2.1 Das Unterrichtsfach Sachunterricht und seine Didaktik

Die Ursprünge des Sachunterrichts reichen zurück bis zum Realien- und Anschauungsunterricht des 17. Jahrhunderts (Giest, 2020; Götz, 2022; Steiner, 2019). Johann Amos Comenius (1698) verfasste in dieser Zeit sein bedeutendes Werk „Orbis sensualium pictus“ („Die Welt im Bild“), ein Schul- bzw. Sachbuch, dessen Besonderheit darin bestand, jeden Lerninhalt auch mithilfe einer Zeichnung zu illustrieren und damit – im wahrsten Sinne des Wortes – zu veranschaulichen. In Comenius’ Werken „wird der Begriff ‚Sachunterricht‘ z. B. in Abgrenzung zum Sprachunterricht explizit erwähnt, wobei sich der Sachunterricht mit den Realien befasst“ (Giest, 2020, S. 84).

Als direktes Vorläuferfach für den Sachunterricht wird im Allgemeinen die Heimatkunde betrachtet, die ab dem 19. Jahrhundert unterrichtet wurde (Götz, 2022). In der Heimatkunde ging es – dem Namen entsprechend – thematisch vorrangig um den näheren Erfahrungsraum des Kindes, weshalb das Fach auch als „ein auf den Nahraum konzentrierter Realienunterricht“ (Götz, 2022, S. 233 f.) beschrieben wird. In einer solchen Ausgestaltung hatte die Heimatkunde ein zentrales Problem: „Während die Heimatkunde also im Nahraum ‚feststeckte‘, wurde die ‚Heimat‘ zwar überschaubar und vertraut, wenngleich mit einigen Fehlvorstellungen bestückt, alles andere jedoch, was nicht zur ‚Heimat‘ gezählt wurde, blieb weitgehend unbekannt oder zumindest unverstanden.“ (Grygier, 2008, S. 16) Giest und Wittkowske (2022, S. 240) schreiben in diesem Zusammenhang auch von der „lokalen Beschränktheit des traditionellen Heimatbegriffes“.

Ausgehend vom Sputnik-Schock Ende der 1950er-Jahre entstanden in den USA und später auch in westeuropäischen Ländern bildungspolitische Debatten über eine stärkere Wissenschaftsorientierung an Schulen (Steiner, 2019; Thomas, 2022b). In der BRD (Bundesrepublik Deutschland) geriet die Heimatkunde Mitte der 1960er-Jahre zunehmend in die Kritik, Unterrichtsinhalte könnten durch eine zu starke Vereinfachung – unter anderem aufgrund falscher Bewertungen kindlicher Lernpotenziale – verfälscht dargestellt werden (Thomas, 2022b). Da die Unterrichtsthemen in den meisten Fällen vom geografischen Nahraum der Kinder ausgingen, wurden wesentliche Themen oft nicht angesprochen, obwohl die Kinder ihnen aufgrund der gestiegenen Mobilität oder über die zunehmenden Möglichkeiten medialer Vermittlung vermehrt begegneten (Grygier, 2008). 1969 wurde auf dem Frankfurter Grundschulkongress für das Unterrichtsfach eine zunehmende Wissenschaftsorientierung bzw. „neue Sachlichkeit“ eingefordert (Köhnlein, 2022b; Thomas, 2022b). Damit einher gingen in den 1970er-Jahren vielerorts auch eine Neuausrichtung des Unterrichtsgegenstandes und die Bezeichnung „Sachunterricht“ (Köhnlein, 2022b). In Österreich wurde der Name „Sachunterricht“ für das Unterrichtsfach mit dem Schulorganisationsgesetz von 1962 eingeführt, eine verstärkte Wissenschaftsorientierung wurde jedoch ebenfalls erst Anfang der 1970er-Jahre mit einer Überarbeitung des Lehrplans in den österreichischen Volksschulen vorangetrieben (Steiner, 2019). In der DDR (Deutsche Demokratische Republik) behielt die Heimatkunde hingegen bis zur Wiedervereinigung – trotz unterschiedlicher Reformbemühungen – „eine gewisse Kontinuität zur Konzeption der Heimatkunde zur Weimarer Zeit“, bei der „[d]er Heimatbegriff […] nicht kritisch diskutiert“ wurde (Giest & Wittkowske, 2022, S. 244).

In seiner aktuellen Konzeption gilt der Sachunterricht als vergleichsweise junges Schulfach (Kaiser, 2008). Dennoch besitzt der Unterrichtsgegenstand – wie anhand des Realienunterrichts und der Heimatkunde skizziert wurde – eine lange Tradition und zählt nicht zuletzt deshalb neben dem Mathematik- und Deutschunterricht zum Kernbereich der Grundschule (GDSU, 2002; Köhnlein, 2014). Den zentralen Stellenwert des Schulfachs verdeutlichend beschreibt Einsiedler (2000, S. 69) den Sachunterricht auch als die „normative Sinnmitte der Grundschule“.

Mit der Etablierung und Weiterentwicklung des Fachs entstand auch die wissenschaftliche Fachdisziplin der Didaktik des Sachunterrichts (Götz et al., 2022). Diese „vergleichsweise junge Wissenschaftsdisziplin“ (Götz et al., 2022, S. 15) beschäftigt sich mit verschiedenen Fragestellungen, die das Unterrichtsfach Sachunterricht betreffen, etwa mit Fragen

„[…] nach der Legitimation der einem Unterrichtsfach zugeschriebenen Zielsetzungen, nach den Kriterien der Auswahl, der Sequenzierung und Hierarchisierung seiner Inhalte, nach den Realisierungsbedingungen, der Qualität und Wirksamkeit seines unterrichtsmethodischen Arrangements, nach den fachlichen und psychischen Ausgangslagen sowie den erzielten Wirkungseffekten auf Seiten der Lernenden und nach den vorhandenen wie wünschenswerten professionellen Kompetenzen auf Seiten der Lehrenden“ (Götz et al., 2022, S. 15).

Das Forschungsinteresse dieser Arbeit gilt der Betrachtung fachdidaktischer Realisierungsbedingungen von sachunterrichtlichen Lehr- und Lernarrangements unter Einbeziehung des Unterrichtsmediums Erklärvideo, damit verbundenen mediendidaktischen Überlegungen sowie den von den Lehrkräften beobachteten Auswirkungen des Erklärvideoeinsatzes auf die Lernenden. Um sich dem Forschungsgegenstand schrittweise zu nähern, wird im Folgenden zuerst auf die zentralen Grundbezüge des sachunterrichtsdidaktischen Bildungsdiskurses eingegangen. Konkret werden dabei der allgemeine Bildungsanspruch sowie Aufgaben, Ziele und Inhaltsdimensionen des Sachunterrichts herausgearbeitet. Die Darstellung dieser konstitutiven Eckpfeiler des Fachs soll die Vielfalt des Schulfachs und die damit verbundenen Herausforderungen für die unterrichtliche Gestaltung verdeutlichen, zentrale Prinzipien und unterstützende Verfahren aufzeigen und damit klären, vor welchem Hintergrund der Umgang mit dem audiovisuellen Unterrichtsmedium Erklärvideo erfolgt. Über eine verschränkte Betrachtung der nun folgenden sachunterrichtsdidaktischen Grundgedanken und der in Abschnitt 3.3 dargestellten Erkenntnisse der empirischen Untersuchung zum Umgang der Lehrkräfte mit Erklärvideos sollen am Ende dieser Arbeit begründete Aussagen über didaktische Potenziale und Grenzen des audiovisuellen Unterrichtsmediums für den Sachunterricht formuliert werden.

2.1.1 Zum Bildungsanspruch des Sachunterrichts

„Bedingt durch seine Zugehörigkeit zur Grundschule, markiert der Sachunterricht in der Bildungsbiographie des Kindes eine Differenz zwischen zufällig gemachten Sacherfahrungen und dem unter institutionellen Bedingungen der Schule geregelten Erwerb von Sachwissen.“ (Götz et al., 2022, S. 19)

In einem ersten Schritt soll der Sachunterricht den Kindern eine „Orientierung in der Welt der Phänomene“ (Köhnlein, 2012, S. 19) ermöglichen. Damit dies gelingen kann, sollen Unterrichtsinhalte ihren Ursprung im „Spannungsfeld“ zwischen der Lebenswelt der Lernenden auf der einen Seite und den Inhalten der unterschiedlichen Fachdisziplinen der Natur-, Geistes- und Humanwissenschaften auf der anderen Seite haben (GDSU, 2013). Als „propädeutisches, welterschließendes Realienfach“ (Köhnlein, 2012, S. 529) hat der Sachunterricht die anspruchsvolle Aufgabe, Kindern Zugänge zur Auseinandersetzung mit ihrer Lebenswelt zu eröffnen und ihnen den Aufbau einer tragfähigen Grundlage für künftige Lernprozesse zu ermöglichen. Die Vernetzung vielfältiger Bezugsdisziplinen, die „jeweils eigenes fachlich fundiertes Wissen und eigene methodisch bewährte Verfahren zur Verfügung“ (GDSU, 2013, S. 11) stellen, gibt dem Sachunterricht eine große inhaltliche Bandbreite, aus der die Lehrkräfte für ihren Unterricht schöpfen können bzw. sollen. Einhergehend mit diesem breiten Spektrum an potenziellen Unterrichtsthemen sah und sieht sich das Unterrichtsfach jedoch auch wiederholt mit Vorwürfen einer gewissen Kontur- bzw. Konzeptlosigkeit konfrontiert. „Die meisten Klagen über die Konturlosigkeit des Sachunterrichts beziehen sich auf die Vielzahl der ‚Orientierungen‘ (Alltagswelt der Kinder, spontane Interessen, Handlungsorientierung …) und auf das Fehlen eines übergeordneten Leitgedankens, der als eine Art ‚einigendes Band‘ die verschiedenen Orientierungen zusammenhalten könnte.“ (Einsiedler, 2000, S. 68) Um dem Fach einen solchen grundlegenden Leitgedanken zu verleihen, wurden bzw. werden im sachunterrichtsdidaktischen Diskurs Versuche unternommen, den Bildungsauftrag des Sachunterrichts zu konkretisieren.

Astrid Kaiser (2008, S. 3) verdeutlicht den Bildungsanspruch in ihrer Beschreibung des Sachunterrichts als „allgemeinbildenden Unterricht in Grundschulen und Sonderschulen“, dessen vorrangige Aufgabe darin bestehe, „eine fundierte Orientierung für das gegenwärtige und zukünftige Leben der Kinder in ihrer Welt zu leisten“. Eine solche Sichtweise wird auch von anderen Sachunterrichtsdidaktikerinnen und -didaktikern vertreten. So herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der zentrale Auftrag des Sachunterrichts darin liegt, einen Beitrag zum Aufbau grundlegender Bildung bzw. zur Grundlegung der Allgemeinbildung zu leisten (Einsiedler, 2000; GDSU, 2013; Götz et al., 2022; Kahlert, 2022; Klafki, 1992; Köhnlein, 2012).

Durch einen solchen Bildungsanspruch des Sachunterrichts bekommt der Bildungsbegriff als universale „Orientierungskategorie für pädagogisches Denken und pädagogische Praxis“ (Klafki, 1992, S. 12) eine besondere Bedeutung. Die Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU, 2013, S. 9) bemerkt hierzu, dass Bildung „ein die Identität eines Menschen in zentraler Weise konstituierendes Merkmal“ darstelle und sich „durch solidarisches und verantwortungsvolles Handeln in der natürlichen, kulturellen, sozialen und technischen Umwelt“ auszeichne, was wiederum „einen bewussten, reflektierten und verständigen Umgang mit erworbenen Kompetenzen“ voraussetze. Der Fokus auf eine solche Auslegung des Allgemeinbildungsbegriffs im Sachunterricht verweist auch auf „die doppelseitige Verpflichtung der Schule und des Unterrichts, nämlich gegenüber dem Individuum und der Gesellschaft“ (Köhnlein, 2022a, S. 100 f.). Köhnlein (2022a, S. 101) bemerkt weiter, dass sachunterrichtliche Bildung „in der Auseinandersetzung mit den in einer Kultur dominierenden oder sogar einen Kulturkreis überschreitenden Objektivationen des menschlichen Geistes“ geschehen müsse.

Die Bedeutung des Bildungsbegriffs als wesentlicher Orientierungspunkt für den Sachunterricht wird auch in der großen Schnittmenge der Sachunterrichtsdidaktik und der von Klafki begründeten bildungstheoretischen Didaktik deutlich. Auch Klafki (1992, S. 14) spricht davon, dass die Grundlegung der Allgemeinbildung bei den Kindern über „Möglichkeiten des Welt- und des Selbstverstehens und der darauf gestützten Handlungsfähigkeit“ erfolgen müsse, um Heranwachsende in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und zu verantwortungsvollem Handeln zu befähigen. Darüber hinaus sollen sachunterrichtliche Bildungsprozesse eine belastbare Wissensgrundlage für weiterführende Lernprozesse in den Bezugsfächern nachfolgender Bildungseinrichtungen bilden – ein direkter Bezug zur doppelten Anschlussaufgabe des Sachunterrichts, auf die in Abschnitt 2.1.2 eingegangen wird (GDSU, 2013; Giest, 2020).

Im Sinne einer kritisch-konstruktiven Weiterentwicklung des aufklärerischen Bildungsideals legt Klafki (1992) den Begriff der Bildung als Allgemeinbildung in zwei Dimensionen aus: Die erste Dimension seines Verständnisses von Allgemeinbildung umfasst die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, die Mitbestimmungsfähigkeit sowie die Solidaritätsfähigkeit. Die Solidaritätsfähigkeit sei deshalb zentral, weil „der Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung nur gerechtfertigt werden kann, wenn er […] mit dem Einsatz für diejenigen […] verbunden ist, denen eben solche Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse, Unterprivilegierung, politischer Einschränkungen oder Unterdrückungen vorenthalten oder begrenzt werden“ (Klafki, 1992, S. 14). Für die zweite Dimension seiner Auffassung von Allgemeinbildung beschreibt Klafki (1992, S. 14) drei zentrale Prinzipien:

  • Allgemeinbildung müsse eine „Bildung für alle“ sein.

  • Allgemeinbildung müsse sich als „Bildung im Medium des Allgemeinen“ verbindlich mit zentralen Frage- und Problemstellungen der Menschheit auseinandersetzen.

  • Allgemeinbildung müsse eine „Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten“ sein.

Dem Sachunterricht kommt in Hinblick auf einen solchen Allgemeinbildungsbegriff besondere Bedeutung zu: Die Volks- bzw. Grundschule bietet durch ihre Konzeption als Schulform für alle den einzigen institutionalisierten Rahmen, eine grundlegende Bildung aller Schüler*innen zu ermöglichen. Die vielfältigen fachspezifischen Arbeitsweisen des Sachunterrichts bieten das Potenzial, verschiedenste Grunddimensionen menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten anzubahnen, und auch thematisch stellt der Sachunterricht Ansätze bereit, die dem Anspruch einer Bildung im Medium des Allgemeinen gerecht werden. Auch Kößler (1989, S. 53) teilt die Auffassung von Allgemeinbildung als einen gemeinsamen Grundstock bzw. „Sockel fachübergreifender Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten“, den alle Heranwachsenden erwerben sollten. Die Grundschule – und hier speziell der Sachunterricht – müsse demnach einen Beitrag dazu leisten, einen solchen „Allgemeinbildungssockel“ grundzulegen. Aebli (1989, S. 261) ergänzt, dass ein solcher Bildungsauftrag jedoch nicht zur Vermittlung zusammenhangslosen Wissens führen soll, sondern zur Vernetzung von Inhaltsbereichen: „Wir wollen dem SchülerFootnote 1 nicht beziehungslose Brocken vermitteln. Die ideale Leitvorstellung ist diejenige eines in sich zusammenhängenden Weltbildes, […] eine kognitive Landkarte“. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die enge Verknüpfung des Sachunterrichts mit der Sprachbildung der Schüler*innen: „Sach- und Sprachbildung in dieser Ausrichtung berücksichtigt dabei Wege vom Exemplarischen zum Allgemeinen, vom Singulären zum Regulären, vom Konkreten zum Abstrakten.“ (GDSU, 2013, S. 11)

Einsiedler (2000, S. 69) hebt in seinen Ausführungen – wie bereits Klafki (1992) – die Wichtigkeit des Sachunterrichts für die Persönlichkeitsbildung der Kinder hervor, also für das „Selbstverständnis der Person gegenüber der Sachwelt, der Kultur und der sozialen Umwelt“. Im Sachunterricht gehe es demnach nicht nur um das Lernen von Faktenwissen, sondern auch um das Anbahnen von EinstellungenFootnote 2 und HaltungenFootnote 3. Hier könne der Sachunterricht den Kindern ein erstes Orientierungswissen vermitteln und ihnen dadurch „die Möglichkeit [bieten], die Anfänge ihres Weltbildes zu gestalten“ (Einsiedler, 2000, S. 69). Das Weltbild kann hier auf zwei Arten verstanden werden: Das Bild von Welt, wie es sich faktisch darstellt (geografisch etc.), und von der Welt, wie sie sich in Werten repräsentiert. Der Sachunterricht müsse hier „einen positiven Bezug zu einem Gegenstandsbereich anbahnen, das Engagement für sachbezogenes Fragen und Untersuchen anregen, die Bedeutung von Sachverhalten für vergangenes und gegenwärtiges Leben herausarbeiten“ (Einsiedler, 2000, S. 74). Im sozialen oder politischen Lernen kann dies z. B. über die Vergleiche „früher und heute“ oder „bei uns und anderswo“ erfolgen. Ausgangspunkt für derartige Lernprozesse sollen – wie eingangs erwähnt – die „Erfahrungen und die Lebenswelt der Kinder“ (GDSU, 2013, S. 10) darstellen. Erfahrungen sammeln die Kinder in ihrer Lebenswelt bereits lange vor dem Eintritt in die Schule. Kahlert (2022, S. 30) beschreibt den Sachunterricht deshalb auch nicht als Startpunkt für die kindliche Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt, sondern als „didaktisch angemessen begründbare, bildende Unterstützung bei der immer schon stattfindenden Erschließung von Umwelt“.

Es kann also festgehalten werden, dass „das sachunterrichtliche Lernen […] einen zentralen Beitrag zu grundlegender Bildung“ (GDSU, 2013, S. 9) „durch klärende Auseinandersetzung mit Sachen der physischen und sozialen Welt“ (Köhnlein, 2012, S. 11) leisten soll. Im folgenden Kapitel sollen nun die sich aus diesem Bildungsauftrag für den Sachunterricht ergebenden Aufgaben und Ziele näher beleuchtet werden.

2.1.2 Allgemeine sachunterrichtliche Aufgaben und Zielsetzungen

Die AufgabenFootnote 4 und ZieleFootnote 5 des Sachunterrichts werden – dem breit gefächerten Bildungsauftrag folgend – durch den Beitrag des Fachs zur grundlegenden Bildung bestimmt (Köhnlein, 2014). Analog zu dem umfassenden Bildungsanspruch sind auch die Aufgaben und Ziele des Sachunterrichts vielfältig und müssten gemäß Köhnlein (2022a, S. 100) „in einem begründbaren Wechselverhältnis zu allgemeinen, von der Verantwortung der Gesellschaft für die nachwachsende Generation getragenen Entscheidungen über Bildung und Erziehung stehen“. Bereits im Jahr 1980 konkretisierte die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) die wesentliche Aufgabe des Fachs folgendermaßen: „Eine zentrale Aufgabe des Sachunterrichts besteht in der Hilfe, die er dem Schüler bei der Erschließung seiner Lebenswirklichkeit gibt.“ (KMK, 1980, S. 2) Giest (2020, S. 533) spricht in diesem Zusammenhang auch von der Herstellung „der Einheit von kindlicher Erfahrung und wissenschaftlichen Perspektiven“.

Einsiedler (2000) beschreibt als zentrale sachunterrichtliche Aufgabe des Fachs die Herstellung eines positiven Bezugs zu Sachinhalten. Neben dem Anknüpfen an die Interessen der Kinder müsse vor allem auch das Wecken von neuen Interessen im Fokus der Unterrichtshandlungen stehen, also das Anbahnen einer – wie Einsiedler (2000, S. 74) es formuliert – „Liebe zur Sache“. Giest (2020, S. 126) wiederum beschreibt als übergeordnete Aufgabe des Fachs, „den Kindern zu helfen, mit den Anforderungen ihres Lebens [zurechtzukommen] (Erschließung der Lebenswirklichkeit) sowie die Anschlussfähigkeit an den Fachunterricht der Sekundarstufe 1 zu sichern“. Eine „Erschließung des Alltags im Sinne des Gesamtunterrichts“ habe der Sachunterricht Giest zufolge (2020, S. 126) nicht zu leisten, da er kein klassischer Fachunterricht sei. Vielmehr sollen jene Themen Gegenstand des Sachunterrichts sein, „die für das ‚In der Welt sein‘ des Kindes Bedeutung haben“ (Giest, 2020, S. 130).

Die GDSU (2013, S. 9) beschreibt die Aufgaben des Sachunterrichts dahingehend, „Schülerinnen und Schüler darin zu unterstützen, ihre natürliche, kulturelle, soziale und technische Umwelt sachbezogen zu verstehen, sie sich auf dieser Grundlage bildungswirksam zu erschließen und sich darin zu orientieren, mitzuwirken und zu handeln“. Die Fachgesellschaft konkretisiert die Tätigkeitsfelder des Sachunterrichts in dem Sinne, „Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen,

  • Phänomene und Zusammenhänge der Lebenswelt wahrzunehmen und zu verstehen,

  • selbstständig, methodisch und reflektiert neue Erkenntnisse aufzubauen,

  • Interesse an der Umwelt neu zu entwickeln und zu bewahren,

  • anknüpfend an vorschulische Lernvoraussetzungen und Erfahrungen eine belastbare Grundlage für weiterführendes Lernen aufzubauen,

  • in der Auseinandersetzung mit den Sachen ihre Persönlichkeit [weiterzuentwickeln] sowie

  • angemessen und verantwortungsvoll in der Umwelt zu handeln und sie mitzugestalten“ (GDSU, 2013, S. 9).

Einen Versuch, die vielfältigen Aufgaben und Ziele des Sachunterrichts zu sortieren, unternimmt Kahlert (2022, S. 25 f.), indem er die wesentliche Anforderung an das Fach – Lernende bei der Erschließung ihrer Lebenswelt zu unterstützen – in vier Ansprüche aufgliedert (siehe Abbildung 2.1):

  • „Über Bestehendes aufklären – Verstehen unterstützen“: Kahlert zufolge liegt ein wichtiges Ziel des Sachunterrichts darin, Kindern Verstehensprozesse zu ermöglichen, damit sie die Fähigkeit entwickeln, neue Eindrücke auf Bekanntes zurückzuführen.

  • „Für Neues öffnen – Interessen entwickeln“: Analog zu Einsiedler (2000) sieht auch Kahlert im Heranführen der Kinder an neue Themen eine zentrale Aufgabe des Fachs.

  • „Sinnvolle Zugangsweisen zu Wissen und Können aufbauen – Sachlichkeit fördern“: Eine Zielsetzung des Sachunterrichts ist laut Kahlert, Kinder im Aufbau der notwendigen Kompetenzen zu unterstützen, damit sie sich auch später selbstständig Wissen und Handlungs- bzw. Arbeitsweisen aneignen können.

  • „Zum Handeln und Lernen ermutigen – Kompetenzerfahrung ermöglichen“: Kinder sollen im Sachunterricht auch an Möglichkeiten und die dazu benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Mitgestaltung ihrer Umwelt herangeführt werden. Kahlert zufolge müsse der Sachunterricht hier Raum für ermutigende Erfahrungen bieten.

Abbildung 2.1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Darstellung der Ansprüche an den Sachunterricht nach Kahlert (2022, S. 27).

Die vier Ansprüche stellen gemäß Kahlert (2022, S. 27) gleichzeitig auch „Qualitätskriterien dar, an denen sich der Anspruch des Sachunterrichts, Unterstützung beim Erschließen von Umwelt zu leisten, messen lassen muss“. In einer zeitgemäßen konzeptionellen Ausgestaltung müsse das Fach alle Ansprüche gleichermaßen berücksichtigen. Köhnlein (2022a, S. 108) sieht vor dem Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und damit einhergehender Veränderungsprozesse vor allem das Verstehenlernen als wesentliche Aufgabe eines modernen Sachunterrichts, „die umso dringlicher wird, je mehr die Lernenden darauf angewiesen sein werden, sich schnell wandelnde, oft nur medial vermittelte Kenntnisse in ein verstandenes Wissen zu integrieren“.

Weitere Aufgaben ergeben sich für den Sachunterricht aus der Forderung nach einer doppelten Anschlussfähigkeit des Fachs. Hier lässt sich zwischen zwei Ausprägungsformen – sinnbildlich kann auch von den „vertikalen“ und den „horizontalen“ Anschlussaufgaben gesprochen werden – unterscheiden:

  • Im Sinne einer „vertikalen“ Anschlussfähigkeit sollen die Vorerfahrungen der Kinder den Ausgangspunkt für Lernprozesse im Sachunterricht darstellen. Das Fach müsse – um Bildung zu ermöglichen – nahtlos an die kindlichen Lernvoraussetzungen und Erfahrungen anknüpfen (GDSU, 2013). Zusätzlich kommt dem Sachunterricht die Aufgabe zu, eine belastbare Wissensgrundlage für die Bezugsfächer der Sekundarstufe aufzubauen, also eine zunehmende „Fächerung“ der Inhalte für die weiterführenden Schulen vorzubereiten (Köhnlein, 1996).

  • Ebenso soll eine „horizontale“ Anschlussfähigkeit des Sachunterrichts sichergestellt werden, d. h., der Unterricht soll an die gegenwärtige Lebenswirklichkeit der Lernenden anknüpfen bzw. Aspekte der kindlichen Lebenswelt als Themen in den Sachunterricht aufnehmen (M. Hempel & Wittkowske, 2010). Außerdem sollen Querbezüge zu anderen Grundschulfächern bzw. Lernbereichen hergestellt werden und ein fächerverbindendes bzw. -übergreifendes Arbeiten angeregt werden (Albers, 2017).

Der bereits mehrfach erwähnte Begriff der kindlichen Lebenswelt bzw. Lebenswirklichkeit stellt einen wesentlichen Bezugspunkt – eine zentrale Kategorie – sachunterrichtlicher Bildung dar (M. Hempel & Wittkowske, 2010). Soostmeyer (1992, S. 211 f.) beschreibt den Begriff der Lebenswirklichkeit als „die Gesamtheit aller Personen und anderer Lebewesen, aller Sachen und Sachverhalte, zu denen das Kind Beziehungen aufgebaut hat und aufbaut“. Auch Giest (2020, S. 17) betont, dass nicht die Sachen per se, sondern jene „Sachen, die in einer Beziehung zum Kind und zu seinem Leben stehen“, Gegenstand des Sachunterrichts sein sollen. Die Lebenswirklichkeit sei dabei immer etwas Subjektives, über das mit den Lernenden im Unterricht „verhandelt werden und ein reger Gedankenaustausch stattfinden“ müsse (Giest, 2020, S. 34). Lassen sich nun – bei aller Vielfalt kindlicher Lebenswirklichkeiten – konkrete Themenfelder identifizieren, die für den Sachunterricht allgemein von Relevanz sind? Oder, wie die GDSU (2013, S. 12) im Perspektivrahmen fragt: „Was sollen Kinder am Ende der Primarstufe über ihre natürliche, kulturelle, soziale und technisch gestaltete Umwelt gelernt haben können – und warum?“ Im folgenden Kapitel werden Antworten auf diese Frage dargestellt.

2.1.3 Zentrale Inhalte und Kompetenzbereiche des Sachunterrichts

Wie bei anderen Schulfächern auch werden für den Sachunterricht „Inhalte und Gestaltungsformen des Unterrichts […] im Rahmen einer pädagogisch-didaktischen Grundkonzeption durch das Curriculum bestimmt“ (Köhnlein, 2022a, S. 103). Österreich, die deutschsprachige Schweiz und die verschiedenen Bundesländer Deutschlands haben teils sehr unterschiedlich ausgestaltete Sachunterrichtslehrpläne, in denen festgeschrieben ist, wie mit dem Bildungsauftrag des Fachs konkret umzugehen ist bzw. welche inhaltlichen Schwerpunktsetzungen vorrangig Beachtung finden sollen. Da das Forschungsinteresse dieser Arbeit dem didaktischen Umgang der Lehrkräfte mit dem Unterrichtsmedium Erklärvideo im Sachunterricht gilt und nicht den länderspezifischen Unterschieden in der inhaltlichen Ausgestaltung, wird auf das Beschreiben konkreter bildungspolitischer Vorgaben (Lehrpläne, Kompetenzkataloge) verzichtet. Dennoch ist die Frage nach einer übergeordneten thematischen Gliederung der Sachunterrichtsinhalte nicht zuletzt deshalb für das vorliegende Forschungsvorhaben von Relevanz, um mögliche Präferenzen bei der Nutzung von Erklärvideos für unterschiedliche Themenfelder identifizieren zu können.

Eine allgemeine Betrachtung zentraler sachunterrichtlicher Inhaltsbereiche kann anhand des Perspektivrahmens Sachunterricht erfolgen, dessen erste Version – nach einer Darstellung der grundlegenden Ideen im Jahr 2001 in der Zeitschrift Grundschule (GDSU, 2001) – von der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts 2002 veröffentlicht wurde und der zum Zeitpunkt dieser Untersuchung in einer vollständig überarbeiteten zweiten Fassung vorliegt (GDSU, 2002, 2013). Die hohe Akzeptanz des Perspektivrahmens Sachunterricht zeigt sich u. a. darin, dass mittlerweile „alle Lehrpläne auf dem Perspektivrahmen“ basieren (Giest, 2020, S. 270).

