3.1 Grundlegende Gedanken zum Forschungsvorhaben

Seit Beginn der Coronapandemie 2020 und dem damit verbundenen vermehrten Einsatz von Erklärvideos im Schulsystem wird auch im sachunterrichtsdidaktischen Diskurs verstärkt zu Erklärvideos geforscht und publiziert (z. B. Gaubitz, 2021; Haltenberger et al., 2022; Schmeinck, 2023). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem audiovisuellen Unterrichtsmedium aus fachdidaktischer bzw. unterrichtspraktischer Perspektive ist beispielsweise für eine lernförderliche Einbindung von Erklärvideos in den Sachunterricht von Bedeutung, um begründete Aussagen über Möglichkeiten und Grenzen des Mediums treffen zu können. Was zum Zeitpunkt des vorliegenden Forschungsvorhabens in der Didaktik des Sachunterrichts fehlt, sind evidenzbasierte Erkenntnisse zum Umgang von Lehrkräften mit Erklärvideos im Sachunterricht und deren didaktische Überlegungen, die hinter dem Einsatz des Unterrichtsmediums stehen. Dementsprechend existiert zum vorliegenden Gegenstandsbereich bisher auch kein Modell, das den didaktischen Umgang mit dem audiovisuellen Medium im Sachunterricht beschreibt. Ziel der folgenden explorativen qualitativ-empirischen Untersuchung ist nun, unter Zuhilfenahme der Grounded-Theory-Methodologie (GTM) ein Rahmenmodell zum Erklärvideoeinsatz im Sachunterricht aus Sicht der Lehrkräfte zu entwickeln.

Das Vorgehen im Sinne der Grounded Theory entspricht der in dieser Arbeit vertretenen erkenntnistheoretischen Position des Konstruktivismus. „Eine ‚Grounded‘ Theory ist eine gegenstandsverankerte Theorie, die induktiv aus der Untersuchung des Phänomens abgeleitet wird, welches sie abbildet.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 7) Die GTM ist laut Brüsemeister (2008, S. 151) „die klassische, Theorien entdeckende qualitative Methode“. Eine ausführliche Darstellung der Ideen der Grounded Theory wird in Abschnitt 3.1.1 vorgenommen. Eine Besonderheit der Methodologie soll jedoch bereits an dieser Stelle diskutiert werden und betrifft das Verhältnis zwischen Theorie und Empirie. Im Sinne einer Vorgehensweise nach der GTM sollte der Forschungsprozess eigentlich nicht auf einer vorab durchgeführten Aufbereitung des aktuellen Forschungsstands zum entsprechenden Themenfeld aufbauen. „Am Anfang steht nicht eine Theorie, die anschließend bewiesen werden soll. Am Anfang steht vielmehr ein Untersuchungsbereich – was in diesem Bereich relevant ist, wird sich erst im Forschungsprozeß herausstellen.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 8) Macht diese Aussage nun die bisherigen theoretischen Betrachtungen des Bildungsdiskurses zu Erklärvideos in der vorliegenden Arbeit obsolet?

In der Darstellung unterschiedlicher Perspektiven auf die Frage, ob sich auch ein qualitatives Forschungsvorhaben im Sinne der Grounded Theory an vorangegangenen theoretischen Überlegungen orientieren dürfe, zeigt sich, dass es durchaus auch für die Entwicklung gegenstandsbezogener Theorien oder Modelle vorteilhaft sein kann, einen grundlegenden theoretischen Rahmen zu haben. So ist es für Brüsemeister (2008, S. 157) „offensichtlich, dass man von Anfang an Theorien benötigt, um überhaupt etwas in den Daten erkennen zu können“, auch wenn dieses Vorwissen „während der Datenauswertung mental eingeklammert“ werden sollte, „weil man theoretische Zusammenhänge [soweit] es geht aus den Daten selbst entwickeln möchte“. Außerdem sei es „ganz zu Beginn sowie zum Schluss der empirischen Forschung wichtig, sich auf bestehende Theorien zu beziehen“ (Brüsemeister, 2008, S. 155). Ähnlich argumentieren auch Aust und Völcker (2018, S. 138):

„Der Verzicht oder ein vollständiges Ausblenden von Theorien und entsprechenden Forschungslinien war somit nie, wie der Grounded Theory vielfach kritisch unterstellt wurde, ein Merkmal der praktischen Arbeit mit ihr […] und damit auch der Forschungsprozess nie ein ausschließlich induktiver. Die Grounded Theory baut somit immer auch auf theoretischem Vorwissen auf, das als konzeptioneller Bezugspunkt fungiert […], der nicht nur hilft, das Material mit Fragen zu konfrontieren und eine oder mehrere Analyserichtungen zu eröffnen, sondern den es im Forschungsprozess auch beständig zu reflektieren gilt, ohne das empirische Material mit theoretischen Konzepten oder empirischen wie theoretischen Vorannahmen zu ‚überwältigen‘ und den Analyseprozess (theoretisch) einseitig zu belasten.“

Die Integration der theoretischen Vorüberlegungen habe demnach auch in der GTM ihre Daseinsberechtigung und müsse im Zuge des Forschungsprozesses nicht ausgeklammert werden. „Sowohl Diskursforschung als auch Grounded Theory verhandeln somit die Bedeutung theoretischer (Vor-)Kenntnisse und deren Relevanz im Auswertungs- und Interpretationsprozess dahin gehend, dass diese keinesfalls ignoriert bzw. ausgeblendet werden, vielmehr ist die Berücksichtigung theoretischer Erkenntnisse zentral für die empirischen Analysen […].“ (Aust & Völcker, 2018, S. 139) Für die Suche nach einer gegenstandsbezogenen Theorie stellt die Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands bzw. ein kritisch-reflektierter Umgang mit ebendieser eine wichtige Grundlage dar.

Dennoch offenbart die Frage, wie bei qualitativen Untersuchungen mit bereits bestehenden theoretischen Erkenntnissen umzugehen ist, einen Konflikt der qualitativen Forschung: Forschende benötigen einerseits theoretische Vorkenntnisse, „um etwas in den Daten zu erkennen […], aber auf der anderen Seite können diese Theorien Daten auch verfremden“ (Brüsemeister, 2008, S. 181). Um in dieser Arbeit einer Verfremdung bei der Auswertung der erhobenen Daten entgegenzuwirken, wurde darauf verzichtet, aus den theoretischen Erkenntnissen der vorangegangenen Kapitel deduktiv Kategorien abzuleiten. Eine Liste solcher Kategorien könnte Strauss und Corbin zufolge (1996, S. 32) „neuen Entdeckungen im Wege stehen“. Die Aufarbeitung relevanter Fachliteratur sollte der GTM zufolge andere Zwecke erfüllen (Strauss & Corbin, 1996, S. 33 ff.):

  1. 1.

    Die Literatur kann theoretische Sensibilität anregen.

  2. 2.

    Die Literatur kann als sekundäre Datenquelle verwendet werden.

  3. 3.

    Die Literatur kann Fragen anregen.

  4. 4.

    Sie kann die theoriegeleitete Datenerhebung (theoretical sampling) leiten.

  5. 5.

    Sie kann als ergänzender Gültigkeitsnachweis verwendet werden.

Im Zuge der Auswertung und Darstellung der Untersuchungsergebnisse wird auf das Einbeziehen theoretischer Überlegungen und Erkenntnisse aus dem vorangegangenen Teil dieser Arbeit verzichtet. Erst in der Diskussion der Ergebnisse (Abschnitt 4.2) werden die Resultate der qualitativ-empirischen Untersuchung mit entsprechenden Teilaspekten der theoretischen Aufarbeitung des Forschungsgegenstandes zusammengeführt.

Im nächsten Abschnitt soll nun zuallererst geklärt werden, was ein Vorgehen im Sinne der Grounded Theory für das explorative Forschungsvorhaben konkret bedeutet. Hierzu wird die qualitativ-empirische Methodologie genauer beleuchtet und beschrieben, welche Implikationen sich daraus für den Forschungsprozess dieser Arbeit ergeben.

3.1.1 Forschungslogik

„Wer qualitativ forscht, interessiert sich für die individuellen Sichtweisen und das subjektive Wissen von Menschen.“ (Aeppli et al., 2014, S. 230)

„Qualitative Forschung hat den Anspruch, Lebenswelten ‚von innen heraus‘ aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben. Damit will sie zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen.“ (Flick et al., 2017, S. 14)

Im Sinne eines ideographischenFootnote 1 Wissenschaftsverständnisses und der damit verbundenen „den Einzelfall in seiner Besonderheit erkundende[n] Vorgehensweise“ (Aeppli et al., 2014, S. 50) sollen die subjektiven Sichtweisen von Lehrkräften auf den Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht identifiziert und in einem Rahmenmodell zusammengeführt werden. Die Forschungslogik orientiert sich dabei an der Methodologie der Grounded Theory, die in den 1960er-Jahren von Glaser und Strauss entwickelt und in weiterer Folge von Strauss und Corbin adaptiert wurde (Strübing, 2018). „Die Grounded Theory ist eine qualitative Forschungsmethode bzw. Methodologie, die eine systematische Reihe von Verfahren benutzt, um eine induktiv abgeleitete, gegenstandsverankerte Theorie über ein Phänomen zu entwickeln.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 8) Die qualitativ-empirische Methodologie soll also die Entdeckung bzw. Entwicklung einer Theorie aus den Daten heraus ermöglichen. „Mit der Grounded Theory kann man auf Dokumente, Beobachtungen, Interviews und sogar bestehende Theorien zugreifen, um sie so zu modifizieren, dass ein neues Bild des untersuchten Phänomens entsteht […].“ (Brüsemeister, 2008, S. 152)

Von Bedeutung ist, dass die Grounded Theory nicht eine konkrete Methode, sondern – wie bereits erwähnt – eine Methodologie beschreibt: „Methodologie (altgriech. ‚Lehre über die Vorgehensweise‘) stellt eine Reflexion darüber dar, wie geforscht werden soll bzw. warum welche Methoden eingesetzt werden sollen. Methode wiederum beschreibt ein geregeltes Verfahren für das Forschen.“ (Kergel, 2018, S. 49) Bevor auf konkrete methodische Zugänge eingegangen wird, sollen zuvor einige zentrale Merkmale der GTM beschrieben werden.

Ein wichtiger Begriff in der GTM ist die theoretische Sensibilität. Sie beschreibt „die Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutungen zu verleihen, die Fähigkeit[,] zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 25). Forschende sind demnach dazu angehalten, bei ihren Untersuchungsvorhaben theoretisch sensibel zu agieren. „Theoretische Sensibilität hat zwei Quellen. Einerseits kommt sie daher, daß man sich in der Fachliteratur gut auskennt, und auch aus professioneller und persönlicher Erfahrung. […] Andererseits wird theoretische Sensibilität auch während des Forschungsprozesses durch die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Daten erworben – Erheben und Analysieren.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 30) Dieser iterative Forschungsprozess, also der Zyklus aus fortwährendem Erheben und Analysieren, ist ein wesentliches Merkmal der GTM. Auf das Vorgehen bei der Fallauswahl und dem damit verbundenen Konzept des theoretischen Samplings wird in Abschnitt 3.2.5 eingegangen. Abbildung 3.1 stellt den iterativen Forschungsprozess und die Erhebungsphasen der empirischen Daten – in dieser Studie unterteilt in drei Interviewcluster (siehe Abschnitt 3.2.3) – grafisch dar.

Abbildung 3.1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Der iterative Forschungsprozess der Grounded-Theory-Methodologie (Strübing, 2018, S. 33), Adaption: Aufteilung der Datenerhebung in drei Cluster.

„Die Zielsetzung, eine Grounded Theory bzw. eine ‚in den Daten verankerte Theorie‘ zu formulieren, führt zu einem iterativen Forschungsprozess, also einem Forschungsprozess, bei dem sich die einzelnen Schritte wiederholen: Anstatt Daten zu erheben und in einem weiteren Schritt auszuwerten, beeinflussen sich im Idealfall Datenerhebung und Datenauswertung gegenseitig und bilden einen Zirkel bzw. eine sich wiederholende (‚iterative‘) Struktur.“ (Kergel, 2018, S. 112)

Dabei ist es schwierig, vorab eindeutige Phasen der Forschung zu definieren. „Der Forschungsprozess bei qualitativer Forschung lässt sich häufig nicht ohne weiteres in klar unterschiedene Phasen zerlegen. Vielmehr entfaltet qualitative Forschung ihre eigentliche Stärke erst, wenn die wichtigsten Bestandteile des Forschungsprozesses in ihrer Umsetzung auch zeitlich miteinander verzahnt werden.“ (Flick, 2017, S. 130) Diese Verzahnung wird durch den iterativen Prozess der GTM sichergestellt. Strauss und Corbin (1996, S. 89) beschreiben es als ein „Hin- und Herpendeln zwischen induktivem und deduktivem Denken“, also „ein konstantes Wechselspiel zwischen Aufstellen und Überprüfen“. In dem kontinuierlichen Wechsel zwischen Datenerhebung und -auswertung bzw. der Parallelität von Datenerhebung, Datenauswertung und Theoriebildung offenbart die GTM deutliche Unterschiede zur Logik anderer qualitativ-empirischer Forschungsverfahren. Mit diesem Vorgehen soll u. a. die Möglichkeit geschaffen werden, immer wieder induktiv das zu verifizieren, was deduktiv aufgestellt wurde (Strauss & Corbin, 1996, S. 90). Durch die fortwährenden Schleifen erfolgt idealerweise auch eine stetige Annäherung an den Kern des Forschungsgegenstandes, also eine kontinuierliche Adaptierung bzw. Verfeinerung aufgestellter Hypothesen mit dem Ziel, zu einer in den Daten begründeten gegenstandsbezogenen Theorie zu gelangen. „Theorien lassen sich in diesem Zusammenhang als Versionen der Welt begreifen, die sich im Laufe der Forschung ändern und weiterentwickelt werden.“ (Flick, 2017, S. 130)

Ein Blick auf das zentrale Forschungsinteresse dieser Arbeit – die Frage, wie Lehrer*innen ihren Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht beschreiben und, damit einhergehend, welche didaktischen Möglichkeiten das Medium ihrer Meinung nach eröffnet – zeigt, warum die empirische Herangehensweise im Sinne der GTM erfolgt: „Mit der Grounded Theory interessieren sich die ForscherInnen für soziale Prozesse mit Strategien von Akteuren im Zentrum. Und nur wenn diese Strategien im Zentrum stehen […], lässt sich analytisch exakt ein Schritt zurück (nach Bedingungen) sowie exakt ein Schritt weiter springen (nach Konsequenzen).“ (Brüsemeister, 2008, S. 179) Didaktische Zugangs- bzw. Handlungsweisen der Lehrer*innen in Bezug auf den Erklärvideoeinsatz, vorlaufende Bedingungen und auch die Folgen der Mediennutzung auf den Sachunterricht sollen mithilfe der GTM ergründet werden. Um dies gelingend umsetzen zu können, bedarf es bei einem qualitativ-empirischen Forschungsvorhaben auch eines Blicks auf die Rolle des Forschenden.

3.1.2 Die Rolle des Forschenden

Die Art und Weise, wie Forschende in qualitativ-empirischen Forschungssettings agieren, hat einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität der Untersuchungsergebnisse:

„Bei qualitativer Forschung hat die Person des Forschers eine besondere Bedeutung. Er wird mit seinen kommunikativen Fähigkeiten zum zentralen ‚Instrument‘ der Erhebung und Erkenntnis. Aus diesem Grund kann er auch nicht als ‚Neutrum‘ im Feld und im Kontakt mit den (zu befragenden oder zu beobachtenden) Subjekten agieren. Vielmehr nimmt er darin bestimmte Rollen und Positionen ein oder bekommt diese (teils ersatzweise und/oder unfreiwillig) zugewiesen. Von der Art dieser Rolle und Position hängt wesentlich ab, zu welchen Informationen der Forscher Zugang findet und zu welchen er ihm verwehrt wird.“ (Flick, 2017, S. 143)

Der Verfasser dieser Arbeit hat als ausgebildeter Primarstufenlehrer und Lehrender an einer Pädagogischen Hochschule in Österreich und einer Universität in Deutschland weitgehend Zugang zum Untersuchungsfeld. Dadurch ist persönlicher Kontakt zu Volks- bzw. Grundschullehrenden gegeben, die unterschiedlichen Alters sind, divergierende Vorerfahrungen haben und sowohl im ländlichen als auch im städtischen Bereich tätig sind. Im Sinne des explorativen Forschungsinteresses kann damit ein breites Spektrum an Sichtweisen auf das audiovisuelle Medium Erklärvideo im Sachunterricht abgebildet werden. Der persönliche Bezug kann im Idealfall zu einer offenen Gesprächsatmosphäre im Rahmen der Interviews beitragen, in der vielfältige Aspekte des Untersuchungsgegenstandes ungehemmt kommuniziert werden können. Das passende Verhältnis zwischen Nähe und Distanz zum Forschungsfeld wird in der Bildungsforschung kontrovers diskutiert, wobei Girtler (2001, S. 79) hierzu schreibt: „In den meisten Fällen wird eine ehrliche Identifikation mit der betreffenden Lebenswelt wohl eher nützen als schaden, denn schließlich enthält sie so etwas wie Achtung vor den Menschen, deren Denken und Handeln man verstehen und nicht distanziert studieren will.“

Damit aber auch ein Nahverhältnis zum Untersuchungsgegenstand nicht zu einer Beeinträchtigung der Beobachtungsperspektive bzw. zum unreflektierten Übernehmen von Aussagen der Befragten führt, beschreiben Strauss und Corbin (1996, S. 4) die Fertigkeiten, die qualitativ Forschende mitbringen müssten: „einen Schritt [zurückzutreten] und Situationen kritisch zu analysieren, gewohnheitsmäßige Vorlieben und Neigungen zu erkennen und zu vermeiden, valide und reliable Daten zu erhalten und abstrakt zu denken“. Dafür benötigen Forschende „theoretische und soziale Sensibilität, die Fähigkeit, analytische Distanz zu bewahren und dabei gleichzeitig auf vergangene Erfahrungen und theoretisches Wissen zurückzugreifen, um das Gesehene zu interpretieren, scharfsinnige Beobachtungsgabe und gute zwischenmenschliche Fähigkeiten“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 4). Damit soll sichergestellt werden, dass eine gegenstandsbezogene Theorie – die trotz aller notwendigen Sensibilität und der Beachtung von Regeln und Gütekriterien qualitativer Forschung ein subjektiv geprägtes Produkt der*des Forschenden darstellt – nicht durch die für die Beforschung des Untersuchungsgegenstandes benötigte Eingebundenheit in das Forschungsfeld verzerrt wird.

Es zeigt sich, dass Forschende in qualitativ-empirischen Forschungssettings viel direkter in das Forschungsfeld involviert sind, als dies etwa im Zuge der Durchführung einer quantitativen Untersuchung der Fall wäre. Der Kontakt zum Feld wird in der qualitativen Forschung als wesentlich „dichter und intensiver“ beschrieben (Flick, 2017, S. 142). Nachdem nun die Rolle des Forschenden für das gegenständliche Forschungsvorhaben geklärt wurde, folgt zunächst die Erläuterung zentraler Prinzipien qualitativer Forschung, die als Leitlinien für den Forschungsprozess dienen, bevor im Anschluss daran das methodische Vorgehen konkret betrachtet wird.

3.1.3 Prinzipien qualitativer Forschung

Zwar stehen qualitative Forschungsvorhaben „nicht mehr unter solchem Legitimationsdruck wie in jener Zeit, als sie sich primär in Abgrenzung von hypothesenprüfenden Verfahren […] positioniert haben“ (Bohnsack et al., 2018, S. 107), dennoch können leitende Prinzipien wichtige Orientierungspunkte für den Forschungsprozess darstellen. Lamnek und Krell (2016, S. 33 ff.) beschreiben hierzu sechs wesentliche Prinzipien, die im Zuge qualitativer Forschungsprozesse Beachtung finden sollen:

  • Offenheit: Im Sinne eines qualitativen Forschungsverständnisses soll das Untersuchungsfeld nicht vorab mit vorformulierten Hypothesen überzogen werden. „Qualitative Sozialforschung versteht sich im Gegensatz zur quantitativen Vorgehensweise nicht als Hypothesen prüfendes, sondern als Hypothesen generierendes Verfahren.“ (Lamnek & Krell, 2016, S. 34) Dafür muss der Wahrnehmungstrichter von Forschenden im gesamten Untersuchungsverlauf so weit wie möglich offen gehalten werden.

  • Forschung als Kommunikation: Qualitative Forschung zeichnet sich durch Kommunikations- und Interaktionsprozesse zwischen Forschenden und dem Untersuchungsfeld aus. „Zum Verständnis von Forschung als Kommunikation gehört auch das Bewusstsein, dass die Sicht der Wirklichkeit perspektivenabhängig ist […]. Mit dem Wechsel der Perspektive ändert sich auch das, was als wirklich gilt.“ (Lamnek & Krell, 2016, S. 34) Die Kommunikation sollte sich Lamnek und Krell zufolge (2016) so weit wie möglich an den Regeln der alltagsweltlichen Interaktion orientieren.

  • Prozesscharakter von Gegenstand und Forschung: Da sich qualitative Forschung mit lebensweltlichen Prozessen auseinandersetzt, müsse auch die Untersuchung selbst diesen Prozesscharakter aufweisen. „Das Prinzip der Prozessualität soll die wissenschaftliche Erfassung des Entstehungszusammenhangs sozialer Phänomene gewährleisten.“ (Lamnek & Krell, 2016, S. 35)

  • Reflexivität von Gegenstand und Analyse: Um eine reflexive Beziehung zwischen den Forschenden und dem Untersuchungsgegenstand sicherzustellen, sollten Forschende eine reflektierte Haltung einnehmen und das Untersuchungsinstrumentarium kontinuierlich anpassen.

  • Explikation: Dieses Prinzip beschreibt die Forderung an Forschende, „die Einzelschritte des Untersuchungsprozesses so weit wie möglich [offenzulegen]“ (Lamnek & Krell, 2016, S. 36). Dadurch soll die Nachvollziehbarkeit und Intersubjektivität des Forschungsprozesses sichergestellt werden.

  • Flexibilität: Im Gegensatz zu den linear-standardisierten Vorgehensweisen quantitativer Forschung können qualitative Untersuchungsdesigns je nach Verlauf den Wechsel auf andere Vorgehensweisen notwendig machen. „Flexible Erhebungsverfahren befähigen dazu, sich an die jeweiligen Eigenheiten des Untersuchungsgegenstandes anzupassen und den im Verlauf des Forschungsprozesses erzielten Erkenntnisfortschritt für die nachfolgenden Untersuchungsschritte zu verwerten […]“ (Lamnek & Krell, 2016, S. 38).

Auch Strauss und Corbin (1996, S. 11) erachten die Offenheit und Flexibilität der Forschenden als notwendige Voraussetzung, „um die Verfahren unterschiedlichen Phänomenen und Forschungssituationen anzupassen“. Auch die Fähigkeit, im Forschungsprozess kreativ zu agieren, sei ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit im Sinne der Grounded Theory, um Vorannahmen aufzubrechen und aus bestehendem Datenmaterial neue Erkenntnisse zu ziehen: „Kreativität manifestiert sich in der Fähigkeit des Forschers, Kategorien treffend zu bezeichnen, seine Gedanken schweifen zu lassen, freie Assoziationen zu bilden, die für das Stellen anregender Fragen notwendig sind, und Vergleiche anzustellen, die zu neuen Entdeckungen führen.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 12)

Der Bezug auf die klassischen – aus der quantitativ-standardisierten Forschung stammenden – Gütekriterien Reliabilität, Validität und Objektivität erscheint aufgrund der Besonderheiten qualitativer Forschung wenig sinnvoll (Bohnsack et al., 2018; Flick, 2017). Die Verfahren der Grounded Theory seien jedoch „so entworfen, daß die Methode bei sorgfältiger Anwendung die Kriterien für eine ‚gute‘ Wissenschaft erfüllt: Signifikanz, Vereinbarkeit von Theorie und Beobachtung, Generalisierbarkeit, Reproduzierbarkeit, Präzision, Regelgeleitetheit und Verifizierbarkeit“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 11 f.). Dennoch müssen auch hier die Begrifflichkeiten in ihrer Aussagekraft differenziert betrachtet werden, so ist beispielsweise die Generalisierbarkeit etwa „nicht im Sinne einer statistischen Repräsentativität gemeint, sondern einer theoretischen Plausibilität“ (Brüsemeister, 2008, S. 153).

3.2 Methodische Zugänge

Nach der allgemeinen Betrachtung der Forschungslogik, einer Darstellung der Rolle der*des Forschenden sowie einer Vorstellung zentraler Gütekriterien qualitativer Forschung im vorangegangenen Kapitel soll nun auf die gegenständliche Forschung im Detail eingegangen werden. Konkret wird das Forschungsdesign dargestellt und die Methode zur Datenerhebung, das Vorgehen bei der Fallauswahl und der Datenauswertung sowie das Untersuchungsfeld und das Transkriptionsverfahren beschrieben.

3.2.1 Forschungsdesign

Das Forschungsdesign wurde aus einer Zusammenschau unterschiedlicher Einflussfaktoren konzipiert (siehe Abbildung 3.2). „Forschungsdesigns lassen sich als Mittel beschreiben, Studien sinnvoll zu planen und deren Ziele zu erreichen.“ (Flick, 2017, S. 176)

Abbildung 3.2
figure 2

(Eigene Darstellung)

Einflussfaktoren des Forschungsdesigns (Flick, 2017, S. 177).

