FormalPara Relevanz

Die Vorteile des Freihandels überwiegen. Doch die Betroffenheit ist sehr unterschiedlich. Die Konsumenten gewinnen mit niedrigeren Preisen und mehr Auswahl. Die exportintensiven Unternehmen und ihre Arbeitnehmer profitieren von besserem Zugang zu Absatzmärkten und neuen Wachstumschancen. In den importkonkurrierenden Branchen dagegen fürchten die Arbeitnehmer um Jobs und gute Löhne. Die Nachteile des Freihandels sind sehr sichtbar und konkret, die Vorteile sind dagegen für den Einzelnen eher diffus. Das prägt die politischen Anreize im Handelskrieg. Die Regierung verhängt Schutzzölle dort, wo sie bei den Benachteiligten am meisten Stimmen mobilisieren kann. Die geschädigten Handelspartner antworten mit Vergeltungszöllen dort, wo sie den politischen Chancen der Regierung maximal schaden. Der gemeinsame Vorteil für alle zusammen bleibt dabei auf der Strecke.

FormalPara Quelle

Fajgelbaum, P. D., Goldberg, P. K., Kenned, P. J., & Khandelwal, A. K. (2020). The return to protectionism. The Quarterly Journal of Economics, 135(1), 1–55.

Die meisten Ökonomen sind von den Vorteilen des Freihandels überzeugt. Er steigert den Wohlstand. Ein Abbau von Handelsschranken verschafft den Exportunternehmen neue Wachstumschancen durch leichteren Zugang zu grösseren Märkten. Die Konsumenten profitieren von einer grösseren Vielfalt von Gütern zu niedrigeren Preisen. Allerdings gibt es auch Verlierer des Freihandels, wie zum Beispiel Unternehmen und ihre Arbeitnehmer in Branchen, die unter starker Importkonkurrenz leiden. Während andere profitieren, müssen sie Lohnrückgänge oder sogar Arbeitsplatzverluste hinnehmen. Oft sind die Handelsgewinne ungleich verteilt und die Verlierer werden nicht ausreichend entschädigt.

Die Kritik am Freihandel hat zugenommen. Auch Regierungen, welche den Freihandel bisher stets vorangetrieben hatten, greifen zu protektionistischen Massnahmen wie Zöllen oder Quoten. Besonders problematisch ist es, wenn Länder in einen Handelskrieg geraten. Beginnt ein Land, Beschränkungen für ausgewählte Importe zu verhängen, folgen in der Regel Vergeltungsreaktionen der betroffenen Länder. Schaukeln sich protektionistische Massnahmen auf und sind immer mehr Produkte von Zöllen und anderen Handelsbeschränkungen betroffen, kann der Handel drastisch einbrechen. Der Handelskrieg zwischen den USA und ihren Handelspartnern in den letzten Jahren ist ein prominentes Beispiel dafür.

Wie gross sind die Verluste für die Gesamtwirtschaft? Wer sind die Verlierer und Gewinner des Protektionismus? Die Ökonomen Pablo Fajgelbaum, Pinelopi Goldberg, Patrick Kennedy und Amit Khandelwal von den Universitäten Princeton, Yale, Berkeley und Colombia geben Antworten. Sie analysieren, wie der jüngste Handelskrieg der USA Preise und Handelsvolumen beeinflusste und wie er sich auf die Gesamtwirtschaft auswirkte.

Im Februar 2018 führte die US-Regierung eine Reihe protektionistischer Massnahmen ein. Sie erhöhte die Zölle auf den Import von Sonnenkollektoren und Waschmaschinen. Darauf folgten bald weitere Importzölle auf Eisen-, Aluminium- und Stahlprodukte. Insgesamt erhöhten die USA ihre Zölle auf über 12 000 Importgüter mit einem Handelsvolumen von rund 300 Mrd. US$ von 2,6 auf 16,6 %. Darauf reagierten wichtige Handelspartner mit Vergeltungsmassnahmen. Sie erhöhten die Zölle auf über 8700 Exportgüter, welche 8,2 % der US-Exporte ausmachen, von 7,3 auf 20,4 %. Der Handelskrieg verringerte Exporte und Importe erheblich. Der Werte der amerikanischen Importe der mit höheren Zöllen verteuerten Produkte nahm durchschnittlich um 31,7 % ab. Die Vergeltungszölle führten dazu, dass der Wert der amerikanischen Exporte der betroffenen Produkte um 9,9 % zurückging.

In den mit in- und ausländischen Zöllen belegten Branchen gingen die Importe um 31,7 % zurück, und die Exporte um 9,9 %.

Jeder Zoll treibt einen Keil zwischen dem Preis, welchen ein Importeur bezahlt, und jenem Preis, welchen der Exporteur erhält. Die Differenz geht an den Staat. In ihrer Studie stellen die Forscher fest, dass die ausländischen Unternehmen nach der Zollerhöhung die Preise ihrer Exporte in die USA nicht senken konnten. Angesichts unveränderter Stückkosten in ihren Heimatländern mussten sie die Zölle auf die amerikanischen Konsumenten überwälzen. Die Konsumenten müssen für die Importgüter höhere Preise bezahlen und sind die Hauptverlierer des Handelskrieges. Die Forscher schätzen die Einkommensverluste der amerikanischen Konsumenten infolge höherer Zölle. Diese hängen in erster Linie vom Anteil der Importe an der Wertschöpfung (15 %), vom Anteil der mit höheren Zöllen belegten US-Importe (13 %), und vom durchschnittlichen Anstieg der Importpreise (14 %) ab.

