Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, wie sich die Aktivitätsräume von Jugendlichen in einer Großstadt gestalten und welchen Einfluss diesbezüglich neben individuellen Merkmalen auch Merkmale des Wohnortes haben. In diesfver Fragestellung verbinden sich Forschungsstränge der Nachbarschaftseffekt-, Aktivitätsraum- und Jugendforschung. Aufgrund ihres unterschiedlichen Fokus sind alle drei Forschungsbereiche gekennzeichnet durch inhaltliche Leerstellen und methodische Grenzen. In den Forschungen zum Einfluss von Wohnquartieren wird die konkrete Nutzung des Stadtraums durch die untersuchten Personen vernachlässigt. Die Aktionsraumforschung untersucht hingegen nicht systematisch, inwiefern Merkmale von Quartieren Einfluss auf die Bewegungsmuster ihrer Bewohner*innen haben. Die Jugendforschung zeigt, wie sich das Freizeitverhalten Jugendlicher nach sozialem Status und Geschlecht differenziert. Die unterschiedlichen Freizeitstile spiegeln sich auch in einer unterschiedlichen Nutzung von Quartieren und dem darüberhinausgehenden Stadtraum wider. Relevant ist in diesem Zusammenhang die Struktur der untersuchten Stadt: Welche attraktiven Orte zur Freizeitgestaltung bieten sie Jugendlichen und wie sind diese in der Stadt verteilt und erreichbar?

In den vorangegangenen beiden Kapiteln wurden daher zunächst mit Blick auf die Forschungsfragen dieser Arbeit relevante empirische Untersuchungen aus der Nachbarschaftseffekt-, Aktivitätsraum- und Jugendforschung rezipiert. Entlang der Erkenntnisse aus diesen Studien wurde ein komplexes Set an Hypothesen zum räumlichen Freizeitverhalten Berliner Jugendlicher entwickelt, das Annahmen zu den Zusammenhängen zwischen Freizeitverhalten, Wohnquartier und Aktivitätsräumen von Jugendlichen formuliert. Die Zusammenhänge stellen sich wie folgt dar: Das Freizeitverhalten von Jugendlichen unterscheidet sich nach sozialem Status und Geschlecht. Je nach Freizeitstil werden unterschiedliche Orte in der Stadt genutzt, die sich im eigenen Wohnquartier oder anderen Teilen der Stadt befinden. Die jugendlichen Aktivitätsräume ergeben sich dann aus dem Zusammenspiel der Präferenzen für bestimmte Freizeitaktivitäten einerseits und Angebot und Erreichbarkeit der für die Aktivitäten benötigten Orte andererseits. Angebot und Erreichbarkeit sind bestimmt durch das Wohnquartier und seine Lage in der Stadt. Das erarbeitete Hypothesen-Set wurde dann mit Blick auf die spezifische Stadtstruktur Berlins und seine Infrastruktur modifiziert und ergänzt.

Bisher wurden in keiner empirischen Arbeit die genannten Forschungsstränge durch detaillierte Hypothesen miteinander verknüpft. Ein zugleich prüfendes sowie explorierendes methodisches Vorgehen erscheint daher sinnvoll, um die neu entwickelten Hypothesen nicht nur zu beurteilen, sondern auch weiter zu entwickeln. Dieses soll umgesetzt werden in einem komplexen Forschungsdesign, das quantitative, qualitative und raumbezogene Instrumente kombiniert und in diesem Kapitel ausführlich vorgestellt und begründet werden soll.

Entwickelt wird das Forschungsdesign in Auseinandersetzung mit den methodischen Herangehensweisen vorhandener empirischer Untersuchungen zum räumlichen Freizeitverhalten aus den drei oben genannten Forschungssträngen und ihren methodischen Grenzen. Die Forschung zu Nachbarschaftseffekten versucht in multiplen Regressionen mit großen Stichproben die Effekte von Quartiersmerkmalen auf das Verhalten von Quartiersbewohner*innen nachzuweisen. Der Fokus liegt auf dem Wohnquartier, die tatsächlich genutzten Orte und konkreten täglichen Aktivitäten werden nicht nachgezeichnet. Die Forschungen zur Nutzung von Räumen und Orten in der Stadt durch Jugendliche sind qualitativ angelegt. Sie beschreiben detailliert, welche Orte, wo und wie durch Jugendliche genutzt werden, können diese Nutzungen aber nicht quantifizieren und Zusammenhänge zu individuellen und Wohnquartiermerkmalen statistisch überprüfen. Aktivitätsraumstudien zeichnen mit großem organisatorischen oder technischem Aufwand detailliert alltägliche Bewegungsmuster nach. Aufgrund des großen Aufwands sind die Stichproben trotz quantitativer Ausrichtung meist kleiner als in der Nachbarschaftseffektforschung. Die Informationstiefe zu den durch die untersuchten Personen besuchten Orte ist geringer als in den qualitativen Studien zur jugendlichen Stadtraumnutzung.

Für diese Arbeit soll ein Mittelweg entwickelt werden, der die methodischen Beschränkungen dieser drei Forschungsstränge überwindet. Dies ist notwendig, um die Forschungsfragen und Hypothesen dieser Arbeit bearbeiten zu können. Die Hypothesen zum Freizeitverhalten von Jugendlichen und ihrer Nutzung bestimmter Orte und Bereiche in der Stadt (Hypothesen-Sets 1 und 2) erfordern die detaillierte Erhebung von alltäglichen Freizeitaktivitäten und -orten. Um empirisch zu eruieren, welchen Einfluss verschiedene Faktoren auf die Ausprägung jugendlicher Aktivitätsräume haben und ob diese ähnlich segregiert sind wie die Wohnquartiere (Hypothesen-Set 3 und 4), wird zugleich eine größere Stichprobe benötigt, die multiple Regressionen ermöglicht.

Zur Umsetzung des angestrebten Mittelweges wird im quantitativen Forschungsteil eine Befragung von Schüler*innen verbunden mit einer Markierung ihrer Freizeitorte auf Stadtplänen. Um untersuchen zu können, inwiefern der Wohnstandort relevant ist für das räumliche Freizeitverhalten, müssen bei der Auswahl der Stichprobe neben individuellen Merkmalen auch die Merkmale des Wohnquartiers einfließen. Als zielführend erweist sich hier eine Stichprobenziehung über ausgewählte Schulen aus Quartieren mit den gewünschten Merkmalen. Um die formulierten Hypothesen zu prüfen und zu explorieren, ist es nötig aus den direkt erhobenen Merkmalen weitere Variablen abzuleiten. Die Hypothesen des Sets 1 und 2 können mit Analysen bivariater Zusammenhänge untersucht werden, die Hypothesen des Sets 3 und 4 erfordern den Einsatz multipler Regressionen.

Mit Hilfe dieser quantitativ-statistischen Analysen lassen sich Aussagen darüber treffen, welche Aktivitäten und Orte von welchen Jugendlichen in ihrer Freizeit präferiert werden und welche Faktoren die Ausprägung ihrer Aktivitätsräume bestimmen. Nicht geklärt werden kann mit diesen Daten und Analysen das Warum für diese Zusammenhänge. Um auch die subjektiven Sichtweisen der Jugendlichen, ihre Wahrnehmungen und Motivationen zu erfassen und empirisch zu klären, warum welche Orte genutzt werden, wird eine zweite qualitative Forschungsphase durchgeführt. Es wird ein Interviewleitfaden, der diese Fragen thematisiert, entworfen und Jugendliche in Jugendzentren ausgewählter Stadtteile unter Zuhilfenahme dieses Leitfadens interviewt. Die Auswertung der transkribierten Interviews soll dem Ansatz des thematischen Codierens folgen, um Fragen zu den im quantitativen Forschungsteil untersuchten Zusammenhängen gezielt die zu beantworten.

4.1 Abgrenzung gegenüber anderen methodischen Ansätzen

Die vorliegende Forschungsarbeit verbindet in ihren Fragestellungen und Hypothesen die Forschungsstränge der Nachbarschaftseffekt-, Aktivitätsraum- und Jugendforschung. Der methodische Ansatz dieser Arbeit wird in Anlehnung an die empirischen Vorgehensweisen in den drei genannten Forschungsbereichen entwickelt. Zugleich ist es aber notwendig, über diese Ansätze hinauszugehen, um die neu entwickelten Hypothesen zu den Zusammenhängen zwischen individuellen und wohnquartierbezogenen Variablen, dem jugendlichen Freizeitstil, den sozialen Kontakten und dem räumlichen Verhalten explorieren und prüfen zu können. Die beiden Untersuchungen von Plöger (2012) und Tobias Müller (2009), die der inhaltlichen Ausrichtung dieser Arbeit von allen Studien am nächsten kommen, boten eine wichtige Orientierung bei der Ausarbeitung des Forschungsdesigns.

4.1.1 Schwächen der Nachbarschaftseffekt- und Aktionsraumforschung

Studien aus dem Bereich der Nachbarschaftseffektforschung, die sich auch mit der Bedeutung von Quartieren für soziale Kontakte, Mobilität und räumliches Verhalten beschäftigen, setzten überwiegend auf komplexe quantitative Forschungsdesigns mit repräsentativen Stichproben (vgl. z. B. Friedrichs und Blasius 2000; Oberwittler 2004). Auch die Forschung zum allgemeinen Mobilitätsverhalten oder zum Freizeitstil von Jugendlichen nutzt primär quantitative Befragungen, teilweise jedoch ergänzt durch qualitative Erhebungen (vgl. z. B. Beckmann et al. 2006; Grgic und Züchner 2016; Albert et al. 2019). Die Nutzung des öffentlichen Raums durch Jugendliche wurde dagegen bisher vor allem mit den qualitativen Instrumenten der Leitfaden- und Gruppeninterviews, sowie der Beobachtung untersucht (vgl. Herlyn et al. 2003; Neumann 2016). Diese unterschiedlichen methodischen Schwerpunktsetzungen ergeben sich einerseits aus den Traditionen und andererseits aus den unterschiedlichen Fragestellungen der einzelnen Forschungsrichtungen. So ist die Nachbarschaftseffektforschung seit den 1990er Jahren überwiegend quantitativ ausgerichtet, da sie versucht die Hypothese des Effektes von Wohnquartieren auf Verhalten zu prüfen (vgl. Friedrichs 2013: 11). Die Studien zur Raumnutzung von Jugendlichen versuchen hingegen, vornehmlich zu ergründen, welche Räume welche Qualitäten für Jugendliche haben und warum sie von diesen genutzt werden. Dies lässt sich besser mit qualitativen Interviews und Beobachtungen erforschen (z. B. die Studien von Herlyn et al. 2003; von Seggern et al. 2009).

Darüber hinaus haben viele der Studien aus den genannten Forschungsbereichen versucht räumliche Daten zu erheben, um Wahrnehmung und Nutzung von Stadt detailliert abbilden zu können. Wie sich zeigt, ist die Erfassung von Daten zum alltäglichen, räumlichen Verhalten von Personen eine besondere Herausforderung. Den unterschiedlichen Forschungsfragen folgend, werden dabei unterschiedliche Schwerpunkte gelegt. Die Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Nachbarschaftseffektforschung sind aufgrund ihrer komplexen multiplen Regressionen auf große Stichproben angewiesen. Sie verzichten daher auf Instrumente mit erhöhtem organisatorischem oder technischem Aufwand, um die Gefahr von Ausfällen und damit einer Verkleinerung der Nettostichprobe zu vermeiden. Indessen bewegen sich ihre Analysen meist auf der Ebene der Quartiere und nicht auf jener der individueller Bewegungsradien (vgl. 2.1.4). So wird meist das Instrument der quantitativen Befragung gewählt. Die Erhebung räumlicher Daten beschränkt sich meist darauf, zu erfragen, ob Aktivitäten im eigenen oder einem anderen Stadtteil stattfinden oder wie viele soziale Kontakte im eigenen Wohnstadtteil bestehen. Aktivitäten, Kontakte und weitere Orte werden also nicht präzise lokalisiert und es werden nur wenig konkrete Informationen über sie erfasst.

Auf der anderen Seite stehen die Untersuchungen zur Raumnutzung von Jugendlichen, welche vor allem auf qualitative Methoden zurückgreifen, um detailliert die Wahrnehmung des Stadtraums und die Aneignung öffentlicher Orte durch Jugendliche beschreiben und erklären zu können. Dabei werden nicht nur bewährte Instrumente, wie Interviews und Beobachtungen genutzt, sondern auch Methoden um räumliches Verhalten zu explorieren. Dazu gehören z. B. das Erstellen subjektiver Karten (mental maps) und Modelle des eigenen Alltags und der Stadt durch untersuchte Personen (z. B. Plöger 2012). Die genutzten Orte können so zum Teil sehr genau lokalisiert werden und die gewonnenen Informationen über Kontakte, Aktivitäten und Orte sind sehr reichhaltig. Aufgrund des eher explorativen Vorgehens dieser Forschungen und dem großen zeitlichen Aufwand bei der Erhebung, Aufbereitung und Auswertung der erhobenen Daten – insbesondere bei den räumlichen Methoden – sind die Stichproben meist eher klein (z. B. Herlyn et al. 2003; von Seggern et al. 2009).

