In den theoretischen Ausführungen in Kapitel 2 des vorliegenden WerksFootnote 1 wurde deutlich, dass frühe Kindheit keineswegs als ein deskriptives Konstrukt zu verstehen ist. Sie beruht vielmehr auf normativen, historisch-kulturell gewordenen und gesellschaftlich vermittelten Ordnungsprozessen, (Erziehungs-)Vorstellungen sowie (Kindheits-)Bildern und mündet in einem Muster langen, behüteten Aufwachsens, das Realitätsmächtigkeit zu entfalten vermag (vgl. Abschnitt 2.6.1). Die Bedeutung jenes Musters kann nicht nur für die Sphäre des Privaten – resp. für die Familie – hervorgehoben werden, jene zeigt sich in erheblichem Ausmaß auch für Sphären der Öffentlichkeit – resp. für frühpädagogische Institutionen.

Bezugnehmend auf die beiden Fälle Rutsche und Mittagskreis (vgl. Abschnitte 4.3, 4.4, 5.2.1 und 5.2.2), die sich als maximal kontrastierend in der Hervorbringung von (Interaktions-)Praktiken von Fachkräften und Kindern fassen lassen, wird dies besonders sichtbar. Leyla (Sequenz Rutsche) und Kai (Sequenz Mittagskreis) treten nicht nur als zentrale Figuren der jeweiligen Passagen in Erscheinung. Wie auch die Sequenzen selbst nicht nur für sich stehen, sondern als Teil des ‚großen Ganzen‘ über den Fall hinausgehende Aussagen zu treffen vermögen, so stehen auch Leyla und Kai über ihre eigene Subjektposition hinaus – quasi figural – für etwasFootnote 2. Ihre Hervorbringung von Akteur:innenschaft repräsentiert kontrastiv verschiedene Weisen, wie frühe Kindheit in frühpädagogischen Institutionen hergestellt wird.

Leyla und Kai (resp. die mit ihnen in Relation stehenden familialen Akteur:innen) nehmen Angebote frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung in Anspruch. Als Adressat:innen sind sie zugleich angesprochen, sich zwischen den Sphären von Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen frühpädagogischer Institution und Familie zu bewegen. Frühpädagogische Einrichtungen basieren auf der grundlegenden Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen und können als ausdifferenzierte Orte früher Kindheit gefasst werden, welche – eben normativ – gefordert sind, Kindern Bildung, Betreuung und Erziehung zukommen zu lassen (vgl. Abschnitt 2.6). Jene Funktionsbestimmung wird von professionellen Akteur:innen im Kontext generationaler, pädagogisch-institutioneller sowie raum-zeitlich-materialisierter Ordnungen umzusetzen versuchtFootnote 3. Mit der Konstituierung der frühpädagogischen Institution als solcher ist schließlich ein Arrangement geschaffen, das Kinder und Fachkräfte adressiert, spezifische rollenbezogene Praktiken hervorzubringen (vgl. Abschnitt 5.1).

Kinder und Fachkräfte werden mit ihrem Eintritt in das institutionelle Arrangement somit in ein komplexes Ordnungsgefüge eingebunden, in dem sie sich positionieren und relationieren müssen. Als Akteur:innen in institutionalisierten Rollen lernen sie diese Ordnungen – oftmals im Kontext eines impliziten Wissensbestands – kennen, eignen sich diese performativ an und bringen sie schließlich selbst (mimetisch) hervor. Bezugnehmend auf Abschnitt 1.2 werden soziale Wirklichkeit, resp. die soziale Praxis des Pädagogischen bzw. pädagogische Ordnungen in konkreten Praktiken routinisiert (re-)produziert. Das komplexe Ordnungsgeflecht, das sich im Kontext der vorliegenden Schrift insbesondere im Hinblick auf die Ebenen Generation, pädagogische Institution und Raum (in Verschränkung mit Zeit und Materialität) fassen lässt, wird anhand gemeinschaftlicher Leistungen der Akteur:innen somit ständig anhand von Praktiken performativ aufrechterhalten. Dass sich der Umgang mit komplexen Ordnungen jedoch auf vielfache Weise, in Form der Bearbeitung der Orientierungsherausforderung, zeigt, konnte anhand der Typenbildung herausgearbeitet werden (vgl. Kapitel 5).

