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Osman: „Wie so ein Botschafter der Religion“

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Religion - Profession - Subjekt(ivierung)

Zusammenfassung

Der erste Kontakt mit Osman findet Mitte Februar 2020 über eine Kollegin statt. Ich kontaktiere Osman telefonisch und frage ihn, ob er sich ein Interview mit mir vorstellen könne. Er zeigt sich sehr interessiert und gibt an, Lehramt mit den Fächern Spanisch und Sport im fünften Mastersemester in B-Stadt zu studieren. Wir einigen uns darauf, dass wir uns Mitte März in seiner Wohnung in C-Stadt treffen. Die Kontaktaufnahme mit Osman empfinde ich als entspannt und unproblematisch.

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Notes

  1. 1.

    Bei den fünf Säulen des Islams handelt es sich um grundlegende Gebote, zu deren Einhaltung Muslime verpflichtet sind. Die fünf Säulen bilden a) das Glaubensbekenntnis, b) das Fasten im Monat Ramadan, c) das Gebet, d) die Pilgerfahrt nach Mekka und e) das Almosengeben (vgl. Elger 2018a, S. 79).

  2. 2.

    Im Islam besteht wie im Christentum der Glaube an einen Himmel (Paradies) und eine Hölle: „Während das Christentum ein Leben nach dem Tode beschreibt, schildert die islamische Tradition mehr die Welt des Jenseits“ (Hagen 2018, S. 97).

  3. 3.

    Eine Pilgerfahrt nach Mekka im islamischen Monat Dhū al-Hijja ist Teil der fünf Säulen des Islams. Muslime sind daher verpflichtet, zumindest einmal in ihrem Leben diese Pilgerfahrt (Hádsch) zu unternehmen. Neben dieser großen verbindlichen Pilgerfahrt existiert noch eine kleinere Variante (ʿUmra), die auch außerhalb des Monats Dhū al-Hijja stattfinden kann und von Gläubigen als „verdienstvoll“ angesehen wird (vgl. Elger 2018b, S. 178). Bei Osmans Pilgerfahrt handelt es sich um diese ‚kleinere‘ Variante.

  4. 4.

    Das passt auch zu Osmans genereller Haltung gegenüber dem Interviewer. Er möchte helfen und mit dem Interview einen Beitrag für die Gesellschaft leisten (vgl. Abschn. 7.1).

  5. 5.

    Selbst- und Fremdzuschreibungen bedingen einander und können i. d. R. nicht trennscharf, d. h. unabhängig voneinander betrachtet werden. Wie und inwiefern Fremdzuschreibungen in Osmans Selbstpräsentationen eingeschrieben sind, darauf wird an anderer Stelle noch genauer eingegangen (vgl. exempl. Abschn. 7.4.3 – Evangelischer Religionsunterricht und Abschn. 7.4.5 – Osman spricht „perfekt[es] Deutsch“).

  6. 6.

    Ein:e Botschafter:in ist i. e. S. eine Person, die als bevollmächtigte Diplomat:in in einem fremden Land die Interessen des eigenen Staates vertritt. Hierzu gehört u. a. das Pflegen bilateraler Beziehungen auf der Grundlage eines wechselseitigen Informationsaustausches.

  7. 7.

    Osman wird als ‚Experte‘ seiner Religion angerufen und funktionalisiert: Er soll die Funktion erfüllen, etwas über ‚den Islam‘ zu sagen. Er nimmt die Anrufung an und fungiert i. d. S. als Abgesandter seiner Religion.

  8. 8.

    Was Osman mit „drüben“ genau meint, lässt sich nicht sicher ermitteln. Es liegt jedoch nahe zu vermuten, dass er damit die von ihm beschriebenen Verhältnisse in Saudi-Arabien meint und/oder religiös begründete Konflikte in Ländern, die mit ‚dem Islam‘ in einen Zusammenhang gebracht werden.

  9. 9.

    Das Statistische Bundesamt benutzt seit 2005 die Kategorien ‚mit‘ bzw. ‚ohne Migrationshintergrund‘ und folgt damit dem „Wunsch der Politik, den Blick bei Migration und Integration nicht nur auf die Zuwanderer selbst – das heißt die eigentlichen Migranten – zu richten, sondern auch ihre in Deutschland geborenen Nachkommen einzuschließen. Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen alle Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzen, oder die mindestens ein Elternteil haben, auf das dies zutrifft“ (Destatis 2021). Seit der Erstveröffentlichung durch das Statistische Bundesamt hat der Begriff ‚Migrationshintergrund‘ eine steile Karriere hingelegt und ist in Politik, Wissenschaft und Medien fest etabliert. Für eine kritische Betrachtung des Begriffes vgl. Christodoulou 2015.

  10. 10.

    Tatsächlich wurden Fragen zur eigenen nationalen und kulturellen Zugehörigkeit im Kontext dieser Arbeit hauptsächlich von Personen ausgehandelt, deren familiale Migrationsgeschichte für die biographische Erzählung relevant ist (vgl. exempl. auch Stošić/Rensch 2020).

