Zusammenfassung
Am Beispiel der Bronzezeitforschung wird die Annahme evolutionistischer Theoreme bei der Entwicklung materieller Kultur diskutiert. Die zunächst nur bei der typologischen Einordnung von Artefakten unterstellten Mechanismen des Gradualismus und der Evolution durch Verzweigung beeinflussten dann auch die Deutungstopoi und Metanarrative über die Bronzezeit als solche, und obgleich sich heute niemand mehr explizit auf sie berufen würde, bestimmen diese Mechanismen nach wie vor das wissenschaftliche wie das populäre Bild der Bronzezeit als prähistorischer Epoche. Anhand eines Fallbeispiels, der Entwicklung bronzezeitlicher Beilklingen, soll dies erläutert und zugleich eine Deutungsalternative formuliert werden.
Dieser Text schließt an frühere Überlegungen zu Innovationen in urgeschichtlichen Gesellschaften an (Jung 2015; de Zilva und Jung 2017).
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Notes
- 1.
Wird im Folgenden abkürzend von „Archäologie“ gesprochen, ist damit stets die Prähistorische Archäologie gemeint.
- 2.
Siehe hierzu auch den Beitrag von Brandl, Micheletti und Mace in diesem Band.
- 3.
- 4.
- 5.
Auch technisch einfache Neuerungen, die offensichtliche Verbesserungen zu bieten scheinen, können eine Fülle nicht vorhergesehener, die Restabilisierung gefährdender Handlungsprobleme nach sich ziehen. Ein instruktives Beispiel hierfür sind die Widerstände, welche Waldarbeiter einer Ersetzung der Fällaxt durch die Säge entgegenbrachten (siehe Radkau und Schäfer 1987, S. 11–14).
- 6.
- 7.
Auch das von Ernst Kapp (1877, S. 29–39) formulierte Prinzip der „Organprojektion“ beschreibt einen rekursiven Mechanismus.
- 8.
Freilich ist diese Reihe in hohem Maße artifiziell: Zwar sind Vertreter der Typen in großer Zahl vorhanden, hingegen ist aus Gründen der Besonderheit archäologischer Fundüberlieferung nicht bekannt, wie viele und welche Varianten es gab, bei denen eine Restabilisierung nicht gelang. Außerdem bezieht sich die Diskussion vorrangig auf morphologische und nicht auf technologische und funktionale Aspekte.
- 9.
Der große Formenreichtum der Randleistenbeile im Hinblick auf die Gestaltung der Schneide, die eine breite und bogenförmige Gestalt annehmen kann, wird hier vernachlässigt, weil exemplarisch nur die Veränderungen behandelt werden, welche die Befestigung der Klinge an dem Schaft betreffen.
- 10.
Ähnlich argumentiert auch Harrison: Eine gradualistische Interpretation müsste Beile voraussetzen, bei denen die Lappen eine geschlossene Doppeltülle mit einer Trennwand bilden, „but the winged celt shows little signs of real progress towards a complete double socket, whilst the socketed celt makes its appearance fully-formed“ (Harrison 1926a, S. 217). Das plötzliche Auftreten des Tüllenbeils widerspreche der Annahme eines kontinuierlichen Prozesses, es sei vielmehr entstanden „by an application of the socket-idea, introduced from outside“ (Harrison 1926a, S. 217), und auch die an den Tüllenbeilen angebrachten Pseudolappen bezeugten den Versuch, die Plötzlichkeit des Übergangs zu moderieren. Sie seien Ausdruck der „tendency of man to pay propitiatory tribute to the past“ (Harrison 1926a, S. 217), was die Notwendigkeiten im Zuge einer Restabilisierung prägnant beschreibt.
- 11.
Als Fallstudie hierzu am Beispiel mediterraner Importgüter in der frühen mitteleuropäischen Eisenzeit siehe Jung 2007.
- 12.
Siehe den Beitrag von Müller in diesem Band.
- 13.
Es wäre reizvoll, das von Susan Blackmore angeführte Fallbeispiel der Evolution des Korbes (Blackmore 2001, S. 243–245) in Begriffen von Rekursion, Insertion und Restabilisierung zu reformulieren; zu einer pointierten Kritik an dem für die Mem-Theorie zentralen Konzept der Nachahmung siehe Millikan 2003.
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Jung, M. (2024). Evolution von Artefakten? Zu evolutionistischen Prämissen in der Prähistorischen Archäologie und ihren Folgen für die sozialhistorische Interpretation von Sachgütern. In: Hammerl, M., Schwarz, S., Willführ, K.P. (eds) Evolutionäre Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-43624-7_23
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