Einsiedler (2000, S. 68) beanstandete vor der Jahrtausendwende noch die „Konturlosigkeit des Sachunterrichts“ aufgrund der Vielzahl an Orientierungen bzw. das Fehlen eines übergeordneten Leitgedankens. Die GDSU (2002) legte mit der ersten Auflage des Perspektivrahmens eine solche ordnende Grundidee für das Fach vor. In seiner aktuell gültigen Fassung gliedert der Perspektivrahmen Sachunterricht die wesentlichen KompetenzbereicheFootnote 6 in fünf Perspektiven (GDSU, 2013, S. 14):

  • „Sozialwissenschaftliche Perspektive (Politik – Wirtschaft – Soziales)

  • Naturwissenschaftliche Perspektive (belebte und unbelebte Natur)

  • Geographische Perspektive (Räume – Naturgrundlagen – Lebenssituationen)

  • Historische Perspektive (Zeit – Wandel)

  • Technische Perspektive (Technik – Arbeit)“

Jede Perspektive beinhaltet spezifische perspektivenbezogene Kompetenzen, die auf den in den jeweiligen „Fachkulturen entwickelten, bereitgestellten und gepflegten Inhalten und Methoden“ (GDSU, 2013, S. 14) beruhen. In der unterrichtlichen Umsetzung sollte sich dabei ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis der perspektivischen Zugänge widerspiegeln, denn, wie Götz et al. (2022, S. 20) betonen, „gerade die Gleichwertigkeit der Perspektiven und ihre Verflechtungen“ seien charakteristisch für den Sachunterricht. Auch „ästhetische und ethische Bezüge des Wissens und Könnens“ (Köhnlein, 2022a, S. 104) sollen in allen Perspektiven Berücksichtigung finden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da ästhetische und ethische Fragestellungen nicht in eigenen Perspektiven abgebildet wurden. Dabei können gerade „sich auf Ästhetisches beziehende Lernwege wichtige Zugangsweisen zur Welt“ (Scheuerer & Wittkowske, 2020, S. 5) eröffnen – ein Aspekt, der auch für die Betrachtung des audiovisuellen Unterrichtsmediums Erklärvideo von Bedeutung ist. Das Einbeziehen ethischer Aspekte könnte – z. B. anhand des „Modells der drei Schlüssel“ (Biewald et al., 2001) – Kinder in ihren Bemühungen unterstützen, „das Gute zu finden und zu tun“, und den Sachunterricht damit auch für „Aspekte der Sinn- und Wertorientierung“ öffnen (H.-J. Müller, 2022, S. 184 f.). Ohnehin seien die fünf Perspektiven „nicht unumstritten“, wie Giest (2020, S. 270) festhält, so würden etwa auch „Perspektiven wie die ökonomische Bildung“ fehlen. Dennoch gelang „[d]urch diese Festlegung […] aber, eine Art Kerncurriculum zu entwickeln, aus dem klar ersichtlich ist, was Sachunterricht ist, welche Inhalte behandelt werden und welche Kompetenzen die Schüler/innen erwerben sollten“ (Giest, 2020, S. 270).

Ein wesentliches Element des Perspektivrahmens stellen die sogenannten „perspektivenvernetzenden Themenbereiche“ (PVT) dar. Die PVT richten den Fokus auf all jene Inhalte, die nicht bloß eine perspektivenbezogene, sondern eine darüber hinausgehende Bearbeitung erforderlich machen. Eine solche perspektivenvernetzende Betrachtung von Unterrichtsthemen ist eine wesentliche Besonderheit der Sachunterrichtsdidaktik, auf die in Abschnitt 2.1.4 mit dem Konzept der Vielperspektivität vertiefend eingegangen wird. Beispielhaft für die PVT werden im Perspektivrahmen die Themen Mobilität, nachhaltige Entwicklung, Gesundheit und Gesundheitsprophylaxe sowie Medien genannt (GDSU, 2013). Das Thema Medien bzw. konkret die Förderung einer kritisch-reflektierten Medienkompetenz der Lernenden rückt im Sachunterricht zunehmend in den Fokus – nicht zuletzt aufgrund der Allgegenwärtigkeit diverser Medien in der kindlichen Lebenswelt und deren Bedeutung für das gegenwärtige und künftige Leben der Lernenden. Peschel zufolge (2022, S. 192) müsse die „Medienbildung als Teil der Allgemeinbildung“ gesehen werden, die sowohl Fragen „nach einer (kritisch) reflektierten Mediennutzung“ (Peschel, 2022, S. 189) als auch der (kreativen) Gestaltung von Medien umfasst. Diese Fragen machen die Medienbildung auch zu einem wichtigen Bezugspunkt für die Beforschung von Erklärvideos im Sachunterricht.

Der Perspektivrahmen beschreibt auch perspektivenübergreifende Kompetenzen, die auf „grundlegende Aspekte des (sachunterrichtlichen) Lernens und Lehrens verweisen“ (GDSU, 2013, S. 20), konkret: erkennen/verstehen, eigenständig erarbeiten, evaluieren/reflektieren, kommunizieren/zusammenarbeiten, den Sachen interessiert begegnen und umsetzen/handeln. Abbildung 2.2 zeigt ein Modell des Perspektivrahmens Sachunterricht, das von der GDSU-Arbeitsgruppe Medien & Digitalisierung (bis 2019 hieß die AG Neue Medien (ICT) im Sachunterricht) entwickelt wurde (Peschel, 2016).

Abbildung 2.2
figure 2

(Vereinfachte eigene Darstellung)

Darstellung des Perspektivrahmens Sachunterricht auf Basis des Modells der AG Medien & Digitalisierung (Peschel, 2016, S. 14).

Das Perspektivrahmen-Modell der AG Medien & Digitalisierung stellt die PVT ins Zentrum, die perspektivenübergreifenden Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen bilden eine die perspektivenbezogenen Themenbereiche und die PVT umrahmende Klammer. Das Modell veranschaulicht den Ansatz, bei der Unterrichtskonzeption „nicht von Perspektiven auszugehen, sondern übergeordnete Themen oder Fragestellungen […] als Ausgangspunkt schulischen Sachunterrichts zu nutzen“ (Peschel, 2016, S. 14). Die Umsetzung eines solchen Sachunterrichts orientiert sich am Konzept der Vielperspektivität, auf das im folgenden Kapitel genauer eingegangen wird.

Nachdem in den bisherigen Ausführungen der Bildungsanspruch, die Aufgaben und Ziele sowie grundlegende Überlegungen zu Inhalts- und Kompetenzbereichen des Sachunterrichts beschrieben wurden, sollen im nächsten Schritt zentrale Leitideen für die schulpraktische Umsetzung sachunterrichtlicher Bildungsprozesse in den Fokus gerückt werden. Dazu werden leitende Prinzipien für die Umsetzung des Sachunterrichts sowie weitere theoriegeleitete unterstützende Verfahren für die Lehrer*innen thematisiert. Die didaktischen Prinzipien und Konzepte sind für eine theoriebasierte Bewertung des Umgangs mit Erklärvideos von Relevanz, da sie verdeutlichen, inwiefern der Einsatz des audiovisuellen Mediums sachunterrichtsdidaktischen Ansprüchen gerecht werden kann.

2.1.4 Didaktische Prinzipien für die Umsetzung sachunterrichtlichen Handelns

In der schulpädagogischen Forschung findet sich eine Fülle an allgemeindidaktischen Theorien und Modellen zur Ausgestaltung schulischer Lehr- und Lernprozesse (Lüders, 2018). Für die Didaktik des Sachunterrichts stellen Klafkis bildungstheoretische Didaktik und später auch deren Weiterentwicklung zur kritisch-konstruktiven Didaktik (Klafki, 2007) bedeutende Konzepte dar (Kahlert, 2022). Der starke Einfluss von Klafkis Didaktiktheorie auf die Didaktik des Sachunterrichts kann u. a. auch damit in Zusammenhang stehen, dass die bildungstheoretische Didaktik neben der lern-lehr-theoretischen Didaktik seit vielen Jahrzehnten – und gerade auch nach der Jahrtausendwende – „zu den besonders prominenten Ansätzen“ (Lüders, 2018, S. 1093) zählt.

Beim Sachunterricht handle es sich Klafki zufolge (1992, S. 11) „um den Unterrichtsbereich, der […] den höchsten Grad an Komplexität aufweist“, womit auch die Didaktik des Sachunterrichts zu einem der „schwierigsten Aufgabenfelder unter allen Fach- und Bereichsdidaktiken“ werde. Ein Grund hierfür ist, dass der Sachunterricht – im Gegensatz zu anderen Schulfächern – nicht nur eine, sondern mehrere Bezugswissenschaften hat, wodurch er auch „viel stärker als diese von aktuellen, auch modischen Strömungen und Richtungen […] beeinflusst“ ist (Köhnlein, 1996, S. 47). Hier ortet Köhnlein (1996, S. 47) die Gefahr, dass der Sachunterricht „zwischen unterschiedlichen Interessen und methodischen Vorlieben seine Identität und schultheoretische Bestimmung verliert“, allerdings ergeben sich auch „Chancen aus der Flexibilität und Dynamik des Sachunterrichts, der immer wieder neu auf die Lernbedürfnisse der Kinder und die anstehenden Probleme der Gesellschaft bezogen werden kann“. Damit trägt die Didaktik des Sachunterrichts laut Köhnlein (1996, S. 47) auch eine besondere Verantwortung: „Sie muss deutlich machen, dass die in der Grundschule angeleitete Auseinandersetzung der Kinder mit Sachen eine hohe Bedeutung für diese Kinder und für die Gesellschaft hat, und sie muss zeigen, wie diese lernende Auseinandersetzung geschehen sollte […].“ Damit Lehrer*innen den vielschichtigen Ansprüchen des Sachunterrichts begegnen können, wurden von Sachunterrichtsdidaktikerinnen und -didaktikern unterschiedliche Prinzipien formuliert, die Lehrkräften als Leitlinien bei der Gestaltung des Sachunterrichts dienen sollen. „Prinzipien drücken didaktische Ansprüche an den Unterricht aus, […] sie sind Grundsätze, die den Unterricht durchgängig konzeptionell bestimmen.“ (Köhnlein, 1996, S. 54) Im Folgenden werden zentrale Prinzipien und Konzepte des Sachunterrichts vorgestellt.

Zuallererst soll an dieser Stelle auf das Konzept der Vielperspektivität eingegangen werden. Bereits Klafki (1992, S. 28) hält fest, dass „die meisten Probleme unserer Lebenswirklichkeit von mehreren Perspektiven aus betrachtet werden können und betrachtet werden müssen“. Die Vielperspektivität stellt hier einen wesentlichen Leitgedanken dar, wie die Bearbeitung der vielfältigen Fachbezüge im Sachunterricht erfolgen sollte. Komplexe Themen- und Problemstellungen sollen der Idee der Vielperspektivität folgend nicht monoperspektivisch, sondern aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden, was auch einer möglichen „Eindimensionalität des Sachunterrichts“ (Thomas, 2022a, S. 273) entgegenwirkt. Die Vielperspektivität betont dabei „die Polyvalenz der Zugriffsweisen auf die Wirklichkeit und damit die erforderliche inhaltliche und methodische Vielfalt in der Einheit des Sachunterrichts“ (Köhnlein, 1999, S. 9). Nur so könne der Sachunterricht auch der kindlichen Erfahrungswelt entsprechen, denn „Kinder begegnen ihrer Umwelt in komplexen Sach- und Sinnzusammenhängen, deren Erschließung keine Trennung in einen sozialwissenschaftlichen und einen naturwissenschaftlichen Bereich des Sachunterrichts […] rechtfertigt“ (GDSU, 2019, S. 16). Der vielperspektivische Sachunterricht soll vielfältige inhaltliche Bezüge eröffnen: „Im Unterricht eine Perspektive zu eröffnen heißt für die Kinder, eine bestimmte Betrachtungsweise zu lernen.“ (Köhnlein, 1999, S. 17) Hierzu definiert Köhnlein unterschiedliche „Dimensionen des Sachunterrichts“, die er mit den kindlichen Interessen, Möglichkeiten und Lernvoraussetzungen in Beziehung setzt. Die Dimensionen „gliedern das Universum der Sachen und bezeichnen Bereiche des Vertrautwerdens der Kinder mit

  • der heimatlichen Lebenswelt und kulturellen Vielfalt (lebensweltliche Dimension),

  • der Geschichte des Gewordenen (historische Dimension),

  • der Landschaft, ihrer Gestaltung, Erschließung und Nutzung (geografische Dimension),

  • wirtschaftlichem Handeln (ökonomische Dimension),

  • vielfältigen sozialen Bezügen und politischen Regelungen (gesellschaftliche Dimension),

  • Phänomenen und Strukturen der physischen Welt (physikalische und chemische Dimension),

  • technischen Einrichtungen und Nutzungsmöglichkeiten (technische Dimension),

  • der lebendigen Natur, der wir angehören (biologische Dimension),

  • ökologischen Einsichten und Handlungsimperativen (ökologische Dimension).“ (Köhnlein, 2012, S. 64)

Kahlert (2022, S. 204 ff.) entwickelt Köhnleins Idee der dimensionalen Erschließung von sachunterrichtlichen Themenfeldern weiter und systematisiert seine Überlegungen im vielperspektivischen Planungskonzept der „inklusionsdidaktischen Netze“. Im Vordergrund steht hier einerseits die Anschlussfähigkeit an die kindliche Lebens- und Erfahrungswelt – die lebensweltlichen Dimensionen –, andererseits die entsprechende Einbettung von unterschiedlichen Fachperspektiven. Dabei geht es Kahlert (2022, S. 227) nicht um eine vollständige Abbildung aller Schulfächer weiterführender Schulen im Sachunterricht, sondern um „das Potenzial, das die jeweilige Fachkultur zur Erschließung kindlicher Lebenswelt durch Grundlegung einer anschlussfähigen Bildung beisteuern kann“. Die lebensweltlichen Dimensionen und die Fachperspektiven bilden in seinem Modell „polare Paare […], mit denen das didaktische Potenzial von Themenfeldern des Sachunterrichts erschlossen werden kann“ (Kahlert, 2022, S. 227 f.). Auch Thomas (2022a, S. 272) betont, dass über eine vielperspektivische Betrachtung „das didaktische Potential möglicher Unterrichtsinhalte“ verdeutlicht werden könne.

Köhnlein (1996, S. 47 f.) sieht eine wesentliche Aufgabe der Grundschuldidaktik „in der Erschließung und Darstellung des Bildungswertes möglicher Unterrichtsgegenstände und Verfahren“. Für den Sachunterricht formuliert er vier leitende Prinzipien, die er als grundlegend für die Umsetzung des allgemeinbildenden Auftrags sieht. Die Prinzipien sollen „didaktische Ansprüche an den Unterricht“ ausdrücken und „ihm Leitlinien“ geben (Köhnlein, 1996, S. 54). Die vier leitenden Prinzipien, die Köhnlein (1996) in diesem Zusammenhang benennt, sind:

  • die Kindgemäßheit

  • die Sachgemäßheit

  • die Exemplarität

  • die genetische Orientierung

Die GDSU (2013, S. 10) schreibt zu den Prinzipien der Kind- und Sachgemäßheit, dass das „gleichgewichtige und wechselseitige Berücksichtigen des ‚Spannungsfeldes‘ aus den Erfahrungen der Kinder und den (inhaltlichen und methodischen) Angeboten der Fachwissenschaften […] konstitutiv für den Sachunterricht“ sei, also eine grundlegende Voraussetzung für sachunterrichtliche Bildungsprozesse darstelle. Hinsichtlich des Prinzips der Exemplarität plädiert Köhnlein (1996, S. 59) dafür, dass Lehrkräfte in Bezug auf die Unterrichtsthemen „eine begründete Auswahl treffen unter dem Vielerlei der Möglichkeiten“. Damit meint er, Themen so auszuwählen, dass die Kinder die Möglichkeit haben, von ihnen allgemeingültige Aussagen, Regeln etc. ableiten zu können. „Mit dem Besonderen des einzelnen Unterrichtsthemas nehmen wir zugleich Allgemeingültiges wahr und wir gewinnen Ausblicke auf neue Fragen, Probleme und interessante Themen.“ (Köhnlein, 1996, S. 60) Klafki (2007, S. 275) hält zur exemplarischen Bedeutung eines Lerngegenstandes fest, dass sich am konkreten Unterrichtsthema „allgemeinere Zusammenhänge, Beziehungen, Gesetzmäßigkeiten, Strukturen, Widersprüche, Handlungsmöglichkeiten erarbeiten lassen“ sollten. Das Prinzip der genetischen Orientierung knüpft an das Prinzip der Exemplarität an und verlangt von Lehrkräften eine Unterrichtsgestaltung, die „die Erfahrungen, Vorkenntnisse und Überlegungen der Lernenden konstruktiv aufnimmt“ und in der die Lehrkraft „zusammen mit ihnen Wege des Entdeckens sucht, um gemeinsam zu gesichertem und verstandenem Wissen zu kommen“ (Köhnlein, 1996, S. 61).

Einsiedler und Hardy (2022, S. 401) sehen die Allgemeingültigkeit von Unterrichtsprinzipien hingegen kritisch und beschreiben sie als eher unscharfe Leitlinien, die „zu oberflächlichen Schlagwörtern oder modischen Einseitigkeiten werden“. Sie vertreten die Meinung, dass sich „der Generalitätsanspruch der Unterrichtsprinzipien […] heute nicht mehr halten“ lasse (Einsiedler & Hardy, 2022, S. 407). Einsiedler und Hardy zufolge (2022) müsse der Beliebigkeit und Trivialität von Unterrichtsprinzipien durch einen unmittelbaren Bezug zur Unterrichtsmethodik und durch forschungsgesicherte Erkenntnisse entgegengewirkt werden. Als Beispiele für Prinzipien, zu denen gesicherte Forschungsbefunde vorliegen, nennen Einsiedler und Hardy (2022, S. 408 ff.) „Forschendes Lernen“, „Externe Repräsentationen“, „Autonomes Lernen“ sowie die „Kognitive Strukturierung“. Hinsichtlich der Beforschung des Unterrichtsmediums Erklärvideo ist vor allem die Betrachtung der externen Repräsentationen sowie des autonomen Lernens und der kognitiven Strukturierung von Interesse:

  • Externe Repräsentationen: Hier werden unter anderem die unterschiedlichen visualisierenden („veranschaulichenden“) Repräsentationsformen verortet, mithilfe derer den Kindern sachunterrichtliche Inhalte nähergebracht werden können. In Bezug auf Visualisierungen existieren Einsiedler und Hardy zufolge (2022, S. 409) „vielfältige Ergebnisse empirischer Forschung zum Zusammenhang von äußerlich visuell Dargestelltem und kognitiver Verarbeitung“ (siehe dazu Abschnitt 2.2). In diesem Zusammenhang wird auch vor der fälschlichen Annahme gewarnt, „wonach sinnlich Wahrgenommenes sich äquivalent in der kognitiven Struktur abbilde“ (Einsiedler & Hardy, 2022, S. 409), hier habe die Kognitionsforschung gezeigt, dass vorhandene kognitive Strukturen und Konzepte die Wahrnehmungsprozesse von oben herab beeinflussen würden. Für einen zielführenden Einsatz externer Repräsentationen sei es aufseiten der Lehrkräfte deshalb wesentlich, „die spezifischen Merkmale von externen Repräsentationsformen zu kennen und die passenden Formate für die jeweiligen Unterrichtsinhalte auszuwählen“ (Einsiedler & Hardy, 2022, S. 409).

  • Autonomes Lernen und Schüler*innenorientierung: Die Unterstützung des Autonomieempfindens der Lernenden, „beispielsweise bezogen auf Themenwahl, Zeiteinteilung, Wahl des Lernweges“, könne Untersuchungen zufolge einen Beitrag zur „Förderung von Interesse und Lernerfolg“ leisten (Einsiedler & Hardy, 2022, S. 410). Um den Aufbau kognitiver Strukturen zu fördern, müssten Lernumgebungen sowohl handlungsorientiert als auch geistig anregend gestaltet werden: „‚Hands-on‘-Aktivitäten reichen […] nicht aus, der Unterricht sollte zu ‚Minds-on‘-Aktivitäten vorstoßen.“ (Einsiedler & Hardy, 2022, S. 409)

  • Kognitive Strukturierung: In der Strukturierung von Lerninhalten sehen Einsiedler und Hardy (2022) eines der empirisch am besten abgesicherten Unterrichtsprinzipien. Zum Strukturieren im Unterricht gehöre u. a. Folgendes: „sachlogisch und methodisch sequenzieren, Hinweise zu Wichtigem geben, Zusammenhänge zwischen Teilinhalten herausarbeiten, Begriffe und Funktionen zu systemischem, modellartigem Wissen zusammenfügen“ (Einsiedler & Hardy, 2022, S. 410).

Vor dem Hintergrund der vielfältigen didaktischen Herausforderungen bei der Ausgestaltung des Sachunterrichts sollen im nächsten Teil einige ausgewählte Verfahren betrachtet werden, die Lehrer*innen bei der Planung ihres Sachunterrichts unterstützen sollen.

2.1.5 Ausgewählte unterstützende Verfahren für Lehrkräfte

Neben den im vorangegangenen Kapitel thematisierten Konzepten und Prinzipien verfügt die Sachunterrichtsdidaktik auch über unterschiedliche Verfahren, die Lehrkräften bei der praktischen Umsetzung des Sachunterrichts behilflich sein können. Ziel derartiger Verfahren ist z. B. das Treffen einer begründeten Auswahl relevanter und bildungswirksamer Unterrichtsinhalte aus der Masse an potenziellen Themenfeldern oder das Identifizieren lernförderlicher Zugänge und methodischer Vorgehensweisen.

In Rückbezug auf seinen Allgemeinbildungsbegriff und der damit einhergehenden Forderung nach einer Bildung im Medium des Allgemeinen plädiert Klafki (1992, S. 19) im Sachunterricht für eine „Konzentration auf epochaltypische Schlüsselprobleme unserer Gegenwart und der vermutlichen Zukunft“. Klafki (1992, S. 19 f.) beschreibt hierzu folgende Schlüsselprobleme, die auch über 30 Jahre später nicht an Relevanz verloren haben, sondern dringlicher denn je erscheinen:

  • die Frage von Krieg und Frieden

  • die Umweltfrage oder ökologische Frage

  • das rapide Wachstum der Weltbevölkerung

  • die gesellschaftlich produzierte Ungleichheit (zwischen Klassen und Schichten, Männern und Frauen, behinderten und nicht-behinderten Menschen, Menschen mit und ohne Arbeitsplatz, Menschen aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen …)

  • die Gefahren und die Möglichkeiten der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und Kommunikationsmedien

  • die Subjektivität des Einzelnen und das Phänomen der Ich-Du-Beziehungen (Erfahrungen der Liebe, der menschlichen Sexualität, des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern …)

Klafkis epochaltypische Schlüsselprobleme werden auch im Suchraster für bedeutsame Sachunterrichtsinhalte von Faust-Siehl et al. (1996, S. 67 f.) in einer der vier Fragerichtungen genannt:

  • Welches sind entwicklungstypische Schlüsselfragen von Lernenden in der Grundschule?

  • Welches sind die epochaltypischen Schlüsselfragen der Menschheit?

  • Was sind epochemachende Errungenschaften der Menschheit, mit denen Kinder schon im Grundschulalter vertraut gemacht werden sollen?

  • Welche Methoden der Rekonstruktion und Darstellung der Welt sollen Kinder bereits in der Grundschule kennen- und anwenden lernen?

Als Grundlage für die Sachbegegnungen im Unterrichtsgeschehen, die sich aus den vier Fragestellungen ergeben, beschreiben Faust-Siehl et al. (1996, S. 71) „sinnliches Erfahren und elementare Empfindungen“ (siehe Abbildung 2.3).

Abbildung 2.3
figure 3

(Eigene Darstellung)

Suchraster für bedeutsame Unterrichtsinhalte (Faust-Siehl et al., 1996, S. 73).

Das Suchraster soll Faust-Siehl et al. zufolge (1996, S. 72) kein Themenkatalog sein, sondern Lehrkräften einen allgemeinen Orientierungsrahmen bieten, um „den Kindern behutsam Bezüge zu jenen Themen, Fragestellungen und Lösungsvorschlägen aufzuzeigen, die die Menschheit für die Fragen der Kinder schon entwickelt hat und auf die die Kinder ohne die Hilfe oder Anregung ihrer Lehrer vermutlich nicht kommen würden“.

Als weiterer Orientierungsrahmen für eine begründete Auswahl und Bewertung potenzieller Unterrichtsinhalte kann die Didaktische Analyse (Klafki, 2007) herangezogen werden, die einen zentralen Arbeitsschritt in Klafkis bildungstheoretischer Didaktik darstellt. Hierbei sollen Lehrkräfte anhand unterschiedlicher Fragen den Bildungsgehalt und die Struktur eines Lerngegenstandes analysieren, um so zu einer reflektierten Themenauswahl und zu einem überlegten didaktischen Vorgehen zu gelangen. Die Didaktische Analyse wurde von Klafki im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere kontinuierlich weiterentwickelt und ausdifferenziert. Zuletzt sah die Didaktische Analyse nach Klafki (2007, S. 271 ff.) folgende sieben Grundfragen vor, anhand derer Lehrer*innen einen konkreten Unterrichtsgegenstand analysieren sollten:

  • Die Frage nach der Gegenwartsbedeutung des Unterrichtsthemas für die Schüler*innen,

  • die Frage nach der Zukunftsbedeutung eines potenziellen Lerninhalts für die Lernenden,

  • die Frage nach der exemplarischen Bedeutung des Lerngegenstandes,

  • die Frage nach der konkreten thematischen Strukturierung des entsprechenden Unterrichtsinhalts,

  • die Frage nach der Erweisbarkeit bzw. Überprüfbarkeit erfolgreich vollzogener Lernprozesse,

  • die Frage nach der Zugänglichkeit und Darstellbarkeit der Thematik (z. B. mittels unterschiedlicher Medien) und

  • die Frage nach der methodischen Strukturierung bzw. der Strukturierung des Lehr-Lern-Prozesses.

Die Didaktische Analyse ist weit mehr als ein bloßes Hilfsmittel für die Auswahl von Lerninhalten, ihre Anwendungsmöglichkeiten sind wesentlich umfangreicher: Sie stellt Fragen zum gesamten Unterrichtsplanungsprozess und damit auch zur Auswahl geeigneter Darstellungsformen bzw. Lernmedien (Klafki, 2007). Aus diesem Grund sind Teile der Didaktischen Analyse auch für die Betrachtung des Unterrichtsmediums Erklärvideo von Relevanz. In Abschnitt 2.4 werden die Fragen nach der medialen Darstellbarkeit und der Strukturierung von Unterrichtsinhalten vertiefend aufgegriffen.

Die vielfältigen Ansprüche, die damit verbunden sind, Kinder im Sachunterricht bei der Erschließung ihrer Lebenswelt zu unterstützen, verdeutlichen die Komplexität und thematische Breite des Unterrichtsfachs. Die hier vorgestellten Prinzipien sollen Lehrkräften dabei helfen, dieser Komplexität pädagogisch angemessen begegnen zu können und zu einer begründeten und reflektierten Auswahl der Unterrichtsinhalte, -medien und -methoden zu gelangen, die dem Bildungsanspruch und den Aufgaben und Zielsetzungen des Sachunterrichts gerecht werden. Einen zentralen Bestandteil solcher Unterrichtsangebote, der darin stattfindenden Lehrprozesse und der Initiierung kindlicher Lernprozesse stellt ein reflektierter und kompetenter Umgang mit diversen Unterrichtsmedien dar. Der in Abschnitt 2.3 folgenden Betrachtung des Unterrichtsmediums Erklärvideo wird im nächsten Teil ein allgemeiner Blick auf das Lehren und Lernen mit Medien vorangestellt. Die Aufarbeitung wesentlicher Erkenntnisse zur Mediennutzung in Lehr- und Lernprozessen soll wichtige Anhaltspunkte für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem audiovisuellen Medium Erklärvideo liefern.

2.2 Zum Lehren und Lernen mit Medien

„Wenngleich unmittelbare, primäre Formen der Erfahrungen einen zentralen Stellenwert in der Auseinandersetzung mit der Umwelt einnehmen, werden zunehmend medienbezogene Erfahrungsformen für die Erschließung der Welt und der eigenen Identität bedeutender.“ (Pohlmann-Rother & Boelmann, 2019, S. 95)

Die Wahl geeigneter Unterrichtsmedien hat für die Didaktik des Sachunterrichts große Bedeutung. Der Einsatz entsprechender Medien im Unterrichtsgeschehen soll sicherstellen, „dass sie die Kinder beim Wahrnehmen, Informieren, Erarbeiten, Dokumentieren, Gestalten, Präsentieren, Kommunizieren und Üben […] unterstützen“ (Gervé & Peschel, 2013, S. 72). Medien können dabei „im klassischen Sinne der Anschauung dienen, motivieren […] oder gewährleisten, dass unterschiedlichen Präferenzen der kognitiven Aktivierung entsprochen wird“, und sie sollen „sachangemessen zum Staunen, Tun, Fragen und Denken anregen und nicht einfach nur zum Rezipieren oder Reproduzieren“ (Gervé & Peschel, 2013, S. 74 f.).

