FormalPara Relevanz

China ist ein Land der jungen Sparer und bildet riesige Finanzvermögen. Der Aufstieg Chinas auf den internationalen Finanzmärkten ist vorprogrammiert. Ein Land kann viel gewinnen, indem es sein Finanzvermögen breit streut und mit dem Ertrag aus Auslandsinvestitionen die Ertragsschwankungen im Inland teilweise ausgleicht. Die Investoren müssen beides im Blick haben, Ertrag und Risiko. Doch wie erfolgreich sind die chinesischen Auslandsinvestitionen? Welche Anlagemotive treiben die Investitionsentscheidungen? Gelingt es, mit Auslandsinvestitionen das Anlagerisiko der heimischen Sparer zu reduzieren? Kann chinesisches Anlagekapital im Ausland eine höhere Rendite erzielen als daheim?

FormalPara Quelle

Agarwal, I., Gu, G. W., & Prasad, E. (2019). China’s impact on global financial markets, NBER Working Paper No. 26311.

Chinas wirtschaftlicher Aufstieg während der letzten Jahrzehnte ist enorm. China ist die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt. Sein Nettoauslandsvermögen betrug im Jahr 2018 rund 2,1 Billionen US$, womit es nach Japan und Deutschland auf dem dritten Rang lag. Auch im internationalen Handel ist das Land ganz vorne mit dabei. China ist inzwischen der grösste Warenexporteur.

Trotzdem blieb die Wirkung Chinas auf die globalen Finanzmärkte bisher eher bescheiden. Dies lag u. a. an strenger Regulierung. Erst seit dem Jahr 2006 ist es grossen institutionellen Investoren erlaubt, in ausländische Finanzprodukte zu investieren, allerdings nur begrenzt. Im Februar 2019 lag der Wert der bewilligten Investitionen total bei rund 100 Mio. US$. Einzelinvestoren können bis heute nicht in ausländische Finanzprodukte investieren. Die Liberalisierungsmassnahmen sind behutsam und werden nur schrittweise eingeführt, um abrupte Kapitalabflüsse zu vermeiden.

Zwei Gründe sprechen für eine weitergehende Liberalisierung der Kapitalflüsse: Erstens sind grosse Teile des Auslandsvermögens in Staatsanleihen angelegt und erwirtschaften nur eine bescheidene Rendite. Diese ist sogar geringer als die Zinsen auf chinesische Auslandsschulden. Daher musste China seit 2009 Nettokapitalverluste verbuchen. Eine Liberalisierung könnte die Zusammensetzung des Auslandsvermögens ändern, hin zu etwas risikoreicheren Anlagen mit höheren Renditen. Zweitens liegen grosse Teile des Inlandsvermögens auf Bankkonten, welche ebenfalls nur eine bescheidene Rendite abwerfen, weil es unter anderem auch an geeigneten inländischen Finanzanlagen mangelt.

Die grenzüberschreitenden Kapitalflüsse Chinas waren ein wenig beachtetes Thema in der bisherigen Forschung. Die Ökonomen Isha Agarwal, Grace Weishi Gu und Eswar Prasad von den Universitäten British Columbia, Santa Cruz und Cornell untersuchen, wie sich der Aufstieg Chinas auf die globalen Finanzmärkte auswirkt. Ihr Fokus liegt dabei nicht auf die Investitionen der chinesischen Zentralbank oder der Regierung (zum Beispiel über die Belt-and-Road-Initiative), sondern auf institutionellen Investoren, welche den Grossteil der Neuinvestitionen tätigen. Insbesondere sind die Forscher daran interessiert, in welchen Ländern und Sektoren China weltweit investiert.

Da China keine Daten zu Direkt- und Kapitalinvestitionen an den Internationalen Währungsfonds liefert, sind die Autoren darauf angewiesen, sich die notwendigen Daten von den Empfängerländern zu beschaffen. Ihr Datensatz umfasst Informationen zu den Auslandsinvestitionen von 42 chinesischen institutionellen Investoren im Zeitraum von 2008 bis 2017.

China investiert überproportional viel in Entwicklungs- und Nachbarländer. Gleichzeitig fliessen viele Investitionen in Länder mit schwachen staatlichen Institutionen.

Als ersten Schritt untersuchen die Forscher, in welchen Ländern die chinesischen Investoren überproportional viel investieren. Dazu nutzen sie das Konzept der «Überinvestition»: Jedes Land wird anhand seines Anteils an der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung gewichtet. Fällt sein Anteil am Investitionsvolumen grösser aus als sein Gewicht auf den Aktienmärkten, liegt eine Überinvestition vor. Abb. 1 zeigt die zehn am stärksten über- bzw. untergewichteten Länder in den Portfolios chinesischer Investoren. Hong Kong erhält am meisten Überinvestitionen, etwa 23 % mehr als Hong Kong aufgrund seiner Marktgewichtung erhalten sollte. Die USA erhalten rund 21 % weniger Investitionen als sie sollten, damit sind sie das Land mit der grössten Unterinvestition.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Agarwal et al. u. a. (2019), Abb. 8)

Überinvestitionen chinesischer Investoren.