Die Forschung zu Aktivitätsräumen versucht so präzise wie möglich die räumliche und zeitliche Dimension des Alltags von Personen zu erfassen. Entsprechend setzt sie meist auf Instrumente, die möglichst lückenlos den Tagesablauf von Individuen erfassen. Dies ist z. B. mit der schriftlichen Erfassung von Zeitbudgets oder zurückgelegten täglichen Wegen möglich, für die in Tabellen detailliert erfasst wird, zu welcher Tageszeit eine Person welcher Aktivität wo nachgeht oder welchen Weg mit welchem Ziel zurücklegt (eventuell ergänzt um weitere Angaben z. B. die Anwesenheit weiterer Personen) (z. B. Kwan 2000; Wikström et al. 2010). Trostorf (1991) weist darauf hin, dass es für die Erfassung des alltäglichen räumlichen Verhaltens wichtig ist, die Erhebungen nicht nur auf einen Tag zu beschränken, da die regelmäßigen Aktivitäten und zurückgelegten Wege nach Wochentagen variieren können. Auch schlägt er vor, die Analyse der Aktivitätsräume nach Tätigkeitsarten zu differenzieren, „um den damit verbundenen spezifischen, räumlichen Verhaltensweisen gerecht werden zu können“ (Trostorf 1991: 123).

Neuere Studien setzten auch auf die Erhebung von Bewegungsmustern mittels GPS-Geräten, welche Alltagsbewegungen zeitlich und räumlich noch präziser nachzeichnen (z. B. Li et al. 2018; Wiehe et al. 2008). Teilweise können bei diesen GPS-Studien die untersuchten Personen noch Informationen zu den Aktivitäten und Orten im Gerät ergänzen (vgl. Tobias Müller 2009). Eine gewisse Informationstiefe ist hier also meist gegeben. Jedoch sind beide Instrumente sehr aufwendig in ihrer Durchführung. Zeitbudgets, die von den untersuchten Personen meistens über mehrere Tage hinweg selbst ausgefüllt werden, erfordern eine gewisse Disziplin von den Studienteilnehmer*innen, vor allem wenn noch ergänzende Informationen eingetragen werden sollen. Studien mit GPS-Trackern erfordern einen hohen technischen Aufwand, eine Verfügbarkeit und Wartung der Geräte. Auch Datenschutzbedenken auf Seiten der Studienteilnehmer*innen bzw. ihrer Erziehungsberechtigten müssen ausgeräumt werden, da beim GPS-Tracking die Daten der untersuchten Personen automatisiert erfasst werden und zudem räumlich äußerst präzise und damit sehr sensibel sind. Aus den genannten Gründen ist es schwierig sowohl für Zeitbudget- als auch GPS-Studien eine größere Stichprobe zu gewinnen. Auch im Verlauf der Studie muss aufgrund von organisatorischen und technischen Problemen oder Überforderung der Teilnehmer*innen mit einer größeren Anzahl von Ausfällen gerechnet werden.

4.1.2 Methodische Verortung im Forschungsfeld

Die beiden Studien, die in ihrer inhaltlichen Ausrichtung dieser Arbeit am nächsten kommen, setzen jeweils auf mehrere Instrumente. Plöger (2012) verwendet in seiner Studie zum Freizeitverhalten von Jugendlichen im Ruhrgebiet, die dem Forschungsstrang zu Freizeitverhalten und Stadtraumnutzung von Jugendlichen zuzuordnen ist, eine Vielzahl von Methoden. Neben einer standardisierten Befragung von über 500 Schüler*innen, wurden mit einem etwas kleineren Ausschnitt dieser Stichprobe auch die folgenden sozialräumlichen Methoden durchgeführt, um Daten über das räumliche Verhalten der Jugendlichen zu erlangen. Zum Einsatz kamen neben Zeitbudgets auch das Mental Mapping und die Nadelmethode (vgl. auch Deinet 2010; Krisch 2009). Durch erstere beiden Instrumente konnte ein recht detailliertes Bild über das räumliche Freizeitverhalten der einzelnen Befragten rekonstruiert werden. Für die Nadelmethode markierten die Schüler*innen jeweils gemeinsam in ihren Klassen ihre „Lieblingsorte“ auf einem Stadtplan. Diese Methode diente in erster Linie der Aktivierung der Schüler*innen. Die Analysen des umfangreichen Datenmaterials beschränken sich auf die Darstellung bivariater Zusammenhänge als Diagramme. So können etwa die zu Lieblingsorten zurückgelegten Entfernungen zwischen den Geschlechtergruppen verglichen werden. Die Zusammenhänge werden keinen statistischen Tests unterzogen und es kommen auch keine komplexeren und elaborierteren statistischen Verfahren zur Anwendung.

Es wird darauf verzichtet Mental Maps und Zeitbudgets für das Forschungsdesign dieser Arbeit zu übernehmen. Der große Erhebungs- und Auswertungsaufwand, der im Zusammenhang mit diesen Instrumenten steh, erscheint im Verhältnis zu den möglichen Erkenntnissen, die in Bezug auf die Forschungsfragen gewonnen werden könnten, zu groß. Die Nadelmethode soll hingegen als zentrales Instrument für die quantitative Forschungsphase übernommen, jedoch stark modifiziert werden.

Tobias Müller (2009) erfasst die Aktivitätsräume von 163 Berliner Jugendlicher mithilfe von GPS-Geräten und daran gekoppelte elektronische Zeitverwendungstagebücher, mit welchen weitergehende Informationen zu den zurückgelegten Wegen und Aktivitäten erfasst wurden. Die Analyse der detaillierten Bewegungsdaten erfolgt ausschließlich in aggregierter Form auf Ebene der Gesamtstichprobe oder jeweils zusammengefasst für jede Schule. Es werden Ellipsen und Dichteverteilungen berechnet, um das Hauptgebiet der Aktivitäten abzubilden. Zusammenhänge zwischen individuellen Merkmalen und den berechneten Aktivitätsräumen werden auch hier nur bivariat dargestellt und nicht auf Signifikanz getestet. Die Studie zeigt, dass eine Stichprobenziehung über die Schulen ein probater Weg ist, um eine größere Anzahl an Jugendlichen zu erreichen und diese zugleich gezielt nach Wohnquartieren auszuwählen. Dieser Modus der Stichprobenziehung wird daher leicht abgewandelt auch im Zuge der vorliegenden Arbeit eingesetzt.

Der methodische Ansatz dieser Arbeit orientiert sich also an den Untersuchungen aus Nachbarschaftseffekt-, Aktivitätsraum- und Jugendforschung sowie an den beiden beschriebenen Studien von Plöger (2012) und Tobias Müller (2009), da sich die dort verwendeten Instrumente für ähnliche Forschungsfragen und zur Erhebung räumlicher Daten bewährt haben. Zugleich wird hier methodisches Neuland betreten, denn im Zuge dieser Forschung wird die Nadelmethode, welche üblicherweise als aktivierende Methode in Gruppensituationen Anwendung findet (vgl. Deinet 2010; Krisch 2009), in einer abgewandelten Form zur Erhebung räumlicher Daten auf individueller Ebene genutzt. Ziel war es, einen Mittelweg zwischen den drei oben vorgestellten verschiedenen methodischen Ansätzen bisheriger Studien zu finden, um wichtige Alltagsorte von Jugendlichen präzise zu lokalisieren und weitergehende Informationen zu diesen Orten zu erheben. Dabei sollte indessen bei der Stichprobengröße mindestens eine Dimension erreicht werden, um auch multivariate statistische Analysen durchzuführen. Zu guter Letzt sollte eine gewisse Informationstiefe über die abgefragten Orte gegeben sein, um nicht nur Aussagen darüber treffen zu können, welche Jugendlichen wo ihre Freizeit verbringen, sondern auch was sie konkret dort tun.

Dieses Ziel eines Mittelweges ist orientiert an den Forschungsfragen, welche diese Arbeit leiten und dem allgemeinen Ansatz, sowohl aus bestehender Forschung abgeleitete Hypothesen zu prüfen und zugleich auch neue, noch weniger bekannte Zusammenhänge im Themenfeld zu explorieren. Um gerade den zweiten Aspekt noch zu stärken und nicht nur Zusammenhänge aufzuzeigen, sondern auch erklären zu können, wird ein sequenzielles Mixed-Methods-Design gewählt. Dabei handelt es sich um ein Vertiefungsdesign mit einem Schwerpunkt auf der quantitativen Phase (QUANT -> qual) (vgl. Ivankova et al. 2006; Kuckartz 2014: 78), die zuerst durchgeführt wird. Im quantitativen Forschungsteil sollen entlang der aufgestellten Hypothesen untersucht werden, welche Faktoren das Freizeitverhalten und die Aktivitätsräume von Jugendlichen bestimmt. Gibt es Unterschiede nach sozialem Status, Geschlecht und Wohnquartier? Haben Schulen und Freundeskreise einen Einfluss? Die nachgewiesenen Zusammenhänge werden dann in der anschließenden qualitativen Forschungsphase aufgegriffen. Es soll geklärt werden, warum welche Jugendliche bestimmte Aktivitäten, Raumtypen und Gebiete in der Stadt für ihre Freizeitgestaltung präferieren. Zeitlich gestaltete sich die Abfolge der Forschungsphasen, wie in Abbildung 4.1 dargestellt. Dieser Chronologie folgend werden im weiteren Verlauf zunächst Feldzugang, Instrumente, Stichprobe und Analysen der quantitativen und anschließend der qualitativen Erhebungsphase detailliert dargestellt.

Abbildung 4.1
figure 1

Chronologie der Forschungsphasen

4.2 Befragung Berliner Schüler*innen

Im quantitativen Forschungsteil dieser Arbeit sollen Daten erhoben und ausgewertet werden, mit denen die in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeiteten Hypothesen zu den Zusammenhängen zwischen Merkmalen auf der individuellen und der Quartiersebene auf der einen und dem Freizeitverhalten und den Aktivitätsräumen von Jugendlichen auf der anderen Seite geprüft und erweitert werden können. Dafür war es nötig, eine Stichprobe zu gewinnen, die groß genug ist, um in multiplen Regressionen auch Effekte der unabhängigen auf die abhängigen Variablen und die Erklärungsleistung des Modells beurteilen zu können. Diese Analysen sind zur Überprüfung der Hypothesen des Sets 3 und 4 vorgesehen. Um die benötigte Stichprobengröße abzuschätzen, wurde die erweiterte Faustregel von Green (1991) angewandt. Um mittlere Effektgrößen für das Gesamtmodell (R\(^2\)) und den Einfluss einzelner Variablen im Modell signifikant nachweisen zu können, wird demnach ein Stichprobenumfang von mindestens 109 Personen benötigt.Footnote 1

Andererseits sollten die relevanten Untersuchungsmerkmale jeweils ähnlich stark in der Stichprobe verteilt sein, um entsprechende Analysen mit Bezug auf diese Merkmale durchführen zu können. Die vorliegenden Forschungen belegen, dass auf individueller Ebene das Geschlecht und der soziale Status und auf Ebene des Wohnquartiers die Lage und der Status des Quartiers besonders prägend sind für die Freizeitstile und Aktivitätsräume von Jugendlichen. Da kein populationsbeschreibenden Auswertungen vorgesehen waren, wurde keine repräsentative Stichprobe durch Zufallsauswahl angestrebt. Für das hypothesenprüfende und zugleich explorierende Vorgehen dieser Arbeit ist eine nicht-probabilistische Stichprobe ausreichend (vgl. Döring und Bortz 2016: 301).

Um eine quotierte Stichprobe in der anvisierten Größe und Form umzusetzen, wurde ein Zugang zu Jugendlichen über Schulen gesucht. Die zu befragenden Schulen wurden den forschungsrelevanten Merkmalen entsprechend ausgewählt und innerhalb der Schulen wurden jeweils Klassen des 10. Jahrgangs befragt, um die Altersgruppe der 15- und 16-Jährigen zu erreichen. Die Schüler*innen erhielten jeweils einen Fragebogen mit Items zu Freizeit- und Mobilitätsverhalten, sozialen Kontakten und soziodemografischen Daten. Darüber hinaus wurde die Befragung mit einer modifizierten Form der Nadelmethoden (vgl. Deinet 2010; Krisch 2009) ergänzt, um relevante Alltagsorte der Schüler*innen zu erfassen. Dieses Instrument ermöglicht es, räumliche Daten zum Freizeitverhalten mit hoher geografischer Genauigkeit und zugleich großer Informationstiefe für eine größere Stichprobe zu erheben. So wird methodischer Mittelweg zwischen den Forschungsansätzen der Nachbarschaftseffekt-, Aktivitätsraum- und Jugendforschung beschritten, um die detailliert herausgearbeiteten Zusammenhänge zwischen Freizeitverhalten, Wohnquartier und Aktivitätsräumen von Jugendlichen zu prüfen und zu explorieren.

Die präzise erhobenen räumlichen Daten sind erforderlich für eine Operationalisierung der Aktivitätsräume und der Distanzen zwischen Wohnort der Jugendlichen und dem Wohnort der Freund*innen bzw. der Schulen. Diese und weitere aus den Fragebogenitems generierten Variablen werden benötigt, um in multiplen Regressionen die Hypothesen zum Einfluss verschiedener Faktoren auf die Ausprägung jugendlicher Aktivitätsräume (Hypothesen-Set 3) und die Segregation von Alltagsräumen (Hypothesen-Set 4) in multiplen Regressionen zu prüfen.

