Konventionen werden definiert als Handlungslogiken, welche es Akteur:innen situativ ermöglichen, sich zu koordinieren und gemeinsame Handlungsabsichten zu verwirklichen (vgl. Diaz-Bone, 2011a: 23). Dabei besteht eine starke wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Akteur:innen sowie Unsicherheit in Bezug auf gegenseitige Erwartungen. Für die Koordination von Handlungen wird als Basis eine Übereinkunft benötigt, was zu tun ist und in welcher Form die Akteur:innen die wechselseitigen Erwartungen erfüllen können (vgl. Storper und Salais, 1997: 15 ff). Akteur:innen beziehen ihre Handlungslogiken zudem aus einem institutionellen Legitimationsgefüge (vgl. Koch, 2022: 152). Die Hochschulweiterbildung folgt einer mehrfachen Systembindung, indem sie sowohl den Funktionslogiken des Hochschul- und Wissenschaftssystems als auch den Wirkungsmechanismen des Weiterbildungsmarktes unterliegt (vgl. Kondratjuk, 2020: 41; Reich-Claassen, 2020: 286, 2016; Tremp, 2020: 131; Zimmermann und Fischer, 2016: 14, 2014; 26; Wolter, 2011: 15; Kloke und Krüken, 2010: 32). In der Folge ist von einem Legitimationsgefüge auszugehen, das unterschiedliche institutionelle Normvorstellungen und Regelungen mitführt (vgl.  Kap. 4.3). Eine erfolgreiche, auf Konventionen basierende Handlungskoordination führt wiederum zu Routinen, die in diesem Legitimationsgefüge als Rechtfertigungen dienen können (vgl. Diaz-Bone, 2011b: 30; Storper und Salais, 1997: 16). Mit der Situation als empirischem Bezugspunkt werden durch die Konventionenökonomie Voraussetzungen für die Analyse von Handlungskoordination in einem solchen institutionellen Bedingungsgefüge geschaffen (vgl. Boltanski und Thévenot, 2018: 45 ff; Diaz-Bone, 2011a: 32, 2011b: 49; Knoll, 2015: 24). Dabei wird davon ausgegangen, dass sich in der Handlungssituation (als kleinste Einheit im institutionellen Legitimationskontext) die durch Konventionen normierten Anforderungen der umgebenden institutionellen Kontexte entsprechend verdichten bzw. spiegeln.

Wie die theoretischen Beiträge aus der Weiterbildungsforschung aufzeigen (vgl. Kap. 2), verändert sich infolge einer stärkeren Orientierung am Weiterbildungsmarkt und dessen Nachfrage das institutionelle Legitimationsgefüge. Es rücken stärker Handlungslogiken in den Vordergrund, die sich an dem Erfolg marktlicher Transaktionen orientieren (vgl. Höhne, 2012a). Zugleich führt die Hochschule als Wissenschaftsinstitution wiederum eigene Handlungslogiken mit sich, die Forschungsfeldern und wissenschaftlichen Schwerpunkten der Hochschule in der Weiterbildungsplanung und -entwicklung folgen (vgl. Tremp, 2020: 133; Reich-Claassen, 2020: 286, 2017; Dick, 2010: 16). Konkurrierende Handlungslogiken bestehen zudem möglicherweise zwischen dem gesellschaftlichen Bildungsauftrag der Hochschule (vgl. Schofer et al., 2021: 3) und einer Weiterbildungsplanung und -entwicklung, die primär einer weiterbildungsmarktbezogenen Verwertungslogik aus Sicht der Nachfrager:innen folgt. Wie bereits in Anlehnung an Storper und Salais (1997) dargelegt (vgl.  Kap. 4.3), verlieren Weiterbildungsprodukte möglicherweise an Bildungsnutzen für die Allgemeinheit, je intensiver dem Paradigma der Nachfrageorientierung gefolgt wird und Themen aufgegriffen werden, die vor allem einer unmittelbaren berufspraktischen Verwertungslogik der Teilnehmenden hochschulischer Weiterbildungen folgen. Hingegen führen zunehmender Wettbewerb und Finanzierungszwänge gegebenenfalls dazu, dass sich die Weiterbildungsplanung und -entwicklung in Konkurrenz zu anderen Weiterbildungsanbieter:innen immer stärker rein nachfrageorientierten Handlungslogiken zuwendet. Dies in der Annahme, sich dadurch Marktanteile und ökonomischen Erfolg zu sichern. Weiterbildungskooperationen mit nicht-hochschulischen Institutionen sind Ausdruck solcher kompetitiver Handlungslogiken (vgl. Alke, 2022: 257). Sie bieten im Sinne einer Wettbewerbslogik die Möglichkeit zur Gewinnung neuer Weiterbildungskund:innen oder auch zur Verbreiterung und Sicherung von Marktanteilen (vgl. Teusler, 2008: 21f).

