2.1 Das BEPS-Projekt und seine Vorgeschichte

Das Ziel der Bekämpfung unfairen Steuerwettbewerbs zwischen Staaten und schädlicher Steuerpraktiken von Unternehmen wird bereits seit über 20 Jahren international verfolgt und ist schon im Jahr 1998 auf Ebene der OECD thematisiert worden.Footnote 1 In diesem Zeitraum fokussierten sich die Arbeiten zunächst vor allem auf als unkooperativ angesehene Steuerhoheitsgebiete.Footnote 2 Neuen Vortrieb bekam der Kampf gegen aggressive Steuerplanung durch Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung („Base Erosion and Profit Shifting“, kurz „BEPS“) nach der Wirtschafts- und Finanzkrise, als die G20 im Juni 2012 in Los Cabos die OECD damit beauftragte, sich diesem Thema weitergehend anzunehmen.Footnote 3 Die OECD erarbeitete daraufhin bis Februar 2013 einen BerichtFootnote 4 mit ersten Untersuchungsergebnissen zum Phänomen BEPS und veröffentlichte im Juli 2013 den sog. BEPS-Aktionsplan, der 15 Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidung durch BEPS vorschlug, unter anderem zum Umgang mit den neuen Herausforderungen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft (Aktionspunkt 1), zur Stärkung der Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung (Aktionspunkt 3), zur Begrenzung der Gewinnverkürzung durch Abzug von Zins- oder sonstigen finanziellen Aufwendungen (Aktionspunkt 4) und zur Entwicklung eines multilateralen Instruments (Aktionspunkt 15).Footnote 5 Die Vorschläge wurden in den folgenden zwei Jahren unter direkter Mitwirkung von über 60 StaatenFootnote 6 durch die OECDFootnote 7 ausgearbeitet und das BEPS-Projekt am 5. Oktober 2015 mit der Veröffentlichung eines Maßnahmenpakets von 13 AbschlussberichtenFootnote 8 zu einem vorläufigen Abschluss gebracht, dem eine Umsetzungsphase in den teilnehmenden Staaten folgte, die teilweise bis heute andauert. An der Umsetzung der abkommensbezogenen BEPS-Maßnahmen über ein sog. multilaterales Instrument (MLI), welches „eine zeitgleiche und effiziente Modifizierung der Doppelbesteuerungsabkommen ermöglicht, ohne Ressourcen für bilaterale Neuverhandlungen jedes einzelnen Abkommens zu beanspruchen“, waren bereits nach kurzer Zeit schon 90 Staaten beteiligt.Footnote 9 2016 wurde zudem das „OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS” („Inclusive Framework“, kurz „IF“) ins Leben gerufen, welches bei der OECD angesiedelt wurde und zunächst nur die Weiterentwicklung der BEPS-Empfehlungen und die Überwachung der Implementierung dieser Empfehlungen in den einzelnen Staaten zur Aufgabe hatte.Footnote 10

2.2 Die ungelösten Herausforderungen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft

Trotz der Veröffentlichung der 13 Abschlussberichte zu den 15 Aktionspunkten und der danach eingeleiteten Umsetzungsphase für die teilnehmenden Staaten blieb ein Thema ungelöst. Im Abschlussbericht zu Aktionspunkt 1Footnote 11, der den Umgang mit den steuerlichen Herausforderungen infolge der Digitalisierung zum Gegenstand hatte, konnten keine Handlungsempfehlungen abgegeben werden. Stattdessen folgte im Jahr 2018 ein ZwischenberichtFootnote 12 des IF, der ausführlich und analytisch die neuen und sich verändernden Geschäftsmodelle im Rahmen der Digitalisierung darstellte und die Grundlage für eine internationale, konsensbasierte Lösung bis Ende 2020 bilden sollte, zu deren Erarbeitung das IF von den G20-Staaten beauftragt wurde.Footnote 13 Ausgangspunkt für Aktionspunkt 1 war die Beobachtung, dass ein seit über 100 Jahren bestehendes Grundprinzip des internationalen Steuerrechts, nämlich die Besteuerung am Ort der Wertschöpfung,Footnote 14 durch die Digitalisierung der Wirtschaft in Frage gestellt wird, da Unternehmensgewinne mangels physischer Präsenz der Unternehmen (sog. Nexus) nicht mehr zwingend in den Staaten besteuert werden, mithilfe deren Leistungs- und Infrastrukturangebot sie (zumindest teilweise) erzielt werden.Footnote 15 Diese Entwicklung wurde international als ungerecht empfunden, weil die (vornehmlich US-amerikanischen) Digitalkonzerne mit den GAFAsFootnote 16 an ihrer Spitze in vielen Ländern – darunter auch Deutschland und andere bislang typische Ansässigkeitsstaaten der EU – trotz digitaler Präsenz kaum Steuern zahlten.Footnote 17 Um diesem Problem zu begegnen und eine von Schwellen- und Entwicklungsländer schon lange geforderte vorteilhaftere Gewichtung der Quellenbesteuerung gegenüber der Ansässigkeitsbesteuerung zu erreichen,Footnote 18 wurde der Fokus zunächst allein auf die Neuausrichtung der internationalen Aufteilung von Besteuerungsrechten hinsichtlich der Digitalwirtschaft zugunsten von Absatzmarkt- und Nutzerstaaten gelegt.

