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Wie im vorherigen Kapitel deutlich geworden ist, haben die Länder in Deutschland hinsichtlich der Frage, ob Bürgermeister ehrenamtlich oder hauptamtlich ihr Amt ausüben, verschiedene Pfade beschritten. Die Beschreibung des rechtlichen Rahmens alleine klärt noch nicht die quantitative Dimension der Ehrenamtlichkeit von Bürgermeistern, da es in einigen Ländern zwar auf die Einwohnerzahl bezogene Regeln für die Ehrenamtlichkeit gibt, aber auch Optionsregelungen, die es Gemeinden unter bestimmten Bedingungen erlauben, sich für Ehren- oder Hauptamtlichkeit ihrer Bürgermeister zu entscheiden. Im folgenden Abschnitt wird im Ländervergleich dargestellt, wie viele eBm es in den Ländern zum Stichtag 30.09.2021Footnote 1 gab und visualisiert, wie sie sich regional verteilten. Dabei handelt es sich außerdem um die Beschreibung der Grundgesamtheit, also der Gesamtzahl der eBm in Deutschland, die vor der Befragung ermittelt werden musste, um beispielsweise den Rücklauf der Befragung zu berechnen (vgl. Kap. 5). Weiterhin sollte geklärt werden, welche Bedeutung eBm für den ländlichen Raum in Deutschland haben. Zur Beantwortung dieser Frage wird im Weiteren auf die Typologie ländlicher Räume des Thünen-Instituts zurückgegriffen (vgl. https://www.landatlas.de/ 31.05.2023).

3.1 Räumliche Verteilung der eBm

Von den zum Stichtag insgesamt 10.788 Kommunen in Deutschland (ohne Berücksichtigung der Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin) hatten knapp 60 % (6451) einen eBm, damit sind in der Fläche gesehen die deutliche Mehrheit der Bürgermeister in Deutschland ehrenamtlich tätig. Wie die Karte in Abb. 3.1 zeigt, gibt es klar sichtbare, hier grün eingefärbte regionale Schwerpunkte der eBm in Deutschland im Norden und Nordosten (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Teile von Niedersachsen) und im Südwesten vor allem in Rheinland-Pfalz und im Südosten in Bayern. Gute erkennbar sind außerdem die homogenen blauen Flächen mit einer reinen Hauptamtlichkeit in NRW, Hessen und im Saarland. Auch in Baden-Württemberg gibt es nur sehr wenige Gemeinden mit eBm.

Abb. 3.1
figure 1

Verteilung ehrenamtlicher (eBm) und hauptamtlicher (hBm) Bürgermeister. (Quelle: Gemeindeverzeichnis Destatis, eigene Recherchen. Kartengrundlage GeoBasis-DE/BKG 2022. Eigene Darstellung)

Etwas über 10 % der Bevölkerung Deutschlands lebt in Gemeinden mit ehrenamtlichen Bürgermeistern. Bezogen auf die Länder ist der Anteil zum Teil deutlich höher, so leben in Rheinland-Pfalz knapp 60 % der Einwohner in ehrenamtlich verwalteten Gemeinden, in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern je 37 %.

Teilt man alle Kommunen in Deutschland in Gemeindegrößenklassen ein (vgl. Abb. 3.2) wird recht deutlich, dass Gemeinden unter 1000 Einwohnern beinahe alle einen eBm haben sowie über 1000 Einwohnern und unter 2000 Einwohnern zu knapp 90 %. Über 2000 Einwohnern nimmt der Anteil der eBm stufenweise rapide ab. Kommunen über 10.000 Einwohnern sind dann beinahe ausschließlich hauptamtlich verwaltet.

Abb. 3.2
figure 2

Anteil der eBm nach Gemeindegrößenklassen. (Quelle: Gemeindeverzeichnis Destatis, eigene Recherchen, eigene Darstellung, Angaben in Prozent)

Berechnet man die Anteile der Gemeinden mit eBm an allen Gemeinden eines Landes, wird deutlich, dass in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern über 90 % und in Thüringen 77 % der Gemeinden ehrenamtlich verwaltet werden (vgl. Abb. 3.3). Über Zweidrittel der Gemeinden sind es in Brandenburg und Niedersachsen, knapp über 50 % in Sachsen-Anhalt und unter 50 % in Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg. Die vier Länder an der Spitze haben gemeinsam, dass ihre Gemeindestruktur nach Einwohnerzahl sehr kleinteilig ist (vgl. Henneke und Ritgen 2021, S. 67). Die durchschnittliche Einwohnerzahl liegt dort deutlich unter 5000 Einwohnern (vgl. Tab. 3.1).