Dass generationale Ordnungen in – quasi übergreifende – gesellschaftliche Ordnungen eingebunden und zugleich asymmetrisch-machtvoll angelegt sind, wurde in den theoretischen Ausführungen bereits erläutert (vgl. insbesondere Abschnitte 2.2 und 2.4); und dieser Befund zeigt sich auch in den empirischen Ergebnissen der vorliegenden Schrift. Nach Honig (2018, S. 205) sind doing generation bzw. doing (early) childhood nicht als ‚Eigenschaft‘ von Personen zu verstehen, sondern als Teil einer sozio-kulturellen Praxis, als etwas, das aus Interaktionspraktiken und Zuschreibungsprozessen erst hervorgeht; und Kinder und Fachkräfte schreiben sich mittels doing generation in die generationale Ordnung – im Kontext frühpädagogischer Arrangements – ein (Baader, 2018a, S. 26 f).

Die im vorliegenden Werk eingenommene praxeologische Perspektive ermöglicht die Betrachtung des frühpädagogisch-institutionellen Alltags „als eine Vollzugswirklichkeit […], die nicht jenseits ihrer praktischen Hervorbringung besteht und beobachtet werden kann“ (Neumann et al., 2019, S. 326), woraus sich „die Notwendigkeit [begründen lässt], die konkreten praktischen Realisierungsweisen von Agency dort in Augenschein zu nehmen, wo sie situiert vollzogen werden. In diesem Sinne begreifen wir Agency als ein Moment des situierten und prozesshaften Geschehens im frühpädagogischen Alltag, der von allen Beteiligten gleichermaßen hergestellt, jedoch in unterschiedlicher Weise mit hervorgebracht wird“ (ebd., S. 327). Es geht folglich um die Frage, auf welche Weise Kinder als an den „Praktiken ‚Partizipierende‘ einen bestimmten Akteur_innenstatus erlangen“ (ebd.), und hieran schließen die Ergebnisse der Typenbildung an (vgl. Kapitel 5): Sie zeigen erstens, dass Kinder und Fachkräfte in erheblichem Ausmaße an der gemeinschaftlichen Hervorbringung von (kindlicher) agency relational beteiligt sind. Sie machen zweitens deutlich, dass sich die spezifische Art und Weise der Bearbeitung der Orientierungsherausforderung der Fachkräfte – insbesondere die Frage, auf welche Weise sie von ihrer Rahmungshoheit Gebrauch machen – erheblich auf die ‚Anerkennung‘ oder ‚Nicht-Anerkennung‘ kindlicher Handlungs-, Entscheidungs- und Deutungsmacht auswirkt und damit kindliche agency zu befördern und/oder zu begrenzen vermag. Schließlich weisen die Ergebnisse drittens darauf hin, dass nicht nur Fachkräfte diese ermöglichen und/oder schließen. Auch Kinder schreiben – in Relation zueinander, aber auch in Relation zu den Fachkräften – agency zu und/oder ab, insbesondere, indem sie den jeweiligen Akteur:innen Handlungs-, Entscheidungs- und Deutungsmacht zukommen lassen – oder eben nicht.