Die vorliegende Untersuchung wurde als explorative Studie konzipiert, die vielfältige Sichtweisen von Lehrkräften auf das Medium Erklärvideo erheben, vergleichen und gesammelt darstellen soll. „Bei vergleichenden Studien wird der Fall nicht in seiner Komplexität und Ganzheit betrachtet, sondern eine Vielzahl von Fällen in Hinblick auf bestimmte Ausschnitte.“ (Flick, 2017, S. 179) Das Ziel des Forschungsvorhabens, ein Rahmenmodell zum Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht zu entwickeln, soll dadurch erreicht werden, dass unterschiedliche Aussagen von Lehrkräften zum Erklärvideoeinsatz analysiert und „komparativ oder kontrastierend gegenübergestellt werden“ (Flick, 2017, S. 180). Die „[q]ualitative Bildungsforschung setzt methodische Strategien qualitativer Sozialforschung ein, um Bildung zu erforschen“ (Kergel, 2018, S. 48). Dabei werden u. a. „Faktoren herausgearbeitet, die Bildungsgeschehen ermöglichen – z. B. die Analyse von Faktoren, die einen Bildungsraum konstituieren“ (Kergel, 2018, S. 49). Methodisch wurde für die Datenerhebung auf das fokussierte Interview zurückgegriffen, auf das im folgenden Kapitel eingegangen wird. Die Datenauswertung orientierte sich wie bereits erwähnt an der GTM mit ihren unterschiedlichen Phasen des Kodierens (mehr dazu in Abschnitt 3.2.4).

3.2.2 Methode zur Datenerhebung

„Entdeckungen sind das Ziel der Grounded Theory, deswegen muß die Datenerhebung – und das damit verbundene theoretische Sampling – so strukturiert werden, daß Entdeckungen ermöglicht werden!“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 152)

Zur Erhebung der Daten wurden im Zuge des vorliegenden Forschungsvorhabens qualitative Interviews geführt. „Blickt man auf das Methodenrepertoire qualitativer Empirie, so zählen Interviews zu den wohl beliebtesten Erhebungsverfahren.“ (Bohnsack et al., 2018, S. 123) Genutzt wurde eine leicht adaptierte Form der Methode des fokussierten Interviews. Ursprünglich in den 1940er-Jahren entwickelt, um die „Wirkungen von Medien in der Massenkommunikation“ (Flick, 2017, S. 195) zu untersuchen, bauten Merton et al. (1956) das fokussierte Interview zu einem eigenständigen wissenschaftlichen Erhebungsverfahren aus. Das fokussierte Interview gilt als „eine der ältesten Formen qualitativer Interviews“ (Lamnek & Krell, 2016, S. 349).

Den Anfang eines fokussierten Interviews bildet eine konkrete Situation, die alle Interviewten erleben. „Man weiß von den interviewten Personen, daß sie eine ganz konkrete Situation erlebt haben: Sie haben einen Film gesehen; ein Rundfunkprogramm gehört; eine Broschüre, einen Artikel oder ein Buch gelesen […].“ (Merton & Kendall, 1984, S. 171) Zu Beginn jedes Interviews wurde den Gesprächsteilnehmenden ein Erklärvideo aus dem Sachunterricht gezeigt, welches die Qualitätskriterien erfüllt, die in Abschnitt 2.3.5 beschrieben wurden (z. B. das Video „Was passiert beim Impfen?“ – https://youtu.be/_i-gCMz6Hik, Abbildung 3.3). Im Anschluss daran wurde über das gezeigte Video gesprochen und in weiterer Folge die Sichtweisen der Lehrkraft zu unterschiedlichen Facetten der Erklärvideonutzung im Sachunterricht erfragt, wobei immer wieder auf das eingangs gezeigte Video Bezug genommen wurde. Für die Durchführung der Interviews wurde ein allgemeiner Leitfaden zusammengestellt, um „eine bessere Vergleichbarkeit der in den verschiedenen Interviews erhobenen Daten“ (Merton & Kendall, 1984, S. 184) sicherzustellen. Bei der Erstellung des Interviewleitfadens wurden einerseits jene Fragen berücksichtigt, die sich während der Auseinandersetzung mit der themenbezogenen Fachliteratur ergeben haben, andererseits wurden auch Fragen aus den Teilfragen der übergreifenden Forschungsfrage abgeleitet. Ziel des Gesprächs war jedoch nicht das starre Abarbeiten des Leitfadens, sondern die Schaffung einer möglichst natürlichen Gesprächssituation. „Nur eine flexible Handhabung des Leitfadens eröffnet einen Zugang zu den Sinnzusammenhängen, in denen die berichteten Handlungen und Erfahrungen der Interviewten verortet sind.“ (Bohnsack et al., 2018, S. 152) Die Interviewten wurden auch aufgefordert, aus ihrem Unterrichtsalltag zu erzählen und – sofern vorhanden – konkrete Beispiele zu ihrem Umgang mit dem audiovisuellen Medium Erklärvideo im Sachunterricht einzubringen, mit dem Ziel, „die subjektiven Erfahrungen der Personen“ (Merton & Kendall, 1984, S. 171) zu explizieren.

Abbildung 3.3
figure 3

Screenshot aus dem Erklärvideo „Was passiert beim Impfen?“

Der Interviewleitfaden veränderte sich im Laufe der Datenerhebung immer wieder aufgrund neu gewonnener Einsichten aus vorangegangenen Interviews oder geänderter Schwerpunktsetzungen, und um Lücken in den Daten zu füllen. Ein solches Vorgehen entspricht auch der Intention von Strauss und Corbin (1996, S. 152): „Sobald die Datenerhebung beginnt, sollten die anfänglichen Interview- oder Beobachtungs-Leitfäden genau das sein: nur anfängliche Leitfäden.“ In Anhang A im elektronischen Zusatzmaterial befinden sich der Leitfaden (V1), der bei den ersten Interviews verwendet wurde, sowie der Leitfaden (V4), der bei den letzten Interviews zum Einsatz kam. Je nach Gesprächsverlauf wurden die Fragen entsprechend adaptiert oder gegebenenfalls auch weggelassen. Die Reihenfolge, in der die Fragen gestellt wurden, variierte und ergab sich zumeist aus dem natürlichen Gesprächsverlauf.

Zentraler Teil bei der Durchführung fokussierter Interviews ist Merton und Kendall zufolge (1984, S. 178 ff.) die Beachtung von vier Kriterien:

  • Das Kriterium der Nicht-Beeinflussung: Interviewpartner*innen sollen die Gelegenheit bekommen, „sich über Dinge zu äußern, die für sie von zentraler Bedeutung sind, und nicht über Dinge, die dem Interviewer wichtig erscheinen“ (Merton & Kendall, 1984, S. 179). Abschweifungen würden aufgrund des fokussierten Charakters der Interviewmethode ohnehin seltener auftreten als bei anderen Interviewformaten.

  • Das Kriterium der Spezifität: Im fokussierten Interview geht es darum, dass die Interviewten ihre Standpunkte nicht bloß verkürzt darstellen, sondern ganz spezifisch „eine genaue Beschreibung der ursprünglichen Erfahrung“ (Merton & Kendall, 1984, S. 187) wiedergeben, also unterschiedliche Situationen und ihre Reaktionen darauf vergegenwärtigen und verbalisieren.

  • Erfassung eines breiten Spektrums: Bei der Durchführung eines fokussierten Interviews soll sichergestellt werden, dass alle Facetten eines Themas besprochen werden. „Je reichhaltiger das Material ist und je stärker die Themenwechsel und -verknüpfungen von den Befragten ausgehen, desto größer die Chance, neue relevante Zusammenhänge im Material zu entdecken.“ (Strübing, 2013, S. 85 f.)

  • Das Kriterium der Tiefgründigkeit: Die Interviewten sollen dazu angeregt werden, ihre Wahrnehmungen möglichst tiefgründig zu beschreiben und damit auch „die Ermittlung des Einflusses früherer Erfahrungen und Prädispositionen“ (Merton & Kendall, 1984, S. 198) zu ermöglichen.

„Oft veranlasst ein Interview, über etwas nachzudenken, worüber man sonst nicht nachdenken würde.“ (Aeppli et al., 2014, S. 184) Um auch derartige Gedanken über den Verlauf des Forschungsprozesses in strukturierter Form festhalten zu können, beschreibt die GTM ergänzende Verfahren, konkret das Anfertigen von Memos und Diagrammen:

„Memos stellen die schriftlichen Formen unseres abstrakten Denkens über die Daten dar. Diagramme sind graphische Darstellungen oder visuelle Bilder von Beziehungen zwischen Konzepten. […] Das Erstellen von Memos und Diagrammen beginnt am Anfang eines Forschungsprojektes und hält bis zum abschließenden Bericht an.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 170)

Strauss und Corbin (1996, S. 192) sehen in Memos und Diagrammen auch zentrale Verfahren für die Analyse: „Sie ermöglichen dem Analysierenden ein kontinuierliches Protokoll über den analytischen Prozeß. Memos enthalten die Ergebnisse des tatsächlichen Kodierens einschließlich theoretisch sensibilisierender und zusammenfassender Notizen. […] Diagramme sind visuelle Repräsentationen der Beziehungen zwischen Konzepten.“ Detailliert wird auf die Datenauswertung in Abschnitt 3.2.4 eingegangen. Davor soll noch das Vorgehen hinsichtlich der Transkription und Anonymisierung der Interviewdaten dargestellt werden.

3.2.3 Aufzeichnung, Transkription und Anonymisierung der Interviews

Alle Interviews wurden – teilweise aufgrund der Kontaktbeschränkungen im Zuge der Coronapandemie, teilweise infolge der großen geografischen Distanzen zu manchen Interviewten – über das Online-Videokonferenzsystem „Zoom“ geführt. „Zoom“ ist eine internetbasierte Kommunikationsplattform, die einen Austausch mittels Audio- und Videosignalen ermöglicht (Zoom, 2022). Zum Führen der Interviews wurde die kostenlose „Basic“-Lizenz genutzt, die zum Untersuchungszeitpunkt bei zwei Teilnehmenden Konferenzen ohne zeitliche oder funktionale Einschränkung ermöglichte. Das Einspielen des Erklärvideos zu Beginn der Interviews und die Aufzeichnung der Gespräche konnten direkt über „Zoom“ erfolgen. Alle Interviewpartner*innen stimmten vorab der digitalen Aufzeichnung des Interviews und der Weiterverarbeitung der Gesprächsinhalte zu. Die Videodateien wurden auf dem Computer des Forschenden abgespeichert, wobei ausschließlich die Audiospur für die Transkription weiterverarbeitet wurde. Transkriptionen stellen „eine wichtige Grundlage zur Auswertung der Interviews“ dar, die es erlauben, „das Gesagte aus Distanz und ohne Zeitdruck und daher genauer zu studieren“ (Aeppli et al., 2014, S. 190). Alle Interviews, die im Zuge dieser Arbeit geführt wurden, sind zu Auswertungszwecken vollständig transkribiert worden. Im Folgenden wird beschrieben, wie dabei vorgegangen wurde.

Transkriptionsregeln sollen Aeppli et al. zufolge (2014, S. 190) so gewählt werden, „dass sie die Beantwortung der Forschungsfrage unterstützen“. Wichtige Kriterien bei der Verschriftlichung waren deshalb die „Handhabbarkeit […], Lesbarkeit, Lernbarkeit und Interpretierbarkeit“ des Transkripts (Bruce, 1992; zitiert nach Flick, 2017, S. 380). Flick (2017, S. 380) empfiehlt in diesem Zusammenhang, „nur so viel und so genau zu transkribieren, wie die Fragestellung erfordert“. Da für die vorliegende Forschungsarbeit ausschließlich der Inhalt und nicht die Form des sprachlichen Austauschs von Relevanz war, kamen folgende einfache Transkriptionsregeln zur Anwendung:

  • Das Gesprochene wird zur einfacheren Lesbarkeit leicht bearbeitet: Orthografie wird bereinigt, Dialekt wird in Schriftsprache übersetzt.

  • Lautäußerungen und paraverbale Merkmale (Räuspern, Lachen, Stimmmodulationen) werden nicht transkribiert.

  • Sprecher*innen-Wechsel werden durch einen Absatz gekennzeichnet.

  • Wort- oder Satzabbrüche werden mit „-“ gekennzeichnet.

  • Pausen werden mit „…“ gekennzeichnet.

Auch wenn die Empfehlung von Strauss und Corbin (1996, S. 14) lautet, „nur so viel wie nötig zu transkribieren“, war für die vorliegende Forschung vorab nicht abzuschätzen, welche Gesprächsteile von Relevanz sein würden und welche nicht, weshalb alle Interviews vollständig transkribiert wurden. Die Transkripte der Interviews wurde manuell mithilfe der kostenpflichtigen Software „f4transkript“Footnote 2 der Firma „audiotranskriptionen – dr. dresing & pehl GmbH“ vom Forschenden selbst angefertigt. Zeitmarken am Ende jedes Absatzes wurden vom Programm automatisch eingefügt.

Während der Transkription der Interviews erfolgte auch die Anonymisierung. Ortsnamen, Schulbezeichnungen oder genannte Personennamen wurden durch allgemeine Bezeichnungen ersetzt. Die Interviewpartner*innen bekamen die Kurzbezeichnung „IP“ gefolgt von einer Zahl, die sich chronologisch nach dem Interviewzeitpunkt richtete, zugewiesen. Bei Zitaten aus den Interviewtranskripten wird neben der Kurzbezeichnung auch der Absatz angegeben, aus dem eine entsprechende Aussage stammt, z. B. „(IP1, 25)“. Zwei Beispieltranskripte befinden sich in Anhang B im elektronischen Zusatzmaterial.

Die Forschungsmemos wurden über den gesamten Projektverlauf hinweg in dem kostenpflichtigen computerbasierten QDAFootnote 3-Programm „Atlas.ti“Footnote 4 festgehalten. In diesem Programm erfolgte auch die Kodierung. Die GTM sieht grundsätzlich vor, dass jedes Interview transkribiert und analysiert wird, bevor das nächste Gespräch erfolgt:

„Die Vorgehensweise gemäß dem Analysestil der Grounded Theory ist normalerweise wie folgt: Die allerersten Interviews oder Feldnotizen sollten vollständig transkribiert und analysiert werden, bevor man das nächste Interview oder die nächste Feldbeobachtung durchführt. Das frühe Kodieren leitet die folgenden Feldbeobachtungen und/oder Interviews […].“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 14)

Für die vorliegende Studie wurde ein leicht adaptiertes Vorgehen gewählt: Grundsätzlich wurden die Interviews unmittelbar transkribiert und vor dem nächsten Interview auch ausgewertet. Aufgrund der zeitlichen Nähe mancher Interviews zueinander war dies jedoch nicht bei allen Gesprächen möglich. Aus diesem Grund wurden die Interviewpartner*innen in mehrere Cluster zusammengefasst, wobei jeder Cluster zuerst komplett ausgewertet und die Ergebnisse verschriftlicht wurden, bevor die Interviews mit dem nächsten Cluster erfolgten. Der bereits beschriebene iterative Prozess aus Datenerhebung und -auswertung (siehe Abschnitt 3.1.1) wurde also einerseits – soweit möglich – innerhalb der Cluster umgesetzt, zusätzlich aber auch durch die zeitliche Trennung der Interviewcluster sichergestellt, um genügend Zeit für die Auswertung und die Verschriftlichung der Ergebnisse zu haben. Die Erkenntnisse aus einem Interviewcluster bzw. dort identifizierte Lücken in den Daten wurden durch verstärkte Schwerpunktsetzungen in der nachfolgenden Erhebungs- und Auswertungsphase besonders berücksichtigt. Mit diesem Vorgehen wurde versucht, sich schrittweise der Entwicklung eines gegenstandsbezogenen Modells zum Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht aus Sicht der Lehrer*innen anzunähern. Wie im Zuge der Datenauswertung vorgegangen wurde, wird im nächsten Kapitel beschrieben.

3.2.4 Datenauswertung in der Grounded-Theory-Methodologie

„Analyse in der Grounded Theory besteht aus sehr sorgfältigem Kodieren der Daten, welches hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, durch eine mikroskopische Untersuchung der Daten geschieht. Es gibt drei Haupttypen des Kodierens: Das a) offene Kodieren, b) axiale Kodieren und c) selektive Kodieren.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 40)

Das Aufbrechen und Interpretieren der Daten aus den Interviews erfolgte in dieser Studie nach dem Konzept des theoretischen Kodierens. „Kodieren stellt die Vorgehensweise dar, durch die die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt werden. Es ist der zentrale Prozeß, durch den aus den Daten Theorien entwickelt werden.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 39) Um aus gesammelten Daten Aussagen ableiten zu können, wird der Kodierprozess bei der GTM in drei Schritte unterteilt: das offene, axiale und selektive Kodieren. In frühen Phasen der Untersuchung wird vorrangig das offene und axiale Kodieren verwendet, später – zum Entwickeln einer gegenstandsbezogenen Theorie – auch das selektive Kodieren. Die Datenerhebung und -analyse sind dabei eng miteinander verwobene Prozesse.

In der Phase des offenen Kodierens geht es zuallererst um das „Benennen und Kategorisieren der Phänomene“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 44) auf Basis einer eingehenden Untersuchung des Datenmaterials. „Während des offenen Kodierens werden die Daten in einzelne Teile aufgebrochen, gründlich untersucht, auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin verglichen, und es werden Fragen über die Phänomene gestellt, wie sie sich in den Daten widerspiegeln.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 44) Die Phasen des offenen Kodierens werden wie folgt beschrieben (Strauss & Corbin, 1996, S. 45 ff.):

  1. 1.

    Benennen der Phänomene: In diesem Schritt sollen die Daten konzeptualisiert, also in deskriptiver Weise zusammengefasst werden (z. B. in einer Phrase oder in einem Wort). Die hier gefundenen Konzepte beschreiben Strauss und Corbin (1996, S. 54) als „die grundlegenden Bausteine einer Theorie“.

  2. 2.

    Entdecken von Kategorien: Konzepte sollen in diesem Schritt um Phänomene gruppiert werden, damit die Anzahl der Einheiten, mit denen man arbeiten muss, reduziert wird. „Der Prozeß des Gruppierens der Konzepte, die zu demselben Phänomen zu gehören scheinen, wird Kategorisieren genannt.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 47)

  3. 3.

    Benennen einer Kategorie: Der Kategorie eine Bezeichnung zu geben, ist wichtig, um mit ihr weiterarbeiten zu können. Mögliche Quellen für die Namensfindung können Ableitungen von Begriffen aus der Fachliteratur sein, es können aber auch Namen verwendet werden, die von der beforschten Personengruppe genannt werden, sogenannte „In-vivo-Kodes“.

Für die vorliegende Forschungsarbeit wurden die Kodes, Kategorien etc. mithilfe der QDA-Software „Atlas.ti“ festgehalten. Dafür wurden die Interviewtranskripte in Atlas.ti geöffnet, durchgearbeitet und entsprechende Textabschnitte als Zitate markiert und mit Kodes versehen. Die Kodes wurden auch anhand von Kodenotizen vertiefend beschrieben. Wichtige Erkenntnisse beim Kodierprozess wurden in Form eines Forschungsmemos (direkt in Atlas.ti) festgehalten. Ähnliche oder vermehrt auftretende Kodes wurden zu Kategorien zusammengefasst. „Die verschiedenen Datenquellen werden hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede verglichen“ (Brüsemeister, 2008, S. 152), mit dem Ziel der „Entdeckung und Spezifikation von Unterschieden wie auch Ähnlichkeiten zwischen und innerhalb von Kategorien“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 89).

„Ergebnisse des offenen Kodierens sollten eine Liste der vergebenen Kodes und Kategorien sein, ergänzt um die zur Erläuterung und inhaltlichen Definition von Kodes und Kategorien angelegten Kodenotizen und eine Vielzahl von Memos, die Auffälligkeiten im Material und für die zu entwickelnde Theorie relevante Gedanken enthalten.“ (Flick, 2017, S. 392)

Für Strauss und Corbin (1996, S. 51) ist es darüber hinaus wichtig, zu den gefundenen Kategorien „Eigenschaften und Dimensionen zu erkennen und systematisch zu entwickeln, weil sie die Grundlage bilden, um Beziehungen zwischen Kategorien und Subkategorien – und später auch zwischen Hauptkategorien – herauszuarbeiten“. Zusammenfassend beschreiben Strauss und Corbin (1996, S. 54) das offene Kodieren im Sinne der Grounded Theory als Prozess, „durch den Konzepte identifiziert und in Bezug auf ihre Eigenschaften und Dimensionen entwickelt werden“, oder mit anderen Worten: Das offene Kodieren „bricht die Daten auf und erlaubt es, einige Kategorien, deren Eigenschaften und dimensionale Ausprägungen zu identifizieren“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 76).

Das axiale Kodieren wiederum „fügt diese Daten auf neue Art wieder zusammen, indem Verbindungen zwischen einer Kategorie und ihren Subkategorien ermittelt werden“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 76). Zentral beim axialen Kodieren ist der Prozess „des In-Beziehung-Setzens der Subkategorien zu einer Kategorie“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 92). Um Forschende bei dieser komplexen Aufgabe des In-Beziehung-Setzens zwischen Subkategorie und Kategorie zu unterstützen, stellen Strauss und Corbin (1996) ein paradigmatisches Modell zur systematischen Einordnung der Arten von Beziehungen zur Verfügung (siehe Abbildung 3.4). Damit soll deutlich werden, ob es sich bei den Subkategorien um „ursächliche Bedingungen, […] Kontext, intervenierende Bedingungen, Handlungs- und interaktionale Strategien [oder] Konsequenzen“ handelt (Strauss & Corbin, 1996, S. 78). Dabei müssen die „aufgestellten Beziehungen wieder und wieder in den Daten bestätigt werden“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 90).

Abbildung 3.4
figure 4

(Eigene Darstellung)

Das paradigmatische Modell von Strauss und Corbin (1996, S. 76).

Offenes und axiales Kodieren sind zwar getrennte analytische Verfahren, Forschende wechseln bei der Analyse aber zwischen beiden Verfahren kontinuierlich hin und her. Eine wichtige Arbeitsweise im Sinne der Grounded Theory ist es, immer wieder Fragen an das Datenmaterial zu stellen – empfohlen werden hier z. B. die sieben W-Fragen –, um die Daten vertiefend zu durchdringen (Strauss & Corbin, 1996).

Beim selektiven Kodieren wird das Vorgehen des axialen Kodierens „auf einer höheren, abstrakteren Ebene der Analyse“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 95) fortgeführt. Flick (2017, S. 396 f.) benennt als Ziel des selektiven Kodierens „die Herausarbeitung der Kernkategorie, um die herum sich die anderen entwickelten Kategorien gruppieren lassen und durch die sie integriert werden“. Mögliche Arbeitsschritte der Forschenden im Zuge des selektiven Kodierens sind (Strauss & Corbin, 1996, S. 96 ff.):

  • Darlegen des roten Fadens

  • Identifizieren der Geschichte

  • Auswahl zwischen zwei und mehr hervortretenden Phänomenen

  • Bestimmung der Eigenschaften und Dimensionen der Kernkategorie

  • Verbinden anderer Kategorien mit der Kernkategorie

  • Validieren der Beziehungen

  • Aufdecken der Muster

  • Systematisieren und Verfestigen von Verbindungen

  • Gruppieren der Kategorien

  • Verankern der Theorie in den Daten

  • Entwurf der Theorie

  • Aufstellen und Validieren von Aussagen über Beziehungen

Das Integrieren der Kategorien zu einer gegenstandsbezogenen Theorie bezeichnen Strauss und Corbin (1996, S. 117) als „die schwierigste Aufgabe“ im Verlauf der Forschung, mit der „sogar erfahrene Forscher […] zu kämpfen“ hätten. Das Befolgen der Arbeitsschritte soll bei der Bewältigung dieser Aufgabe eine Unterstützung sein. „Alle Verfahren der Grounded Theory zielen auf das Identifizieren, Entwickeln und Inbeziehungsetzen von Konzepten ab.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 149) Eine wichtige Hilfestellung beim Kodieren stellt das Anfertigen von Memos und Diagrammen dar:

„Memos und Diagramme sind essentielle Verfahren beim Analysieren, die entsprechend den drei Formen des Kodierens variieren. Sie ermöglichen dem Analysierenden ein kontinuierliches Protokoll über den analytischen Prozeß. Memos enthalten die Ergebnisse des tatsächlichen Kodierens einschließlich theoretisch sensibilisierender und zusammenfassender Notizen. […] Diagramme sind visuelle Repräsentationen der Beziehungen zwischen Konzepten.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 192)

Das Kodieren sowie das Anfertigen der Memos und Diagramme erfolgte mithilfe des Computerprogramms Atlas.ti. Das Programm wurde von Thomas Muhr an der TU Berlin entwickelt und „unterstützt die verschiedenen Kodierungsformen nach Strauss bzw. Glaser“ (Flick, 2017, S. 463), eignet sich damit also in besonderer Weise für die Arbeit im Sinne der GTM bzw. für die Bildung gegenstandsbezogener Theorien. Die Verwendung von QDA-Software wie Atlas.ti soll auch eine transparente Nachvollziehbarkeit der Kategorienbildung über den gesamten Kodierprozess hinweg gewährleisten.

Ein weiteres zentrales Element der GTM betrifft die Fallauswahl, also für die vorliegende Arbeit die Frage nach der Zusammensetzung und Anzahl der Interviewpartner*innen, das theoretische Sampling. Neben der theoretischen Sensibilität (siehe Abschnitt 3.1.1) ist das theoretische Sampling die zweite wichtige Komponente, die Einfluss auf den analytischen Prozess hinsichtlich des Kodierens und der Theorieentwicklung entfaltet. Im folgenden Teil wird auf das theoretische Sampling und seine Ausgestaltung im Zuge des Forschungsprozesses in dieser Arbeit eingegangen.