Aus der Analyse wird deutlich, dass chinesische Investoren besonders viel in Entwicklungs- und Nachbarländer investieren und weniger in Industriestaaten sowie entfernte Länder. Im Durchschnitt der Stichprobe liegt die Überinvestition bei rund 7 %. Dies liegt daran, dass die Autoren nicht Daten zu allen Ländern haben, allerdings mit der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung rechnen. Die Wissenschaftler schätzen, dass eine gemeinsame Grenze die Überinvestitionen um rund 18 Prozentpunkte vergrössert, im Vergleich zu den Ländern ohne Grenze mit China. Zudem zeigen sie, dass China besonders stark in Ländern mit schwachen staatlichen Institutionen investiert. Steigt zum Beispiel der Indexwert für die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors um eine Stufe auf einer fünfteiligen Skala, sinken die Überinvestitionen um 13 Prozentpunkte. Das bilaterale Handelsvolumen steigert die Investitionen ebenfalls: Eine Erhöhung des Anteils am gesamten chinesischen Handelsvolumen um 1 % steigert die Überinvestitionen um 0,4 %. Die Überlegung dafür ist, dass zunehmender Handel auch das Wissen über den Handelspartner verbessert, zum Beispiel über die Sprache, Gebräuche oder auch die Regulierung in einem Land. Dieses Wissen erleichtert die Finanzinvestitionen in jenem Land.

Erhöht sich der Handelsanteil eines Landes am gesamten chinesischen Handelsvolumen um 1 %, so steigen die Überinvestitionen um 0,4 US$. Die Investoren nutzen die Erfahrungen aus der Handelsbeziehung, um leichter investieren zu können.

Agarwal und Ko-Autoren befassen sich auch damit, in welche Sektoren innerhalb eines Ziellandes investiert wird. Sie benützen erneut das Konzept der Überinvestition. Wenn der Investitionsanteil eines Sektors grösser ist als der Anteil an der nationalen Aktienmarktkapitalisierung, dann spricht man von Überinvestition in diesen Sektor in diesem Land. Die Analyse ergibt, dass chinesische Investoren übermässig in den Bau- und Kommunikationssektoren investieren, sowie in Entwicklungsländern auch im Bergbau. Industrie und Finanzsektor sind dagegen untergewichtet. Bei Investitionen in Industriestaaten ist der Hochtechnologiesektor deutlich übergewichtet, obwohl über alle Länder hinweg der Hochtechnologiesektor um 10 % untergewichtet ist.

Wie kann man diese Beobachtungen erklären? Eine Hypothese der Forscher ist, dass China im Ausland vor allem in jene Sektoren investiert, in denen es selbst wenig produktiv ist und einen «komparativen Nachteil» hat. In solchen Sektoren tätigt China überproportional hohe Importe. Beispiele sind Bergbau, Computersoftware und Kommunikation. Die Schätzung ergibt tatsächlich, dass die Überinvestitionen in einem Sektor um 4,5 US$ steigen, wenn der komparative Nachteil um einen Indexpunkt steigt. Der durchschnittliche Indexwert beträgt 1, bei einer Standardabweichung von ebenfalls 1. Zudem zeigen die Autoren, dass die Investitionen überproportional in jene Länder fliessen, die in den betreffenden Sektoren über einen komparativen Vorteil verfügen.

Chinesische Investoren investieren überproportional stark in Sektoren, in welchen China einen komparativen Nachteil hat. Die Investitionen konzentrieren sich auf die Länder, welche in diesen Sektoren besser sind als China.

Diversifikation spielt eine wichtige Rolle. Im Inland fliesst viel Kapital in Sektoren, in welchen China über einen komparativen Vorteil verfügt. Daher kann es sinnvoll sein, im Ausland in andere Sektoren zu investieren. Informationsvorteile sind eine weitere Erklärung für das Anlageverhalten. Ein steigendes bilaterales Handelsvolumen zieht höhere Investitionen nach sich. Die Investoren nutzen die Informationen, welche sie durch die Importe über diesen Sektor in diesem Land erhalten. Dagegen kommen Agarwal und Ko-Autoren zum Schluss, dass bei den Anlageentscheidungen Renditeüberlegungen oder Lerneffekte keine bedeutende Rolle spielen. Lerneffekte würden bedeuten, dass die Investitionen hauptsächlich dafür genutzt werden, um die einheimische Technologie zu verbessern.

Die Studie analysiert, wie chinesische, institutionelle Investoren ihr Kapital im Ausland anlegen. Sie investieren übermässig in Entwicklungs- und Nachbarländer und weniger in Industrieländer. Die Investitionen fliessen hauptsächlich in jene Sektoren, in welchen China einen komparativen Nachteil aufweist. Gründe dafür sind vor allem Informationsvorteile und der Wunsch nach Diversifikation.