Die Art und Weise, wie Kinder und Fachkräfte – in unterschiedlichen Akteur:innenkonstellationen – Praktiken hervorbringen, wie sie hierbei miteinander umgehen, wie sie sich (re-)adressieren und (re-)positionieren, wie sie sich Handlungs-, Entscheidungs- und Deutungsmacht zu- und/oder abschreiben ist weder zufällig noch bedeutungslos; sie ist vielmehr als Teil sozio-kultureller Praxis in frühpädagogischen Institutionen bedeutungsvoll; sie wirkt auf erhebliche Weise auf die Frage, ob, inwieweit und inwiefern (kindliche) agency hervorgebracht und als solche möglich wird, und schließlich auf die grundlegende Frage nach dem wie der Hervorbringung früher Kindheit und deren Möglichkeitsbedingungen. Frühe Kindheit wird – das wurde in den vorangegangenen Ausführungen deutlich – in frühpädagogischen Institutionen auf vielfältige Weise hervorgebracht. Zwar eint sie die Präformierung von Praktiken anhand komplexer Ordnungen, umgegangen wird mit jenen jedoch auf plurale Weise. Kinder und Fachkräfte sind dabei zugleich Produzent:innen und Reproduzent:innen: Sie werden mit verschiedenen Formen früher Kindheit konfrontiert und bringen sie hervor (vgl. auch Bollig & Kelle, 2014, S. 274; 2016, S. 41). Wenngleich das hier aufgerufene Verhältnis von Produktion und Reproduktion keineswegs ein Novum sozialkonstruktivistisch, differenztheoretisch und machtkritisch inspirierter Analysen darstellt, so wird hier doch dessen Relevanz deutlich: Schließlich sind die Akteur:innen in machtvolle Relationen, resp. ‚asymmetrische Sorgeverhältnisse‘ involviert und müssen sich (implizit) zu jenen verhalten (vgl. auch Prout & James, 2015, S. 23). Und frühe Kindheit ist somit, „constructed and reconstructed both for children and by children” (ebd., S. 6). Frühe Kindheit ist dabei keineswegs ‚nur‘ als Abstraktum zu sehen, das Konstrukt entfaltet seine Relevanz insbesondere (auch) in seiner konkreten Ausgestaltung in der empirischen Realität. Die (Re-)Produktion von früher Kindheit wirkt insbesondere „auf die Biographien der Kinder selbstFootnote 4“ (Kaul, Schmidt & Thole, 2018, S. 2).

Sichtbar wird dies bei Leyla und Kai, den Protagonist:innen zweier beobachteter Passagen: Beide besuchen frühpädagogische Institutionen im Spannungsfeld öffentlicher und privater Sphären, als Adressat:innen früher Bildung, Betreuung und Erziehung. Beide stehen in den jeweiligen Einrichtungen in Relation zu Fachkräften und Kindern und beide sind in gesellschaftliche Ordnungsprozesse involviert. Beide finden sich (implizit) in einem komplexen Gefüge generationaler, pädagogisch-institutioneller sowie raum-zeitlich-materieller Ordnungen wieder und beide müssen sich – in Relation zu anderen Akteur:innen – hierzu verhalten. Bei aller Ähnlichkeit: Die beiden machen sehr unterschiedliche Erfahrungen. Frühe Kindheit zeigt sich bei den beiden auf verschiedene Weise. Obwohl der ‚Mittagskreis‘ sich in seiner Konstituiertheit als stark strukturierend und kollektivierend versteht, kann Kai hier agency erfahren: Er wird als Akteur anerkannt, indem er individuelle Anliegen zur Geltung bringen kann, ihm wird Handlungs- und Deutungsmacht zugeschrieben. Im sich transformierenden raum-zeitlichen Geschehen vom ‚Freispiel‘ zum ‚Aufräumen‘ macht Leyla beinahe divergente Erfahrungen: Ihr wird Anerkennung verwehrt, hier werden Praktiken hervorgebracht, die sich als Abschreibung von Handlungs-, Deutungs- und Entscheidungsmacht deuten lassen, womit agency letztlich nicht bzw. auf nur sehr prekäre Weise möglich wird.

Die rekonstruierte relationale agency-Typologie (vgl. Abschnitt 5.2) illustriert diese unterschiedliche Erfahrbarkeit von Anerkennung. Inhärent ist ihr wiederum eine implizite Anrufung normativer Bezugspunkte. So ist bereits das frühpädagogische Arrangement selbst auf vielfältige Normen verwiesen, die an das Feld herangetragen werden und die (insbesondere von den Fachkräften) im Kontext von Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsansprüchen – und damit zugleich in der Spannung von Norm und Habitus (Bohnsack, Hoffmann & Nentwig-Gesemann, 2018, S. 16) – bearbeitet werden müssen. Zwar sind auch Kinder – im Rahmen von interaktiven Praktiken zwischen Peers und/oder in Relation zu Fachkräften – gefordert, mit dem komplexen Geflecht sozialer Ordnungen umzugehen bzw. die im Kontext der Typologie rekonstruierte basistypische Orientierungsherausforderung früher Kindheit im institutionellen Kontext zu bearbeiten (vgl. Abschnitt 5.1), Fachkräfte sind jedoch – qua ihrer Rolle – in besonderem Ausmaß adressiert, ‚professionell‘ zu agieren, also Interaktionen so (mit-)zu gestalten bzw. zu (prä-)formieren, dass sie sich als anerkennend vollziehen können, um schließlich Möglichkeitsräume für die Erfahrbarkeit von agency zu befördern.