Die zunehmende Orientierung an weiterbildungsmarktbezogene Handlungslogiken wird als eine Situation gewertet, die das institutionelle Legitimationsgefüge auf den Prüfstand stellt und möglicherweise im Spannungsfeld von Wissenschaftsinstitution und Weiterbildungsmarkt neu definiert (vgl.  Kap. 4.3). Im Sinne der hier hinterlegten Methodologie dienen Konventionen als Rechtfertigungsordnungen, die, wenn sich das Bedingungsgefüge für Handlungen verändert, auch auf gegensätzlichen Polen liegen können. Akteur:innen gelten als kompetent und in der Lage, in Spannungsfeldern mittels Konventionen Konflikte zu mobilisieren und das institutionelle Bedingungsgefüge damit aktiv zu verändern (vgl. Boltanski und Thévenot, 2018: 55; Diaz-Bone, 2011a: 24f; Diaz-Bone und Thévenot, 2010: 5; Eymard-Duvernay, 2011).

Auf der Grundlage aktueller Befunde im Forschungsfeld (vgl. Kap. 2) kann gegenwärtig nicht empirisch gestützt beantwortet werden, inwieweit die Forderung nach einer verstärkten berufspraktischen Orientierung auch tatsächlich einem Bedürfnis aus Sicht der Teilnehmenden hochschulischer Weiterbildungen entspricht, und ob dieses zudem im Widerspruch zu einer an Wissenschaftlichkeit orientierten Weiterbildungsplanung an Hochschulen steht. Zudem ist noch unbeantwortet, ob Planungsverantwortliche der Hochschulweiterbildung in der Folge nur Themen berücksichtigen und in Weiterbildungsangebote überführen, für die es ausreichend zahlungsbereite Interessent:innen gibt. Die theoretischen Ausführungen gelangen zu dem Fazit, dass sich die Handlungslogiken in der Weiterbildungsplanung und -entwicklung zwischen gegenläufigen Polen bewegen und, so die konventionentheoretische Annahme, zwischen diesen Polen neu ausgehandelt werden. Als Ergebnis solcher Aushandlungsprozesse resultieren, im Sinne konventionenökonomischer Äquivalenzordnungen, Re-Kategorisierungen von Qualitätskonventionen (vgl. Kap. 4.3, Abb. 4.3).

Abb. 6.1
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Konkurrierende Handlungslogiken im institutionellen Bedingungsgefüge der Hochschulweiterbildung, eigene Darstellung

Aus den theoretischen Ausführungen dieser Arbeit werden Handlungslogiken abgeleitet (vgl. Abb. 6.1), die als konventionenbezogene Rechtfertigungen für Handlungen in der Weiterbildungsplanung und -entwicklung dienen können. Es wird somit einem deduktiven Ansatz gefolgt. Die in der Abb. 6.1 genannten, unterschiedlichen Handlungslogiken im institutionellen Legitimationsgefüge schliessen an den theoretischen Diskurs an und bilden die Grundlage für die nachfolgende konventionenbezogene Analyse der Weiterbildungsplanung und -entwicklung an Schweizer Hochschulen. Damit werden im Grundsatz zwei Dinge geleistet:

  1. a.

    Die theoretischen Ausführungen zu den Dilemmata der Hochschulweiterbildung im Spannungsfeld von Wissenschaftsinstitution und Weiterbildungsmarkt sowie den damit verbundenen Handlungslogiken, wie beispielsweise eine stärkere Nachfrageorientierung, werden exploriert.

  2. b.

    Es wird eine Einschätzung ermöglicht, ob die Heuristiken der Konventionenökonomie in Verbindung mit den hier im Weiteren vorgestellten Methoden zur Datenerhebung (vgl. Kap. 7.1 und 7.2) einen Beitrag zur Akteursforschung in der Weiterbildungsplanung und -entwicklung an Hochschulen leisten können.

Auf der Grundlage des zuvor hergestellten konventionentheoretischen Analyserahmens ist nun zu klären, mit welchen modellbasierten Ansätzen unterschiedliche Handlungslogiken aus den Legitimationskontexten Wissenschaftsinstitution und Weiterbildungsmarkt datengestützt erfasst und analysiert werden können (siehe hierzu  Kap. 7.1; analytische Vorüberlegungen zur empirischen Analyse).