Warum Medien als wichtige Werkzeuge für Lehr- und Lernprozesse gesehen werden, beschreibt Tulodziecki (2014, S. 419) folgendermaßen: „Der Stellenwert von Medien für das Lernen beruht auf der Annahme, dass Mediennutzung eine Form der Erfahrung darstellt, durch die gelernt werden kann“. Unter dem Medienbegriff werden Informationsträger verstanden, „durch die in kommunikativen Zusammenhängen potenzielle Zeichen mit technischer Unterstützung übertragen, gespeichert, wiedergegeben oder verarbeitet und in abbildhafter oder symbolischer Form präsentiert werden“ (Tulodziecki, 2014, S. 420). Für den Sachunterricht beschreiben Gervé und Peschel (2013, S. 61) Medien auch als „Werkzeuge zur Welterschließung“, Giest (2020, S. 495) spricht von „Mittel der Kommunikation und Abbilder[n] der Realität“, was die Unterrichtsmedien zu integralen Bestandteilen sachunterrichtlicher Bildungsprozesse macht.

Vor allem digitale Medien würden Gervé zufolge (2022, S. 523 f.) „durch ihre besonderen Potenziale […] auch besondere Möglichkeiten“ eröffnen, etwa „neue Möglichkeiten für Wissenserwerb, Gestalten, Handeln und Kommunizieren und damit für ein aktiv welterschließendes Lernen“. Dennoch hätte deren Einsatz auch „Grenzen für das Lernen im Sachunterricht, denn sie tragen zu einer zunehmenden Beschleunigung und Fragmentierung der Weltbegegnungen bei und betonen dabei in einer zuweilen fesselnden Weise das Digitalisierbare“, was „mit dem Risiko eines simplifizierenden Verlustes der sinnstiftenden Verbindung zum Phänomen […]“ einhergehen könnte (Gervé, 2022, S. 524). Hier zeigt sich die Wichtigkeit einer kritisch-reflektierten Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Unterrichtsmedien in der Schule bzw. den Möglichkeiten für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen.

Die theoretischen Betrachtungen zum Lehren und Lernen mit Medien in diesem Kapitel folgen einer deduktiven Logik, wonach zunächst ein Exkurs zum Lernen allgemein erfolgt, um zu klären, welche Auffassungen über das Lernen im gegenwärtigen Bildungsdiskurs vorherrschen und welche kognitiven Voraussetzungen für das (multi-)mediale Lernen – und damit in weiterer Folge auch für das Lernen mit Erklärvideos – von Bedeutung sind. Daran anschließend werden zwei Medienintegrationsmodelle thematisiert sowie ein Blick auf zentrale medienpädagogische Kompetenzen geworfen, über die Lehrkräfte für einen zweckdienlichen Medieneinsatz im Unterricht verfügen sollten.

2.2.1 Auffassungen über das Lernen

„Zunächst begegnet uns die Welt in Form sinnlich wahrnehmbarer Eindrücke bzw. Informationen. Auf dem Hintergrund bereits gemachter Erfahrungen werden diese gedeutet, d. h. mit einer Bedeutung versehen und sinnlich erkannt.“ (Giest, 2020, S. 28)

Ein zentrales Merkmal des Menschen stellt seine Lernfähigkeit dar. Zwar besitzen auch Tiere das angeborene Potenzial zu lernen, das Ausmaß der Nutzung dieses Potenzials macht das menschliche Lernen jedoch einzigartig (Hasselhorn & Gold, 2017). Da die Pädagogik keine hinreichenden Erklärungsmodelle zum Lernen liefert und obgleich sie sich als eigenständige wissenschaftliche Disziplin von anderen abzugrenzen versucht, erfordert die Betrachtung des Lernbegriffs und der kognitiven Voraussetzungen für Lernprozesse eine multidisziplinäre Sichtweise (Göhlich et al., 2014). Eine Annäherung an den Lernbegriff ist etwa ohne evidenzbasierte Theorien aus der Psychologie kaum möglich. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse können Lehrkräften Aufschluss darüber geben, welche Veränderungs- und Reifungsprozesse kindlicher Vorstellungs- und Handlungsmuster im Grundschulalter durchlaufen werden, um zu bewerten, in welcher Form und auf welchem Niveau entsprechende Inhalte sinnvollerweise mit den Kindern bearbeitet werden können.

Bei der Frage, wie Lernen erfolgt bzw. wie Lernprozesse konkret verlaufen, handelt es sich um bedeutsame Fragestellungen der Pädagogik und Psychologie. Aus der Fülle an Ansätzen und Definitionen werden an dieser Stelle vier Beschreibungen ausgewählt, die aus pädagogischer Sicht bedeutsam erscheinen. Bei der Betrachtung dieser Begriffsbestimmungen lassen sich bereits erste Anhaltspunkte festmachen, was Lernen konkret bedeutet:

„Lernen ist ein Prozess, bei dem es zu überdauernden Änderungen im Verhaltenspotenzial als Folge von Erfahrungen kommt.“ (Hasselhorn & Gold, 2017, S. 35)

„Lernen ist ein Prozess, der in einer relativ konsistenten Änderung des Verhaltens oder des Verhaltenspotentials resultiert, und basiert auf Erfahrung.“ (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 192)

„Von Lernen wird gesprochen, wenn es auf der Grundlage von Erfahrung (selbst Erlebtem oder Wahrgenommenem) beabsichtigt oder unbeabsichtigt zu einer relativ dauerhaften Veränderung im Wissen oder Verhalten des Individuums kommt.“ (Hannover et al., 2014, S. 155)

„Unter Lernen verstehen wir alle nicht direkt zu beobachtenden Vorgänge in einem Organismus, vor allem in seinem zentralen Nervensystem (Gehirn), die durch Erfahrung (aber nicht durch Reifung o.ä.) bedingt sind und eine relativ dauerhafte Veränderung bzw. Erweiterung des Verhaltensrepertoires zur Folge haben.“ (Treml & Becker, 2004, S. 107)

Ausgangspunkte für Lernprozesse stellen demnach Erfahrungen unterschiedlicher Art dar. Lernen könne entweder beabsichtigt (intentional) oder unbeabsichtigt/beiläufig (inzidentell) geschehen (Hasselhorn & Gold, 2017). In den genannten Begriffsdefinitionen wird zudem der Prozesscharakter des Lernens hervorgehoben und das Resultat von Lernprozessen als eine relativ dauerhafte Änderung oder Erweiterung des Verhaltens bzw. der nicht unmittelbar beobachtbaren Verhaltenspotenziale beschrieben.

Im Kontext der Betrachtung von Lernprozessen wird häufig auch auf den Ansatz des „conceptual change“ verwiesen (Götzmann, 2015; Grimm et al., 2020; Gropengießer & Marohn, 2018; Seel, 2003). Der „conceptual change“-Ansatz beschreibt im Kern ein Modell zum Aufgreifen und Weiterentwickeln bzw. Verändern von Vorerfahrungen der Lernenden. Lernen findet diesem Ansatz zufolge durch konzeptuelle Veränderungen bestehender Vorstellungen statt. Diese konzeptuellen Veränderungen beschreiben „jede Modifikation eines Begriffs und seiner Struktur. Es wird unterschieden zwischen Erweiterung, Verfeinerung bzw. Ausdifferenzierung und mehr oder weniger vollständiger Rekonstruktion von Begriffen“ (Seel, 2003, S. 383). Ausgangspunkt für derartige konzeptuelle Veränderungen sind konzeptuelle Konflikte der Lernenden, d. h., „[e]in Ereignis/Sachverhalt kann mit dem bisherigen [kognitiven, S. M.] Modell gar nicht oder nicht zufriedenstellend erklärt werden und erzeugt so Unzufriedenheit“ (Götzmann, 2015, S. 27). Damit ein neues Modell übernommen wird, müssen folgende Eigenschaften erfüllt sein:

„Das neue Modell, das zur Disposition steht, muss verständlich sein. Verständlichkeit ist die Basis, damit ein neues Modell überhaupt in Erwägung gezogen wird, ein anderes zu ersetzen. Die Verständlichkeit alleine reicht jedoch nicht aus. Das Modell muss zusätzlich auch glaubhaft sein. Die Plausibilität dient als Indikator, ob das neue Modell mit den eigenen existierenden Vorstellungen kompatibel ist. Ist dies nicht der Fall, wird es entweder verworfen oder nach dem Prinzip ‚was nicht passt, wird passend gemacht‘ verändert. Des Weiteren muss das neue Modell fruchtbar erscheinen. Es muss mehr Möglichkeiten eröffnen als das bereits vorhandene.“ (Götzmann, 2015, S. 27)

Der Ansatz des „conceptual change“ wird im bildungswissenschaftlichen Diskurs vorrangig für die Beschreibung naturwissenschaftlicher Lernprozesse herangezogen (Grimm et al., 2020; Gropengießer & Marohn, 2018), lässt sich aber ebenso als Beschreibungsansatz für Lernprozesse in geistes- und humanwissenschaftlichen Disziplinen nutzen (Götzmann, 2015).

Auch die Neurobiologie beschäftigt sich mit den Prozessen, die beim menschlichen Lernen stattfinden. Hier wird der Lernprozess auf seine biochemischen Vorgänge im Gehirn heruntergebrochen: „Lernen bedeutet Modifikation synaptischer Übertragungsstärke“ (Spitzer, 2002, S. 146). Obwohl neurobiologische Erkenntnisse vielfach Eingang in populärwissenschaftliche Publikationen finden, wird der Mehrwert neurowissenschaftlicher Sichtweisen und Befunde im pädagogischen Bildungsdiskurs seit Jahren kontrovers diskutiert, u. a. deshalb, weil Neurowissenschaftler*innen meist ein Verständnis von Bildung transportieren, welches „– aus erziehungswissenschaftlicher Sicht – eher mit dem Begriff Entwicklung“ gleichzusetzen sei (Becker, 2006, S. 189). Ein weiteres Problem bestehe darin, „dass die Neurowissenschaften lediglich Wissen über Lernen bereitstellen können, – denn Lehre kommt in der bisherigen neurowissenschaftlichen Forschung nicht vor“ (Becker, 2006, S. 190). Um aus der Betrachtung des Lernens auch Implikationen für das Lehren ableiten zu können, lohnt ein Blick auf die klassischen Lerntheorien, die im nächsten Abschnitt in ihren Grundzügen dargestellt werden.

2.2.2 Bedeutsame Lerntheorien und ihre Relevanz für das Lernen mit Medien

„Lernen zu verstehen heißt aus pädagogischer Sicht immer, ein Verhältnis zwischen Lernendem und Welt als Möglichkeit der Weiterentwicklung dieses Verhältnisses zu begreifen.“ (Göhlich et al., 2014, S. 7)

Nach wie vor existiert keine allumfassende Lerntheorie, die das menschliche Lernen in seiner gesamten Komplexität zu beschreiben vermag. Dennoch hat die psychologische Forschung unterschiedliche Lerntheorien hervorgebracht, die als Erklärungsmodelle für das Lernen herangezogen werden können und aus denen sich auch Konsequenzen für das Lehren ableiten lassen. Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurden unterschiedliche Lerntheorien formuliert. Die folgende Zusammenstellung versteht sich als überblickshafte Darstellung der drei bedeutsamsten Lerntheorien und soll Erklärungsansätze dafür bereitstellen, auf welche Arten das Lernen mit Medien erfolgen kann.

Behaviorismus

Der Behaviorismus nahm seinen Anfang im frühen 20. Jahrhundert. Begründet wurde die Lerntheorie von John Watson (1924), der von der Annahme ausging, dass die Ursache für Lernen bzw. Verhaltensänderungen in beobachtbaren Umwelteinflüssen (Reizen bzw. Stimuli) liege. Iwan Pawlow entdeckte mit der klassischen Konditionierung eine grundlegende Lernform des Behaviorismus. Bei der Beobachtung von Versuchshunden bemerkte Pawlow zufällig, dass deren Speichelfluss bereits beim Anblick des Fütternden einsetzte. Diese Assoziation zwischen neutralem und natürlichem Stimulus konnte Pawlow auch nachweisen, als er das Geräusch einer Glocke mit dem Fütterungsvorgang verknüpfte und die Hunde schließlich allein beim Läuten der Glocke zu speicheln begannen (Pawlow, 1927). Watson und Rayner (1920) wiesen in einem Experiment mit einem Säugling nach, dass klassisches Konditionieren auch zu Verhaltensänderungen bei Menschen führen kann.

In Abgrenzung zur klassischen Konditionierung und auf Grundlage von Edward L. Thorndikes (1911, S. 244) „law of effect“ entwickelte B. F. Skinner (1938) seine Theorie der operanten Konditionierung. Skinners Theorie besagt, dass Verhaltensweisen gehäufter eintreten, wenn auf das Verhalten ein verstärkender Reiz (z. B. Lob) folge. Im Gegenzug sinke durch Strafe (z. B. Tadel) die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Verhalten künftig erneut gezeigt werde.

Dass der Behaviorismus bis heute auch Relevanz für das Lernen in der Schule besitzt, lässt sich vielerorts beobachten, so auch in der Gestaltung (multi-)medialer Lernumgebungen. Die Schaffung von Anreizsystemen (wie etwa die Vergabe von Punkten oder Platzierungen) ist ein weitverbreitetes didaktisches Instrument von Pädagog*innen und findet sich auch in diversen Lernmedien (z. B. in Lernspielen, Übungsprogrammen etc.) wieder (Göhlich et al., 2014). Den anhaltenden Erfolg des Behaviorismus in der Pädagogik begründen Göhlich, Wulf und Zirfas (2014, S. 10) damit, dass dadurch „lange tradierte und populäre Vorstellungen vom Lernen (durch Lob und Tadel, allgemeiner durch Belohnung und Bestrafung) auch in einer wissenschaftlich geprägten Gesellschaft“ beibehalten werden konnten. Außerdem vereinfache eine verhaltensorientierte Auffassung von Lernen deren Beforschung, weil „eine große Bandbreite von Verhalten als Produkt einfacher [beobachtbarer, S. M.] Lernprozesse verstanden werden kann“ (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 222).

Durch das Ausblenden innerpsychischer Vorgänge sowie sozialer Aspekte stößt der Behaviorismus allerdings bei Erklärungsversuchen für unerwartetes oder kreatives Verhalten bzw. bei komplexen Problemlöseprozessen an seine Grenzen. Als Reaktion darauf vollzog sich in der Psychologie in den 1960er-Jahren die sogenannte „kognitive Wende“ und eine Hinwendung zur genaueren Betrachtung der Lernvorgänge im menschlichen Gehirn (Hasselhorn & Gold, 2017, S. 152).

Kognitivismus

„Aus kognitivistischer Sicht ist Lernen ein Informationsverarbeitungsprozess. Der Kognitivismus versteht Lernen als Wechselwirkung des externen Angebots (z.B. eines Lehr- resp. Lernmaterials) mit der internen Struktur des Lernenden.“ (Göhlich et al., 2014, S. 10 f.)

Im Fokus des kognitivistischen Forschungsinteresses für Lernen stehen – wie das Eingangszitat verdeutlicht – die internen Strukturen der Lernenden. Forschungen zum Kognitivismus erfolgten bereits in den 1920er-Jahren, z. B. von den Gestaltpsychologen Max Wertheimer (1920) und Wolfgang Köhler. Köhler (1921) charakterisierte einsichtiges (intelligentes) Verhalten damit, in unerwarteten Situationen Umwege einzuschlagen, die zu einer Lösung führen könnten. Beim Lernen durch Einsicht wird Problemlösung durch eine gedankliche Umstrukturierung ermöglicht. Während Lernen nach behavioristischer Auffassung extrinsisch motiviert – also von außen bestimmt – ist, sieht der Kognitivismus die Motive für das Lernen im inneren Antrieb des Individuums.

Von den vielen Vertretenden des Kognitivismus soll an dieser Stelle Albert Bandura genannt werden. Aus einer behavioristischen Tradition stammend, entwickelte Bandura (1977) mit seiner sozial-kognitiven Lerntheorie ein wichtiges Bindeglied zwischen Behaviorismus und Kognitivismus. Er ging dabei von der Annahme aus, dass nicht nur Umweltfaktoren, sondern auch die kognitiven Merkmale einer Person deren Verhalten beeinflussen würden. Zentraler Bestandteil seiner Theorie ist das Konzept des Modell- oder Beobachtungslernens, welches Bandura et al. (1963) durch ein Experiment veranschaulichten, bei dem Kinder aggressives Verhalten in einem Film beobachteten. Wurde die Person im Film für ihr Verhalten bestärkt, so zeigten auch die Kinder später verstärkt derartiges Verhalten. Wurde die Person im Film für ihr Handeln bestraft, sank auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder ein solches Verhalten imitierten. Damit zeigten Bandura et al. (1963), dass Menschen nicht nur dann etwas lernen, wenn sie die Handlung selbst ausführen bzw. auf einen Stimulus reagieren, sondern ebenso über die Beobachtung einer Handlung und der darauffolgenden Konsequenzen für die Modellperson. Das Konzept des Beobachtungslernens (Abbildung 2.4) bietet auch ein Erklärungsmodell dafür, wie das Lernen mit audiovisuellen Medien – und damit auch mit dem Medium Erklärvideo – erfolgen kann.

Abbildung 2.4
figure 4

(Eigene Darstellung)

Grundprinzip des Beobachtungslernens (Hannover et al., 2014, S. 164).

Die kognitivistische Forschung beschäftigt sich auch mit den für das Lernen notwendigen kognitiven Voraussetzungen. Diesbezügliche Erkenntnisse von Bruner und Piaget werden in Abschnitt 2.2.3 näher beschrieben. Davor soll jedoch noch die dritte der bekanntesten Lerntheorien, der Konstruktivismus, dargestellt werden.

Konstruktivismus

Im Gegensatz zum Kognitivismus, bei dem Erkenntnis als Ergebnis von Informationsverarbeitungsprozessen betrachtet wird, beschreiben konstruktivistische Theorien das Lernen als einen subjektiven Konstruktionsprozess des Individuums. Der Konstruktivismus wird als Begriff im Bildungsdiskurs sehr häufig und vielschichtig gebraucht. Im Prinzip geht es dabei zumeist um einen „Beitrag zu einem Paradigmenwechsel, zu einer Wende von einer normativen zu einer interpretativen Weltanschauung“ (Siebert, 2005, S. 20). An die Stelle einer gesteuerten Wissensvermittlung tritt bei einer konstruktivistischen Sichtweise das selbstgesteuerte Lernen, statt des Aufzeigens von Antworten steht das Anregen von Fragen im Vordergrund. Auch für den Einsatz audiovisueller Medien wie des Erklärvideos hat eine konstruktivistische Sichtweise vielfältige Implikationen (Siebert, 2005, S. 74):

  • „Was wir beobachten, sind unsere Beobachtungen und Interpretationen der Realität.

  • Jeder Beteiligte […] macht auf Grund seiner Vorerfahrungen andere Beobachtungen.

  • Wir sehen nicht, was wir nicht sehen, wir erkennen nicht, was wir nicht erkennen.

  • Wir hören, was wir hören, nicht, was gesagt wurde.“

Einer solchen Sicht auf das Lernen folgend, müssten Lehrer*innen also, um Aufschluss darüber zu erlangen, was Kinder z. B. in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Unterrichtsmaterialien wahrnehmen bzw. welche Informationen sie ihnen entnehmen, einen gemeinsamen Reflexionsprozess mit den Lernenden einplanen. Wird eine solche individuelle Rezeption von Medien z. B. hinsichtlich des Einsatzes von Erklärvideos betrachtet, stellt sich die Frage, wie mit dem audiovisuellen Medium in konstruktivistisch orientierten Unterrichtssettings umgegangen wird und was Erklärvideos für das selbstgesteuerte Lernen zu leisten vermögen. Gervé zufolge (2022, S. 524) sind Medien im Sinne einer konstruktivistischen Didaktik „als leicht form- und kombinierbare Bausteine und vielseitige Werkzeuge für die individuelle und soziale Konstruktion von (Welt-)Wissen anzusehen“, deren „Einsatz als Lernmittel oder Werkzeug […] [im Sachunterricht, S. M.] am Nutzen für die sach- und personenbezogene Kompetenzentwicklung bzw. an der Bedeutung für grundlegende Bildung zu messen“ sei. In Abschnitt 2.4 wird darauf vertiefend eingegangen.

Nachdem die drei bedeutendsten Lerntheorien und ihre Bezüge zum Lernen mit Medien kurz umrissen wurden, folgt im nächsten Teil ein Blick auf die kognitiven Voraussetzungen, die Kinder im Grundschulalter für gelingende Lern- und Verstehensprozesse benötigen. Eine Betrachtung der Thematik ist von Relevanz, weil theoretisch begründete Aussagen darüber getroffen werden sollen, inwiefern das Lernen mit Erklärvideos dem Entwicklungsstand und den Lernbedürfnissen der Schüler*innen entspricht bzw. gerecht wird, aber auch, um zu sehen, wie Unterrichtsmedien gestaltet werden müssten, um kindliche Lernprozesse bestmöglich zu unterstützen.

2.2.3 Kognitive Voraussetzungen für das Lernen mit Medien

Ursprünglich waren Forschende der Auffassung, im Sachunterricht sei es nur bedingt möglich, konzeptuelles Wissen bzw. Zusammenhangswissen zu vermitteln (Einsiedler, 2000). Kognitionspsychologische Forschungsergebnisse widerlegten diese Auffassung jedoch eindeutig: „Kinder lernen Begriffe nicht als isolierte Definitionen mit Oberbegriff und Definitionsmerkmalen, sondern als Konzepte in vielfältig verflochtenen Bedeutungsrelationen“ (Einsiedler, 2000, S. 73). Auch die GDSU (2013, S. 11) hält hierzu fest: „Kinder im Grundschulalter werden in Bezug auf ihre Lernfähigkeit häufig unterschätzt. Sachunterricht darf die Schülerinnen und Schüler nicht unterfordern. Er muss inhaltlich und methodisch anspruchsvoll gestaltet sein, um die Lernfähigkeit und Lernbereitschaft der Kinder bereits im frühen Alter zu nutzen.“ Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muss der Blick speziell auf die kognitiven Voraussetzungen der Lernenden gerichtet werden. „Viele Lernvorgänge setzen einen bestimmten Entwicklungsstand voraus. Für alle Erziehungsmaßnahmen, für Unterrichtsinhalte und -methoden muss zunächst geklärt werden, ob die notwendigen individuellen Voraussetzungen bereits gegeben sind.“ (Imhof, 2016, S. 23)

Die Forschungen zur kognitiven Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wurden stark durch die Arbeiten von Jean Piaget geprägt. Zentrale Begriffe seiner Theorie sind die Assimilation (Integration neuer Eindrücke in vorhandene Schemata) und die Akkommodation (Entwicklung neuer bzw. Modifikation alter Schemata), über die das Kind auf neue Erfahrungen reagiert (Piaget, 1970). Piagets (1970) Stufenmodell der kognitiven Entwicklung zufolge befinden sich Grundschulkinder im Alter von etwa 7 bis 12 Jahren im Stadium des konkret-operationalen Denkens, in dem sie bereits zum prozesshaften Denken und zur Durchführung logischer Operationen fähig sein sollen, sofern sie mit konkreten Anschauungsmöglichkeiten (z. B. entsprechenden Unterrichtsmedien) unterstützt werden. Die Kritik an Piagets Modell richtet sich jedoch u. a. gerade gegen diese starre Stufenkonzeption, da „die geistige Entwicklung […] nicht unabhängig von Wissensdomänen […][,] sondern innerhalb dieser Domänen“ erfolge (Giest, 2020, S. 127). Es konnte bereits nachgewiesen werden, „dass Kinder durch gezielte Förderung bereichsspezifischen Wissens zu formalen Denkoperationen befähigt werden, die sie nach Piagets Vorstellung erst in einer späteren Entwicklungsstufe anwenden können“ (Hannover et al., 2014, S. 151). Das hier zugrunde liegende entwicklungspsychologische Konzept wird den „naiven Theorien“ zugerechnet, demzufolge „kognitive Entwicklung als Veränderung bereichsspezifischen Wissens“ zu verstehen ist (Mähler, 1999, S. 53). Demnach wären Kinder zunächst in vielen Domänen Laiinnen und Laien, würden sich aber durch den Erwerb bereichsspezifischen Wissens zunehmend zu Fachkundigen auf dem entsprechenden Gebiet entwickeln. Der zentrale Unterschied der naiven Theorien zum Stufenmodell von Piaget besteht also primär darin, „dass es keine globalen Veränderungen in der Entwicklung postuliert, sondern von Änderungen in einzelnen Domänen ausgeht – also bereichsspezifisch ist“ (Götzmann, 2015, S. 14).

Bereits Jérôme Bruner (1960, S. 12) stellte eine ähnliche Behauptung auf: „The foundations of any subject may be taught to anybody at any age in some form“. Mit geeigneten Medien und Methoden könne demnach jedes Thema kind- und sachgemäß aufbereitet werden. In seiner Veröffentlichung „Towards a Theory of Instruction“ (1966) beschreibt Bruner in diesem Zusammenhang drei Repräsentationsmodi, mittels derer den Kindern ihrer Altersstufe entsprechend neue Inhalte dargeboten werden können:

  • enaktiv (handelnd)

  • ikonisch (bildlich)

  • symbolisch (zeichenhaft bzw. verbal/sprachlich)

Sämtliche Lehr- und Lernmaterialien bedienen sich Bruner zufolge dieser drei Möglichkeiten, um Informationen in adressiertengerechter Form darzustellen. Nach Bruners Ansicht könnten demzufolge auch einer jungen Zielgruppe bereits komplexe Inhalte vermittelt werden, sofern die Aufbereitung der Lerninhalte durchdacht und zielgruppengerecht erfolge. Ob bzw. wie dies für den Sachunterricht mithilfe des Einsatzes von Erklärvideos funktionieren könnte, wird in Abschnitt 2.4 behandelt.

Als weitere Möglichkeit, Kinder beim Erwerb komplexer Lerninhalte zu unterstützen, beschreibt Bruner (1978, S. 254) das Prinzip des „Scaffolding“: Hierzu zählen jene Schritte, die gesetzt werden können, um die Handlungsmöglichkeiten innerhalb einer Aufgabenstellung einzuschränken. Das Scaffolding, also das „Gerüstbauen“, soll für Lernende eine Unterstützung beim Aneignen neuer Inhalte darstellen, indem die Komplexität eines Lerngegenstandes – und damit auch die kognitiv zu verarbeitende Menge – reduziert wird. Kinder sollen sich dadurch eher auf zentrale Aspekte eines Themas fokussieren und Schemen entwickeln, mit denen sie sich im Lerngegenstand – später auch ohne Zuhilfenahme von Scaffolding-Maßnahmen – zurechtfinden. Ein solches Unterstützungssystem soll Kindern die Möglichkeit bieten, auch komplexe Inhalte oder Zusammenhänge verstehen und erlernen zu können. Damit dies funktioniere, sei eine vielfältige und durchdachte Aufbereitung des Lerngegenstandes zentral: „They must be based as much as possible upon the arousal of interest in what there is to be learned, and they must be kept broad and diverse in expression“ (Bruner, 1960, S. 80). Das Entwickeln kindlicher Interessen stellt – wie in Abschnitt 2.1.2 beschrieben – eine zentrale Aufgabe sachunterrichtlichen Handelns dar, womit auch Anforderungen hinsichtlich der Gestaltung und des Einsatzes von Unterrichtsmedien verbunden sind.

Gesichertes Wissen über kognitive Strukturen und Vorgänge im Gehirn der Lernenden und dementsprechende Adaptierung der Lernmaterialien könnten Paas und Sweller zufolge (2014, S. 27) die Effektivität von Lernmedien und damit auch den Lernerfolg positiv beeinflussen: „Good instructional design is driven by our knowledge of human cognitive structures and the manner in which those structures are organized into a cognitive architecture.“ Ein zentraler Grundsatz ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen biologisch primärem und biologisch sekundärem Wissen. Biologisch primäres Wissen beschreibt das von Menschen über Generationen automatisch und unbewusst angeeignete Wissen (etwa das Erkennen von Gesichtern, das Erlernen einer Erstsprache oder allgemeiner Problemlösefähigkeiten). Der Aufbau eines solchen Wissens bedarf keiner ausdrücklichen Anleitung. Biologisch sekundäres Wissen umfasst hingegen all jenes Wissen, das zwar von einer Kultur als wichtig erachtet wird (etwa das Lesen, Schreiben und Rechnen), das Menschen aber nicht im Laufe ihrer Entwicklung automatisch erwerben, sondern unter Anleitung – meist in einem institutionalisierten Rahmen wie der Schule – in einem Akt der bewussten Anstrengung erlernen müssen. Während primäres Wissen modular und unzusammenhängend sein kann und selbstständig auf unterschiedliche Weise erworben wird, weist biologisch sekundäres Wissen immer Zusammenhänge auf. Um den Erwerb von sekundärem Wissen zu ermöglichen, hat das Gehirn eine kognitive Architektur entwickelt, anhand derer Inhalte erlernt werden können (Paas & Sweller, 2014).