Die generierte Typologie kann sich vor dem Hintergrund von ‚Professionalität‘ daher nicht außerhalb bzw. unabhängig von ‚Normativität‘ verorten. Sie ist vielmehr gefordert, die Bedeutung von Professionalität kritisch zu befragen und reflexiv einzuholen, welche normativen Bezugspunkte beim Blicken auf soziale Praktiken überhaupt aufgerufen werden. Zwar werden in einer (hier eingenommenen) praxeologischen Perspektive normative Bezugspunkte nicht vorab, auf Basis theoretischer Maßstäbe, gesetzt und die empirische Praxis im Hinblick auf das Grad des Erreichens dieser zu bewerten versucht, sehr wohl wird aber eine praktische Diskurs- bzw. Interaktionsethik bemüht, die darauf abzielt, normativ Stellung zu beziehen; und zwar auf Basis des Vergleichs empirischer Fälle resp. deren komparativen Analyse (Bohnsack, 2020, S. 8 f; S. 36 f; Nentwig-Gesemann & Nicolai, 2017, S. 56).

Damit werden ebenfalls übergeordnete Werte einbezogen, jedoch solche, die über historisch-kulturell bedingte Milieubindungen hinausreichen und sich an Menschenrechten, z.B. der prinzipiellen Gleichwertigkeit bzw. Gleichwürdigkeit aller Menschen ausrichten. In Bezug auf Interaktionen zwischen Kindern und Erwachsenen, die fundamental davon geprägt sind, dass letztere einen Schutz- und Fürsorgeauftrag für die Kinder haben, stellt die praktische Ausgestaltung von Beziehungen, die im Sinne einer Diskurs- bzw. Interaktionsethik ‚anerkennend‘ sind, eine besondere Herausforderung dar. (Nentwig-Gesemann & Nicolai, 2017, S. 56)

Professionalität zielt in praxeologischer Sicht auf den performativen Gehalt der interaktiven Praxis selbst ab – also auf jene konkreten Praktiken, in denen Professionalität im Sinne einer reziprok aufeinander bezogenen Handlungspraxis vor dem Hintergrund der Verwobenheit mit gesellschaftlichen und organisationalen Normierungen hervorgebracht wird (Bohnsack, 2020, S. 7; S. 20; Bohnsack, Bonnet & Hericks, 2022, S. 16). In Anschluss an die Ausführungen in Abschnitt 5.2 ist schließlich zu fragen, inwiefern im Kontext interaktiver Praktiken in frühpädagogischen Arrangements eine gelingende Passung hergestellt werden kann, in der Reziprozität und Responsivität zum Ausdruck kommen können.

Bezogen auf die Ebene der Fachkräfte bedeutet dies, einen spezifischen – professionellen – Anspruch einzulösenFootnote 5, nämlich, ‚passgenau‘ auf Bedarfe von Kindern einzugehen, da dies wiederum die Voraussetzung dafür bildet, dass die ‚Autonomie‘ von Kindern, also „ihr Status als mündiges und dialogfähiges Subjekt anerkannt wird“. (Nentwig-Gesemann & Nicolai, 2017, S. 78). ‚Scheitert‘ jene Passung, so kann keine gemeinsame Praxis resp. keine Interaktion „im Sinne des Sich-Aufeinander-Beziehens und Sich-wechselseitig-als Akteur-Anerkennens“ (ebd., S. 60) zum Vollzug gebracht werden. Eine beobachtete pädagogische Interaktion kann demgegenüber dann als ‚gelingend‘ bezeichnet werden, „wenn sich […] dokumentiert, dass es den Fachkräften nicht primär darum geht, ihre Rahmungen, ihre normativen Vorstellungen – institutionelle Strukturlogiken oder habituelle Logiken der Alltagsgestaltung – für alleingültig und nicht hinterfragbar zu halten und dem Kind gegenüber durchzusetzen, sondern dessen Rahmungen differenziert wahrzunehmen, sie als anschlussfähig oder auch differierend zu erkennen und als prinzipiell gleichwertig in die weitere Interaktionsgestaltung einzubeziehen.“ (ebd., S. 61; Hervorhebung lt. Original)