  11. 11.

    Bis zum Jahr 2000 galt in Deutschland das Prinzip „ius sanguinis“, das den Erwerb der Staatsangehörigkeit an der Abstammung festmacht. Danach erhielten diejenigen Personen von Geburt an eine deutsche Staatsbürgerschaft, bei denen mindestens ein Elternteil ‚deutsch‘ war. Am 1. Januar 2000 wurde das ‚ius sanguinis‘ durch ein angepasstes Geburtsortprinzip („ius soli“) ergänzt. Eigentlich sieht das Prinzip ‚ius soli‘ vor, dass eine Person, unabhängig von der Staatszugehörigkeit ihrer Eltern, dann Staatsbürger:in eines Landes werden kann, wenn sie auf dessen Staatsgebiet geboren wurde. Die modifizierte Form des ‚ius soli‘ in Deutschland sieht hingegen vor, dass ein Kind nur dann als Staatsbürger:in geboren wird, wenn mindestens ein Elternteil über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt oder sich seit mindestens acht Jahren in Deutschland aufhält (vgl. Lämmermann 2017, S. 153).

  12. 12.

    So stützen sich beide Länder auf das Abstammungsprinzip „ius sanguinis“, das die Frage der nationalen Zugehörigkeit primär an der ‚richtigen‘ Abstammung festmacht. Das Prinzip ‚ius sanguinis‘, das „in der politischen Diskussion [zumindest in Deutschland; Anm. B.R.-K.] mitunter als ‚Blutrecht‘ bezeichnet“ (Lämmermann 2017, S. 153) wird, ist aufgrund der diskursiven Praxis, nationale Zugehörigkeit anhand der kollektiven Wissensordnung ‚Recht des Blutes‘ zu bestimmen, auch an ethnisierende, kulturalisierende resp. rassisierende Diskurse und Differenzkonstruktionen anschlussfähig.

  13. 13.

    Auch an einer anderen Stelle im erzählimmanenten Nachfrageteil wird deutlich, dass insbesondere die Mutter diejenige war, die besonderen Wert darauf gelegt hat, dass Osman die Moschee besucht. Auf die Frage, wie er aufgewachsen sei, antwortet der Biograph u. a.: „Ich glaub das war so ganz bescheiden, würde ich jetzt mal sagen, dass ich so aufgewachsen bin. Also ohne Zwang, ohne nichts, also (2) wie gesagt jetzt auch mit den Moscheebesuchen, meine Mutter hat mich da auch nicht gezwungen oder so, sondern: ‚Lernt doch mal das. Das wird euch weiterbringen beziehungsweise das braucht ihr fürs Leben, für das spätere Leben‘. [I: mhm] So und das- so würde ich das beschreiben, meine Kindheit“ (25/834–839).

  14. 14.

    Es ist denkbar, dass der Biograph das religiös begründete Erziehungsverhalten seiner Eltern aus seiner heutigen Perspektive als zu inkonsequent bzw. zu ‚lasch‘ beurteilt. Womöglich hat Religion von einem ‚neutralen‘ Standpunkt aus betrachtet keine ganz unbedeutende Rolle in seiner Familie gespielt, in Osmans Augen jedoch eine immer noch zu geringe. Dies würde dann zu der Feststellung passen, dass in Familien mit einem sogenannten ‚türkisch-muslimischen Migrationshintergrund‘ die Ansprüche an religiöse Erziehung und die damit erwartete Vorbildfunktion der Eltern zwischen den Generationen tendenziell zusehends auseinandertriften (vgl. Karakaşoğlu/Öztürk 2007, S. 166; vgl. auch Uygun-Altunbaş 2017, S. 425–431).

  15. 15.

    Mit Salafismus (Salafīya) wird eine konservative bis fundamentalistische innerislamische Strömung bezeichnet, „welche die ersten Muslime (as-salaf aṣ-ṣāliḥ, ‚die frommen Altvorderen‘) zum Modell für eine neue muslim. Gemeinschaft erklärt. Damit ist nicht gemeint, dass das Leben der islam. Urgemeinschaft wiederhergestellt werden soll, vielmehr sei an den ‚Geist‘ dieser Muslime anzuknüpfen, um eine der Gegenwart angemessene Ordnung zu errichten“ (Elger 2018c, S. 198; Herv. i. O.). In den letzten Jahren sind zahlreiche Bücher zum Thema ‚Salafismus‘ erschienen und auch in den Medien wird immer wieder über salafistische Strömungen berichtet (vgl. exempl. Haneke 2020; Toprak/Weitzel 2019; Jansen 2018; Ceylan/Kiefer 2013).

  16. 16.

    Dass der ‚geschützte Rahmen‘ der Institution Schule brüchig gewesen ist, wird im erzählimmanenten Nachfrageteil deutlich. Osman erzählt von einer negativen Erfahrung mit einem Deutschlehrer, der ihn aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse „fertig gemacht“ (28/929) und seine Eignung für die Realschule in Frage gestellt habe. Dieser Zustand habe sich erst geändert, nachdem er „sitzen geblieben“ (28/940) sei und daraufhin eine „neue Deutschlehrerin“ (28/941) bekommen habe.