4.2.1 Auswahl der Schulen

Um eine größere Stichprobe zu erreichen bot sich die Befragung von Jugendlichen über Schulen an. Dabei wurde eine Quotierung der Schulen nach den forschungsrelevanten Merkmalen Wohnlage und Quartierstatus angestrebt. Daher sollten jeweils möglichst gleich viele Schulen aus marginalisierten und nicht-marginalisierten Quartieren sowie aus peripheren und zentralen Quartieren für die Befragung ausgewählt werden. Um auch das wichtige individuelle Merkmal der sozialen Schicht in der Stichprobe abzubilden, wurden sowohl Integrierte Sekundarschulen und Gesamtschulen als auch Gymnasien ausgewählt. Dieser Kategorisierung liegt die Annahme eines starken Zusammenhangs zwischen besuchter Schulform und sozialem Status zu Grunde. Demnach besuchen statusniedrigere Schüler*innen eher Integrierte Sekundarschulen und Gesamtschulen, statushöhere eher Gymnasien. Eine Quotierung des individuellen Merkmals Geschlecht war über die Auswahl der Schulen nicht möglich, erschien aber auch nicht als nötig, da eine stark ungleiche Verteilung der Geschlechter nach Schulen nicht zu erwarten war. Da von der überwiegenden Mehrheit der Berliner Familien wohnortnahe Schulen für ihre Kinder gewählt werden (vgl. Jurczok 2019: Kap. 7), war die Möglichkeit gegeben, über die Auswahl von Schulen nach Gebietsmerkmalen auch Befragungsteilnehmer*innen mit Wohnorten gleicher Gebietsmerkmale auszuwählen. So sollten z. B. in Schulen in peripheren Quartieren auch überwiegend Schüler*innen mit peripherem Wohnort befragt werden können.

Anhand der Daten des Monitoring Soziale Stadtentwicklung (MSS) auf Ebene der lebensweltlich orientierten Räume (LOR) ließen sich Gebiete ausmachen, in denen sich die beiden Dimensionen der Wohnortmerkmale (Lage und Status) überschneiden.Footnote 2 Als innerstädtisch das Gebiete von LOR aufgefasst, die innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings liegen oder unmittelbar an diesen angrenzen. Damit umfasst dieses Gebiet den zentralen Stadtbereich mit einer höheren städtebaulichen und Bevölkerungsdichte. Als peripher gelten an den Stadtrand grenzende Gebiete. Als marginalisiert wurden LOR definiert, die laut MSS einen niedrigen oder sehr niedrigen Status aufweisen. Einzelne oder kleinere Gruppen marginalisierter LOR, die umgeben sind von nicht-marginalisierten Quartieren wurden für die Auswahl ausgeschlossen, da durch die inselhafte Lage Schüler*innen wahrscheinlich zu einem größeren Anteil auch in Quartieren jenseits der marginalisierten Insel der Schule wohnen. Daher wurde sich auf zusammenhängende Gebieten von mindestens fünf LOR mit ähnlichem Index-Wert laut MSS 2015 konzentriert.

Somit kamen als innerstädtisch-marginalisiertes Gebiet eine zusammenhängende Gruppe von LOR in den Stadtteilen Wedding und Gesundbrunnen sowie Gebiete in Kreuzberg und Neukölln infrage. Hingegen wurden die restlichen LOR mit mittlerem und hohem Status innerhalb und angrenzend an den S-Bahn-Ring als innerstädtisch-nicht-marginalisiertes Gebiet klassifiziert. Als peripher-marginalisiert sind zwei Gebiete in Marzahn und Hellersdorf im Osten Berlins sowie ein Gebiet im Falkenhagener Feld im Westen zu bezeichnen. Der Kategorie peripher-nicht-marginalisiert wurden weite Teile des Stadtrands zugewiesen.

Schulen mit ausgeprägter Profilierung und solche mit einem hohen Anteil an Schüler*innen aus entfernteren Bezirken wurden aussortiert. Die übrigen Schulen in den ausgewählten Gebieten wurden ab Juli 2016 zunächst per E-Mail und bei ausbleibender Antwort telefonisch kontaktiert. Insgesamt gestalteten sich die Akquise von Schulen schwierig. Vereinzelt wurden Zusagen auch wieder zurückgezogen.Footnote 3 Diese Absagen konnten teilweise nicht durch die Anwerbung neuer Schulen kompensiert werden, da sie nach Beantragung der Genehmigung der Befragung durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft erfolgtenFootnote 4. Die Genehmigung erfolgte schulbezogen und eine kontinuierliche Erweiterung der Schulstichprobe war nach erteilter Genehmigung daher nicht möglich.

Aufgrund der Schwierigkeiten teilnahmebereite Schulen in den ausgewählten Gebieten zu akquirieren, konnte das Ziel, in jeder der vier Gebietskategorien jeweils mindestens eine Integrierte Sekundarschule bzw. Gesamtschule und ein Gymnasium zu befragen, nicht vollständig erreicht werden. Die tabellarische Übersicht (s. Tab. 4.1) und die Karte mit den Standorten der befragten Schulen (s. Abb. 4.2) zeigen, dass zwar für alle angestrebten Gebietskategorien Schulen akquiriert werden konnten.Footnote 5 Allerdings konnten insgesamt nur zwei Gymnasien für die Teilnahme an der Forschung gewonnen werden. Für zentrale, benachteiligte Gebiete und periphere, nicht-benachteiligte Gebiete stand kein Gymnasium für die Befragung zur Verfügung.

Tabelle 4.1 Befragte Schulen
Abbildung 4.2
figure 2

Karte der befragten Schulen

4.2.2 Herausforderungen bei der Stichprobenziehung

In den Schulen wurden je nach Auswahl der Schulleitung ein bis vier Klassen befragt – angefragt wurden jeweils zwei. Dadurch unterscheidet sich die Größe der einzelnen Schulstichproben zum Teil erheblich. Um Jugendliche im zentralen Jugendalter von 15 und 16 Jahren zu befragen, wurden ausschließlich Klassen des 10. Jahrgangs angefragt. Ein Fokus auf diese Altersgruppe war notwendig, denn eine Befragung von älteren Jugendlichen über die Schulen hätte eine Verzerrung hinsichtlich des sozialen Status zur Folge gehabt, da vor allem Jugendliche aus statusniedrigeren Familien die Schulen nach der 10. Klasse verlassen. Gegenüber jüngeren Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 14 Jahren, zeichnen sich die 15- und 16-Jährigen durch ein selbstständigeres Mobilitätsverhalten aus und verbringen ihre Freizeit häufiger ohne Erwachsene (vgl. Freudenau et al. 2004). Die Stadt und ihr öffentlicher Raum erscheint in diesem zentralen Jugendalter daher als besonders sozialisationsrelevant. Da eine vergleichende Betrachtung der Ergebnisse nach unterschiedlichen Altersgruppen nicht vorgesehen war, konnten durch die eher starke Begrenzung der befragten Altersgruppe eventuell Effekte durch dieses Merkmal minimiert werden.

Da ab dem vollendeten 14. Lebensjahr Jugendliche selbst über ihre Teilnahme an einer Forschung entscheiden dürfen, war eine generelle Elterngenehmigung nicht nötig. Der für die Befragung verwendete Fragebogen enthielt allerdings auch eine Reihe die Eltern der Schüler*innen betreffende Fragen (z. B. zur Erfassung des sozioökonomischen Status der Familien). Um die informationelle Selbstbestimmung der Eltern zu wahren, machte die Senatsverwaltung für Bildung eine Zustimmung der Eltern zu diesem Teil des Fragebogens zur Auflage. Daher wurde ein Elternbrief mit Informationen zur Forschung und der Bitte um Zustimmung zum beigefügten Fragebogenteil formuliert und die Schulen gebeten diesen vor dem vereinbarten Befragungstermin an die Schüler*innen auszuteilen. Der Fragebogen, der an die Schüler*innen ausgeteilt wurde, war dann zweigeteilt. Der erste Teil (Teil S) durfte von allen Schüler*innen ausgefüllt werden, sofern sie selbst keine Einwände hatten. Der zweite Teil (Teil E) nur von denjenigen, die eine unterschriebene Zustimmung der Eltern hatten.

Welche Schwächen und potenzielle Verzerrungen ergeben sich aus diesem Gesamtprozess der Stichprobenziehung? Da das Design dieser Forschungsarbeit auf die Prüfung und zugleich Exploration des Einflusses bestimmter individueller und Quartiersmerkmale ausgerichtet ist, wurde eine Quotenstichprobe auf Basis von Schulmerkmalen gezogen (vgl. Meier und Hansen 2014). Über die quotierte Auswahl der Schulen sollte sichergestellt werden, dass die forschungsrelevanten Merkmale, sozialer Status, Wohnlage und Quartierstatus, möglichst gleichmäßig in der Stichprobe abgebildet werden. Da über die Quotierung keine repräsentative Stichprobe angestrebt und erreicht wurde, kann daher nur eingeschränkt von den Ergebnissen dieser Forschung auf alle Berliner Jugendliche geschlossen werden.

Ziel war es für jede Kombination der drei Merkmalsebenen (sozialer Status, Lage, Quartierstatus) mindestens eine Schule gewinnen zu können, um den Einfluss dieser Merkmale untersuchen zu können. Die Auswahl der Schulen für jede Kategorie bzw. Merkmalskombination war abhängig von der Bereitschaft der Schulleitung teilzunehmen. Aufgrund der vielen Absagen wurden die wenigen Schulen in jeder Kategorie, die bereit waren an der Forschung teilzunehmen, für die Stichprobenziehung ausgewählt. Inwiefern die ausgewählten Schulen im Hinblick auf die Auswahlmerkmale als durchschnittlich für Berliner Schulen gelten können, ist schwer abzuschätzen. Die Bereitschaft an der Forschung teilzunehmen verweist auf eher engagierte Schuleiter*innen. Dass sich diese an Gymnasien und allgemein an besser ausgestatteten Schulen mit statushöherer Schülerschaft nicht häufiger finden, zeigt die Auswahl der an dieser Forschung beteiligten Schulen. Insgesamt gab es mehr Bereitschaft zur Teilnahme von Integrierten Sekundarschulen und unter diesen befinden sich teilweise auch Schulen mit überwiegend marginalisierten Schüler*innen. Im Gegenteil dazu zeigt eine Untersuchung zur freiwilligen zweiten Erhebungswelle der PISA Studie 2012 eine höhere Teilnahmebereitschaft bei den Gymnasien (vgl. Heine et al. 2017). Keine statistisch signifikanten Zusammenhänge ergeben sich zwischen den Variablen zum sozioökonomischem Status (u.a. Bildungsabschlüsse und Berufsstatus der Eltern, Bildungsressourcen im Haushalt) und der Teilnahmebereitschaft der Schulen.Footnote 6 Eine einseitige Verteilung von Merkmalen der Schüler*innen (z. B. des sozioökonomischen Status) sollte sich durch die Auswahl auf der Ebene der Schulen also nicht ergeben.

Durch den Vorortbesuch beim Befragungstermin, sowie Gesprächen mit den Schuleiter*innen und Lehrer*innen konnte ein Eindruck von jeder der ausgewählten Schulen gewonnen werden. Die Wahrnehmung von Schulumfeld, Schulatmosphäre, Lehrer- und Schülerschaft wurde während und unmittelbar nach den Befragungsterminen in kurzen Notizen festgehalten und später abgeglichen mit den Selbstdarstellungen der Schulen auf ihren Homepages. Zwei der Integrierten Sekundarschulen konnten als eher außergewöhnliche Fälle identifiziert werden. Häufig sind Schulen in marginalisierten Quartieren gekennzeichnet durch schlechte Ausstattung und eine hohe Konzentration statusniedriger Schüler*innen sowie überdurchschnittlich vieler Schüler*innen mit Migrationshintergrund. Eine der ausgewählten Schulen stellt aber selbst für eine Integrierte Sekundarschule in einem benachteiligten Quartier einen Extremfall dar und galt zum Zeitpunkt der Erhebung in den Medien als eine der „Problemschulen“ Berlins. Die andere Schule hat ein markantes pädagogisches und didaktisches Profil: Der Unterricht ist stark geprägt durch selbstständiges und projektorientiertes Lernen und soziales Engagement wird nachdrücklich gefördert. Bei der Befragung vor Ort entstand der Eindruck, dass die Schüler*innen dieser Schule überwiegend aus Familien liberaler Mittelschichtsmilieus stammen. Besondere Ausprägungen in den Ergebnissen durch das Antwortverhalten der Schüler*innen dieser beiden Ausnahmeschulen werden im Zuge der Auswertungen reflektiert.