Normativität zeigt sich in der in der vorliegenden Schrift vorgestellten Typologie nicht nur im Hinblick auf die notwendige Berücksichtigung von Fragen nach Professionalität, sie ist auch in den genutzten Begrifflichkeiten angelegt, wobei in besonderem Maße Anerkennung terminologisch aufgerufen wird. Ohne an dieser Stelle auf die vielfältigen, begrifflichen Auseinandersetzungen um den Anerkennungsbegriff eingehen zu können (bspw. Butler, 2015; Honneth, 2015), werden Anerkennung und Nicht-Anerkennung im Kontext der Typologie heuristisch genutzt, um die Zu- und/oder Abschreibung von Handlungs-, Entscheidungs- und Deutungsmacht in den Praktiken der Akteur:innen, resp. die Frage nach der relationalen Zuschreibung von agency bearbeiten zu können. Die (früh-)pädagogische Relevanz des Anerkennungsbegriffs soll an dieser Stelle dennoch – wenngleich vorsichtig – hervorgehoben werden. Denn sie vermag Anschlüsse für weitere Überlegungen zu bieten, insbesondere im Hinblick auf die Frage, inwieweit sich Akteur:innen (in Einrichtungen früher Bildung, Betreuung und Erziehung) in Anerkennungsverhältnissen (vs. Missachtungsverhältnissen) erfahren können, inwiefern ihnen ein zur-Performanz-bringen von Handlungsvermögen und -macht innerhalb spezifischer Strukturen bzw. gegebenen Verhältnissen möglich istFootnote 6.

Wie nunmehr auf Basis theoretischer Überlegungen wie empirischer Analysen ausgeführt, stellt frühe Kindheit keineswegs ein deskriptives Phänomen dar, sondern ein normatives, realitätsmächtiges Konstrukt. Damit eröffnet sich auch ein „Spielraum für die Frage, wie Kindheit konstruiert werden sollte“ (Kaul, Schmidt & Thole, 2018, S. 2). Im Hinblick auf weitere theoretische Überlegungen könnte etwa der im frühpädagogischen Diskurs mehrfach geäußerten und zugleich kontrovers verhandelten Forderung, Kindheiten im Plural zu denken, gefolgt werden (Cloos, 2018, S. 149; Eßer, Neumann & Siebholz, 2013, S. 87; Nentwig-Gesemann & Thole, 2023, S. 123; Wilmes, 2024, S. 25 f; S. 227). So begründet dies etwa Wilmes (2024, S. 227) pointiert: „Kindheiten unterscheiden sich“. Bezugnehmend auf unterschiedliche Lebensrealitäten von Kindern im internationalen Kontext sollte sich die Kindheitsforschung entsprechend um ‚pluralistische Ansätze‘ bemühen, um die Verschiedenheiten von Kindheiten anzuerkennen resp. Gemeinsamkeiten und Kontraste kindlichen Aufwachsens herausstellen zu können (ebd., S. 25 f).

Wird die Besonderheit des Kindes aber nicht mehr wesensmäßig vorausgesetzt, sondern als Resultat kontingenter Formen der Erwachsenen-Kind-Unterscheidung aufgefasst, dann ist es für die sozialwissenschaftliche Kindheitsforschung nur noch plausibel von ‚Kindheit‘ im Plural zu sprechen. Differente Kindheiten ergeben sich also nicht aus der Vielfältigkeit einzelner Kinder als Personen, sondern historisch aus einem Wandel der sozialen Formen der Erwachsenen-Kind-Differenz und gegenwärtig aus dem Möglichkeitsraum dessen, was jeweils in unterschiedlichen kulturellen, milieuspezifischen oder feldspezifischen Kontexten unter Kindern im Lichte der impliziten Unterscheidung von Erwachsenen verstanden wird (Eßer, Neumann & Siebholz, 2013, S. 87).