3.2.5 Fallauswahl – Theoretisches Sampling

„Prinzipiell eröffnen qualitative Verfahren die Möglichkeit, sich die Auswahl der Fälle im Forschungsprozess [offenzuhalten], und zwar je nach den Zwischenbefunden, die sich aus einzelnen Fallauswertungen ergeben.“ (Brüsemeister, 2008, S. 172)

„Die Frage des Samples bzw. der Fallauswahl oder Stichprobe stellt eine zentrale Entscheidung für jeden Forschungsprozess dar.“ (Kergel, 2018, S. 66) Gerade qualitative Forschungsvorhaben, die ihre Daten auf Basis von Interviews beziehen und die im Vergleich zu quantitativen Methoden meist eine wesentlich geringere Stichprobengröße aufweisen, benötigen klar nachvollziehbare Verfahren für die Auswahl der Interviewpartner*innen:

„Es geht der qualitativen Forschung nicht darum, ob die vorab ausgewählten Personengruppen in einem statistischen Sinne repräsentativ sind, sondern ob deren Handlungsmuster und die theoretischen Bausteine, die man aus ihnen entwickelt, breit genug streuen, so dass sich das untersuchte Phänomen ausreichend erklären lässt. Die qualitative Forschung ist demnach immer an einer theoretisch begründeten Stichprobenauswahl im Gegensatz zu einer statistisch repräsentativen Stichprobenfestlegung in quantitativen Ansätzen interessiert.“ (Brüsemeister, 2008, S. 173)

In der GTM wird in diesem Zusammenhang der Ansatz des theoretischen Samplings verfolgt:

„Im Gegensatz zu anderen Forschungsverfahren wird die Stichprobe nicht vorgängig festgelegt, sondern im Verlaufe des Forschungsprozesses bestimmt. Dabei ist nicht die (statistische) Repräsentativität der Stichprobe im Hinblick auf eine Gesamtpopulation von Bedeutung, sondern vielmehr ihre theoretische Repräsentativität. Das [heißt][,] im Zentrum steht die Frage danach, welcher nächste Fall das bereits gewonnene Wissen theoretisch sinnvoll erweitern und bereichern könnte.“ (Aeppli et al., 2014, S. 254)

Um diese theoretische Repräsentativität – bzw. „Repräsentativität der Konzepte“, wie Strauss und Corbin (1996, S. 161) es nennen – zu erreichen und dem explorativen Forschungsinteresse nachzukommen, wurde der Versuch unternommen, bei den befragten Volks- und Grundschullehrenden ein möglichst breites Spektrum unterschiedlicher Merkmale abzubilden (mehr dazu in Abschnitt 3.2.6). Hierfür wurde einerseits innerhalb der jeweiligen Cluster versucht, eine große Vielfalt an Lehrer*innen abzubilden, andererseits wurden – auf Basis der vorangegangenen Datenerhebungen und -analysen – für den nachfolgenden Cluster Überlegungen angestellt, welche Gruppe an Lehrkräften als Nächstes befragt werden sollte.

Das Problem einer solchen Vorgehensweise bei der Fallauswahl sehen Strauss und Corbin (1996, S. 164) darin, dass Forschende „oft nicht über einen Zugang zu genau den Personen verfügen, die aus theoretischen Gründen als nächste interviewt werden sollten“, weshalb es für Forschende notwendig werde, „intensives theoretisches Sampling innerhalb ihrer tatsächlichen Daten“ durchzuführen. Dabei unterscheidet sich das Vorgehen beim Sampling je nach Phase des Kodierens (Strauss & Corbin, 1996, S. 153 ff.):

  • Beim offenen Kodieren sollte das Ziel des Samplings sein, „so viele möglicherweise relevante Kategorien wie möglich aufzudecken, einschließlich ihrer Eigenschaften und Dimensionen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 153). Weil noch nicht klar erkannt werden kann, welche Konzepte sich als theoretisch relevant erweisen, sollte die Auswahl der Samples durch eine möglichst große Offenheit gekennzeichnet sein.

  • Auch das axiale Kodieren wird von der Suche nach theoretisch relevanten Konzepten geleitet, allerdings ändert sich der Fokus des Samplings: Analog zum Ziel des axialen Kodierens, dem In-Beziehung-Setzen der Kategorien und Subkategorien, sollte sich das Sampling „jetzt auf das Aufdecken und Validieren dieser Beziehungen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 156) konzentrieren. Außerdem sollen über die Sample-Auswahl weitere Beispiele für Situationen gesammelt werden, „die auf Unterschiede und Veränderungen in den Bedingungen, dem Kontext, [in] Handeln/Interaktion und Konsequenzen verweisen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 156).

  • Um das Ziel des selektiven Kodierens (Integrieren der Kategorien, Bildung einer gegenstandsbezogenen Theorie) zu unterstützen, muss das Sampling an dieser Stelle „gut gelenkt und überlegt werden – mit bewußten Wahlen, wer und was erhoben werden soll, damit die notwendigen zusätzlichen Daten erhalten werden“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 158). Hierfür wird auf den Prozess des diskriminierenden Samplings zurückgegriffen, dabei wählt die*der Forschende „solche Orte, Personen und Dokumente, die die Chance zum Verifizieren des Fadens in der Geschichte, der Beziehungen zwischen den Kategorien und zum Auffüllen spärlich entwickelter Kategorien maximieren“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 158).

Das Sampling ist im Sinne der GTM so lange fortzusetzen, „bis für jede Kategorie theoretische Sättigung erreicht ist“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 159). Eine theoretische Sättigung äußert sich dadurch, dass

  1. 1.

    „keine neuen oder bedeutsamen Daten mehr in bezug auf eine Kategorie aufzutauchen scheinen;

  2. 2.

    Die Kategorienentwicklung dicht ist, insoweit als alle paradigmatische[n] Elemente einschließlich Variation und Prozeß berücksichtigt wurden;

  3. 3.

    Die Beziehungen zwischen Kategorien gut ausgearbeitet und validiert sind.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 159)

Nach Klärung des Vorgehens bei der Fallauswahl soll nun noch das Untersuchungsfeld konkret umrissen werden.

3.2.6 Beschreibung des Untersuchungsfeldes

Wie bereits erwähnt, gehören die Interviewpartner*innen, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung befragt wurden, der Berufsgruppe der Volks- bzw. Grundschullehrer*innen an. Um ein möglichst breites Spektrum an Sichtweisen auf das audiovisuelle Erklärmedium und den Umgang mit ebendiesem zu erhalten, wurde bei der Auswahl der Befragten im Sinne des explorativen Interesses des Forschungsvorhabens versucht, eine große Bandbreite hinsichtlich folgender Merkmale anzustreben:

  • Dienstalter

  • Schulgröße

  • Klassengröße

  • Schulumfeld (städtisch oder ländlich)

  • Funktion innerhalb der Schule (Klassenlehrer*in, Fachsprecher*in, mit/ohne Leitungsfunktion)

  • Geschlecht

  • Unterschiede in der Ausbildung der Lehrkräfte

Flick (2017, S. 143) beschreibt als wichtige Voraussetzung für gelingende qualitative Forschungsvorhaben, dass es den Forschenden gelingt, „Zugang zu einem Feld und zu den darin besonders interessierenden Personen und Prozessen“ zu finden. Der Verfasser dieser Arbeit ist seit 2012 in unterschiedlichen Institutionen im Bereich der Lehrer*innen-Bildung im Primarstufenbereich in Österreich und als Lehrender seit 2016 auch an einer Universität in Deutschland tätig und verfügt damit über Kontakte zu einer Vielzahl von Lehrkräften, die für ein Interview zum Forschungsgegenstand potenziell infrage gekommen sind. Um weitere Lehrer*innen zu erreichen, wurden auch Kontakte über Dritte (z. B. Unterrichtende in Österreich und Deutschland) angebahnt bzw. über soziale Netzwerke im Internet akquiriert.

Nachdem die methodologischen Überlegungen und die methodischen Zugänge offengelegt wurden, erfolgt nun die detaillierte Darstellung der Untersuchungsergebnisse.

3.3 Untersuchungsergebnisse

Für die vorliegende Studie wurden zwischen August 2021 und Oktober 2022 insgesamt 24 fokussierte Interviews mit Sachunterrichtslehrkräften durchgeführt, wobei zwölf der Interviewpartner*innen österreichische Volksschullehrer*innen waren, die anderen zwölf arbeiteten als Grundschullehrer*innen in Deutschland. Begleitend zur Durchführung der Untersuchung wurde im Sinne der GTM ein Forschungsmemo verfasst, in dem wichtige Erkenntnisse im Zuge der Datenerhebung und -auswertung festgehalten wurden. Wie bereits in Abschnitt 3.2.3 angemerkt, wurden die Interviewpartner*innen für eine bessere Handhabbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Erhebungs- und Auswertungsprozesses in mehrere Cluster eingeteilt. Insgesamt waren es am Ende der Untersuchung drei Cluster mit jeweils acht Lehrkräften:

  • Cluster 1 bestand aus acht österreichischen Volksschullehrkräften, die Durchführung und Auswertung der Interviews geschah zwischen August 2021 und Februar 2022.

  • In Cluster 2 wurden vier Interviews mit österreichischen Volksschullehrkräften und vier Interviews mit deutschen Grundschullehrkräften zwischen März 2022 und Juli 2022 geführt und ausgewertet.

  • Cluster 3 umfasste acht deutsche Grundschullehrer*innen, mit denen die letzten Interviews für die vorliegende Studie zwischen Juli 2022 und Oktober 2022 geführt wurden.

3.3.1 Cluster 1 – Fallauswahl und Verlauf der Datenerhebung

Ziel der ersten Datenerhebungsphase – und damit auch leitendes Prinzip beim theoretischen Sampling – war das Identifizieren möglichst vielfältiger Sichtweisen auf den Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht. In Cluster 1 wurden ausschließlich Interviews mit österreichischen Volksschullehrkräften geführt, die Durchführung der acht Interviews fand zwischen dem 10.08.2021 und dem 28.02.2022 statt, die Transkriptionen und Auswertungsschritte erfolgten parallel zur Datenerhebung bzw. am Ende der ersten Interviewphase.

Zum Einstieg in die empirische Erhebung wurde gezielt eine Interviewpartnerin ausgewählt, die bereits über langjährige Erfahrung beim Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht verfügte und auch schon mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam Erklärvideos erstellt hatte. Dazu ein Auszug aus dem Forschungsmemo:

„Ich kenne IP1 von meiner Zeit als Praxisberater. IP1 hat im Sachunterricht immer wieder neue Technologien ausprobiert und langjährige Erfahrung im Einsatz unterschiedlicher Medien, unter anderem auch mit Erklärvideos. Sie hat die Kinder im Rahmen eines Projekts auch selbst Erklärvideos anfertigen lassen.“ (Forschungsmemo, 10.08.2021)

Anhand dieses ersten Interviews konnten bereits unterschiedliche didaktische Zielsetzungen beim Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht erfasst werden, aber auch erste Grenzen hinsichtlich des Umgangs mit dem audiovisuellen Medium. Gemäß dem Ziel der Erhebung eines möglichst breiten Meinungsspektrums wurde bei der Auswahl der nachfolgenden Interviewpartner*innen der Versuch unternommen, eine große Vielfalt der in Abschnitt 3.2.6 beschriebenen Merkmale abzubilden. Weil IP1 über mehr als 30 Jahre Unterrichtserfahrung im Sachunterricht verfügte, wurden mit IP2, IP3 und IP4 drei Interviewpartnerinnen befragt, die mitten im Berufsleben standen (zwischen zehn und zwanzig Jahren Berufserfahrung). Eine der drei Lehrerinnen unterrichtete in einer städtischen Volksschule, zwei in ländlichen Gegenden. In den ersten vier Interviews zeigten sich bereits sehr unterschiedliche Herangehensweisen an die Arbeit mit dem audiovisuellen Medium im Sachunterricht bzw. Einstellungen dem Medium gegenüber. Auch der Einfluss der Coronapandemie und der damit verbundenen Schulschließungen auf die zunehmende Nutzung von Erklärvideos wurde in diesen Interviews deutlich. Mit IP5 wurde eine Lehrerin befragt, die das beforschte Unterrichtsmedium nicht nur vor dem Hintergrund ihrer fast 30-jährigen Erfahrung als Volksschullehrerin betrachtete, sondern auch im Kontext ihrer aktuellen Tätigkeit als Schulleiterin. IP7 wurde unter anderem deshalb ausgewählt, weil sie neben ihrer langjährigen Berufserfahrung in der Volksschule auch in der Lehramtsausbildung tätig war, wodurch weitere Facetten zum Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht abgebildet werden konnten. Um auch hinsichtlich der Geschlechter eine gewisse Vielfalt zu erzeugen, konnten mit IP6 und IP8 die Sichtweisen zweier männlicher Volksschullehrer mit rund zehn Jahren Berufserfahrung auf das audiovisuelle Unterrichtsmedium erfragt werden. IP8 unterrichtete viele Jahre in einer Volksschule in einer Großstadt, IP6 unterrichtete in einer Kleinstschule und konnte hier aufgrund seiner mehrjährigen Arbeit in Mehrstufenklassen auch Aspekte der Nutzung von Erklärvideos im Sachunterricht unter diesem Blickwinkel einbringen.

Eine Gemeinsamkeit aller Interviewpartner*innen von Cluster 1 war, dass sie – wie im österreichischen Volksschulwesen üblich – neben dem Sachunterricht auch einen Großteil der anderen Schulfächer unterrichteten. Manche der Interviewpartner*innen nannten in diesem Zusammenhang auch immer wieder Beispiele der Erklärvideonutzung in anderen Unterrichtsfächern (z. B. im Mathematikunterricht). Da der Fokus dieser Arbeit explizit auf dem Einsatz des audiovisuellen Unterrichtsmediums im Sachunterricht liegt, wurden jene Interviewpassagen, die sich ausschließlich auf andere Unterrichtsfächer bezogen, beim Kodierprozess ausgeklammert.

Die Durchführung der Interviews im Onlineformat verlief in allen acht Fällen ohne technische Zwischenfälle. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit unterschiedlichen Onlineformaten im Zuge der Coronapandemie stellte die Online-Interviewsituation auch für keine*n der Interviewpartner*innen eine Herausforderung dar. Eine offene und kommunikative Gesprächsatmosphäre war durchwegs gegeben, auch ohne die physische Präsenz der Gesprächspartner*innen. Der einleitende Fokus – das Erklärvideo zu Beginn des Interviews – leistete einen wesentlichen Beitrag, um unmittelbar in das Thema einzusteigen und ein praktisches Beispiel zu haben, an das direkt angeknüpft werden konnte. Die meisten Interviewpartner*innen bezogen auch im Verlauf des Interviews das eingangs gezeigte Erklärvideo immer wieder in ihre Ausführungen mit ein.

3.3.2 Cluster 1 – Ergebnisse der ersten Auswertungsphase

Im Zuge der Auswertungsprozesse der ersten acht Interviews wurde die Sammlung an Kodes kontinuierlich erweitert und ausdifferenziert und die Kodes in weiterer Folge schrittweise zu Kategorien zusammengefasst. Nach dem offenen Kodieren der Gesprächstranskriptionen wurden im Verlauf des axialen Kodierens die Kodes und Kategorien zueinander und zum untersuchten Phänomen in Beziehung gesetzt. Das von Strauss und Corbin (1996) vorgeschlagene Kodierparadigma ermöglichte es, entsprechende Bezugspunkte zwischen einzelnen Aspekten der Erklärvideonutzung herstellen zu können. Über die Analyse der Interviewtranskripte konnten ursächliche Bedingungen der Erklärvideonutzung, Handlungs- und Interaktionsstrategien beim Einsatz der Medien, Kontextfaktoren und intervenierende Bedingungen, die den Gebrauch von Erklärvideos beeinflussen, sowie Konsequenzen für die Arbeit im Sachunterricht festgestellt werden. Dem iterativen Forschungsprozess entsprechend wurden bestehende Kategorien durch neu erhobene empirische Daten aus nachfolgenden Interviews weiter mit Textstellen angereichert und neue Konzepte entdeckt.

Die nun folgende Beschreibung der Detailergebnisse aus Cluster 1 folgt der vorhin beschriebenen Unterteilung in „ursächliche Bedingungen“, „Handlungs- und Interaktionsstrategien“, „Kontext“, „intervenierende Bedingungen“ sowie „Konsequenzen“. Zur Schaffung einer besseren Übersichtlichkeit werden identifizierte Kernkategorien fett und kursiv dargestellt, entsprechende Subkategorien kursiv.

Ursächliche Bedingungen

Hinsichtlich der ursächlichen Bedingungen des Erklärvideoeinsatzes im Sachunterricht zeichneten sich in Cluster 1 zwei zentrale Kategorien ab:

  • Schulschließungen und Fernunterricht im Zuge der Coronapandemie

  • Umgang mit dem Bildungsauftrag des Sachunterrichts

Es ist anzunehmen, dass die Coronapandemie auch aufgrund der zeitlichen Überschneidung mit dem Untersuchungszeitraum für den Großteil der befragten Lehrer*innen ein zentrales Thema – und mitunter auch eine Herausforderung – in ihrem unterrichtlichen Handeln war. In den Interviews wurde deutlich, dass die Corona-Lockdowns und die damit einhergehenden Schulschließungen und Fernunterrichtsphasen einen wesentlichen Grund für eine verstärkte – oder gar erstmalige – Nutzung von Erklärvideos im Sachunterricht (wie auch in anderen Unterrichtsgegenständen) darstellten:

„Ja, durch Corona teilweise mehr … ist es mehr geworden, weil man eben den Kindern … ich hab auch versucht, Erklärvideos selbst zu gestalten, hab aber viele in- also auf YouTube zum Beispiel gibt es wirklich tolle Erklärvideos, die schon einsatzbereit sind. Vorher … vor Corona war’s eher weniger.“ (IP2, 15)

„Ja, also … in Zeiten von Distance Learning hab ich natürlich auch viele verwendet … nicht nur im Sachunterricht, […] eben um den Kindern das besser erklären zu können, damit sie sich das zu Hause noch mal anschauen können, weil ich ja gefehlt hab im Unterricht.“ (IP3, 15)

„Vor dem Lockdown war das nicht so häufig. Während des Lockdowns hast du natürlich im Homeoffice gelernt, wenn die Kinder ein YouTube-Video sehen, ist es viel, viel hilfreicher, als würdest du ihnen jetzt ein Arbeitsblatt zuschicken, wo einfach – z. B. bei den Knochen der Menschen – wo einfach nur beschriftet gehört, wo sind welche Knochen. Ein Kind, zweite, dritte Schulstufe, hat keine Ahnung, das braucht visuell irgendetwas dazu. […] während des Lockdowns kommst du als Lehrer drauf, diese Erklärvideos sind ja eigentlich viel, viel hilfreicher, als sie ursprünglich von mir wahrgenommen wurden, und dementsprechend suchst du jetzt auch, wenn du Unterrichtsvorbereitung machst, sehr, sehr viele auditive Sachen, visuelle Sachen, wenn das alles in einem Video verknüpft ist, ist es perfekt.“ (IP6, 47)

„Ja. Hätte ich sonst nie gemacht. Also, weil ich ja nicht- die Notwendigkeit war auch nicht da. Weil jene Kinder, wo ich was erklären musste, und die waren krank, na ja, die kommen nach einer Woche und denen erkläre ich es neu, das ist kein Thema. Wenn es grobe Schwierigkeiten gibt, dann schickt man das Kind halt in den Förderunterricht. Aber wenn ich die dann mal drei, vier, fünf Wochen nicht sehe, musste ich im Stoff weitergehen. Und eine Neuerarbeitung … da kam ich nicht drum herum.“ (IP7, 75)

„Also in der Lockdown-Zeit auf alle Fälle, weil da war das sozusagen das Einzige, das Input war. Statt einer Präsentation von mir war das dann eben oft ein Video und die Kinder haben dazu etwas machen müssen.“ (IP8, 131)

Aus den Interviewpassagen geht hervor, dass sich einige Lehrer*innen ohne die Notwendigkeit der Gestaltung von Distance-Learning-Angeboten vermutlich (noch) nicht mit dem Unterrichtsmedium Erklärvideo auseinandergesetzt hätten. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Kategorie Schulschließungen und Fernunterricht im Zuge der Coronapandemie für Cluster 1 im Untersuchungszeitraum eine wichtige ursächliche Bedingung für den Erklärvideoeinsatz darstellte. Nur IP4 merkte an: „[…] wenn ich jetzt nur an den Sachunterricht denke, war die Coronapandemie nicht ausschlaggebend“ (IP4, 55).

Die zweite identifizierte Kategorie, Umgang mit dem Bildungsauftrag des Sachunterrichts, zeigt auch, was die interviewten Lehrkräfte im Sachunterricht als besonders bedeutsam erachten:

„[…] du musst mit den Kindern mal ein Basiswissen schaffen. […] Da muss man wirklich mal eine Basis schaffen, und dann … was für mich noch im Sachunterricht wichtig ist, Verbindungen zum täglichen Leben oder zur Lebenswelt der Kinder herstellen […].“ (IP1, 43)

„Also der Auftrag des Sachunterrichts ist zum Teil unter anderem eben die Lebenswelt um uns herum, aber nicht nur unmittelbar, sondern auch in den anderen Ländern zu erforschen. Sachunterricht ist ein sehr breites Spektrum.“ (IP3, 83)

„[…] für mich ist der Sachunterricht eher so, das Entdecken steht im Vordergrund. Das heißt, weg vom Frontalunterricht hin zu die Kinder sollen arbeiten.“ (IP6, 79)

„[…] na ja, der Sachunterricht ist so allumfassend, das ist für mich immer so ein- wenn mein Bildungsauftrag ist, die Kinder … ihnen aus Natur, aus Technik, aus Geschichte, aus Geografie diesen Spannungsbogen von der Ersten bis zur Vierten zu spannen, ist das Wahnsinn eigentlich. Jedes Mal denk ich mir, wenn ich in eine neue Schulstufe gehe, es ist irre, welches Wissen die eigentlich bräuchten, nicht haben, vom Gänseblümchen bis hin zum Zweiten Weltkrieg, da ist alles drinnen. Über die Tiefebene … das ist unfassbar.“ (IP7, 103)

Neben der Grundlegung der Allgemeinbildung und der Lebensweltorientierung als zentrale Aufgaben des Sachunterrichts wurde in den Zitaten als Ziel auch genannt, den Kindern das Entdecken und Entwickeln von Interessen zu ermöglichen. Einige der Interviewpartner*innen beschrieben die Gestaltung eines solchen Sachunterrichts als herausfordernde Aufgabe für die Lehrkraft:

„Der Sachunterricht hat so ein großes Spektrum, dafür müsste eigentlich noch mehr Zeit anberaumt gehören.“ (IP3, 83)

„Und da, dass du da wirklich explizit dann auf die Interessen der Kinder schaust, ist verdammt schwer […].“ (IP6, 83)

Der Umgang der Lehrkraft mit dem Bildungsauftrag des Sachunterrichts kann damit als ein von der Coronapandemie unabhängiger Grund für den Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht betrachtet werden. Um den – mitunter herausfordernden – Aufgaben des Sachunterrichts zu begegnen, greifen einige der interviewten Lehrkräfte auch auf das audiovisuelle Unterrichtsmedium zurück. Welche Strategien die Lehrer*innen in Bezug auf den Umgang mit Erklärvideos beschreiben, wird im nächsten Teil dargestellt.

Handlungs- und interaktionale Strategien

Das Herausarbeiten von Handlungs- und Interaktionsstrategien, die Lehrkräfte zum Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht beschreiben, stellt ein zentrales Erkenntnisinteresse des vorliegenden Forschungsvorhabens dar. In Cluster 1 konnten anhand der Aussagen der Interviewpartner*innen hierzu folgende vier übergeordnete Kategorien identifiziert werden:

  • Vorgehen bei der Auswahl von Erklärvideos für den Sachunterricht

  • Gestaltung von Erklärvideos im bzw. für den Sachunterricht

  • Didaktische Zielsetzungen bei der Erklärvideonutzung im Sachunterricht

  • Situationsspezifischer Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht

Im Zusammenhang mit dem Vorgehen bei der Auswahl von Erklärvideos für den Sachunterricht wurden bei den ersten acht Interviews zwei Aspekte deutlich, einerseits die verschiedenen Quellen, aus denen die Erklärvideos für den Sachunterricht stammen, andererseits die unterschiedlichen Kriterien, die Lehrkräfte bei der Auswahl der Erklärvideos ansetzen, oder wie es eine Interviewpartnerin formulierte: „Also ich muss auf jeden Fall als Lehrerin eine Vorauswahl treffen, ich muss auswählen, was empfinde ich als gut, was empfinde ich als insofern wertvoll, dass die Kinder auch einen Nutzen haben davon, und ich sie nicht nur vor den Kasten [Bildschirm, S. M.] setze.“ (IP5, 67) In Tabelle 3.1 sind alle genannten Auswahlkriterien zusammengetragen, die von den acht befragten Lehrkräften hinsichtlich der Auswahl von Erklärvideos für den Sachunterricht in den Interviews genannt wurden.

Tabelle 3.1 Genannte Auswahlkriterien für Erklärvideos im Sachunterricht – Cluster 1

Bei der Auswertung der ersten acht Interviews wurde deutlich, dass einige Lehrkräfte sehr unspezifische Kriterien für die Auswahl von Erklärvideos benannten. Für die Gespräche mit den Lehrkräften des zweiten Interviewclusters sollte deshalb ein Fokus auf diese Facette des Umgangs mit Erklärvideos gelegt werden, um noch genauer zu ergründen, wie bei der Auswahl der audiovisuellen Medien konkret vorgegangen wird.

Hinsichtlich der Quellen für Erklärvideos bzw. des Vorgehens bei der Suche nach passenden Videos beschrieben die Interviewpartner*innen aus Cluster 1 unterschiedliche Strategien. Drei Lehrkräfte berichteten von Empfehlungen innerhalb des Kollegiums:

„Also man weiß dann einfach schon auch durch den Austausch mit Kolleginnen, was sind gute Videos, was sind Videos, die man echt gut verwenden kann.“ (IP5, 43)

„[…] auch im Kollegenkreis wird herumgechattet, geschrieben über WhatsApp, ‚Wer hat zu welchem Thema vielleicht ein Video?‘, das ist in letzter Zeit auch häufiger der Fall, weil andere Lehrer […] auch solche Videos verstärkt nutzen und das dann automatisch gleich in die WhatsApp-Gruppe schicken und sagen: ‚Hey, schaut euch das an, das ist super.‘“ (IP6, 55)

„Hin und wieder bekommen wir vom Medienzentrum DVDs zugeschickt, wir haben da eine Kollegin, die ist für das zuständig bei uns, und das ist der seltenere Teil, dieser Zufall, wenn irgendjemand sagt: ‚Ah, wir haben dieses Video da, schau dir das einmal an, das könnten wir für die Klasse verwenden.‘“ (IP8, 75)

Die Nutzung von Offline-Angeboten, wie im letzten Zitat beschrieben, wurde noch von einer zweiten Interviewpartnerin angesprochen: „Und an der Schule haben wir zum Glück einen großen Pool an ‚Was ist was‘-DVDs, und die ziehe ich dann für die vierten Klassen heran.“ (IP4, 67) Aufgrund der in einigen Interviews angemerkten mangelnden Funktionalität des Internets an der Schule seien derartige Angebote an „Offline-Videos […] dann halt schon auch praktisch“ (IP4, 95).