Abb. 3.3
figure 3

Anteil der Gemeinden in den Ländern mit eBm und hBm. (Quelle: Gemeindeverzeichnis Destatis, eigene Recherchen, eigene Darstellung)

Tab. 3.1 Anzahl der Gemeinden mit eBm und hBm sowie mittlere Einwohnerzahlen

In Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz wurden anders als in anderen alten Bundesländern in den 1970er-Jahren im Rahmen von Gebietsreformen die Ortsgemeinden mit niedriger Einwohnerzahl nicht fusioniert, sondern verschiedene Formen von Verwaltungsgemeinschaften geschaffen, die dabei helfen sollten, das Problem der Verwaltungseffizienz in den Griff zu bekommen, ohne dass die kleinen Ortsgemeinden aufgelöst wurden. Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen haben sich nach der Wiedervereinigung in den 1990er-Jahren zunächst auch gegen eine Gebietsreform entschieden, ihre Ortsgemeinden erhalten und Verwaltungsgemeinschaften gebildet, die an den Schleswig-Holsteinischen Ämtern orientiert waren (vgl. Laux 1998, S. 173 ff.; Wollmann 1998, S. 166). Nach 1996 kam es aber auch in diesen beiden Ländern noch zu einer deutlichen Reduzierung der Anzahl der Gemeinden, ohne dass aber die eBm als prägendes Merkmal der kommunalen Selbstverwaltung dort verschwanden. Die Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen und Saarland dagegen hatten in den 1970er-Jahren die weitestgehenden Gebietsreformen durchgeführt und haben bis heute die im Durchschnitt größten Einheitsgemeinden, die alle hauptamtlich verwaltet werden (vgl. Tab. 3.1).

Vergleicht man die durchschnittliche Einwohnerzahl in den Gemeinden mit eBm, findet sich die niedrigste durchschnittliche Einwohnerzahl in Baden-Württemberg mit 581 Einwohnern, die höchste dagegen mit 2196 Einwohnern in Niedersachsen. Unter tausend Einwohnern durchschnittlich haben außerdem die Gemeinden mit eBm in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.

3.2 eBm und ländlicher Raum

Die kommunale Selbstverwaltung wie auch die Rolle der eBm im ländlichen Raum ist im Vergleich zu Großstädten, Metropolregionen und ähnlichen räumlichen Zusammenhängen relativ wenig erforscht (vgl. Schneider 1979, 1998). Eine Ursache dafür liegt auch in einer stärker auf konkurrenzdemokratische Strukturen zielende Orientierung vieler Forschenden in der lokalen Politikforschung, denen die oft als unpolitisch beschriebene Selbstverwaltung in Dörfern und kleineren Gemeinden mit sehr geringem Einfluss von (nationalen) Parteien normativ nicht geheuer war (vgl. Holtkamp 2008, S. 90 ff.). Außerdem ist, wie auch in diesem Projekt zu sehen, aufgrund der Vielzahl an Gemeinden in verschiedenen Bundesländern der Forschungsaufwand relativ hoch, sodass bei den wenigen Arbeiten, die es gibt, eher Fallstudien untersucht und keine regionalen Vergleiche durchgeführt werden (vgl. z. B. Dünckmann 2022).

Das Thünen-Institut erstellt in seiner Rolle als Forschungsinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) regelmäßig den sog. „Landatlas“ (vgl. https://www.landatlas.de/; 05.06.2023), in dem eine Vielzahl an statistischen Indikatoren aus unterschiedlichen Quellen zusammengeführt werden mit dem Ziel, ländliche Räume abzugrenzen und die soziale, demografische und wirtschaftliche Entwicklungen ländlicher Räume zu beschreiben. Die fünf sog. Thünen-Typen ländlicher Räume vereinen sowohl räumlich-landschaftliche Merkmale als auch Merkmale der Bevölkerungszusammensetzung und werden auf Basis der Kreise und kreisfreien Städte bestimmt.