  17. 17.

    Die Überzeugung, dass alle Geschehnisse durch Gottes Wille vorherbestimmt sind, kann zu einem passiven und/oder fatalistischen sich Einfügen in das vermeintlich Unabwendbare führen. Diese Umgangsweise ist für ‚den Islam‘ jedoch keineswegs charakteristisch. Es gibt verschiedene theologische Strömungen, wie bspw. im Kontext des Reformislam, die Verantwortlichkeit und Handlungsfreiheit für selbstverständlich halten (vgl. Guth 2018, S. 201). Auch Osman scheint davon überzeugt zu sein, dass gewisse Ereignisse vorherbestimmt sind, jedoch immer in dem Glauben daran, dass damit zugleich ein höherer (gutgemeinter) Sinn verbunden ist. Auch macht es den Anschein, als würde er sich nicht einfach seinem Schicksal ergeben, sondern versuchen – wohlgemerkt unter religiöser Anleitung – das ‚Beste‘ aus jeder Situation zu machen.

  18. 18.

    Bei den Teilnehmenden des Konversationsclubs handelt es sich sowohl um ecuadorianische als auch deutsche Staatsangehörige.

  19. 19.

    An einer späteren Stelle erzählt Osman von einer anderen Erfahrung während seiner Zeit in Ecuador, in der er ebenfalls von Personen gefragt worden sei, woher er komme. Auch in diesem Fall lassen sich stereotype kollektive Wissensordnungen hinter den inspizierenden Blicken vermuten: „‚Ja, woher kommst du denn?‘. ‚Ja, aus Deutschland‘. ‚Ja, ja, aber gut‘. Die haben mich erstmal eine halbe Stunde angeguckt: ‚Ja, du bist aber kein Deutscher, oder?‘. Ich so: ‚Ja, ich komme aus der Türkei‘“ (20/653–656).

  20. 20.

    In einem anderen Fall, der auch im Rahmen diese Studie analysiert wurde, gibt es eine ähnliche Situation, in der die Biographin Nesrin eine Anrufung ihrer Nachbarin, die sich auf ihr Kopftuch bezieht, als ‚witzig‘ beschreibt: „Ähm, das finde ich witzig. Also wirklich witzig muss ich zugeben, von der Nachbarin“ (10/401–402).

  21. 21.

    Nach dem Koran ist Muslimen der Verzehr „von Blut und daher auch von Fleisch nicht geschächteter Tiere verboten (Suren 2:173, 5:3, 6:145 und 16:115). Das Fleisch ist zum Verzehr erlaubt (arab. ḥalāl, türk. helal), wenn dem lebenden Tier die Kehle aufgeschnitten wurde, damit es vollständig ausbluten konnte. Bei der rituellen Schlachtung wird das Tier mit dem Kopf nach Mekka ausgerichtet und der Name Gottes angerufen“ (Müller 2018, S. 208; Herv. i. O.).

  22. 22.

    Verschiedene Medien berichten immer wieder über die rituelle Praxis des Schächtens und auch in der Politik wird über das Für und Wider diskutiert (vgl. exempl. SPIEGEL 2020; Welt 2019b; Neumann 2008).

  23. 23.

    Zahlreiche Universitäten in Deutschland bieten Gebetsräume für gläubige Studierende an, in denen unabhängig von individuellen Überzeugungen gebetet bzw. religiösen Praktiken nachgegangen werden kann. In den vergangenen Jahren haben mehrere Universitäten aus verschiedenen Gründen ihre Gebetsräume geschlossen. In einigen Fällen, in denen auch muslimische Studierende involviert waren, wurde darüber in regionalen aber auch überregionalen Zeitungen berichtet (vgl. exempl. Selle 2018; Kaddor 2018; Kohlmaier 2016).

  24. 24.

    Aufgrund der Interviewdynamik ist der Übergang vom erzählimmanenten in den erzählexmanenten Nachfrageteil auch in Osmans Fall während des Interviews nicht noch einmal explizit deutlich gemacht worden.

  25. 25.

    Wobei diese Wissensordnung insbesondere dann postuliert wird, wenn es um die gesellschaftspolitische Frage geht, ob der Islam zu Deutschland gehört (vgl. Rommelspacher 2017; exempl. auch Tlusty 2018).

  26. 26.

    In diesem Zusammenhang wird mitunter auch auf ein ‚christlich-jüdisches Erbe‘ verwiesen, das aufgrund der Persistenz antijudaistischer und antisemitischer Tendenzen in Deutschland jedoch in Frage steht (vgl. exempl. Stein/Zimmermann 2017).

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Rensch-Kruse, B. (2024). Osman: „Wie so ein Botschafter der Religion“. In: Religion - Profession - Subjekt(ivierung). Subjektivierung und Gesellschaft/Studies in Subjectivation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-43875-3_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-43875-3_7

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