Die Auswahl der Klassen erfolgte durch die Schulleitungen, wahrscheinlich in Abhängigkeit von der Bereitschaft der Lehrkräfte in den Klassen. Schüler*innen sind möglicherweise ungleich nach Geschlecht auf unterschiedliche Klassen verteilt. Die willkürliche Auswahl der Klassen kann daher auch zu einer ungleichen Verteilung dieses Merkmals in der Stichprobe führen. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass in einzelnen Klassen jeweils ausschließlich Mädchen oder Jungen sitzen. Durch die willkürliche Auswahl der Klassen sollten also beide Geschlechter für jede Schule in der Stichprobe vertreten sein, wenn auch eventuell in ungleichem Verhältnis. Die ungleiche Verteilung der forschungsrelevanten Merkmale – Geschlecht, sozialer Status, Lage und Status des Wohnquartiers – in der Stichprobe soll weiter unten analysiert und diskutiert werden.

4.2.3 Nadelmethode und Fragebogen

Der zur Befragung der Schüler*innen genutzte Fragebogen besteht aus mehreren Teilen und enthält überwiegend, aber nicht ausschließlich geschlossene Fragen (s. elektronisches Zusatzmaterial). Ein einleitendes Deckblatt mit knappem Text beschreibt Anlass und Thema der Befragung, gibt allgemeine Hinweise zum Ausfüllen des Fragebogens und weist auf die Freiwilligkeit der Teilnahme hin. Dann folgen zwei Seiten mit Tabellen, in denen jeweils Informationen zu den vier häufigsten Freizeitbeschäftigungen und den vier besten Freund*innen abgefragt werden. Zusätzlich wird dazu aufgefordert die Orte der Freizeitaktivitäten, die Wohnorte der vier besten Freund*innen und den eigenen Wohnort auf den dem Fragebogen beigelegten Karten zu markieren und mit entsprechenden Kürzeln zu versehen, um sie den Angaben in den Tabellen zuordnen zu können. Die beigelegten Karten wurden jeweils an die befragte Schule angepasst. Auf dem einen Kartenausschnitt wurde das nähere Umfeld der befragten Schule abgebildet, der zweite war größeren Maßstabs und umfasst das Umfeld der Schule und die Innenstadt. Zusätzlich besteht unterhalb der zweiten Karte die Möglichkeit Orte, die außerhalb der Kartenausschnitte liegen oder nicht lokalisierbar sind, in einer Tabelle mit möglichst genauen Ortsangaben einzutragen.

Im Gegensatz zum Einsatz der Nadelmethoden in bisherigen Studien werden die Orte nicht kollektiv auf einer gemeinsamen, sondern individuell mit den den Fragebögen beigefügten Karten abgefragt (vgl. Deinet 2010; Krisch 2009). Es werden daher nicht die namensgebenden Nadeln in eine Karte gesteckt, sondern die Orte stattdessen mit einem Stift auf den individuellen Karten markiert. Dadurch verliert die Methode einen Großteil ihres aktivierenden Potentials, zugleich entfällt aber auch der Einfluss von Gruppendynamiken. Des Weiteren werden auch bestehende Kritikpunkte an der Methode in dieser Umsetzung aufgenommen (vgl. Rohrauer 2014; Rösch und Rohrauer 2016). So wird durch die beiden Kartenausschnitte mit unterschiedlichem Maßstab und der zusätzlichen Möglichkeit schriftliche Ortsangaben in einer Tabelle zu machen, die Beschränkung der Nadelmethode auf vorher festgelegte Raumausschnitte, aufgehoben. Die Tabellen mit Fragen erweitern die Informationstiefe zu den markierten Orten und die individuelle Abfrage im Rahmen eines Fragebogens ermöglicht eine vergleichende Auswertung nach individuellen Merkmalen.

Den Tabellen folgen Abschnitte mit Fragen zu Wohnsituation, Freizeitaktivitäten, Freundeskreis und Mobilität. Alter, Geschlecht und eine Selbsteinschätzung zur sozialen Schicht der eigenen Familien, konnten in diesem Teil erfragt werden. Weitere Fragen zur Wohnsituation (z. B. zum Wohneigentum), Bildungs- und Berufsstatus der Eltern und Migrationshintergrund wurden im abschließenden Fragebogenteil zusammengefasst. Dieser Teil durfte dann nur, wie oben bereits erwähnt, von den Schüler*innen mit entsprechender Genehmigung der Eltern ausgefüllt werden, um die informationelle Selbstbestimmung dieser nicht zu verletzen.

Damit die Befragung jeweils im Rahmen von einer Schulstunde von 45 Minuten durchgeführt werden konnte, war angestrebt den Umfang des Fragebogens entsprechend zu begrenzen. Nach Testdurchläufen mit einzelnen Personen wurde geschätzt, dass durchschnittlich 30 Minuten zum Ausfüllen des gesamten Fragebogens inklusive der Kartenmarkierung benötigt wird. Eine befreundete Lehrerin erklärte sich bereit einen Pretest mit dem Fragebogen in einer Klasse an ihrem Gymnasium einer Mittelstadt in NRW durchzuführen. Der Pretest bestätigte die Einschätzung, die meisten Schüler*innen benötigten 30 bis 35 Minuten zum Ausfüllen. Zusätzlich lieferte der Pretest noch weitere Hinweise zur Optimierung des Fragebogens und des Ablaufs der Befragung in den Klassen, die berücksichtigt wurden.

Um die Qualität der Daten zu sichern, war der Forscher bei der Befragung jeder Klasse in den neun Schulen persönlich anwesend. So konnten Verständnisfragen zu einzelnen Items geklärt und Bedenken bezüglich der Anonymität der Befragung ausgeräumt werden. Aus den Pretests war bekannt, dass das genaue Kartieren der Orte den Jugendlichen vereinzelt Schwierigkeiten bereitete. Um die Datenqualität an dieser Stelle zu erhöhen, wurde den Schüler*innen erlaubt, sich bei diesem Item von ihren Sitznachbar*innen unterstützen zu lassen.

Die ausgefüllten Fragebögen wurden manuell digitalisiert und die Items für die statistischen Analysen als Zahlen codiert (vgl. Lück und Landrock 2014: Kap 28). Die markierten Orte auf den Karten wurden mithilfe von QGIS in eine GIS-Layerdatei übertragen. Ortsangaben (überwiegend mit Adressangaben) aus den Tabellen unterhalb der Karten wurden per Adress- und Ortssuche zugeordnet. Ortsmarkierung en, die nicht mindestens blockgenau waren, wenn z. B. ganze Stadtgebiete mit einem Kreis oder Kreuz markiert wurden, wurden als ungenau gekennzeichnet und bei den folgenden räumlichen Auswertungen ausgeschlossen (s. weiter unten). Um die Anonymität der befragten Schüler*innen zu wahren, wurden adressgenau markierte Wohnorte zum Zentrum des Wohnblocks hin verschoben.

Insgesamt lagen 367 ausgefüllte Fragebögen und 349 bearbeitete Karten vor, die zum Teil jedoch nur unvollständig ausgefüllt wurden (eine detaillierte Diskussion der Ausfälle erfolgt weiter unten). Bei vielen Befragten lag das schriftliche Einverständnis der Eltern zu den Fragen, die ihre informationelle Selbstbestimmung verletzten, nicht vor. Infolgedessen wurde der Teil E des Fragebogens nur von 160 Schüler*innen ausgefüllt. Nur vereinzelt wurde von Schüler*innen oder Lehrer*innen berichtet, dass einzelne Eltern ausdrücklich eine Zustimmung abgelehnt hatten. Daher ist die geringe Rücklaufquote bei der Elterngenehmigung eher auf die Unzuverlässigkeit von Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen zurückzuführen. Die Quote variierte zwischen den einzelnen Klassen, was wahrscheinlich auf das unterschiedlich starke Engagement der unterschiedlichen Lehrer*innen beim Erinnern und Einsammeln der Elternbriefe zurückzuführen ist.

Erfahrungen aus der Umfrageforschung zeigen, dass Personen mit geringerer Bildung und Migrationshintergrund meist in Befragungen aufgrund geringerer Teilnahmebereitschaft unterrepräsentiert sind (vgl. Engel und Schmidt 2014: 335 ff.). Selektive Ausfälle mit Blick auf das ökonomische und kulturelle Kapital zeigen sich auch bei der Befragung von Schüler*innen (vgl. Abraham et al. 2015; Heine et al. 2017). Hier hängt die geringere Teilnahme von Schüler*innen mit niedrigerem sozioökonomischem Status möglicherweise vor allem mit nicht erteilten Elterngenehmigungen zusammen. Ein Hinweis hierauf liefern die Rücklaufquoten von Elternbefragungen, die ergänzend zu den Befragungen von Schüler*innen durchgeführt wurden. Wie bei den Schüler*innenbefragungen sind Befragte mit geringerem sozialen Status unterrepräsentiert (vgl. Abraham et al. 2015). Die Verteilung der fehlenden Elterngenehmigungen in der Stichprobe dieser Arbeit zeigen keine Auffälligkeiten nach Schultyp, der einen Hinweis auf den sozioökonomischen Status gibt. Sowohl eines der beiden Gymnasien als auch zwei der Integrierten Sekundarschulen weisen überdurchschnittliche hohe Ausfallraten für den Fragebogenteil E auf. Ob innerhalb der einzelnen Schulen bzw. der beiden Schultypen jeweils eher die statushöheren Schüler*innen den Fragebogenteil E beantworteten, lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Daten nicht prüfen. Insgesamt zeigt die Verteilung des sozioökonomischen Status, dass auch ein größerer Anteil von Befragten mit niedrigerem Status in der Gesamtstichprobe vertreten ist (s. elektronischen Zusatzmaterial, Abb. 1).

4.2.4 Operationalisierung Variablen

Einige der in den statistischen Analysen verwendeten Variablen ergaben sich direkt aus den Antworten im Fragebogen und mussten nur als Zahlen codiert werden (eine Übersicht aller Variablen findet sich in Tab. 4.2). Die Variable Geschlecht hat die beiden Ausprägungen „weiblich“ und „männlich“. Für die vier häufigsten Freizeitaktivitäten konnten die Befragten jeweils eine Angabe aus sieben Ortskategorien auswählen („zuhause“, „bei Freunden/Verwandten zuhause“, „draußen“, „in frei zugänglichen Gebäuden“, „Jugendzentrum“, „auf dem Gelände eines Vereins“, „sonstiges“). Die Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln (Skateboard/Kickroller, Fahrrad, Mofa/Motorrad, Auto der Eltern, Monatskarte ÖPNV) konnte im Fragebogen mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Für die Nutzung der Fortbewegungsmittel (zu Fuß, Skateboard/Kickroller, Fahrrad, Mofa/Motorrad, Auto der Eltern, ÖPNV) stand eine ordinale Antwortskala mit den Antwortmöglichkeiten „nie“, „seltener als einmal die Woche“, „mehrmals die Woche“ und „täglich“ zur Verfügung. Für die Wohndauer wurden die angegebenen Jahre als Werte übernommen. Weitere Variablen mussten durch Berechnungen, Kategorisierungen und Kombinationen von Variablen operationalisiert werden. Diese Operationalisierungen sollen im Folgenden erläutert werden.

Tabelle 4.2 Übersicht Variablen

Sozioökonomischer Status und Schulstatus

Zur Bestimmung des sozioökonomischen StatusFootnote 7 der befragten Schüler*innen bzw. ihrer Familien wurde ein Index aus verschiedenen Variablen zu Bildungsabschluss, Beruf und Erwerbsstatus der Eltern sowie der Wohnsituation gebildet (vgl. Latcheva und Davidov 2014). Eine hohe Indexsumme spiegelt einen hohen, eine niedrige Summe einen niedrigeren Status.Footnote 8 Für über die Hälfte der Schüler*innen konnte der sozioökonomische Status jedoch nicht berechnet werden, aufgrund der vielen Ausfälle beim Fragebogenteil E, der die meisten für die Berechnung des sozioökonomischen Status notwendigen Items enthält. Der sozioökonomische Status ist jedoch eine der zentralen Variablen in der Theorie und den erarbeiteten Hypothesen zur Erklärung des räumlichen Freizeitverhaltens von Jugendlichen. Daher wurde über alternative Möglichkeiten nachgedacht, für einen größeren Anteil der Befragten den sozioökonomischen Status bestimmen oder zumindest abschätzen zu können.Footnote 9

Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen sozioökonomischem Status der Familien und den besuchten Schulen ihrer Kinder (vgl. Becker 2016; Helbig und Nikolai 2017; Ditton und Maaz 2011), bot eine Einteilung der befragten Schulen nach hohem und niedrigem Status eine praktikable Option, um den sozioökonomischen Status der Schüler*innen annäherungsweise zu bestimmen. Schüler*innen von statushohen Schulen haben mit größerer Wahrscheinlichkeit selbst einen höheren Status, Schüler*innen von statusniedrigen Schulen haben eher einen niedrigeren sozioökonomischen Status. Der Vorteil dieses Vorgehens: Da die Jugendlichen über ihre Schulen befragt wurden, lässt sich für alle Befragten jeweils die Schule und damit der Schulstatus angeben. Als nachteilig erweist sich, dass dieses Vorgehen nur eine grobe Annäherung an den tatsächlichen Status der einzelnen Schüler*innen darstellt und mit zwei Ungenauigkeiten einhergeht.