Online abrufbare Erklärvideos wurden von allen interviewten Lehrenden genutzt, wobei in erster Linie auf YouTube nach Erklärvideos gesucht wurde, wie diese Auswahl an Aussagen verdeutlicht:

„[…] also auf YouTube zum Beispiel gibt es wirklich tolle Erklärvideos […].“ (IP2, 15)

„Das Erste, was ich mach, ich such zuallererst auf YouTube.“ (IP4, 67)

„Also da geh ich dann rein und such mir aus dem Internet – auch YouTube natürlich – Videos, ich geb das Thema ein und such mir dann die Videos raus.“ (IP5, 43)

„Eigentlich geb ich’s nur auf YouTube ein.“ (IP7, 91)

Beim Erklärvideoangebot auf YouTube hätten sich auch die Auswirkungen der Coronapandemie bemerkbar gemacht:

„Es wurden auch viel mehr Videos erstellt und dadurch hat sich auch die Qualität verbessert, weil ja auch mehr an Videos erstellt wurden, versucht auch jeder, etwas Besseres zu erschaffen. Und dadurch ist die Auswahl auch größer geworden und auch die Qualität in dem Sinn besser, weil sich mehr damit auseinandergesetzt haben.“ (IP3, 103)

Neben Videos, die nicht von Fachleuten erstellt wurden, wurden auch professionell produzierte Angebote aus dem Bildungsfernsehen – entweder direkt über YouTube oder über die Mediatheken öffentlich-rechtlicher und privater Fernsehsender – als Ressource für Erklärvideos für den Sachunterricht genutzt. Konkrete Serienformate, die von Lehrkräften in Cluster 1 genannt wurden, waren folgende:

  • Checker Tobi (IP2, IP4, IP8)

  • Lach- und Sachgeschichten – Die Sendung mit der Maus (IP4, IP5, IP7)

  • Anna und die wilden Tiere (IP4, IP5)

  • Löwenzahn (IP4, IP6)

  • Woozle Goozle (IP4, IP5)

  • Checker Can (IP5)

Kommerzielle Videoangebote von Verlagen, etwa jene der „Was ist was“-Reihe (IP3, IP4) und jene von „Pixi Wissen“ (IP4), wurden ebenso in den Interviews thematisiert (in Abschnitt 3.3.8 werden alle genannten Bildungsformate genauer beschrieben). IP4 nannte für den Sachunterricht auch die kommerzielle Nachhilfe-Plattform Sofatutor als Anlaufstelle für potenzielle Unterrichtsvideos. Ein Interviewpartner sah das vermehrte Auftreten kommerzieller Erklärvideoangebote jedoch kritisch:

„[…] es kommt vermehrt – ja, als Direktor weiß ich das –, dass du sehr viele Vertreter hast, die in letzter Zeit sehr viele Erklärvideos anbieten. Gerade jetzt wegen Homeschooling und Distance Learning. Und wenn du dir da manche Erklärvideos anschaust, kommst du drauf, das ist im Prinzip nichts anderes als eine PowerPoint-Präsentation als mp4 abgespeichert, und die wollen dafür 300 bis 400 Euro.“ (IP6, 87)

Zwei Lehrkräfte erwähnten, unter anderem auch in Printmedien für die Grundschule nach Verweisen auf passende Erklärvideos für den Sachunterricht zu suchen: „[…] in diesen Medien sind auch immer wieder dann kleine Erklärvideos zu einem bestimmten Thema, die sind auch recht nützlich“ (IP1, 35).

Neben der Auswahl aus den verfügbaren kostenlosen oder kostenpflichtigen fremderstellten Erklärvideoangeboten berichteten einige Lehrkräfte auch von Wegen der Gestaltung von Erklärvideos im bzw. für den Sachunterricht. Hier konnten zwei Handlungsfelder unterschieden werden:

  • Lehrkräfte gestalten Erklärvideos für den Sachunterricht

  • Lernende gestalten Erklärvideos im Sachunterricht

Vier Interviewpartner*innen aus Cluster 1 erzählten davon, bereits selbst Erklärvideos für den Sachunterricht gestaltet zu haben:

„[…] ich hab auch versucht, Erklärvideos selbst zu gestalten […]“ (IP2, 15); „[…] ich hab mich auch selbst aufgenommen, an der Tafel […].“ (IP2, 87)

„Und da hab ich auch selber schon welche erstellt, zum Beispiel über den Morsecode.“ (IP3, 43)

„[…] wo ich auch schon selber versucht habe, mich in die Materie ein bisschen einzuarbeiten und selber Videos zu machen […].“ (IP6, 47)

„Wenn ich es mache, dann ist es ja zugeschnitten auf meine Klasse, auf die Bedürfnisse, auf den Leistungsstand, auf den Ist-Stand der Kinder, definitiv! Vor allem, ich kann das immer wieder herholen, das hat schon einen Riesenvorteil, auch eben wenn … wie gesagt- oder im Förderunterricht, da war es schon immer wieder, dass ich es den Kindern noch mal vorgespielt hab. Also einen Vorteil sehe ich darin schon, einen erheblichen, ja, definitiv.“ (IP7, 59)

Die Aussage von IP7 verdeutlicht einen zentralen Beweggrund für das Erstellen eines Erklärvideos für den eigenen Unterricht, nämlich die genaue Anpassung an die Lernvoraussetzungen und Bedürfnisse der eigenen Schüler*innen. Für die zweite Erhebungs- und Auswertungsphase soll ein Ziel auch darin bestehen, mögliche weitere Motive der Erklärvideoerstellung durch die Lehrkraft zu ergründen.

Eine weitere Handlungsstrategie beschrieben jene Lehrkräfte, die eine Gestaltung von Erklärvideos zur Unterrichtsmethode machten. Die Mehrzahl der in Cluster 1 interviewten Lehrer*innen hatte bereits Erfahrungen darin gesammelt, die Lernenden Erklärvideos gestalten zu lassen:

„Ich muss sagen, die Erklärvideos, die ich mit den Kindern gemacht hab … das war mit Stop-Motion. […] In kleinen Gruppen, dass sie das selber machen. Weil wenn sie es dann selber sehen und dann aufnehmen, verstehen sie es besser und sie müssen sich wirklich in die ganze Materie und in die Problematik hineindenken und mit kurzen, knappen Sätzen beschreiben, ganz pointiert […].“ (IP1, 67)

„Ja, wir hatten da einen Workshop zum Thema Bienen und es war total interessant, aber es- für die Kleinen, sag ich, sprengt es den Rahmen. Also ich müsste da total viele Sachunterrichtsstunden aufwenden, damit ein kleines Erklärvideo herauskommt. Also wir hatten im Workshop sechs Stunden ungefähr und es war total nett. Den Kindern hat es irrsinnig Spaß gemacht, aber es war halt eher so … ein 20-Sekunden-Video ungefähr, also pro Gruppe.“ (IP2, 63)

„Wir haben es vor zwei Jahren einmal probiert, wo wir angefangen haben, durch Anschaffungen der Gemeinde, dass wir drei Computer bekommen haben, dass ich – ähnlich wie du es probiert hast – mit Papiermännchen übereinanderlappend solche Zeitraffervideos aufbauen wollte. Das ist daran gescheitert, dass wir dann einfach technische Probleme hatten und die Kinder dann mehr oder weniger verzweifelt sind, und nicht nur die Kinder, sondern ich auch, weil da haben wir extrem viele Bluescreens gehabt. Und es scheitert dann wirklich, wenn du so was umsetzen willst, wirklich am Material selber […].“ (IP6, 99)

„Ja, haben wir auch probiert. Ja, das war spannend. Ja, in dem Fall auch, weil Kinder erklären Kindern oftmals auch besser […]. Also, da durften sie Lehrer spielen, das macht natürlich auch- weil sie mussten sich vorher ein Konzept zusammenstellen, weil ich gesagt hab: ‚Wir können da eben nur kurze Zeit, das darf nur 1 bis 2 Minuten dauern, das heißt, […] das muss Hand und Fuß haben.‘ Da haben sie schon, ja, da hat jeder zwei Stunden gewerkt, bis er das draufgehabt hat, dann haben wir das aufgenommen, das war schon ganz- also meine Idee dahinter war nicht: ‚Wir erklären es jetzt jemand anderem‘, sondern sie selber mussten den Inhalt so verinnerlichen, dass sie es erklären konnten, und somit war für mich eigentlich das Lernziel erreicht […].“ (IP7, 79)

„Wir haben Experimentiervideos gemacht, wo die Kinder dann darüber gesprochen haben. Es war weniger erklären, eher so, was sie gesehen haben.“ (IP8, 123)

Die Wortmeldungen verweisen auf sehr unterschiedliche Erfahrungen bei den Bemühungen, die Lernenden Erklärvideos gestalten zu lassen. Außerdem werden hier bereits Grenzen hinsichtlich der Umsetzung einer Erklärvideogestaltung durch die Lernenden im Sachunterricht deutlich, etwa in technischer und zeitlicher Hinsicht (konkret wird darauf in diesem Kapitel bei den „Intervenierenden Bedingungen“ und den „Konsequenzen“ eingegangen). Auf der anderen Seite beschrieben die Lehrkräfte auch Chancen, die die Arbeit der Lernenden an eigenen Erklärvideos im Sachunterricht eröffnet, etwa die intensive Beschäftigung mit einem Thema (Details dazu siehe „Konsequenzen“ in diesem Kapitel).

Die umfangreichste Kategorie, die im Zuge des Kodierprozesses von Cluster 1 identifiziert wurde, betrifft die didaktischen Zielsetzungen bei der Erklärvideonutzung, also eine Zusammenschau der Antworten der interviewten Lehrer*innen auf die Frage: Wozu werden Erklärvideos im Sachunterricht eingesetzt? Die genannten Zielsetzungen legen vielfältige Einsatzgebiete nahe:

  • Einführung in ein neues Thema (IP1, IP2, IP3, IP4, IP5, IP6, IP7, IP8)

  • Wiederholung von Lerninhalten (IP1, IP2, IP3, IP4, IP5, IP7, IP8)

  • Erklärvideo als Sprechanlass (IP1, IP2, IP3, IP4, IP5, IP8)

  • Visualisierung/Veranschaulichung (IP2, IP3, IP5, IP6, IP7, IP8)

  • Differenzierung und Individualisierung (IP3, IP4, IP5, IP6, IP7)

  • Verständliche Aufbereitung komplexer Themen (IP5, IP6, IP7, IP8)

  • Medienvermittelte Lebensweltbegegnung (IP3, IP4, IP5, IP6)

  • Ansprechen mehrerer Sinneskanäle (IP2, IP3, IP5)

  • Anbieten verschiedener Erkläransätze (IP2, IP4, IP7)

  • Unterstützung von Kindern mit nicht-deutscher Erstsprache (IP4, IP7)

Die Interviewpartner*innen aus Cluster 1 nannten alle die Einführung in ein neues Thema als eine Intention ihres Erklärvideoeinsatzes im Sachunterricht. Hierzu einige Auszüge aus den Interviews:

„Na ja, ich setze sie prinzipiell zum Einstieg ein, damit die Kinder einen Überblick bekommen über das Thema, woraufhin ich dann im Unterricht näher eingehen kann.“ (IP2, 23)

„Oft verwende ich die Videos als Einstieg in das Thema […].“ (IP4, 43)

„Ich hab für mich so herausgefunden, es eignet sich für meinen Unterrichtsstil super für die Einleitung, super für den Anfang […].“ (IP6, 39)

„[…] zu Beginn brauch ich irgendeinen Opener, brauch irgendeine Erklärung, wohin geht das Thema. Und deshalb möglicherweise auch am Anfang das Erklärvideo.“ (IP7, 51)

Als Begründung für den Erklärvideoeinsatz zu Beginn einer Sachunterrichtsstunde nannte IP6 die wahrgenommene gesteigerte Aufmerksamkeit aufseiten der Kinder (mehr dazu siehe „Konsequenzen“ in diesem Kapitel): „[…] wenn du einen Unterrichtseinstieg machst mit Video, klar, die Augen sind noch größer, die Ohren noch gespitzter […].“ (IP6, 51)

Aber auch für den Abschluss einer Sachunterrichtsstunde setzten die interviewten Lehrkräfte Erklärvideos ein, konkret zur Festigung und Wiederholung von Lerninhalten:

„[…] hab ich sie verwendet als Wiederholung. Da hab ich gesagt: ‚Wir haben bereits das Thema bearbeitet, so, und jetzt schauen wir uns das Video an. Schau genau hin.‘“ (IP1, 15)

„[…] nachdem wir das gesammelt haben, schauen wir uns dann gemeinsam öfters ein Erklärvideo dazu an und besprechen es noch einmal nach. Einfach zum Festigen.“ (IP3, 15)

„Und ich hab es dann schon gut gefunden, wenn sie dann Informationen durch den Unterricht gehabt haben und dann vielleicht noch als Wiederholung, Festigung die Videos sehen, weil sie das dann mit anderen Augen sehen.“ (IP5, 27)

Ein weiteres Ziel, das mehrfach erwähnt wurde, war, die Erklärvideos als Sprechanlass zu nutzen, um über sachunterrichtliche Themen ins Gespräch zu kommen:

„Oder wir haben es dann teilweise genommen als Diskussionsanlass: ‚Was sagst du dazu?‘ Und das war auch sehr spannend, weil die Kinder dann darüber diskutiert haben, über dieses Thema im Sachunterricht.“ (IP1, 27)

„Ich hab das sehr gern, dass wir einfach dann allgemein- entweder machen das die Kinder in Kleingruppen untereinander oder ‚Schreib dir Fragen auf, denk dir selber dazu, was weißt du noch nicht‘, dass einfach drüber gesprochen wird.“ (IP8, 71)

Auch das Visualisieren und Veranschaulichen von Lerninhalten des Sachunterrichts wurde als Zielgedanke des Erklärvideoeinsatzes von den Interviewten genannt:

„Ich kann ihnen mein Skelett nicht hinlegen. Und das find ich eigentlich mit den Erklärvideos ganz gut.“ (IP2, 83)

„[…] während ich erklärt habe, hab ich mir gedacht: ‚Das ist so abstrakt, wenn ich ihnen das nur erzähle‘, und daraufhin haben wir uns dann in der nächsten Stunde, hab ich ein Video rausgesucht, und da haben wir uns das Video dann gemeinsam angeschaut, weil eben auch eine visuelle Unterstützung da war.“ (IP3, 31)

„Ich finde, das Super-Riesenpotenzial von einem Video ist einfach, Dinge zu zeigen, die man im echten Leben nicht zeigen kann. Einfach, weil man da nicht gerade dort ist oder weil man nicht in die Erde reinfahren kann oder weil man die Länder nicht so leicht von so hoch oben zeigen kann. Der Riesenvorteil ist meines Erachtens ganz klar, dass man das einfach superleicht anschaulich zeigen kann.“ (IP8, 103)

Die Möglichkeit, Sachverhalte zu zeigen, die sonst nicht unmittelbar beobachtet werden können, wurde von einigen der interviewten Lehrkräfte als Mehrwert des Mediums Erklärvideo beschrieben. Eine ähnliche Zielsetzung verfolgt der Einsatz von Erklärvideos als unterstützende Maßnahme bei der verständlichen Aufbereitung komplexer Themen:

„Weil ich manche Vorgänge in der Natur nicht so erklären kann, dann such ich mir ein Video, das dazu passt, wo ich mir denk: ‚Okay, in diesem Video kann ich es auch verstehen, wie das Ganze funktioniert‘, und vielleicht können die Kinder das dann auch sehr, sehr vereinfacht verstehen.“ (IP5, 59)

„Wenn du komplexere Themen gehabt hast, weil ich damals auch Windkraft, Solar und Windräder gemacht habe, klar zeigst du dann solche komplexen Sachverhalte anhand eines Erklärvideos.“ (IP6, 47)

Gerade für Phasen des Fernunterrichts beschrieb IP7 die Erklärvideos als wichtiges Medium für die verständliche Aufbereitung von vielschichtigen Lerninhalten: „Also je komplexer das Thema und je schwieriger es ist, sich das Thema selbst zu erlesen, da braucht es dann das Erklärvideo.“ (IP7, 91) Ebenso relevant in Zeiten der Corona-Lockdowns – aber nicht ausschließlich dort – wurden Erklärvideos als Möglichkeit der medienvermittelten Lebensweltbegegnung im Sachunterricht beschrieben:

„Mit Corona ist es auch ein Ausweichweg, dass ich mir einfach, wenn ich jetzt kein Museum besuchen kann, vielleicht visuell eine Ausstellung besuche mit einem Erklärvideo, mit dem man da so durchgeführt wird zum Beispiel. Es ist einfach eine Bereicherung in dem Sinn, wenn etwas nicht möglich ist, dorthin zu kommen, es in die Schule zu holen.“ (IP3, 95)

„[…] ich kann jetzt keine Kuh in die Klasse reinbringen, zum Beispiel, wenn es um das Thema Bauernhof geht, kann ich den Kindern auch nicht zeigen, wie Melken funktioniert. Also solche praktischen Dinge, die ich von der Außenwelt dann einfach mit Videos reinholen kann.“ (IP4, 35)

IP3 erwähnte in diesem Zusammenhang auch die Strategie, durch Erklärvideos eine fehlende Ausstattung mit Experimentiermaterialien für den Sachunterricht zu kompensieren, um den Kindern zumindest eine medienvermittelte Begegnung mit naturwissenschaftlichen Phänomenen zu ermöglichen. So sehe man zumindest „einfach die Effekte – das, was man in der Schule nicht gemeinsam machen kann“ (IP3, 95).

Ein weiteres Einsatzszenario für Erklärvideos im Sachunterricht beschrieben einige interviewte Lehrer*innen hinsichtlich der Unterstützung von Bemühungen beim Individualisieren und Differenzieren:

„[…] seit fünf bis sechs Jahren nutze ich diese Videos bereits und da ist es für mich unausweichlich, dass du das Ganze im selbstregulierten Lernen anbietest […].“ (IP6, 27)

„[…] für die Differenzierung, fürs Individualisieren ist das ein Riesen-Mehrwert. Und ich kann die Kinder auch selbstständig arbeiten lassen […].“ (IP7, 39)

Der Einsatz von Erklärvideos zur Unterstützung von Kindern mit nicht-deutscher Erstsprache kann grundsätzlich auch dem Bereich des Individualisierens und Differenzierens zugeordnet werden, wurde im Zuge der Auswertung aber als eigener Bereich behandelt, weil zwei Lehrkräfte hierzu konkrete Handlungsstrategien nannten. IP7 berichtete etwa: „Aber zum Beispiel meinen Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache, denen geb ich immer wieder so Links, wo sie sich das eben noch einmal anhören können.“ (IP7, 95) Dass die Kinder auch Erklärvideos für zu Hause hätten, sei deshalb wichtig, „[w]eil die Mutter kann es nicht erklären, der Vater auch nicht“ (IP7, 99).

Ein weiteres Ziel, das einige der Lehrkräfte mit dem Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht zu bezwecken versuchten, war das Ansprechen mehrerer Sinneskanäle: „Beim Vorlesen wird ja nur ein Sinn angesprochen, nur das Hören, und so werden ja mehrere Sinne angesprochen, während sie sich etwas anschauen.“ (IP3, 79)

Auch für das Anbieten alternativer Erkläransätze nutzten Lehrer*innen aus Cluster 1 Erklärvideos:

„Und ich finde immer einen zweiten Ansatz gut, dass es vielleicht nicht genau so ist, wie ich es erklären würde oder herzeigen würde.“ (IP2, 51)

„Und mein pädagogischer Ansatz ist, dass ich einfach kurz wechseln möchte, ich möchte kurz von mir weg, dass sie nicht immer mir zuhören müssen, sondern kurz jemand anderen sehen oder etwas anderes sehen.“ (IP4, 35)

Die vielfältigen Zielsetzungen, die in Cluster 1 identifiziert werden konnten, stellen wesentliche Erkenntnisse für die gegenständliche Untersuchung dar. In folgenden Iterationsschleifen sollten die Zielsetzungen noch differenzierter betrachtet werden, um weitere Einblicke in die Absichten der Lehrkräfte hinsichtlich der Erklärvideonutzung im Sachunterricht zu erhalten.

Nachdem mit den Zielsetzungen das „Wozu“ verdeutlicht wurde, soll mit der Kategorie des situationsspezifischen Umgangs mit Erklärvideos im Sachunterricht auf das „Wie“ geschaut werden, also die Frage, wie Lehrer*innen die Erklärvideos im Sachunterricht handhaben. Aus den Daten von Cluster 1 geht hervor, dass einige Lehrkräfte für den Sachunterricht das frontale Herzeigen der Videos bevorzugten, also das gemeinsame Schauen, andere wiederum eher die individuelle Beschäftigung der Lernenden mit Erklärvideos vorzogen:

„Meistens frontal alle. Weil da mussten sie nämlich alle hinschauen. Und Einzelsetting eher ganz selten. Also ich hab das lieber bevorzugt mit frontal, alle schauen sich das einmal an.“ (IP1, 19)

„[…] ein Erklärvideo soll Sachverhalte näherbringen und die Möglichkeit bieten, auch immer wieder auf Pause zu drücken, wieder zurückzuspulen, sich das eben in Ruhe – jeder in seinem Tempo – anschauen zu können.“ (IP3, 11)

„Eine Chance seh ich auch darin, dass Inhalte noch mal gefestigt werden können, durch individuelles Abspielen bzw. Sich-damit-Beschäftigen.“ (IP7, 115)

„Es war meistens frontal, muss ich sagen. Weil das war eher so was wie ein Anstoß zu Beginn für etwas. Und dann war das Video eben für alle gleich.“ (IP8, 51)

Bezüglich des frontalen Abspielens des audiovisuellen Mediums durch die Lehrer*innen belegen einige Interviewpassagen durchaus eine Flexibilität bei der Handhabung der Erklärvideos:

„[…] dann hab ich teilweise halt den Ton weggeschaltet.“ (IP1, 35)

„Ich stoppe schon zwischendurch, wenn ich merk: ‚Okay, das sind Begriffe, die wir klären müssen‘, dann stopp ich das Video […].“ (IP4, 63)

„Es funktioniert ja nicht immer gut. Manchmal zeigt man etwas, merkt, es geht total in die Hose, und dann kürzt man es halt ab, weil man merkt, es ist nicht wirklich zielführend gerade.“ (IP8, 59)

Um die Aufmerksamkeit der Lernenden während des Anschauens eines Erklärvideos sicherzustellen, griffen einige Lehrkräfte auch zu interaktiven Elementen, „dass zum Beispiel gestoppt wird oder dann eine Frage beantwortet werden muss, und dann geht’s wieder weiter“ (IP4, 87). Manche Lehrkräfte nutzten hierfür Videoangebote, bei denen interaktive Lernaufgaben bereits integriert sind (z. B. bei Sofatutor), andere gestalteten die interaktiven Elemente (z. B. mittels H5P) selbst: „Und da hab ich zum Beispiel über den Morsecode Erklärvideos rausgesucht und zwischendurch einfach so Stopps eingefügt mit Zwischenfragen […].“ (IP3, 47)

Eine Maßnahme, die alle Befragten im Kontext der Erklärvideonutzung im Sachunterricht beschrieben, war das Anbieten begleitender Medien und Aktivitäten. Konkret genannt wurden:

  • Fragen zum Video stellen (IP1, IP3, IP4, IP6, IP8)

  • Bearbeiten von Arbeitsblättern (IP1, IP3, IP6, IP8)

  • Durchführen von Experimenten (IP2, IP6, IP7)

  • Gestaltung von Plakaten/Dokumentationen (IP5, IP7)

  • Lesen von Sachtexten (IP3, IP5)

  • Durchführen von Stationenbetrieben (IP5, IP6)

  • Weiterführende Recherche am Computer (IP1, IP8)

  • Ergänzende Realbegegnungen (IP6)

Eine weitere Strategie, die die befragten Lehrer*innen in Hinblick auf die Nutzung von Erklärvideos nannten, betrifft den Erklärvideoeinsatz im Zuge der Unterrichtsvorbereitung. Hier handelt es sich zwar um keine direkte Verwendung der Erklärvideos im Unterrichtsgeschehen, trotzdem kann der Einsatz des audiovisuellen Mediums im Zuge der Unterrichtsvorbereitung Auswirkungen auf das Unterrichtshandeln der Lehrkraft im Sachunterricht haben:

„[…] einfach um meine Informationen zu vertiefen. Ich muss ja erst mal verstehen, und wenn ich es verstehe, dann kann ich es Kindern besser beibringen oder vermitteln. Und da waren die Erklärvideos teilweise schon angenehm […].“ (IP1, 59)

„Ja, nutze ich auch, indem ich mir einfach dann anschaue: ‚Okay, ich würde das jetzt so erklären‘, aber wenn ich im Unterricht merke, die Schüler haben das jetzt nicht so verstanden, wie ich mir das erwartet hab, dann recherchier ich selber und schau mir einfach verschiedene Videos an, welchen Zugang sie dazu haben.“ (IP3, 111)

„Wenn ich mich irgendwo nicht auskenne, wie etwas funktioniert, such ich Videos, wo mir das erklärt wird.“ (IP5, 51)

„Also … ganz oft, wenn es ein Thema ist, wo ich mir denk: ‚Puh, da möchte ich auf Hintergrundfragen- da möchte ich so ein bisschen ein Hintergrundwissen haben, falls tiefere Fragen kommen‘, schau ich mir selbst auch einige Erklärvideos dazu an.“ (IP8, 111)

Kontext

Der Kontext für das beforschte Phänomen ist in der vorliegenden Untersuchung bereits durch den Fokus auf das Unterrichtsfach Sachunterricht in der Volks- bzw. Grundschule vorgegeben. Erwähnenswert ist hierbei, dass in den acht Interviews aus Cluster 1 der Einsatz von Erklärvideos in der gesamten thematischen Bandbreite des Sachunterrichts beschrieben wurde, wobei die Nutzung von Erklärvideos für naturwissenschaftliche Themengebiete von den befragten Lehrkräften am häufigsten genannt wurde:

  • Erklärvideos zu naturwissenschaftlichen Themenfeldern (IP1, IP2, IP3, IP4, IP5, IP6, IP7, IP8)

  • Erklärvideos zu historischen Themenfeldern (IP1, IP2, IP4, IP5)

  • Erklärvideos zu sozialwissenschaftlichen Themenfeldern (IP1, IP6, IP7)

  • Erklärvideos zu technischen Themenfeldern (IP4, IP6)

  • Erklärvideos zu geografischen Themenfeldern (IP8)

Intervenierende Bedingungen

In Bezug auf mögliche intervenierende Bedingungen, die die Erklärvideonutzung im Sachunterricht beeinflussen, konnten in der ersten Interviewphase drei zentrale Kategorien gefunden werden:

  • Verfügbarkeit passender Erklärvideos für den Sachunterricht

  • Technische Ausstattung im Klassenzimmer

  • Personenbezogene Merkmale der Lehrkraft

Die Verfügbarkeit passender Erklärvideos wurde von den befragten Lehrkräften aus Cluster 1 sehr unterschiedlich bewertet. Auf der einen Seite erwähnten manche die Vielfalt der vorhandenen Angebote:

„Also wenn ich eines gesucht hab, dann fand ich immer irgendein nettes Video dazu.“ (IP2, 35)

„Bisher hab ich eigentlich zu jedem Thema etwas gefunden, das mich interessiert.“ (IP3, 67)

IP2 merkte in diesem Zusammenhang auch an, dass das Angebot an Erklärvideos seit Pandemiebeginn „viel größer geworden ist“ (IP2, 95). Auf der anderen Seite kritisierten Interviewpartner*innen auch fehlende Angebote für den Sachunterricht bzw. die mangelhafte Qualität vorhandener Angebote:

„Zu manchen Tieren gibt’s zum Beispiel nichts Passendes dazu. Aber dann hab ich’s halt nicht, mach ich’s halt anders.“ (IP3, 71)

„[…] die Videos, die ich so im Internet finde, auf YouTube oder die ‚Was ist was‘-Videos, die find ich manchmal zu lang, nur um zum Beispiel den Einstieg zu gestalten.“ (IP4, 23)

Neben der Verfügbarkeit passender Erklärvideos hat den befragten Lehrkräften zufolge auch die technische Ausstattung im Klassenzimmer – bzw. das Fehlen ebendieser – Einfluss auf den Einsatz der Videos im Sachunterricht:

„So, jetzt hab ich das ActiveBoard dort, ich arbeite nur am Computer eigentlich, da ist schnell ein Erklärvideo hergezeigt, ohne viel Aufwand, sag ich jetzt mal.“ (IP2, 87)

„[…] also seitdem ich eine interaktive Tafel habe, nutze ich Videos viel öfter. Vor fünf, sechs, sieben Jahren hab ich noch keine interaktive Tafel gehabt, da […] hab ich Videos vielleicht zweimal im Jahr hergezeigt, einfach aus dem Grund, weil der Fernseher ist extrem klein, dann benutzt ihn grad eine andere Kollegin, dann funktioniert die Videokassette – also, die gibt’s eh nicht mehr –, die DVD nicht. Hab ich früher nicht eingesetzt, jetzt mit der interaktiven Tafel ist es viel einfacher und angenehmer.“ (IP4, 51)

Für die Lehrkräfte sei es IP4 zufolge „natürlich eine Erleichterung, wenn die Klasse gut ausgestattet ist“ (IP4, 91). Neben externen Faktoren wie der technischen Ausstattung oder der Verfügbarkeit passender Erklärvideoangebote zeigt die Auswertung der ersten Interviews zusätzlich auch den Einfluss personenbezogener Merkmale der Lehrkraft auf den Erklärvideoeinsatz im Sachunterricht. Hierzu zählen etwa (fehlende) Kompetenzen im Umgang mit der Unterrichtstechnologie oder auch das Interesse, sich damit auseinanderzusetzen:

„Es ist auch der Unterschied, ob es einen interessiert, ob man Interesse an der Technik hat, weil ich hab zum Beispiel- ich muss halt immer Laptop und Beamer anschließen, damit ich die Videos abspielen kann. In der anderen Klasse würde es sogar ein Smartboard geben, das öfter eingesetzt werden könnte.“ (IP3, 127)

In Bezug auf das fehlende Interesse der Lehrkraft würde IP3 zufolge auch „die beste Technik nichts dran ändern oder wenig dran ändern“ (IP3, 131), ob bzw. in welchem Ausmaß Lehrer*innen eine bestimmte Technologie einsetzen. IP7 beschrieb in Hinblick auf die Ablehnung bestimmter Technologien an zwei Stellen auch Unsicherheiten bzw. Ängste hinsichtlich des Einsatzes von Erklärvideos:

„Ich hab immer die Angst, wenn wir zu viele Erklärvideos haben, wir rationalisieren uns weg, wir Lehrer.“ (IP7, 39)

„[…] manche [im Kollegium, S. M.] haben wirklich auch die Angst, wenn sie zu viel von diesen Dingen machen und Erklärvideos oder Videos schicken, dann fühlen sie sich so unnütz, der Lehrer tritt immer mehr in den Hintergrund und am Schluss kommt dann: ‚Na, wozu brauchen wir den Lehrer überhaupt noch?‘“ (IP7, 139)

Ein Standpunkt, der in den Interviews von mehreren Lehrkräften genannt wurde, betrifft die Wahrnehmung der Unterlegenheit medienvermittelter Sachbegegnung etwa bei Erklärvideos im Vergleich zu Realbegegnungen, die als bevorzugte Methode der Sachbegegnung im Sachunterricht beschrieben werden:

„Alles, was mit der Natur zusammenhängt, finde ich besser, wenn die Kinder selber hinausgehen, selber hantieren, selber es erleben, selber tun, riechen, es ausprobieren.“ (IP1, 55)

„Ich mein, ein Erklärvideo zum Beispiel zur Natur finde ich nicht so- also ich finde, das sollte mehr greifbar sein, da fehlt mir irgendwie die Greifbarkeit.“ (IP2, 27)

„Es macht einen Unterschied, ob ich das Schneeglöckchen nur im Erklärvideo sehe oder ob ich es mir wirklich draußen in der Natur anschauen kann. Also es ist etwas ganz anderes, wenn ich das angreifen kann, fühlen kann. Das kann ich nicht vergleichen, das kann ich mit einem Erklärvideo nicht auf diese Weise näherbringen.“ (IP3, 99)

Damit machen die befragten Lehrkräfte auch bereits deutlich, wo für sie die Grenzen eines sinnvollen Einsatzes von Erklärvideos liegen. Fehlende Realbegegnungen bzw. fehlende Interaktions- und Handlungsmöglichkeiten werden von den Lehrkräften als Einschränkungen des audiovisuellen Mediums genannt. Das Unterrichtsmedium Erklärvideo könne zwar „unterstützen, aber nicht ersetzen“ (IP3, 99). Vor diesem Hintergrund hob IP7 die Wichtigkeit der Lehrkraft hervor:

„Na ja, wenn Fragen offenbleiben, braucht es den lebendigen Lehrer. Und Rückfragen können dem Video nicht gestellt werden. Erklärvideo allein: Ja, aber wie gesagt, die Grenze ist halt dann, es ist nur das Erklärvideo und ich als Lehrer muss dann rundherum um dieses Erklärvideo den Rahmen basteln.“ (IP7, 119)

Konsequenzen

In diesem Abschnitt der Ergebnisdarstellung von Cluster 1 soll nun auf die Auswirkungen des Erklärvideoeinsatzes eingegangen werden, die von Lehrkräften in den Interviews beschrieben wurden. Die Aussagen hierzu konnten in drei Kategorien zusammengefasst werden:

  • Wahrgenommene Aktivierung der Lernenden

  • Erweiterung des didaktischen Handlungsspielraums

  • Persönliche Bewertung des Erklärvideoeinsatzes

Als bedeutsame Konsequenz aus dem Einsatz von Erklärvideos nehmen Lehrkräfte die Aktivierung der Lernenden im Unterrichtsgeschehen wahr. IP6 berichtete etwa davon, mit Erklärvideos die Neugierde der Lernenden zu wecken, konkret „diesen Anreiz der Kinder zu wecken: ‚Ich will über das Thema mehr wissen‘“ (IP6, 107). IP8 setzte die Videos ein, damit die Kinder „wieder aufgeweckter sind, dass sie Fragen stellen, dass sie nachdenken“ (IP8, 31). IP3 erzählte von Beobachtungen gesteigerter Aufmerksamkeit der Lernenden im Kontext der Erklärvideonutzung:

„Sie sind mehr gefesselt, sie konzentrieren sich viel mehr. Sie können sich länger auf den Fernseher konzentrieren, als wenn ich etwas vorlese. Also wenn ich etwas vorlese, ist zwar auch eine Aufmerksamkeit da, für eine gewisse Zeit, aber irgendwann merke ich, sie werden unruhig. Und beim Fernseher, beim Medium, bleiben sie länger in einer Position sitzen. Weil sie sich mehr darauf konzentrieren.“ (IP3, 75)

Ziel der zweiten Datenerhebungsphase sollte sein, die spezifischen Beobachtungen der Lehrkräfte zum Verhalten der Kinder beim Erklärvideoschauen noch genauer zu erfragen. Das Erheben weiterer Sichtweisen hierzu sollte Antworten auf die Frage liefern, ob auch andere Lehrer*innen eine derartige Aktivierung der Kinder beim Einsatz der audiovisuellen Medien wahrnehmen.

Eine weitere Auswirkung, die die Interviewpartner*innen bei der Nutzung von Erklärvideos beschreiben, betrifft die Erweiterung des didaktischen Handlungsspielraums. Das Erstellenlassen von Erklärvideos durch die Kinder eröffnet einigen Lehrkräften zufolge etwa vielfältige Möglichkeiten für fächerübergreifendes Arbeiten und für die Anbahnung medienkompetenten Handelns:

„Also die Kinder müssen jetzt in Deutsch einen Dialog schreiben und überlegen, was sie rüberbringen wollen. Dann müssen sie sich überlegen: ‚Wie formuliere ich das, dass ich das dann auch zeichnerisch umsetzen kann?‘ Sie müssen das zeichnerisch gestalten, müssen dann jede einzelne Szene wirklich legen und skizzieren […] und überlegen: ‚Ist es das, oder fehlt da noch was dazwischen, weil das kapier ich eigentlich nicht‘, und müssen den Text dann noch mal reinschreiben.“ (IP1, 67)

„Du lernst durch solche Sachen extrem viel. Wie sollst du dein Handy halten? Wie baust du ein Storyboard auf? Wie sollst du diese Sachen filmen?“ (IP6, 103)

„[…] ich denk mir, das Allerwichtigste ist, dass die Kinder kritisch mit Informationen umgehen.“ (IP8, 95)

IP6 berichtete auch von der entlastenden bzw. unterstützenden Funktion des Erkärvideoeinsatzes im Unterrichtsgeschehen und den daraus entstehenden Möglichkeiten, frei werdende Zeitressourcen für andere pädagogische Aufgaben – im konkreten Fall vorrangig für weiterführende Lehr- und Lernprozesse mit den Kindern unterschiedlicher Schulstufen in Mehrstufenklassen – nutzen zu können:

„Für mich, ich trau es mich gar nicht laut sagen, aber für mich ist ein Erklärvideo auch hilfreiche Unterstützung, damit ich einmal die dritte und vierte Schulstufe auf die Seite schieben kann, damit die einmal etwas zum Anschauen haben, wo ich mit der ersten und zweiten – teilweise auch mit der Vorschulstufe – ein bisschen eine andere Aufarbeitung machen kann von diesem Thema […].“ (IP6, 35)

Die Gesamtbetrachtung bzw. Bewertung des Erklärvideoeinsatzes als Zusammenschau ihrer Erfahrungen mit dem audiovisuellen Medium fällt bei den interviewten Lehrkräften recht unterschiedlich aus. Manche der Befragten beschrieben den Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht als zeitgemäße Form der Vermittlung von Inhalten:

„Also, ich muss ganz ehrlich sagen, ich hab herausgefunden, dass es mit den Kindern heutzutage schwierig ist, einen normalen Unterricht, wie er früher war, zu machen, weil die schon so auf diese Tablets und auf dieses Interaktive und auf das Fernsehen fokussiert sind, dass mein Unterricht, wenn ich vorne stehe und ihnen etwas erkläre, einfach stinklangweilig ist.“ (IP4, 35)

„Also, es ist erstens einmal sicher lustbetonter für die Kinder, sie schauen sich sicher- sie schauen sich Videos lieber an, als sie müssen einen Text lesen. Es ist sicher ein Vorteil. Vor allem, weil wir alle sehr visuell geschult sind – oder verwöhnt sind, sagen wir so.“ (IP7, 31)

Für einige Interviewpartner*innen war ein maßvoller Einsatz von Erklärvideos wichtig, hier zwei Auszüge:

„Ich würde auch die Erklärvideos nicht zu viel einsetzen, sonst ist das wie eine Schokolade, wenn du jeden Tag Schokolade bekommst, ist es auch fad. Also ich würde es wirklich gezielt einsetzen und nicht so oft, weil dann hat das für die Kinder absolut keinen Reiz mehr.“ (IP1, 55)

„[…] es ist jetzt nicht so, dass ich das jetzt unbedingt und dringend benötige, es ist eine nette Ergänzung, weil auch die Kinder das Format Film und Video sehr gewohnt sind und besser darauf ansprechen als darauf, wenn ich ihnen einfach nur etwas vorlese zum Beispiel.“ (IP3, 71)

IP8 sah im Medium selbst keinen Aufforderungscharakter mehr für die gegenwärtige Schüler*innen-Generation:

„Es ist halt nur so, dass das ‚einfach nur Video zeigen‘ selber, dass das irgendeinen Effekt hat, ich glaub, die Zeit ist vorbei. Das war in meiner Schulzeit so, wenn es geheißen hat: ‚Oh, der Fernseher wird hineingerollt‘, dann waren schon alle sehr aufmerksam. Aber jetzt, wo wir diese Whiteboards, Smartboards in den Klassen haben, ist das einfach nicht mehr so der Effekt.“ (IP8, 59)

Auch der Zeitaufwand für selbst erstellte Erklärvideos wurde von den interviewten Lehrkräften als sehr hoch bewertet. Viele Lehrer*innen würden keine eigenen Erklärvideos erstellen, „weil es so ein Riesenaufwand ist“ (IP7, 63). Auch IP6 merkte hierzu an: „Die Zeit als Lehrer und Direktor hab ich jetzt nicht, dass ich wöchentlich neue Videos produziere, da bist du klarerweise auf einen Pool angewiesen, der schon vorhanden ist.“ (IP6, 47)

3.3.3 Cluster 1 – Erste Überlegungen zu einem Rahmenmodell

Die Ergebnisse der Interviewauswertungen von Cluster 1, die im vorigen Kapitel beschrieben wurden, zeichnen bereits ein differenziertes Bild der Erklärvideonutzung im Sachunterricht aus Sicht der Lehrkräfte. Als Ursachen für den Erklärvideoeinsatz konnten bisher zwei Faktoren identifiziert werden: auf der einen Seite unterschiedliche Umgangsweisen mit dem Bildungsauftrag des Sachunterrichts, auf der anderen Seite die speziellen Anforderungen aufgrund der Auswirkungen der Coronapandemie mit der Notwendigkeit, Fernunterricht gestalten zu müssen. Personenbezogene Merkmale der Lehrer*innen, die technische Ausstattung im Klassenzimmer sowie die Verfügbarkeit passender Erklärvideoangebote wurden als intervenierende Bedingungen ermittelt, die den Umgang mit Erklärvideos im Unterricht beeinflussen. Hinsichtlich der Handlungs- und Interaktionsstrategien konnten bereits Einblicke gewonnen werden, anhand welcher Kriterien Lehrer*innen Erklärvideos für den Sachunterricht auswählen bzw. inwieweit die Lehrkräfte selbst Erklärvideos gestalten oder von den Lernenden gestalten lassen. Verschiedene Möglichkeiten des situationsspezifischen Umgangs mit dem audiovisuellen Medium im Unterrichtsgeschehen konnten anhand der Aussagen der Lehrkräfte ebenso identifiziert werden wie auch unterschiedliche Zielsetzungen des Erklärvideoeinsatzes im Sachunterricht. Auch die Nutzung von Erklärvideos zu Vorbereitungszwecken wurde als eine Strategie des Erklärvideoeinsatzes von Lehrenden beschrieben. Als Konsequenzen ihres Erklärvideoeinsatzes nahmen die Lehrkräfte von Cluster 1 die Aktivierung der Lernenden sowie eine Erweiterung des eigenen didaktischen Handlungsspielraums wahr. Diese Faktoren beeinflussten wiederum die persönliche Bewertung der Sinnhaftigkeit des Erklärvideoeinsatzes im Sachunterricht. In Abbildung 3.5 sind die zentralen Erkenntnisse aus dem ersten Interviewcluster in einer ersten Version des Rahmenmodells dargestellt.

Abbildung 3.5
figure 5

(Eigene Darstellung)

Erste Version eines Rahmenmodells zum Erklärvideoeinsatz im Sachunterricht.

3.3.4 Cluster 2 – Theoretisches Sampling zur Abbildung weiterer Facetten

Nachdem in Cluster 1 bereits unterschiedliche Aspekte des Erklärvideoeinsatzes identifiziert werden konnten, jedoch noch keine theoretische Sättigung erkennbar war, sollten durch die Interviews weiterer Lehrer*innen neue Erkenntnisse zum Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht gewonnen und bestehende Konzepte weiter ausdifferenziert werden. Die zweite Erhebungsphase begann mit der Befragung weiterer Lehrkräfte aus Österreich. Mit IP9, IP10 und IP11 wurden drei Volksschullehrerinnen interviewt, die mit rund 15 bis 20 Jahren Berufserfahrung mitten im Arbeitsleben standen. Zwei der Lehrerinnen unterrichteten in großen städtischen Volksschulen, eine in einer ländlich geprägten Gegend in einer zweisprachigen Volksschule. Alle drei Interviewpartnerinnen hatten bereits Erfahrungen mit dem Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht gesammelt, IP11 erzählte auch von eigenen Versuchen der Erklärvideoproduktion und von der gemeinsamen Gestaltung sachunterrichtlicher Erklärvideos mit den Lernenden. Da die drei Interviews in der Auswertung wenig neue Erkenntnisse zutage förderten, wurde mit IP12 eine Volksschullehrerin befragt, die zusätzlich in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden im Bereich der Medienpädagogik tätig war. Sie begleitete die Studierenden auch bei deren Unterrichtspraktika und konnte daher Beobachtungen einbringen, wie sie angehende Lehrkräfte beim Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht erlebt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden ausschließlich Interviews mit österreichischen Volksschullehrkräften geführt. In Österreich studieren angehende Lehrer*innen im Rahmen ihrer Ausbildung alle Fächer außer Religion, werden also zu Generalistinnen und Generalisten ausgebildet (Soukup-Altrichter, 2020). Im Sinne des explorativen Interesses des vorliegenden Forschungsvorhabens mit dem Ziel, ein möglichst breit gefächertes Spektrum an Sichtweisen auf das audiovisuelle Medium zu erheben, wurde entschieden, in einem nächsten Schritt auch Lehrkräfte zu befragen, die andere Ausbildungsstrukturen durchlaufen haben. Mit IP13, IP14 und IP15 konnten zwei Grundschullehrer und eine Grundschullehrerin aus Deutschland für Interviews gewonnen werden, die erst seit wenigen Jahren dem Lehrberuf nachgingen und deren Ausbildung sich von jener österreichischer Lehrer*innen stark unterschied: Zum Zeitpunkt des vorliegenden Forschungsvorhabens waren in der Ausbildung von Grundschullehrkräften in Deutschland „fachwissenschaftliche und -didaktische Studieninhalte aus den Fächern Deutsch und Mathematik sowie einem weiteren Fach oder Lernbereich für die Grundschule bzw. Primarstufe“ (KMK, 2018, S. 2) Bestandteil des Studiums. Auch wenn die Ausbildungsstrukturen für den Sachunterricht an deutschen Universitäten und pädagogischen Hochschulen sehr unterschiedlich ausgestaltet sind (GDSU, 2019), war in diesem Zusammenhang von Interesse zu erfahren, wie Sachunterrichts-Fachlehrer*innen den Umgang mit dem audiovisuellen Erklärmedium im Sachunterricht beschreiben. Die drei Interviews brachten z. B. hinsichtlich der Auswahlkriterien für Erklärvideos neue Erkenntnisse. Die letzte Interviewpartnerin aus Cluster 2, IP16, kam ebenfalls aus Deutschland, verfügte im Gegensatz zu den drei Interviewten davor jedoch über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in deutschen Grundschulen. Sie berichtete auch über ihre Erfahrungen im Gestalten eigener Erklärvideos.

Die acht fokussierten Online-Interviews mit den Lehrer*innen aus Cluster 2 fanden zwischen dem 07.03.2022 und dem 11.07.2022 statt, parallel dazu wurden die Gesprächstranskriptionen ausgewertet. Wie bereits in Cluster 1 herrschte auch während der Interviews der zweiten Forschungsphase eine positive Gesprächsatmosphäre, bei der Durchführung und Aufzeichnung der Online-Interviews traten keine technischen Probleme auf. Das eingangs gezeigte Erklärvideo ermöglichte den Befragten erneut einen unmittelbaren Einstieg in die beforschte Thematik und diente manchen auch zwischendurch als Anhaltspunkt für weiterführende Überlegungen. Um Lücken in den Daten zu füllen und einer theoretischen Sättigung näher zu kommen, lag ein Schwerpunkt bei der Befragung der Lehrer*innen aus Cluster 2 auf dem genaueren Nachfragen in Hinblick auf das Vorgehen bei der Auswahl von Erklärvideos für den Sachunterricht. Hierzu konnten in Cluster 1 nur sehr allgemeine Aussagen getroffen werden. Ein zweiter Fokus lag auf dem gezielteren Erheben von Beobachtungen der Lehrkräfte hinsichtlich der Reaktionen von Lernenden auf den Einsatz von Erklärvideos. Im folgenden Teil werden die Ergebnisse des Auswertungsprozesses von Cluster 2 dargestellt.

3.3.5 Cluster 2 – Neue Erkenntnisse und Bestätigung bestehender Kategorien

Bei der qualitativen Analyse der Interviews von Cluster 2 konnten viele neue Konzepte identifiziert werden, die wiederum mit bereits bestehenden Kategorien in Beziehung gesetzt wurden. Im Zuge des selektiven Kodierens wurden die Interviewtranskripte von Cluster 1 erneut durchgesehen, um auch dort nach Evidenzen für neu gewonnene Einsichten zu suchen. Nachfolgend werden die Ergänzungen und Veränderungen beschrieben, die sich durch die Erkenntnisse aus den Interviews in Cluster 2 zum Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht für die einzelnen Bereiche ergeben.

Ursächliche Bedingungen

Die zwei zentralen ursächlichen Bedingungen, die in Cluster 1 identifiziert wurden, bilden sich auch in den Daten von Cluster 2 ab. Auch hier wurden Schulschließungen und Fernunterricht im Zuge der Coronapandemie als wesentliches Motiv für den Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht genannt:

„Also ich bin überhaupt erst durch dieses Homeschooling […] auf vieles erst gestoßen, muss ich schon sagen.“ (IP9, 75)

„Wir haben uns einfach auf die Suche begeben, fürs Homeschooling, wie wir die Themen den Kindern am besten nahebringen, und da sind wir eben auf diese Videos gestoßen.“ (IP10, 107)

„Gerade im Sachunterricht hast du das für viele Themen einsetzen können, wo sie sich das dann halt vertiefend anschauen konnten.“ (IP11, 99)

„[…] jetzt in der Pandemie ist man ja superangewiesen und abhängig gewesen von diesem digitalen Medium. Und ein Glück gibt es das. Und da hat man noch einmal gemerkt, wie viel das einem eigentlich geben kann.“ (IP14, 87)

Auch in Bezug auf das eigenständige Erstellen von Erklärvideos (siehe „Handlungs- und interaktionale Strategien“ in diesem Kapitel) für den Sachunterricht wurde die Coronapandemie als Grund genannt: „Das hab ich vorher überhaupt gar nicht so richtig auf dem Schirm gehabt, da hab ich mich auch richtig eingefuchst und eingearbeitet […] und da bin ich eigentlich ans eigene Filmen rangekommen. Das ist durch die Pandemie gekommen.“ (IP16, 97)

Zum Umgang mit dem Bildungsauftrag des Sachunterrichts als Anlass für den Erklärvideoeinsatz konnte anhand der Daten von Cluster 2 ein zusätzlicher Teilaspekt identifiziert werden, nämlich das Ziel, die Kinder in der Entwicklung ihrer individuellen Medienkompetenz zu unterstützen:

„[…] was mir auch wichtig ist, dass die Kinder im oder durch den Sachunterricht Methoden kennenlernen, wie sie selber Informationen erhalten […].“ (IP9, 83)

„[…] man versucht ja vielmehr, den Kindern Wege und Möglichkeiten an die Hand zu geben, sich die Welt – darum geht es ja letztlich im Sachunterricht auch –, sich die Sachen der Welt selbst zu erschließen. Sei es jetzt eben in Form von Videos, die man zeigt, […] da ist der Sachunterricht auf jeden Fall ein Fach, das gut dafür geeignet ist, den Kindern Möglichkeiten zu geben, sich selbst Inhalte zu erschließen und, ja, für uns, den Kindern dabei zu helfen zu lernen, wie sie etwas lernen.“ (IP13, 103)

„Ich möchte eigentlich, dass die [Kinder, S. M.] sich so ein Grundverständnis von ihrer Lebenswelt aneignen. Und ich möchte gerne diese Fragehaltung, die sie haben, ausbauen und wertschätzen und dass die Kinder aber auch wissen, wie sie damit umgehen. Also dass es toll ist, dass man Fragen hat, dass das wichtig ist, und aber dann Hilfe zur Selbsthilfe leisten, wie beantworte ich mir die Fragen.“ (IP14, 71)

Laut IP14 könnten Erklärvideos für Lernende also eine Hilfe zur Selbsthilfe darstellen. Insgesamt lässt sich für die Betrachtung der ursächlichen Bedingungen der Erklärvideonutzung festhalten, dass die in Cluster 1 identifizierten Kategorien durch die neu erhobenen Daten ausdifferenziert werden konnten und bestehende Konzepte mit weiteren Textstellen in den Daten verankert wurden.