2.3 Ausweitung auf ein Konzept der Mindestbesteuerung

Diese Diskussion entwickelte sich unter der immer breiter werdenden Forderung nach einer Vermeidung von „ring-fencing“, also einer Beschränkung des Anwendungsbereichs der zu erarbeitenden Lösung auf den Digitalsektor, jedoch nachteilig für die exportorientierte deutsche Wirtschaft und insbesondere den deutschen Fiskus. Daher stellte die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich im Jahr 2018 einen eigenen Vorschlag vor, der zunächst noch eine Alternative darstellen sollte und nach seiner Präsentation auf dem G7-Finanzministertreffen in das Inclusive Framework eingebracht wurde: die global koordinierte Einführung eines Mindestbesteuerungsreglements für niedrig besteuerte Auslandsgewinne multinational tätiger Konzerne.Footnote 19 Ausweislich einer am 23. Januar 2019 vom Inclusive Framework gebilligten „Policy Note“Footnote 20 wurde der Vorschlag als sog. Säule 2 („Pillar Two“) in die Arbeiten des Inclusive Framework aufgenommen. Der ursprüngliche Ansatz zur Neuausrichtung der internationalen Allokation von Besteuerungsrechten wurde jedoch daneben als sog. Säule 1 („Pillar One“) weiterverfolgt.Footnote 21 Bereits im Folgemonat wurden mit einer öffentlichen Konsultation erste Stellungnahmen durch Wissenschaft, Wirtschaft und andere Interessenvertreter eingeholt, wobei hier auf sechs Seiten erstmals die grobe Konstruktion der Mindeststeuer mit ihren vier Regeln, namentlich der Income Inclusion Rule („IIR“), Switch-over Rule („SOR“), Undertaxed Payments Rule („UTPR“) und Subject to Tax Rule („STTR“), präsentiert wurde.Footnote 22 Es folgte am 31. Mai 2019 die Veröffentlichung des Arbeitsprogramms des Inclusive Framework, in der unter anderem auch die Doppelfunktionalität der Mindeststeuer – nämlich die Begrenzung des internationalen Steuerwettbewerbs und die Bekämpfung verbleibender BEPS-Möglichkeiten – hervorgehoben wurde.Footnote 23 Im November 2019 kam es dann zu einer zweiten öffentlichen Konsultation, die sich allein auf Säule 2 bezog und hierin den drei technischen Kernfragen der steuerlichen Gewinnermittlung, der konzerninternen Verrechnungsmöglichkeit für Einkünfte („Blending“) und etwaiger Ausnahmen und Beschränkungen des Anwendungsbereichs („Carve-outs“) Raum gab.Footnote 24 Aufgrund der im Folgejahr einsetzenden COVID-19-Pandemie und einer zwischenzeitlichen Blockadehaltung der US-Regierung hinsichtlich Säule 1 folgte erst im Oktober 2020Footnote 25 mit dem 249 Seiten starken „Report on Pillar Two Blueprint“Footnote 26 ein äußerst detaillierter, aber noch nicht auf einem Konsens beruhender Bericht, der einen in technischer Hinsicht bereits deutlich ausgereiften Designvorschlag für die einzelnen Mindeststeuerregelungen mit Erklärungen und Beispielen lieferte und im Rahmen einer sich direkt anschließenden dritten öffentlichen Anhörung diskutiert wurde.Footnote 27