Demgegenüber plädiert etwa Qvortrup „für die Notwendigkeit, ‚Kindheit‘ in der Singularform zu gebrauchen, als eine Kategorie, die nicht aufgelöst werde durch die Existenz einer Pluralität empirischer Kindheiten“ (Bühler-Niederberger, 2020, S. 195 f), denn „es gehe nicht darum, lediglich zu beschreiben, was die Vielzahl von Kindheiten sei, ihre Lebenswelten, Erfahrungen, Identitäten, sondern die sozialen Mechanismen zu analysieren, die (generationalen) Machtverhältnissen zugrunde liegen“ (ebd., S. 196). Bei aller terminologischer Uneinigkeit im Hinblick auf die Bezeichnung früher Kindheit im Singular vs. früher Kindheiten im Plural: Einigkeit besteht im wissenschaftlichen Diskurs im Hinblick auf die Tatsache, dass jenes Phänomen in soziale Ungleichheit eingelagert ist. Dieser Befund begründet sich darin, dass frühe Kindheit(en) grundlegend von einer machtvollen Gesellschaftsordnung durchdrungen ist bzw. sind und sich dies wiederum artikuliert in unterschiedlichen Differenzdimensionen und deren intersektionaler Verwobenheit.

Empirisch konnte die Vielfalt des Aufwachsens in frühpädagogischen Institutionen anhand der heterogenen Hervorbringung relationaler agency rekonstruiert werden. Bezugnehmend auf soziale Strukturdimensionen wurden lediglich vorsichtige Hinweise gefunden (bspw. im Hinblick auf gender und ‚race‘ in der Analyse der Sequenz Ritter), die jedoch weiterer empirischer – minimaler wie maximaler – Kontraste bedürfen würden und möglichst in einer soziogenetischen Typenbildung münden sollten. Ein Blick hierauf wäre durchaus lohnenswert, womit ein gewinnbringender Ausgangspunkt für weitere Forschungsbemühungen konstatiert werden kann.

Eine weitere Limitation der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf den Anspruch der Erfassung früher Kindheit an sich: So ist die analytische Leistung – notwendigerweise – standortgebunden. Jene sollte, soweit möglich, u. a. anhand empirischer Vergleichshorizonte, reflektiert werden. Mit Cloos (2018, S. 149) kann zudem auf die Perspektive der Verfasserin als erwachsene Forscherin hingewiesen werden, die selbst in die Hervorbringung von früher Kindheit involviert ist, insbesondere, weil sie an unterschiedlichen und zugleich bestimmten historisch-gesellschaftlichen und biografisch gewachsenen Vorstellungen und Bildern über Kinder und Kindheiten anknüpft.

Zudem soll hier darauf hingewiesen werden, dass es explizit nicht das Anliegen der vorliegenden Schrift darstellt, die Dimensionen, die frühe Kindheit(en) als Phänomen global oder historisch-kulturell überdauernd bezeichnen könnten, darzustellen oder anhand der generierten Typenbildung die Erklärung für die Hervorbringung früher Kindheit(en) anbieten zu könnenFootnote 7. Vielmehr versteht sich das vorliegende Werk als Versuch einer Annäherung an das Konstrukt früher Kindheit(en) und der jeweiligen Möglichkeitsbedingungen auf Basis konkreten empirischen Materials. Das Einnehmen einer Perspektive hält Erkenntnismöglichkeiten bereit, die es auszuloten gilt und galt, jene ist aber zugleich auf Partikularität verwiesen. Die schon angedeutete Standortgebundenheit wird damit erneut vakant: Einen Standpunkt (reflektiert) einzunehmen, bedeutet schließlich, einen Gegenstand aus einer Perspektive betrachten und hieraus Schlüsse ziehen zu können – und zugleich, andere Standpunkte nicht einnehmen, aus anderen Perspektiven nicht auf einen Gegenstand blicken und hieraus alternative Implikationen nicht formulieren zu können.