Nach vorherrschendem wissenschaftlichen Erkenntnisstand verfügt das menschliche Gehirn über drei Gedächtnisspeichersysteme, die beim Lernen unterschiedliche Funktionen erfüllen. Mayer (2014a, S. 53) beschreibt sie wie folgt (Tabelle 2.1):

Tabelle 2.1 Gedächtnisspeichersysteme

Damit Lernen erfolgreich gelingen kann, müssen neue Informationen zuerst über die Sinnesorgane aufgenommen werden. Diesbezüglich wird angenommen, dass der Mensch über zwei Verarbeitungskanäle – einen visuellen und einen auditiven – verfügt: „The dual-channel assumption is that humans possess separate information processing channels for visually/spatially represented material and auditorily/verbally represented material“ (Mayer, 2014a, S. 47). Die Sinneswahrnehmungen werden im Arbeitsgedächtnis organisiert, um dann gegebenenfalls im Langzeitgedächtnis gespeichert werden zu können. Erst durch die Speicherung im Langzeitgedächtnis findet Lernen statt: „Learning is defined as an alteration in long-term memory.“ (Paas & Sweller, 2014, S. 30) Das Arbeitsgedächtnis ist in seiner Kapazität beschränkt, wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass etwa sieben Informationselemente gleichzeitig für eine bestimmte Zeitspanne (ca. 20 Sekunden) gehalten werden können. Bei neuen Inhalten, die erst kombiniert, kontrastiert oder verglichen werden müssen, sind es nicht mehr als zwei bis vier Informationselemente (Paas & Sweller, 2014). Der Aktivierung von Vorwissen und der Gestaltung der Lernmedien kommt deshalb besondere Bedeutung zu: „The limitations of working memory when one is dealing with novel, biologically secondary information and the elimination of those limitations when one is dealing with well-known information have profound implications for instructional design in general and multimedia instructions in particular.“ (Paas & Sweller, 2014, S. 37 f.)

Lernen stelle immer eine Belastung des kognitiven Systems dar, weshalb ein Verständnis der Vorgänge im Gedächtnis wichtig sei, um einer Überlastung des kognitiven Systems entgegenzuwirken. Eine solche Überlastung könne zu schlechteren Lern- und Behaltensleistungen führen (Paas & Sweller, 2014). Mit ihrer „Cognitive Load Theory“ beschreiben Paas und Sweller (2014, S. 37 ff.), welche Arten kognitiver Belastung beim Lernen auftreten können:

  • „intrinsic cognitive load“: Die intrinsische kognitive Belastung geht vom Lernstoff selbst bzw. von dessen Komplexität aus.

  • „extraneous cognitive load“: Die extrinsische kognitive Belastung wird durch die Qualität der Aufbereitung des Lernmaterials beeinflusst.

  • „germane cognitive load“: Die lernbezogene kognitive Belastung hängt mit der intrinsischen kognitiven Belastung zusammen, sie bewertet die Sinnhaftigkeit und Zielsetzung des Lerngegenstandes und entscheidet damit über die Motivation, die für das Lernen aufgebracht wird.

Gerade die extrinsische kognitive Belastung könne durch gut strukturierte und gestaltete Lernmaterialien minimiert werden, wodurch im Arbeitsgedächtnis Ressourcen für intrinsische kognitive und lernbezogene Aufgaben geschaffen werden. Einsiedler (1992, S. 484) beschrieb bereits vor über 30 Jahren die Wichtigkeit einer kognitionspsychologisch orientierten Mediendidaktik, um den „Aufbau interner Modelle durch angemessene externe Modelle“ zu fördern. Die Befunde verdeutlichen die Bedeutung einer reflektierten Auswahl bzw. durchdachten Gestaltung von Lernmaterialien sowie eines sachgemäßen Einsatzes der Unterrichtsmedien für gelingende Lernprozesse.

Einen Ansatz zur Beschreibung des Grades an kognitiver Aktivierung von Lernenden stellt das ICAPFootnote 7-Modell von Chi und Wylie (2014) dar. Die Autorinnen unterscheiden hierbei zwischen vier Engagement-Aktivitäten der Lernenden gegenüber Lernmedien, die von Lehrkräften bei der Beobachtung der Schüler*innen eindeutig differenziert werden können: interaktiv, konstruktiv, aktiv und passiv. Jedes Aktivitätsniveau stellt dabei eine andere Qualität des Lernens dar, „the Interactive mode of engagement achieves the greatest level of learning, greater than the Constructive mode, which is greater than the Active mode, which in turn is greater than the Passive mode (I>C>A>P)“ (Chi & Wylie, 2014, S. 220). Ein höheres Aktivitätsniveau impliziert Chi und Wylie zufolge (2014, S. 221 ff.) auch ein tiefergehendes Verständnis und damit einen höheren Lernzuwachs, was auch aus der Beschreibung der vier Aktivitätskategorien hervorgeht:

  • Passive Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand: Lernende wenden sich einem Lernmaterial zu und entnehmen daraus Informationen (z. B. einen Sachtext lesen, ohne sich Notizen zu machen).

  • Aktive Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand: Lernende untersuchen den Lerngegenstand genauer, führen motorische Handlungen aus oder bearbeiten das Lernmaterial (z. B. zentrale Aspekte eines Sachtextes unterstreichen oder wichtige Stichwörter notieren).

  • Konstruktive Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand: Lernende nehmen das Lernmaterial als Grundlage, um darüber hinausgehende Produkte zu erzeugen (z. B. Selbsterklärungen aus Sachtexten ableiten, Notizen in eigenen Worten verfassen).

  • Interaktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand: Lernende interagieren mit anderen Lernenden oder mit digitalen Systemen auf Grundlage der Inhalte des Lernmaterials (z. B. zu einem Sachtext Verständnisfragen mit anderen Lernenden diskutieren, Frage-Antwort-Runden).

In Abschnitt 2.3.7 wird das ICAP-Modell unter dem Aspekt potenzieller Lernaktivitäten mit dem audiovisuellen Medium Erklärvideo erneut aufgegriffen. Analog zu den Aktivitätskategorien beschreiben Chi und Wylie (2014, S. 225) auch vier Wissensveränderungsprozesse, die mit den vorhin beschriebenen Formen der Beschäftigung mit Arbeitsmaterialien korrelieren:

  • „Speicherung: Neue Informationen werden isoliert gespeichert (passiv).

  • Integration: Neue Informationen aktivieren relevantes Vorwissen und werden beim Speichern mit dem aktivierten Vorwissen verknüpft (aktiv).

  • Ableitung: Neue Informationen werden mit aktiviertem Vorwissen integriert und neues Wissen wird aus aktiviertem und integriertem Wissen abgeleitet (konstruktiv).

  • Gemeinsame Ableitung: Lernende leiten neues Wissen aus aktiviertem und integriertem Wissen ab und ziehen Schlussfolgerungen aus den Informationen, die sie von einem (realen oder digitalen) Gegenüber bekommen (interaktiv).“Footnote 8

Das ICAP-Modell macht deutlich, warum es beim Lernen mit Medien wichtig ist, darauf zu achten, dass Lernende den Unterrichtsmedien nicht bloß passiv begegnen, sondern aktiv bzw. interaktiv tätig werden, um einen möglichst hohen Lernzuwachs zu generieren. Doch wie verläuft das Lernen mit multimedialen Inhalten – zu denen auch das audiovisuelle Medium Erklärvideo zählt – konkret? Bzw. wie sollten die Inhalte gestaltet sein, um möglichst lernförderlich zu wirken? Im nächsten Kapitel werden Antworten auf diese Frage anhand von Forschungsbefunden zum multimedialen Lernen gegeben.

2.2.4 Die Theorie des multimedialen Lernens

„Multimedia messages that are designed in the light of how the human mind works are more likely to lead to meaningful learning than those that are not.“ (Mayer, 2014a, S. 43)

Zu Beginn von Abschnitt 2.2 wurde der Begriff Medien bereits grob mit dem Wort Informationsträger umrissen. Für Bildungskontexte eignet sich die wahrnehmungstheoretische Sichtweise auf Medien als „vermittelndes Element“ (Hoffmann et al., 2014, S. 14). Der Medienbegriff wird in der vorliegenden Arbeit etwas enger gefasst und fokussiert vor allem auf (multi-)mediale Repräsentationsformen. „Despite numerous variants of representations, there are only two basic forms: descriptions and depictions.“ (Schnotz, 2014, S. 72) Auch das hier beforschte Unterrichtsmedium Erklärvideo bedient sich ebendieser beiden Darstellungsformen, den Beschreibungen und den Abbildungen. Analog zur Darstellung von Schnotz definiert Richard E. Mayer (2014b) Multimedia als eine mediale Darbietung in verbaler Form (gesprochen oder geschrieben) und bildhafter Form (Illustrationen, Fotos, Animationen oder Videos). Vereinfacht gesagt, kann multimediales Lernen folglich als das Bilden mentaler Repräsentationen aus der Darbietung von Worten und Bildern verstanden werden. Ein wesentliches – und evidenzbasiert abgesichertes – Grundprinzip des multimedialen Lernens ist Mayer zufolge (2014b, S. 8), dass Menschen durch die Kombination von Worten und Bildern besser bzw. nachhaltiger lernen als durch Worte allein. Multimedia sollte deshalb seiner Auffassung nach weniger aus einer technologiezentrierten Perspektive betrachtet werden, sondern vielmehr aus einer lernzentrierten. In diesem Zusammenhang stellt sich für ihn auch die Frage: „How can we adapt multimedia technology to aid human cognition?“ (Mayer, 2014b, S. 13) Antworten darauf können – je nach zugrunde liegender Auffassung über das Lernen (siehe Abschnitt 2.2.2) – sehr unterschiedlich ausfallen, ebenso wie die damit verbundenen Einsatzbereiche multimedialer Lernmittel. Als Beispiele nennt Mayer (2014b) etwa Übungssysteme oder klassische Informationsmedien.

Mayer (2014b) sieht im multimedialen Lernen einen aktiven Prozess, bei dem Lernende versuchen, aus den zur Verfügung stehenden Materialien kohärente bzw. sinnstiftende mentale Repräsentationen zu erzeugen. Zwei Ziele sollen dabei verfolgt werden:

  • Erinnern, also die Fähigkeit, Lerninhalte zu reproduzieren oder wiederzuerkennen (Speicherung)

  • Verstehen, also die Fähigkeit, Lerninhalte auf neue Situationen anwenden zu können (Transfer)

Anhand der zwei Ziele lassen sich mögliche Ergebnisse von Lernprozessen ableiten (Mayer, 2014b, S. 21), wie Tabelle 2.2 verdeutlicht.

Tabelle 2.2 Lernergebnisse

Mayer (2014a, S. 44) legt den Fokus in seinen Untersuchungen auf das Verstehen bzw. die Transferleistungen, „because we are mainly interested in how words and pictures can be used to promote understanding“. In seiner „Cognitive Theory of Multimedia Learning“ vereint er Evidenzen aus unterschiedlichen Forschungen zum Einsatz multimedialer Lerninhalte und gibt Antworten darauf, wie Medien aufbereitet sein müssten, um bestmöglich den Informationsaufnahme- und -verarbeitungsprozessen des menschlichen Gehirns zu entsprechen. Seine Theorie baut auf drei Grundannahmen auf, welche sich auch in den Ergebnissen aktueller Untersuchungen der Kognitionspsychologie zum menschlichen Gehirn widerspiegeln (Mayer, 2014a, S. 47):

  • Menschen besitzen zwei separate Verarbeitungskanäle für die simultane Verarbeitung von visuellen und auditiven Reizen bzw. Informationen („dual-channel assumption“).

  • Menschen haben beschränkte Kapazitäten hinsichtlich der Informationen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in dem jeweiligen Kanal verarbeitet werden können („limited capacity assumption“).

  • Menschen lernen aktiv, indem sie relevante Informationen auswählen („selecting“), in zusammenhängende mentale Repräsentationen überführen („organizing“) und mit sich selbst bzw. mit bereits vorhandenem Wissen verknüpfen („integrating“) („active processing assumption“).

Abbildung 2.5 veranschaulicht den Informationsverarbeitungsprozess gemäß der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens. Damit sinnstiftendes Lernen mit audiovisuellen Medien erfolgen könne, müssen fünf kognitive Prozesse durchlaufen werden (Mayer, 2014a, S. 52):

  • Relevante Wörter auswählen, um Klänge im Arbeitsgedächtnis zu erzeugen („selecting words“)

  • Relevante Bilder auswählen, um Bilder im Arbeitsgedächtnis zu erzeugen („selecting images“)

  • Zusammenhänge zwischen den ausgewählten Wörtern herstellen, um ein schlüssiges verbales Modell im Arbeitsgedächtnis zu erzeugen („organizing words“)

  • Zusammenhänge zwischen den ausgewählten Bildern herstellen, um ein schlüssiges bildhaftes Modell im Arbeitsgedächtnis zu erzeugen („organizing images“)

  • Zusammenhänge zwischen verbalem und bildhaftem Modell und dem Vorwissen (aus dem Langzeitgedächtnis) herstellen („integrating“)

Abbildung 2.5
figure 5

(Eigene Darstellung)

Die „Cognitive Theory of Multimedia Learning“ nach Mayer (2014a, S. 52).

Am Ende dieses Prozesses steht das Enkodieren, bei dem die im Arbeitsgedächtnis konstruierten Repräsentationen zur permanenten Speicherung ins Langzeitgedächtnis transferiert werden (Mayer, 2014a, S. 58). Damit ein solcher Lernprozess gelingend verlaufen kann, beschreibt die „Cognitive Theory of Multimedia Learning“ Ziele, die Lehrer*innen bei der Gestaltung multimedialer Lerninhalte beachten sollen (Mayer, 2014a, S. 61 f.):

  • Verringerung der extrinsischen kognitiven Verarbeitung (z. B. durch eine durchdachte und klar strukturierte visuelle und auditive Aufbereitung der Lernmaterialien, die im Unterricht eingesetzt werden)

  • Steuerung der wesentlichen kognitiven Verarbeitung (Verringerung des Cognitive Load z. B. durch gleichzeitiges Ansprechen des visuellen und auditiven Verarbeitungskanals über die Nutzung von Sprache und Visualisierungen)

  • Förderung der generativen kognitiven Verarbeitung (z. B. durch eine persönliche Ansprache im Lernmedium)

Aus jedem dieser drei Ziele leiten sich Gestaltungsprinzipien für die Aufbereitung multimedialer Lerninhalte ab (Tabelle 2.3). In Hinblick auf eine qualitätsvolle Gestaltung von Erklärvideos (siehe dazu Abschnitt 2.3.4) und als Grundlage für die Bewertung ebendieser liefern die Prinzipien bereits erste konkrete Anhaltspunkte. Eine Berücksichtigung der beschriebenen Repräsentationstechniken soll Lehrer*innen und Mediengestalter*innen gleichermaßen dabei unterstützen, möglichst lernförderliche (multi-)mediale Unterrichtsinhalte zu konzipieren bzw. auszuwählen.

Tabelle 2.3 Drei Lehrziele und ihre Repräsentationstechniken beim multimedialen Lernen (Mayer, 2014a, S. 63)

An dieser Stelle muss relativierend festgehalten werden, dass die Frage, ob Lernen mit multimedialen Inhalten besser oder effektiver funktionieren könne als mit anderen (z. B. traditionellen/analogen) Medienformaten, bisher nicht hinreichend geklärt werden konnte. Die Bildungsforschung liefert hier teils widersprüchliche Ergebnisse, wonach in manchen Untersuchungen keine Evidenzen zur Überlegenheit multimedialen Lernens gegenüber anderen Vermittlungsmethoden gefunden werden konnten (Clark & Feldon, 2014), in anderen wiederum ein Mehrwert digitaler Medien nachgewiesen werden konnte, „mit großen Effekten für naturwissenschaftliche Inhalte, mittleren Effekten für Sprachen und Mathematik und den kleinsten Effekten für sozialwissenschaftliche Inhalte“ (Scheiter, 2021, S. 1041). Pohlmann-Rother und Boelmann (2019, S. 96) legen nahe, dass „ein sinnvoller und lernförderlicher Einsatz digitaler Medien im Unterricht medienbezogene Lehrkompetenzen“ erfordert, „die bereits in der universitären Ausbildung zu entwickeln und zu fördern sind“. Hier wird also die Lehrkraft bzw. deren Umgang mit diversen Unterrichtsmedien als entscheidende Variable hinsichtlich der Frage nach dem Nutzen eines Mediums für Lehr- und Lernprozesse gesehen. Es gilt aber auch, die Potenziale eines jeden Unterrichtsmediums kritisch zu hinterfragen, evidenzbasiert zu beleuchten und die sich daraus ergebenden medienpädagogischen Möglichkeiten und Grenzen offen zu kommunizieren – und bereits in der Lehramtsausbildung zu thematisieren.

Die in diesem Kapitel beschriebenen Erkenntnisse zum kindlichen Denken und Lernen allgemein sowie zum Lernen mit Medien im Speziellen sind für die Betrachtung lernförderlicher Potenziale unterschiedlicher Unterrichtsmedien von zentraler Bedeutung. Ein wesentlicher Einflussfaktor ist dabei, wie soeben beschrieben, die Art des Medieneinsatzes durch die Lehrkraft, also die Frage, wie ein zweckdienlicher mediengestützter Unterricht konzipiert sein müsste, was einen begründeten und reflektierten Medieneinsatz konkret auszeichnet und über welche Kompetenzen Lehrer*innen hierfür verfügen müssten. Die folgenden zwei Kapitel skizzieren Antworten auf diese Fragen.

2.2.5 Die Medienintegrationsmodelle RAT-Framework und SAMR-Stufenmodell

„Die zunehmende Digitalisierung durchdringt alle wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche und beeinflusst auch das Bildungswesen in noch nie [da gewesener] Weise. Zum einen wird Digitalisierung selbst zum Gegenstand von Bildung. [...] Die zunehmende Digitalisierung verändert Bildung aber auch im Hinblick auf die Gestaltung ihr [zugrunde liegender] Lehr- und Lernprozesse. Hier steht die Frage im Vordergrund, wie digitale Medien so eingesetzt werden können, dass sie das Erreichen fachlicher und überfachlicher Bildungsziele erleichtern und verbessern.“ (Scheiter, 2021, S. 1040)

Wie im vorangegangenen Teil verdeutlicht wurde, kann das Lernen mit Medien auf unterschiedliche Art vonstattengehen und Kinder auf verschiedene Weise beim Wissenserwerb unterstützen. Aus sachunterrichtsdidaktischer Perspektive stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie ein sinnvoller Medieneinsatz in der schulpraktischen Umsetzung aussehen könnte, um Unterstützung beim Auftrag nach einer grundlegenden Allgemeinbildung der Lernenden zu leisten. Hierzu soll im Folgenden ein Blick auf mediendidaktische Konzepte geworfen werden.

Um ein tiefgreifendes Verständnis für den möglichen Mehrwert digitaler Medien im Unterrichtsgeschehen zu erlangen, genügt es nicht, ausschließlich die eingesetzten Technologien in den Fokus zu nehmen. „Simply identifying the technological applications in use does not help the field think about the role(s) of technology in education.“ (Hughes et al., 2006, S. 1616) Das Erkenntnisinteresse müsse vor allem darauf gelegt werden, zu betrachten, wie sich der Unterricht durch die Einbindung unterschiedlicher Medien verändert und – damit einhergehend – wie Medien sinnvollerweise eingesetzt werden können. Auf diese Fragen versuchen unterschiedliche Medienintegrationsmodelle Antworten zu geben. Für diese Arbeit werden zwei Medienintegrationsmodelle näher betrachtet: das RAT-Framework (Hughes et al., 2006) und das SAMR-Stufenmodell (Puentedura, 2006). Im Anschluss daran wird auf die „Orchestrierung“ von Unterrichtsmedien eingegangen.

Das RAT-Framework

Das RAT-Framework von Hughes, Thomas und Scharber (2006, S. 1616 ff.) beschreibt den Mehrwert des Einsatzes digitaler Medien auf den Ebenen der Lehrprozesse (Rolle der Lehrkraft, Interaktion, Leistungsbeurteilung …), der Lernprozesse (Aktivitäten, Denkprozesse, Motivation …) und der Lernziele (Erwerb von Faktenwissen, Kompetenzen …). Aus ihren gesammelten Evidenzen konnten die Forschenden drei Nutzungskategorien für Technologien identifizieren (Hughes et al., 2006):

  1. a)

    „Technology as Replacement“: Auf dieser Ebene verändern sich die Lehr-Lern-Prozesse bzw. Lernziele nicht, sondern eine Technologie (z. B. ein bestimmtes Medium) wird bloß durch eine andere Technologie ersetzt. Ein Beispiel wäre hier das Ersetzen analoger Unterrichtsmaterialien durch digitale Medien ohne funktionale Veränderungen.

  2. b)

    „Technology as Amplification“: Hier ermöglichen Technologien eine effizientere bzw. effektivere Gestaltung von Unterrichtsverläufen, indem Lehr- und Lernprozesse aufgrund der Medienmerkmale der verwendeten Tools vielseitiger gestaltet werden können, z. B. um Unterrichtsinhalte in anschaulicherer Weise darzustellen.

  3. c)

    „Technology as Transformation“: Transformative Technologien verändern den Unterricht vollständig, ermöglichen neue Formen von Lehr- und Lernprozessen oder auch Lernzielen, die ohne den Einsatz entsprechender Technologien nicht möglich gewesen wären. Beispiele hierfür wären der Einsatz interaktiver Software oder multimedialer Lernumgebungen, von Virtual bzw. Augmented Reality etc.

Anhand des RAT-Frameworks wird deutlich, in welcher Bandbreite Technologien das Lehr- und Lerngeschehen beeinflussen können, wobei das Ausmaß der Veränderung für Unterrichtsprozesse einerseits von den Medienmerkmalen selbst abhängt, andererseits aber auch davon beeinflusst ist, wie entsprechende Technologien im Unterrichtsgeschehen eingesetzt werden. Auch das zweite hier vorgestellte Medienintegrationsmodell, das SAMR-Stufenmodell, verdeutlicht die potenziellen Auswirkungen des Technologieeinsatzes in der Schule.

Das SAMR-Stufenmodell

Puenteduras (2006) SAMR-Modell, ein Akronym aus den Worten Substitution, Augmentation, Modification und Redefinition, beschreibt – ähnlich wie das RAT-Framework – einen Ansatz, den pädagogischen Mehrwert (digitaler) Mediennutzung in der Schule zu systematisieren. Das vierstufige Modell umfasst folgende Bereiche:

  • Substitution: Die digitale Technologie ersetzt ein analoges Medium ohne Veränderung oder Erweiterung der Funktionalitäten.

  • Augmentation: Die neu eingesetzte Technologie weist grundlegende funktionale Verbesserungen bzw. Erweiterungen im Vergleich zur herkömmlichen Technologie auf.

  • Modification: Die Technologie eröffnet Lehrenden und Lernenden neue Handlungsmöglichkeiten, die auch mit einer bedeutsamen Umgestaltung von Aufgabenstellungen verbunden sind.

  • Redefinition: Die digitale Technologie ermöglicht die Gestaltung und Bearbeitung neuartiger Aufgabenformate, die mit analogen Technologien nicht möglich gewesen wären.

Die Stufen „Substitution“ und „Augmentation“ fasst Puentedura (2006) unter dem Begriff des „Enhancement“, also der Verbesserung oder Erweiterung unterrichtlicher Handlungsspielräume, zusammen. Die Stufen „Modification“ und „Redefinition“ versteht er als „Transformation“ schulischer Lehr- und Lernprozesse. Auf das SAMR-Modell wird im Bildungsdiskurs häufig Bezug genommen, wenn es um Beschreibungsversuche zum Mehrwert digitaler Medien geht (Scheiter, 2021). Einschränkend weist Scheiter (2021, S. 1046) darauf hin, dass es sich beim SAMR-Modell „eher um eine pragmatische Taxonomie[,] aber keinesfalls um eine empirisch abgesicherte Vorstellung handelt“. Für die explorative Untersuchung zum Umgang mit Erklärvideos im Rahmen dieser Forschungsarbeit können RAT- und SAMR-Modell dennoch Beschreibungsansätze liefern, ob bzw. auf welche Art das audiovisuelle Unterrichtsmedium sachunterrichtliche Lehr- und Lernprozesse verändern könnte. Nach der Betrachtung der zwei Modelle zur Veränderung von Unterrichtsprozessen durch den Technologieeinsatz soll nun darauf eingegangen werden, was Lehrer*innen benötigen, um erfolgreich unterschiedliche Medienformate im Unterricht einsetzen zu können.

2.2.6 Medienpädagogische Kompetenzen von Lehrkräften

Weil die Verantwortung eines planvollen Einsatzes diverser Medien im Unterricht bei der Lehrkraft liegt, benötigt diese auch umfassende Kompetenzen, damit ein didaktisch sinnvolles Lehren und Lernen mit digitalen Medien gelingen kann. In diesem Zusammenhang wird im wissenschaftlichen Diskurs häufig auf das TPaCKFootnote 9-Modell (auch TPCK-Modell genannt) verwiesen, das von Mishra und Koehler (2006) entwickelt wurde und mit dem sie den Versuch unternehmen, der Frage auf den Grund zu gehen, über welche Kompetenzen Lehrer*innen für eine lernförderliche Gestaltung mediengestützten Unterrichts verfügen sollten. „Our model considers how content, pedagogy, and technology dynamically co-constrain each other.“ (Mishra & Koehler, 2006, S. 1046) Ihrem Modell zufolge benötigen Lehrkräfte neben pädagogischem, fachlich-inhaltlichem und technologischem Wissen auch Kompetenzen, die durch eine Überlappung der einzelnen Wissensbereiche entstehen: pädagogisch-inhaltliches Wissen, technisch-inhaltliches Wissen sowie technisch-pädagogisches Wissen. Die Schnittmenge dieser drei kombinierten Wissensformen bildet das TPCK-Wissen. Abbildung 2.6 zeigt die einzelnen Wissensbereiche und die Schnittmengen ebendieser, in denen Lehrer*innen laut dem TPaCK-Modell kompetent sein sollten, um lernförderlichen mediengestützten Unterricht gestalten zu können.

Abbildung 2.6
figure 6

(Eigene Darstellung)

Das TPaCK-Modell nach Mishra und Koehler (2006).

Die Schnittmenge von technologischem, pädagogischem und inhaltlichem Wissen geht Mishra und Koehler zufolge (2006, S. 1029) über das reine Wissen der einzelnen Wissensfelder hinaus und formt einen eigenständigen Kompetenzbereich, der Lehrer*innen zum lernförderlichen Einsatz von Technologien befähigen kann:

„TPCK is the basis of good teaching with technology and requires an understanding of the representation of concepts using technologies; pedagogical techniques that use technologies in constructive ways to teach content; knowledge of what makes concepts difficult or easy to learn and how technology can help redress some of the problems that students face; knowledge of students’ prior knowledge and theories of epistemology; and knowledge of how technologies can be used to build on existing knowledge and to develop new epistemologies or strengthen old ones.“

Huwer et al. (2019, S. 358) ergänzen das TPaCK-Modell „um Wissensbestandteile zu kulturellen Digitalitätstransformationen“ und ersetzen in ihrem DPaCKFootnote 10-Modell das technologische Wissen durch ein auf Digitalität bezogenes Wissen. Damit wollen die Autoren einen Beitrag „zur Überwindung einseitiger Beschränkungen des TPaCK-Modells“ leisten, andererseits der „Kultur der Digitalität“ und ihrem zunehmenden Einfluss auf Unterrichtsprozesse Rechnung tragen (Huwer et al., 2019, S. 364). Beiden Modellen gemeinsam ist die Bedeutung eines tiefgehenden Verständnisses pädagogischer Möglichkeiten und Herausforderungen aufseiten der Lehrkraft, einerseits beim Einsatz diverser Unterrichtstechnologien (TPaCK-Modell), andererseits – wesentlich breiter gedacht – darin, wie man den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, die der Digitalität geschuldet sind, begegnen kann (DPaCK-Modell).

Eine weitere Kompetenz, über die Lehrer*innen für die gelingende Gestaltung mediengestützten Unterrichts verfügen sollen, betrifft die Orchestrierung von Medien im Unterricht: „Orchestration refers to how a teacher manages, in real time, multi-layered activities in a multi-constraints context.“ (Dillenbourg, 2013, S. 485) Der Begriff der Orchestrierung soll verdeutlichen, welche Aufgabe Lehrkräfte beim Einsatz diverser Unterrichtsmedien zu erfüllen haben: „Mit dem Konzept der Orchestrierung ist die Auffassung verbunden, dass dem Dirigenten/der Dirigentin eine entscheidende Funktion zukommt.“ (Scheiter, 2021, S. 1048) Um Lehr- und Lernprozesse bestmöglich zu gestalten, müssen im Rahmen der Unterrichtsarbeit unterschiedliche Aktivitäten und Medien aufeinander abgestimmt und in Einklang gebracht werden (Sharples, 2013).

„Mit der Forderung nach einer didaktisch wirksamen Orchestrierung ist die Auffassung verbunden, dass der Erfolg mediengestützten Unterrichts nicht nur durch die Qualität der Lernmedien bedingt wird. Diese müssen vielmehr in Abhängigkeit von Lernziel, kontextuellen Gegebenheiten, angestrebter Sozialform des Unterrichts und den jeweiligen Funktionen des Lehr-Lernangebots zu einer Choreographie des Unterrichts beitragen […].“ (Scheiter, 2021, S. 1047)

Abbildung 2.7 verdeutlicht die Komplexität und die Dynamiken einer Orchestrierung von technologiegestütztem Unterricht, bei dem neben Interaktionen zwischen Lehrer*in, Lernenden und Unterrichtsmedien oft auch Technologien zur Unterstützung der Orchestrierung (z. B. für den schnellen Zugriff auf Endgeräte der Schüler*innen) zum Einsatz kommen.

Abbildung 2.7
figure 7

(Eigene Darstellung)

Die Dynamiken des technologiegestützten Unterrichts (mit Orchestrierungstechnologien) nach Sharples (2013, S. 505).