Die höheren Importzölle wurden vollständig auf die amerikanischen Konsumenten überwälzt. Dadurch erlitten sie im Vergleich zu 2016 einen realen Einkommensverlust von ca. 51 Mrd. US$ bzw. 0,27 % des BIP.

Den Mehrkosten der Konsumenten stehen allerdings die Gewinne der inländischen Produzenten, die von höheren Preisen profitieren, sowie die höheren Zolleinnahmen des Staates gegenüber. Netto verbleibt daher ein deutlich geringerer Nettoeinkommensverlust von insgesamt 7,2 Mrd. US$ oder 0,04 % des BIP.

Grundsätzlich begünstigt Freihandel die Arbeitnehmer in den exportorientierten Sektoren und schadet jenen, die in den importkonkurrierenden Sektoren arbeiten, auch wenn die Vorteile insgesamt überwiegen. Umgekehrt führt ein Handelskrieg insgesamt zu Einkommensverlusten. Die Folgen unterscheiden sich jedoch erheblich je nach Branche und Region. Die Arbeitenden und Unternehmen in den importkonkurrierenden Branchen profitieren von Handelsbeschränkungen. Diese schützen die Firmen vor der Konkurrenz durch ausländische Importe, was sich letztlich in höheren Preisen und in der Folge in höheren Nominal- und Reallöhnen der Arbeitnehmer widerspiegelt. Gleichzeitig verteuern höhere Zölle importierte Vorleistungen, welche in der Produktion eingesetzt werden, wie z. B. Stahl oder Aluminium im Automobilbau. In Branchen, die solche Vorleistungen intensiv nutzen, gehen Gewinne und Reallöhne meist zurück.

Zudem betonen die Forscher, dass in einem Handelskrieg die Zölle gezielt eingesetzt werden und sich daher der Anstieg der Zölle stark je nach Produkten und Branchen unterscheidet. Tatsächlich sind einige Branchen durch Einfuhrzölle stark geschützt, während andere stark von ausländischen Vergeltungszöllen betroffen sind. Diese Unterschiede führen dazu, dass einzelne Regionen (Bezirke) abhängig von der Spezialisierung ihrer Wirtschaft unterschiedlich stark vom Handelskrieg betroffen sind. Abb. 1 zeigt die politische Dimension des Handelskriegs auf. Tatsächlich konnte das Forscherteam zeigen, dass die Importzölle vor allem auf Produkte ausgerichtet waren, die in Bezirken mit geringem Wähleranteil der Republikaner oder mit knappen politischen Mehrheitsverhältnissen hergestellt werden. Offensichtlich hoffte die republikanisch dominierte U.S. Regierung, mit Schutzzöllen zusätzliches Wählerpotenzial zu mobilisieren. Dagegen zielten ausländische Vergeltungszölle hauptsächlich auf jene Branchen ab, die in republikanisch dominierten Bezirken konzentriert sind. Offensichtlich versuchten China und andere geschädigte Handelspartner mit gezielten Vergeltungszöllen der republikanischen Regierung maximal zu schaden.

Abb. 1
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(Quelle: Fajgelbaum u. a., (2020), S. 50)

Zolländerungen im Handelskrieg und Stimmenanteil der Republikaner.

Für jeden Bezirk sind die Veränderungen der amerikanischen Importzölle (Schutzzölle) sowie der ausländischen Zölle (Vergeltungszölle) dargestellt. Die Zölle sind mit der Handelsstruktur des jeweiligen Bezirks gewichtet und entsprechen dem typischen Zoll, den Konsumenten und Unternehmen dort bezahlen. Dem gegenüber steht der Wähleranteil des republikanischen Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl 2016. Bei den Importzöllen wird deutlich, dass Bezirke mit einem republikanischen Stimmenanteil von 40–60 % mehr Schutz erhielten. Diese Zölle begünstigen Branchen, die hauptsächlich in politisch umkämpften Bezirken angesiedelt sind. Im Gegensatz dazu führten die Handelspartner Vergeltungszölle so ein, dass sie Exporte in Sektoren belasten, die stark in republikanischen Bezirken konzentriert sind.

Importzölle begünstigen politisch umkämpfte Bezirke. Vergeltungszölle treffen vor allem Bezirke mit hohem republikanischen Wähleranteil.

Die Forscher argumentieren, dass dieses Phänomen der „Logik der Mehrheit“ folgt. Politiker neigen dazu jene Wähler zu begünstigen, die sich bei Wahlen als entscheidend erweisen. Deshalb gestalten sie die Handelspolitik so, dass Wähler in Bezirken mit knappen politischen Mehrheitsverhältnissen davon profitieren. Die ausländischen Vergeltungszölle hingegen betrafen überproportional landwirtschaftlich geprägte Bezirke mit hohem republikanischen Wähleranteil. Arbeitnehmer in exportorientierten Branchen in solchen Bezirken waren besonders negativ von den Vergeltungsmassnahmen betroffen.