Nach weiteren Arbeiten in den zuständigen Gremien kam es Mitte des Jahres 2021 schließlich zum großen „Showdown“, bei dem – für viele Skeptiker der Initiative wohl überraschend – wesentliche Einigungen zu beiden Säulen erzielt werden konnten. Den Auftakt machte das G7-Treffen der Finanzminister und Zentralbankgouverneure am 4. und 5. Juni 2021, bei dem die G7-Staaten nicht nur ihre allgemeine Zustimmung zu Säule 2 zum Ausdruck brachten, sondern sich erstmals zu einer globalen Mindeststeuer mit einem Mindeststeuersatz i. H. v. mindestens 15 % und einem staatenbezogenen Ansatz für die Ermittlung der effektiven Besteuerung eines multinationalen Konzerns (sog. Jurisdictional Blending) verpflichteten.Footnote 28 Die klare Positionierung bei der Höhe des Steuersatzes sollte die weiteren Einigungen maßgeblich beeinflussen, denn zuvor war noch über einen Steuersatz zwischen 10 % und 15 % spekuliert worden.Footnote 29 Die historische Einigung wurde auf dem G7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Carbis Bay (11. bis 13. Juni 2021) bestätigt: „With this, we have taken a significant step towards creating a fairer tax system fit for the 21st century, and reversing a 40-year race to the bottom. Our collaboration will create a stronger level playing field, and it will help raise more tax revenue to support investment and it will crack down on tax avoidance.Footnote 30 Am 1. Juli 2021 folgte dann eine ErklärungFootnote 31 von zunächst 130Footnote 32 der damals noch 139 Mitglieder des Inclusive Framework, in der wesentliche Eckpunkte des Mindestbesteuerungssystems festgelegt wurden. Unter anderem sah die Erklärung neben der Übernahme des von den G7-Staaten beschlossenen Mindeststeuersatzes i. H. v. mindestens 15 % einen „common approach“ vor, nach dem die IF-Mitglieder sich zwar nicht dazu verpflichten, die Regelungen unter Säule 2 zu implementieren, sie aber die Umsetzung durch andere Staaten akzeptieren müssen, soweit diese in Einklang mit den finalen Regelungsempfehlungen des IF erfolgt.Footnote 33 Zudem wurde erneut ein ambitionierter Zeitplan ausgegeben, der eine abschließende Entscheidung hinsichtlich der Designelemente für Oktober 2021 und ein Inkrafttreten der Regelungen in den teilnehmenden Steuerhoheitsgebieten im Jahr 2023 vorsah.Footnote 34 Auf dem G20-Treffen der Finanzminister und Zentralbankgouverneure am 9. und 10. Juli 2021 bekundeten die teilnehmenden Staaten ihre Unterstützung für die im Statement des IF dargelegten Kernpunkte und forderten eine zügige Finalisierung auf IF-Ebene bis zu ihrem nächsten Treffen am 12. und 13. Oktober 2021 ein.Footnote 35 Am 8. Oktober folgte eine aktualisierte und finale „Erklärung über die Zwei-Säulen-Lösung für die steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft“Footnote 36, auf die sich nun sogar 137Footnote 37 von 141 IF-MitgliedstaatenFootnote 38 verständigen konnten.Footnote 39 Eine wesentliche Änderung war hierbei die Festlegung auf einen Mindeststeuersatz von genau 15 %. Weitere Änderungen betrafen etwa die UTPR und die Höhe der Beträge der „Substance-based Income Exclusion“Footnote 40.

2.4 Aktueller Stand der Entwicklungen

Um die politische Einigung auf Ebene des IF nun in konkrete nationale Vorschriften umzusetzen, wurden am 20. Dezember 2021 ModellregelnFootnote 41 veröffentlicht, die den Anwendungsbereich und die Mechanik der GloBE-Regeln spezifizieren und an denen sich die umsetzungswilligen Staaten zu orientieren haben. Ergänzt wurden diese Modellregeln am 14. März 2022 um einen über 200 Seiten starken KommentarFootnote 42, der auf das Ziel und die Anwendung der Regelungen näher eingeht, sowie ein knapp 50-seitiges Dokument mit illustrativen Beispielen.Footnote 43 Bald folgen sollen noch eine modellhafte Subject to Tax Rule inklusive Kommentar wie auch ein Multilaterales Instrument, welches die DBA-rechtlich notwendigen Änderungen vereinfachen soll.Footnote 44 Es ist das erklärte Ziel des IF, dass die Regelungen der Säule 2 im Jahr 2022 ins nationale Recht umgesetzt werden und bis auf die UTPR bereits 2023 in Kraft treten.Footnote 45 Die UTPR soll dann ab 2024 zur Anwendung kommen.Footnote 46 Spätestens bis Ende 2022 soll hierfür im Übrigen auch ein Umsetzungsrahmen („Implementation Framework“) geschaffen werden, der die koordinierte Implementierung der GloBE-Regeln gewährleistet. Durch diesen sollen das anzuwendende Verfahren (z. B. detaillierte Mitteilungspflichten der betroffenen Konzerne und ein multilaterales Review-Verfahren) und Safe-Harbour-Regelungen konkretisiert werden, um sowohl die betroffenen Konzerne als auch die Finanzbehörden in der Anwendung der neuen Vorschriften zu unterstützen.Footnote 47 Eine öffentliche Konsultation hierzu fand bereits im Zeitraum vom 14.3. bis 11.4.2022 statt.Footnote 48 Weiterhin bleibt noch zu erörtern, ob es eines multilateralen (völkerrechtlich bindenden) Abkommens bedarf.Footnote 49 Erste Implementierungsbemühungen sind derzeit etwa schon im Vereinigten Königreich,Footnote 50 der SchweizFootnote 51 und der EUFootnote 52 zu beobachten.