Handlungs- und interaktionale Strategien

Bei den Handlungsstrategien bzw. interaktionalen Strategien blieben die vier zentralen Kategorien, die bereits bei der Datenauswertung von Cluster 1 festgestellt wurden, unverändert bestehen. Innerhalb der Kategorien entstand jedoch ein wesentlich ausdifferenzierteres Bild, vor allem hinsichtlich des Vorgehens bei der Auswahl von Erklärvideos und beim situationsspezifischen Umgang mit den Videos im Unterrichtsgeschehen.

Das Vorgehen bei der Auswahl von Erklärvideos für den Sachunterricht war ein Schwerpunkt bei den Datenerhebungen in Cluster 2. In Cluster 1 benannten manche Lehrkräfte nur wenige oder sehr allgemeine Kriterien, die ein Erklärvideo für den Sachunterricht ihrer Meinung nach erfüllen müsste. Auch in Cluster 2 wurde – trotz gezielterem Nachfragen – deutlich, dass einige Lehrer*innen eher unspezifische Kriterien für die Auswahl von Erklärvideos heranziehen:

„[…] es muss in erster Linie mich, weil ich es ja aussuche, von der Aufmachung her ansprechen. Also wenn das jetzt, wenn das düster ist oder es gefällt mir nicht oder mir wird schon langweilig, wenn ich es anschaue, dann nehme ich es nicht.“ (IP9, 59)

„Es muss mir einmal gefallen. Und es muss kindgemäß sein. Ich möchte nichts, wo ich mir denk: ‚Ja, das ist jetzt zu langweilig oder zu hochtrabend für die Kinder‘ […].“ (IP10, 59)

„Es muss mir erstens selber gefallen, also es muss mich selber abholen. Ich muss mir, wenn ich das Video angesehen habe oder während des Ansehens muss ich eigentlich auch dauerhaft dabeibleiben, weil ich das Gefühl hab, wenn ich schon irgendwie zwischendurch abschalte, weil es mir entweder zu kompliziert ist oder zu langweilig, dann fliegt es schon mal raus.“ (IP15, 39)

Das konkrete Vorgehen bei der Suche nach Erklärvideos für den Sachunterricht beschrieb IP15 folgendermaßen:

„Tatsächlich mach ich es mir meistens einfach und schau auf YouTube und guck mir dann die ersten zehn Ergebnisse vielleicht an. Wenn bei den ersten zehn nichts dabei ist, würde ich sagen, dass ich oftmals schon aufgebe und ein anderes Medium heranziehe oder überlege, wie könnte ich die Inhalte, die ich jetzt gesehen hab, die mir aber nicht passend aufbereitet wurden, selber aufbereiten.“ (IP15, 43)

Im Gegensatz dazu berichtete eine andere Lehrkraft wiederum davon, dass sie bei der Suche nach Erklärvideos „tatsächlich mit der Recherche Stunden um Stunden um Stunden beschäftigt“ sei (IP12, 31). Hier zeigen sich also deutliche Unterschiede in den Herangehensweisen beim Auswahlprozess von Erklärvideos für den Sachunterricht, wobei manche Aussagen durchaus eine kritisch-reflektierte Medienwahl nahelegen:

„Ich finde, das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer jetzigen Tätigkeit. Ich unterrichte auch Medienbildung und weise die Studenten immer darauf hin, dass das sorgfältig auszuwählen Teil ihrer Tätigkeit ist.“ (IP12, 27)

„Ich find die Videos ganz toll, ich finde nur, was man immer bedenken muss und was man ja mit allen Materialien und Medien machen muss, die man irgendwie hat, ist, das wirklich auch für sich zu prüfen. Nicht jedes Erklärvideo, das ich finde, ist geeignet. Und sich da auch trotzdem in der Vorbereitung die Zeit zu nehmen, zu sagen, dass das ein wichtiger Punkt ist und wenn es mir so helfen soll, wie es mir helfen kann, dann muss ich mich auch sorgsam und gut ausgewählt diesem Medium nähern und mich mit dem auseinandersetzen und nicht sagen: ‚Ach, ich erleichtere mir das jetzt durch so ein Video‘, […] und dann nehm ich das erste, was mir vorgeschlagen wird. Aber das ist ja mit allen Materialien und Medien so, wie man eigentlich umgehen sollte.“ (IP14, 91)

Ergänzend zu den Auswahlkriterien aus Cluster 1 wurden in den acht Interviews aus Cluster 2 insgesamt neun weitere Kriterien für Erklärvideos genannt, auf die Lehrkräfte bei der Medienwahl für den Sachunterricht achten. Bei den gestalterischen Merkmalen waren dies:

  • Minimalistische/einfache Gestaltung (IP9, IP10, IP14, IP16)

  • Zusammenspiel von Bild und Ton (IP13, IP15)

  • Anschauliche Bebilderung (IP13)

Den inhaltsbezogenen Merkmalen wurden folgende neue Kriterien zugeordnet:

  • Arbeitsauftrag am Ende des Videos (IP11, IP15)

  • Gendersensibilität (IP12, IP16)

  • Abschließende Zusammenfassung (IP12)

  • Roter Faden (IP16)

Bei den zielgruppenbezogenen Merkmalen konnten zwei Kriterien ergänzt werden:

  • Lebensweltbezug (IP9, IP13, IP15)

  • Kindliche Identifikationsfigur (IP9)

Die meisten Nennungen betrafen – wie bereits in Cluster 1 – die „kindgerechte Aufbereitung“ und die „Dauer“. Vor allem hinsichtlich der Dauer beschrieben die Lehrkräfte aus Cluster 1 und 2 konkrete Vorstellungen:

„Für die Kleinen gehen drei Minuten, fünf Minuten, aber das ist schon das Höchste aller Gefühle.“ (IP1, 39)

„Maximal fünf Minuten, würde ich sagen.“ (IP4, 27)

„Es sollte kurz und prägnant sein, also nicht mehr als 6 bis 7 Minuten, auf das achte ich besonders.“ (IP6, 67)

„[…] das hat sechs Minuten gedauert, das war gerade richtig.“ (IP9, 27)

„Ja, wie ein Unterrichtseinstieg. Also, wenn ich es als Impuls verwende – 5 bis 8 Minuten. Wenn ich es als Erarbeitung, Input nehme – 20 Minuten.“ (IP12, 47)

„Ich würde sagen, maximal fünf, sechs, sieben Minuten, länger soll es nicht dauern.“ (IP13, 67)

Auf die Frage nach den Quellen, aus denen die Erklärvideos stammen, wurden von den deutschen Grundschullehrkräften vor allem Angebote der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender genannt:

„Also, ich nutz vor allem so die Kindermediatheken, die Seiten der Öffentlich-Rechtlichen, und schau dort, was dort so zu finden ist.“ (IP13, 51)

„Worauf ich zurückgreife, sind oftmals so Erklärvideos von Kindersendungen, so Ausschnitte aus der ‚Sendung mit der Maus‘ oder ‚Willi wills wissen‘ oder irgendwie aus der Richtung, weil die oftmals tatsächlich dieses Sprachliche mit dem Bildlichen auch gut verknüpfen.“ (IP15, 11)

„Ja, die stammen schon aus kindersicheren Quellen, sag ich mal. Das ist dann wirklich entweder Peter Lustig, also ARDFootnote 5, ZDFFootnote 6, da laufen tolle Sachen.“ (IP16, 65)

Übereinstimmend mit Cluster 1 wurden auch von allen Lehrer*innen aus Cluster 2 Online-Videoportale für die Suche nach passenden Erklärvideos für den Sachunterricht genutzt. Die Videoplattform YouTube wurde dabei wiederum am häufigsten genannt, wie folgende Aussagen verdeutlichen:

„Also bis jetzt eigentlich großteils über YouTube.“ (IP9, 51)

„Ich bin dankbar, dass es diese vielen YouTube-Videos gibt, weil ich wüsste nicht, woher ich sie sonst nehmen würde. Und ich hoffe, dass es so bleibt, dass es nichts kostet weiterhin, weil das machen ja auch Menschen gratis und in ihrer Freizeit, und dass die das alles reinstellen, damit andere das auch verwenden können, das finde ich super.“ (IP10, 115)

„Ich such sie meistens über YouTube raus […].“ (IP11, 67)

„[…] wo ich dann geguckt hab, dass ich mich auf YouTube dann auch bediene […].“ (IP14, 15)

IP13 und IP14 erwähnten – wie bereits IP4 aus Cluster 1 – auch die kostenpflichtige Plattform Sofatutor als Quelle für sachunterrichtliche Erklärvideos. Abseits vorgefertigter Videos wurde auch in Cluster 2 von der eigenständigen Gestaltung von Erklärvideos im bzw. für den Sachunterricht berichtet. Drei Lehrkräfte hatten Sachunterrichts-Erklärvideos selbst erstellt:

„Ich hab es aber auch schon selber dann und wann zusammengestellt, wenn ich wo etwas gebraucht hab.“ (IP11, 59)

„Für den Sachunterricht hab ich ein Video gemacht, damals ging’s um die […] Gebäude der Ringstraße, ja, das ist halt ein starkes Thema, das halt Lockdown-bedingt wirklich gelitten hat.“ (IP12, 23)

„Also, ich hab jetzt zum Beispiel in der Coronaphase, als wir keinen Präsenzunterricht hatten, da hab ich viele Videos selbst gedreht, […] um die Kinder bei der Stange zu halten.“ (IP16, 29)

Neben den schon in Cluster 1 genannten Möglichkeiten einer genauen Anpassung eigenproduzierter Erklärvideos an die Voraussetzungen der eigenen Klasse führte IP16 auch eine weitere Begründung für die Produktion eigener Videos für den Sachunterricht an: „Das ist sehr viel persönlicher, da gehen die Kinder dann sehr viel emotionaler damit um, steigen emotionaler ein […]“ (IP16, 53).

Auch von der Strategie, die Lernenden Erklärvideos im Sachunterricht gestalten zu lassen, machten Lehrkräfte aus Cluster 2 Gebrauch:

„Wir haben es in der Verkehrserziehung eingesetzt, als wir mit der letzten Vierten die Radfahrprüfung gemacht haben. Da haben wir Fotos mit den iPads gemacht und dann einfach dazu gesprochen, mit den ganzen Verkehrszeichen, Straßenschildern, was was ist, einfach damit sie sich damit beschäftigen. Und es ist halt ein anderer Zugang gewesen, das hat ihnen mehr Spaß gemacht, als wenn wir nur Bilder hochgehalten hätten: ‚Was ist das?‘“ (IP11, 119)

„Also wir haben uns erst mit den Landschaftsformen unseres Bundeslandes an sich auseinandergesetzt, da war ganz viel Recherche angesagt, Suchmaschinen, aber auch analog in Heften und Büchern. Und dann sind wir ganz klassisch über diese Schwerpunktsetzung ins Storyboard gegangen, das die Schüler dann auch selbst erstellt haben, und schließlich am Ende in das Abfilmen, um aufzuzeigen, was eigentlich dahintersteckt.“ (IP14, 67) „Und so hatten wir am Ende tolle kreative Lernvideos zu ganz vielen Landschaftsformen in unserem Bundesland, zum Moor, zur Heide, zu allem Möglichen, alle waren total unterschiedlich und selbst wenn die gleiche Landschaftsform gewählt wurde, gab es andere Schwerpunkte, die betrachtet wurden. Und diesen ganzen Prozess zu beobachten, war total toll, weil die Kinder sich ganz, ganz kreativ ausgelebt haben.“ (IP14, 75)

Durch die Beschreibungen wird – wie auch bereits im ersten Interviewcluster – deutlich, dass die Gestaltung von Erklärvideos durch die Lernenden aus Sicht der Lehrkräfte vielfältige Möglichkeiten der Themenbegegnung und der medienkreativen Arbeit eröffnet. Dass die Erklärvideoproduktion durch die Kinder auch misslingen kann, zeigt die Aussage von IP12:

„Also ich habe es angeregt mit meiner letzten Vierten, weil wir ja die iPads hatten und die neu waren. Und es ist ganz spannend, weil es hat nicht funktioniert. Es gab viele, die gesagt haben: ‚Nein, das wollen wir nicht‘, dann gab es die, die gesagt haben: ‚Ja, das machen wir.‘ Und die haben dann vor der Kamera vor lauter Lachen- also es ist tatsächlich mit dieser Vierten nicht wirklich etwas dabei rausgekommen.“ (IP12, 107)

Bezüglich der didaktischen Zielsetzungen beim Erklärvideoeinsatz konnten bereits ermittelte Einsatzzwecke um weitere Aussagen angereichert werden, außerdem wurden anhand der neu erhobenen Daten drei weitere Ziele identifiziert:

  • Eigenständiges Erarbeiten neuer Inhalte (IP10, IP11, IP13, IP14, IP16)

  • Anregen von Selbsterklärungen (IP9, IP13, IP14, IP16)

  • Förderung der Motivation (IP9, IP14, IP16)

Der Einsatz von Erklärvideos, um Kindern das eigenständige Erarbeiten neuer Inhalte zu ermöglichen, war eine in Cluster 2 mehrfach genannte Zielsetzung:

„Also ich nutz sie […] für die Erarbeitung, um den Kindern halt die Möglichkeit zu geben, sich einen Inhalt zu erarbeiten, also sich Informationen daraus zu ziehen, mit denen man dann weiterarbeiten kann. Also so ist es gedacht, dass, ja, dass man halt, anstatt dass man die Kinder einen Text lesen und daraus sich Informationen ziehen lässt, dass man dann stattdessen den Kindern halt ein Video zeigt, aus dem sie die Information dann ziehen.“ (IP13, 39)

„Dazwischen hab ich dann tatsächlich Phasen, z. B. in der Unterrichtswerkstatt, wo die Kinder ja sich selbst letztendlich durchhangeln und ich im Grunde nur Berater bin, wo die Kinder die Tablets dann bekommen, und dann dürfen sie sich selbstständig auf diesen Tablets auch andere, eigene Videos angucken. Ich geb die Seiten vor, das ist ganz klar, bestimmte Seiten sind gesperrt, das ist in der Schule ja sowieso so. Aber dann gehen sie in Kleingruppen in den Gruppenraum oder auf den Flur – wir haben so nette Sitzecken jetzt – und schauen sich dann da alleine zum Beispiel mal ein Video an und kommen dann wieder zurück in die Klasse und erzählen, berichten davon, was sie da erfahren haben, was sie gelernt haben.“ (IP16, 45)

Auch das Anregen von Selbsterklärungen beschrieben Lehrkräfte aus Cluster 2 als Zielsetzung ihres Erklärvideoeinsatzes im Sachunterricht:

„Die Kinder arbeiten an einer Station zu einem Thema, machen da ihren Versuch und das Video erklärt den Versuch oder hilft bei der Erklärung, das sind noch mal Hinweise, und dann muss die Erklärung auf Grundlage des Videos noch mal in eigenen Worten wiedergegeben werden oder die Kinder sollen versuchen, das selber dadurch noch mal zu erklären.“ (IP14, 39)

„Und dafür finde ich dann diese Erklärvideos gut, einfach um mit Kindern ins Gespräch zu kommen und sie das, was sie gesehen haben, hinterher selbst ausdrücken zu lassen.“ (IP16, 133)

IP9 nannte auch eine Begründung dafür, die Kinder eigenständige Erklärungen aus dem Gesehenen formulieren zu lassen: „[…] was die Kinder den anderen Kindern dann erklären, das bleibt denen so in Erinnerung.“ (IP9, 99) Für IP16 stellten die Selbsterklärungen der Kinder auch eine Rückversicherung dar, dass Lernzuwachs stattgefunden hat: „Und indem sie das tun, weiß ich natürlich, meine Schüler haben es verstanden […].“ (IP16, 101)

Als weiteres Ziel des Erklärvideoeinsatzes im Sachunterricht wurde von einigen Befragten aus Cluster 2 auch die Förderung der Motivation der Lernenden genannt:

„Es ist immer sehr motivierend, das ist mir aufgefallen. Egal, was es ist, es motiviert die Kinder einfach, so kurze Sequenzen.“ (IP9, 23)

„Also tatsächlich arbeiten die sehr viel mit Laptops bei uns in der Schule, nichtsdestotrotz hat das immer noch einen super hohen Aufforderungscharakter dieses Medium, dieses Video.“ (IP14, 31)

„Das hat natürlich schon einen hohen Motivationscharakter. Also wenn ich dann das CTOUCH-Board anmache und sie sehen, dass ich da rumfuhrwerke am Tablet, dann kommt schon: ‚Oh, wir gucken ein Video‘, ‚Oh, Frau Lehrerin macht ein Video an‘, also es hat schon einen hohen Motivationscharakter, das ist tatsächlich so. Und wenn man das mit einbindet, dann finde ich, ist es ein supergutes Medium zum Lernen.“ (IP16, 49)

Zum situationsspezifischen Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht konnten mithilfe der Daten aus Cluster 2 in drei Bereichen neue Einsichten gewonnen werden. Bezüglich des gemeinsamen Anschauens der Erklärvideos berichteten Lehrkräfte davon, wie sie einen passenden Rahmen für das Vorführen der Videos schaffen, „damit es eben nicht zu ‚Wir schauen fern in der Schule‘ verkommt“ (IP12, 47):

„Ich finde es wichtig, dass die Schüler wissen, wenn man ein Video zeigt, das ist jetzt hier kein Kino, das ist jetzt etwas zum Lernen. Das ist mir immer sehr wichtig. Also das sag ich in den Klassen auch tatsächlich vorher immer an: ‚Wir werden uns hinterher darüber unterhalten, ich werde Fragen stellen, wir werden in den Austausch gehen, vielleicht musst du irgendwann dazu auch einen Test schreiben.‘ Also ich mach schon deutlich, es ist kein Kino, es ist zwar Vergnügen, aber es ist ein Lernvergnügen. Und das finde ich einfach sehr wichtig, dass man das den Kindern deutlich macht. Weil die kennen von zu Hause immer: ‚Ich mach YouTube an, ich mach dies an, dies an, dann klick ich weiter, weiter, weiter, lass mich berieseln‘, sie wollen ja bespaßt werden, es ist eine Spaßgesellschaft heute. Und dann einfach zu sagen: ‚Okay, wir machen es uns jetzt nett, es gibt jetzt einen Film, aber der ist zum Lernen.‘“ (IP16, 153)

Das Vorhandensein der passenden technischen Ausstattung im Klassenzimmer war für die Lehrer*innen aus Cluster 1 ein wichtiger Einflussfaktor auf den Einsatz von Erklärvideos. In Cluster 2 berichteten jedoch einige Lehrkräfte von Strategien, wie sie die fehlende Ausstattung kompensieren:

„[…] ich hab in der Klasse leider weder Beamer noch Smartboard. Ich mach das mit meinem iPad. Das heißt, es ist jetzt nicht wirklich groß an die Wand projiziert oder so. Also ich stell das auf den Tisch und die Kinder setzen sich rundherum, und selbst da funktioniert das recht gut.“ (IP9, 31)

„Dann wurde uns der Laptop weggenommen, weil, ja … egal. Jetzt haben wir keinen mehr, und jetzt nehm ich eigentlich mein iPad mit und zeig es ihnen in Gruppen. Also die sitzen hinten in der Klasse und sie schauen dann- weil diese Videos dauern ja meist nur ein paar Minuten, und das funktioniert ganz gut. Die anderen arbeiten daweil irgendetwas anderes. Und, ja, es klappt.“ (IP10, 19)

„Eine Freundin hat angefangen, Erklärvideos einzusetzen, weil ich es ihr so schmackhaft gemacht habe. Und die hat eine Klasse, […] die haben keine Ressourcen gehabt im Haus, und auch die haben die Erklärvideos am Handy gesehen. […] Also da sitzt dann eine ganze Klasse, schaut das am Handy, aber es kommt an. […] Es hat nicht mit der technischen Ausstattung der Schule zu tun und auch nicht mit der der Eltern. Weil Handy, Smartphone, an dem Punkt sind wir schon. Auch wenn vieles nicht da ist, aber irgendwer hat in einer Familie ein Smartphone. Das ist jetzt fast wirklich schon Standard.“ (IP12, 95)

Auch IP11 kommentierte die Frage nach der technischen Ausstattung: „[…] also irgendwelche Geräte brauchst du, damit du die Erklärvideos einsetzen kannst, das stimmt schon, aber man muss dazu jetzt nicht unbedingt ein Smartboard haben, muss ich auch sagen.“ (IP11, 23) In den Aussagen wird deutlich, dass Lehrkräfte unterschiedliche Möglichkeiten nutzen, um Erklärvideos auch bei fehlender technischer Ausstattung in sachunterrichtliche Lehr- und Lernprozesse zu integrieren.

Eine weitere Form des situationsspezifischen Umgangs mit Erklärvideos im Sachunterricht beschrieb IP16. Sie setzt Erklärvideos mitunter auch ganz spontan ein:

„[…] manchmal ergibt sich auch etwas im Unterricht vom Kind aus und dann schmeiß ich auch meine Sachen echt mal über Board und sag: ‚Okay, das möchtest du jetzt wissen, dann gucken wir mal, vielleicht gibt es auch dazu jetzt ein Video, wir machen uns mal gemeinsam auf die Suche und gucken mal.‘“ (IP16, 41)

Auch hinsichtlich der Verteilung von Erklärvideos, vor allem dann, wenn die audiovisuellen Medien im Unterricht nicht gemeinsam geschaut werden, konnten Erkenntnisse gewonnen werden:

„Ich verlinke so was auf Skooly [österreichische Lernplattform für die Volksschule, S. M.] manchmal […].“ (IP9, 103)

„Aber so mit diesen gescannten QR-Codes, über die dann YouTube-Videos aufgehen, die funktionieren sehr gut.“ (IP10, 55)

„[…] wir haben z. B. das Thema Winter gemacht, wo sie dann QR-Codes bekommen haben von mir, mit Fragen, und wo sie dann halt die passenden Erklärvideos mit dem iPad gescannt haben und sich das dann angeschaut haben […].“ (IP11, 35)

IP10 und IP16 berichteten in diesem Kontext auch davon, Erklärvideos während der Corona-Lockdowns über den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp verschickt zu haben.

Intervenierende Bedingungen

Bei den intervenierenden Bedingungen des Erklärvideoeinsatzes im Sachunterricht bestätigten die in Cluster 2 erhobenen Evidenzen bestehende Kategorien der ersten Untersuchungsphase. Nur hinsichtlich der personenbezogenen Merkmale der Lehrkraft konnte ein Bereich ergänzt werden, nämlich (fehlende) Kompetenzen bei der Auswahl und Bewertung von Erklärvideos. Wie sich bereits bei den Handlungsstrategien in Bezug auf die Auswahl von Erklärvideos gezeigt hat, greifen einige Lehrkräfte bei der Bewertung potenzieller Erklärvideos für den Sachunterricht auf sehr allgemeine Kriterien zurück. IP12 stellte hierzu fest, dass auch Lehramtsstudierende bei der Wahl von Erklärvideos teilweise unreflektiert vorgehen: „Und ich hab dann oft Studenten, die Kurzfilme zeigen und dann im Nachhinein sagen, ja, damit waren sie eh nicht so zufrieden […].“ (IP12, 27) Dies offenbare IP12 zufolge fehlende Kompetenzen bei der Auswahl von Unterrichtsmedien:

„Ich gehe schon vor der Studentin auf die Suche, es gibt zu diesem Thema […] tolle Erklärvideos. […] Also das heißt, ich gehe ihren Weg voraus und ich verlange von ihr – 6. Semester –, dass sie das Video nur findet, ja, nicht einmal kreiert, und trotzdem klappt es nicht. Und da sind wir bei Suchbegriffen und das muss geübt werden, weil das fängt im jungen Alter an.“ (IP12, 31)

Konsequenzen

Ähnlich wie bei den intervenierenden Bedingungen blieben auch hinsichtlich der Konsequenzen die drei Hauptkategorien, die in Cluster 1 identifiziert wurden, weitgehend unverändert. Dennoch konnten bestehende Überlegungen um weitere Textpassagen ergänzt werden, zusätzlich wurden einige neue Subkategorien identifiziert. Ein Ziel für die Befragung der Lehrkräfte in Cluster 2 war es, in Bezug auf die wahrgenommene Aktivierung der Lernenden beim Erklärvideoschauen konkrete Reaktionen der Lernenden beim Einsatz der Videos im Sachunterricht vertiefend zu erheben. Hierzu berichten Lehrer*innen Folgendes:

„Ich mein, es ist einmal so, dass die Kinder gerne Videos schauen. Und wenn ich jetzt sage: ‚Es kommt ein Video‘, dann schreien sie schon: ‚Juhu!‘ Wenn ich jetzt das Gleiche so sagen würde oder zeigen würde, mit den gleichen Materialien, wäre es wahrscheinlich nicht so effizient, als wenn sie das jetzt aus dem iPad heraus sehen, weil, ja, das Medium gefällt ihnen, es ist einmal was anderes und deswegen sind sie da schon viel aufmerksamer.“ (IP10, 39)

„Ja, aufmerksames Schauen des Videos. Also eine ruhige Atmosphäre in der Klasse, während das Video geschaut wird. Also sie verfolgen interessiert das, was gezeigt wird, und sprechen halt auch an gewissen Stellen über das Gesehene.“ (IP13, 31)

„[…] ich glaube, dass tatsächlich die Kinder im Moment gerade, also auch über andere Medien – TikTok ist ein ganz großes Ding – haben sie sehr viele Berührungspunkte mit diesen bewegten Medien in ihrer eigenen Lebenswelt und da ist schon tatsächlich, bevor irgendein Video abgespielt wird, ist da schon eine Motivation im Klassenraum spürbar: ‚Oh, wir gucken ein Video‘, und da ist es auch egal, was für ein Video. Einfach nur, dass es eben ein Video ist, ist schon- vielleicht liegt es daran, dass sie sonst tatsächlich auch jetzt schon in der zweiten Klasse gewohnt sind, sonst nur mit Büchern und Bildern und Arbeitsblättern zu arbeiten, diese Abwechslung tatsächlich.“ (IP15, 27)

Aus den Zitaten geht hervor, dass auch einige Lehrkräfte des zweiten Interviewclusters eine Aktivierung der Lernenden wahrnehmen konnten. Diese wahrgenommene Aktivierung und Motivation der Lernenden könne jedoch schnell auch wieder nachlassen, wie z. B. IP13 berichtete:

„[…] die Aufmerksamkeit lässt nach, also nach einer gewissen Zeit sind die Kinder nicht mehr so konzentriert und aufmerksam dabei […] und dementsprechend sollte es einfach nicht zu lang sein.“ (IP13, 71)

Diese Aussage könnte auch eine Erklärung dafür liefern, warum viele der interviewten Lehrkräfte die Dauer der Erklärvideos als wichtiges Kriterium für die Auswahl benennen. Um nicht bloß auf die Aktivierung der Lernenden zu fokussieren, sondern einen breiteren Blick auf die (wahrgenommenen) Verhaltensweisen der Kinder auf den Erklärvideoeinsatz zu ermöglichen, wurde die Kategorie wahrgenommene Aktivierung […] in wahrgenommene Reaktionen der Lernenden auf Erklärvideos umbenannt.