Anhaltspunkt zur Definition des Schulstatus bot das Vorhandensein einer eigenen Oberstufe an den betreffenden Schulen, da dies maßgeblich die Attraktivität einer Schule bestimmt und für die meisten Eltern aus mittleren und höheren sozialen Schichten die Voraussetzung für die Anmeldung ihrer Kinder an diesen Schulen sein dürfte (vgl. Drope und Jurczok 2013: 500 f.; Helbig und Nikolai 2017). Diese Einteilung der neun ausgewählten Schulen wurde validiert anhand der persönlichen Eindrücke von den Befragungen vor Ort, die unmittelbar nach den Befragungsterminen notiert wurden. Für die Schulen, bei denen sich Unsicherheiten bei der Zuordnung eines niedrigen oder hohen Status ergaben, wurde zusätzlich ein Blick in verfügbare Schulstatistiken geworfen. Die Zuordnung der beiden Integrierten Sekundarschulen mit Oberstufe zu den statushohen Schulen wurde unterstrichen mit dem im Vergleich zu anderen Integrierten Sekundarschulen (ISS) hohen Durchschnitt der Abiturnoten.Footnote 10 Eine Schule, die zuvor einmal eine Oberstufe besessen hatte, jedoch nicht mehr im Schuljahr 2016/17, zeichnete sich durch einen überdurchschnittlichen Anteil an Schüler*innen mit Lernmittelbefreiung aus. Die Zuordnung zu den statusniedrigen Schulen wurde damit bestätigt. Insgesamt wurde die Statuseinteilung der Schulen nach dem Vorhandensein einer eigenen Oberstufe durch die Eindrücke von den Erhebungsterminen und den Schulstatistiken gestützt. Für das Gymnasium „Gym B“ liegen Mittelwert und Median des Index zum sozioökonomischem Status zwischen den beiden Gruppen von Schulen ohne bzw. mit Oberstufe. Aufgrund der vorhanden Oberstufe und den Eindrücken bei der Befragung vor Ort wurde diese Schule der Gruppe der statushohen Schulen zugeteilt.

Für die 154 Schüler*innen, für welche sich der sozioökonomische Status berechnen ließ, lässt sich die Stärke des Zusammenhangs zwischen Schulstatus und dem individuellen sozioökonomischem Status mit einem Korrelationskoeffizient von 0,43 (p \(<{}\) 0,001) angeben. Der Zusammenhang ist damit stärker als der zwischen Schultyp (Gymnasium/ISS) und individuellem Status (0,32, p \(<{}\) 0,001). Zugleich ist er aber nur als mittelstark zu bezeichnen (vgl. Cohen 1988: 79 f.) und zeigt, dass die Unterteilung der Schulen in die zwei Statusgruppen die Schüler*innen nicht ebenfalls nach sozioökonomischem Status in zwei trennscharfe Gruppen unterteilt. Ein Boxplot verdeutlicht dies (s. Abb. 4.3): Im Durchschnitt unterscheiden sich die Schüler*innen der beiden Schulstatusgruppen in ihrem individuellem Status deutlich. Es zeigt sich jedoch insgesamt eine weite Streuung der Indexwerte für den sozioökonomischem Status innerhalb der Schülerschaft jeder Schule. Dies spiegelt den Umstand wider, dass auch statushohe Schüler*innen statusniedrigen Schulen und umgekehrt statusniedrige Schüler*innen statushohe Schulen besuchen. Dies muss bei der Betrachtung der Analysen unter Einbezug des Schulstatus reflektiert werden. Auswertungen mit dem Schulstatus wurden jeweils im Vergleich auch mit dem sozioökonomischen Status und einer entsprechend kleineren Stichprobe durchgeführt. Da wo die Richtung oder das Maß der Zusammenhänge stark von einander abweichen, werden die Unterschiede berichtet und diskutiert.

Abbildung 4.3
figure 3

Verteilung sozioökonomischer Status nach Schulen

Tabelle 4.3 Befragte Schulen mit Schulstatus

Bei der Auswahl der Schulen für die Stichprobe war angestrebt worden, nach Lage und Quartierstatus zu quotieren. Außerdem sollten jeweils sowohl integrierte Sekundarschulen als auch Gymnasien für die verschiedenen Quartierstypen akquiriert werden, um auch Schüler*innen mit unterschiedlichem sozialen Status in der Stichprobe abzubilden. Es konnten nur zwei Gymnasien für die Befragung gewonnen werden. Werden die Schulen nun jedoch nach dem neu definierten Schulstatus und nicht nach Schultyp unterteilt, kommt die Auswahl der Schulen der angestrebten Quotierung etwas näher (s. Tab. 4.3). Diese Einteilung nach Schulstatus wurde daher in den statistischen Analysen als Variable verwendet.

Migrationshintergrund

Über zwei Fragen im Fragebogenteil E wurde bestimmt, ob die befragten Schüler*innen einen Migrationshintergrund haben und welcher Nationalität der Migrationshintergrund ist. Wie beim sozioökonomischem Status führte die große Anzahl an nicht ausgefüllten Fragebogenteilen zu vielen Ausfällen bei diesen beiden Variablen. Für mehr als die Hälfte der Jugendlichen konnte daher nicht bestimmt werden, ob ein Migrationshintergrund vorhanden ist oder nicht. Von den 153 Schüler*innen, welche die entsprechende Frage beantworteten, haben 31 % einen Migrationshintergrund. Das liegt deutlich unter den 47 %, welche die Amtsstatistik als Anteil für die Altersgruppe von 15–18 Jahren angibt (vgl. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2017).

Die Personen mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund gehören zu den größten Migrant*innengruppen in Berlin (vgl. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2017). Ihnen wird zudem eine besonders große kulturelle Differenz zur deutschen Mehrheitsgesellschaft unterstellt und zugleich sind sie im besonderen Maße Diskriminierung ausgesetzt (vgl. Mansel und Spaiser 2010; Merten 2013). Daher ist vor allem bei Jugendlichen dieser Gruppen ein Einfluss des Migrationshintergrundes auf Freizeitverhalten und Aktivitätsräume zu erwarten. Ein Blick auf die Verteilung der Nationalitäten zeigt, dass ein türkischer und arabischer Migrationshintergrund mit nur vier bzw. zwei Fällen stark unterrepräsentiert sind.

Im Gegensatz zum sozioökonomischem Status existiert keine Alternative, den Migrationshintergrund und seine Nationalität für die Jugendlichen, welche diese Frage nicht beantwortet haben, zu bestimmen. Da zusätzlich die beiden wichtigen Gruppen der türkischen und arabischen Migrant*innen kaum unter den Jugendlichen, für welche sich der Migrationshintergrund bestimmen lässt, vertreten sind, soll der Migrationshintergrund nicht als Variable in den Analysen einbezogen werden.

Wohnlage und Peripherität Wohnort

Die Peripherität der Wohnlage wurde berechnet als die Distanz des Wohnortes zum U-Bahnhof Stadtmitte, der in etwa der geografischen Mitte des Berliner Stadtgebiets entspricht und sich zugleich in zentraler Lage der Zentrumsbereiche in Ost und West befindet. Für bestimmte statistische Analysen wurde eine dichotome Variable zur Wohnlage definiert: Als „periphere“ Wohnlage gelten Wohnorte, die weiter als 3 km außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings liegen. Das entspricht ungefähr einer maximalen Fahrtzeit mit dem ÖPNV von 20 Minuten und mit dem Fahrrad von maximal 45 Minuten bis zu U-Bahn-Haltestelle „Stadtmitte“. Alle Wohnorte innerhalb dieser Zone wurden als „zentral“ kategorisiert. Diese als zentral definierte Zone wurde etwas weiter als der S-Bahn-Ring gefasst, um ungefähr alle jene Gebiete mit einer höheren städtebaulichen und Bevölkerungsdichte abzubilden.

Quartierstatus und Marginalisierung Wohnquartier

Als dichotome Variable für den Quartierstatus wurden die Statusklassifizierung des Monitoring Soziale Stadtentwicklung (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Referat IA, Stadtentwicklungsplanung 2015) herangezogen. Alle Gebiete mit einem „negativen“ oder „sehr negativen“ Status wurden als „marginalisiert“, alle anderen als „nicht-marginalisiert“ festgelegt. Zusätzlich wurde der Anteil an SGB-II-Empfänger*innen in den lebensweltlich orientierten Räumen (LOR) als metrisch skalierte Variable zur Abbildung des Marginalisierungsgrades herangezogen. Der Anteil an SGB-II-Empfänger*innen geht im Monitoring Soziale Stadtentwicklung (MSS) als einer von vier Indikatoren in die Berechnung der LOR-Status ein und ist in Bezug auf verfestigte marginalisierte Strukturen im Quartier aussagekräftiger als die drei anderen Indikatoren Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und Kinderarmut.

Entfernung Schule und Freundeskreis

Die Entfernung zwischen Wohnort und besuchter Schule wurde für jede befragte Person im GIS-Programm als Distanz der Luftlinie zwischen den beiden markierten Orten berechnet. Dies ist eine ausreichend genaue Annäherung an die Entfernung der tatsächlich zurückgelegten Strecke zwischen diesen beiden Orten mit unterschiedlichen Mobilitätsmitteln. Das Verhältnis von tatsächlich zurückgelegter Strecke und der Luftlinien mag je nach Verkehrsmittel, Ort und Person leicht variieren, der enge Zusammenhang zwischen diesen beiden Distanzen ist jedoch evident. Um die räumliche Ausdehnung des Freundeskreises zu operationalisieren, wurde die durchschnittliche Luftlinie zwischen den Wohnorten der Befragten und der Wohnorte ihrer Freund*innen berechnet.

Freizeitaktivitäten, un-/strukturierte Aktivitäten und spezifische Freizeitorte

Die offenen Fragebogenitems zu den vier häufigsten Freizeitbeschäftigungen wurden in einem mehrstufigen Prozess zu immer übergreifenderen Kategorien zusammengefasst. Das Ergebnis sind fünf Oberkategorien. Der Kategorie „Sport“ sind alle sportlichen Aktivitäten, ob individuell oder kollektiv, im Verein oder im Park, zugeordnet. Aktivitäten ohne konkreten Ort oder Anlass, wie Chillen und Freund*innentreffen, sind in der Kategorie „Unspezifisch Zeit verbringen“ zusammengefasst. Die Kategorie „Medienkonsum“ umfasst jegliche Beschäftigung mit Medien, von Musikhören über Filme/Serien schauen bis hin zum Spielen von Computerspielen. Unter „Künstlerisch“ wurden alle im weitesten Sinne kreativen Beschäftigungen zusammengefasst. Dazu gehören angeleitete Angebote aus dem Bereich Kunst, Musik und Theater, aber auch eigenständige Aktivitäten in diesen Bereichen. Zu „Unternehmungslustig“ gehören alle konsum- und unterhaltungsorientierte Aktivitäten, wie Besuche von Kinos, Bars und Clubs oder Shoppen.

Als strukturierte Aktivitäten wurden Freizeitbeschäftigungen definiert, welche zu festgelegten Zeiten an bestimmten Orten stattfinden (z. B. Sporttraining, Musikunterricht, etc.). Jede Aktivität wurde anhand der konkreten offenen Angabe und den zugehörigen Angaben zum Ort als strukturiert oder unstrukturiert klassifiziert. Die Strukturiertheit der Freizeit ergibt sich aus dem Anteil der strukturierten Aktivitäten unter den vier im Fragebogen angegebenen Freizeitaktivitäten.

Von den 367 befragten Schüler*innen haben 361 mindestens eine Freizeitaktivität in der Tabelle des Fragebogens angegeben. Insgesamt wurden 1275 gültige Angaben zu Freizeitaktivitäten gemacht. Davon wurden 1004 Aktivitäten von 280 Befragten mindestens blockgenau markiert. Nur diese präzise markierten Aktivitäten wurden für die Berechnung der Aktivitätsraumgrößen verwendet. Um zusätzlich zu den direkten Angaben zu den Orten der Aktivitäten im Fragebogen auch spezifisch jene Aktivitäten in Einkaufszentren und auf Grünflächen zu erfassen, wurden die präzise markierten Freizeitaktivitäten der Befragten mit den Karten zu Einkaufszentren und Grünflächen abgeglichen.Footnote 11

Aktivitätsraumgröße und Marginalisierung Freizeitkontext

Für die Variable der Aktivitätsraumgröße wurde die durchschnittliche Distanz zwischen den Wohnorten der Befragten und den Orten der Freizeitaktivitäten berechnet. Diese Form der Operationalisierung wurde anderen Varianten vorgezogen. Der maximale Radius der Aktivitäten, bestimmt über die am weitesten entfernte Aktivität, ist nicht geeignet, die durchschnittlichen in der Freizeit zurückgelegten Entfernungen abzubilden. Einzelne weiter entfernte Aktivitäten führen hier zu Verzerrungen. Um geografische Polygone bzw. Flächen zu berechnen sind mindestens drei Orte nötig, was alle Befragten aus der Stichprobe ausschließt, welche nur zwei Freizeitaktivitäten markiert haben. Die durchschnittlichen Distanzen stellen daher einen guten Kompromiss dar, sie bilden ab, wie weit sich die Jugendlichen in ihrer Freizeit im Durchschnitt von ihrem Wohnort entfernen, und sind damit eine gute Annäherung an die tatsächliche Aktivitätsraumgröße. Diese Operationalisierung bezieht sich nicht, wie die theoretische Definition von Horton und Reynolds (1971), auf alle im Alltag besuchten Orte, sondern nur auf den Wohnort und die Freizeitaktivitäten der befragten Jugendlichen. Obwohl die Schulen täglich angesteuerte Orte sind, wurden sie in die Berechnungen nicht mit einbezogen, da der Einfluss der Entfernung zwischen Wohnort und Schulort auf die Aktivitätsraumgröße als unabhängige Variable geprüft werden soll. Die Wohnorte der Freund*innen waren ebenfalls nicht Teil dieser Operationalisierung, da sie nicht zwingend genutzte Alltagsorte sind. Sind die Wohnorte von Freund*innen regelmäßige Freizeittreffpunkte, haben die befragten Jugendlichen sie auch als Aktivitätsort auf den Karten markiert.