Nicht nur werden Kompetenzen für einen sachgemäßen Umgang mit Unterrichtstechnologien, für die Orchestrierung ebendieser im Unterrichtsalltag und für eine pädagogisch angemessene Behandlung technologischer und gesellschaftlicher Veränderungsprozesse im Zeitalter der Digitalität benötigt. Es spielen auch die individuellen Einstellungen der Lehrkräfte gegenüber potenziellen Unterrichtsmedien eine wichtige Rolle, wenn es um die Betrachtung der medienpädagogischen Arbeit im Unterricht geht. Hinsichtlich dieser Einstellungen diversen Medien gegenüber beschreibt Davis (1989, S. 320) zwei Variablen: die empfundene Nützlichkeit (perceived usefulness – „the degree to which a person believes that using a particular system would enhance his or her job performance“) und die wahrgenommene Anwendungsfreundlichkeit (perceived ease of use – „the degree to which a person believes that using a particular system would be free of effort“). Er sieht diese Variablen als zentrale Bedingungen dafür, ob Lehrer*innen den Einsatz von Technologien überhaupt in Erwägung ziehen. Das „Technology Acceptance Model“ (Abbildung 2.8) beschreibt – aufbauend auf Davis’ Überlegungen –, wie die Variablen zusammenhängen, die für die Integration von Technologien in das eigene Arbeitsfeld – im Kontext der vorliegenden Untersuchung ins Unterrichtsgeschehen – ausschlaggebend sind (Scherer & Teo, 2019). Die wahrgenommene Nützlichkeit und die Anwendungsfreundlichkeit bedingen dem Modell zufolge die Einstellungen einer Technologie gegenüber. Diese Einstellungen haben wiederum Einfluss auf die Intention, eine Technologie zu nutzen, die schließlich den Auslöser für den tatsächlichen Einsatz darstellt (Scherer & Teo, 2019). Externe Einflussfaktoren (z. B. die Verfügbarkeit einer Technologie im Arbeitsfeld) werden in dieser Darstellung nicht berücksichtigt.

Abbildung 2.8
figure 8

(Eigene Darstellung)

„Technology Acceptance Model“ (Scherer & Teo, 2019) ohne externe Einflussfaktoren.

In einer Metaanalyse fanden Scherer und Teo (2019) heraus, dass vor allem die „perceived usefulness“, also die wahrgenommene Nützlichkeit einer Technologie, starken Einfluss auf die Intention hat, die Technologie einzusetzen. Das kann so weit gehen, dass „die diesbezügliche Motivation die wesentliche Barriere für die Realisierung medienbasierten Unterrichts darstellt […], die selbst bei umfassender Verfügbarkeit digitaler Medien […] die Integration im Unterricht verhindern kann“ (Scheiter, 2021, S. 1049). Hier wird erneut deutlich, welche Schlüsselfunktion den Lehrkräften mit ihren individuellen Kompetenzen und Einstellungen zukommt, wenn es um eine lernförderliche Umsetzung mediengestützten Unterrichts geht. Scheiter (2021, S. 1053) hält hinsichtlich der wissenschaftlichen Befunde zum medienbezogenen Handeln von Lehrkräften jedoch relativierend fest, dass „es sich bei der Forschung zum Lehren mit digitalen Medien um ein vergleichsweise junges Feld [handelt], welches durch eine starke Lückenhaftigkeit und Fragmentierung gekennzeichnet ist“.

In diesem Abschnitt wurden Forschungsbefunde zum Lernen allgemein und zum Lehren und Lernen mit Medien dargestellt. Sie bilden neben den Ausführungen zur Didaktik des Sachunterrichts in Abschnitt 2.1 die Grundlage für die Beforschung des didaktischen Umgangs von Lehrkräften mit Erklärvideos im Sachunterricht. Im nächsten Kapitel erfolgt nun die theoriegeleitete Auseinandersetzung mit dem Erklärvideo als audiovisuellem Unterrichtsmedium. Die Abbildung des gegenwärtigen Forschungsstands zu Erklärvideos stellt einen wesentlichen Teil der theoretischen Betrachtungen in dieser Arbeit dar und soll wichtige Bezugspunkte für die Diskussion mit den Ergebnissen der empirischen Untersuchung liefern.

2.3 Das Erklärvideo als audiovisuelles Unterrichtsmedium

Um sich dem Erklärvideo als Lehr- und Lernmedium umfassend annähern zu können, wird zunächst knapp dargestellt, wie sich audiovisuelle Medien zu aktuell weitverbreitet eingesetzten Unterrichtsmitteln entwickelt haben. Im Anschluss wird der Blick auf den Prozess des pädagogischen Erklärens gerichtet, der für ein tiefergehendes Verständnis der Vorgänge in Erklärvideos von Relevanz ist und erste Anhaltspunkte hinsichtlich der Kriterien für qualitätsvolle Erklärvideos liefert. In weiterer Folge werden Gestaltungsaspekte, Qualitätskriterien, Einsatzmöglichkeiten und Bezugsquellen von Erklärvideos eingehend betrachtet und schließlich mit der Kritik am Einsatz audiovisueller Medien im schulischen Kontext kontrastiert.

2.3.1 Audiovisuelle Lernmedien als Bildungsressourcen

„Books […] will soon be obsolete in the public schools. Scholars will be instructed through the eye. It is possible to teach every branch of human knowledge with the motion picture. Our school system will be completely changed inside of ten years.“ (Thomas A. Edison zititert nach Smith, 1913, S. 24)

Dieses über 100 Jahre alte Zitat von Thomas Alva Edison verdeutlicht, dass bereits in den Anfangsjahren des Bewegtbildes über dessen Potenzial für schulische Lehr- und Lernprozesse nachgedacht wurde. Edison hatte erst wenige Jahre zuvor selbst ein Gerät entwickelt, das Bewegtbilder abspielen konnte: das Kinetoskop. „Im Jahre 1887 kam mir die Idee, es sei möglich, ein Gerät zu entwickeln, das für das Auge das tun sollte, was der Phonograph für das Ohr tut, und daß durch eine Verbindung der beiden alle Bewegungen und Töne gleichzeitig aufgezeichnet und reproduziert werden könnten.“ (Thomas A. Edison zitiert nach Monaco, 2008, S. 72) Die tatsächliche Verbindung von Film und Ton gelang zwar erst rund 30 Jahre später, machte den Film aber zum „erste[n] Multimedium“ (Monaco, 2008, S. 536).

Als früheste Form audiovisueller Unterrichtsmedien gelten die Lehr- bzw. Unterrichtsfilme, „denen schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Bildungsaufgaben zugewiesen worden waren“ (Tulodziecki, 2019, S. 12). Im Zweiten Weltkrieg wurden Filmausschnitte beispielsweise als Schulungswerkzeug für die Aus- bzw. Weiterbildung von Soldaten genutzt (Hovland et al., 1949). Mit zunehmender Verbreitung des Fernsehens wurden ab den 1950er-Jahren und verstärkt ab den 60er- und 70er-Jahren auch Sendungsformate mit einem ausgewiesenen Bildungsanspruch für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt, auch speziell für KinderFootnote 11 (Tulodziecki, 2019). Das Bildungsfernsehen von damals kann als eine Vorläuferform gegenwärtiger Erklärvideoangebote gesehen werden, denn hinsichtlich der gestalterischen Aufbereitung bedienen sich Erklärvideos verschiedener Elemente, die im Bildungsfernsehen etabliert wurden (siehe dazu Abschnitt 2.3.4). Erklärvideos können in diesem Kontext auch als zeitgemäße Form eines adressiertengerechten – weil individuell zusammenstellbaren – Bildungsfernsehens verstanden werden (Wolf, 2015a).

Die KIM-Studien der vergangenen Jahre belegen, dass das Fernsehen auch aktuell noch – trotz klarer Vormachtstellung des Internets – ein wichtiges Leitmedium für Kinder darstellt (mpfs, 2015, 2017, 2019, 2021). „Fernsehen […] prägt die inneren Bilder z. B. von fremden Ländern […], hier begegnen sie [die Kinder, S. M.] oftmals zum ersten Mal anderen Kulturen, nehmen sich aus Kindersendungen Faktenwissen mit, konstruieren sich Zusammenhänge und bilden Orientierungslinien für ihr zukünftiges Handeln.“ (Holler & Götz, 2017, S. 44) Der KIM-Studie 2020 zufolge sehen fast 50 % aller 6- bis 13-Jährigen regelmäßig Wissenssendungen im Fernsehen. Auf YouTube-Videos greifen den Studienergebnissen zufolge bereits 41 % der Grundschulkinder zu (mpfs, 2021). Dabei zeigt sich „[i]m Altersverlauf […] ein starker Anstieg (6–7 Jahre: 13 %, 12–13 Jahre: 68 %)“ (mpfs, 2021, S. 87).

Die eingangs erwähnte – von Edison Anfang des 20. Jahrhunderts prophezeite – grundlegende Veränderung des Mediennutzungsverhaltens im Schulsystem hin zu einem bevorzugten Einsatz von audiovisuellen Unterrichtsmitteln blieb lange Zeit aus. Das gedruckte Buch war auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch das zentrale Leitmedium im Unterrichtskontext (Döbeli Honegger, 2017; Wolf, 2015c). Doch die Verbreitung moderner Informations- und Kommunikationstechnologie führte – analog zu den Entwicklungen auf gesellschaftlicher Ebene – auch in der Schule dazu, „dass der vernetzte Computer das Buch zunehmend als Leitmedium ablöst“ (Döbeli Honegger, 2017, S. 31). Eine Untersuchung von Rummler und Wolf (2012) zur Nutzung von Erklärvideos kam zu dem Ergebnis, dass Erklärvideos sowohl für das informelle als auch für das institutionalisierte Lernen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Textbasierte Lernressourcen würden aufgrund der verstärkten Nutzung audiovisueller Lernangebote in den Hintergrund rücken, wobei sich dieser Trend mit zunehmendem Angebot sogar noch weiter verstärken würde (F. Müller & Oeste-Reiß, 2019; Wolf, 2015c). Zum Zeitpunkt des Verfassens der vorliegenden Arbeit war noch nicht absehbar, ob die Auswirkungen der Coronapandemie – u. a. aufgrund der Notwendigkeit, Lehr- und Lernangebote streckenweise vollständig digital abbilden zu müssen, was eine weitere deutliche Zunahme der Nutzung videobasierter Vermittlungsangebote in allen Bildungssektoren zur Folge hatte (F. Anders, 2020) – zu nachhaltigen Veränderungen im Mediennutzungsverhalten im schulischen Kontext führen.

Eines wird jedenfalls deutlich: Im Zentrum der Hinwendung zu audiovisuellen Lernressourcen steht das Erklärvideo, das zwar – wie bereits ausgeführt – keine grundsätzlich neue Medienkategorie darstellt, das „aber nun im Zuge neuer digitaler Entwicklungen sein Potenzial besser ausspielen“ könne (Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 11), etwa durch das vielfältige und stetig wachsende Angebot und die einfache Zugänglichkeit im Internet. „Lehrkräfte müssen keine Lehrfilme mehr als Filmrollen in große Projektoren einlegen und vorher ausleihen. Stattdessen ruft man in der Schule das Internet auf und sucht auf YouTube den entsprechenden Film.“ (Gach, 2018, S. 7) Gerade die große Vielfalt frei verfügbarer Erklärvideos im Internet wird als Potenzial gesehen, das Lehrenden und Lernenden die Möglichkeit gibt, schnell auf verschiedene Erkläransätze zurückzugreifen und den für ihre entsprechenden Anforderungen passenden Ansatz auswählen zu können. „Komme ich mit einem Erklärstil, mit einer Person, mit den Beispielen, mit dem erforderlichen Vorwissen nicht klar, kann ich als Lernende/r alternative Erklärangebote nutzen.“ (Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 8) Generell ist die Betrachtung von Erklärstilen bzw. pädagogischen Erklärprozessen für ein tiefgreifendes Verständnis des Mediums Erklärvideo von zentraler Bedeutung, weshalb im nächsten Kapitel der Prozess des Erklärens in den Fokus gerückt wird.

2.3.2 Erklärprozesse gelingend gestalten

„The art of explanation is the art of transforming facts into a more understandable package.“ (LeFever, 2013, S. 14)

„To explain the phenomena in the world of our experience, to answer the question ,why?‘ rather than only the question ,what?‘, is one of the foremost objectives of all rational inquiry“. (C. G. Hempel & Oppenheim, 1948, S. 135)

Die Frage nach dem „Warum“ gilt vielfach als Ausgangspunkt für (pädagogische) Erklärprozesse. Etymologisch betrachtet stammt das Wort „Erklären“ aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet etwas „klarmachen“ (Kiel, 1999, S. 15). Auch Findeisen (2017, S. 11) schreibt, dass beim Begriff des Erklärens „im unterrichtlichen Kontext das Klarmachen und Verdeutlichen von Inhalten im Vordergrund“ stehe. „Der Wunsch nach einer Erklärung ist […] die Reaktion auf ein kognitives Ungleichgewicht. Ein Subjekt wird mit Phänomenen konfrontiert, die es nicht mit seinem vorhandenen Repertoire an Handlungen oder Wissen bewältigen oder verstehen kann.“ (Kiel, 1999, S. 30) Die Erklärensfrage komme demnach vom Subjekt selbst oder werde – z. B. durch die Lehrkraft oder entsprechende Medien – an dieses herangetragen. Das Erklären verfolgt laut Kiel (1999, S. 84) drei grundlegende Funktionen:

  • Verstehen ermöglichen

  • Zu einer Handlung befähigen

  • Das Ausführen einer Handlung bewirken

„Eine Erklärung finden oder erhalten ist also ein Lernen.“ (Kiel, 1999, S. 31) Trotz seiner zentralen Rolle im Unterrichtsgeschehen wurde der detaillierten Betrachtung von Erklärprozessen bisher wenig Beachtung vonseiten der Bildungsforschung zuteil (Renkl et al., 2006; Schilcher et al., 2017). Obgleich die Erklärkompetenz von Lehrerkräften „als zentral für erfolgreichen Unterricht“ (Schilcher et al., 2017, S. 444) gilt, war sie – bis auf wenige Ausnahmen (Kiel, 1999) – kaum Gegenstand pädagogischer Forschungsvorhaben.

In allgemeinen wissenschaftlichen Diskursen wird für die Betrachtung von Erklärprozessen häufig auf das deduktiv-nomologische Modell des Erklärens nach C. G. Hempel und Oppenheim (1948) verwiesen, welches konkret den Prozess des wissenschaftlichen Erklärens beschreibt. Eine Erklärung bestehe diesem Modell zufolge aus dem „Explanandum“, also dem zu erklärenden Phänomen, und dem „Explanans“, welches Naturgesetze und Ähnliches beinhalte, die zur Begründung bzw. zur Erklärung herangezogen werden. „Wissenschaftliches Erklären ist in diesem Modell also ein ‚Zurückführen‘ von Beobachtungen auf allgemeine Gesetze und ein Phänomen gilt genau dann als ‚erklärt‘, wenn es aus bereits Bekanntem kausallogisch gefolgert werden kann.“ (Schilcher et al., 2017, S. 440) „Beim wissenschaftlichen Erklären [sind] lediglich das Produkt – also die Erklärung – und die darin enthaltenen Informationen von Interesse […], während aus einer didaktischen Perspektive sowohl der Prozess als auch das Produkt einer Erklärung betrachtet werden.“ (Findeisen, 2017, S. 26) Für die eingehende Auseinandersetzung mit pädagogischen bzw. schulischen Erklärprozessen erweist sich das deduktiv-nomologische Erklärmodell damit als ungeeignet.

Ewald Kiels (1999, S. 402 f.) Grundmodell des Erklärens nimmt im Gegensatz zum deduktiv-nomologischen Modell den Prozess des schulischen Erklärens in den Fokus, der aus seiner Sicht idealtypisch in vier Stufen verlaufen soll:

  1. 1.

    „Von einer Erkenntnis durch die Sinne, welche Vorstellungen oder Anschauungen produziert oder reproduziert,

  2. 2.

    über eine Erkenntnis des Verstandes, durch den Begriffe gebildet werden,

  3. 3.

    über eine Erkenntnis der Vernunft, durch die Beziehungen zwischen Begriffen hergestellt werden (dabei ist das Erklären als Verknüpfung von Explanandum und Explanans eine dieser Beziehungen),

  4. 4.

    zu einer Legitimation der Vernunfterkenntnis.“

Auch Schilcher et al. (2017, S. 441 f.) grenzen das „didaktisch qualitätsvolle Erklären“ vom wissenschaftlichen Erklären ab. Beim schulischen Erklären gehe es ihnen zufolge vorrangig um das Verstehen, Vermitteln und Verdeutlichen im Gegensatz zum Schlussfolgern oder Herleiten, das beim wissenschaftlichen Erklären im Zentrum stehe. Um das Ziel des schulischen Erklärens, nämlich das verständliche Vermitteln von Fachinhalten zu erreichen, sollten Lehrer*innen Qualitätskriterien guten Erklärens beachten, „z. B. Verständlichkeit, Strukturiertheit, Adressatenangemessenheit, sprachliche/sprecherische Aspekte usw.“ (Schilcher et al., 2017, S. 442). Auch der von Helmke und Weinert (1997) beschriebene und für die Unterrichtsqualität zentrale Aspekt der „Klarheit“ wird als Gütekriterium für schulisches Erklären herangezogen. Die Autoren untergliedern den Begriff der Klarheit in die akustische Verstehbarkeit (z. B. Lautstärke, Modulation, Artikulation), die sprachliche Prägnanz (z. B. verständliche Formulierungen, korrekte Grammatik) sowie die inhaltliche Kohärenz (z. B. logischer Aufbau, nachvollziehbare Strukturen und Zusammenhänge). Diese Gütekriterien für schulisches Erklären könnten ebenso für die Bewertung von Erklärvideos herangezogen werden, auf die in Abschnitt 2.3.5 vertiefend eingegangen wird.

Auch Kiel (1999, S. 134 ff.) listet als Ergebnis seiner Untersuchungen „Kriterien effektiven Erklärens“ auf, also Verhaltenshinweise, deren Befolgung Erklärprozesse besonders effektiv machen soll:

  • Vorbereitet sein

  • Klarheit der Ziele gewährleisten

  • Strukturiert vortragen

  • Orientierung zu Beginn der Erklärung

  • Bedeutungshinweise geben

  • Erklärende Bindeglieder verwenden

  • Verständnishilfen geben

  • Sprachliche Komplexität beschränken

  • Vagheit vermeiden

  • Dynamik und Enthusiasmus zeigen

  • Wiederholung von Erklärungen nach Elaborationen

  • Nutzen deutlich machen

  • Anwendungsmöglichkeiten öffnen bzw. Möglichkeiten eröffnen, Denkprozesse zu artikulieren

  • Die Bedeutungsrekonstruktion der Lernenden durch Fragen unterstützen

  • Rephrasierungen nutzen

Neben den genannten Kriterien kann auch das Aufzeigen von passenden Beispielen einen erfolgreichen Verlauf von Erklärprozessen begünstigen. Nach dem Motto „Worte sind Zwerge, Beispiele sind Riesen“ (Sprichwort zitiert nach Kiel, 1999, S. 287) können Beispiele eine wichtige Begleitmaßnahme beim Entwickeln guter Erklärungen darstellen. „Beispiele steigern häufig die Behaltensleistung und erleichtern – wenn diese realitätsnah gestaltet sind – die Transferleistung der Lernenden.“ (Findeisen, 2017, S. 67) Kulgemeyer (2019, S. 71) hält jedoch relativierend fest: „Auch die beste Erklärung erreicht nicht automatisch Verstehen, das widerspräche grundlegenden Annahmen über Lehren und Lernen. Eine Erklärung kann bestenfalls die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass jemand aus der dargebotenen Information selbst Bedeutung konstruieren kann.“ Durch eine klare Konzeptionierung der Erklärung und deren überlegte Einbettung ins Unterrichtsgeschehen könnten seiner Meinung nach jedoch die Erfolgsaussichten erhöht werden, dass ein Erklärprozess tatsächlich auch Verstehensprozesse bei den Lernenden anregt.

Findeisen (2017, S. 50 ff.) fasst in seiner Zusammenschau unterschiedlicher theoretischer Betrachtungen und empirischer Studien zum Erklären zentrale „Qualitätskriterien von Unterrichtserklärungen“ in fünf Bereichen zusammen, die sich ebenfalls für die Bewertung von Erklärvideos nutzen ließen:

  1. a)

    Fachlicher Gehalt: fachlogischer Aufbau, fachliche Vollständigkeit, fachliche Korrektheit, Verdeutlichung der Relevanz der Inhalte, Einführung von Fachbegriffen, Verfügbarkeit verschiedener Erklärungsvarianten

  2. b)

    Lernendenzentrierung: Berücksichtigung des Vorwissens der Lernenden, Berücksichtigung der Charakteristika der Lernenden, aktiver Einbezug der Lernenden, adaptive Anpassung der Erklärung in der Interaktion mit den Lernenden

  3. c)

    Prozessstruktur: Verdeutlichung der Zielsetzung, Aufzeigen der Struktur der Erklärung, Evaluierung des Vorwissens, Wiederholung/Zusammenfassung, Evaluierung des Verständnisses

  4. d)

    Repräsentation: Verwendung von Beispielen, Visualisierung der Inhalte, Verwendung von Analogien, Verbindung verschiedener Repräsentationsformen, Aufzeigen von Gemeinsamkeiten bzw. Unterschieden zwischen Repräsentation und Zielkonzept

  5. e)

    Sprache: geeignetes Sprachniveau für Adressierte, sprachliche Präzision, unterstützender Einsatz der Körpersprache

Lange Zeit galt die pädagogische Unterrichtstätigkeit des Erklärens als verpönt: „Hinter der Erklärungsabstinenz steht ein konstruktivistisches Credo. In dieser in der Lehrerbildung seit Jahrzehnten dominierenden pädagogisch-didaktischen Richtung ist […] das Erklären mehr oder weniger explizit mit einer Art tabu belegt worden“ (Aeschbacher, 2009, S. 431). Dabei können Aeschbacher zufolge (2009, S. 432) Erklärungen durchaus „Konstruktivismus-kompatibel“ gestaltet werden, da sie sich „in verschiedenen Sozialformen innerhalb eines konstruktivistisch ausgerichteten Unterrichts inszenieren lassen“, was eine Verknüpfung von direkten Instruktionen mit offenen Unterrichtsformen erlaube. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Handlungsanweisungen von Renkl et al. (2006, S. 207 ff.) verorten, die aufzeigen, wie Lehrer*innen instruktionale Erklärungen lernförderlich gestalten können:

  • Erklärungen müssen an das Vorwissen der Kinder angepasst werden. Ein hohes Fachwissen der Lehrkraft stelle zwar eine wichtige Voraussetzung für guten Unterricht dar, erschwere jedoch die Anpassungsfähigkeit der Erklärungen an den Wissensstand der Kinder. Eine Vorwissensadaption von Erklärungen sei Renkl et al. zufolge (2006) eine zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse.

  • Erklärungen sollen minimalistisch sein. „Der Lernende soll die Möglichkeit haben, sich Problemlösungen im Rahmen seiner Kompetenzen weitestgehend selbst zu erarbeiten, was Lernerfolg und Behaltensleistung fördert.“ (Renkl et al., 2006, S. 213) Schüler*innen sollten dazu nach Möglichkeit nur im minimal erforderlichen Maße unterstützt werden. Dies verlange von Lehrkräften, Erklärungen präzise und kohärent zu formulieren und unnötige Informationen aus ihren Erklärungen zu entfernen.

  • Erklärungen sollten auf allgemeine Regeln und Gesetzmäßigkeiten fokussieren. Die Orientierung an allgemeingültigen Prinzipien soll „das Verständnis und damit Transferleistungen“ (Renkl et al., 2006, S. 215) fördern und Lernenden ermöglichen, Inhalte einer Erklärung auch auf neue bzw. veränderte Problemsituationen anwenden zu können.

  • Erklärungen sollten von Lernenden unmittelbar weiterverarbeitet werden. Die Effektivität einer Erklärung hänge davon ab, was mit den Inhalten einer Erklärung in weiterer Folge geschehe. Werden Erklärungen von Lernenden nicht weiterverarbeitet, könne dies zu einer „Verständnisillusion“ führen, da die Kinder nicht bemerken, „dass sie eigentlich weitere Erklärungen benötigen“ (Renkl et al., 2006, S. 215). Empirische Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass Schüler*innen nur dann von Erklärungen profitieren, „wenn sie sie in ihre gerade ablaufenden Problemlöseprozesse“ integrieren (Renkl et al., 2006, S. 216). Besonders effektiv seien Erklärungen vor allem dann, wenn die Kinder selbst danach fragen. Das Timing der Erklärung sei demnach neben der Qualität der Erklärung ein zentraler Faktor für gelingende Lernprozesse.

Ziel von Erklärungen müsse es also sein, die „Lernenden dabei zu unterstützen, ein Problem, zu dessen Lösung unzureichende Kenntnisse vorhanden sind, in ein Beispiel umzuwandeln, das für spätere Problemlösungen als Referenz dienen kann“ (Renkl et al., 2006, S. 213). Da es jedoch „beim Erwerb kognitiver Fertigkeiten zentral ist, die Eigenaktivität der Lernenden zu unterstützen“ (Renkl et al., 2006, S. 217), sollten Kinder nach Möglichkeit vorrangig zu Selbsterklärungen aufgefordert werden. „Selbsterklärungen – also das selbstständige Erschließen von Fachinhalten durch die Lernenden […] – sind im Unterricht von hoher Bedeutung.“ (Findeisen, 2017, S. 30) Gegenüber instruktionalen Erklärungen hätten Selbsterklärungen entscheidende Vorteile (Renkl et al., 2006, S. 217):

  1. 1.

    „Gedächtnispsychologische Untersuchungen zeigen, dass Inhalte, die von Lernenden selbst generiert werden, besser erinnert werden als Inhalte, die ‚fertig‘ präsentiert werden […].

  2. 2.

    Selbsterklärungen werden aus dem eigenen (Vor-)Wissen heraus konstruiert“ und sind damit „automatisch“ vorwissensangepasst.

  3. 3.

    „Wenn Lernende sich einen Sachverhalt selbst erklären, sind sie mental aktiv und bauen so ihr Wissen aus“, sie werden also dazu angehalten, die Informationen unmittelbar weiterzuverarbeiten.

  4. 4.

    „Aufforderungen zur Selbsterklärung halten die Lernenden zur aktiven Informationsverarbeitung an. Instruktionale Erklärungen können sie hingegen in eine mental passive Rezipientenhaltung bringen […].“

Aus diesen Gründen sei Renkl et al. zufolge (2006, S. 217) „der Förderung von Selbsterklärungen gegenüber dem Geben von instruktionalen Erklärungen Priorität einzuräumen. […] Instruktionale Erklärungen sollten nur dann vorgegeben werden, wenn die Aufforderung zu Selbsterklärungen wenig aussichtsreich ist“. Erklärvideos könnten einem solchen Argumentationsmuster folgend auch als multimediale instruktionale Erklärungen betrachtet werden, die Lehrer*innen neben eigenen Erklärungen heranziehen können, wenn Selbsterklärungsversuche der Kinder scheitern. Eine Auswahl an qualitätsvollen Erklärvideos hätte damit auch eine entlastende Funktion für die Lehrkraft, da sie bei Fragen der Kinder schnell auf eine Vielzahl von gut aufbereiteten instruktionalen Erklärungen auf unterschiedlichen Niveaustufen zurückgreifen könnte.

Nachdem der Prozess des Erklärens sowie damit in Verbindung stehende Qualitätskriterien thematisiert wurden, soll nun das audiovisuelle Erklärmedium selbst in den Blick genommen werden. Neben einer Begriffsbestimmung soll auch verdeutlicht werden, in welchen Bereichen sich das Bildungsmedium von anderen audiovisuellen Filmformaten unterscheidet.

2.3.3 Das Erklärvideo im Kontext audiovisueller Bildungsmedien

Ein einheitlicher Fachbegriff für audiovisuelle Medien, die ein Thema für eine bestimmte Zielgruppe anschaulich darstellen, existiert im deutschen Sprachraum nicht. In manchen Publikationen wird der Begriff „Lehrvideo“ bzw. „Lernvideo“ gebraucht (Sailer & Figas, 2015; Schön & Ebner, 2013), in englischsprachiger Literatur wird zumeist die Bezeichnung „explainer video“ (P. Anders et al., 2019) oder „instructional video“ (Mayer et al., 2020) gebraucht. Für die vorliegende Arbeit wird für selbst- oder fremderstellte Videos, die einen konkreten Sachverhalt didaktisch für eine bestimmte Zielgruppe – im konkreten Fall für Kinder in der Grundschule – aufbereiten oder veranschaulichen, der Begriff „Erklärvideo“ genutzt. Die Bezeichnung ist auch im aktuellen Diskurs zum audiovisuellen Unterrichtsmedium vorherrschend (P. Anders et al., 2019; Dorgerloh & Wolf, 2019; Gaubitz, 2022; Haltenberger et al., 2022; Kulgemeyer, 2019; Schmeinck, 2023; Zander et al., 2020). Der Name „Erklärvideo“ verdeutlicht auch die zentrale Intention des Mediums, Sachverhalte mit dem Ziel zu erklären, Verstehensprozesse bei den Lernenden anzubahnen.