Trotz dieser LimitationenFootnote 8, die eingenommene Perspektive ermöglicht einen grundlegenden Blick auf Praktiken, die sich im Alltag frühpädagogischer Institutionen beständig ereignen, an denen Kinder und Fachkräfte, vor dem Hintergrund einer gemeinschaftlichen Leistung, beteiligt sind. Die Bedeutsamkeit des abgeschlossenen Promotionsprojekts lässt sich gerade hierin begründen, dass eben die „jederzeit stattfindende wechselseitige Ansprache zwischen Kindern und Erwachsenen als eine zentrale Handlungsroutine des Feldes bezeichnet werden“ kann (Staege, 2014, S. 206; bezugnehmend auf Schulz, 2011, S. 57).

Die erkenntnisleitende Frage, auf welche Weise frühe Kindheit in institutionellen Arrangements hervorgebracht wird und auf welche Bedingungen der Möglichkeit diese Hervorbringungsprozesse wiederum verwiesen sind, lässt sich vor diesem Hintergrund beantworten: Anhand der sinngenetischen Typenbildung zeigt sich, dass die Hervorbringung früher Kindheit im Kontext eines komplexen Ordnungsgeflechts, insbesondere im Hinblick auf generationale, pädagogisch-institutionelle sowie raum-zeitlich-materielle Ordnungen, vollzogen wird. Hierbei wird agency relational an- und/oder nicht-anerkannt, indem Akteur:innen performative Praktiken der Zu- und/oder Abschreibung von Handlungs-, Deutungs- und Entscheidungsmacht hervorbringen, womit sich Möglichkeitsbedingungen (und -begrenzungen) für frühe Kindheit konstituieren.

Frühe Kindheit im institutionellen Kontext kann somit als gemeinschaftliche Leistung unterschiedlicher Akteur:innen, insbesondere der Kinder und Fachkräfte verstanden werden. Deren Praktiken werden durch verschiedene Ordnungsprozesse beeinflusst und sind in vielfältige Spannungsverhältnisse – insbesondere Individualität/Kollektivität, Aktivität/Passivität, Inklusivität/Exklusivität sowie agency/structure – eingelagert. Diese sind wiederum im Kontext des konjunktiven Erfahrungsraums der frühpädagogischen Einrichtung zu sehen und müssen von den Akteur:innen bearbeitet werden. Die Bearbeitung erfolgt jedoch nicht in symmetrischer Verteilung: Fachkräften kommt als professionellen Akteur:innen, resp. entsprechend der rollenförmigen Adressierung, die Aufgabe zu, jene zu bearbeiten. Sie haben eine Rahmungshoheit in der Gestaltung des frühpädagogischen Alltags, resp. der hier zum Vollzug gebrachten (Interaktions-)Praktiken. Inwieweit und inwiefern Kinder als Akteur:innen hierin – ebenso rollenförmig – eingebunden sind, auf welche Weise sie (mit-)gestalten können, dürfen und sollen, dies zeigt sich als verschieden und auf den jeweiligen konjunktiven Erfahrungsraum bezogen.

Kinder können agency in frühpädagogischen Einrichtungen entsprechend unter verschiedenen Bedingungen zum Ausdruck bringen, womit Möglichkeiten früher Kindheit (und deren Begrenzungen) angesprochen sind. Die schon diskutierte Frage nach der Angemessenheit, von früher Kindheit im Singular oder im Plural zu sprechen, lässt sich anhand der vorliegenden Ergebnisse vorsichtig in Richtung einer Argumentation für frühe Kindheiten im Plural beantworten. Schließlich sind Kinder als Akteur:innen frühpädagogischer Praxis in institutionellen Arrangements nicht nur adressiert, komplexe Ordnungen (mit-)zu bearbeiten, sie sind als Adressat:innen auch mit der vielfältigen Bearbeitung anderer Akteur:innen konfrontiert. Folglich können, dürfen und sollen sie Anliegen in unterschiedlichem Ausmaß und auf verschiedene Weise einbringen. (Kindliche) Handlungsfähigkeit erscheint als Effekt relationaler Bezugnahmen und Kontexte, womit agency schließlich sehr heterogen zum Ausdruck gebracht werden kann. Abschließend nochmal auf Leyla und Kai bezugnehmend: Es sind unterschiedliche empirische Realitäten, zu denen beide in Relation stehen. Es sind plurale Formen früher Kindheiten, die hervorgebracht, ermöglicht und begrenzt werden.