Beispiel der Fall, wenn Kanada 15 % Zölle auf US-Weizen verhängt und die EU einen ähnlich hohen Tarif auf Weizen aus Kanada erhebt. Der resultierende Gesamtzoll bei Umlenkung (ca. 30 %) wäre höher als der Zoll eines direkten Exports von den USA in die EU (25 %). Folglich wäre der direkte Transportweg lukrativer. Berücksichtigt man die zusätzlichen Transportkosten, ist ein noch grösserer Anteil der Umlenkungsgeschäfte unprofitabel, nämlich 93 %. Das bedeutet, dass in 10 % (93–83 %) der Fälle zwar Zolleinsparungen möglich wären, diese aber durch höhere Transportkosten mehr als aufgehoben werden. Abb. 2 fasst die Resultate zusammen.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Handelsumlenkung.

Abb. 2
figure 2

(Quelle Felbermayr u. a., 2019, S. 8)

Potential für Handelsumlenkung.

Im Jahr 2014 waren Handelsumlenkungen in 83 % der Fälle nicht profitabel. Berücksichtigt man ausserdem die zusätzlich anfallenden Transportkosten, lohnten sich 93 % der möglichen Umlenkungsgeschäfte nicht.

Insgesamt zeigen die Forschungsergebnisse, dass Handelsumlenkung selten profitabel ist. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass Staaten, die nahe beieinander liegen, sehr häufig ähnliche Zölle für dasselbe exportierende Drittland erheben. Deshalb sind gewinnbringende Umlenkungsgeschäfte meist nur zwischen weit auseinanderliegenden Ländern möglich. Allerdings gehen mit grossen Umwegen höhere Transportkosten einher, weshalb sich eine Umlenkung dann kaum lohnt.

In welchen Branchen ist das Potenzial für Handelsumlenkung am grössten? Die Ergebnisse zeigen, dass Umlenkungsgeschäfte am ehesten in der Landwirtschaft sowie im Handel mit Papier und Kunst attraktiv sind. Dagegen bietet der Handel mit Maschinen sowie mit mineralischen, hölzernen und elektronischen Produkten kaum Gelegenheiten, Zölle einzusparen.

Handelsumlenkung ist oft nicht profitabel, da Staaten ähnlich hohe Zölle erheben und die zusätzlich anfallenden Transportkosten nicht vernachlässigbar sind.

Die Forscher beschränken sich in ihren Schätzungen auf die zwanzig wichtigsten Exportländer. Um zu vermeiden, dass dieser Fokus die Ergebnisse verzerrt, führten sie alternative Berechnungen durch. Doch selbst dann sind noch zwischen einem Drittel und 55 % der betrachteten Umlenkungsgeschäfte unprofitabel. Werden die Transportkosten berücksichtigt, steigen diese Werte allerdings deutlich auf 49 bis 75 %. Die Ergebnisse der Studie können als konservative Schätzungen betrachtet werden, da sie lediglich Transportkosten berücksichtigen, aber z. B. Wechselkursrisiken oder zusätzliche Verwaltungs- und Vertragskosten vernachlässigen.

Für die Unternehmen lohnen sich Umgehungsgeschäfte in nur etwa sieben Prozent der möglichen Fälle. Die Wissenschafter ziehen daraus den Schluss, dass umfassende und kostspielige Ursprungsregeln kaum zu rechtfertigen sind. Wenn Umgehungsgeschäfte schon aus anderen Gründen unrentabel sind, braucht man sie nicht mit Ursprungsregeln zu verhindern. Dennoch sind selbst in modernen Handelsabkommen wie jenem zwischen der EU und Kanada (CETA) hunderte Seiten der Definition von Ursprungsregeln gewidmet. Die Autoren schlagen vor, die Ursprungsregeln weitgehend zu lockern oder nur diejenigen Fälle einzubeziehen, die tatsächlich ein bedeutsames Umlenkungspotenzial aufweisen.