Neben der Größe sollte auch die Marginalisierung der Aktivitätsräume der Befragten in einer Variable abgebildet werden. Dafür wurde für alle auf den Karten markierten Aktivitäten der Status des lebensweltlich orientierten Raum (LOR), in dem sie stattfinden, in QGIS abgefragt. Dann wurde der Anteil an Aktivitäten berechnet, der in einen LOR mit niedrigem oder sehr niedrigem Status stattfindet. Diese Variable misst also, wie sehr eine Person marginalisierten, urbanen Kontexten in ihrer Freizeit ausgesetzt ist.

4.2.5 Zusammensetzung der Stichprobe

Auf Grundlage der ausgewerteten bestehenden Studien zum räumlichen Freizeitverhalten von Jugendlichen wird angenommen, dass dieses auf individueller Ebene insbesondere durch den sozialen Status und das Geschlecht sowie auf Ebene der Wohnorte vor allem durch die Marginalisierung und Lage des Wohnquartiers geprägt wird. Ziel war es daher, eine Stichprobe zu erreichen, in der die Ausprägungen dieser vier Merkmale annähernd gleich verteilt sind. Ein Blick auf die erreichte Stichprobe zeigt, dass drei der vier zentralen unabhängigen Variablen recht gleichmäßig verteilt sind (s. Tab. 4.4). Es gibt nahezu gleich viele männliche und weibliche Befragte in der Stichprobe. Schüler*innen von statushohen Schulen und aus zentraler Wohnlage sind nur leicht übergewichtet. Beim Quartierstatus zeigt sich jedoch eine deutliche Ungleichverteilung: Es überwiegen Jugendliche, die in nicht-marginalisierten Quartieren wohnen. Dies spiegelt zum einen die geringere Anzahl von Schulen in benachteiligten Quartieren, die für die Forschung gewonnen werden konnte, und zum anderen die insgesamt geringe Anzahl an LOR mit niedrigem und sehr niedrigem Status (19 % im MSS 2017) wider.

Tabelle 4.4 Deskriptive Statistik zentrale Variablen

Verzerrungen bei den statistischen Analysen können durch starke Zusammenhänge dieser erklärenden Variablen auftreten (in Regressionsanalysen als Problem der Multikollinearität). Eine Matrix der Phi-KoeffizientenFootnote 12 (s. Abb. 4.4) zeigt mindestens schwache Zusammenhänge zwischen dem Schulstatus und den übrigen drei Variablen. Insbesondere die Korrelationen zwischen Schulstatus auf der einen sowie Wohnlage und Quartierstatus auf der anderen Seite sind deutlich. Ein Blick auf die Häufigkeitsverteilungen in Abhängigkeit vom Schulstatus zeigen (s. Tab. 4.5): In der Stichprobe sind Schüler*innen von statushohen Schulen eher weiblich und wohnen eher in zentralen Quartieren, demgegenüber sind Schüler*innen von statusniedrigen Schulen männlich und wohnen eher in peripheren Quartieren. In beiden Schulstatusgruppen wohnt jeweils nur eine Minderheit in benachteiligten Quartieren, bei Schulen mit niedrigem Status ist diese aber deutlich größer.

Abbildung 4.4
figure 4

Statistische Zusammenhänge zentraler Variablen (Phi-Koeffizient)

Tabelle 4.5 Verteilung zentrale Variablen nach Schulstatus

Im vorangegangen Kapitel wurde gezeigt, dass es keine ungleiche Verteilung von Schulen mit Oberstufe zwischen peripheren und zentralen Gebieten gibt und auch marginalisierte Quartiere befinden sich sowohl am Stadtrand als auch in der Innenstadt. Daher erscheint die Stichprobe mit dem vorhandenen Zusammenhang zwischen Schulstatus verzerrt gegenüber der Grundgesamtheit, bei der von diesem Zusammenhang nicht auszugehen ist. Die größere Anzahl an Mädchen auf den statushohen Schulen und größere Anzahl an Jungen auf den statusniedrigen entspricht in dieser Tendenz den Verteilungen in der Grundgesamtheit. Im Schuljahr 2016/17 waren 53,4 % der Schüler*innen der 10. Jahrgangsstufe an Gymnasien weiblich, obwohl ihr Anteil an der 10. Jahrgangsstufe aller Schulen nur 48,3 % betrug (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2017: 12).

Diese schiefe Verteilung der Variablen Geschlecht, Wohnlage und Quartierstatus (bzw. Peripherität Wohnort und Marginalisierung Wohnquartier) in Bezug auf den Schulstatus und die Zusammenhänge untereinander müssen bei den Analysen beachtet werden. Bivariate Zusammenhänge dieser drei Variablen mit weiteren Variablen werden daher jeweils gruppiert nach Schulstatus mit relativen Häufigkeiten dargestellt. Bei den Regressionsanalysen ergibt sich das Problem der Multikollinearität (vgl. Urban und Mayerl 2018: Abschn. 4.5). Zur Prüfung und Interpretation dieses Sachverhalts werden die Varianzinflationsfaktoren der einzelnen unabhängigen Variablen geprüft, auf hohe Werte (>5) hingewiesen und diese im Kontext der Modelle diskutiert (vgl. O’brien 2007).

Wie oben bereits beschrieben, ergeben sich bei einigen Variablen fehlende Werte durch nicht bearbeitete Karten und fehlende Elterngenehmigungen. Auch unvollständig ausgefüllte Fragebögen und Karten haben zu Ausfällen geführt. Da viele Variablen mit Bezug auf den Wohnort berechnet wurden (Peripherität Wohnort, Wohnlage, Marginalisierung Wohnquartier, Quartierstatus, Entfernung Schule, Entfernung Freundeskreis, Aktivitätsraumgröße), führen nicht oder ungenau markierte Wohnorte gleichzeitig zum Ausfall einer ganzen Reihe von Variablen bei betreffenden Jugendlichen. Bei diesen Variablen ergeben sich nach dem sozioökonomischem Status die meisten fehlenden Werte (s. Abb. 4.5). Ebenfalls von vielen Ausfällen betroffen ist die Variable Marginalisierung Freizeitkontext. Ursächlich sind nicht oder ungenau markierte Freizeitaktivitäten. Bei allen weiteren Variablen ergeben sich nur wenige bis gar keine Ausfälle. Um mögliche Verzerrungen in den Regressionsanalysen durch unterschiedliche Stichprobengrößen zu vermeiden, sollen die unabhängigen Variablen schrittweise in die Regressionsmodelle einbezogen werden. Dabei wird jeweils geprüft, ob sich Effekte durch eine verkleinerte Stichprobe ergeben.

Abbildung 4.5
figure 5

Anteil fehlender Werte bei einzelnen Variablen

4.2.6 Statistische und raumbezogene Analysen

Alle statistischen Analysen wurden mit der Programmiersprache R (R Core Team 2020) durchgeführt. Tabellarische und graphische Darstellungen wurden ebenfalls mit R erstellt.Footnote 13 Die Hypothesensets 1 und 2 zum Freizeit- und Mobilitätsverhalten von Jugendlichen wurden anhand von einfachen Häufigkeitsverteilungen in Form von einfachen Balkendiagrammen und Balkendiagrammen, die bivariate Zusammenhänge abbilden, untersucht (vgl. Bortz und Schuster 2010: Abschn. 3.5; Döring und Bortz 2016: 621 ff.; Wollschläger 2017: Kap 15.2.2). Die Balkendiagramme wurden mit dem R-Paket „ggplot2“ (Wickham 2016) erstellt. Um die Häufigkeit einer Variable in Abhängigkeit einer weiteren Variable darzustellen, wurden gruppierte Balkendiagramme verwendet. Zur besseren Vergleichbarkeit der unterschiedlich stark besetzten Gruppen sind relative und nicht absolute Häufigkeit angegeben. Um Hypothesenset 2 „Stadtstruktur und Mobilität“ zu explorieren und zu prüfen, wurden auch kartografische Analysen durchgeführt. So wurden mit QGIS relevante Daten in Karten zusammengestellt und visualisiert sowie Heatmaps erstellt (vgl. Ballas et al. 2018; DeBoer 2015; Meyer und Bruderer Enzler 2013).

Die Hypothesensets 3 und 4 wurden mithilfe multipler linearer Regressionen („ordinary least squares“ / Kleinste-Quadrate-Schätzung) mit den unabhängigen Variablen Aktivitätsraumgröße und Marginalisierung Freizeitkontext untersucht. Die Ergebnisse der Regressionsanalysen werden mit dem R-Paket „stargazer“ (Hlavac 2018) tabellarisch dargestellt. Den bestehenden Forschungsbefunden und den herausgearbeiteten Hypothesen folgend, wurde der Einfluss einer Reihe von unabhängige Variablen untersucht.

Die Forschungslage zum räumlichen Freizeitverhalten von Jugendlichen weist auf einige komplexe Wechselwirkungen verschiedener Variablen hin, die in den Regressionsanalysen in Form von Mediations- und Moderationsanalysen berücksichtigt werden sollen (vgl. Baron und Kenny 1986). Für die Untersuchung von Moderationseffekten wurden Interaktionsterme der beteiligten Variablen in das Modell mit einbezogen (vgl. Dirk Müller 2009: 258; Urban und Mayerl 2018: Abschn. 6.1.1). Zeigten diese Interaktionsterme einen relevanten Effekt, wurden die Moderationseffekte mit Hilfe von Interaktionsdiagrammen, die mit dem R-Paket „interactions“ (Long 2019) erstellt wurden, interpretiert (vgl. Fairchild und MacKinnon 2009: 90; Warner 2013: 642).

Vermutete Mediationseffekte wurden nach dem von Baron und Kenny (1986) vorgeschlagenen Vorgehen untersucht. Dafür wurden neben dem eigentlichen Regressionsmodell mit unabhängiger und Mediatorvariable zwei weitere Modelle gerechnet. Das erste Modell bestimmt den Effekt der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable unter Abwesenheit der vermuteten mediierenden Variable, das zweite Modell den Einfluss der unabhängigen Variable auf die Mediatorvariable. Werden die Effekte dieser beiden Modelle mit denen des ursprünglichen Modells verglichen, lässt sich ein möglicher Mediationseffekt abschätzen. Der indirekte Effekt der unabhängigen Variable ergibt sich aus dem Produkt des Effekts der unabhängigen Variable auf die mediierende Variable und des Effekts der mediierenden Variable auf die abhängige Variable. Als Gesamteffekt wird die Summe aus direktem und indirektem Effekt der unabhängigen auf die abhängige Variable bezeichnet (vgl. auch MacKinnon et al. 2007; Dirk Müller 2009: 266 ff.). Zum Vergleich der Signifikanzen von direktem, indirektem und mediiertem Effekt wurden Bootstrapping-Analysen (vgl. Hayes 2018; Preacher und Hayes 2008) mit dem R-Paket „mediation“ (Tingley et al. 2014) durchgeführt.

In den Beschreibungen und Interpretationen der Regressionsanalysen liegt der Fokus auf den standardisierten Regressionskoeffizienten, da sie eine Einschätzung des relativen Effekts der unabhängigen Variablen in Gegenwart der anderen unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable ermöglichen (vgl. Schielzeth 2010; Urban und Mayerl 2018: 65 ff.). In den Tabellen sind entsprechend die standardisierten Regressionskoeffizienten vermerkt, die unstandardisierten Koeffizienten werden in Klammern darunter angegeben. Um die Interpretation der unstandardisierten Koeffizienten trotz der durch die in den Modellen enthaltenen Interaktionsterme und der damit einhergehenden nicht-essenziellen Multikollinearität zu verbessern, wurden die Werte der unabhängigen Variablen mittelwertzentriert (vgl. Schielzeth 2010; Urban und Mayerl 2018: 245 ff.). Für die Diagramme werden – soweit nicht anders angegeben – die unstandardisierten, aber mittelwertzentrierten Werte verwendet.