Eine viel zitierte Begriffsdefinition zu Erklärvideos stammt von Karsten D. Wolf. Er beschreibt Erklärvideos als „eigenproduzierte Filme, in denen erläutert wird, wie man etwas macht oder wie etwas funktioniert[,] bzw. in denen abstrakte Konzepte und Zusammenhänge erklärt werden“ (Wolf, 2015a, S. 30). Mit dem Verweis auf die Eigenproduktion bezieht sich Wolf auf die Tatsache, dass die große Mehrzahl der frei im Internet zugänglichen Erklärvideos nicht von professionellen Filmschaffenden gestaltet wurde, sondern von interessierten Laiinnen und Laien. Auch Zander et al. (2020, S. 249) beschreiben als typische Merkmale von Erklärvideos, „dass meist ein komplexerer Sachverhalt auf einfache Weise erklärt wird, die Videos von sehr kurzer Dauer sind und überwiegend in Eigenproduktion des Erklärenden entstehen“. Diese Definition ist jener von Wolf sehr ähnlich. Im Gegensatz zu diesen beiden Begriffsbestimmungen wird der Fokus in dieser Arbeit nicht vorrangig auf eigenproduzierte Erklärvideos gelegt, sondern es werden sowohl professionell produzierte Videos (z. B. Ausschnitte aus dem Bildungsfernsehen) als auch privat erstellte Erklärvideos gleichermaßen betrachtet. Zentral ist ein erkennbarer Didaktisierungsgrad für die Zielgruppe Primarstufe.

Grundsätzlich lassen sich für Erklärvideos vier kennzeichnende Besonderheiten feststellen (Wolf, 2015a):

  • Thematische Vielfalt: Erklärvideos stehen für ein breit gefächertes Themenspektrum in unterschiedlicher inhaltlicher Tiefe zur Verfügung.

  • Gestalterische Vielfalt: Erklärvideos lassen sich aufgrund unterschiedlicher gewählter Produktionsmöglichkeiten und didaktischer Herangehensweisen in vielfältigen Gestaltungsformen und Videolängen finden.

  • Informeller Kommunikationsstil: Rezipierende werden meist in einem umgangssprachlichen Stil und ohne hierarchisches Gefälle angesprochen.

  • Diversität der Urheber*innen: Erklärvideos werden von unterschiedlichsten Menschen mit verschiedenen sozialen oder kulturellen Hintergründen gestaltet. Auch in Hinblick auf die themenspezifische Expertise der Gestalter*innen bestehen große Unterschiede, da Videos von fachfernen Personen ebenso wie von Fachleuten produziert werden.

Aufgrund der einfachen Verfügbarkeit, des breit gefächerten Themenangebotes und der zielgruppenspezifischen Zugänge werden Erklärvideos als „bedeutsames Bildungsmedium des 21. Jahrhunderts“ (Sailer & Figas, 2015, S. 93) angesehen, die sich als Teil eines vielfältigen und differenzierenden Medienangebots in den Unterricht integrieren lassen und Kinder dabei unterstützen können, ihre Lebenswelt zu erschließen und besser zu verstehen. Die Diversität der Urheber*innen und damit verbundene vielfältige Gestaltungs- und Erkläransätze führen zu einer großen Bandbreite an Erklärvideos, auf die Lehrkräfte und Lernende gleichermaßen zurückgreifen können (Dorgerloh & Wolf, 2019). Einen weiteren Mehrwert von Erklärvideos sehen P. Anders et al. (2019, S. 255) darin, dass die Unterrichtsmedien „zeitlich und örtlich flexibel abrufbar“ sind und „genau dann rezipiert werden [können], wenn ein Erklärungsbedarf besteht“. Im Rahmen der empirischen Untersuchung soll geklärt werden, ob bzw. in welcher Form sich Lehrer*innen diese potenzielle Flexibilität des Mediums für den Sachunterricht zunutze machen.

Einen Versuch, Erklärvideos besser von anderen audiovisuellen Filmformaten unterscheiden zu können, unternimmt Wolf (2015c) mit seiner „Typologie erklärender Filme“ (Abbildung 2.9). Mehrheitlich eigenproduzierte audiovisuelle Medien kennzeichnet Wolf in seiner Typologie als „Video“ (z. B. Erklärvideo, Videoblog) im Unterschied zu professionellen Filmproduktionen, die in seiner Aufstellung mit der Endung „-film“ (z. B. Dokumentarfilm, Lehrfilm) versehen sind. In der Darstellung von Wolf (2015c) wird deutlich, dass sich Erklärvideos nicht immer trennscharf von anderen erklärenden Filmformaten abgrenzen lassen. Der Grund dafür liegt unter anderem darin, dass sich Erklärvideos unterschiedlicher Gestaltungselemente anderer erklärender Filmgenres bedienen, die z. B. auch in Videoblogs, Dokumentarfilmen oder klassischen Lehrfilmen zu finden sind. In der Auseinandersetzung mit diesen Filmformaten wird jedoch klar, welche Unterschiede zu den Erklärvideos bestehen: Lehrfilme sieht Wolf (2015c) vorwiegend als professionelle Filmproduktionen, wohingegen Erklärvideos seiner Definition zufolge vorwiegend von Nicht-Fachleuten produziert werden. Hinsichtlich der Dokumentarfilme unterscheidet Wolf zwei Macharten: einerseits Filme, die Inhalte ohne besonderen Didaktisierungsgrad präsentieren (Abb. 2.9, Dokumentarfilm [a]), andererseits solche, die einen bestimmten Aufklärungszweck verfolgen und unterschiedliche – z. B. politische – Botschaften didaktisch und gestalterisch aufzubereiten versuchen (Abb. 2.9, Dokumentarfilm [b]). Dokumentarfilme seien demnach im Gegensatz zu Erklärvideos per se „nicht zwingend erklärend oder gar instruierend“ (Wolf, 2015c, S. 122). Videoblogs beschreibt Wolf (2015c, S. 124) als Format, in dem „regelmäßig von einer Person mittels Webcam Videobeiträge zu einem oder mehreren Themenbereichen veröffentlicht werden“. Auch hier gebe es, anders als bei Erklärvideos, nicht zwingend das Ziel, Lern- bzw. Verstehensprozesse anzuregen. Eine Unterkategorie der Erklärvideos stellen die Videotutorials dar, die sich „auf die Darstellung vollständiger Handlungen beschränken, die zeigbar und direkt nachmachbar sind“ (Wolf, 2015c, S. 124).

Abbildung 2.9
figure 9

(Vereinfachte eigene Darstellung)

Schematische Darstellung der Typologie erklärender Filme (Wolf, 2015c, S. 123), ergänzt um die Verortung des Verständnisses von Erklärvideos in der vorliegenden Arbeit (graue Kreisfläche).

In der vorliegenden Arbeit werden Erklärvideos etwas enger gefasst als in Wolfs Typologie (verortet durch die graue Kreisfläche in Abbildung 2.9) und folgendermaßen definiert: Erklärvideos sind kurze Filme bzw. Filmsequenzen, die einen konkreten Sachverhalt adressiertengerecht multimodal veranschaulichen. Kennzeichnende Elemente sind ein hoher Didaktisierungsgrad und die Nutzung von Storytelling-Elementen (siehe dazu Abschnitt 2.3.4).

Da nun herausgearbeitet ist, was unter dem audiovisuellen Format der Erklärvideos allgemein verstanden wird – bzw. wie das Medium in dieser Arbeit definiert wird – und in welchen Bereichen sich das Erklärvideo von anderen erklärenden Filmformaten unterscheidet, sollen im nächsten Kapitel Aufbau und Gestaltungsaspekte des audiovisuellen Unterrichtsmediums in den Blick genommen werden. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Erklärungen im Videoformat lernförderlich gestaltet werden können und welche zentralen Bausteine ein gutes Erklärvideo beinhalten sollte.

2.3.4 Aufbau und Gestaltungsaspekte von Erklärvideos

Allgemeingültige Aussagen über Aufbau und Gestaltungsweisen von Erklärvideos zu treffen, ist insofern ein schwieriges Unterfangen, als die Verschiedenartigkeit der Gestalter*innen zu einem breiten Spektrum an Erscheinungsformen der Erklärvideos führt (Wolf, 2015a). Dennoch lassen sich über die Betrachtung von Erklärvideos zentrale Gestaltungselemente identifizieren, die als Gemeinsamkeiten des audiovisuellen Medienformats angesehen werden können. Lee LeFever (2013, S. 49), der bereits 2007 mit der Produktion und Veröffentlichung erster Erklärvideos begannFootnote 12, beschreibt in seinem Buch „The Art of Explanation“ sechs grundlegende Bausteine, die ein Erklärvideo jedenfalls enthalten solle:

  • Gemeinsame Basis: Zu Beginn sollte die Verständigung über eine gemeinsame Ausgangslage erfolgen bzw. die Schaffung eines gemeinsamen Einvernehmens, das an die Vorerfahrungen der Rezipierenden anknüpft.

  • Kontext: Die Darstellung des thematischen Kontexts soll den Fokus vom zuvor erzielten gemeinsamen Einvernehmen auf ein spezielles Themenfeld verlagern.

  • Geschichte: Eine Rahmenhandlung kann einen wesentlichen Beitrag zum allgemeinen Verständnis der im Video behandelten Sachverhalte leisten, zentrale Ideen verdeutlichen, Perspektivenwechsel ermöglichen, Emotionen transportieren etc.

  • Querverbindungen: Analogien und Metaphern sollen helfen, neue Inhalte mit bereits Bekanntem zu verknüpfen, und den Rezipierenden damit den Zugang zu neuen Erkenntnissen vereinfachen.

  • Beschreibungen: Inhaltliche Darstellungen sollen neben dem „Warum?“ auch das „Wie?“ und „Wodurch?“ klären.

  • Zusammenfassung: Ein abschließendes Resümee soll die zentralen Inhalte des Erklärvideos wiederholen und einen Ausblick auf anknüpfende/weiterführende Themengebiete geben.

LeFever (2013, S. 69) plädiert in seinen Ausführungen dafür, dem Erzählen von Geschichten einen hohen Stellenwert beizumessen: „Facts give stories substance. Stories give facts meaning“. Die Fakten sollen den Geschichten Substanz geben, die Geschichten würden den Fakten wiederum überhaupt erst eine Bedeutung verleihen und seien deshalb ein zentrales Gestaltungsmittel für gelungene Erklärprozesse in Erklärvideos. Auch der Erklärvideoproduzent Derek MullerFootnote 13 ist von der Wichtigkeit des „Storytellings“ überzeugt: „Zuschauende werden von Geschichten angezogen, die haben ein Momentum, welches das Publikum fesselt. Sie helfen aber auch, Konzepte zu verstehen und ihre Bedeutung zu würdigen. Geschichten sind sehr wichtig für Erklärvideos!“ (Derek Muller in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 31) Auch in der Erklärvideo-Definition von Kropp (2015) nimmt das Storytelling einen zentralen Stellenwert ein: „Erklärvideos können komplexe Sachverhalte innerhalb kürzester Zeit effektiv einer Zielgruppe vermitteln. Kennzeichnende Elemente sind das Storytelling und die Multisensorik.“ Geschichten würden es ermöglichen, „den Protagonisten*innen der Erzählung auf dem Weg der Problemkonfrontation und der Problemlösung zu folgen“, und den Zusehenden damit in einem „fließenden Übergang von einer passiven Rezeption zur aktiven Beteiligung am narrativen Geschehen“ verhelfen, sie also zu „impliziten Akteur*innen“ machen (Penzel, 2019, S. 164), was wiederum auf ein grundlegendes Prinzip des Beobachtungslernens verweist (siehe Abschnitt 2.2.2).

Auch der Umgang mit Visualisierungen stellt ein wesentliches Gestaltungsmittel von Erklärvideos dar. Visualisierungen sollen „zur Sichtbarmachung, Veranschaulichung und Verdeutlichung von abstraktem Wissen und komplexen Informationen“ (Preuß & Kauffeld, 2019, S. 404) beitragen und damit Lern- bzw. Verstehensprozesse begünstigen (Dorgerloh & Wolf, 2019). Beim Visualisieren bzw. Veranschaulichen gelte es, „Sachverhalte der verschiedenen Themenbereiche dem Verständnis der Lernenden zugänglich zu machen, das Wesen einer Sache darzustellen und Anschlüsse an Bekanntes zu finden“ (Rumpf & Winter, 2019, S. 5). Ziel müsse es sein, „Anschaulichkeit im Unterricht in einer Weise anzubieten, die den kindlichen Anschauungen von Welt entgegenkommt“ (Rumpf & Winter, 2019, S. 3). Auf die Gestaltungsprinzipien multimedialer Lerninhalte wurde in Abschnitt 2.2.4 bereits eingegangen. Eine zentrale Aussage, die sich aus diesen Gestaltungsprinzipien ableiten lässt, fassen Preuß und Kauffeld (2019, S. 405) folgendermaßen zusammen: „Nicht einfach ein höheres Maß an Informationen hat demnach ein höheres Maß an Wissenszuwachs zur Folge, sondern die kohärente und auf das Wesentliche beschränkte Darstellung.“ Ein Zurückgreifen auf derartige Prinzipien und auf Erkenntnisse der Kognitionspsychologie begünstigt eine lernförderliche Gestaltung von Erklärvideos. Wolfgang Schnotz (2014, S. 94 f.) beschreibt hierzu – angelehnt an Mayers (2014a) „Cognitive Theory of Multimedia Learning“ – einige „Richtlinien für das Instruktionsdesign“ multimedialer Unterrichtsinhalte, die sich auch für die Gestaltung von Erklärvideos nutzen lassen:

  • Text sollte mit inhaltsbezogenen Bildern kombiniert werden, um Verstehensprozesse zu unterstützen.

  • Bilder sollten nur dann verwendet werden, wenn sie semantisch eindeutig mit dem Inhalt des Textes zusammenhängen.

  • Geschriebener Text sollte in enger räumlicher Nähe zum dazugehörigen Bild präsentiert werden; gesprochener Text sollte in enger zeitlicher Nähe zum dazugehörigen Bild präsentiert werden.

  • Texte und Bilder müssen nicht in Kombination verwendet werden, wenn die Lernenden über ausreichendes Vorwissen und kognitive Fähigkeiten verfügen, um ein mentales Modell aus einer der Repräsentationsformen zu konstruieren. Die andere Quelle wäre dann redundant.

  • Werden Animationen mit Text kombiniert, sollte aufgrund des „fließenden“ Charakters der Animation auf gesprochenen Text anstelle von geschriebenem Text zurückgegriffen werden.

  • Es sollte kein geschriebener Text hinzufügt werden, der gesprochenen Text (in Kombination mit Bildern) dupliziert.

  • Wenn ein Text in semantischem Zusammenhang zu einem Bild steht, sollte er nicht dargestellt werden, bevor das Bild von dem*der Lernenden in Ruhe betrachtet werden kann.

  • Wenn Sachverhalte durch verschiedene Bilder auf unterschiedliche, informationell gleichwertige Weise visualisiert werden können, sollte idealerweise das Bild mit jener Visualisierungsform verwendet werden, das für die Lösung zukünftiger Aufgaben am besten geeignet ist (für den Transfer).

Seine Empfehlungen ergänzt Schnotz (2014, S. 95) um die Aussage: „Simply speaking, less can be more.“ Gestalter*innen multimedialer Unterrichtsmaterialien sollten seiner Ansicht nach der Versuchung widerstehen, ihren Lehr- und Lernmedien irrelevantes Beiwerk hinzuzufügen.

Das visuelle Erscheinungsbild von Erklärvideos hängt stark von Entscheidungen hinsichtlich der Wahl der filmischen Umsetzung ab, wobei Preuß und Kauffeld (2019, S. 407) hierzu festhalten, dass bei Erklärvideos „weniger die stilistische Perfektion der visuellen Produkte im Vordergrund [stehe] als vielmehr eine nachvollziehbare und ansprechende Wissensaufbereitung sowie ihr didaktischer Nutzen“. Eine Betrachtung unterschiedlicher Möglichkeiten der Erklärvideogestaltung macht deutlich, wie die bereits angesprochene Vielfalt des online verfügbaren Erklärvideoangebots zustande kommen kann (Schön & Ebner, 2013; Zander et al., 2020):

  • Bei Screencasts wird der Computerbildschirm direkt aufgezeichnet (z. B. beim Durchklicken durch ein Programm oder eine Präsentation). Als Vorteil dieser Gestaltungsvariante gilt die einfache und zeitsparende Produktionsweise.

  • Erklärvideos mit Schiebe- bzw. Legetechnik visualisieren die Inhalte anhand ausgeschnittener Figuren, Abbildungen und Textkarten. Mit dieser Technik lassen sich vielfältige Visualisierungen einfach bewerkstelligen und die Videos vergleichsweise schnell produzieren.

  • Beim Tafel- oder Whiteboard-Stil werden die Inhalte direkt auf eine Präsentationsfläche gezeichnet/geschrieben, die von einer Kamera abgefilmt wird. Weil Rezipierende bei dieser Gestaltungstechnik die Entstehung der Zeichnungen unmittelbar beobachten können, lässt sich der Gedankengang des*der Erklärenden oft leichter nachvollziehen als bei anderen Techniken.

  • Erklärvideos können auch als Realfilme in unterschiedlicher Weise umgesetzt werden, etwa in Form von Dokumentationen. Mit wesentlich geringerem mediengestalterischen Aufwand verbunden wäre das Abfilmen eines einfachen Vortrags.

  • Oft werden Erklärvideos als Animationsfilme gestaltet, entweder direkt am Computer mithilfe entsprechender Software oder mittels abgefilmter Objekte, z. B. als Stop-Motion-Film oder Zeitrafferaufnahme. Animationsfilme bieten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, sind in der Produktion aber meist wesentlich zeitaufwendiger als andere Umsetzungsvarianten.

Neben der gestalterischen Verschiedenartigkeit von Erklärvideos zeichnet sich das audiovisuelle Unterrichtsmedium auch durch eine große Bandbreite hinsichtlich der Dauer aus. Während sich der Großteil der im Internet verfügbaren Erklärvideos zwischen zwei und sechs Minuten Länge bewegt, gibt es auf Online-Videoportalen wie YouTube auch sehr erfolgreiche Erklärvideos mit mehr als zehn Minuten LaufzeitFootnote 14. Als Richtwert bzw. „Ideallänge“ wird in der Literatur meist eine Laufzeit von drei Minuten angegeben (Dorgerloh & Wolf, 2019; Kropp, 2015), wobei auch darauf hingewiesen wird, dass das ausschlaggebende Kriterium für die Dauer eines Erklärvideos die Menge an zu vermittelnden Inhalten darstellen sollte und nicht das strikte Befolgen einer Zeitvorgabe.

Sprachlich bedienen sich die meisten Erklärvideos eines informellen Kommunikationsstils (Wolf, 2015a). „Viele YouTube-Erklärvideos kreieren über eine direkte und lockere Ansprache einen angstfreien Kommunikationsraum zum Verstehen und Lernen.“ (Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 40) Wie im klassischen Unterrichtsgeschehen stellt auch bei Erklärvideos die „Sprache die wichtigste Form der Kommunikation“ (Findeisen, 2017, S. 12) bzw. der Weitergabe von Informationen dar. Dem Skript, also der Niederschrift des Sprecher*innentexts eines Erklärvideos, kommt deshalb bei der Gestaltung von Erklärvideos eine besondere Bedeutung zu. „Die Erklärung lebt und entsteht im Skript.“ (Lee LeFever in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 81) Wie Erklärungen lernförderlich gestaltet werden können, wurde in Abschnitt 2.3.2 z. B. anhand von Kiels „Kriterien effektiven Erklärens“ (1999) bereits aufgezeigt. Da dem Sachunterricht auch die Aufgabe zukommt, Fachsprache zu etablieren und einen sensiblen Sprachgebrauch anzubahnen, sollten Lehrer*innen bei der Auswahl bzw. bei der Gestaltung von Erklärvideos auch besonderes Augenmerk auf sprachliche Aspekte legen. „Heranwachsende übernehmen Einstellungen der Personen in ihrem Umfeld, die für sie bedeutsam sind. […] Sachunterrichtslehrer sollten auf solche selektiven Prozesse und sprachlichen Bewertungen besonders achten […].“ (Einsiedler, 2000, S. 74 f.). Nicht zuletzt ist der Sachunterricht gleichzeitig auch eine Form von (Fach-)Sprachenunterricht (GDSU, 2013).

Eine besondere Herausforderung bei der Gestaltung von Erklärvideos stellt die Tatsache dar, dass die Erklärungen – anders als bei klassischen Erklärprozessen – nicht unmittelbar an die Reaktionen der Rezipierenden angepasst werden können, weil die Videos bereits vor ihrem Einsatz im Unterrichtsgeschehen fertiggestellt sind. „Erklären ist ein interaktiver Prozess. Das heißt[,] ich schaue, ob mein Gegenüber versteht, was ich gerade vermitteln möchte, um dann ggf. meine Erklärung anzupassen. Das ist in einem einmal produzierten Video nicht möglich.“ (Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 34) Deshalb sei es Kulgemeyer zufolge (2019) von großer Wichtigkeit, bei der Gestaltung oder Auswahl der Erklärvideos genau über die eigene Zielgruppe und deren spezifische Vorkenntnisse und -erfahrungen Bescheid zu wissen. „Für jede Adressatengruppe muss das Video anders entworfen werden. […] Die Vorstellung, dass es das ideale Video für alle Adressatengruppen gibt, funktioniert […] deshalb nicht.“ (Kulgemeyer, 2019, S. 72) Um aus der Vielzahl von verfügbaren Erklärvideos die für die entsprechenden (sach-)unterrichtlichen Zwecke passenden Videos auswählen zu können, gilt es, die potenziellen audiovisuellen Unterrichtsmedien hinsichtlich ihrer Qualität zu beurteilen. Für diesen Zweck haben Bildungsforscher*innen verschiedene Bewertungskriterien identifiziert, die Aufschluss über die Güte eines Erklärvideos geben sollen.

2.3.5 Qualitätskriterien für die Bewertung von Erklärvideos

„Qualitativ hochwertiges Lernmaterial ist […] eine wichtige Voraussetzung, um Wissen erfolgreich transferieren zu können. Für den erfolgreichen Einsatz von Lernmaterialien ist es wichtig, deren Qualität erfassen und bewerten zu können.“ (F. Müller & Oeste-Reiß, 2019, S. 52)

Eine erste Hürde bei der Qualitätsbewertung von Lehr- und Lernmaterialien stellt bereits die Frage dar, was unter dem Begriff Qualität überhaupt zu verstehen ist bzw. woran sie gemessen werden kann. H. Müller et al. (2018, S. 93) schreiben hierzu: „Der Begriff Qualität ist komplex und vielschichtig […] und bis heute nicht einheitlich definiert.“ Ein Ansatz, auf den häufig zurückgegriffen wird, wenn es um eine Annäherung an den Qualitätsbegriff geht, stammt von Garvin (1984), der Qualität in fünf Dimensionen aufgliedert:

  • Dem transzendenten Ansatz zufolge kann Qualität nicht trennscharf definiert werden. Qualität wird hier als „innewohnende Exzellenz“ beschreiben, die zwar wahrgenommen, aber nicht gemessen werden kann.

  • Beim produktbasierten Ansatz stellt Qualität eine präzise und messbare Variable dar, die z. B. über die Anzahl gewünschter Attribute bestimmt wird, die ein Produkt (nicht) aufweist.

  • Für den anwendungsbezogenen Ansatz der Qualitätsbewertung werden die Wünsche und Bedürfnisse der Anwender*innen herangezogen.

  • Der fertigungsbasierte Ansatz befasst sich mit der Qualität der Fertigungspraxis.

  • Beim wertbezogenen Ansatz wird Qualität über das Preis-Leistungs-Verhältnis ermittelt.

Für eine Konkretisierung des Qualitätsbegriffs hinsichtlich der Bewertung von Erklärvideos scheinen vor allem der produktbasierte Ansatz (Bewertung des Erklärvideos aufgrund vorab festgelegter Kriterien) und der anwendungsbezogene Ansatz (Berücksichtigung der Bedürfnisse der Lehrer*innen bzw. der Rezipierenden) sinnvoll. Zusätzlich ist auch der fertigungsbasierte Ansatz (z. B. die visuelle und akustische Umsetzung betreffend) und – bei kostenpflichtigen Angeboten – der wertbezogene Ansatz von Relevanz.

Warum eine kriteriengeleitete Auswahl von Erklärvideos für den Unterricht von Bedeutung ist, zeigt die große – und stetig wachsende – Menge an potenziell verfügbaren Erklärvideos. Durch die Möglichkeiten, sehr einfach selbst diverse Medien zu erstellen und im Internet zu veröffentlichen, müsse „die didaktische Sorgsamkeit der Medienauswahl“ (Peschel, 2022, S. 194) durch die Lehrkraft umso intensiver betrieben werden, gerade vor dem Hintergrund, dass auch die Schüler*innen zunehmend gefordert sind – und dazu in der Schule befähigt werden sollen –, Inhalte einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Die Qualitätsbewertung von Lehr- und Lernmaterialien kann mittels unterschiedlicher Ansätze erfolgen. Eine systematische Bewertung von Erklärvideos als Unterrichtsmedium wurde erst in den vergangenen Jahren Gegenstand empirischer Forschungsvorhaben. In einer Untersuchung von F. Müller und Oeste-Reiß (2019, S. 52) konnte z. B. noch „kein empirisch validiertes Instrument zur Bewertung der Qualität von Erklärvideos identifiziert werden“. Der Großteil der in diesem Kapitel vorgestellten Kriterienkataloge wurde jedoch bereits empirisch beforscht, was ein gestiegenes wissenschaftliches Interesse an der Beforschung von Qualitätsbewertungsinstrumenten für Erklärvideos verdeutlicht. Für Lehrer*innen, die Erklärvideos im Unterricht einsetzen wollen, ist das Vorhandensein solch validierter Bewertungsinstrumente von großer Bedeutung, um fundierte Aussagen über die Qualität eines Videos treffen zu können.

Die im aktuellen Bildungsdiskurs stattfindende zunehmende Auseinandersetzung mit Erklärvideos führte zur Entwicklung unterschiedlicher Kriterienkataloge, aus denen Lehrer*innen auswählen können. Im bisherigen Verlauf der Arbeit wurden bereits allgemeine Kriterien zum Einsatz multimedialer Lerninhalte und zum effektiven Erklären diskutiert (siehe Abschnitt 2.2.4 und 2.3.2), die sich auch für die Bewertung von Erklärvideos eignen können. Im Folgenden werden nun Kriterienkataloge vorgestellt, die explizit für die Bewertung von Erklärvideos entwickelt wurden. Zuerst werden vier allgemeine Kriterienkataloge für die Erklärvideobewertung vorgestellt, im Anschluss daran wird noch auf zwei Kataloge eingegangen, die ausdrücklich für die Bewertung von Erklärvideos für den Sachunterricht entwickelt wurden.

Ein allgemeiner Kriterienkatalog für die Bewertung der Qualität von Erklärvideos stammt von Christoph Kulgemeyer (2019), der sich aus dem Blickwinkel der Physikdidaktik mit Erklärvideos beschäftigt und in diesem Zusammenhang auch „Kriterien für gute Erklärvideos“ formuliert hat, die er in sieben Kernideen aufschlüsselt (Tabelle 2.4):

Tabelle 2.4 Kriterien für gute Erklärvideos (Kulgemeyer, 2019, S. 73)

Kulgemeyer (2019, S. 74) sieht den Grundgedanken hinter seinen beschriebenen Kernideen darin, „dass Erklärvideos Rezipient/innen zum Mitdenken bringen (kognitive Aktivierung) und eine transparente Vorstellung vom Erklärten in Anschluss an das Vorwissen ermöglichen sollen (konstruktive Unterstützung beim Errichten mentaler Modelle)“. Kulgemeyer macht mit der Kernidee „im Unterrichtsgang einbetten“ auch deutlich, dass mit dem Ansehen eines Erklärvideos der Lernprozess nicht abgeschlossen ist, sondern unbedingt eine Vertiefung der Inhalte in Form von Lernaufgaben erfolgen müsse. In einer empirischen Überprüfung der Kriterien zeigten sich „deutliche Vorteile des Videos, das die Kriterien berücksichtigt im Bereich des Erwerbs deklarativen Wissens“ (Kulgemeyer, 2019, S. 74).

Auch Frederike Müller und Sarah Oeste-Reiß (2019) beschäftigen sich mit der Frage nach einer wissenschaftlich fundierten Herangehensweise für die Bewertung von Erklärvideos. Als Ergebnis umfassender Literaturrecherchen identifizieren die Autorinnen 34 Qualitätsanforderungen an Unterrichtsmedien im Allgemeinen und fünf Kriterien, die speziell die Qualität von Erklärvideos betreffen. Die insgesamt 39 Anforderungen fassen Müller und Oeste-Reiß (2019) in acht Qualitätsdimensionen zusammen (Abbildung 2.10).

Abbildung 2.10
figure 10

(Eigene Darstellung)

Bewertungsinstrument für Lernmaterial und speziell für Erklärvideos von Müller und Oeste-Reiß (2019, S. 59).

Die acht Dimensionen wurden auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für die allgemeine Qualität des Lernmaterials gewichtet, „wobei die inhaltliche Dimension mit 27,3 % den größten Anteil zur Qualitätserfüllung beiträgt. Didaktisches Design und Usability beeinflussen jeweils mit etwa 20 % das Ergebnis. Eine eher untergeordnete Rolle spielen die Kosten, sozialen Aspekte und die Umsetzbarkeit, wenn es um die Bewertung der Lernmaterialqualität geht.“ (F. Müller & Oeste-Reiß, 2019, S. 65) Den Autorinnen zufolge sollen die einzelnen Anforderungen beim Durchsehen des Lernmaterials hinsichtlich ihres Zutreffens anhand einer fünfstufigen Likert-Skala bewertet werden (1 = „trifft gar nicht zu“ bis 5 = „trifft völlig zu“). Auch dieses Bewertungsinstrument wurde von den Autorinnen bereits empirisch beforscht (F. Müller & Oeste-Reiß, 2019).