In der Kategorie Erweiterung des didaktischen Handlungsspielraums konnten weitere Aussagen zur entlastenden bzw. unterstützenden Funktion der Erklärvideos für die Lehrkraft gesammelt werden:

„[…] ich glaub, das ist ja auch von Lehrer zu Lehrer unterschiedlich, weil der eine kann mit dem Thema besser umgehen, der andere mit dem. Aber wo ich mir selber vielleicht schwertue oder wo ich mir selber denk: ‚Das würde ich nie unterrichten, weil da hätte ich Angst davor‘, dann würd ich zu einem Erklärvideo greifen, das mir als Lehrer dann auch hilft, dass ich das besser in die Schule, in die Klasse bringen kann, den Kindern nahebringen kann.“ (IP10, 87)

„[…] manche Fragen, die die Kinder stellen, kannst du mithilfe solcher Erklärvideos beantworten, indem du dann- man weiß ja auch nicht immer die Antwort darauf und wenn man viele solcher Videos hat, können sie sich dort teilweise vielleicht die Antworten auch selber rausholen.“ (IP11, 87)

„Also wenn die Kinder da wirklich zuschauen, ist man selbst ausgeblendet, tatsächlich. Und sogar wenn ich präsent bleibe, weil mein Tisch ist neben der Projektionsfläche, und trotzdem bin ich dann ausgeblendet. Und das hat die Studierende auch gesagt, dann ist sie frei gewesen und sie war weniger erschöpft, was jetzt beim Maskentragen noch viel, viel mehr ins Gewicht fällt. Also sie hat mehr Ressourcen, kraftmäßig, stimmlich … es ist ressourcenschonend.“ (IP12, 99)

„Also das ist jetzt natürlich super für uns, weil es diese Planarbeit gut unterstützt bzw. die Stationsarbeit und weil wir grad ganz toll diese Vorteile des eigenständigen und individuellen Lernens bei den Kindern beobachten. Und da helfen Erklärvideos ungemein, weil sie natürlich selbst, ja, sich aussuchen, wann sie an diesem Inhalt arbeiten, sich das Video anschauen, gegebenenfalls noch mal zurückspulen können, auf Grundlage dessen ja trotzdem auch noch Fragen stellen können. Wir sind ja trotzdem da, um diese Fragen zu beantworten.“ (IP14, 19)

Im Sinne der Anbahnung medienkompetenten Handelns bei den Kindern erwähnte IP12, dass Lehrkräfte hinsichtlich der Wahl der Erklärvideos auch eine Vorbildfunktion einnehmen würden:

„[…] also es ist deswegen besonders relevant, weil wir ja auch da Vorbild sind. Das heißt, vieles von dem, was ich ausgewählt habe, läuft ja dann auch auf YouTube, auch wenn ich jetzt einen Film schicke, gibt es eine Vorschlagsseite, Vorschlagleiste. Und die Kinder nehmen diese Vorschläge dann, weil die sind zum Teil auch schon gewöhnt, ein Video nach dem anderen- ja, und deswegen ist es umso wichtiger, was ich auswähle, […] ich gebe sozusagen mein Gütesiegel als Lehrerin darauf. Und auch Eltern richten sich dann danach, und es ist mir deshalb sehr stark aufgefallen, weil nach irgendeinem der Lockdowns haben wir uns wieder getroffen und ein Schüler […] hat mir dann gesagt, er schaut das jetzt immer, was ich da geschickt hab, und ich hab mir gedacht: ‚Ich weiß gar nicht, was er meint!‘ Weil ich schaue dann nicht weiter, sondern ich gehe immer vom Thema aus. Aber der findet dann eben eine Sachunterrichts-Beitragsreihe und ist dann da drin. Und das ist, glaub ich, auch zu bedenken, dass das noch viel weitreichender ist.“ (IP12, 51)

Sich dieser Vorbildfunktion bewusst zu werden, sei IP12 zufolge Teil eines reflektierten Medienhandelns der Lehrkraft. Ein reflektiertes Medienhandeln der Lehrer*innen hätte wiederum auch Auswirkungen auf ein kritisch-reflektiertes Vorgehen bei der Auswahl der Erklärvideos für den Sachunterricht.

Die persönliche Bewertung des Erklärvideoeinsatzes konnte um einen Teilaspekt ergänzt werden, nämlich dass Erklärvideos keine sinnlichen Erfahrungen vorwegnehmen sollen:

„Im Sachunterricht muss geforscht werden, Käfer müssen gefangen und in der Becherlupe begutachtet werden. Da muss die Angst überwunden werden. Da muss auf die Jagd gegangen werden. Das sind wahre Erlebnisse, das muss mit allen Sinnen erlebt werden. Und da sind wir schon. Also eigentlich alles, was eine sinnliche Erfahrung sein muss, darf nicht mit Erklärvideos stattfinden. Jetzt kommt auch, warum: weil es vorwegnimmt. Es nimmt die Erkenntnis vorweg und […] die Kinder fallen in eine Untätigkeit, nicht einmal in eine Scheintätigkeit, die sind satt, die kommen- also das hab ich immer wieder, ich hab Kinder, die das dann auch nicht machen möchten mit den Händen, weil sie sagen, das haben sie schon gesehen. Es gibt ja genügend Kinderfernsehsendungen, die das auch zeigen logischerweise. Und es gibt immer wieder viele Kinder, die nichts angreifen oder begreifen, weil sie es gesehen haben. Und das reicht ihnen auch. Und es sorgt für eine Distanz, die aber gefährlich ist, wenn es ums Forschen und Experimentieren geht.“ (IP12, 83)

„Oftmals wird durch ein Video auch die Sache, sag ich, vorweggenommen […], z. B. beim Experimentieren, wo erklärt wird, wenn man das und das macht, passiert das, und das eigentlich ein Inhalt ist, den man […] die Kinder selber erarbeiten lassen möchte. Dann geht gewissermaßen die Spannung vom Selber-Ausprobieren eventuell verloren, da man vorher schon gesehen hat, was passiert, wenn das jemand anderes macht.“ (IP15, 79)

Zuletzt wurde auch der Wunsch nach einem allgemeinen Bestand an Erklärvideos für den Sachunterricht geäußert. IP16 fände es „gut, wenn es so einen Pool geben würde, wo diese Filme hochgeladen sind, wo die Kinder dann selbstständig gucken können, wo ich auch weiß als Lehrer, da kann nichts passieren, […] wo die Kinder dann selbstständig auswählen können“ (IP16, 133). Beim erneuten Durchsehen der Interviewtranskripte von Cluster 1 unter diesem Aspekt fiel auch auf, dass bereits dort der Wunsch nach einem derartigen Pool geäußert wurde, der damals jedoch dem Bereich „fehlende Angebote“ zugeordnet wurde:

„[…] das wäre ein tolles Ding, wenn es da einen Pool gibt an Links, wo man sagt: ‚Schaut, […] wenn ihr für Sachunterricht ein Video sucht, wenn ihr zum Thema Natur ein Video sucht, wenn ihr zum Thema Naturwissenschaften sucht‘- z. B. Physik, Chemie, das ist immer so ein ganz schwieriges Thema für uns in der Volksschule und ich weiß, dass das ein Thema ist, das gerne ein bisschen stiefmütterlich behandelt wird, und ich denk mir, wenn man da aber irgendwo weiß: ‚He, da findest du was‘, täten wir uns vielleicht leichter.“ (IP5, 71)

Auch IP8 merkte diesbezüglich an, es sei „schade, dass es nicht so einen allgemeinen Fundus gibt“ (IP8, 135), auch dieser Textabschnitt wurde im ersten Kodierprozess dem Bereich „fehlende Angebote“ zugeschrieben.

3.3.6 Cluster 2 – Vertiefende Einsichten zum Erklärvideoeinsatz

Mithilfe der neu gewonnenen Einsichten aus den Interviews in Cluster 2 konnten vertiefende Zugänge zum Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht aus Sicht der Lehrer*innen ermittelt werden. Zwar blieben die in Cluster 1 gefundenen Hauptkategorien unverändert, auf Ebene der Subkategorien konnten jedoch weitere Aspekte zum Umgang der Lehrkräfte mit dem audiovisuellen Medium ergänzt werden:

  • Hinsichtlich der ursächlichen Bedingungen konnte beim Umgang mit dem Bildungsauftrag des Sachunterrichts auch der Wunsch der Lehrkräfte identifiziert werden, die Kinder mit Erklärvideos im Unterrichtsgeschehen in der Entwicklung ihrer individuellen Medienkompetenz zu unterstützen.

  • Bei den Handlungs- und Interaktionsstrategien wurden zum Vorgehen bei der Auswahl von Erklärvideos vor allem in Hinblick auf die Anwendung unterschiedlicher Qualitätskriterien bei der Auswahl der Videos neue Erkenntnisse gewonnen. Ergänzungen konnten ebenso bei den didaktischen Zielsetzungen beim Einsatz des Mediums (konkret die Förderung der Motivation, das Anregen von Selbsterklärungen, das eigenständige Erarbeiten neuer Inhalte) und dem situationsspezifischen Umgang mit Erklärvideos (die Kompensation fehlender technischer Ausstattung bzw. Strategien bei der Verteilung der Erklärvideos oder der Schaffung eines passenden Rahmens) vorgenommen werden.

  • Die intervenierenden Bedingungen wurden bei den personenbezogenen Merkmalen der Lehrkraft um (fehlende) Kompetenzen bei der Auswahl und Bewertung von Erklärvideos erweitert.

  • Bei den Konsequenzen wurden Wahrnehmungen zu den Reaktionen der Kinder auf den Erklärvideoeinsatz noch konkreter betrachtet und die persönliche Bewertung des Erklärvideoeinsatzes um den Aspekt ergänzt, wonach Erklärvideos keine sinnlichen Erfahrungen vorwegnehmen sollen. Auch der Wunsch nach einem allgemein zugänglichen Bestand an Erklärvideos für den Sachunterricht kam hinzu.

Obwohl Cluster 2 kaum neue Erkenntnisse in Bezug auf die Hauptkategorien brachte, konnten die Ergebnisse genutzt werden, um bestehende Konzepte noch breiter in den Daten zu verankern und Beziehungen zwischen einzelnen Bereichen zu verdeutlichen. Vor allem die Erweiterung des beforschten Feldes auf deutsche Grundschullehrer*innen brachte neue Einsichten. Für manche der Kategorien kann aufgrund des Ausbleibens neuer Erkenntnisse bereits eine theoretische Sättigung angenommen werden. In Hinblick auf die Ausbildungsunterschiede der Lehrer*innen, die sich nicht nur zwischen Österreich und Deutschland zeigten, sondern auch zwischen deutschen Bundesländern, fehlen jedoch noch Daten für eine theoretische Sättigung. Diese Lücke sollte durch eine weitere Datenerhebungs- und -auswertungsphase im Rahmen eines dritten Interviewclusters mit deutschen Grundschullehrkräften unterschiedlicher Bundesländer geschlossen werden.

Die auf Basis der Evidenzen aus Cluster 1 erstellte erste Version eines Rahmenmodells zum Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht konnte anhand vertiefender Erkenntnisse aus Cluster 2 – trotz gleichbleibender Hauptkategorien – weiterentwickelt werden. Abbildung 3.6 verdeutlicht die zunehmend konkreter werdenden Einsichten in Bezug auf Einflussfaktoren der Erklärvideonutzung und deren Beziehungen zueinander, die in der aktualisierten Darstellung um das Phänomen „Einsatz von Erklärvideos“ gruppiert wurden.

Abbildung 3.6
figure 6

(Eigene Darstellung)

Adaptierte Version des Rahmenmodells zum Erklärvideoeinsatz im Sachunterricht.

3.3.7 Cluster 3 – Lücken in den Daten schließen

Obgleich die Auswertung der Interviews aus Cluster 2 bereits eine theoretische Sättigung für verschiedene Bereiche nahelegt, sollte mit der Durchführung einer dritten Interviewreihe noch den unterschiedlichen Formen der Ausbildung zur Grundschullehrkraft in den deutschen Bundesländern Rechnung getragen werden. Bei den befragten Grundschullehrenden aus Cluster 2 konnte keine große Vielfalt der Ausbildungsstrukturen abgebildet werden. Die unterschiedlichen Vorerfahrungen im Studium der Grundschullehrer*innen könnten aber auch Einfluss auf den Umgang mit Erklärvideos haben und damit weitere Einsichten zum Umgang mit dem audiovisuellen Medium im Sachunterricht eröffnen. Wie die GDSU (2019, S. 18 f.) feststellt, herrschen in Deutschland bundeslandübergreifend, aber auch „an den einzelnen Hochschulstandorten innerhalb der Bundesländer grundlegende Unterschiede der inhaltlichen Ausgestaltung des Sachunterrichtsstudiums“, ebenso verhält es sich hinsichtlich des Studienumfangs „mit einem sehr weiten Spektrum zwischen 9 Leistungspunkten und 70 Leistungspunkten“. Auch „das grundlegende konzeptionelle Kriterium der Vielperspektivität [wird] nicht in allen Bundesländern strukturell eingelöst, da Bezugsfächer teilweise additiv angefügt werden und somit eine Integration der fachdidaktischen Gesichtspunkte nicht immer deutlich werden kann“ (GDSU, 2019, S. 23). Um die Vielfalt der Ausbildungsstrukturen in Deutschland und deren mögliche Auswirkungen auf die individuellen Sichtweisen auf das Medium Erklärvideo im Sachunterricht darzustellen, wurden für Cluster 3 gezielt Grundschullehrer*innen unterschiedlicher deutscher Bundesländer gesucht. Aufgrund des eingeschränkten Zugangs des Forschenden zu diesem Untersuchungsfeld wurde die Suche nach potenziell zu Interviewenden unter anderem auch über die sozialen Netzwerke Facebook, Twitter und Instagram geführt (z. B. über den Instagram-Account @didaktik_des_sachunterrichtsFootnote 7 der Universität des Saarlandes). Insgesamt konnten damit acht Lehrkräfte aus sieben Bundesländern Deutschlands für die fokussierten Interviews gewonnen werden:

  • Baden-Württemberg

  • Berlin

  • Brandenburg

  • Bremen

  • Niedersachsen

  • Nordrhein-Westfalen

  • Sachsen

Die acht Online-Interviews fanden zwischen dem 28.07.2022 und dem 24.10.2022 statt, die Auswertungsphase der Gesprächstranskripte verlief – wie auch bei den vorangegangenen Clustern – so weit wie möglich parallel zur Erhebungsphase. IP17 und IP18 berichteten aus ihren langjährigen Erfahrungen als Sachunterrichtslehrerinnen und gewährten vielfältige Einblicke in die Auswahl und den Einsatz von Erklärvideos für den Sachunterricht. Mit IP19 und IP20 wurden im Gegensatz dazu die Sichtweisen von zwei erst kürzlich im Beruf stehenden Lehrerinnen auf das audiovisuelle Medium bzw. den Umgang damit erhoben. Beim Interview mit IP19 traten während des Gesprächs aufgrund einer schlechten Internetverbindung vorübergehende Aussetzer auf, manche Fragen mussten deshalb erneut gestellt werden. Eine offene Gesprächsatmosphäre beeinträchtigten die technischen Probleme nicht. Mit IP21 und IP22 wurden zwei Lehrerinnen mit fast 30-jähriger Berufserfahrung interviewt, die beide an derselben Grundschule unterrichteten. Aus Termingründen fanden die beiden Gespräche nicht im Einzelsetting statt, sondern in Form eines gemeinsamen Online-Interviews, bei dem beide Lehrerinnen gemeinsam in einem Raum saßen und nacheinander befragt wurden. Auch hier kam es zu Beginn des Gesprächs zu einer kurzen Unterbrechung aufgrund einer technischen Störung, das Interview konnte aber nach wenigen Minuten über den Laptop der zweiten Lehrerin fortgesetzt werden. Die Gesprächsdynamik unterschied sich durch die gemeinsame Interviewsituation von den anderen Gesprächen, weil sich die Lehrerinnen mitunter auch aufeinander bezogen und auf den Gedankengängen der Kollegin aufbauten. Auch IP23 verfügte über eine ähnlich lange Erfahrung als Grundschullehrerin, sie berichtete unter anderem auch von ihren Beweggründen, selbst Erklärvideos zu gestalten. Mit IP24 wurden abschließend noch die Sichtweisen der Schulleiterin einer deutschen Grundschule auf das Medium Erklärvideo erhoben.

Abgesehen von den angesprochenen technischen Störungen konnten alle Interviews ohne weitere Unterbrechungen durchgeführt werden. Eine positive Grundstimmung und eine offene Gesprächsatmosphäre konnte – wie in den vorangegangenen Interviewphasen – hergestellt werden. Auch das Zeigen eines Erklärvideos als einleitender Fokus trug abermals dazu bei, einen unmittelbaren Einstieg ins Thema zu finden. Vor dem Hintergrund der in Cluster 2 identifizierten (fehlenden) Kompetenzen mancher Lehrer*innen hinsichtlich der Auswahl und Bewertung von Erklärvideos für den Sachunterricht sollte im Zuge der dritten Erhebungsphase hierauf noch einmal ein genauerer Blick geworfen werden, vor allem auch auf die bereits angesprochenen Unterschiede hinsichtlich der Ausbildung.

3.3.8 Cluster 3 – Zusammenführung der Ergebnisse

Die Auswertung der dritten Interviewphase bestätigte trotz der Abbildung eines breiteren Spektrums an Lehrkräfte unterschiedlicher deutscher Bundesländer die Annahme aus Cluster 2, wonach sich eine theoretische Sättigung abzeichnete. In der Gesamtbetrachtung von Cluster 3 konnten nur mehr in zwei Bereichen Ergänzungen vorgenommen werden:

  • Die Auswahlkriterien wurden um die Aspekte „Verwendung von Fachsprache“ und „Wiederholung zentraler Begriffe“ ergänzt.

  • Bei den personenbezogenen Faktoren der Lehrkraft kam die Vorbereitung auf den Erklärvideoeinsatz hinzu.

Aufgrund der deutlichen Anzeichen für eine theoretische Sättigung markiert der dritte Erhebungs- und Auswertungszyklus auch den Abschluss der qualitativ-empirischen Untersuchung der vorliegenden Forschungsarbeit. Der Nutzen von Cluster 3 kann vor allem darin gesehen werden, dass bereits gefundene Konzepte und Zusammenhänge noch stärker in den Daten verankert werden konnten und weitere Evidenzen für die Ausgestaltung des Rahmenmodells zum Einsatz der Erklärvideos im Sachunterricht gesammelt wurden. Vor der Diskussion der Ergebnisse soll nun eine Gesamtbetrachtung der einzelnen Einflussfaktoren für das beforschte Phänomen unter Einbeziehung aller gewonnenen Erkenntnisse aus den drei Interviewclustern erfolgen.

Ursächliche Bedingungen

In Cluster 3 bestätigte sich, was auch die vorherigen Untersuchungszyklen bereits zeigten. Schulschließungen und Fernunterricht im Zuge der Coronapandemie waren für einige Lehrkräfte ein zentrales Motiv für den erstmaligen oder verstärkten Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht:

„Das ist insgesamt auch über alle Fächer so in der Coronazeit natürlich noch mal entstanden, wo wir auch geguckt haben, was können wir den Kindern vielleicht mal nach Hause schicken, dass sie sich zu Hause etwas anschauen.“ (IP17, 65)

„Ich habe das im Lockdown wirklich das erste Mal gemacht, weil bisher war es nie notwendig.“ (IP22, 19)

„Bei uns im Grundschulbereich, jedenfalls in unserem Bundesland, nimmt das seit Beginn der Pandemie schon sehr zu.“ (IP24, 79)

Auch die Besonderheiten des Sachunterrichts mit seinem umfassenden Bildungsanspruch, den damit verbundenen didaktischen Herausforderungen und dem Umgang der Lehrkraft mit dem Bildungsauftrag konnten als Ursache für die Nutzung von Erklärvideos in Cluster 3 identifiziert werden:

„Man schneidet es ja nur an im Sachunterricht, in der Grundschule, aber dieses Fach ist einfach so breit gefächert […].“ (IP19, 51)

„Und da muss man dann entsprechende Fragen stellen, Aufgaben mit dazugeben, damit die Kinder dort auch am Ball bleiben und der Unterricht schön gestaltet werden kann.“ (IP22, 55)

„Und es gehören auch Dinge dazu, sich mit der immer stärker werdenden Technisierung, die einfach die Gesellschaft jetzt prägt, zurechtzufinden. Also das ist ein Gemisch an vielen Dingen, um einfach in der Gesellschaft und für sich darin klarzukommen.“ (IP24, 43)

Vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Zeit- und Materialressourcen zeigten sich Herausforderungen für die Lehrkräfte im Sachunterricht: „Ja, eigentlich ist es eine Katastrophe, was wir machen müssten und was wir dafür zur Verfügung haben.“ (IP23, 69) An dieser Stelle wurde erneut deutlich, dass Lehrkräfte für die Gestaltung eines Sachunterrichts, der den oben beschriebenen Ansprüchen gerecht zu werden versucht, entsprechende Rahmenbedingungen benötigen. Der Einsatz von Erklärvideos stellt in diesem Zusammenhang für einige der interviewten Lehrkräfte eine Möglichkeit dar, fehlende Ressourcen zu kompensieren oder vorhandene Rahmenbedingungen entsprechend zu ergänzen und damit einen Beitrag zur Erfüllung des allgemeinbildenden Auftrags des Sachunterrichts zu leisten. Die hierzu beschriebenen Handlungs- und Interaktionsstrategien können – je nach Anwendungsbereich und didaktischer Zielsetzung – sehr unterschiedlich ausfallen.

Handlungs- und interaktionale Strategien

In Hinblick auf die genannten Kriterien, die Lehrkräfte bei der Auswahl von Erklärvideos für den Sachunterricht als wichtig erachten, lassen sich die Interviewpartnerinnen aus Cluster 3 – wie in den vorangegangenen Interviewphasen – in zwei Gruppen einteilen:

  • jene, die eher unspezifische Auswahlkriterien benennen,

  • und jene, deren Aussagen eine kritisch-reflektierte Medienwahl nahelegen.

In der Gesamtschau aller genannten Auswahlkriterien der drei Interviewcluster zeigt sich, worauf Lehrkräfte bei der Wahl der Erklärvideos für den Sachunterricht besonders achten (Tabelle 3.2).

Tabelle 3.2 Genannte Auswahlkriterien für Erklärvideos im Sachunterricht – Cluster 1 bis 3

Bei der Frage nach den Quellen, aus denen die Lehrkräfte Erklärvideos für den Sachunterricht beziehen, bestätigten auch die Lehrkräfte aus Cluster 3 die Erkenntnisse der ersten und zweiten Erhebungsphase. Abgesehen von IP13 aus Cluster 2 und IP19 aus dem dritten Interviewcluster berichteten alle befragten Lehrerinnen, bereits Erklärvideos von der Online-Plattform YouTube genommen zu haben, obwohl es dort – wie IP18 es beschreibt – „das Problem mit der Werbung“ gebe (IP18, 25). Folgende Quellen für Erklärvideos wurden im Verlauf der gesamten Erhebung explizit benannt:

  • YouTube (IP1, IP2, IP3, IP4, IP5, IP6, IP7, IP8, IP9, IP10, IP11, IP12, IP14, IP15, IP16, IP17, IP18, IP20, IP21, IP22, IP23, IP24)

  • Sofatutor (IP4, IP13, IP14, IP18, IP19, IP23)

  • (Landes-)Medienzentren (IP7, IP8, IP12, IP21, IP24)

  • Hamsterkiste.deFootnote 8 (IP17, IP22)

  • Mediatheken öffentlich-rechtlicher Fernsehsender (IP1, IP13)

Neben der direkten Suche auf den soeben aufgelisteten Seiten verwendeten Lehrer*innen aus allen Interviewclustern auch gängige Suchmaschinen:

„[…] da ist Google für mich mein allerbester Freund, wo du einfach mit den richtigen Schlagwörtern ‚Erklärvideos‘, ‚Tutorials‘, ‚FAQs‘ etc. ‚für Kinder aufbereitet‘- Themen suchst.“ (IP6, 55)

„Ich muss ganz ehrlich sagen, meistens schau ich mir an, was Google so liefert.“ (IP8, 115)

„Also tatsächlich hab ich jetzt zu der Einheit […] geguckt, was mir da vorgeschlagen wird, also einfach in eine Suchmaschine reingeklopft.“ (IP14, 47)

„[…] und dann wird es eingegeben unter Google oder so, und dann guckt man, was spuckt sich da so aus.“ (IP17, 65)

„Ich gebe es einfach in meinem Browser als Suchbegriff ein.“ (IP23, 81)

Derartige Suchstrategien könnten auch eine mögliche Erklärung dafür liefern, warum viele Interviewpartner*innen vorrangig über die Videoplattform YouTube auf öffentlich-rechtliche Formate zugreifen – nämlich wenn Lehrkräfte über die Google-Suche auf die hauseigene Plattform YouTube weitergeleitet werden – und damit gegebenenfalls verstärkt Werbungen in Kauf nehmen, anstatt direkt in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender nach entsprechenden Formaten zu suchen. Neben Sendereihen aus dem Bildungsfernsehen wurden auch kostenpflichtige Angebote unterschiedlicher Verlage als Ressource für Sachunterrichts-Erklärvideos genannt. Insgesamt wurden im Zuge der drei Interviewzyklen elf Bildungsformate, die im Sachunterricht eingesetzt wurden, konkret benannt. In Tabelle 3.3 sind sie zusammenfassend dargestellt.