Um kohärente Modelle zu entwickeln, wurden schrittweise und theoriebasiert unabhängige Variablen und Interaktionsterme in die Regression einbezogen und jene ohne Effekte wieder aus den Modellen entfernt (vgl. Bortz und Schuster 2010: 358). Die Effektstärken wurden in Anlehnung an Cohen (1988: 79 ff.) beurteilt (vgl. auch Ellis 2010: 41 f.). Bei einem standardisierten Regressionskoeffizienten von \(\beta \) \(<{}\) 0,1 wird von keinem Effekt der unabhängigen Variable auf die abhängige ausgegangen. Ein \(\beta \) \(\ge \) 0,1 wird als „schwacher“, ein \(\beta \) \(\ge \) 0,3 als „mittlerer“ und ein \(\beta \) \(\ge \) 0,5 als „starker“ Effekt bezeichnet.

Gleichzeitig wurde zur Beurteilung der Modelle auch der korrigierte Determinationskoeffizient (R\(^2\)) herangezogen. Er ist ein Indiz dafür, wie gut die empirischen Werte durch das Modell vorhergesagt werden und wie viel Varianz der abhängigen Variable durch die unabhängigen Variablen erklärt wird (vgl. Bortz und Schuster 2010: Kap. 11.1.6). Die Werte von R\(^2\) werden ebenfalls nach den Vorschlägen von Cohen (1988: 413 f.) beurteilt. Ein Wert von R\(^2\) \(\ge \) 0,02 wird als eine „geringe“, ein R\(^2\) \(\ge \) 0,13 als „mittlere“ und ein R\(^2\) \(\ge \) 0,26 als „starke“ Varianzaufklärung bezeichnet.

4.3 Qualitative Erhebung

Im quantitativem Forschungsteil wurde versucht, die Frage, wie Faktoren auf Ebene der Individuen und der Quartiere das Freizeit- und Mobilitätsverhalten und damit die Aktivitätsräume prägen, zu beantworten. Anschließend sollen im qualitativen Forschungsteil im Sinne eines Vertiefungsdesigns (vgl. Ivankova et al. 2006; Kuckartz 2014: 78) die Hintergründe dieser Zusammenhänge untersucht werden. Das heißt konkret sollen Antworten zu den Fragen gefunden werden, warum Jugendliche bestimmte Freizeitaktivitäten und -orte präferieren und warum dies mit ihrem Geschlecht, sozialen Status und Wohnquartier zusammenhängt. Was motiviert Jugendliche ihr Quartier zu nutzen oder zu verlassen? Welche Rolle spielen dabei Schule und Freund*innen? Dazu sollten auch subjektiv wahrgenommene räumliche Grenzen innerhalb der Stadt und Motivationen, bestimmte Wege zurückzulegen, erfasst werden.

Um diese Fragen gezielt zu beantworten, wird fokussiert vorgegangen. Dazu sollen Leitfadeninterviews mit Jugendlichen durchgeführt werden. Wie bereits bei der quantitativen Erhebung, sollen auch in der Stichprobe des qualitativen Forschungsabschnitts zentrale Untersuchungsmerkmale der individuellen (Geschlecht, sozialer Status) wie der Quartiersebene (Status des Wohnquartiers) abgebildet werden. Dazu sollen Leitfadeninterviews mit Jugendlichen aus verschiedenen Quartieren mit unterschiedlichem sozialen Status und Geschlecht durchgeführt werden. Der gezielte Zugang zu Interviewpartner*innen entsprechend dieser Kriterien erfolgt über Jugendzentren und persönliche Kontakte.

Der Interviewleitfaden wird in Blöcken entlang der aufgeworfenen Fragestellungen entwickelt, um in den Interviews gezielt auf die relevanten Themen einzugehen. Nach der Transkription sollen die Interviews dann mit Fokus auf diese Themen codiert werden. Um die Zusammenhänge zwischen forschungsrelevanten Merkmalen und dem Freizeitverhalten systematisch darzustellen, wird eine Fallübersicht erstellt. In einem weiteren Auswertungsschritt wurden Typen entlang des zentralen Forschungsthemas des räumlichen Freizeitverhaltens gebildet. Die Fallübersicht und die Typen geben Aufschluss darüber, wie die Merkmale auf individueller und auf Quartiersebene mit dem Freizeit- und Raumverhalten in Verbindung stehen.

4.3.1 Feldzugang

Für den qualitativen Teil dieser Forschung wurden Interviewpartner*innen über Jugendfreizeiteinrichtungen für die Forschung gewonnen. Durch die gezielte Auswahl der Jugendzentren konnte, ähnlich wie bereits zuvor im quantitativen Forschungsteil, die Stichprobenziehung räumlich fokussiert werden. Die Nutzer*innen von Jugendfreizeiteinrichtungen kommen zwar nicht zwingend aus dem näheren räumlichen Umfeld der Einrichtung, dies trifft jedoch wahrscheinlich auf die meisten zu. Zudem bieten offene Bereiche von Jugendzentren die Möglichkeit gleich mit mehreren Jugendlichen in Kontakt zu treten, um sie für ein Interview zu gewinnen.

Da die qualitative Forschungsphase darauf abzielte, die im quantitativen Forschungsteil geprüften und explorierten Zusammenhänge zu vertiefen, wurde versucht, das Schema der Stichprobenziehung der quantitativen Befragung teilweise zu reproduzieren. Daher wurde angestrebt, sowohl statusniedrigere als auch statushöhere Jugendliche zu befragen. Da Jugendfreizeiteinrichtungen häufiger von Jugendlichen aus Haupt-, Real- und Gesamtschulen genutzt werden (vgl. Merkens 2001; Oberwittler et al. 2001: 81 f.), die tendenziell eher aus statusniedrigeren Familien kommen, lag hier die Gefahr einer einseitigen Auswahl von Interviewpartner*innen. Zusätzlich wurde daher versucht auch über persönliche Kontakte in Berlin, vornehmlich aus akademischen Kreisen, Jugendliche für ein Interview zu gewinnen.

Zum anderen wurde versucht, Jugendliche aus benachteiligten und nicht-benachteiligten Quartieren für Interviews zu gewinnen. Ein besonders interessantes Ergebnis des quantitativen Forschungsteils ist die markante Segregation der Aktivitätsräume zwischen Jugendlichen aus dem marginalisierten Gesundbrunnen und Wedding auf der einen und den Jugendlichen aus dem nicht-marginalisierten Prenzlauer Berg und Mitte auf der anderen Seite. Daher wurden zuerst Jugendfreizeiteinrichtungen in diesen Stadtteilen und zusätzlich im ebenfalls angrenzenden, nicht-marginalisierten Pankow per E-Mail kontaktiert. Einige Einrichtungen wurden von vorneherein aussortiert, weil sie sich überwiegend an Kinder oder ausschließlich an Mädchen richten oder keinen offenen Bereich, sondern ausschließlich Kurse, Workshops usw. anbieten.

Da es fast ausschließlich Absagen oder gar keine Antworten der angeschriebenen Jugendfreizeiteinrichtungen gab, wurden in einem nächsten Schritt auch Jugendzentren in den benachbarten Stadtteilen Moabit und Reinickendorf angeschrieben. Beide Stadtteile bestehen laut Monitoring Soziale Stadtentwicklung (MSS) 2017 und 2019 sowohl aus marginalisierten als auch nicht-marginalisierten lebensweltlich orientierten Räumen (LOR). Es konnte trotz dieser Erweiterung des Stichprobengebietes keine Einrichtung in einem nicht-marginalisierten Quartier, die bereit war an der Forschung teilzunehmen, gewonnen werden. Teilnahmebereit waren ein Jugendzentrum im Gesundbrunnen und eins in Moabit.Footnote 14 Zusätzlich konnte über persönliche Netzwerke der direkte Kontakte zu zwei Jugendlichen hergestellt werden, ein Mädchen aus Gesundbrunnen/Wedding und ein Junge aus Kreuzberg.

Alle Interviews fanden im Herbst 2019 statt. Mit den beiden über persönliche Kontakte gewonnenen Interviewpartner*innen wurden Interviewtermine per E-Mail bzw. Messaging-App vereinbart. Das Jugendzentrum in Moabit wurde an einem Nachmittag besucht, der Aufenthalt im Jugendzentrum im Gesundbrunnen erfolgte an zwei aufeinander folgenden Nachmittagen. Die Zeit vor Ort zwischen den einzelnen Interviews wurde genutzt, um Eindrücke zu den Einrichtungen, ihrem Publikum und sozialräumlichen Umfeld zu sammeln. Sie wurden als Feldnotizen festgehalten und jeweils nach den Feldaufenthalten zusammen mit den Eindrücken von Interviews zu kurzen Memos ausgearbeitet. Die Feldnotizen und Memos dienten als ergänzende Informationen bei der Auswertungen der Interviews. Die sehr engagierten Leiterinnen der beiden Einrichtungen vermittelten erfolgreich durch regelmäßige Besuche bekannte und an den Nachmittagen anwesende Jugendliche für die Interviews. Weitere Jugendliche wurden direkt angesprochen und erklärten sich bereit interviewt zu werden.

4.3.2 Leitfaden und Ablauf der Interviews

Die Interviews mit den beiden über persönliche Kontakte als Informant*innen gewonnenen Jugendlichen wurden als sogenannte walking wnterviews oder auch go along interviews durchgeführt (vgl. Evans und Jones 2011; Kühl 2016; Kusenbach 2003). Dafür wurden mit beiden jeweils Treffpunkte in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnorte vereinbart. Ausgehend von diesen Treffpunkten wurde dann eine durch die interviewten Jugendlichen bestimmte Route durch den Stadtteil beschritten. Die Interviewpartner*innen wurden darum gebeten, die von ihnen genutzten Freizeitorte anzusteuern. Im Angesicht der Orte wurden dann die ortsbezogenen Fragen des Interviewleitfaden gestellt. Nicht-ortsbezogene Fragen wurde weitestgehend auf unterwegs zwischen den Orten abgehandelt. Des Weiteren wurde auch nach Freizeitorten außerhalb des eigenen Stadtteils und nach gemiedenen Orten gefragt.

Die Jugendlichen in den Jugendzentren waren nicht daran interessiert, durch ihren Stadtteil zu führen und bestanden darauf die Interviews vor Ort im Jugendzentrum durchzuführen. In beiden Jugendzentren wurden durch die Leiter*innen separate Räume für die Interviews zur Verfügung gestellt. Einige der Jugendlichen waren nur bereit zusammen mit ihren Freund*innen ein Interview zu führen, daher wurden sie als Gruppeninterviews durchgeführt. Da es nicht um sensible Themen ging, erschien dies als unproblematisch. Innerhalb der Gruppeninterviews wurde darauf geachtet, dass die Fragen des Leitfadens von allen teilnehmenden Jugendlichen beantwortet wurden, so dass sich ein Bild, z. B. zum Freizeitverhalten, für jede einzelne Person ergab. Gruppendynamiken und gegenseitige Beeinflussung sind in Gruppeninterviews nicht auszuschließen (vgl. Horner 2000). Aufgrund der verbindenden, teils lange bestehenden Freundschaften zeigen sich selbstverständlich viele Übereinstimmungen z. B. im Freizeitverhalten und bei Bewertungen von Orten. Die Beiträge der einzelnen Personen in den Gruppeninterviews zeugen jedoch grundsätzlich von individuellen und unabhängigen Positionen, weshalb sie auch als solche ausgewertet werden sollen. Interaktionen innerhalb der Gruppe wurden nicht unterbunden, jedoch auch nicht gefördert. Die Kommunikation im Interview fand zum überwiegenden Teil zwischen Forscher und einem oder mehreren der interviewten Jugendlichen statt. Daher handelt es sich bei diesen Interviews weniger um Fokusgruppen oder Gruppendiskussion, wie sie meist in der Sozialforschung genutzt werden, sondern eher um ein Gruppeninterview im Sinne gebündelter Einzelinterviews (vgl. Flick 2009: 195 ff.; Misoch 2015: 160 ff.). An einzelnen Punkten der Interviews, wenn es um Bewertungen, z. B. des eigenen Stadtteils, ging, entstanden jedoch instruktive Diskussionen zwischen den Interviewpartner*innen. In der Auswertung der Gruppeninterviews fanden sowohl die individuellen Beschreibungen von Freizeit- und Mobilitätsverhalten als auch gruppendynamische Bewertungen von Stadtteilen und Orten ihren Platz.

Der Leitfaden für die Interviews ist in mehrere thematische Abschnitte gegliedert (s. elektronisches Zusatzmaterial). Begonnen wurde jedes Interview mit ein paar kurzen einleitenden Sätzen. Dabei wurde kurz noch einmal über den Zweck der Forschung informiert und das Einverständnis zum Aufnehmen des Interviews eingeholt. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass die Auswertung des Interviews anonym stattfindet und es um die persönlichen Sichtweisen und Meinungen der Jugendlichen geht. Der erste Abschnitt an Fragen beschäftigt sich mit bevorzugten Freizeitorten, ihre konkrete Nutzung und Qualität. Im Anschluss wurde auch nach gemiedenen Orten in der Stadt gefragt. Dann folgen Fragen zum Wohnstadtteil, wie er genutzt und wahrgenommen wird. Fragen dazu, wie und wo Freundschaften entstehen und wie Verabredungen getroffen werden, bilden den nächsten Abschnitt. Die folgenden Fragen beschäftigen sich mit der Nutzung von Mobilitätsmitteln und ihrer Reichweite. Zum Abschluss folgten noch ein Block soziodemografische Fragen zu Alter, Wohnort, den Eltern und der Wohnsituation.