Das von Wolf und Kratzer (2015) entwickelte Kategoriensystem zur „Gestaltungsqualität von Erklärvideos (GQEV)“ (Tabelle 2.5) kann ebenfalls für die Beurteilung der Qualität von Erklärvideos herangezogen werden. Der Fokus dieses Kategoriensystems liegt auf der Analyse der didaktischen Struktur von Erklärvideos.

Tabelle 2.5 Kategoriensystem zur Analyse der Gestaltungsqualität von Erklärvideos (GQEV) (Wolf & Kratzer, 2015, S. 36)

In einer Überarbeitung des GQEV im Jahr 2022 ergänzen Honkomp-Wilkens et al. (2022) das Kategoriensystem um weitere Subkategorien. Für die Betrachtung von Erklärvideos speziell für den Sachunterricht erscheinen folgende Subkategorien relevant (Honkomp-Wilkens et al., 2022, S. 510):

  • Kategorie „Strukturierung“: Angabe von Quellen, Hinweise auf weitere Videos oder Lernmaterialien

  • Kategorie „Erklärweise“: Bezug zur Lebenswelt der Rezipierenden, praktisches Vorzeigen, Übungen zum aktiven Mitmachen, Herleitung/Erarbeitung einer Theorie, Erläuterung von abstraktem Wissen

  • Kategorie „Erklärmittel“: Einsatz von Spielhandlung

Siegel und Hensch (2021) leiten ihre „Qualitätskriterien für Lehrvideos im Überblick“ aus einem systematischen Review des Sammelbandes „Lehrvideos – das Bildungsmedium der Zukunft? Erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven“ ab. Sie identifizieren dabei Qualitätskriterien in fünf Bereichen (Siegel & Hensch, 2021, S. 258 ff.):

  1. 1.

    (Medien-)Pädagogisch-didaktische Qualitätskriterien: Zielgruppe und Zielgruppenorientierung, fachwissenschaftliche/-didaktische Korrektheit, diskursive Positionierung, didaktische Aufbereitung und Anwendungstransparenz über das Video hinaus, Strukturierung der Inhalte, didaktische Reduktion/Elementarisierung, adäquate Veranschaulichungen, curricularer Bezug

  2. 2.

    (Lern-)Psychologische Qualitätskriterien: Reduktion intrinsisch und extrinsisch belastender (Video-)Merkmale gemäß Cognitive-Load-Theorie, Aktivierung der Lernenden bzw. Interaktionsmöglichkeiten, Berücksichtigung der kognitiven Grundlagen multimedialen Lernens, motivationale und emotionale Ansprache der Rezipierenden

  3. 3.

    Filmanalytische Qualitätskriterien: ästhetische Gestaltung des Videos, adäquate Figurendarstellung/Charaktergestaltung, stimmige Narration

  4. 4.

    Technische Qualitätskriterien: Bildqualität, Audioqualität

  5. 5.

    Rechtliche Qualitätskriterien: restriktiver Jugendmedienschutz, Urheber*innenrecht, Datenschutz

Neben diesen Qualitätskriterien wird auch erwähnt, dass für einen gelingenden Einsatz von Erklärvideos im Unterricht „eine im Schulkontext adäquate Bereitstellung der Videos“ (Siegel & Hensch, 2021, S. 263) erfolgen müsse. Wie eine solche Bereitstellung im Sachunterricht geschehen könnte, wird im Rahmen der empirischen Untersuchung thematisiert.

Ein Problem der Anwendung bisher beschriebener Kriterienkataloge für den Sachunterricht sieht Gaubitz (2021, S. 214) darin, dass diese Raster „die fachdidaktische Perspektive des Sachunterrichts nur bedingt ab[bilden]“. Eine Lösung könnte hier das Verwenden unterschiedlicher Analyseraster für entsprechende Themenfelder des Sachunterrichts sein, etwa der zu Beginn des Kapitels erwähnte Kriterienkatalog von Kulgemeyer (2019) für Erklärvideos zum naturwissenschaftlichen Sachunterricht. Gaubitz (2021) wiederum formuliert einen Kriterienkatalog für die Bewertung von Erklärvideos, die im sozialwissenschaftlichen Sachunterricht zum Einsatz kommen sollen (Tabelle 2.6). Zusätzlich greift ihr Kriterienkatalog auf die Erkenntnisse der Theorie des multimedialen Lernens (Mayer, 2014a) zurück.

Tabelle 2.6 Kriterienkatalog für Erklärvideos für den sozialwissenschaftlichen Sachunterricht (Gaubitz, 2021, S. 215 f.)

Zuletzt soll noch das Kriterienraster von Haltenberger et al. (2022) erwähnt werden. Auch hier handelt es sich um ein Raster, das eigens für die Bewertung von Erklärvideos für den Sachunterricht entwickelt wurde. Für die Strukturierung ihres Kriterienrasters verwendeten die Schreibenden das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (Kattmann et al., 1997) bzw. dessen drei zentrale Säulen (siehe auch Abbildung 2.11):

  • „die fachwissenschaftliche Klärung des Unterrichtsgegenstandes,

  • die Erfassung von Schüler*innenperspektiven hierzu und

  • die sich durch eine geeignete didaktische Strukturierung ergebende Planung bzw. Analyse von Unterricht“ (Haltenberger et al., 2022, S. 141).

Abbildung 2.11
figure 11

(Eigene Darstellung)

Modell der Didaktischen Rekonstruktion mit den integrierten Qualitätskriterien von Erklärvideos (Haltenberger et al., 2022, S. 141).

Über die empirische Untersuchung ihres Kriterienrasters stellten Haltenberger et al. (2022) fest, dass von Lehramtsstudierenden vor allem die fachliche Klärung und die didaktische Strukturierung als zentrale Kriterien für gute Erklärvideos gesehen wurden. Bei der Bewertung studentischer Erklärvideos bemerkten die Verfasser*innen, dass „Schüler*innenvorstellungen […] nur von sehr wenigen Studierenden explizit berücksichtigt oder direkt angesprochen“ wurden (Haltenberger et al., 2022, S. 144). Welche Kriterien für Sachunterrichtslehrkräfte in der Praxis relevant sind, wenn sie Erklärvideos für den Unterricht auswählen, soll auch im Rahmen des Forschungsvorhabens in dieser Arbeit thematisiert werden.

Insgesamt betrachtet lassen sich über die Kriterienkataloge hinweg viele Gemeinsamkeiten feststellen, etwa die Fragen nach der Zielgruppe, der korrekten Wiedergabe wissenschaftlicher Sachverhalte und der Strukturierung von Inhalten. Auch die didaktische Reduktion wird in einigen der vorgestellten Kriterienkataloge explizit benannt. Aus lernpsychologischer Sicht ist vor allem die Frage nach der Aktivierung der Lernenden bzw. nach weiterführenden Interaktionsmöglichkeiten mit dem Lerngegenstand von Bedeutung, auch dieser Bereich wird in fast allen Kriterienkatalogen erwähnt. Hier zeigt sich auch der Mehrwert der genannten Kriterienraster für die Bewertung von Erklärvideos gegenüber allgemeinen Kriterien, wie sie etwa Findeisen (2017) mit seinen „Qualitätskriterien von Unterrichtserklärungen“ (siehe Abschnitt 2.3.2) formuliert. Dem Prozess des Erklärens kommt in Erklärvideos zwar eine zentrale Bedeutung zu, für die qualitative Bewertung des audiovisuellen Mediums reichen solche allgemeinen Kriterienkataloge jedoch nicht aus.

Die hier angeführten Ansätze zum Bewerten von Erklärvideos geben einen Überblick über relevante Qualitätskriterien und können für Lehrkräfte Anhaltspunkte bei der Auswahl qualitativ hochwertiger Videos für den Unterricht darstellen. Anders verhält es sich, wenn sich Lehrer*innen bei der Auswahl der Videos auf Likes oder Aufrufzahlen verlassen. Hier konnte empirisch gezeigt werden, „dass die Likes, die Aufrufe oder die Betrachtungsdauer keinen Zusammenhang zur Erklärqualität eines Videos aufweisen“ (Kulgemeyer, 2019, S. 74). Kommentare unter den Videos, die inhaltliche Aspekte diskutieren, seien Kulgemeyer zufolge (2019, S. 74) jedoch durchaus „ein guter Indikator für eine hohe Erklärqualität des Videos“.

Gaubitz (2021, S. 217) beschreibt die „Bedeutung der Qualitätsprüfung von Bildungsmedien als konstituierendes Element in der Unterrichtsplanung“ und verdeutlicht damit den hohen Stellenwert einer kritisch-reflektierten Auseinandersetzung mit potenziellen Unterrichtsmedien – hier konkret mit Erklärvideos – im Zuge der Sachunterrichtsplanung. Nach der Betrachtung unterschiedlicher Qualitätskriterien für Erklärvideos stellt sich nun die Frage, aus welchen Quellen Lehrer*innen Erklärvideos für den Sachunterricht beziehen können – sofern sie ihre Videos nicht selbst produzieren. Im folgenden Kapitel wird dieser Frage nachgegangen.

2.3.6 Bezugsquellen für sachunterrichtliche Erklärvideos

Eine erste Anlaufstelle bei der Suche nach geeigneten Erklärvideos stellen für viele Lehrer*innen und Schüler*innen bekannte Online-Videoportale dar, allen voran YouTube (mpfs, 2021). Auch Dorgerloh und Wolf (2019, S. 186) halten fest, dass „ein Großteil der relevanten Angebote in kommerzialisierten Kontexten wie YouTube oder hinter den Paywalls privater Anbieter“ zu finden sei. Der Trend zur Nutzung von YouTube als Erklärvideo-Lernplattform müsse in diesem Zusammenhang jedoch durchaus kritisch hinterfragt werden, handle es sich bei YouTube doch in erster Linie „um eine kommerzielle Plattform, die Werbeeinnahmen maximieren will[,] und keine altruistische Lernplattform“ (Karsten D. Wolf in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 56). In Abschnitt 2.3.8 wird dieses Thema erneut aufgegriffen und diskutiert.

Neben großen, weltweit genutzten Online-Videoportalen entstanden infolge der zunehmenden Beliebtheit von Erklärvideos auch Angebote, die sich ausschließlich auf das Medium Erklärvideo beschränken. Hierbei lässt sich zwischen nicht-kommerziellen und kommerziellen Anbietern unterscheiden. Als prominentes Beispiel eines frei zugänglichen Erklärvideo-Portals kann die „Khan Academy“ genannt werden. Die von Sal Khan gegründete Onlineplattform gilt als das erste Erklärvideo-Portal der Welt (P. Anders et al., 2019). Auf der Website der Khan Academy finden sich neben einer großen Anzahl englischsprachiger Videos auch einige deutschsprachige Erklärvideos (Khan Academy, o. J.). Auch TEDFootnote 16, ein Veranstalter von Innovationskonferenzen, bietet auf seiner Website „TED-Ed“ selbst produzierte Erklärvideos an. TED-Ed stellt seine aufwendig produzierten Erklärvideos – manche davon auch in deutscher Sprache – im Internet frei zugänglich zur Verfügung (TED-Ed, o. J.). Bei den kommerziellen Anbietern ist für den deutschsprachigen Raum vor allem das Unternehmen „Sofatutor“ von Relevanz für die Grundschule. Auf dessen Website werden Erklärvideos für unterschiedliche Unterrichtsfächer angeboten, auch speziell für den Sachunterricht (Sofatutor, o. J.). Lehrer*innen können bei Sofatutor zum Zeitpunkt der vorliegenden Untersuchung einen kostenlosen Zugang beantragen, der ihnen den uneingeschränkten Zugriff auf alle Inhalte erlaubt, Lernende wiederum können nur über ein kostenpflichtiges Abo-Modell auf die Inhalte zugreifen. Begleitend zu den Videos stellt Sofatutor auch Übungsmaterialien und weiterführende Informationsangebote zum Download bereit.

Eine weitere Quelle für Erklärvideos stellen die Angebote von Schulbuchverlagen dar. Manche Verlage veröffentlichen ihre Inhalte kostenlos – z. B. über entsprechende YouTube-Kanäle – oder vergeben die Zugänge zu ihren Erklärvideos in Verbindung mit den entsprechenden Schulbüchern. Andere Verlage verkaufen ihre Erklärvideos hingegen (einzeln oder paketweise) in ihren Onlineshops (Auer, o. J.; Cornelsen, o. J.; Westermann, o. J.).

Auch öffentlich-rechtliche Fernsehsender stellen ihre Beiträge aus dem Bildungsfernsehen im Internet zur Verfügung. In vielen Fällen geschieht die Veröffentlichung über hauseigene Mediatheken oder über spezielle Mediatheken für Kinder, wie es z. B. bei den Lach- und Sachgeschichten der „Sendung mit der Maus“ der Fall ist (WDR, o. J.). Um ein breiteres Publikum zu erreichen, teilen mache Sender ihre Inhalte – oder Teile davon – auch über entsprechende YouTube-Kanäle. „Die öffentlich-rechtlichen Sender können hier ihre Kompetenz, hochwertiges audiovisuelles Material zu produzieren und in fernseh- und onlinetauglichen Formaten umzusetzen, […] einbringen“ (Schlote, 2015, S. 23). Dorgerloh und Wolf (2019, S. 187) gehen mit ihrer Forderung nach einer umfassenden Zurverfügungstellung der produzierten Fernsehformate noch einen Schritt weiter und verlangen, dass „sämtliche Wissenssendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens […] mit CC0Footnote 17-Lizenzen für Schulen bereitgestellt werden“.

In Deutschland verteilen einige Bundesländer selbst produzierte Erklärvideos auch über deren Bildungsserver bzw. Landesmedienzentren (z. B. Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt, o. J.; Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, o. J.; Landesmedienzentrum Bayern, o. J.). Der Zugang zu diesen Videos ist dabei meist nur den Lehrer*innen des jeweiligen Bundeslandes gestattet. Auch das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) stellt in seiner Mediathek Erklärvideos zur Verfügung (FWU, o. J.). Die dort veröffentlichten Inhalte können jedoch erst nach dem Erwerb einer Jahreslizenz genutzt werden. Dorgerloh und Wolf (2019, S. 187) fordern in diesem Zusammenhang die „Einrichtung eines zentralen Bundesbildungsservers inklusive einer nationalen Bildungsmediathek für Lerninhalte mit geregelten Nutzungsrechten statt 16 verschiedene Systeme“.

Das österreichische Bildungsministerium betreibt in Kooperation mit dem Österreichischen Rundfunk (ORF) die Videoplattform „Edutube“ (BMBWF, o. J.). Auf dieser Website können alle Lehrer*innen aus Österreich nach kostenloser Registrierung auf verschiedene audiovisuelle Bildungsmedien zugreifen, darunter ist auch eine Auswahl an Erklärvideos. Zusätzlich existieren – ähnlich wie in Deutschland – auch Angebote der Bildungsserver einzelner Bundesländer bzw. Bildungseinrichtungen.

Die verschiedenen Bezugsquellen und die damit einhergehenden Unterschiede hinsichtlich der Zugänglichkeit, Qualität und Quantität der Angebote verlangen von Lehrkräften differenzierte Herangehensweisen bei der Suche nach passenden Erklärvideos für die entsprechenden Unterrichtszwecke. Die große qualitative Bandbreite unterstreicht auch die Wichtigkeit von begründeten Qualitätskriterien, anhand derer Lehrer*innen eine entsprechende Beurteilung der gefundenen Videos vornehmen können. Wie Lehrkräfte bei der Beschaffung von Erklärvideos vorgehen, soll – wie auch die Strategien hinsichtlich der Qualitätsbewertung der Videos – im Rahmen der empirischen Untersuchung in dieser Arbeit geklärt werden. Im nächsten Kapitel werden zunächst noch mögliche Einsatzszenarien für die Arbeit mit Erklärvideos im Unterrichtskontext betrachtet.

2.3.7 Einsatzmöglichkeiten von Erklärvideos im Unterricht

Um die Einsatzmöglichkeiten von Erklärvideos für Unterrichtszwecke auszuloten, hilft in einem ersten Schritt die Betrachtung der Frage, wer die potenziellen Gestalter*innen und wer die Rezipierenden von Erklärvideos sind. Tabelle 2.7 verdeutlicht, dass Erklärvideos nicht bloß als Lehrmedium in den Händen der Lehrer*innen liegen oder als Lern- bzw. Arbeitsmittel für Schüler*innen Einsatz im Unterrichtsgeschehen finden können. Auch der Produktionsprozess von Erklärvideos selbst bietet sich im Unterricht als vielschichtiger Lernanlass an. „Das Erstellen von Erklärvideos durch Schülerinnen und Schüler kann als vertiefende Lernstrategie verstanden werden. […] Um ein Erklärvideo zu erstellen, muss man das zu Erklärende zuerst einmal selbst verstanden haben.“ (Wolf & Kulgemeyer, 2016, S. 37) Darüber hinaus würden die Medien- und die Kommunikationskompetenzen der Kinder und Jugendlichen geschult. Die einfach zu verstehenden technischen Grundvoraussetzungen ermöglichen es auch Grundschulkindern, selbst Videos zu erstellen. Die Gestaltung von Erklärvideos würde Kindern „einen idealen Rahmen für die Entwicklung der audio-visuellen Literalität des Erklärens und Präsentierens [bieten], welche im Kontext der […] Diskussion um ‚new media literacy‘ und ‚21st-Century Skills‘ als eine zentrale Zukunftskompetenz zu verstehen ist“ (Wolf & Kratzer, 2015, S. 30). In der Didaktik des Sachunterrichts wird hierfür der umfassendere Begriff der „digital literacy“ gebraucht (Peschel, 2022).

Tabelle 2.7 Einsatzmöglichkeiten von Erklärvideos (Wolf & Kulgemeyer, 2016)

Aus mediendidaktischer Perspektive lässt sich der Einsatz von Erklärvideos im Unterricht anhand der vier Konzepte der Medienverwendung betrachten (Tulodziecki, 2014):

  1. a)

    Im Sinne des Lehrmittelkonzepts können Erklärvideos als Hilfsmittel für die Hand der Lehrkraft verstanden werden. Die Videos könnten z. B. zur Einführung in ein Thema, zur Zusammenfassung etc. vorgezeigt werden.

  2. b)

    Gemäß dem Arbeitsmittelkonzept können Erklärvideos als Lernmaterialien für die selbstständige Beschäftigung der Kinder mit unterschiedlichen Inhalten bzw. zur Erarbeitung ebendieser eingesetzt werden.

  3. c)

    Laut Bausteinkonzept können umfangreiche Erklärvideos mit ihrer eigenen didaktischen Struktur auch größere Teile des Unterrichtsgeschehens abdecken.

  4. d)

    Im Systemkonzept, in dem der Unterricht durch Medienverbünde abgedeckt wird, können Erklärvideos einen Teil solcher Medienverbünde darstellen, die z. B. um Sachtexte und Lernspiele ergänzt werden.

Tulodziecki (2014, S. 424) hält hierzu fest, dass für die Primarstufe „vor allem die ersten drei Konzepte von Bedeutung“ seien, „und von diesen insbesondere das Arbeitsmittelkonzept“, da dem „selbsttätigen Lernen […] in der Grundschule ein hoher Stellenwert beigemessen“ werde. Ein weiteres mediendidaktisches Konzept, welches noch stärker auf das selbsttätige Lernen abziele, beschreibt Tulodziecki (2014, S. 425) in Form des „Lernumgebungskonzepts“: „Es soll – ausgehend von entwicklungsangemessenen Aufgaben bzw. Problem- und Fragestellungen – als Auseinandersetzung mit Lerninhalten in geeigneten Lernumgebungen organisiert werden. Elemente einer solchen Lernumgebung können u. a. verschiedene mediale Angebote sein […].“ Erklärvideos könnten als Teil des Medienangebots in Lernumgebungen Kindern als Informationsquelle dienen bzw. zentrale Sachverhalte verständlich darstellen. Die Videos könnten dabei entweder von der Lehrkraft vorgegeben werden oder von den Lernenden selbst im Internet gesucht werden, z. B. über entsprechende Kindersuchmaschinen. Alternativ könnten die Kinder im Zuge der Auseinandersetzung mit einem Thema oder einer Fragestellung auch ein eigenes Erklärvideo – als Produkt bzw. Dokumentation ihrer Arbeit – erstellen (Wolf & Kulgemeyer, 2016).

Bei der Arbeit mit Erklärvideos sei jedoch zu beachten, dass „Erklärvideos […] – wie auch Lehrererklärungen – nicht per se lernwirksam [sind]; sie müssen geeignet in den Unterricht eingebettet werden“ (Wolf & Kulgemeyer, 2016, S. 39). Bei klassischen Erklärungen ist die Lernwirksamkeit vor allem dann hoch, wenn die Lehrer*innen unmittelbar auf Fragen der Schüler*innen eingehen können. Dies ist in einem vorproduzierten Erklärvideo nicht möglich. Um dem Problem der fehlenden Interaktivität von Erklärvideos zu begegnen, haben Lehrer*innen allerdings unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten: Eine Lösung stellt das Anbieten mehrerer unterschiedlich konzipierter Erklärvideos dar, aus denen die Schüler*innen selbst auswählen können. „Hier wechselt also bei Verständnisproblemen nicht der Erklärer den Erklärungsansatz – sondern der Rezipient den Erklärer bzw. Erkläransatz.“ (Wolf & Kulgemeyer, 2016, S. 39) Ein Weg, um Erklärvideos interaktiver zu gestalten und damit einer möglichen Passivität der Lernenden beim Ansehen der Videos entgegenzuwirken, wäre die Einbindung interaktiver Elemente an bestimmten Stellen der Videos. Dies kann etwa mithilfe des kostenlosen Tools „H5P“ geschehen, über das Notizen, weiterführende Informationen, Fragen und Ähnliches in ein bestehendes Video eingebunden werden können (H5P, o. J.). Auch das in Abschnitt 2.2.3 angesprochene ICAP-Modell verweist darauf, dass die interaktive Beschäftigung mit einem Lernmedium einen höheren Lernzuwachs bedingt als eine passive Auseinandersetzung. Chi und Wylie zufolge (2014, S. 221) wären die unterschiedlichen Aktivitätskategorien in Hinblick auf das Lernen mit Erklärvideos folgende:

  • Passives Betrachten: Das Anschauen des Erklärvideos erfolgt ohne ergänzende Aktivitäten.

  • Aktive Beschäftigung: Das Erklärvideo wird von den Lernenden manipuliert (Pausieren, Vor- oder Zurückspulen).

  • Konstruktive Gestaltung: Zentrale Konzepte bzw. Inhalte aus dem Video werden von Lernenden in eigenen Worten wiedergegeben.

  • Interaktiver Austausch: Lernende kommunizieren mit einem Gegenüber über das Video, begründen ihre Standpunkte und arbeiten Besonderheiten der im Video behandelten Thematik heraus.

Wie bereits angesprochen, sollten Erklärvideos im Unterricht nie „allein stehen“, sondern „immer durch Transfer- und Übungsphasen ergänzt werden“ (Wolf & Kulgemeyer, 2016, S. 40). Erst dadurch könnten die Videos zu einem lernwirksamen Unterrichtsmedium werden. Bereits eine einfache Fragerunde im Anschluss an das gemeinsame Ansehen eines Erklärvideos kann Lernende zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit den Videoinhalten anregen. Alternativ könnten die Kinder auch dazu angehalten werden, die Inhalte des Videos in eigenen Worten wiederzugeben, womit auch der bereits angesprochenen Gefahr einer Verständnisillusion (siehe Abschnitt 2.3.2) entgegengewirkt werden könnte. Neben dem Einsatz in gebundenen Unterrichtsphasen bzw. in Freiarbeitsphasen könnten Erklärvideos auch für die Bearbeitung von Inhalten zu Hause eingesetzt werden. Hier könnten Erklärvideos z. B. als Teil eines „Flipped Classroom“-Unterrichtskonzepts dafür genutzt werden, dass sich die Schüler*innen außerhalb des Unterrichts „über das Erklärvideo Wissen an[eignen], das dann im Schulunterricht gemeinsam anwendungsbezogen vertieft und problematisiert wird“ (P. Anders et al., 2019, S. 266). Ein Vorteil, den Erklärvideos hier bieten, ist die einfache Umsetzung von Differenzierungs- und Individualisierungsmaßnahmen, denn „der Pool an zur Verfügung stehenden Videos lässt dies bei vielen Themen leicht zu“ (Wolf & Kulgemeyer, 2016, S. 40).

Nach der Betrachtung unterschiedlicher Möglichkeiten, wie Erklärvideos in den Unterricht eingebunden werden können, soll nun noch ein Blick auf kritische Aspekte des Einsatzes audiovisueller Unterrichtsmedien geworfen werden. Über die Darstellung des wissenschaftlichen Diskurses hierzu soll geklärt werden, was gegen einen Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht sprechen könnte.

2.3.8 Kritik am Einsatz audiovisueller Unterrichtsmedien

Der anhaltende Trend hin zu einer verstärkten Nutzung audiovisueller Lehr- und Lernmedien und die damit einhergehende potenzielle Bevorzugung gegenüber anderen Unterrichtsmedien machen auch eine kritische Betrachtung dieser Entwicklungen erforderlich. Die mediendidaktische Forschung beschäftigt sich in Hinblick auf Erklärvideos – wie auch bei anderen Unterrichtsmedien – mit der Frage, was das Medium zu leisten vermag und wo mögliche Probleme im schulischen Einsatz liegen könnten. In diesem Kapitel sollen kritische Aspekte der Hinwendung zu audiovisuellen Medien diskutiert werden.

Wie bereits in der Einleitung (Abschnitt 1.1) erwähnt, sieht Schneider (2018, S. 200) ein allgemeines Problem bildungstechnologischer Trends darin, dass „sie sich vor allem auf das Machbare und nicht auf das didaktisch Sinnvolle konzentrieren“. Auch Weidenmann (1996) hält fest, dass die didaktische Gestaltung bzw. die Instruktionsmethode für den Lernerfolg grundsätzlich wichtiger sei als das Instruktionsmedium. Vor diesem Hintergrund ist auch die in dieser Arbeit verfolgte Fragestellung nach dem didaktischen Umgang mit dem audiovisuellen Medium Erklärvideo zu verorten. Dennoch ist der Blick auf Möglichkeiten und Grenzen des Mediums selbst von Bedeutung bzw. eine Betrachtung jener Medien, die durch die Hinwendung zu audiovisuellen Medien seltener eingesetzt werden. Hierzu nennt Schneider (2018, S. 206) einige entscheidende Vorteile textbasierter Unterrichtsmedien, die im Zuge der zunehmenden Verwendung audiovisueller Medien ins Hintertreffen geraten sind: „Qualifizierte Lernende lesen etwa dreimal so schnell, wie gesprochene Informationen abgegeben werden. Überdies kann man zwar ‚Querlesen ‘ [,] aber nicht ‚Querhören‘.“ Dieses Argument mag für die Primarstufe weniger Gewicht haben als für Lernende der Sekundarstufe, dennoch zeigt sich, dass auch textbasierte Unterrichtsangebote entscheidende Vorteile gegenüber audiovisuellen Medien haben, gerade wenn es um die Steuerung der Informationsaufnahme geht.

Renkl et al. (2006) halten als weiteren Kritikpunkt fest, dass Lernende bei instruktionalen Erklärungen – die auch ein wesentlicher Bestandteil von Erklärvideo sind – eine passive Rezipierendenhaltung einnehmen könnten, die sich wiederum negativ auf den Lernerfolg auswirken kann (siehe dazu Abschnitt 2.3.2). Preuß und Kauffeld (2019, S. 407) halten in diesem Zusammenhang fest, dass beim Betrachten von Erklärvideos durchaus „die Gefahr der zu passiven Haltung (‚lean back‘) der Lernenden aufgrund mangelnder Interaktivität“ bestehe. Eine mögliche Lösung sehen sie unter anderem darin, die Lernenden „einen individuellen Weg durch mehrere verknüpfte Videos bahnen“ zu lassen (Preuß & Kauffeld, 2019, S. 407).

In diesem Kontext ist auch ein strukturimmanentes Problem von Erklärvideos erwähnenswert: „Erklären geht eigentlich nur als dialogischer Prozess, ist also ein ständiges Rückversichern: Verstehen die Lernenden die Begriffe, entwickeln sie korrekte Modelle, ziehen sie die richtigen Schlüsse draus.“ (Karsten D. Wolf in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 121) Dies ist bei einem vorproduzierten Erklärvideo nicht möglich und muss dementsprechend bereits bei den pädagogisch-didaktischen Vorüberlegungen hinsichtlich der Einbindung der Videos ins Unterrichtsgeschehen berücksichtigt werden. Andernfalls könnten Erklärvideos bei den Kindern u. a. zu einer „illusion of knowing“ (Glenberg et al., 1982) führenFootnote 18. „The illusion of knowing is the belief that comprehension has been attained when, in fact, comprehension has failed.“ (Glenberg et al., 1982, S. 597) Die „illusion of knowing“ beschreibt also die Diskrepanz zwischen dem subjektiven Gefühl, informiert zu sein bzw. über einen Sachverhalt Bescheid zu wissen, und dem objektivierbaren Grad des tatsächlich vorhandenen Wissens, etwa wenn es darum geht, das Wissen in der Praxis anzuwenden. Es konnte nachgewiesen werden, dass diese Verständnisillusion gerade bei der Nutzung audiovisueller Medien sehr hoch sein kann: Bei einer Untersuchung von über 800 Rezipierenden von Informationssendungen wurde festgestellt, dass nur 20 % der Inhalte tatsächlich behalten wurden. „Im krassen Gegensatz dazu steht die Meinung von 80 Prozent der Zuschauer, die Sendungen seien informativ und verständlich.“ (Weidenmann, 2006, S. 455) Hier sei die Lehrkraft gefragt, die Verstehensprozesse der Kinder zu diagnostizieren und darauf gezielt zu reagieren. „Diese Verantwortung nimmt einer Lehrkraft auch das beste Video nicht ab.“ (Kulgemeyer, 2019, S. 75)

Audiovisuelle Medien sind als Subkategorie digitaler Medien auch mit allgemeinen Vorwürfen hinsichtlich der „Unterlegenheit“ medienvermittelter Wahrnehmungen konfrontiert: „Digitale Medien ermöglichen den vereinfachten, medienvermittelten Zugriff auf Natur und Kultur. Diese Form der digitalen Substitution […] wird aber gegenüber der multisensoriellen Wahrnehmung einer analogen und kopräsenten Realität als prinzipiell minderwertig eingeordnet“ (Wolf, 2018, S. 100). Gerade in reformpädagogischen Unterrichtssettings würde digitalen Medien deshalb vielfach Ablehnung entgegengebracht (Wolf, 2018).

