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Evolutionäre Familienforschung – Kosten-Nutzen-Bilanzen an der Schnittstelle zwischen Verwandtenselektion und sozialem Kontext

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Evolutionäre Sozialwissenschaften
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Zusammenfassung

Viele Ausdifferenzierungen der Darwinischen Evolutionstheorie sind für die Familienforschung von besonderer Relevanz. So ist die Theorie der Verwandtenselektion nicht auf die tierliche Sozialität beschränkt, sondern erklärt auch, warum Menschen in allen Kulturen und Epochen ihre reproduktiven und produktiven Aktivitäten in Familiennetzwerken und Familienhaushalten organisieren. Auch wenn die Bereitschaft zur Kooperation in der menschlichen Familie ultimat auf Verwandtenselektion zurückgeht, ist sie nicht der einzige Faktor, der die Beziehungen der Mitglieder einer Familie bestimmt. Echter Altruismus zwischen nahverwandten Familienmitgliedern ist aufgrund von indirekten Fitnessvorteilen möglich. Jedoch sind Familienmitglieder nicht nur vertrauensvolle Alliierte, sondern zugleich auch scharfe Konkurrenten. Deshalb werden selbst unter Geschwistern oder zwischen Eltern und Kindern Unterstützung und Hilfe nicht bedingungslos gewährt, sondern auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Kalkulation angeboten. Die Kosten und Nutzen hängen dabei vom sozialen Kontext ab. Das gilt für die zwischengesellschaftliche Perspektive, die Familie zwischen Kulturen und Epochen vergleicht, als auch für die innergesellschaftliche Perspektive, deren Ziel es ist, Unterschiede zwischen Sozial- und Bevölkerungsgruppen zu verstehen. Evolutionäre Familienforschung ist daher grundsätzlich ein interdisziplinäres Forschungsvorhaben. Dieser Beitrag führt in die Grundlagen der Evolutionären Familienforschung ein und versucht, ihre wichtigsten Aspekte zu beleuchten.

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Notes

  1. 1.

    In der Literatur wird ‚Darwinische Anthropologie‘ oft als Synonym für ‚Evolutionäre Anthropologie‘ verwendet. Ebenso wird ‚Darwinische Psychologie‘ als Synonym für ‚Evolutionäre Psychologie‘ verwendet. Da es neben der Darwinischen Evolutionstheorie weitere Evolutionstheorien gibt, ist das Attribut ‚Darwinisch‘ zutreffender als ‚Evolutionär‘.

  2. 2.

    Der Begriff maladaptation ist eigentlich, so wie seine deutsche Übersetzung „Fehlanpassung“, ein Oxymoron, also ein Widerspruch in sich. Zwar gibt es, wie im Text aufgezählt, eine ganze Reihe von Mechanismen, die dazu führen können, dass biologische Merkmale dysfunktional sein und somit die Fitness des Akteurs reduzieren können, aber die natürliche Selektion gehört nicht dazu. Diese kann per definitionem lediglich Adaptationen und niemals ‚Fehladaptationen‘ hervorbringen.

  3. 3.

    Nach Hamiltons Ungleichung (manchmal auch Hamiltons Regel genannt) kann sich altruistisches Verhalten evolutionär durchsetzen bzw. die hierfür verantwortlichen Gene können sich in einer Population ausbreiten, wenn die Bedingung K < r*N erfüllt ist. Dabei müssen die Kosten (K) des Verhaltens für den Altruisten stets geringer sein als der Nutzen (N, = Gewinn an indirekter Fitness) multipliziert mit dem genetischen Verwandtschaftsgrad zwischen Altruisten und Nutznießer (r).

  4. 4.

    Von Anfang an gab es große Missverständnisse mit der Theorie der Verwandtenselektion. Diese Missverständnisse haben nicht unerheblich dazu beigetragen, dass diese Theorie außerhalb der evolutionären Wissenschaften auf Ablehnung stieß. Siehe hierzu Dawkins (1979).

  5. 5.

    Die Terminologie der Verwandtschaftsbezeichnungen (kin terms) steht seit jeher im Fokus der anthropologischen Forschung. Siehe hierzu die Klassifizierung der Verwandtschaftsbezeichnung nach Morgan (1871).

  6. 6.

    Originalzitat: “Just as blueprints don’t necessarily specify blue buildings, selfish genes don’t necessarily specify selfish organisms. As we shall see, sometimes the most selfish thing a gene can do is build a selfless brain. Genes are a play within a play, not the interior monologue of the players”.

  7. 7.

    Ausnahmen des Inzestverbots gab es in vielen Kulturen für Herrscherfamilien.

  8. 8.

    Ein ähnliches Spannungsverhältnis existiert aus den gleichen Gründen zwischen dem Mann und der Mutter seiner Frau.

  9. 9.

    Da elterlichen Ressourcen (Zeit, Geld oder materielle Güter) endlich sind, nehmen mit zunehmender Anzahl der Kinder in der Familie die Ressourcen eines einzelnen Kindes zwangsläufig ab. Dieser Umstand wird als Ressourcenverwässerung oder resource dilution bezeichnet.

  10. 10.

    Teile Westeuropas bilden möglicherweise eine Ausnahme von diesem allgemeinen Muster, da in diesen Gesellschaften Kernfamilienhaushalte und damit Neolokalität auch vor der Industrialisierung üblich waren (Hajnal 1983; Laslett und Wall 1972).

  11. 11.

    Die neolithische Revolution, Modernisierung und Digitalisierung stellen sicherlich wichtige Wendepunkte in der Menschheitsgeschichte dar, jedoch soll nicht impliziert werden, dass hier nicht erwähnte Gesellschaftsumbrüche keine Relevanz besäßen. Auch sollte man sich in Erinnerung rufen, dass diese global gesehen selten alle Menschen gleichsam betreffen. Auch heute noch gibt es Jäger-Sammler-Gesellschaften, traditionelle Agrargesellschaften und die gegenwärtige Digitalisierung betrifft nicht alle Gesellschaften.

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Willführ, K.P. (2024). Evolutionäre Familienforschung – Kosten-Nutzen-Bilanzen an der Schnittstelle zwischen Verwandtenselektion und sozialem Kontext. In: Hammerl, M., Schwarz, S., Willführ, K.P. (eds) Evolutionäre Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-43624-7_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-43624-7_6

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-43623-0

  • Online ISBN: 978-3-658-43624-7

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