Wie bei qualitativen Leitfadeninterviews meist üblich und oben bereits erwähnt, wurde in den Interviews nicht streng der Abfolge der Fragenabschnitte gefolgt (vgl. Hopf 2010). Wenn es sich in der Interviewsituation ergab, wurden Abschnitte und Fragen vorgezogen. Die Interviews sollen die Ergebnisse des quantitativen Forschungsteils vertiefen. Das heißt es werden die Hintergründe für die dort geprüften und explorierten Zusammenhänge zwischen individuellen und Quartiersmerkmalen auf der einen sowie Freizeitverhalten, Mobilität und Aktivitätsräumen auf der anderen Seite untersucht. Da der Interviewleitfaden unter dieser Prämisse entwickelt wurde, sind die Fragen thematisch stark eingegrenzt.Footnote 15 Insgesamt konnten sieben Interviews mit zwölf Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren durchgeführt werden (s. Tab. 4.6). Eine detaillierte Vorstellung der einzelnen interviewten Personen erfolgt im Abschnitt 6.1.

Tabelle 4.6 Übersicht Interviews

4.3.3 Auswertung der Interviews

Die sieben aufgezeichneten Interviews wurden durch einen Online-Transkriptionsservice nach erweiterten wissenschaftlichen Regeln transkribiert (vgl. Dresing und Pehl 2015). Die Transkripte wurden ebenso wie die Notizen und Memos aus dem Feld mit der Software MAXQDA codiert (vgl. Kelle 2010; Kuckartz 2010). Insgesamt orientiert sich das methodische Vorgehen bei der Auswertung der Leitfadeninterviews am Ansatz des thematischen Codierens, wie es Kuckartz (2010: 84 ff.) mit Bezug auf Christel Hopf beschreibt (s. auch Schmidt 2010; Hopf und Schmidt 1993). Entsprechend wurde bei der Codierung primär mit vorbereiteten Codes gearbeitet. Diese wurden generiert aus den Zusammenhängen, die in der quantitativen Forschungsphase untersucht wurden. So wurden Obercodes zu den Themen Freizeitaktivitäten, Mobilität, Quartier, Freund*innen und genutzte/gemiedene Orte/Gebiete gebildet. Die Aspekte dieser Themen wurden in Subcodes abgebildet (vgl. Schreier 2014; Miles und Huberman 1994: 55 ff.). Weitere wiederkehrende Themen, welche beim Codieren der Interviews mit den vordefinierten Codes auftauchten, wurden ebenfalls als Codes dem Codebuch hinzugefügt. So wurden auch aus dem Interviewmaterial heraus vereinzelt noch neue Codes generiert.

Bereits während des Codierens wurden in Memos zu den einzelnen Themen Gemeinsamkeiten und Unterschiede notiert (vgl. Kuckartz 2010: Kap. 7; Miles und Huberman 1994: 72 ff.). Nach Abschluss des Codierens wurden diese Memos noch ergänzt und ausgearbeitet. In einer Fallübersicht (case display) wurden für jede interviewte Person die abgefragten soziodemografischen Daten und Informationen zum Wohnort und der besuchten Schule in einer Tabelle zusammengeführt mit Stichpunkten zu zentralen Themen bzw. Codes (vgl. Miles und Huberman 1994: Kap. 7 und 8). Durch diese systematische Darstellung konnten auf Ebene der interviewten Personen Zusammenhänge zwischen individuellen soziodemografischen Merkmalen, Wohnorten und besuchten Schulen auf der einen und codierten Themen (Freizeitaktivitäten, Mobilität, Quartier, Freund*innen und genutzte/gemiedene Orte/Gebiete) auf der anderen Seite erkannt werden. Für jede interviewte Person wurde mit QGIS außerdem eine Karte erstellt, auf der alle im Interview genannten Orte (Wohnort, Freizeitorte, Schule, Wohnorte der Freund*innen u. a.) aus ihrem Alltag lokalisiert wurden. Auf Basis der Fallübersicht und der Karten wurden abschließend entlang des zentralen Forschungsthemas räumliches Freizeitverhalten Typen gebildet (vgl. Kelle und Kluge 2010).Footnote 16

4.4 Zwischenfazit

In diesem Kapitel wurde das Forschungsdesign dieser Arbeit detailliert dargestellt. Dieses ist darauf ausgelegt, die Zusammenhänge und Hypothesen zur räumlichen Freizeitgestaltung von Jugendlichen, die in den beiden vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet wurden, zu prüfen und ihre Hintergründe zu explorieren. Konkret geht es um den Einfluss von Variablen auf individueller Ebene, wie Geschlecht und sozialem Status, und Merkmale des Wohnquartiers, wie Lage und Marginalisierung, auf das Freizeitverhalten von Jugendlichen, auf ihre Mobilität und Nutzung des Stadtraums.

Die aufgestellten Hypothesen zu prüfen, war Ziel des quantitativen Forschungsteils. Dieser wurde in Auseinandersetzung mit den methodischen Ansätzen von Forschungen aus dem Bereich der Nachbarschaftseffekt-, Aktivitätsraum- und Jugendforschung entwickelt, da diese Forschungsrichtungen Fragestellungen verfolgen, die im Rahmen dieser Arbeit verknüpft werden. Durch den jeweiligen Fokus auf die Effekte von Wohnquartieren, die alltäglichen räumlichen Routinen oder die Stadtnutzung und das Freizeitverhalten von Jugendlichen sind die methodischen Ansätze entsprechend ausgerichtet. Die damit einhergehenden Grenzen soll das quantitative Instrument dieser Forschung überwinden, indem es das alltägliche Freizeit- und Raumverhalten von Jugendlichen präzise lokalisiert und mit großer Informationstiefe erfasst.

Dafür wurde die aus der Sozialraumforschung stammende Nadelmethode für die individuelle Befragung modifiziert und mit einem Fragebogen verbunden. Im Fragebogen wurden Informationen zu den Freizeitaktivitäten und Freund*innen sowie zu Mobilitätsverhalten, sozialen Kontakten und soziodemografischen Daten abgefragt. Durch die mit der Nadelmethode auf Stadtplänen erhobenen Daten lassen sich Variablen zum räumlichen Verhalten definieren und in Bezug setzen zu den aus den Fragebogenitems gewonnen Variablen. Die formulierten Hypothesen lassen sich dann in bivariaten Analysen und multiplen Regressionen prüfen.

Bei der Stichprobenziehung sollte gezielt vorgegangen werden, damit die zentralen Variablen des individuellen sozialen Status sowie Lage und Status des Wohnquartiers in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ausreichend in der Stichprobe abgebildet sind. Um Jugendliche mit den diese Merkmalen und Wohnstandorten zu befragen, wurden Schulen in peripheren und zentralen, marginalisierten und nicht-marginalisierten Quartieren für die Forschung angefragt. Zusätzlich wurde versucht, jeweils Integrierte Sekundarschulen (ISS) und Gymnasien für die Befragung zu gewinnen, um Jugendliche mit niedrigerem und höherem sozialen Status in die Stichprobe einzuschließen.

Die anvisierte Quote von mindestens einer ISS und einem Gymnasium je Quartierskategorie (zentral/marginalisiert, zentral/nicht-marginalisiert, peripher/marginalisiert, peripher/nicht-marginalisiert) konnte aufgrund der geringen Teilnahmebereitschaft der Schulen bzw. Absagen nach bereits erfolgter schulbezogener Genehmigung durch die Senatsverwaltung für Bildung nicht erreicht werden. Nach einer Überprüfung des durchschnittlichen sozioökonomischem Status der befragten Schüler*innen der einzelnen Schulen wurden zwei der ISS zusammen mit den beiden Gymnasien zu statushohen Schulen zusammengefasst, während die verbleibenden fünf ISS als statusniedrige Schulen definiert wurden. Nach dieser Einteilung konnte nur für die Quartierskategorie zentral/marginalisiert keine statushohe Schule gefunden werden, in den anderen drei Quartierskategorien konnten jeweils in einer statushohen sowie statusniedrigen Schule Klassen befragt werden. Da es viele Ausfälle bei den Variablen gibt, die in den Index zum sozioökonomischen Status einfließen, wird der Schulstatus in den statistischen Analysen als Variable genutzt, um den individuellen sozioökonomischem Status der Befragten annäherungsweise abzubilden. Es wird angenommen, dass Schüler*innen von Schulen mit niedrigem Status auch selbst eher einen niedrigen sozialen Status haben und Schüler*innen von statushohen Schulen eher einen hohen sozialen Status.

Was die zentralen Untersuchungsmerkmale Geschlecht, Schulstatus und Wohnlage angeht, ist die erreichte Stichprobe recht ausgewogen. Jeweils ungefähr die Hälfte der befragten Schüler*innen entfallen auf eine der beiden Ausprägungen der dichotomen Variablen (weiblich/männlichen, statushohe/statusniedrige Schule, zentrale/periphere Wohnlage). Deutlich ungleich verteilt sind jedoch die beiden Ausprägungen des Quartierstatus: Nur eine deutliche Minderheit der Befragten wohnt in einem marginalisierten Quartier, die überwiegende Mehrheit in einem nicht-marginalisierten.

Zudem sind die Variablen Geschlecht, Wohnlage und Quartierstatus mit Bezug auf den Schulstatus ungleich verteilt und daraus ergeben sich statistische Zusammenhänge zwischen dem Schulstatus und den anderen drei Variablen. So sind die Befragten der statushohen Schulen häufiger weiblich und wohnen eher zentral, die Befragten der statusniedrigen Schulen sind häufiger männlich und wohnen eher peripher. Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Schul- und Quartierstatus: Schüler*innen aus benachteiligten Quartieren besuchen überwiegend statusniedrige Schulen, jene aus nicht-marginalisierten Quartier überwiegend statushohe. Es gibt nur sehr wenige Schüler*innen von statushohen Schulen, die zugleich in benachteiligten Quartieren wohnen. Dies spiegelt zwar den belegten Zusammenhang zwischen individuellem sozialen Status und dem Status des Wohnquartiers in der Grundgesamtheit wider: Jugendliche aus marginalisierten Haushalten wohnen auch eher in benachteiligten Quartieren. Ziel der Stichprobenziehung war es jedoch, die vier zentralen Untersuchungsmerkmale auch in Bezug aufeinander möglichst gleichmäßig abzubilden. Dies konnte nur bedingt erreicht werden. Um Verzerrungen und falsche Interpretationen zu vermeiden, sollen daher diese ungleichen Verteilungen und statistischen Zusammenhänge der zentralen unabhängigen Variablen untereinander bei den Auswertungen reflektiert werden.

Um die in den Hypothesen formulierten Zusammenhänge nicht nur zu prüfen, sondern auch Hintergründe zu explorieren und zu erklären, wurde im Sinne eines Mixed-Methods-Vertiefungsdesigns die quantitative Forschungsphase um eine qualitative ergänzt. Dafür wurden thematisch fokussierte Leitfadeninterviews mit Jugendlichen, die über persönliche Kontakte oder Jugendzentren kontaktiert wurden, durchgeführt. Auf Grundlage der transkribierten und codierten Interviews wurden Fallübersichten erstellt und Typen des räumlichen Freizeitverhaltens gebildet. In den Fallübersichten und Typen wurde das räumliche Freizeitverhalten systematisch mit erklärenden Merkmalen, wie sozialem Status, Wohnort, Freundeskreis und Freizeitstil zusammengebracht. Die codierten Interviewabschnitte geben vertiefende Auskunft über diese Zusammenhänge.

In der quantitativen Forschungsphase hatten sich in innerstädtischen Quartieren eine markante Segregation zwischen den Aktivitätsräumen von Jugendlichen aus marginalisierten und nicht-marginalisierten Quartieren gezeigt. Um dieses Ergebnis mithilfe der Leitfadeninterviews zu vertiefen, wurde sich darauf konzentriert in angrenzenden innerstädtischen Quartieren Interviewpartner*innen zu finden. Zudem sollten die zentralen Untersuchungsmerkmale der quantitativen Stichprobe, sozialer Status, Geschlecht und Quartierstatus, auch in der Stichprobe des qualitativen Forschungsteils abgebildet werden, um den Einfluss dieser Variablen explorieren zu können. Dieses Ziel konnte in Bezug auf den sozioökonomischem Status und das Geschlecht erreicht und Jugendliche beiderlei Geschlechts und mit unterschiedlichem Status interviewt werden. Allerdings konnten keine Jugendlichen aus nicht-benachteiligten Quartieren für ein Interview gewonnen werden.

Aufgrund dieser Einschränkungen in der Stichprobe können im qualitativen Forschungsteil zunächst die Hintergründe des räumlichen Freizeitverhaltens von Jugendlichen aus innerstädtischen, marginalisierten Quartieren analysiert werden. Inwiefern sich diese auch auf Jugendliche aus anderen Quartieren übertragen lassen oder für diese abweichende Erkenntnisse gewonnen werden können, wird im Kapitel 6 bei der Vorstellung der Ergebnisse der qualitativen Forschungsphase diskutiert werden.