Auch die Frage nach der Nachhaltigkeit audiovisueller Bildungstechnologien wird kritisch betrachtet:

„Ein weiterer Nachteil von Video als Bildungstechnologie ist, dass die großen Datenmengen, die es für das Streaming von Videos braucht, nicht besonders gut für die Umwelt sind. Ist die Bereitstellung von Erklärvideos in 20 Jahren noch nachhaltig […]? Viele der Informationen könnte man ja auch mit deutlich geringeren Datenraten als Text und Bilder vermitteln. Müssen es immer Videos sein?“, fragt hierzu etwa Neil Selwyn (in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 61).

Wenn es darum geht, Erklärvideos für den Unterricht selbst zu produzieren, müsse wiederum kritisch hinterfragt werden, „ob der zusätzliche Aufwand [hinsichtlich Kosten bzw. Zeit, S. M.] in einem vertretbaren Verhältnis zum zusätzlichen Lernerfolg“ stehe (Schneider, 2018, S. 206). Auch bei professionellen Erklärvideoproduktionen bestehe die Gefahr, dass die zur Verfügung stehenden Mittel nicht didaktisch sinnvoll bzw. zielführend eingesetzt werden: „Offensichtlich wird die mediale Gestaltung häufig von Medienexperten betreut, die eher aus der Werbung als aus dem didaktischen Bereich kommen. […] Das heißt, mit großem finanziellem Aufwand wird eine didaktisch völlig sinnlose Situation illustriert, die auch nicht anschlussfähig ist.“ (Schneider, 2018, S. 206) Und selbst bei gestalterisch gelungenen Erklärvideos müsse Schneider zufolge (2018, S. 206) die Frage gestellt werden, inwiefern „der Aufwand den zusätzlichen Nutzen rechtfertigt“.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die oft mangelhafte Qualität von Erklärvideos. Die große Auswahl und die thematische und gestalterische Vielfalt bergen hier auch eine Reihe von Gefahren: „Fachliche Fehler finden sich genauso wie schlechte Vermittlungskonzepte, umständliche Erklärungsansätze sowie unpassende Metaphern“ (Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 9). Schmeinck (2023, S. 220) kritisiert in diesem Zusammenhang das Fehlen einer Qualitätskontrolle etwa auf YouTube, weshalb sich dort „zahlreiche Videos [finden], in denen z. B. falsche Daten, fehlerhafte Informationen o.Ä. vermittelt werden“. Den Vorwurf der mangelnden Qualität müssen sich jedoch nicht nur selbst produzierte Erklärvideos auf YouTube gefallen lassen, sondern auch jene von mehrfach ausgezeichneten Anbietern wie z. B. der Khan-Academy. „Eine Analyse zufällig ausgewählter Videos […] zeigt allerdings Realisierungen, die weder technisch noch didaktisch als gelungen bezeichnet werden können.“ (Schneider, 2018, S. 204) Auch die Ansicht einiger Lehrkräfte, YouTube wäre aufgrund der vielen verfügbaren Erklärvideos mit einer Lernplattform gleichzusetzen, sollte kritisch hinterfragt werden. „Wenn man etwas lernen möchte und dazu einen Suchbegriff auf YouTube eingibt, produziert YouTube eine geordnete Liste von Suchresultaten. Damit entsteht ein algorithmisches Curriculum, weil die überwiegende Mehrheit der Benutzer/innen die ersten Einträge auf dieser Liste öfter anklickt als weiter unten angezeigte Videos.“ (Karsten D. Wolf in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 56) Neben einem Algorithmus, der die Videos nach kommerziellen Interessen und persönlichen Vorlieben sortiert, steht auch der „YouTube-Stil“ in der Kritik: „Teilweise wird an YouTube-Erklärvideos kritisiert, dass der Unterhaltungswert vor den eigentlichen Erklärwert gestellt wird, um mehr Videoaufrufe zu bekommen.“ (Karsten D. Wolf in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 57) Diesen ungeschriebenen Regeln würden sich viele Erklärvideo-Gestalter*innen – ungeachtet deren didaktischer Sinnhaftigkeit – unterwerfen, „um den Erwartungen des Publikums auf YouTube zu entsprechen“ (Neil Selwyn in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 57).

Zudem würden sich „Grenzen von Erklärvideos“ (Karsten D. Wolf in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 125) auch hinsichtlich der Unterrichtsinhalte feststellen lassen. Nicht alle Themengebiete würden sich für die Aufbereitung bzw. Darstellung in Form eines Erklärvideos gleichermaßen eignen, manches könne z. B. in Textform besser erfasst werden. „Videos haben immer da einen großen Vorteil, wo es um Prozesse geht. In einem zeitabhängigen Medium kann ich eben Prozesse besonders gut darstellen.“ (Christian Spannagel in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 125)

Mit diesem Exkurs zu kritischen Aspekten der Nutzung von Erklärvideos wird die theoretische Betrachtung des audiovisuellen Unterrichtsmediums abgeschlossen. Das folgende Kapitel fasst die zentralen Erkenntnisse der bisher erfolgten theoretischen Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand zusammen.

2.4 Zusammenfassende Überlegungen

„Erklärvideos tragen zu einer gemeinsamen und diskursiven Erschließung von Wissen und Handlungsräumen in einer kreativen und spielerischen Weise bei, welche neue Bildungswege eröffnen.“ (Wolf, 2015a, S. 36)

Die Ausführungen zum Sachunterricht, zum Lehren und Lernen mit Medien allgemein und speziell zum Unterrichtsmedium Erklärvideo geben bereits Anhaltspunkte dafür, wie der Umgang mit dem audiovisuellen Medium im Sachunterricht erfolgen kann. Die theoretischen Betrachtungen verdeutlichen einerseits Möglichkeiten, die der Einsatz von Erklärvideos für den Sachunterricht eröffnen kann, andererseits aber auch erste Grenzen eines didaktisch sinnvollen Umgangs mit dem Medium. Anhand von vier Fragestellungen sollen nun zentrale Erkenntnisse zusammengefasst werden. Diese Erkenntnisse stellen mit den Ergebnissen der empirischen Untersuchung wichtige Bezugspunkte für die abschließende Betrachtung der didaktischen Zweckmäßigkeit des Erklärvideoeinsatzes im Sachunterricht dar (siehe Abschnitt 4.2).

2.4.1 Erklärvideos als Mittel zur Welterschließung?

Zu Beginn von Abschnitt 2.1 wurde der zentrale Bildungsauftrag des Sachunterrichts thematisiert. Im Zentrum steht dabei der Leitgedanke, das Fach solle einen grundlegenden Beitrag zur Allgemeinbildung der Heranwachsenden leisten. Sachunterrichtsdidaktiker*innen sehen die Aufgabe des Sachunterrichts darin, Kindern eine Unterstützung bei der Erschließung ihrer Lebenswelt und der darin auftretenden Phänomene zu geben. Anders als in der Sekundarstufe, wo die Domänen, die im Sachunterricht vereint sind, in einzelne Fachgegenstände aufgegliedert werden, bietet der Sachunterricht in der Volks- bzw. Grundschule die Möglichkeit, bereichsübergreifend und -verbindend zu arbeiten und relevante Themen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Wenn die Erschließung der Lebenswelt bzw. das Lernen über diese – im Sinne einer konstruktivistischen Sicht auf das Lernen – ausschließlich durch die Lernenden selbst erfolgen kann, benötigen die Kinder neben der Unterstützung und Anleitung durch die Lehrkraft vor allem auch qualitätsvolle Arbeitsmittel, mit denen sie sich zentrale Inhalte selbstständig erarbeiten können. Für die Umsetzung anregender Lernumgebungen sind didaktisch gut aufbereitete Unterrichtsmedien von zentraler Bedeutung. In Hinblick auf das Medium Erklärvideo stellt sich damit die Frage, was das audiovisuelle Unterrichtsmedium als Mittel zur Welterschließung für die Lernenden zu leisten vermag.

Didaktisch und gestalterisch gut aufbereitete Erklärvideos können für Kinder eine Unterstützung darstellen, lebensweltliche Phänomene und Zusammenhänge bewusst wahrzunehmen und Schritt für Schritt zu durchdringen, was einer zentralen Aufgabe des Sachunterrichts – „Über Bestehendes aufklären – Verstehen unterstützen“ (Kahlert, 2022, S. 26) – entspricht. Vor allem hinsichtlich der Darstellung von Sachverhalten, die sich nicht unmittelbar beobachten lassen, kann durch Erklärvideos „das ‚Nicht-Sichtbare sichtbar‘ gemacht“ werden (Rumpf & Winter, 2019, S. 6). Neben dem Vermitteln von Faktenwissen ist unter anderem auch das Anbahnen entsprechender Einstellungen und Haltungen Aufgabe des Sachunterrichts. Hierzu konnte in lernpsychologischen Untersuchungen festgestellt werden, dass sich Filmmedien besonders für den Transport von Emotionen eignen (Sailer & Figas, 2015; Wolf, 2015b). Entsprechende Erklärvideos können demnach auch ein begleitendes Medium für die Entwicklung von Haltungen und Einstellungen der Kinder gegenüber ihrer Sachwelt oder ihrer sozialen Umwelt darstellen. Damit kann mit Erklärvideos auch ein Beitrag zur Persönlichkeitsbildung der Kinder geleistet werden. Auch Kahlerts (2022, S. 26) Anspruch, der Sachunterricht müsse Kinder „[f]ür Neues öffnen“ und ihnen die Entwicklung neuer Interessen ermöglichen, lässt sich über entsprechend aufbereitete Erklärvideos anbahnen. Der Umstand, dass Tutorials auf YouTube und anderen Online-Videoportalen ein beliebtes Subgenre von Erklärvideos darstellen (Wolf, 2015c), verdeutlicht, dass das audiovisuelle Medium auch dazu genutzt wird, konkrete Handlungsanweisungen zu erlernen. Erklärvideos können im Sachunterricht demnach auch beim Aufbau konkreter Fertigkeiten Einsatz finden.

Wie die Ausführungen verdeutlichen, kann dem audiovisuellen Unterrichtsmedium Erklärvideo im Sachunterricht eine unterstützende Funktion bei der Umsetzung grundlegender Aufgaben und Ziele des Unterrichtsfachs zukommen. Erklärvideos, die unter Berücksichtigung der in Abschnitt 2.3.5 behandelten Qualitätskriterien gestaltet sind, können Kinder sowohl bei der Anbahnung sachbezogener Verstehensprozesse unterstützen als auch einen Beitrag für die Persönlichkeitsentwicklung der Lernenden leisten. Damit kann das audiovisuelle Medium den Kindern Einsichten eröffnen und ihnen als Hilfestellung dienen, sich zunehmend besser in ihrer Lebenswelt zu orientieren bzw. diese in weiterer Folge auch aktiv mitzugestalten. Ob Sachunterrichtslehrer*innen eine derartige Sichtweise auf das Unterrichtsmedium Erklärvideo teilen, soll im Rahmen der qualitativ-empirischen Untersuchung beforscht werden. Im nächsten Teil wird der Frage nachgegangen, inwiefern Erklärvideos als didaktisches Werkzeug im Zuge der Unterrichtsgestaltung genutzt werden können.

2.4.2 Erklärvideos als didaktisches Werkzeug?

Wie soeben beschrieben, können Erklärvideos für Lernende ein unterstützendes Medium bei der Erschließung ihrer Lebenswelt darstellen. Doch auch für Lehrkräfte kann das Unterrichtsmedium als Werkzeug dienen, wenn es darum geht, einen Sachunterricht zu gestalten, der seinem umfassenden Bildungsanspruch gerecht zu werden versucht. Gerade wenn Lehrer*innen versuchen, die wechselseitige Berücksichtigung der vier leitenden Prinzipien des Sachunterrichts nach Köhnlein (1996) sicherzustellen, könnten Erklärvideos ein nützliches Instrument sein:

  • Kindgemäßheit: Die Vielfalt verfügbarer Erklärvideos ermöglicht es Lehrkräften, eine Medienauswahl zu treffen, die dem Entwicklungsstand, den Bedürfnissen, Vorerfahrungen und Interessen der Lernenden entspricht. Zusätzlich nutzen die Möglichkeiten der synchronen Repräsentation visueller und auditiver Signale die verfügbaren Verarbeitungskanäle des menschlichen Gehirns in optimaler Weise.

  • Sachgemäßheit: Qualitätsvolle Erklärvideos können durch ihre Gestaltungscharakteristika Lerninhalte so aufbereitet darstellen, dass sie den Kindern wissenschaftliche Erkenntnisse nicht bloß „überstülpen, sondern […] mit ihnen Wege gehen, die sie zu Einsichten führen, die sich auch in den Wissenschaften als tragfähig erweisen“ (Köhnlein, 1996, S. 56). Unterschiedliche Visualisierungsvarianten in der Ausgestaltung der Erklärvideos könnten dazu beitragen, komplexe oder abstrakte Sachverhalte der kindlichen Lebens- und Erfahrungswelt nachvollziehbar und in verständlicher Form zu vermitteln. Lehrer*innen, die zu einem bestimmten Thema wenig Wissen haben, können Erklärvideos einsetzen, um die Richtigkeit und Zielgenauigkeit von Erklärprozessen sicherzustellen.

  • Exemplarität: Erklärvideos können auch für die „Konzentration des Unterrichts auf das an Beispielen grundlegend erfahrbare Wesentliche“ genutzt werden (Köhnlein, 1996, S. 59). Das audiovisuelle Medium kann bei exemplarisch ausgewählten Themen unter anderem dafür dienen, grundlegende Kategorien und Muster zu verdeutlichen bzw. zu veranschaulichen und Kinder damit im Sinne der kategorialen Bildung beim Aufbau von Strukturwissen zu unterstützen (Einsiedler, 1992; Klafki, 2007).

  • Genetische Orientierung: In diesem Zusammenhang zeigen sich hinsichtlich der doppelten Anschlussaufgabe des Sachunterrichts mehrere denkbare Einsatzszenarien für das audiovisuelle Medium. Einerseits könnten unterschiedliche Erklärvideos zur Verfügung gestellt werden, um an die individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler*innen anzuknüpfen. Damit würde der Forderung Köhnleins (1996, S. 61 f.) Rechnung getragen, wonach „die Erfahrungen, Vorkenntnisse und Überlegungen der Lernenden konstruktiv“ aufgenommen werden, um „einen Gegenstandsbereich produktiv zu bewältigen“. Auf der anderen Seite lässt sich durch die Erklärvideos auch eine zunehmende „Fächerung“ der Inhalte vorbereiten und – ergänzend zur Darstellung vielperspektivischer Zugänge – die Vielfalt einzelfachlicher Arbeitsweisen zeigen, was wiederum eine Anschlussfähigkeit an die Bezugsdisziplinen und Fächer weiterführender Schulformen ermöglichen kann.

In der Unterrichtsgestaltung können Erklärvideos didaktisch vielseitig eingesetzt werden, in Abschnitt 2.3.7 wurde darauf bereits eingegangen. Die verschiedenen Einsatzbereiche, die hohe Verfügbarkeit an frei zugänglichen Erklärvideos und die zunehmend einfacher werdenden technologischen Möglichkeiten, Erklärvideos selbst zu erstellen, machen das Medium zu einem beliebten Unterrichtsmittel. Fragen nach den pädagogischen Motiven und konkreten didaktischen Überlegungen hinter dem Erklärvideoeinsatz sollen im Rahmen der empirischen Untersuchung beantwortet werden. Doch Erklärvideos können nicht nur ein didaktisches Werkzeug darstellen, sondern auch eine unterstützende Funktion bei der Gestaltung des Sachunterrichts haben. Im Folgenden soll darauf genauer eingegangen werden.

2.4.3 Erklärvideos als Unterstützungssystem für Lehrkräfte?

Der Sachunterricht und seine Didaktik stellen ein komplexes und herausforderndes Betätigungsfeld für Volks- bzw. Grundschullehrer*innen dar. Zur Umsetzung der breit gefächerten Aufgaben und Ziele benötigen Lehrkräfte Unterstützungssysteme unterschiedlicher Art. Neben klassischen Fort- und Weiterbildungsangeboten für Lehrkräfte können auch mediale Angebote – und hier speziell Erklärvideos – eine schnell verfügbare Hilfestellung bei der Ausgestaltung und Verbesserung sachunterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse darstellen.

Erklärvideos können Sachunterrichtslehrkräften z. B. dazu dienen, verschiedene Erkläransätze zu einem speziellen Themenbereich kennenzulernen, um daraus den für die entsprechenden unterrichtlichen Rahmenbedingungen am besten geeigneten Ansatz für die eigene Klasse auszuwählen. Durch die Analyse gestalterischer Aspekte spezieller Erklärvideos können Lehrkräfte auch Möglichkeiten hinsichtlich der Veranschaulichung spezieller Inhalte für den eigenen Unterricht ableiten. Erklärvideos anderer Lehrer*innen können zum Sammeln didaktischer Ideen genutzt werden, die wiederum den eigenen Sachunterricht bereichern. „Man schaut sich an, wie Kollegen ein Thema präsentieren, einführen, erklären, welche Experimente durchgeführt werden, welche Metaphern verwendet und welche Argumente genutzt werden.“ (Wolf & Kulgemeyer, 2016, S. 36)

Online-Videoportale wie YouTube bieten die Möglichkeit, mit den Erstellenden von Erklärvideos Kontakt aufzunehmen und in einen informellen Austausch zu treten. Bei offenen Fragen können die Lehrer*innen damit gegebenenfalls direkt mit den Erklärvideo-Produzierenden sprechen. Mittels Kommentarfunktion unter den Videos können sich auch Interessierte finden, die miteinander spezielle Themen (weiter-)diskutieren und sich vernetzen. Gute Erklärvideos können in Linksammlungen gespeichert und in der Schule, im Bekanntenkreis oder – z. B. über Online-Bookmarking-Dienste – im Internet zur Verfügung gestellt werden bzw. ausgetauscht werden (Wolf & Kulgemeyer, 2016).

Bisher wurde empirisch noch nicht untersucht, ob bzw. wie Sachunterrichtslehrer*innen von Erklärvideos anderer Lehrkräfte lernen bzw. inwiefern sie die Videos für ihre unterrichtlichen Vorbereitungszwecke nutzen. Auch dieser Frage soll im Zuge der empirischen Studie in dieser Arbeit nachgegangen werden. Vorab soll aber noch geklärt werden, ob Erklärvideos grundsätzlich als lernförderliche Technologie betrachtet werden können.

2.4.4 Erklärvideos als lernförderliche Bildungstechnologie?

Bei der Bewältigung der thematischen Vielfalt des Sachunterrichts, die sich aufgrund der unterschiedlichen Bezugsdisziplinen und Aufgabenfelder ergibt, spielen Lehr- und Lernmedien eine zentrale Rolle. Hinsichtlich der Betrachtung des Unterrichtsmediums Erklärvideo stellt sich in diesem Kontext die Frage, inwieweit das audiovisuelle Medium kindliche Lern- und Verstehensprozesse unterstützen kann – vorausgesetzt, die ausgewählten Erklärvideos sind entsprechend qualitätsvoll gestaltet.

Im Verlauf der vorangegangenen theoretischen Auseinandersetzung wurde auf das Lernen mit Medien eingegangen. Die Erkenntnisse entwicklungs- bzw. kognitionspsychologischer Untersuchungen zeigen, warum audiovisuelle Medien eine unterstützende Wirkung bei Lernprozessen entfalten können: Erklärvideos gehören zur Gruppe der multimedialen Lehr- bzw. Lernmittel, das heißt, sie können durch die multimodale Darstellungsweise der Inhalte unterschiedliche Sinnesmodalitäten (visuell und auditiv) gleichzeitig ansprechen, für die im Gehirn auch zwei separate Verarbeitungskanäle zur Verfügung stehen (Mayer, 2014a). Die audiovisuellen Medien entsprechen damit in idealer Weise den elementaren Informationsaufnahme- und -verarbeitungsprozessen des menschlichen Gehirns. Inwiefern Erklärvideos dieses Potenzial auch nutzen und entfalten können, hängt jedoch von der Gestaltung der Videos (siehe dazu Abschnitt 2.3.4) und von deren entsprechender Einbettung in das Unterrichtsgeschehen ab (siehe Abschnitt 2.3.7). Ein zentraler Aspekt, der hinsichtlich eines lernförderlichen Medieneinsatzes immer wieder genannt wird, ist die Wichtigkeit einer unmittelbaren Weiterverarbeitung der medial vermittelten Inhalte in anschließenden Unterrichtsaktivitäten. Damit soll verhindert werden, dass die Lernenden bloß eine passive Rezipierendenhaltung einnehmen (Renkl et al., 2006), sondern es soll ihnen der Weg dafür geebnet werden, sich die Themen aktiv, selbstständig und handlungsorientiert zu erschließen. Auch Lernpotenziale, die sich daraus ergeben, wenn die Schüler*innen selbst den Erstellungsprozess eines Erklärvideos durchlaufen, wurden im Zuge der Aufarbeitung des gegenwärtigen Forschungsstands diskutiert.

Ein lernförderliches Potenzial, das der Einsatz von Erklärvideos heben kann, betrifft eine stärkere Adaptierbarkeit von Lernmedien. Durch das Bereitstellen von Videos auf unterschiedlichen Niveaustufen bekommen Lernende die Möglichkeit, „bedürfnis- und kenntnisorientiert eigene Lernwege festzulegen“ (Herzig, 2008, S. 522) und sich die für ihre Vorerfahrungen und Zwecke passenden Erkläransätze selbst auszuwählen. Erklärvideos können in diesem Kontext auch zu einer „Dezentralisierung […] von Lernorten“ (Herzig, 2008, S. 522) beitragen, indem sie sich ortsunabhängig – z. B. auch von zu Hause aus – aufrufen lassen, wie es etwa im Zuge der Coronapandemie verstärkt der Fall war. Auch Zander et al. (2020, S. 248) sind der Meinung, Erklärvideos würden „erweiterte Möglichkeiten hinsichtlich der Erreichbarkeit, der zeit- und ortsunabhängigen Abrufbarkeit und damit der Individualisierung und Flexibilisierung von Bildungsangeboten“ bieten. Die in Abschnitt 2.3.7 diskutierten Möglichkeiten, Erklärvideos um interaktive Komponenten (z. B. Zwischenfragen) zu erweitern, können bei einer selbstständigen Erarbeitung von Lerninhalten einen zusätzlichen Beitrag zur Förderung kindlicher Lern- und Verstehensprozesse leisten.

Nach dieser Zusammenschau unterschiedlicher Betrachtungsaspekte zum audiovisuellen Unterrichtsmedium werden im Folgenden offene Fragen zum Einsatz von Erklärvideos im Sachunterricht zusammengetragen, die sich aus der theoretischen Aufarbeitung des Themas ergeben. Diese Fragen finden auch im Leitfaden Berücksichtigung, der im Rahmen der empirischen Untersuchung verwendet wurde (siehe Anhang A im elektronischen Zusatzmaterial).

2.4.5 Offene Fragen zum Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht

Weidenmann zufolge (2006, S. 427) sind für die Betrachtung von Bildungstechnologien vor allem drei Aspekte von Bedeutung:

  • „Das Symbolsystem, mit dem die Botschaft kodiert wurde und in dem sie rezipiert wird,

  • die didaktische Struktur der Botschaft,

  • die Handlungsmöglichkeiten, die das Medium und das mediale Angebot eröffnen.“

In Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem audiovisuellen Medium Erklärvideo verdeutlichen diese drei Aspekte jene Bereiche, die einer genauen Betrachtung zu unterziehen sind. Das Symbolsystem und die didaktische Struktur des Unterrichtsmediums selbst konnten über die theoretische Aufarbeitung der vorhandenen Fachliteratur eingehend beleuchtet werden. Zu den Handlungsmöglichkeiten, konkret zum reflektierten und methodisch-didaktisch begründeten Einsatz von Erklärvideos im Unterrichtsgeschehen, sind die Aussagen im aktuellen Bildungsdiskurs noch recht vage. „Wenn es z. B. um das Lernen des Problemlösens, das Begriffslernen oder das Reflektieren[-L]ernen geht, steht nicht bei allen Lernprozessen eine Erklärung am Anfang. Die Entscheidung für oder gegen Erklärvideos ist abhängig von der jeweiligen didaktischen Strukturierung.“ (Christian Spannagel in Dorgerloh & Wolf, 2019, S. 126) Wie ein didaktisch sinnvoller Einsatz von Erklärvideos im Unterrichtsgeschehen konkret aussehen könnte, wird im wissenschaftlichen Diskurs zum schulischen Erklärvideoeinsatz kaum thematisiert. Konkrete Forschungsbefunde zu den Sichtweisen von Lehrkräften auf den Umgang mit Erklärvideos im Sachunterricht liegen zum Zeitpunkt des Verfassens der vorliegenden Studie nicht vor. Die empirische Untersuchung in dieser Arbeit versucht, diese Forschungslücke zu schließen.

Es kann, die vorhandene Theorie kurz zusammenfassend, festgehalten werden: Erklärvideos sollten – um lernförderlich zu wirken – als selbst ablaufende/pausierbare/wiederholbare multimediale, instruktionale Erklärungen (neben den direkten Erklärungen durch die Lehrkräfte) dort eingesetzt werden, wo Selbsterklärungsversuche der Kinder scheitern. Mithilfe entsprechender Folgeaktivitäten bzw. interaktiver Elemente sollen die Erklärvideos „zu einer Veränderung alter Vorstellungen und Begriffe“ und damit zu einem Wissenszuwachs „durch neue Vorstellungen und Begriffe“ (Kiel, 1999, S. 159) führen, mit dem Ziel, Verstehen zu ermöglichen, zu Handlungen zu befähigen oder die erworbenen Kompetenzen auf andere Problemstellungen übertragen zu können.

Zum derzeit zu beobachtenden Trend der Nutzung von Erklärvideos in Bildungskontexten stellen Dorgerloh und Wolf (2019, S. 7) die Frage: „Wiederholt sich nun das Muster (zu) hohe[r] Erwartung gepaart mit schneller Ernüchterung erneut, wenn es um die stärkere Einbeziehung von Lernvideos in den Schulkontext des 21. Jahrhunderts geht?“ Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, evidenzbasierte Antworten zu geben und damit zu einer reflektierten Mediendidaktik hinsichtlich der Erklärvideonutzung im Sachunterricht beizutragen.

Nach den theoretischen Betrachtungen zum Sachunterricht und zum Unterrichtsmedium Erklärvideo sollen nun durch eine explorative qualitativ-empirische Untersuchung Erkenntnisse darüber erlangt werden, welche Sichtweisen Lehrer*innen auf den Umgang mit dem audiovisuellen Medium im Sachunterricht beschreiben. Dazu sollen – ausgehend von den gewonnenen Einsichten im Rahmen der theoretischen Auseinandersetzung und der dabei identifizierten Forschungslücke – folgende Fragen empirisch untersucht und abschließend mit den theoretischen Erkenntnissen zusammenführend betrachtet werden:

  • Welchen Bildungsanspruch an den Sachunterricht beschreiben die Lehrer*innen und wie beeinflussen diese Zuschreibungen die Auswahl und den Einsatz des Unterrichtsmediums Erklärvideo?

  • Welche Rolle spielen Erklärvideos bei der Auswahl und Aufbereitung von Inhalten für den Sachunterricht?

  • Wie gehen die Lehrkräfte bei der Beschaffung von Erklärvideos für den Sachunterricht vor?

  • Welche (Qualitäts-)Kriterien sind für Lehrer*innen bei der Auswahl von Erklärvideos für den Sachunterricht entscheidend?

  • Mit welchen pädagogischen bzw. didaktischen Begründungen und Zielsetzungen werden Erklärvideos eingesetzt?

  • In welchen didaktischen Rahmen werden Erklärvideos in den Unterrichtsverlauf integriert?

  • Wie werden die Inhalte der Videos mit den Lernenden weiterführend aufgegriffen, bearbeitet bzw. reflektiert?

  • Werden Erklärvideos von Lehrkräften auch für persönliche sachunterrichtliche Vorbereitungs- oder Weiterbildungszwecke genutzt? Wenn ja, warum und in welcher Form?

  • Welche Möglichkeiten sehen Lehrende im Einsatz von Erklärvideos für den Sachunterricht?

  • Wo sehen Lehrer*innen die Grenzen eines pädagogisch zweckmäßigen Einsatzes von Erklärvideos im Sachunterricht?