„Die Ländlichkeit ist tendenziell umso ausgeprägter, je geringer die Siedlungsdichte, je höher der Anteil land- und forstwirtschaftlicher Fläche, je höher der Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser, je geringer das Bevölkerungspotenzial und je schlechter die Erreichbarkeit großer Zentren ist.“Footnote 2

Insgesamt 172 Kommunen (43 %) werden den beiden sehr ländlichen Typen bei variierender sozioökonomischer Lage zugeordnet, 133 (33 %) den beiden eher ländlichen Typen. 96 Kommunen (24 %) wurden als nicht ländlich klassifiziert, darunter sehr viele kreisfreie Städte in Ballungsgebieten (vgl. Tab. 3.2). Für eine integrierte Analyse wurden auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte die gemeindebezogenen Daten zu eBm mit den fünf sog. Thünen-Typen von Ländlichkeit kombiniert. Da die Thünen-Typen nicht für die Gemeindeebene vorlagen, wurden für jeden Kreis auf Basis der Anzahl der kreisangehörigen Gemeinden der Anteil der eBm berechnet und mit den Thünen-Typen zusammengeführt. Ausgehend von dieser aktuellen Typologie des Thünen-Instituts wurde im Rahmen des Projektes geprüft, welche quantitative Bedeutung eBm für Kommunalpolitik und Kommunalpolitik im ländlichen Raum haben. Wie Abb. 3.4 zeigt, ist der Zusammenhang zwischen Ehrenamtlichkeit und Ländlichkeit auf der Kreisebene insgesamt gesehen nicht so stark ausgeprägt wie erwartet.

Tab. 3.2 Anzahl der Kreise und kreisfreien Städte in den fünf Thünen-Typen
Abb. 3.4
figure 4

eBm und Typen von Ländlichkeit. (Quelle: Thünen-Landatlas, eigene Recherchen, eigene Darstellung, Angaben in Prozent)

Nur in einem der beiden sehr ländlichen Thünen-Typen mit weniger guten sozioökonomische Lage liegt der durchschnittliche Anteil der eBm in den Kreisen bei knapp 55 %, gefolgt von dem Typ „eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“ mit knapp 40 % der Kreise mit eBm. Die Typen „sehr ländlich“ und „eher ländlich“ mit jeweils guter sozioökonomischer Lage haben jeweils nur einen durchschnittlichen Anteil von ca. 20 % eBm.

Der Zusammenhang zwischen einer Analyse von Ländlichkeit im Sinne einer regional vergleichenden Herangehensweise und der institutionellen Pfadabhängigkeit in den Bundesländern mit Blick auf eine kleinteilige Gemeindestruktur und einer Entscheidung für die Ehrenamtlichkeit von Bürgermeistern in Ortsgemeinden ist eher locker. Ländliche Räume in Nordrhein-Westfalen oder Hessen haben grundsätzlich hauptamtliche Bürgermeister, da wie bereits ausgeführt dort stark auf hauptamtlich verwaltete Einheitsgemeinden gesetzt wurde. Anders ist das Bild dagegen in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Insofern überrascht es nicht, dass die Anteile der eBm in den vier eBm-Hochburgen im Thünen-Typ sehr ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage in Schleswig-Holstein bei 62 %, in Rheinland-Pfalz bei 88 %, in Mecklenburg-Vorpommern bei 90 % und in Thüringen bei 60 % lagen.Footnote 3 Ob die Ehrenamtlichkeit im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dieser ländlichen Räume eher ein Vorteil oder ein Nachteil ist, kann im Rahmen dieses Projektes leider nicht analysiert werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eBm dann im ländlichen Raum typisch sind, wenn ländliche Kreise eine eher kleinteilige Einwohnerstrukturen aufweisen und in Bundesländern liegen, die sich institutionell für eine wichtige Rolle von eBm entschieden haben. Diese können sowohl in West- als auch in Ostdeutschland liegen.