Tabelle 3.3 Genannte Bildungsformate – Cluster 1 bis 3

Als Hilfestellung bei der Auswahl von passenden Erklärvideos wurden in Cluster 3 – wie schon in Cluster 1 – auch Empfehlungen aus dem Kollegium genannt (IP15, IP17). Aussagen, wonach auch Tipps zu Erklärvideos aus Printmedien entnommen wurden, waren bei den Lehrkräften aus Cluster 3 nicht zu finden.

Hinsichtlich der eigenständigen Gestaltung von Erklärvideos im bzw. für den Sachunterricht wurden bestehende Konzepte um weitere Aussagen ergänzt. IP23 verdeutlichte etwa ihre Beweggründe, warum sie als Lehrkraft selbst Erklärvideos für den Sachunterricht gestaltet:

„Also in der Zeit des Homeschoolings habe ich selber Erklärvideos zu Hause erstellt, weil manche Dinge können sich die Kinder nicht alleine erarbeiten oder die Eltern sind da dann auch überfordert in der Beziehung, was auch völlig verständlich ist. Wir haben das schließlich studiert, wie ich es dem Kind erkläre. Und so habe ich auch in Sachkunde, aber auch in anderen Unterrichtsfächern, wenn neue Unterrichtsinhalte eingeführt werden sollten, dann habe ich das über ein Erklärvideo gemacht, sodass ich dann auch ganz sicher war, dass die Kinder das gehört haben, was ich gerne möchte. Weil es spezialisiert sich ja auch- jeder Lehrer hat seine Schwerpunkte, jeder Lehrer zieht für sich raus, was am wichtigsten ist.“ (IP23, 25)

Diese Möglichkeiten einer individuellen Schwerpunktsetzung stellen damit neben den Anpassungen an die Lernvoraussetzungen der Kinder und den persönlichen/emotionalen Faktoren selbst erstellter Videos einen dritten Grund dar, der für das eigenständige Gestalten von Erklärvideos durch die Lehrkräfte genannt wurde. Neben ihren persönlichen Motiven beschrieb IP23 auch das Vorgehen beim Erstellen von Erklärvideos:

„Ja, erst mal schreibe ich mir natürlich auf oder werde mir darüber im Klaren, was soll am Ende bei rumkommen, mein Ziel. Und dann schaue ich, genauso wie ich es erst mal im Unterricht machen würde, die einzelnen Schritte, wie ich da hinkomme zu diesem Ziel, was jetzt dafür wichtig ist. Und dann versuche ich das mit – ich mache es mit PowerPoint – an einzelnen Tafelbildern dann umzusetzen.“ (IP23, 29)

Auch IP6, IP12, IP19 und IP21 berichten im Verlauf ihrer Interviews davon, bereits Erklärvideos mittels PowerPoint erstellt zu haben. IP19 sagte hierzu etwa: „Also ich habe es tatsächlich meistens mit PowerPoint gemacht, dass ich eine PowerPoint-Präsentation erstellt habe, und da kann man ja dann auch Tonspuren drunterlegen und das dann in ein Video umwandeln.“ (IP19, 15)

Mit den Lernenden hatten die Grundschullehrerinnen aus Cluster 3 zum Untersuchungszeitpunkt noch keine Videos im Sachunterricht gestaltet. Als hinderlicher Grund hierfür wurde in den Interviews vor allem der Zeitaufwand für das Erstellen von Erklärvideos durch die Lernenden genannt. Der Faktor Zeit scheint also in diesem Zusammenhang – ebenso wie bei der Erstellung von Videos durch die Lehrkraft (siehe dazu die „Konsequenzen“ in diesem Kapitel) – eine maßgebliche Rolle zu spielen:

„Und mit den Kindern auch gemeinsam ist zwar geplant, aber ich weiß im Moment überhaupt nicht, wann ich das machen soll, in welchem Zusammenhang, bei zwei Stunden Sachunterricht in der Woche. Selbst im Zusammenhang mit dem Deutschunterricht ist es schwer.“ (IP21, 11)

„Ja, das ist was ganz Neues, das nimmt viel Zeit in Anspruch. Eventuell dann in einer vierten Klasse. Ja, das ist etwas, woran ich mich heranwagen müsste.“ (IP23, 57)

„Aber sie werden es nicht so oft machen können an der Grundschule. Weil wir haben ja einen Lehrplan und es ist zeitlich eben doch ein großer Aufwand.“ (IP24, 35)

Eine wesentliche Kernkategorie für die vorliegende Untersuchung, die didaktischen Zielsetzungen beim Erklärvideoeinsatz, wurde durch die Ergebnisse der Interviewauswertungen von Cluster 3 zwar nicht um neue Ziele erweitert, konnte aber in verschiedenen Bereichen mit weiteren Textstellen in den Daten verankert werden. Tabelle 3.4 listet nun alle identifizierten Zielsetzungen der gesamten Untersuchung mit den Interviewquellen und einer Kurzbeschreibung auf.

Tabelle 3.4 Didaktische Zielsetzungen beim Erklärvideoeinsatz – Cluster 1 bis 3

Die zweite Kernkategorie der Handlungs- und Interaktionsstrategien zum Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht betrifft die Strategien der Lehrer*innen zum situationsspezifischen Umgang mit dem audiovisuellen Medium im Unterrichtsgeschehen. Dieser beginnt den Aussagen der Interviewpartner*innen zufolge bereits beim Umgang mit der vorhandenen technischen Ausstattung bzw. dem Kompensieren fehlender technischer Rahmenbedingungen. IP24 bringt es mit ihrer Aussage auf den Punkt: „Die es einsetzen wollen, die finden schon einen Weg.“ (IP24, 15) Welche Wege das sein können, wurde in den Ergebnissen von Cluster 2 (Abschnitt 3.3.5) thematisiert. Die Flexibilität bei der Handhabung der Erklärvideos zeigt sich u. a. darin, dass das audiovisuelle Medium im Unterricht nicht immer von Anfang bis Ende abgespielt wird, sondern dass viele der interviewten Lehrkräfte unterschiedliche Strategien der Handhabung beschreiben:

  • Abstoppen des Videos, um unmittelbar neue Begriffe oder offene Fragen zu klären (IP4, IP8, IP12, IP16)

  • Herausschneiden einzelner Sequenzen oder Standbilder aus dem Erklärvideo (IP8, IP12, IP15, IP21)

  • Aufteilen des Videoschauens auf mehrere Etappen (IP9, IP21)

  • Wegschalten des Videotons, um selbst dazu zu sprechen (IP1, IP12)

Einige dieser Formen des Umgangs mit Erklärvideos deuten darauf hin, dass die Lerngruppe beim Anschauen der Videos von den interviewten Lehrer*innen aktiv beobachtet wird, damit gegebenenfalls schnell eingegriffen werden kann. Werden die Videos nicht gemeinsam geschaut, erfolgt die Verteilung der Erklärvideos bei den befragten Lehrkräften meist auf eine von drei Arten:

  • Freischalten der Videos auf einer Lernplattform (IP9, IP18, IP21, IP23)

  • Scannen von QR-Codes (IP10, IP11, IP18, IP20)

  • Versenden der Links über Instant-Messaging-Dienste (IP10, IP16)

Auch die Schaffung passender Rahmenbedingungen, damit die Lernenden beim gemeinsamen Schauen von Erklärvideos aufmerksam bei der Sache bleiben bzw. auch bei einer individuellen Beschäftigung mit den Videos den Inhalten aufmerksam folgen können, ist eine Besonderheit des situationsspezifischen Umgangs mit Erklärvideos. Neben den technischen Ressourcen – IP19 erwähnt in Bezug auf die individuelle Beschäftigung mit Erklärvideos etwa „Kopfhörer, damit sich die Kinder das Video leise anschauen können“ (IP19, 43) – gehört hierzu vor allem auch die Auswahl begleitender bzw. ergänzender Medien und Aktivitäten, die den Erklärvideoeinsatz flankieren. In Abschnitt 3.3.2 wurde hierzu bereits eine Auflistung der weiterführenden Aktivitäten und Unterrichtsmedien vorgenommen, die in Cluster 1 genannt wurden. An dieser Stelle erfolgt nun die Zusammenschau der erwähnten Begleitaktivitäten zu Erklärvideos aus allen drei Interviewclustern:

  • Beantworten von Fragen zum Video (IP1, IP3, IP4, IP6, IP8, IP9, IP11, IP12, IP13, IP15, IP16, IP17, IP18, IP19, IP20, IP21, IP22, IP23)

  • Bearbeiten von Arbeitsblättern (IP1, IP3, IP6, IP8, IP9, IP10, IP12, IP15, IP16, IP17, IP20)

  • Gestalten von Plakaten/Dokumentationen (IP5, IP7, IP9, IP10, IP16, IP17)

  • Durchführen von Stationenbetrieben (IP5, IP6, IP10, IP11, IP17, IP19)

  • Durchführen von Experimenten (IP2, IP6, IP7, IP10, IP24)

  • Realbegegnungen in Form von Exkursionen oder Praxisprojekten (IP6, IP12, IP20, IP21, IP22)

  • Vorbereiten von Referaten (IP9, IP12, IP17)

  • Lesen von Sachtexten (IP3, IP5)

  • Weiterführendes Recherchieren am Computer (IP1, IP8)

  • Durchführen von Rollenspielen (IP17)

Eine Spezialform des Umgangs mit dem audiovisuellen Medium (weil er außerhalb des eigentlichen Unterrichtsgeschehens stattfindet) betrifft die Nutzung von Erklärvideos im Zuge der Unterrichtsvorbereitung. 12 der 24 interviewten Lehrer*innen bedienten sich eigenen Aussagen zufolge zumindest unregelmäßig dieser Handlungsstrategie. In Cluster 3 berichtete nur IP19 von einer derartigen Nutzung: „Oder halt ein Erklärvideo, wo man, wie vorhin schon gesagt, sich zu Hause Gedanken machen kann: ‚Wie erkläre ich den Schülern das? Wie zeige ich den Schülern das? Wie kann ich Erklären und Zeigen kombinieren?‘“ (IP19, 63) Beeinflusst werden die identifizierten Handlungs- und Interaktionsstrategien von den Rahmenbedingungen des Unterrichtsfachs Sachunterricht bzw. den intervenierenden Bedingungen, die den Erklärvideoeinsatz ermöglichen oder behindern. Diese werden im Folgenden zusammenfassend dargestellt.

Kontext

Die Aussagen der Lehrkräfte aus Cluster 1 legten nahe, dass Erklärvideos in der gesamten thematischen Bandbreite des Sachunterrichts eingesetzt werden. In der Zusammenschau der gesammelten Evidenzen zeigt sich, dass im Rahmen der Untersuchung zwar alle Bereiche genannt wurden, ein großer Teil der Befragten die Videos aber vor allem in naturwissenschaftlichen Themenfeldern einsetzt:

  • Erklärvideos zu naturwissenschaftlichen Themenfeldern (IP1, IP2, IP3, IP4, IP5, IP6, IP7, IP8, IP9, IP10, IP13, IP14, IP17, IP20, IP21)

  • Erklärvideos zu historischen Themenfeldern (IP1, IP2, IP4, IP5, IP9, IP12, IP15)

  • Erklärvideos zu sozialwissenschaftlichen Themenfeldern (IP1, IP6, IP7, IP13, IP14, IP15, IP21)

  • Erklärvideos zu geografischen Themenfeldern (IP8, IP12, IP17, IP22)

  • Erklärvideos zu technischen Themenfeldern (IP4, IP6, IP10, IP11)

  • Erklärvideos zu perspektivenvernetzenden Themenfeldern (IP11, IP16, IP17, IP18)

Intervenierende Bedingungen

Hinsichtlich der intervenierenden Bedingungen trugen die in Cluster 3 erhobenen und ausgewerteten Daten dazu bei, bereits identifizierte Kategorien mithilfe weiterer Aussagen zu verdichten. Die Verfügbarkeit passender Erklärvideos für den Sachunterricht wurde auch von den zuletzt befragten Lehrkräften unterschiedlich bewertet:

„Also ich gucke dann immer mal, es gibt ja- zu vielen Themen gibt es ja noch gar keine Videos, aber ich gucke dann und […] viele Themen fehlen ja auch noch.“ (IP18, 21)

„Und es sind ja auch extrem viele Videos in dieser Zeit [seit Beginn der Coronapandemie, S. M.] entstanden, die auch wirklich gut sind. Also es sind wirklich viele gute Sachen dabei.“ (IP19, 75)

„Ich finde auch, dass es eben viele Erklärvideos gibt, die für die Schule geeignet sein sollen oder für die Schule gemacht wurden, die aber nicht geeignet sind.“ (IP20, 87)

„Und was die Qualität der Erklärvideos betrifft, hat das wirklich zugenommen, also sowohl was die Qualität betrifft, als auch die Quantität betrifft.“ (IP24, 71)

Die Aussagen deuten darauf hin, dass die Bewertung der Verfügbarkeit von passenden Erklärvideos stark von der subjektiven Wahrnehmung der Lehrkräfte geprägt ist, weshalb auch hier der Einfluss personenbezogener Merkmale der Lehrer*innen auf den Erklärvideoeinsatz zu betrachten ist. Neben Unsicherheiten oder Ängsten dem Medium gegenüber auf der einen Seite oder einer positiven Grundeinstellung gegenüber audiovisuellen Medien auf der anderen Seite wurde im Verlauf der drei Untersuchungsphasen deutlich, dass vor allem das daraus resultierende (fehlende) Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Medium und (fehlende) Kompetenzen, die für den sachgemäßen Einsatz von Erklärvideos benötigt werden, Einfluss auf die Nutzung des Unterrichtsmediums haben:

„[…] also an meiner Schule sind viele alteingesessene Lehrkräfte, ich bin ja nur Vertretungslehrerin dort. Ich habe im Referendariat damit gelernt umzugehen. Also bei mir war das ein zentraler Bestandteil meiner Ausbildung und bei den älteren Lehrkräften, die nutzen den Bildschirm kaum oder gar nicht, weil sie es eben nicht gelernt haben und nicht genau wissen, wie sie damit umgehen sollen.“ (IP20, 27)

„Was wird jetzt vom Lehrer immer mehr erwartet, verlangt, wo er eigentlich gar nicht ausgebildet ist dafür? Was muss ein junger Kollege bringen? Was muss ein alter Kollege bringen? […] Ist es immer der Anspruch, dass alle Kollegen alles können? Oder kann auch mal ein guter Lehrer nicht alles so technisch auf die Reihe biegen und sagen: ‚Hier, ich mach das so, weil mir das lieber gelingt und ich da effektiver arbeiten kann als mit dem Erklärvideo oder mit irgendwelchen anderen Dingen‘?“ (IP22, 79)

„Ich denke, es hängt auch ab vom Willen der Lehrkraft. Nicht nur vom Willen, sondern auch von der Fähigkeit der Lehrkraft. Wir versuchen als Schule, dort relativ viel mit Fortbildung hinzukriegen, aber, ich sage mal, 75 bis 80 % setzen das sicher gut und effektiv ein, aber gegen die restlichen 20 % ist es schwierig, die zu überzeugen, diese technische Möglichkeit zu nutzen.“ (IP24, 19)

Die Evidenzen legen nahe, dass gerade die Vorbereitung auf den Erklärvideoeinsatz – sei es im (Selbst-)Studium oder mittels Fort- und Weiterbildungsangeboten – einen großen Einfluss auf die vorhin genannten personenbezogenen Faktoren und damit auf die Nutzung des audiovisuellen Mediums im Sachunterricht ausüben kann. IP19 erzählte davon, dass sie „das auch an der Uni mal gemacht und ein Erklärvideo gedreht“ habe (IP19, 67). IP24 berichtete über Angebote für im Beruf stehende Lehrer*innen: „[…] es gibt dort eine ganze Menge Projekte, auch von den Medienstellen, die das anbieten, dass man dann einen Kollegen an die Schulen holt und dass die mit den Kindern mal so ein Video drehen.“ (IP24, 35)

Zudem wurde auch in Cluster 3 die technische Ausstattung im Klassenzimmer erneut als Einflussfaktor für den Erklärvideoeinsatz beschrieben:

„Wir haben seit Neuestem so ein interaktives Smartboard bei uns in der Klasse. Jetzt könnten wir Erklärvideos zeigen. Aber in der alten Schule zum Beispiel hatten wir noch nicht mal WLAN in der Schule. Also da wäre es gar nicht möglich gewesen.“ (IP19, 31)

„Also wir haben seit Ende August Bildschirme hinter der Tafel hängen, sodass man theoretisch mit der Tafel oder mit dem Bildschirm arbeiten kann.“ (IP20, 23)

Ein Mindestmaß an technischer Ausstattung müsse Lehrerinnen aus Cluster 3 zufolge für den unterrichtlichen Einsatz von Erklärvideos vorhanden sein, denn – wie IP19 es ausdrückt – „wenn ich kein WLAN und keinen Bildschirm in der Schule habe, dann kann ich es natürlich auch nicht einsetzen“ (IP19, 35).

Konsequenzen

Die Konsequenzen, die sich aus dem Erklärvideoeinsatz für den Sachunterricht ergeben, wurden von den Befragten aus Cluster 3 ähnlich wie in den vorangegangenen Interviewphasen beschrieben. Die wahrgenommenen Reaktionen der Lernenden auf Erklärvideos stellten die Interviewpartnerinnen folgendermaßen dar:

„Man sieht es in den Gesichtern, man hört es auch manchmal an Reaktionen, dass sie sagen: ‚Oh yeah, die Tafel geht an‘ […]. Also man sieht es in den Gesichtern, in den Augen, an den Reaktionen der Kinder und auch, wenn die- man muss auch gucken, wie lang dieses Erklärvideo ist, wenn es dann nicht zu lang ist, merkt man auch, dass die Kinder dabeibleiben und am Ende auch Fragen beantworten können, Fragen haben, zwischendurch erstaunt rufen, oder sagen: ‚Ach sooo‘, was ihnen dann so rausrutscht. Also von daher hat man da relativ schnell eine gute Rückmeldung […].“ (IP17, 33)

„[…] es sind viele Kinder, die wirklich auch interessiert sind und das gucken und da auch was lernen, die auch teilweise im Unterricht sagen: ‚Da habe ich aber- in dem Film hat er das so gesagt.‘“ (IP18, 17)

„Ja, also so ein Erklärvideo kommt eigentlich immer gut an und ich habe auch das Gefühl, dass durch so ein Video die Kinder das auch noch mal anders wahrnehmen und sich anders noch mal Gedanken über das Thema machen.“ (IP19, 19)

„Also Grundschulkinder sind meiner Meinung nach schwieriger in der Aufmerksamkeit zu catchen. Da hatte ich bisher immer das Gefühl, dass sie … also irgendjemand hat immer drum herumgeguckt und bei den Erklärvideos lagen die Augen auch wirklich auf dem Film, ohne rumzuzappeln.“ (IP20, 47)

„Na ja, in dem Moment, wo sie das Video anschauen, sind sie handelnd natürlich passiv, aber im Denken sind sie nicht passiv, weil sie müssen ja mitdenken, sie müssen ja aufpassen und schauen, was dort jetzt gezeigt wird.“ (IP23, 41)

Auch die Erweiterung des didaktischen Handlungsspielraums wurde erneut als Folge des Einsatzes von Erklärvideos im Sachunterricht beschrieben. Die Entlastung bzw. Unterstützung für die Lehrkraft durch den Erklärvideoeinsatz wurde von Lehrkräften aus Cluster 3 wie folgt beschrieben:

„Zum einen für die Differenzierung ist es halt genial, weil vorher hat man sich da wund kopiert und dann lagen trotzdem zig Kopien einfach unbearbeitet da, und so hat man immer was, woran die auch arbeiten können und was denen auch Spaß macht.“ (IP18, 13)

„Der allererste Grund ist, es erleichtert mir die Arbeit. Es haben sich andere Menschen schon Gedanken darüber gemacht, wie ich es gut erklären kann. Das heißt, das erspart mir ein, zwei, drei Stunden Arbeit, mich da hineinzuversetzen.“ (IP23, 21)

Auch das Anbahnen medienkompetenten Handelns wurde von einigen Befragten als Resultat des Erklärvideoeinsatzes genannt:

„Also in einer Form ist es für die Kinder vielleicht auch eine Möglichkeit zu sehen: ‚Okay, das Medium Internet bietet nicht nur irgendwelche Zockerspiele und so was, sondern dass es da auch einfach coole Sachen gibt, wo ich Dinge zu meinem Haustier, zu meinem Lieblingstier, zu Planeten oder so erfahren kann‘, dass das nicht nur irgendwie so ein Spielmedium ist für die Kinder.“ (IP17, 101)

„Und auch beim Grundschulkind, dass sie jetzt gelernt haben, eben mit den Medien zu arbeiten und zu lernen. Das haben wir ja davor auch nur in einem beschränkten Maße gemacht.“ (IP24, 67)

Bei der persönlichen Bewertung des Erklärvideoeinsatzes, die auch eine Gesamtbewertung der Nutzung des audiovisuellen Mediums im Sachunterricht darstellt, zeigten auch die Ergebnisse von Cluster 3, dass einige Lehrkräfte Erklärvideos als zeitgemäßes Unterrichtsmedium wahrnehmen. IP20 formulierte es so: „Das holt die Schüler eben komplett in ihrer Lebenswelt ab.“ (IP20, 83)

Der große Zeitaufwand für das Erstellen von Erklärvideos wurde jedoch – wie bereits in den vorangegangenen Interviewzyklen – als hinderlicher Faktor beschrieben, vermehrt auch selbst Erklärvideos für den Sachunterricht zu produzieren:

„Die selber zu erstellen ist ja immer dann doch ein relativ hoher Aufwand. Manchmal gelingt es uns im Team oder wir nutzen schon mal, was irgendjemand erarbeitet hat, oder mit Studenten.“ (IP17, 21)

„Ich habe auch mehrere gemacht im Lockdown und habe auch Puppen sprechen lassen und so, aber wenn ich dann diese Stunden mal zusammengerechnet habe, bin ich schon erschrocken. Für den Nutzen, der dann letztendlich daraus entstanden ist, das macht es nicht so leicht, das durchgängig einzusetzen […], da greift man natürlich auf Dinge zurück, die fertig sind.“ (IP21, 11)

Ein wichtiger Aspekt, der auch von Befragten aus Cluster 3 angesprochen wurde, war der Wunsch nach einem maßvollen Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht:

„Es darf nicht zu viel Raum einnehmen, weil es dann im Grunde auch nur noch so eine Berieselung der Kinder ist.“ (IP17, 105)

„Ja, also ein Experiment und das Live-Erleben kann es natürlich nicht ersetzen.“ (IP18, 41)

„Also wahllos sagen: ‚Okay, ich nehme jetzt für jedes Thema ein Erklärvideo und lasse die das gucken und dann ist das Thema abgehakt‘, das funktioniert nicht.“ (IP20, 87)

„Oder ich zeige es direkt vor, zum Beispiel wieder diese Magdeburger Halbkugeln, das finden die Kinder faszinierend, wenn ich die mit zur Schule bringe, oder die Vakuumglocke, wenn ich da so einen Schoko-Schaumkuss verkleinere oder vergrößere. Das finden die faszinierend, das ist für die natürlich tausendmal interessanter und auch einprägsamer als das Video an sich. Da würde ich immer, wenn es machbar ist, das Experiment vorziehen.“ (IP23, 73)

Hier verdeutlichen die Aussagen der Lehrkräfte auch mögliche Grenzen des Mediums Erklärvideo für den Sachunterricht.

3.3.9 Cluster 3 – Das Rahmenmodell zum Erklärvideoeinsatz im Sachunterricht

Auch wenn im dritten Forschungszyklus keine neuen Hauptkategorien identifiziert werden konnten, brachte die letzte Erhebungs- und Auswertungsphase dennoch eine vertiefende Abbildung bzw. Verankerung der gefundenen Konzepte in den Daten und schloss damit auch jene Lücken, die nach der Auswertung von Cluster 2 noch vorhanden waren. Aufgrund des großen Einflusses personenbezogener Merkmale der Lehrkraft auf den Erklärvideoeinsatz (z. B. in Hinblick auf entsprechende Kompetenzen für eine angemessene Medienwahl und einen sachgemäßen Umgang beim Einsatz der Videos im Unterricht) wurde die in Cluster 2 identifizierte Subkategorie Vorbereitung auf den Erklärvideoeinsatz in das finale Modell mit aufgenommen. Die Thematisierung eines kritisch-reflektierten Erklärvideoeinsatzes z. B. im Rahmen hochschulischer Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote für Lehrer*innen wäre damit bereits ein (wenn auch indirekt wirkender) intervenierender Faktor, der den professionellen Umgang der Lehrkräfte mit Erklärvideos im Sachunterricht positiv beeinflussen kann. Abbildung 3.7 stellt die identifizierten Kategorien und Beziehungen aus den drei Interviewclustern grafisch dar. Dieses Rahmenmodell zum Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht aus Sicht der Lehrkräfte soll als überblicksartige Beschreibung die Erklärvideonutzung im Fach systematisieren.

Abbildung 3.7
figure 7

(Eigene Darstellung)

Rahmenmodell zum Erklärvideoeinsatz im Sachunterricht aus Sicht der Lehrkräfte.

Da der Kontext der Erklärvideonutzung im vorliegenden Fall keine veränderliche Variable darstellt, sondern mit dem Unterrichtsfach Sachunterricht festgelegt ist, wurde dieser Bereich in der finalen Darstellung des Modells direkt in die Beschreibung des Phänomens integriert („Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht“). Im Sinne einer besseren Verständlichkeit wurden die Beziehungspfeile beschriftet, um Aufschluss darüber zu geben, in welcher Beziehung die einzelnen Bereiche zueinander stehen.